Vorrede des Verfassers

[29] Zwei Ursachen, die mir wichtig zu sein schienen, verbinden mich, diesem Werk eine Vorrede vorzusetzen. Ich habe es für nötig gehalten, meinen Lesern gleich anfangs zu berichten: 1. Warum ich mich in diesem Werk allezeit der Schreibart eines Römisch-Katholischen bedient habe, es mag nun von Sachen, die in die Religion oder in die Staatskunst gehören, die Rede sein. 2. Warum diese dritte Ausgabe nicht so beschaffen ist, wie ich sie versprochen hatte.

Die Erläuterung des ersten Punktes wird man aus folgenden Zeilen sehen, darin ich einige Dinge anführe, die den Ursprung dieses Werkes betreffen.

Da ich öffentlicher Lehrer der Weltweisheit zu Sedan war, so wurde ich bei Gelegenheit desjenigen Kometen, der im Monat Dezember des 1680. Jahres erschien, von vielen neugierigen oder bestürzten Personen beständig mit hundert Fragen geplagt. Ich suchte, soviel möglich, denjenigen Mut zuzusprechen, die sich über dieses sogenannte Unglückszeichen ängstigten, allein durch alle meine philosophischen Schlüsse gewann ich sehr wenig bei ihnen. Man antwortete mir allezeit: Gott zeigte uns diese großen Luftzeichen, um den Sündern Raum zu geben, dasjenige Unglück abzuwenden, was über ihrem Haupt schwebte. Ich hielt es also für sehr undienlich, von der Sache weitläufiger zu handeln, wenn man nicht durch gründliche Folgerungen zeigen könnte, daß es den Eigenschaften Gottes zuwider sei, die Kometen zu einer solchen Wirkung zu bestimmen. Ich dachte der Sache nach und kam gar bald auf den aus der Gottesgelehrtheit genommenen Beweis, den man in dieser Schrift finden wird. Ich besann mich nicht, selbigen in irgendeiner Schrift gelesen oder jemals davon reden gehört zu haben. Dieser Schein einiger Neuigkeit[29] brachte mich auf die Gedanken, von dieser Sache einen Brief zu schreiben, der in den Mercure galant eingerückt werden könnte. Ich gab mir alle mögliche Mühe, die Grenzen eines solchen Briefes nicht zu überschreiten, allein der Überfluß dieser Materie erlaubte mir die gehörige Kürze nicht und nötigte mich, ein anderes Mittel zu ergreifen, das heißt meine Schrift als ein Werk anzusehen, welches besonders herausgegeben werden müßte. Nunmehr zwang ich mich zu keiner Kürze mehr, ich ließ mich ohne allen Zwang über jeden Satz aus, dennoch ließ ich den Herrn Visé, Verfasser des Mercure galant, niemals aus den Augen. Ich entschloß mich, ihm mein Schreiben zu übersenden und ihn zu ersuchen, daß er es seinem Buchdrucker geben und mir entweder die Erlaubnis des Herrn de la Reinie, sofern selbige zum Druck meines Werkes ausreichend wäre, wenn nicht, einen Befreiungsbrief des Königs selbst auswirken möchte, wenn es nicht anders sein könnte. Er behielt diese Schrift eine Zeitlang bei sich, ohne den Namen des Verfassers zu wissen, und da man ihn deswegen befragte, so antwortete er: Er wüßte gewiß, daß der Herr de la Reinie es nicht wagen würde, die Folgen dieser Sache ganz allein auf sich zu nehmen, und daß man, ehe man um das königliche Privilegium anhalten könnte, zuvor die Genehmhaltung der theologischen Fakultät haben müßte, dieses aber sei eine verdrießliche, langwierige und beschwerliche Sache, daß er die Muße nicht hätte, sich damit einzulassen. Man forderte ihm also die Abschrift ab, und da die Aufhebung der Hohen Schule zu Sedan mich veranlaßte, im 1681. Jahre nach Holland zu gehen, so ließ ich den Vorsatz fahren, mein Werk von den Kometen in Paris drucken zu lassen.

Hier sieht man die Ursache, warum ich mich der Schreibart eines Römisch-Katholischen bedient und bei den Staatsangelegenheiten die Ausdrücke des Herrn Visé nachgeahmt habe. Dieses war zu einem Werk, welches in Paris gedruckt werden sollte, unumgänglich notwendig, zumal, so hielt ich dafür, die Nachahmung des Mercure galant in einigen Stücken mir entweder die Einwilligung des Herrn [30] de la Reinie oder die königliche Freiheit desto eher zuwege bringen würde. Und da ich mir alle mögliche Mühe gegeben, daß ich nicht für den Urheber dieser Gedanken von den Kometen möchte gehalten werden (welche kurz darauf in Holland gedruckt wurden), so änderte ich in oft gedachter Schreibart gar nichts, indem ich glaubte, daß nichts als eben dieselbe vermögen könnte, das Urteil zu verhindern: Diese Schrift sei von einem Menschen verfertigt, welcher der Religion wegen aus Frankreich gegangen wäre.

Diejenigen, die sich die Mühe geben wollen, hierauf achtzugeben, werden unfehlbar alle gewünschte Erklärung finden. Noch eins muß ich sagen: Man schaltete während des Druckes (besonders bei der zweiten Ausgabe) ziemlich viele Sachen ein, welche in dem Manuskript, das man dem Verfasser des Mercure galant geschickt, nicht gestanden hatten.

Ich komme jetzt auf den anderen Punkt: Warum ich in dieser dritten Ausgabe nicht alles geleistet, was ich versprochen hatte.

Ich hatte meinen Lesern versprochen, daß diese Ausgabe mit vielen neuen Beweisen und Antworten auf die gemachten Einwürfe vermehrt werden sollte, und gleichwohl ist sie der zweiten ganz gleich. Ich habe nichts hinzugesetzt, nichts weggelassen, kurz, nichts geändert. Dieses ist aus folgenden Ursachen geschehen: Ich dachte, daß dieses Werk, welches ohnedies den Flüssen gleicht, die nur so dahinschleichen, durch einige neue Zusätze notwendig verdrießlich werden müßte. Hierdurch hätte ich meine Leser in ein Labyrinth geführt oder sie auf einen Fluß Mäander eingeschifft, und beides beliebt ihnen nicht. Ich weiß nicht, ob andere Schriftsteller die Geschicklichkeit gehabt haben möchten, ein solches Werk nach Art lebendiger Geschöpfe wachsen zu lassen, das heißt, durch eine gleiche Verteilung der Säfte über den ganzen Leib denselben allenthalben gleich zu vergrößern. Was mich betrifft, so erkenne ich mich dazu für unfähig, und also werde ich derjenigen Art nachahmen, wodurch, wie man sagt, die Natur die leblosen Körper vergrößert. Sie wachsen,[31] spricht man, per iuxta compositum, das heißt durch eine Materie, die sich an ihre äußeren Teile ansetzt. Auf eben diese Weise werde auch ich meine Zusätze zu einem neuen Teil aufsparen, den ich besonders drucken lassen will, sobald ich mit der Arbeit meines kritischen Wörterbuches etwas weiter gekommen sein werde, daran ich noch beständig arbeite. Diesen Aufschub nehme ich mir, weil ich bei genauerer Untersuchung der Einwürfe, die man gegen die Vergleichung des Heidentums mit der Gottesverleugnung machen kann, gefunden, daß man sie alle durch die Grundsätze, die ich vorausgesetzt, und durch diejenigen Antworten, die ich bereits vorgetragen, aufheben kann. Ich kann mir also schon Zeit nehmen. Derjenige Einwurf, der der stärkste zu sein scheint und am meisten verdient, recht weitläufig auseinandergesetzt zu werden, ist derjenige, den ich im 234. Absatz untersuche. Gleichwohl weiß ich nicht, ob ich mich in dem neuen Teil, den ich hier verspreche, gar zu lange dabei aufhalten werde; denn die Sache ist ungemein kitzlig, man kann sie weder recht erläutern noch untersuchen, ohne daß man gewisse Schranken überschreitet, die man lieber gar unberührt lassen muß. Es gibt, ich weiß nicht was für ein Schicksal, daß, je mehr man von den Eigenschaften Gottes, den allerdeutlichsten und erhabensten Begriffen nach, die die Metaphysik nur hat, nachsinnt, man desto mehr einer Menge Schriftstellen gewahr wird, die einem zuwider sind. Ungeachtet, daß dieses nicht in den Sachen selbst, sondern nur in dem Unterschiede der Schreibart gegründet ist, so ist es doch schwer, diesen Widersinn auf eine solche Art zu heben, daß sie allen Gemütern ein Genüge tut. Und überhaupt darf man sich nicht wundern, wenn Leute, die keine andere Schule gehabt haben als die Eingebung und die sich allezeit nach der Fähigkeit des gemeinen Mannes haben richten müssen, was die Begriffe betrifft, die ihre Ausdrücke zu enthalten scheinen, mit solchen Schriftstellern nicht einig sind, die die Regeln der Wortableitung erlernt haben, die selbige beachten und von allen Wörtern eine richtige Erklärung geben, dieselben allezeit in[32] ein und demselben Sinn nehmen, die nur die spekulative Besserung im Sinn haben und ihre Lehren nicht nach der Notwendigkeit einrichten, nach welcher der Pöbel durch grobe Bilder erbaut werden muß. Ich werde in meinem Wörterbuch in dem Artikel Gregorius Arimini etwas mehr hiervon sagen.

Dies ist es alles, was ich hier zu sagen gehabt. Weil aber der Drucker die folgende Seite gern voll haben will, so will ich noch eine Anmerkung hersetzen, die mir sehr geschickt zu sein scheint, den gemeinen Wahn in Hinsicht auf die Kometen zu widerlegen.

Der Krieg, welcher im Okzident vom Jahre 1688 bis ins Jahr 1697 gewährt hat, ist einer der heftigsten und kläglichsten gewesen, die man jemals gesehen. Gleichwohl ist weder kurz vorher noch während seiner Dauer irgendein Komet erschienen, vielmehr hat man im Monat September 1698 einen Kometen gesehen, als Europa schon vom Krieg befreit und im Begriff war, den Frieden zwischen den Türken und Christen wiederhergestellt zu sehen. Da haben wir also einen Kometen, der sich in derjenigen Zeit gezeigt hat, in der zwei Friedensschlüsse gemacht wurden, welche in allen Ecken von Europa die allgemeine Ruhe herstellten und den Zustand aller Sachen auf einen viel besseren Fuß setzten, einen Kometen, sage ich, der die glücklichen Zeiten wiederbrachte, da der Janustempel wieder zugeschlossen ward. Können wir es schon nicht hoffen, so wollen wir zumindest wünschen, daß selbige Zeiten, nebst einer langen Dauer, die gleichen sein mögen, welche Virgil in dem 1. Buche seiner Aeneis im 291. Verse prophezeit:


Aspera tum positis mitescent saecula bellis,

Cana fides, et Vesta, Remo cum fratre Quirinus

Iura dabunt: dirae ferro, et compagibus arctis

Claudentur belli portae. Furor impius intus

Saeva sedens super arma, et centum vinctus abenis

Post tergum nodis fremet horridos ore cruento.


Gegeben den 1. Jun. 1699[33]

Quelle:
Pierre Bayle: Verschiedene einem Doktor der Sorbonne mitgeteilte Gedanken über den Kometen, der im Monat Dezember 1680 erschienen ist. Leipzig 1975, S. 29-35.
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