[439] 50. âbhâsa' eva ca
nur ein Scheinbild auch.

Auch ist diese individuelle Seele anzusehen als ein blosses Scheinbild der höchsten Seele, vergleichbar dem Sonnenbild im Wasser; sie ist nicht geradezu jene selbst, und ist doch auch nicht ein von ihr verschiedenes Ding. Wie nun dadurch, | dass irgend ein Sonnenbild im Wasser erzittert, die andern Sonnenbilder nicht[439] miterzittern, so braucht auch nicht deswegen, weil die eine individuelle Seele mit einer Werkfrucht verbunden ist, auch eine andere damit verbunden zu sein; daher keine Durchkreuzung der Werkfrüchte zu besorgen ist. Weil aber jenes Scheinbild vom Nichtwissen erzeugt wurde, darum muss auch der Saṃsâra, welcher auf ihm beruht, vom Nichtwissen erzeugt sein; und daher kommt es, dass schon durch die blosse Beseitigung jenes Nichtwissens die Erkenntnis sich ergiebt, dass im Sinne der höchsten Realität die Seele das Brahman ist.

Diejenigen aber, welche eine Vielheit von Seelen, die sämtlich allgegenwärtig seien, annehmen, können jener Durchkreuzung nicht entrinnen. Wir wollen zeigen warum. – Die Sâ khya's nehmen an, dass es viele, alldurchdringende Seelen giebt, welche ihrem Wesen nach reine Geistigkeit, qualitätlos und das absolut Höchste sind; dass um ihrer willen die gemeinsame Urmaterie vorhanden ist, und dass mit deren Hülfe das Geniessen und die Erlösung der Seelen vollzogen wird. – Hingegen meinen die Anhänger des Kaṇâda, dass die Seelen, trotz ihrer Vielheit und Alldurchdringung, doch ihrem Wesen nach blosse Substanzen seien, welche an sich ebenso wie ein Topf oder eine Wand | ohne Geist sind, dass diesen die atomartig kleinen und ebenfalls ungeistigen Manas's zur Hülfe kommen, und dass nun, jenachdem die Seelen-Substanzen und die Manas-Substanzen sich verbinden oder nicht verbinden, die speciellen Qualitäten der Seele, die Zuneigung u.s.w., entstehen; wenn nun diese Qualitäten, ohne sich zu durchkreuzen, den einzelnen Seelen inhärent bleiben, so ist das der Saṃsâra der Seelen; wenn hingegen die neun Qualitäten der Seele [welche sie annehmen, nämlich: Erkenntnis, Lust, Leid, Zuneigung, Abneigung, Wille, Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit, Einbildung] völlig zu entstehen aufhören, so erfolgt die Erlösung. – Was nun zunächst die Sâ khya's betrifft, so folgt aus ihrer Annahme, wonach alle Seelen geistiger Natur und ohne Unterschied überall gegenwärtig sind, notwendigerweise, dass bei der Verbindung einer einzelnen Seele mit Lust und Schmerz alle Seelen mit der Lust und dem Schmerze verbunden sind. – ›Nun ja, aber da die Entfaltung der Materie die Erlösung der Purusha's bezweckt, so muss doch eine Isoliertheit derselben angenommen werden; denn sonst würde die Entfaltung der Urmaterie nur der Verherrlichung ihrer eigenen Machtfülle dienen, und eine Erlösung wäre [ohne die Individualität der Purusha's] nicht möglich.‹ – Aber diese Aushülfe ist ohne Solidität; denn die Isoliertheit ist damit noch nicht erwiesen, dass sie von dem angestrebten Ziele untrennbar ist; vielmehr sollte die Isoliertheit ihrer Wirklichkeit nach irgendwie aufgezeigt werden, und wenn sich deren Wirklichkeit nicht aufzeigen lässt, nun, dann ist es mit der angestrebten Erlösung des Purusha eben nichts, während hingegen aus der Unbegründbarkeit der Isoliertheit[440] vielmehr die Durchkreuzung folgt. – | Auch bei den Anhängern des Kaṇâda stellt es sich so, dass, wenn das Manas sich mit irgend einer Seele verbindet, diese Verbindung sich nicht so absondern lässt, dass sie nicht zugleich eine solche mit andern Seelen wäre, da alle ohne Unterschied überall zur Hand sind; ist aber die Ursache [die Verbindung mit dem Manas] nicht abzusondern, so ist es auch die Wirkung nicht, und es folgt, dass bei Verbindung einer einzelnen Seele mit Lust und Schmerz alle Seelen gleichmässig von der Lust und dem Schmerze betroffen werden.

›Nun ja, aber kann nicht jene Einschränkung in dem Unsichtbaren (adṛishṭam) ihren Grund haben?‹ – Nein, antwortet der Lehrer,

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 439-441.
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