[374] 41. antavattvam asarvajńatā vā
entweder Endlichkeit oder Nichtallwissenheit.

Auch aus folgendem Grunde ist der von den Anhängern der Reflexion aufgestellte Gott unmöglich. Gott wird nämlich von ihnen aufgefasst als allwissend und unendlich; für unendlich gilt aber weiter auch die Urmaterie und für unendlich die voneinander verschiedenen Seelen. Hierbei nun muss man entweder annehmen, dass Gott, als der allwissende, die bestimmte Grösse der Urmaterie, der Seelen und seiner selbst umgrenzt [d.h. durch sein Denken derselben begrifflich limitiert], oder dass er sie nicht umgrenzt. Beiden Fällen aber haftet ein Fehler an. Nämlich, wenn man das Erstere annimmt, so folgt notwendig, dass Urmaterie, Seele und Gott, weil ihrer bestimmten Grösse nach umgrenzt, [der Zeit nach] endlich sind. Denn so zeigt es die Erfahrung; indem jedes Ding, welches seiner bestimmten Grösse nach umgrenzt ist, wie z.B. der Topf, erfahrungsmässig ein Ende nimmt. Ebenso[374] nun muss auch die Dreiheit von Urmaterie, Seelen und Gott, da sie ihrer bestimmten Grösse nach umgrenzt sind, ein Ende nehmen. Zunächst nun ist schon der Zahlumfang, zufolge der Dreiheit von Urmaterie, Seelen und Gott, ein umgrenzter; dann aber muss in Betreff dieser Dreiheit auch der Umfang ihrer Wesensbeschaffenheit | von Gott [indem er sie der bestimmten Summe ihrer Merkmale nach erkennt und somit begrifflich limitiert] umgrenzt werden. Und allerdings ist die Anzahl der Seelen eine grosse [aber doch keine unendliche]; und hieraus folgt, dass bei denjenigen unter den ihrer Zahlgrösse nach begrenzten Seelen, welche von dem Saṃsāra erlöst werden, die Wanderung ein Ende nimmt, somit ihr Wanderersein ein endliches ist. Ebenso muss bei den übrigen, indem sie nach und nach erlöst werden, die Wanderung und das Wanderersein ein Ende nehmen. Was aber weiter die Urmaterie mitsamt ihren Umwandlungen betrifft, so ist ihr Substratsein für Gott, da es um der Seelen willen besteht, nur durch das Wanderersein derselben motiviert; nachdem sie aber von Seelen entleert ist, wozu soll sie dann noch Gott als Substrat dienen? Und welches Objekt könnte dann noch die Allwissenheit und Allmacht Gottes haben? Ergiebt sich aber hieraus, dass Urmaterie, Seelen und Gott einmal ein Ende nehmen, so folgt weiter, dass sie auch einen Anfang genommen haben müssen; haben sie aber Anfang und Ende, so sind wir bei der Theorie des Nihilismus angelangt. – Will man, um diesem Fehler zu entgehen, den letzteren der beiden oben genannten Fälle annehmen, so werden dann also Urmaterie, Seelen und Gott selbst nicht von Gott ihrer bestimmten Grösse nach [denkend] umgrenzt; dann stellt sich ein anderer Fehler ein, sofern damit die Annahme der Allwissenheit Gottes aufgegeben werden muss [nur ein Endliches kann erkannt werden]. – Auch darum also ist die von den Anhängern der Reflexion angenommene Kausalität Gottes [als blosser causa efficiens, nicht materialis] eine ungereimte.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 374-375.
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