[333] 12. ubhayathâ api na karma, atas tad-abhâvaḥ
auf beide Art kein Werk; daher keine [Atomverbindung].

Jetzt wendet sich der Lehrer zur Bekämpfung der Theorie von den Atomen als Weltursache. Diese Theorie tritt in folgender Weise auf. ›Der Augenschein lehrt, wie in der Erfahrung gegliederte Substanzen, z.B. Gewebe, hervorgebracht werden von ihnen entsprechenden Substanzen, z.B. den Fäden, indem dieselben der Verbindung teilhaft werden. In ähnlicher Weise ist zu schliessen, dass alles, was gegliedert ist, von den ihm jedesmal entsprechenden Substanzen, indem diese der Verbindung teilhaft werden, hervorgebracht ist. Dasjenige, bei welchem diese Unterscheidung des Gliederhaften und der Glieder nicht mehr weiter durchführbar ist, indem die Reduktion bei ihm ihr Ende erreicht hat, ist das Atom (paramâ u.) Nun ist diese ganze Welt mit Gebirgen, Meeren u.s.w. ein Gliederhaftes, und weil gliederhaft, hat sie einen Anfang und ein Ende. Eine Wirkung aber kann nicht ohne Ursache sein; und darum sind‹ – dies ist die Meinung des Kaṇâda – ›die Atome die Ursache der Welt.‹ Indem ferner die Atomisten bemerken, wie alle vier Elemente, nämlich Erde, Wasser, Feuer und Luft, gliederhaft sind, so nehmen sie[333] vier Arten von Atomen an. ›Wenn nun diese, die Erde u.s.w., ›so zu Grunde gehen, dass die Reduktion ihr Ende erreicht, und somit eine weitergehende Teilung nicht mehr möglich ist, so führt die letztmalige Teilung auf die Atome, | und dies ist die Zeit des Weltunterganges. Zu der ihr folgenden Zeit der Schöpfung entsteht in den luftartigen Atomen eine durch das Unsichtbare (adṛishṭam) bedingte Wirkung; diese Wirkung verbindet das ihr unterworfene Atom mit einem andern Atome, und so entsteht durch Vermittlung der Doppelatome u.s.w. die Lufft; ebenso das Feuer; ebenso das Wasser; ebenso die Erde; ebenso der Leib mitsamt den Sinnesorganen. In dieser Weise entsteht diese ganze Welt aus den Atomen, und dabei entstehen aus dem den Atomen eigenen Aussehen u.s.w. die den Doppelatomen eigenen Aussehen u.s.w., ähnlich wie bei den Fäden und dem Gewebe.‹ Dieses ist die Meinung der Kaṇâdianer. – Hierauf ist Folgendes zu erwidern. Was zunächst den Zustand der Geteiltheit betrifft, so muss in ihm eine sich bildende Verbindung von Atomen angesehen werden als bedingt durch ein Werk, wie ja auch die Fäden u.s.w. durch ein Werk zum Gewebe verbunden werden. Für dieses Werk aber muss, weil es eine Wirkung ist, irgend eine bewirkende Ursache angenommen werden. Nimmt man sie nicht an, so kann wegen Fehlens der bewirkenden Ursache bei den Atomen jenes erstanfängliche Werk nicht statthaben. Aber auch wenn man sie annimmt, auch wenn man der Wahrnehmung gemäss irgend eine Anstrengung oder einen Anstoss und dergleichen als die bewirkende Ursache des Werkes zugiebt, so kann doch bei den Atomen das erstanfängliche Werk nicht statthaben, weil eine solche bewirkende Ursache bei ihnen undenkbar ist. Denn in diesem Zustande ist eine Anstrengung als Qualität der Seele | undenkbar, weil dieselbe noch keinen Leib hat. Denn jede Anstrengung als Qualität einer Seele muss entstehen in einem Manas, indem dasselbe unter gleichzeitiger Verbindung mit der Seele auf einen Leib sich stützt. Aus demselben Grunde ist auch eine sichtbare bewirkende Ursache, wie z.B. ein Anstoss, unzulässig; denn dieses alles besteht nur in der Zeit nach der Schöpfung, kann somit nicht die bewirkende Ursache des erstanfänglichen Werkes sein. Oder meint ihr vielleicht, dass das »Unsichtbare« die bewirkende Ursache des erstanfänglichen Werkes sei? Nun, dann müsste dieses wiederum entweder einer Seele inhärieren, oder es müsste den Atomen inhärieren, »auf beiderlei Weise« aber ist »kein Werk«, welches das Unsichtbare als bewirkende Ursache hätte, bei den Atomen möglich, indem das Unsichtbare ein Ungeistiges ist. Ein Ungeistiges aber kann, ohne von einem Geistigen regiert zu werden, von selbst weder sich noch ein anderes bewegen, wie wir dies bei Prüfung des Sâ khyasystemes (Sûtram 2, 2, 2) dargelegt haben. Und auch die Seele ist, da ihre Geistigkeit sich[334] noch nicht entwickelt hat, in jenem Zustande ein Ungeistiges. Und wenn man auch die Inhärenz des Unsichtbaren in einer Seele annimmt, so kann dasselbe doch nicht bei den Atomen die bewirkende Ursache des Werkes bilden, weil die Verknüpfung mit diesen fehlen würde. Nehmt ihr aber eine Verknüpfung der Atome mit einem das Unsichtbare schon besitzenden Geiste (purusha) an, so ist die Verknüpfung eine fortwährende, und folglich müsste auch die Bewegung eine fortwährende sein, indem etwas Anderes, welches sie hemmen könnte, nicht vorhanden sein würde. Weil also somit keine notwendige bewirkende Ursache für das Werk | vorhanden ist, so kann das erstanfängliche Werk bei den Atomen nicht statthaben; hat aber das Werk nicht statt, so hat auch die durch dasselbe bedingte Verbindung der Atome nicht statt, und hat die Verbindung nicht statt, so hat auch die durch dieselbe bedingte Wirkung der Doppelatome u.s.w. nicht statt. – Ferner: die Verbindung des einen Atomes mit dem andern muss entweder eine solche mit seinem ganzen Wesen, oder mit einem Teile desselben sein. Sollen sich die Atome ihrem ganzen Wesen nach verbinden, so kann es zu keinem Aggregate kommen, alles zusammen kann nur die Grösse eines einzigen Atomes haben, und der Widerspruch mit der Wirklichkeit liegt zu Tage. Soll hingegen, weil in der Erfahrung sich eine Substanz vermöge ihrer Grenzen mit den Grenzen einer andern Substanz verbindet, auch die Verbindung der Atome nur an einer ihrer Seiten stattfinden, so folgt, dass das Atom Glieder haben muss. Meint ihr, dass die Grenzen an den Atomen nur fingierte seien, so folgt, da das Fingierte nicht wirklich ist, dass auch die Verbindung der Atome nicht wirklich ist, dass somit für die bewirkte Substanz die nichtinhärierende Ursache [d.h. eben die Verbindung] nicht vorhanden ist; fehlt aber die nichtinhärierende Ursache, so kann auch die in den Doppelatomen u.s.w. bestehende Wirkung nicht erfolgen. – Ebenso ferner, wie bei der Anfangsschöpfung, weil die bewirkende Ursache fehlt, das die Entstehung der Verbindung bezweckende Werk bei den Atomen nicht möglich ist, | ebenso ist auch beim Weltuntergange das die Entstehung der Trennung der Atome bezweckende Werk nicht möglich. Denn auch hierbei ist keine notwendige bewirkende Ursache der Trennung ersichtlich. Denn auch das Unsichtbare hat als Zweck doch nur die Verwirklichung des Genusses [der Werke in einem früheren Dasein] und nicht die Verwirklichung der Zerstörung. – Weil somit eine bewirkende Ursache fehlt, so kann weder das die Verbindung der Atome noch das die Trennung der Atome bezweckende Werk entstehen; und somit, weil eine Verbindung und eine Trennung unmöglich ist, ergiebt sich, dass jene beiden, nämlich Weltschöpfung und Weltuntergang, unmöglich sind. – Darum ist diese Theorie von den Atomen als der Weltursache unannehmbar.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 333-335.
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