[348] 20. uttara-utpāde ca pūrva-nirodhāt
und weil beim Entstehen des folgenden [Augenblicks] der vorherige zu nichte wird.

Wir haben gezeigt, dass, weil das Nichtwissen u.s.w. nur die bewirkende Ursache ist für das Hervorgehen [der andern Glieder der Kette], das Zustandekommen des Aggregates unmöglich ist. Aber auch dieses, dass das Nichtwissen u.s.w. die bewirkende Ursache für ihr eigenes Hervorgehen sein sollen, ist nicht möglich, wie nunmehr darzuthun sein wird. – Die Theorie von der Momentvernichtung nimmt an, dass, indem der folgende Augenblick entsteht, der vorherige Augenblick zu nichte wird. Bei dieser Annahme aber können sich der frühere und der spätere Augenblick[348] nicht wie Ursache und Wirkung zu einander verhalten; | denn weil der frühere Augenblick, indem er vergeht oder sobald er vergangen ist, vom Nichtsein verschlungen wird, kann er nicht die Ursache des folgenden Augenblickes sein. Oder ist die Meinung vielleicht, dass der frühere Augenblick die Ursache des späteren ist, während er noch im Dasein und in fertig vorhandenem Zustande ist? Auch das geht nicht; denn bei der Annahme, dass ein seiend Vorhandenes [ausser seinem Dasein] auch noch eine Thätigkeit übt, folgt, dass dasselbe mit einem zweiten Augenblicke verknüpft ist [was der Momentvernichtung widerstreitet]. Oder soll seine Thätigkeit nur darin, dass es da ist, bestehen? Auch so geht es nicht, weil das Entstehen einer Wirkung, ohne dass sie von der Natur der Ursache afficiert würde, unmöglich ist. Wird aber die Afficierung durch die Natur [der Ursache] zugegeben, so dauert die Natur der Ursache zur Zeit der Wirkung noch fort, und damit wird auf die Theorie von der Momentvernichtung verzichtet. Nimmt man hingegen an, dass auch ohne eine Beeinflussung ihrer Natur das Verhältnis von Ursache und Wirkung möglich ist, so folgt daraus zuviel, indem dann dasselbe überall gelten würde [somit alles aus allem entstehen könnte]. – Hierzu kommt, dass das, was man Entstehen und Vergehen nennt, entweder 1) das Wesen des Dinges selbst bildet oder 2) eine Verschiedenheit im Zustande desselben ist oder 3) ein besonderes Ding für sich ist. Aber keines von diesen dreien ist annehmbar. Sollen nämlich 1) Entstehen und Vergehen das eigene Wesen des Dinges ausmachen, so würden das Wort »Ding« und die Worte »Entstehen und Vergehen« Wechselbegriffe sein [was nicht annehmbar ist1]. Oder soll 2) ein Unterschied stattfinden in der Art, dass mit den Worten Entstehen und Vergehen an dem zwischen ihnen liegenden Dinge der Anfangs- und End-Zustand | bezeichnet werden? In diesem Falle ist das Ding mit den drei Zeitpunkten des Anfangs, Endes und der Mitte verknüpft, und die Annahme seiner Dauerlosigkeit aufgegeben. Oder sollen 3) das Entstehen und Vergehen von dem Dinge absolut verschieden sein, wie ein Ochse von einem Pferde? Nun, dann wird das Ding von dem Entstehen und Vergehen gar nicht berührt, müsste somit ewig bestehen. Soll aber etwa das Entstehen und Vergehen bloss darin bestehen, dass das Ding sichtbar und unsichtbar wird, so sind beide nur Bestimmungen an dem Betrachter und nicht an dem Dinge, und das Ding müsste ewig bestehen bleiben. – Auch darum also ist die Meinung der Sugata's ohne Halt.

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Nach dem Glossator, weil dann das Ding nicht Entstehen und Vergehen als Bestimmungen an sich tragen könnte, somit ewig sein würde (tayoḥ svarūpatve, vastuni antarbhārād, vastuno 'nādi-ananta-vat-tvam; iti api drashṭavyam.)

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 348-349.
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