[319] 2. pravṛitteē ca
auch wegen der Bewegung.

Wenn wir nun auch einmal von jener Anordnung der Welt absehen, so ist es doch weiter auch die jene Weltordnung als Resultat habende Bewegung, die Fortbewegung aus dem Gleichmässigkeitszustande, der Übergang von Sattvam, Rajas und Tamas in die Gestalt des Seins eines Trägers ihrer als Glieder, sowie der Umstand, dass dieselben sich einer bestimmten Wirkung | entgegen bewegen, – auch diese »Bewegung« ist es, welche bei einer ungeistigen, für sich allein bestehenden Urmaterie unmöglich wird, indem man weder an dem Thone u.s.w. noch auch bei Wagen u.s.w. eine solche wahrnimmt. Denn der Thon oder die Wagen können aus sich selbst, weil sie ungeistig sind, wofern sie nicht von Töpfern u.s.w. oder von Pferden u.s.w. regiert werden, sich nicht einer bestimmten Wirkung entgegen bewegen. Aus dem Wahrnehmbaren aber muss man auf das Unwahrnehmbare schliessen; und also auch darum, weil die Bewegung unmöglich sein würde, darf man nicht auf ein Ungeistiges als Ursache der Welt zurückschliessen. – [Sā khya:] ›Aber ein Geistiges für sich allein kann sich, wie die Erfahrung zeigt, doch auch nicht bewegen.‹ – [Vedāntin:] Das ist richtig; aber was die Erfahrung zeigt, das ist doch nur die Bewegung eines Ungeistigen, z.B. des Wagens, zufolge seiner Verbindung mit einem Geistigen, nicht aber die eines Geistigen, zufolge seiner Verbindung mit einem Ungeistigen. Was ist nun hier das Richtige? gehört die Bewegung demjenigen an, an welchem sie wahrgenommen wird, | oder vielmehr demjenigen, durch die[319] Verbindung mit welchem sie wahrgenommen wird? – [Sā khya:] ›Nun, die Bewegung ist doch natürlich eine solche desjenigen, an welchem sie wahrgenommen wird, indem beide vor Augen liegen, während hingegen ein blosser Geistiger darum, dass er der Bewegung als Grundlage dient, nicht wie der Wagen u.s.w. vor Augen liegt. Nur daraus, dass er mit einem Leibe als Grundlage der Bewegung verbunden ist, lässt sich beweisen, dass ein Geistiger wirklich vorhanden ist, indem der lebendige Leib von dem bloss ungeistigen Wagen u.s.w. sichtlich verschieden ist; und daher kommt es ja auch, weil man die Wirkung des Geistigen nur sieht, wenn der Leib vorhanden ist, und nicht sieht, wenn er nicht vorhanden ist, dass die Materialisten auch die geistige Wirkung nur für eine solche des Leibes ansehen. Somit folgt, dass die Bewegung nur dem Ungeistigen angehört.‹ – [Vedāntin:] Darauf dient zur Antwort: wir behaupten gar nicht, dass die Bewegung demjenigen Ungeistigen, an welchem sie wahrgenommen wird, nicht angehöre; freilich gehört sie ihm an; aber nur durch das Geistige gehört sie ihm an, so behaupten wir, weil sie ist, so lange jenes ist, und nicht mehr ist, wenn es nicht ist. Es ist damit wie mit derjenigen Umwandlung, welcher das Holz u.s.w. als Grundlage dient, und welche in Wärmen, Leuchten u.s.w. besteht; in einem blossen Brennen [ohne Holz] ist sie freilich nicht wahrnehmbar, aber doch wird sie es eben durch das Brennen, weil sie durch Verbindung mit ihm sichtbar wird | und nach Trennung von ihm unsichtbar wird. Auch die Materialisten müssen ja zugeben, dass es nur der geistige Leib ist, durch den die ungeistige Materie u.s.w. sich fortbewegt, und dass somit ohne Frage der Ursprung der Bewegung in dem Geistigen liegt. – [Sā khya:] ›Aber auch du musst doch zugeben, dass die Seele, obwohl sie mit Leib u.s.w. verbunden ist, doch ihrer Natur nach blosse Erkenntnis und nichts weiter ist und sich folglich nicht bewegen kann, dass es somit unrichtig ist, sie als das Princip der Bewegung zu betrachten.‹ – [Vedantin:] Dies bestreiten wir, weil auch ein solches, welches selbst keine Bewegung hat, ein Princip der Bewegung sein kann, wie z.B. der Magnet1 oder wie die Gestalt. Wie nämlich der Magnetstein, obwohl er selbst ohne Bewegung ist, das Eisen bewegt, und wie die Gestalten und andere Sinnendinge, obwohl sie selbst ohne Bewegung sind, doch die Augen u.s.w. in Bewegung setzen, so kann auch Gott, obwohl er ohne Bewegung ist, vermöge seiner Allgegenwart, Allbeseelung, Allwissenheit und Allmacht, alles bewegen. Behauptest du aber, dass wegen der von uns gelehrten Einheit keine Bewegung möglich und folglich auch kein Beweger anzunehmen[320] sei, | so geben wir das nicht zu, weil, wie wir mehr als einmal schon entgegnet haben, [das ganze Weltphänomen] nur beruht auf dem Eingehen [Gottes] in das vom Nichtwissen aufgestellte Trugbild der Namen und Gestalten. Somit wird die Bewegung möglich, wenn man das Allwissende als Ursache annimmt, nicht aber, wenn man das Ungeistige für die Ursache hält.

1

Aristot. Metaph. 12, 7, p. 1072 b 3: κινει δὲ ὡς ερώμενον.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 319-321.
Lizenz:
Kategorien: