[316] 1. racanâ-anupapatteç ca anumânam
auch wegen Unmöglichkeit der Weltordnung ist das Gefolgerte [der Sâ khya's zu verwerfen].

Wenn es auch der Zweck des vorliegenden Lehrbuches ist, den Sinn der Vedântaworte zu untersuchen, nicht aber, wie in Lehrbüchern der Reflexion, aus blossen Argumentationen irgend einen Satz zu erweisen oder zu widerlegen, so liegt es doch den Erklärern der Vedântaworte ob, das Sânkhyam und die andern Systeme, welche der vollkommenen Erkenntnis widerstreiten, zu widerlegen, und diesem Zwecke dient der nun folgende Pâda. Weil es nämlich der Zweck der vollkommenen Erkenntnis ist, den Sinn des Vedânta klar zu legen, so wurde diese Klarlegung und die auf ihr beruhende Feststellung der eigenen Lehrmeinung zuerst vorgenommen in dem Bewusstsein, dass dieselbe wichtiger ist, als die Widerlegung der gegnerischen Meinung. – ›Aber genügt es nicht für die, welche nach der Erlösung begehren, als Mittel derselben behuss der Klarlegung der vollkommenen Erkenntnis die eigene Lehrmeinung allein festzustellen? Wozu hilft es, die Meinung der Gegner zu widerlegen und sich dadurch bei ihnen verhasst zu machen?‹ – Schon recht! | es könnte jedoch geschehen, dass, indem man sieht, wie die von grossen Männern angenommenen[316] grossen Lehrsysteme der Sâ khya's und anderer unter dem Vorgeben, die vollkommene Erkenntnis zu lehren, ihre Sache führen, gewisse langsamere Geister auf den Gedanken kommen möchten, dass auch sie zum Zwecke der vollkommenen Erkenntnis verwendbar seien, und so könnte man meinen, dass auch jene, wegen der Eindringlichkeit ihrer Gründe, und weil sie Philosophen [wörtlich: Allwissende] heissen, Glauben verdienen; daher es wohl der Mühe wert ist, die Ungereimtheit ihrer Lehre darzulegen. – ›Aber ist nicht schon vorher durch die Sûtra's: »wegen des Erwägens nicht! schriftwidrig« (1, 1, 5), – »auch ist, wegen des Begehrens, kein Gedanke an das Erschlossene« (1, 1, 18), – »damit sind alle besprochen, besprochen« (1, 4, 28), – eine Widerlegung der Lehrmeinungen der Sâ khya's und anderer geliefert worden? Wozu also noch einmal thun was schon gethan ist?‹ – Darauf dient zur Antwort: | die Sâ khya's und andere führen, um ihre Lehrmeinung zu stützen, auch Vedântastellen an und erklären dieselben in einem ihrer Auffassung günstigen Sinne; dass diese Erklärungen derselben nur scheinbare Erklärungen sind, so viel ist bisher bewiesen worden. Im Folgenden hingegen soll ohne Rücksicht auf jene Schriftstellen eine selbständige Widerlegung der Vernunftgründe jener Gegner unternommen werden; das ist der Unterschied.


Die Meinung der Sâ khya's nun zunächst ist folgende. So wie in der Erfahrung die Verschiedenheiten der Töpfe, Krüge u.s.w. darin übereinstimmen, dass sie aus Thon bestehen, und folglich als ihre Voraussetzung eine aus Thon bestehende Gleichartigkeit haben, – ebenso stimmen alle die äusseren und inneren Verschiedenheiten der Welt darin überein, dass sie aus Wohl, Wehe und Wahn bestehen, und folglich müssen auch sie eine aus Wohl, Wehe und Wahn bestehende Gleichartigkeit zu ihrer Voraussetzung haben. Diese aus Wohl, Wehe und Wahn bestehende Gleichartigkeit ist die aus den drei Guṇa's bestehende Urmaterie, welche, selbst ungeistig wie der Thon, bemüht ist, den Zweck des geistigen | Purusha zu vollbringen, und zu diesem Zwecke, vermöge der in ihrer Natur liegenden Spaltung, sich in die mannigfachen Produktwesen umwandelt. Ebenso glauben ferner die Sâ khya's aus gewissen Merkmalen [der Produkte], z.B. aus deren Begrenztheit u.s.w. (vgl. Sâ khya-kârikâ 15), auf eben jene Urmaterie schliessen zu dürfen. – Hiergegen haben wir Folgendes zu bemerken. Wenn man die Sache nur mit Hülfe von Beispielen erwägt, so sieht man, wie in der Welt kein Ungeistiges aus sich selbst und ohne von einem Geistigen regiert zu werden die Produkte hervorbringt, welche zur Förderung der bestimmten menschlichen Zwecke dienen. Denn z.B. Häuser, Paläste, Betten, Sessel, Lustgärten u.s.w. werden im Leben [nur] von einsichtigen Künstlern[317] der Zeit [und ihren Ansprüchen] gemäss | zum Zwecke, Lust zu befördern, Unlust abzuhalten, eingerichtet. Ebenso nun steht es mit dieser ganzen Welt; denn wenn man sieht, wie z.B. die Erde dem Zwecke des Genusses der Frucht der mancherlei Werke entspricht, und wie z.B. der Leib von aussen und von innen dadurch, dass er eine den verschiedenartigen Geschöpfen gemässe, bis ins Einzelne bestimmte Anordnung der Teile besitzt, sich als den Standort des Geniessens der Frucht der mannigfaltigen Werke darstellt, – also, dass auch einsichtsvolle und höchst bewährte Künstler es nicht einmal mit ihrem Verstande zu fassen vermögen, – wie sollte diese Anordnung von der ungeistigen Urmaterie herrühren, da doch Erdklumpen, Steine u.s.w. zu so etwas nicht im Stande sind? Denn auch der Thon z.B. formt sich, wie die Erfahrung lehrt, zu verschiedenen Gestalten [nur], sofern er vom Töpfer regiert wird, und ebenso muss die Urmaterie | von einem andern, Geistigen, regiert werden. Denn dass man [bei Anwendung dieses Gleichnisses auf die Ursache der Welt] die Wurzelursache nur nach derjenigen Eigenschaft des Thones u.s.w. bestimmen dürfe, vermöge derer er die Materie bildet, und nicht auch nach derjenigen, vermöge derer ihm ein Töpfer u.s.w. zur Seite steht, dazu ist doch keine Nötigung vorhanden. Auch liegt in dieser Auffassung [der Weltursache als der materiellen und der bewirkenden Ursache] durchaus nichts Widersprechendes; vielmehr kommt durch sie auch die Schriftoffenbarung zu Ehren, welche aussagt, dass die Weltursache ein Geistiges sei. Also, »auch wegen Unmöglichkeit der Weltordnung« darf man nicht auf ein Ungeistiges als Ursache der Welt zurückgehen. – Ferner »auch« – durch dieses »auch« ergänzt das Sûtram die Unvollständigkeit der Begründung – wegen der Unmöglichkeit der Gleichartigkeit [der Dinge, auf Grund derer die Sâ khya's (Kârikâ 15. Sûtram 1, 131) auf die drei Guṇa's als Ursache der Dinge und ihrer Grundbestimmungen des Wohles, Wehes und Wahnes schliessen]. Denn in den, äusseren und inneren, mannigfachen Bestimmungen der Dinge lässt sich die Gleichartigkeit nicht dadurch erklären, dass man sie sämtlich ihrem Wesen nach für Wohl, Wehe und Wahn erklärt. | Nämlich Wohl, Wehe und Wahn werden nur als innere [Zustände] percipiert; die Sinneseindrücke hingegen werden [äusserlich] percipiert als eine bestimmte Gestalt habend und als eine bestimmte Ursache habend; und auch wo die Sinneseindrücke nicht verschieden sind, zeigt sich, wegen der Verschiedenheit der inneren Auffassung derselben, [bei den verschiedenen Menschen] eine Verschiedenheit an Wohl, Wehe und Wahn [was unmöglich wäre, wenn diese drei das Wesen der Aussendinge ausmachten]. – Ferner: wenn man aus der Wahrnehmung, dass die begrenzten Unterschiede, z.B. die Wurzel und die Pflanze, ein gemeinschaftliches Erschaffensein zur Voraussetzung haben, darauf schliesst, dass die äusseren[318] und inneren Unterschiede der Dinge, weil sie sich gegenseitig einschränken, ein gemeinschaftliches Erschaffensein zur Voraussetzung haben (vgl. Sâ khya-kârikâ 15), nun dann folgt, dass auch die drei Guṇa's Sattvam, Rajas und Tamas [nicht wie die Sâ khya's meinen, die ursprünglichen Bestimmungen der Urmaterie sind, sondern] ein solches gemeinschaftliches Erschaffensein zur Voraussetzung haben, weil sie ebenso gut sich gegenseitig einschränken. – Übrigens zeigt die Erfahrung, wie das Verhältnis zwischen Ursache [Mittel] und Wirkung [Zweck] bei solchen Dingen stattzuhaben pflegt, bei denen, wie bei Betten, Stühlen u.s.w., der Schöpfung eine bewusste Überlegung vorausging; da nun auch die äusseren und inneren Unterschiede der Dinge sich in dieser Weise als Ursache [Mittel] und Wirkung [Zweck] zu einander verhalten [wie z.B. Ton und Farbe zu Gehör und Geruch], so folgt, dass dieselben nicht ein blosses Ungeistiges zur Voraussetzung haben können.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 316-319.
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