Zweiter Teil

133. VII. Beweisgrund: Die Gottesleugnung verleitet den Menschen nicht notwendigerweise zur Verderbnis der Sitten

[285] Ich komme nun wieder zu Ihnen, mein Herr, und bringe Ihnen gleich anfänglich den Beweisgrund, bei dem sich unser Doktor am weitläufigsten aufhielt. Es war dieser: Der Grund, warum man sich einbildet, die Gottesleugnung sei der abscheulichste Zustand, den man nur finden kann, liegt in einem Vorurteil, das man sich von der Einsicht des Gewissensmacht, da man dafürhält, das Gewissen sei die Regel unserer Handlungen; die wahrhaftigen Triebfedern aber, welche uns in Bewegung setzen, nicht untersucht. Man schließt folgendergestalt: Der Mensch ist seiner Natur nach vernünftig, er liebt niemals ohne vorhergegangene Erkenntnis, er ist notwendigerweise geneigt, seine Glückseligkeit zu lieben und sein Unglück zu hassen und denjenigen Gegenständen, welche ihm die besten zu sein scheinen, den Vorzug zu geben. Wenn er nun überzeugt ist, daß es eine Vorsehung gibt, welche die Welt regiert, vor der sich nichts verbergen kann, welche die Liebhaber der Tugend mit einer unendlichen Glückseligkeit belohnt und diejenigen ewig bestraft, welche sich dem Laster ergeben, so kann es nicht fehlen, er muß der Tugend nachstreben und das Laster fliehen und den Lüsten des Leibes absagen, weil er sehr wohl weiß, daß sie ungeachtet der wenigen vergnügten Augenblicke, die damit verknüpft sind, solche Schmerzen nach sich ziehen, welche nimmermehr aufhören, da hingegen auf die Beraubung dieser vergänglichen Vergnügungen eine ewige Glückseligkeit folgt. Weiß er aber nicht, daß es eine Vorsorge gibt, so wird er seine Begierden als den letzten Endzweck und[285] als die Regel aller seiner Handlungen ansehen, er wird das verlachen, was andere Tugend und Ehrbarkeit nennen, und nur den Bewegungen seiner Lüste nachgehen. Er wird, wenn es ihm möglich ist, sich alle diejenigen vom Hals schaffen, die er nicht leiden kann, der geringsten Sache halber wird er falsche Eide ablegen, und wenn er sich in einem Stand befindet, da ihm die menschlichen Gesetze nichts angehen, so wie er vorher schon von den Gewissensbissen befreit war, so ist kein Verbrechen, das man alsdann nicht von ihm erwarten solle. Er ist ein unendlich gefährlicheres Untier als jene wilden Bestien, grimmige Löwen und Stiere, davon Herkules Griechenland befreit hat. Ein anderer, der von seiten der Menschen nichts zu befürchten hätte, würde wenigstens von der Furcht seiner Götter zurückgehalten werden.262 Dies ist es, wodurch man zu allen Zeiten die Leidenschaften der Menschen im Zaume gehalten hat, und es ist ganz gewiß, daß man in dem Heidentum viele Verbrechen dadurch verhütet hat, weil man bemüht war, das Andenken aller nachdrücklichen Bestrafungen der Lasterhaften zu erhalten, dieselben ihrer Gottlosigkeit zuzuschreiben, ja sogar einige Beispiele davon zu erdichten, z, B. dasjenige, das man zur Zeit des Augustus bei Gelegenheit eines durch die Soldaten des M. Antonius in Asien geplünderten Tempels263 bekanntmachte. Man sagte nämlich, derjenige, der sich zuerst an dem Bildnis der Göttin, welche in diesem Tempel angebetet worden, vergriffen, habe plötzlich das Gesicht verloren und habe kein Glied an seinem ganzen Leib mehr rühren können. Als Augustus von der Sache Nachricht einziehen wollte und einen alten Offizier, der den Schlag getan hatte, fragte, so bekam er zur Antwort, er habe sich nach der Zeit nicht allein allemal wohl befunden, sondern er glaube auch, daß ihn diese Handlung zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Dahin gehört auch dasjenige, was man von denen vorgegeben, welche, ungeachtet eines geschehenen Verbots, die Kühnheit gehabt, in einen dem Jupiter zu Arkadien gewidmeten Tempel zu gehen, daß nämlich nach geschehener Tat ihr Körper keinen Schatten[286] mehr geworfen hat. Allem Ansehen nach ist die Geschichte von dem plötzlichen Tod eines Abgesandten der Lateiner, der von dem Jupiter der Römer vor der ganzen Ratsversammlung unehrerbietig geredet hatte, ein dergleichen heiliger Betrug, da Titus Livius264 nichts Gewisses davon melden will, weil er sieht, daß die Geschichtsschreiber verschiedener Meinung sind. Alle diese Dinge, sie mochten wahr oder falsch sein, machten in dem Herzen eines Götzendieners großen Eindruck, bei einem Gottesleugner aber werden sie nichts ausrichten. Und da also alle diese Betrachtungen bei ihm keinen Eingang finden, so muß er notwendig der allergrößte Bösewicht von der Welt sein, und der sich nimmermehr wird gewinnen lassen.


134. Daß die Erfahrung dawider streite, wenn man durch den gemachten Schluß beweisen will, daß die Kenntnis eines Gottes die lasterhaften Neigungen eines Menschen bessere

Alles dieses ist herrlich und gut gesprochen, wenn man die Dinge in der Idee betrachtet und metaphysische Absonderungen macht; das Schlimmste aber ist, daß es nicht mit der Erfahrung übereinkommt. Es ist wahr, wenn man Leute aus einer anderen Welt auflegte, sie sollten die Sitten der Christen erraten, und spräche nur zu ihnen, die Christen wären mit Verstand und Vernunft begabte Kreaturen, sie strebten nach der Glückseligkeit, weil sie überzeugt wären, daß es für diejenigen, welche dem göttlichen Gesetz gehorchen, ein Paradies, für diejenigen aber, die demselben nicht gehorchen, eine Hölle gebe; so würden freilich die Leute aus einer andern Welt sagen, die Christen müßten die Befehle des Evangeliums um die Wette beobachten, unter ihnen würde man sich am besten in den Werken der Barmherzigkeit, in dem Gebet und in dem Vergessen des angetanen Unrechts sehen lassen, sofern es nur möglich wäre, daß man unter ihnen den Nächsten beleidigen könne. Woher aber würde es kommen, wenn[287] sie ein so vorteilhaftes Urteil fällten? Daher, weil sie die Christen nach einem abgesonderten Begriff betrachteten. Denn wenn sie selbige nach allen Umständen und nach allen den Verfassungen, die sie in Bewegung setzen, betrachten sollten, so würden sie von der guten Meinung, die sie von ihnen gefaßt haben, viel abbrechen müssen, und sie dürften nur vierzehn Tage unter uns gelebt haben, so würden sie sagen können, daß man in unserer Welt nicht gewohnt sei, nach der Erkenntnis des Gewissens zu handeln.


135. Warum der Unterschied zwischen demjenigen, was man glaubt, und zwischen demjenigen, was man tut, so groß ist

Hier haben Sie die wahre Auflösung dieser Schwierigkeit. Wenn man die Sitten eines Menschen, der in einer Religion lebt, mit dem allgemeinen Begriff, den man sich von den Sitten eines solchen Menschen macht, vergleicht, so wundert man sich, warum man zwischen diesen zwei Dingen keine Ähnlichkeit findet. Nach dem allgemeinen Begriff soll ein Mensch, der einen Gott, ein Paradies und eine Hölle glaubt, alles dasjenige tun, was er weiß, daß es Gott angenehm sein wird, und nichts tun, was ihm mißfallen kann. Das Leben aber eines solchen Menschen zeigt uns, daß er ganz das Gegenteil davontut. Wollen Sie die Ursache von dieser Unähnlichkeit wissen? Hier haben Sie dieselbe: Daß der Mensch sich zu einer gewissen Handlung mehr als zu einer andern entschließt, davon ist der Grund nicht in der allgemeinen Erkenntnis, welche er von Dingen hat, die er tun muß, sondern in dem besonderen Urteil zu suchen, das er von jeder Sache fällt, wenn er im Begriff ist, eine Handlung vorzunehmen. Nun kann zwar dieses besondere Urteil mit den allgemeinen Begriffen, welche man von dem hat, was man tun soll, übereinkommen, allein meistenteils geschieht es nicht. Es richtet sich fast allezeit nach der herrschenden Neigung seines[288] Herzens, nach seinem Temperament, nach der Stärke der angenommenen Gewohnheiten und nach dem Geschmack oder nach der Empfindlichkeit, die man bei gewissen Gegenständen verspürt. Der Poet, welcher der Medea die Worte in den Mund legt:


Das Gute seh ich wohl, und es gefällt mir zwar,

Indessen tu ich doch, was zu verwerfen war,


hat den Unterschied vollkommen gut vorgestellt, der sich zwischen der Einsicht des Gewissens und dem besonderen Urteil, das uns zur Handlung antreibt, befindet. Das Gewissen kennt überhaupt die Schönheit der Tugend und zwingt uns zuzugeben, daß nichts lobenswürdiger sei als gute Sitten. Wenn aber einmal eine unerlaubte Liebe sich unseres Herzens bemächtigt hat, wenn man sieht, daß man bei Erfüllung dieser Liebe ein Vergnügen empfinden werde und daß man hingegen, wenn man nicht tut, was sie haben will, sich in unerträglichen Kummer und in Unruhe stürzen werde, so hält das Licht des Gewissens nicht mehr stand; man zieht nur die Leidenschaft zu Rate und urteilt, man müsse hic et nunc, jetzt und in diesen Umständen gegen den allgemeinen Begriff, den man von seiner Schuldigkeit hat, handeln. Daraus erhellt, daß nichts mehr trügen kann, als wenn man von den allgemeinen Meinungen, die ein Mensch eingesogen hat, auf seine Sitten schließt. Es ist dies noch schlimmer, als wenn man seine Handlungen nach seinen Schriften oder Reden beurteilen wollte, die doch auch sehr schlechte Bürgen von den Neigungen des Verfassers abgeben. Denn was ist ernsthafter als die Klagen des Sallust gegen die Verderbnis seiner Zeiten? Die allerstrengsten Sittenrichter bei den Alten hätten nicht besser reden können. Und doch lebte Sallust um nichts ordentlicher als ein anderer. Der Sittenrichter mußte ihm einmal in öffentlicher Ratsversammlung seines üblen Lebens halber einen Verweis geben. Er wurde vor dem Prätor265 zweimal des Ehebruchs wegen verklagt, und da er darin von dem Milo war ergriffen worden, so kam er nicht eher los, als bis er eine gute Summe Geldes[289] erlegt, nachdem er bereits vorher ausgepeitscht worden. Wenn wir die Rede hätten, welche Clodius vor dem Rat gehalten hat, darin er sich über die Entehrung heiliger Dinge beklagt hat, so würden wir unfehlbar alle Kennzeichen einer großen Gottesfurcht und viele Figuren aus der Rhetorik, die die Schändlichkeit einer Handlung sehr lebhaft abbilden, darin wahrnehmen. Und doch hatte Clodius nichts weniger als einen Eifer für den Dienst der Götter, Er rühmte sich selbst266, daß man zweihundertmal mit Ratsverordnungen der Religion halber gegen ihn losgezogen wäre, und er hatte den Gottesdienst der Göttin Bona mit der äußersten Frechheit entheiligt.


136. Daß der Mensch nicht nach seinen Grundsätzen handelt

Der Mensch mag immer eine vernünftige Kreatur sein, ich will es ihm nicht absprechen; demungeachtet ist es doch wahr, daß er fast niemals seinen Grundsätzen gemäß handelt. Er hat wohl in Sachen, die auf ein Nachsinnen ankommen, das Vermögen, nicht üble Folgen zu machen, denn in dieser Art von Dingen verstößt er mehr damit, daß er so leicht falsche Sätze annimmt, als daß er falsche Folgerungen daraus ziehen sollte. Allein, es ist ganz was anderes, wenn von guten Sitten die Rede ist. Man verfällt beinahe niemals auf falsche Grundsätze, die Begriffe von der natürlichen Billigkeit bleiben fast immer im Gewissen, und doch geschieht die Folgerung fast immer so, wie es die unordentlichen Begierden haben wollen. Was ist doch die Ursache, daß, da unter den Menschen eine so entsetzliche Verschiedenheit von Meinungen, in der Art und Weise, Gott zu verehren und nach den Gesetzen des Wohlstandes zu leben, angetroffen wird, man dennoch gewisse Leidenschaften beständig in allen Ländern und zu allen Zeiten herrschen sieht; daß der Hochmut, der Geiz, die Begierde sich zu rächen, die Unkeuschheit und alle die Verbrechen, welche zur Sättigung dieser Affekte dienen,[290] durchgehend angetroffen werden; daß der Jude und Mohammedaner, der Türke und Mohr, der Christ und Ungläubige, der Indianer und Tatar, der, der auf festem Land sowohl wie der, der auf einer Insel wohnt, der Edelmann und der Bürger, daß alle diese Arten von Leuten, welche im übrigen sozusagen nur darin übereinkommen, daß ihnen der allgemeine Begriff des Menschen zukommt, doch in Ansehung dieser Leidenschaften einander so ähnlich sind, daß man schwören sollte, der eine hätte es dem andern abgelernt? Woher kommt das anders als daher, weil der wahre Grund der Handlungen des Menschen (ich nehme diejenigen aus, in welchen die Gnade des Heiligen Geistes mit ihrer ganzen Wirksamkeit zugegen ist) kein anderer ist als das Temperament, die natürliche Neigung zum Vergnügen, der Geschmack, welchen man an gewissen Gegenständen gefunden, das Verlangen, jemandem zu gefallen, eine Gewohnheit, die man sich im Umgang mit Freunden zugezogen, oder eine andere Gemütsverfassung, die aus dem Grund unserer Natur entspringt, man mag in einem Land sein, in was für einem man will, und so viel Einsicht besitzen, als es nur immer sein mag? Es kann wohl auch nicht anders sein, weil die alten Hei den bei ihrer unglaublichen Menge abergläubischer Dinge, bei ihrer beständigen Bemühung, den Zorn ihrer Götter auszusöhnen, bei den vielen Schrecken, die sie von so unzähligen Wunderzeichen erlitten haben, bei ihrer festen Einbildung, daß die Götter Glück und Unglück nach Beschaffenheit des Lebens, das man führe, austeilten, dennoch alle nur ersinnlichen Lastertaten begangen haben. Und wenn jenes nicht wahr wäre, wie wäre es möglich, daß Christen, welche aus einer Offenbarung, die durch so viele Wunderwerke unterstützt worden ist, so augenscheinlich erkennen, daß man dem Laster entsagen müsse, wenn man ewig glücklich und nicht auf ewig unglücklich werden wollte, welchen so viele vortreffliche Prediger gehalten werden, die sie dazu so lebhaft und auf eine so dringende Weise ermuntern, welche überall eine solche Menge eifriger und gelehrter Beichtväter und so viel geistliche Bücher[291] antreffen; wie wäre es möglich, sage ich, daß bei dem allen dennoch die Christen in den abscheulichsten Freveltaten leben könnten, wie sie doch wirklich tun?


137. Warum gewisse Zeremonien ordentlich beobachtet werden

Zwar die Meinungen, welche man in Ansehung der Religion und des Wohlstandes hegt, sind der Grund von gewissen Dingen, welche Leute eines Glaubens ordentlich abwarten, sie mögen in einem Ort der Welt wohnen, in welchem sie wollen, und die von Personen, welche zu einerlei Volk gehören, genau in acht genommen werden, so widrig sie auch sonst gesinnt sein möchten. Man sieht z.B., daß die Juden an allen Orten der Welt, wo sie geduldet werden, ihre Kinder beschneiden und den Sabbat halten. Sonst billigten die Perser die Heirat zwischen Blutsfreunden und gingen sie ohne Bedenken ein, nicht allein, wenn sie in Persien wohnten, sondern auch, wenn sie sich in fremden Ländern, wo man dergleichen Heiraten verabscheute, niederließen und sich daselbst vermehrten. Hingegen diejenigen, welche zu einer Nation gehörten, die die Blutschande mißbilligte, verheirateten sich nicht auf diese Art, wenn sie sich gleich in Persien niederließen, und die Perser selbst, sobald sie die christliche Religion angenommen hatten, konnten sich in dergleichen Verbindungen nicht mehr einlassen. Bardesanes267 bedient sich dieser Betrachtung zur Widerlegung der Sterndeuter in der schönen Abhandlung, welche er gegen sie geschrieben hat, und es ist in der Tat ein sehr guter Grund, den man gegen die Sterndeuterkunst angeben kann.

Doch dies hebt das nicht auf, was ich gesagt habe, es erhellt nur so viel daraus, daß die Menschen sich den Gesetzen der Religion unterwerfen, wenn sie es ohne große Beschwerlichkeit tun können und wenn sie sehen, daß die Verachtung dieser Gesetze ihnen nachteilig sein würde. Dies ist die Ursache, warum die Juden ihre Feiertage und[292] die Beschneidung beobachten. Ein Kind beschneiden lassen ist eine Handlung, die weder den Eltern Schmerzen verursacht, noch dem Kind üble Folgen nachzieht. Die Eltern werden dadurch nicht im geringsten verhindert, durch allerhand Ränke Geld zusammenzuscharren, zu betrügen, zu lästern, zu buhlen, sich dem Trunk zu ergeben, wenn sie dazu Lust haben. Hätten sie aber die Kühnheit, die Zeremonie der Beschneidung zu unterlassen, so müßten sie den Kirchenbann besorgen und würden von den andern Juden für Ungeheuer angesehen werden. Ein Gleiches läßt sich von der Sabbatfeier sagen. Die sich davon ausschließen, strafen sich selbst, nicht allein, daß sie sich nach Gelegenheit dem Tadel, der Kirchenbuße und Geldstrafe aussetzen, sondern auch, weil sie sich der angenehmsten Zeit ihres Lebens berauben. Denn die Leidenschaften wissen ihrem Schaden so sinnreich beizukommen, daß sie selbst darin, was man gegen sie bestimmt hatte, die Gelegenheit eines großen Triumphes finden. Was ist doch gemächlicher als die Feiertage? Man arbeitet nicht, man legt die schönsten Kleider an, man tanzt, man spielt, man trinkt, beiderlei Geschlechter finden sich zusammen; für eine oder zwei Stunden, die man Gott widmet, widmet man deren zehn oder zwölf zu seinem Vergnügen. Wahrhaftig, ein schöner Sieg, den die Religion dadurch über die Leidenschaften erhält, daß sie gebietet, die Beschneidung oder die Festtage zu beobachten!

Was die Fasten und Enthaltungen, welche die Kirche verordnet, anbelangt, so ist es wahr, sie sind nicht so leicht zu halten wie die Beobachtung der Feiertage, und doch hält man sie. Allein das kommt unfehlbar entweder daher, weil man sie ohne Nachteil seiner herrschenden Leidenschaften halten kann oder weil man nach und nach die Geschicklichkeit findet, die hauptsächlichen Schwierigkeiten davon abzusondern, oder weil man nicht für gottlos angesehen werden will, welches zuweilen, selbst in diesem Leben, schädlich ist. Es ist wahr, man enthält sich die ganze Fasten durch, Fleisch zu essen. Aber enthält man sich auch, von seinem Nächsten übel zu reden? Enthält[293] man sich, durch verbotene Wege reich zu werden? Enthält man sich, übel berüchtigte Weibspersonen zu besuchen? Entsagt man der Rache? Gar nicht. Jeder lebt zu der Zeit wie sonst, nur daß er öfter in die Kirche geht und, anstatt zweimal zu essen und Fleisch zu genießen, sich damit befriedigt, daß er des Mittags so viel andere Speisen zu sich nimmt, daß er mit einer Mahlzeit den ganzen Tag durchdauern kann. So machen es diejenigen, denen es eben so schwer nicht fällt, die Unmäßigkeit im Essen und Trinken zu überwinden, denn wer damit nicht fortkommen kann, nimmt seine Zuflucht zu der Erlaubnis seines Beichtvaters, damit er die Freiheit habe, sich darin nach seinem Gefallen aufzuführen. Und endlich finden sich auch wohl junge Frauenzimmer, die, um einen schlanken Leib zu behalten und um so viel zu ersparen, daß sie sich schöne Kleider anschaffen möchten, sich von einer herrlichen und überflüssigen Mahlzeit weit lieber enthalten als andere, die es deswegen tun, daß sie die Verordnungen der Kirche erfüllen.

Wir wollen daher bei unserem Grundsatz bleiben und aufrichtig gestehen, daß, wenn die Menschen verschiedene Zeremonien kraft der Religion, zu der sie sich bekennen, oder aus Überzeugung, daß es Gott haben will, beobachten, sie es entweder deswegen tun, weil sie demungeachtet die herrschenden Neigungen ihres Herzens erfüllen können oder weil die Furcht der Schande und irgendeiner zeitlichen Züchtigung sie dazu antreibt. Oder wir wollen vielmehr so sagen, daß, wenn sie viele beschwerliche und mühsame Stücke der Religion ordentlich mitmachen, es deswegen geschieht, weil sie dadurch ihre angewöhnten Sünden wieder freikaufen und ihr Gewissen mit ihren beliebten Neigungen in ein gutes Einvernehmen setzen wollen, woraus allemal erhellt, daß die Verderbnis ihres Willens die Hauptursache ist, welche sie dazu treibt.

Ich wundere mich nicht, warum die Heiraten mit nahen Blutsfreunden unter solchen Völkern nicht im Schwange gegangen, welche einen öffentlichen Haß und Schimpf darauf gelegt haben, denn wo ist ein Mensch, den ein solcher[294] Riegel nicht im Zaume halten sollte, wenn er nur nicht zu einer Nation gehört, die von der Sache ganz anders urteilt, und er sich nur nicht einbildet, wie allem Ansehen nach die Perser tun mochten, die anderen Völker verstünden nicht, was der Wohlstand mit sich bringe? Wollte man aber erfahren, ob die Christen dergleichen Heiraten deswegen nicht eingehen, weil es Gott verboten hat, so müßte man sehen, wie sie sich verhalten würden, wenn das bürgerliche und kanonische Recht ihnen völlige Freiheit gäbe, nach ihrem Gefallen zu handeln. Denn, wie die Sachen jetzt eingerichtet sind, so sehe ich eben nicht, daß man vor Gott etwas Großes tue, wenn ein Bruder seine Schwester nicht zur Ehe nimmt. Man hat gegen diese Unordnung schon zeitliche Strafen genug, die gewiß so schrecklich sind, daß man davon abgezogen werden kann, ohne daß das Gewissen dazukommen dürfe. Wenn das bürgerliche und kanonische Recht die Sache unserer Freiheit überließe, so ist es sehr wahrscheinlich, daß man sich kein größeres Bedenken dabei machen würde als bei dem Ehebruch, dessen so viele Menschen schuldig sind, ob es gleich eines der größten Verbrechen von der Welt ist.


138. Exempel, welche dartun, daß die Meinungen nicht die Richtschnur der Handlungen sind

Man würde nimmermehr zu Ende kommen, wenn man alle die Einwürfe erläutern wollte, die sich gegen diese Lehre machen lassen. Denn da der menschliche Verstand aller wunderlichen Dinge fähig ist, die man nur erdenken kann, so wird man niemals für ihn eine Regel setzen können, die nicht tausend Ausnahmen leiden sollte. Man tue daher dies und halte sich daran, was am meisten geschieht: daß nämlich nicht die allgemeinen Meinungen des Verstandes, sondern die gegenwärtigen Leidenschaften des Herzens uns bestimmen, gewisse Handlungen vorzunehmen. In der Tat, wenn ein Christ, der zugleich ein Trunkenbold ist und unkeusch lebt, sich deswegen vom Stehlen[295] enthielte, weil er weiß, daß Gott die Räuberei verboten hat, würde er sich nicht auch ebensowohl von jenen bei den Lastern enthalten, da er ja weiß, daß sie Gott auch verboten hat? Und da er sich der beiden ersteren Laster nicht, sondern nur des Diebstahls enthält, geschieht es nicht augenscheinlich deswegen, entweder weil er Schimpf und Strafe befürchtet oder weil er nicht geizig ist oder weil überhaupt sein Gemüt nicht von der Beschaffenheit ist, daß es einiges Belieben am Stehlen finden könnte? Ich sage es noch einmal: Wenn die Einsicht des Gewissens die Ursache wäre, welche uns etwas zu tun antriebe, würden wohl die Christen so übel leben, wie sie wirklich tun?


139. Man kann nicht sagen, daß diejenigen, welche nicht nach den Grundsätzen ihrer Religion lebten, nicht glaubten, daß ein Gott ist. I. Beweisgrund dessen, hergenommen von dem Leben der Soldaten

Man kann mir nicht zur Antwort geben, daß die Christen, welche nicht den Grundsätzen ihrer Religion gemäß leben, nicht von unsern Geheimnissen überzeugt sein könnten, sondern daß sie alle heimliche Gottesleugner wären. Denn zu geschweigen, daß man solchergestalt die Zahl der Gottesleugner erschrecklich vervielfältigen würde, da doch verschiedene berühmte Skribenten der Meinung sind, es habe sich niemals ein Mensch gefunden, der von seiner Gottesleugnung vollkommen überführt gewesen; was ist unbilliger, als alle diejenigen christlichen Soldaten unter die Gottesleugner zu rechnen, welche unerhörte Unordnungen begehen, wenn sie nicht unter strenger Kriegszucht gehalten werden? Die Zweifel von dem Dasein Gottes fallen nicht leicht in solche Seelen. Das ist nicht der Fehler des Pöbels. Er ist allzu dumm, als daß er sich in solchen Dingen durch einen verschmitzten Menschen sollte können betrügen lassen. Er verlangt nichts mehr als Brot und Vergnügungen268 und ist nicht so ehrgeizig,[296] daß er untersuchen sollte, ob er unrecht habe, daß er einen obersten Gebieter aller Dinge annimmt. Diejenigen, welche Deisten werden oder in dergleichen Zweifel verfallen, wollen für scharfsinnig angesehen werden und nennen sich vor anderen starke Geister. Sie haben sehr wenig Grund für sich, es ist wahr, und man könnte ihnen mit leichter Mühe dartun, daß nichts schwächer und nichts unvernünftiger ist als der Gemütscharakter, den sie annehmen. Doch dem sei, wie ihm wolle, es sind Leute, welche ihren Verstand gemeiniglich höher achten als ihren Körper, da hingegen Soldaten und Straßenräuber nur für ihren Leib sorgen und sozusagen nur dem Körper nach gottlos sind.

Außerdem ist es gewiß, daß die Soldaten, die nur nach Blut dürsten und die, wenn sie nur halbwegs Freiheit haben, zu tun, was sie wollen, ein freundlich gesinntes Land sowohl wie ein feindlich gesinntes auf das Äußerste verwüsten und verheeren, sich von dem Eifer für die Religion ungemein stark einnehmen lassen. Denn wenn man sie gegen ein Volk von einer andern Religion anführt und sie durch diesen großen Beweggrund anfrischt, so sieht man, daß sie ihre Herzhaftigkeit oft bis zur Raserei treiben und daß sie die Gewalttätigkeiten, welche sie ausüben, als Handlungen der Frömmigkeit ansehen. Man nimmt wahr, daß sie gegen diejenigen, welche nicht zu ihrer Sekte gehören, einen unversönlichen Haß fassen und daß sie sich ein Gewissen machen würden, mit ihnen ihre Andacht zu haben. Ein starker Beweis, daß sie innerlich dem Christentum nicht abschwören, wenn sie allen den Verbrechen, die sie ausüben, sich gänzlich ergeben.


140. II. Beweis, hergenommen von den Unordnungen der Kreuzzüge

Dürfte man wohl sagen, daß die Christen, welche zur Eroberung des Gelobten Landes den Kreuzzug unternommen, keine Religion gehabt hätten; sie, die ihr Vaterland[297] verließen, um die Ungläubigen zu bekriegen, sie, die da glaubten, als ob sie an der Spitze ihrer Armeen Engel und Heilige sähen, welche die Feinde in die Flucht jagten, sie, die von nichts als Wunderzeichen und Wundern redeten? Man müßte alle Vernunft verleugnen, wenn man Leute von der Art im Verdacht der Gottesleugnung haben wollte. Und dennoch verübten sie die erschrecklichsten Unordnungen, die nur jemals erhört worden sind, dergestalt, daß die Christen, welche sie verteidigen wollten, dieselben so sehr haßten wie die Türken und Sarazenen. Die Kreuzzüge haben in der Tat auf der einen Seite einen großen Schein des Christentums, kehrt man es aber um, so verliert sich derselbe beinahe ganz und gar. Auf der einen Seite bedienten sich die Christen des Orients der allerschändlichsten und treulosesten Verräterei, um die abendländischen Christen, welche ihnen zu Hilfe kamen, zu verderben, diese hingegen verübten auf der anderen Seite erschreckliche Ausschweifungen in allerhand Arten. Bemerken Sie wohl, mein Herr, daß, obgleich die Kreuzzüge aus Andacht unternommen worden sind, ich dennoch nicht in Abrede stellen mag, daß es nicht Atheisten sollte gegeben haben, die sich dazu entschlossen, entweder, um Lob zu erhalten oder den Vorwurf der Zaghaftigkeit und des Mangels der Religion zu vermeiden, oder ihre kriegerische Neigung zu sättigen, oder ihrem Ehrgeiz oder ihrer Neugierigkeit ein Genüge zu leisten, oder endlich tausenderlei Unordnungen zu begehen. Ich bin überzeugt, daß man aus Eigenliebe alle äußerlichen Übungen der Gottesfurcht abwarten könne, so schwer und mühsam sie auch sein möchten. Nur dieses sage ich, daß der meiste Teil derjenigen, welche die Kreuzzüge unternommen, Leute gewesen sind, welche die Predigten und der Ablaß zu dieser Unternehmung angefrischt hat und die wahrhaftig in ihrer Seele die Religion nicht abschworen, wenn sie alle die Freveltaten ausübten, die sie jederzeit begangen haben.


141. Betrachtungen über den Umstand, da einige Ungläubige den Christen vorgeworfen: ihre Religion diene nur dazu, feige Memmen zu machen

[298] Indem ich hier von der Frechheit unserer Soldaten und von den Unordnungen rede, welche die Kreuzfahrer im Angesicht der Ungläubigen begangen, so erinnere ich mich, daß man zuweilen den Christen vorgeworfen hat, die Grundsätze des Evangeliums wären nicht geschickt, das gemeine Beste zu erhalten, weil sie die Herzhaftigkeit schwächen und jedermann einen Abscheu vor dem Blut und allen Gewalttätigkeiten beibrächten. Ich will nicht untersuchen, ob dieser Einwurf so verächtlich ist, als man ihn dafür ausgibt, so viel aber will ich wohl sagen, daß man nicht schlimmer antworten könnte, als wenn man, nach dem Beispiel vieler, sagt, man dürfe nur die Erfahrung zu Rate ziehen, so würde man sehen, daß keine Nation kriegerischer sei als diejenige, welche zur Christenheit gehört. Diese Antwort klingt erbärmlich, weil man nur so viel daraus ersehen kann, daß die Christen nicht ihren Grundsätzen gemäß leben, anstatt daß man, wenn man richtig antworten wollte, sagen sollte, die Christen müßten zufolge ihrer Grundsätze sehr gute Soldaten abgeben, Kann man aber das sagen, wenn man redlich verfahren will? Muß man nicht zugestehen, daß die Herzhaftigkeit, wozu uns das Evangelium antreibt, nicht eine Herzhaftigkeit bei Ermordungen und Gewalttätigkeiten ist, wie man diese wohl im Krieg antrifft? Der evangelische Heldenmut zeigt sich nur darin, daß man das Unrecht, die Armut, die Verfolgung von Tyrannen, die Gefängnisse, Rad und Folter und alle Martern der Märtyrer für gering halte. Er macht uns fähig, durch eine heldenmäßige Geduld der unmenschlichen Raserei der Glaubensverfolger Trotz zu bieten. In den schmerzlichsten Krankheiten macht er, daß wir uns dem Willen Gottes überlassen. Dies ist die Herzhaftigkeit eines wahren Christen. Dies ist zulänglich, wie ich glaube, die Ungläubigen zu überführen, daß unsere Religion die Herzhaftigkeit[299] nicht schwächt und niemanden zaghaft macht. Dem allen ungeachtet können sie doch mit Bestand der Wahrheit sagen, daß, wenn man das Wort Herzhaftigkeit in dem Sinn nimmt, wie es die Welt versteht, das Evangelium solche keineswegs geben kann. Man versteht unter einem beherzten Menschen einen solchen, der, was seine Ehre betrifft, ungemein zärtlich ist, der nicht das geringste Schmähwort vertragen kann, der sich nachdrücklich und mit Gefahr seines Lebens der geringsten angetanen Beleidigung halber rächt, der den Krieg liebt, der die allergefährlichste Gelegenheit sucht, damit er seine Hände mit dem Blut der Feinde bespritzen könne, der Ehrgeiz besitzt, der sich vor anderen hervortun will. Man müßte alle Vernunft verloren haben, wenn man sagen wollte, daß die Ratschläge und Gebote Jesu Christi uns einen solchen Geist beibrächten; denn es ist allen denjenigen, die nur die ersten Grundsätze der christlichen Religion wissen, bekannt, daß sie uns nichts so sehr empfiehlt wie Unrecht zu dulden, demütig zu sein, unsern Nächsten zu lieben, Friede zu suchen. Böses mit Gutem zu vergelten, uns von allen Gewalttätigkeiten zu enthalten. Ich trotze allen Menschen, sie mögen in der Kriegskunst noch so erfahren sein, daß er aus einer Armee, die aus lauter solchen Personen bestünde, welche sich entschlossen, obigen Grundsätzen genau nachzuleben, sollte gute Soldaten machen können. Das Beste, was man von ihnen hoffen könnte, wäre dieses, daß sie sich nicht scheuen würden, für ihr Vaterland und für ihren Gott zu sterben. Allein, ich berufe mich darin auf diejenigen, welche den Krieg verstehen, ob das zu einem guten Soldaten genug ist und ob man nicht, wenn man bei diesem Handwerk glücklich sein will, alles mögliche Übel dem Feind erweisen, ihm zuvorkommen, ihn überfallen, ihn niederhauen lassen, seine Vorratshäuser verbrennen, ihn hungern lassen und alles verwüsten müsse? Man würde schöne Dinge mit solchen Leuten ausrichten, die lauter Gewissensskrupel hätten und die alle Augenblicke bei einem Kasuisten sich würden Rat einholen wollen, ob sie in den Umständen wären, daß sie[300] mit gutem Gewissen einen totschlagen, einer Ordre, die man für unbillig hält, nachleben, ein Dorf in Brand stecken, plündern könnten usf. Dergleichen Truppen würden sich für den Marschall von Biron trefflich geschickt haben, der einen Kapitän abdankte, welcher sich allzusehr in acht genommen hatte, damit er mit den Oberamtleuten des Königs nichts zu tun bekäme.269 Seid Ihr von der Art, sagt er zu ihm, daß Ihr die Gerechtigkeit so sehr fürchtet? ihr habt Euren Abschied, nimmermehr sollt ihr mir dienen. Ein Soldat, der sich vor der Feder scheut, fürchtet sich auch vor dem Degen. Ich übergehe, daß, wenn die Grundsätze des Christentums genau beobachtet würden, man keine Weltbezwinger unter den Christen, keinen feindlichen Angriff finden würde; man würde nur sich verteidigen gegen die Einfälle der Ungläubigen. Und wäre dies so, wieviel Völker würden wir in Europa sehen, welche seit langer Zeit einen stillen Frieden genossen hätten und die deswegen am ungeschicktesten sein würden, Krieg zu führen? Es ist daher wahr, daß der Geist unserer heiligen Religion uns nicht kriegerisch macht, und doch ist keine Nation auf der Welt so kriegerisch wie die, die sich zum Christentum bekennen. Man nehme die Türken aus und wähle aus Afrika, aus Asien, aus Amerika ein Volk, welches man wolle, man richte davon eine Armee von hunderttausend Mann auf, man wird nicht mehr als zehn- oder zwölftausend Christen brauchen, sie aufzureiben. Selbst die Türken sind viel schwächer als die Christen und würden bei gleicher Anzahl auf beiden Seiten keinen Vorteil über sie erhalten. Der Geiz, die Unkeuschheit, der Übermut, die Grausamkeit, welche eine Armee furchtbar machen, finden sich in den christlichen Armeen so gut wie in einer andern, nur daß man nicht bei derselben das Fleisch der Feinde frißt, wie einige Völker aus Amerika tun. Die Christen sind es, welche die Kriegskunst von Tag zu Tag vollkommener machen, indem sie eine Menge Maschinen erfinden, um eine Belagerung recht blutig und schrecklich zu machen, und von uns lernen es die Ungläubigen, wie sie sich besserer Waffen bedienen können. Ich[301] weiß wohl, daß wir das nicht als Christen tun, sondern weil wir mehr Geschicklichkeit besitzen als die Ungläubigen; denn wenn sie so viel Verstand und Herz hätten, den Krieg besser zu führen als die Christen, so würden sie es unfehlbar tun. Ich finde aber doch hierin einen sehr überzeugenden Beweis, daß man in der Welt nicht den Grundsätzen seiner Religion nachlebt, weil ich dargestellt habe, daß die Christen allen Verstand und alle Neigungen anwenden, sich in der Kriegskunst vollkommen zu machen, ohne daß die Kenntnis des Evangeliums dieses grausame Vorhaben nur im geringsten verhindern könne.

Wir wollen wieder zur Sache kommen und durch andere Exempel zeigen, daß die Unordnungen in den Sitten kein Beweis ist, daß man ein Gottesleugner sei.


142. III. Beweis, von der Aufführung verschiedener Weibspersonen hergenommen

Wer wollte sagen, daß alle Weibspersonen unter den Christen, welche sich durch ihre Laster hervortun, von aller Empfindung der Religion nichts halten sollten? Das wäre in der Tat ein sehr unrichtiger Gedanke! Die Gottesleugnung ist gewiß nicht ein Laster für das Frauenzimmer. Es scheint, als ob die Kirche selbst zugebe, daß die Andacht bei ihnen wohne, weil sie ordentlicherweise beten läßt pro devoto foemineo sexu, für das andächtige Frauenzimmer. Sie halten sich's für eine Tugend, daß sie sich nicht in große Vernunftschlüsse einlassen. Also bleiben sie alle bei ihrem Katechismus und bei der Religion ihrer Mutter, sind zum Aberglauben geneigter als zur Atheisterei, sind Ablaßkäuferinnen und fleißige Kirchengängerinnen, beschäftigen sich so stark mit tausenderlei Leidenschaften, die ihnen sozusagen eigen sind, daß sie weder gehörige Zeit noch Geschicklichkeit besitzen, die Artikel ihres Glaubens in Zweifel zu ziehen, es wäre denn, daß sie sich in einer gedrückten Religion befänden und darin ihr Glück nicht finden könnten, wie sie wohl wünschten[302] und es bei der herrschenden Religion haben könnten, denn in diesem Fall ereignen sich zuweilen so heftige Zweifel bei ihnen, daß sie nicht von der Religion zur Gottesleugnung, sondern von dem Bekenntnis einer Religion zum Bekenntnis einer andern schreiten. Außerdem ist das Frauenzimmer zur Atheisterei so geneigt eben nicht. Man sieht, daß sie gern zur Beichte gehen, daß sie fleißig in die Kirche gehen und gern eine Pilgerschaft antreten. Ich weiß wohl, was die Spötter dazu sagen: Die Religion sei nur ein Vorwand, und die wahre Ursache dessen keine andere, als die Begierde spazierenzugehen, zu plaudern, zu sehen und gesehen zu werden oder gar mit einem Liebhaber sich zu erlustigen. Allein ich weiß auch wiederum, daß man den Spöttern nicht glauben muß, sie treiben die Sache zu hoch. Was sie sagen, ist wohl manchmal wahr und besonders in denjenigen Ländern, wo die Eifersucht im Schwange geht; in Frankreich aber, wo man dem Frauenzimmer auf ihre Redlichkeit traut, wo sie zu allen Stunden besuchen können, wen sie nur wollen, und wo es ihnen erlaubt ist, so viel Gesellschaft anzunehmen, wie sie nur wünschen, ist es falsch, daß sie deswegen sollten gehen Ablaß holen, damit sie nur einen Vorwand hätten, aus dem Haus zu kommen. Ich sage es noch einmal, die Gottesleugnung ist nicht ein Frauenzimmerlaster. Indessen gibt es viele unter ihnen, die sehr verdorbene Sitten haben, entweder durch Stolz oder durch Neid oder durch schimpfliche Nachrede oder durch Geiz oder durch Buhlereien oder durch alle diese Leidenschaften zusammen.

Jedermann weiß, daß alle großen Städte voller übelberüchtigter Orte sind und daß derjenige Teil der Welt, wo wir glauben, daß Gott den Apostolischen Stuhl gesetzt habe, von Unreinigkeiten gänzlich angesteckt ist. Die Zahl der Mütter oder Muhmen, welche die ersten Gunstbezeigungen ihrer Töchter oder Muhmen für ein gewisses Geld verkaufen, ist nicht gering daselbst. Ich las dieser Tage in der Erzählung, welche St. Didier, ein Edelknabe des Grafen d'Avaux, uns von der Stadt Venedig, wo dieser Graf Abgesandter gewesen, schriftlich aufgezeichnet hat,[303] daß solches in dieser Republik so gewöhnlich wäre, daß unter zehn Mädchen270, welche eine üble Lebensart ergreifen, neun sein würden, welche die Mütter und Muhmen selbst verhandeln und die Jungfernschaft ihrer Töchter sich auf eine gewisse Zeit um hundert oder zweihundert Dukaten bezahlen lassen, um ihnen ein Heiratsgut, wie sie sagen, zusammenzubringen. Er erzählt sehr artig, daß er einstmals ungefähr einem solchen Handel mit zugehört, da ein fremder Kavalier, den er gekannt hat, seit einiger Zeit um ein Mädchen gehandelt und niemals eine gewisse Antwort hat geben wollen, weil dasselbe noch gar zu schmächtig und ihre Brust noch nicht völlig genug gewesen. Darauf die Muhme gesagt hat, er habe nicht lange Zeit, sich zu besinnen, weil der Pater Prediger, eines der vornehmsten Klöster in Venedig, das sie nannte, sich in Handel eingelassen und schon ein Ansehnliches geboten hätte. Er sagt auch271, in Venedig sei jedermann der Meinung, ein einziger Bruder vereheliche sich für alle die übrigen, und er versichert, daß man es nicht ohne Grund sage und daß es unnötig sein würde. Beweise davon anzuführen. Daraus erhellt, daß eine viehische und die allergrößte Blutschande den Venetianerinnen gar nichts Abscheuliches ist. Was er von der großen Menge der Buhlerinnen und von der völligen Freiheit, die sie genießen, und von der Hochachtung, darin sie bei dem Pöbel stehen, und von den Liebkosungen, welche sie in den Klöstern erhalten, wenn sie daselbst die Schwestern derjenigen besuchen, mit denen sie verbotenen Umgang pflegen, anmerkt, ist ein unleugbarer Beweis, daß die Weibspersonen dieses Landes nicht die geringste Empfindung von Ehre noch Tugend haben, um so viel mehr, weil diejenigen, welche sowohl Rom als Venedig kennen, Mühe haben zu entscheiden, in welcher von diesen beiden Städten mehr Buhlerinnen und mehr Frechheit anzutreffen sei, wie solches ebendieser Didier versichert.

Wenn diejenigen, welche mit den Abgesandten in Paris ankommen, sich bei ihrer Ankunft getrauten, so freie Nachrichten drucken zu lassen, wie es die Franzosen in[304] Ansehung fremder Länder zu tun pflegen, so zweifle ich gar nicht, sie würden vieles auszusetzen finden. Allein, man fürchtet sich so sehr vor unserer Nation, daß man es nicht wagt, etwas drucken zu lassen, was ihr mißfällig sein könnte, oder wenn man es tut, so tragen wir Sorge, daß es unter uns nicht bekannt wird, indem wir entweder die Bücher einzuführen verbieten oder sie mit Auslassung der Stellen, die uns nicht gefallen, von neuem drucken lassen. Der Abt Talemant hat es nur kürzlich mit seiner Übersetzung der Historie des Ritters Nani also gemacht. Doch sosehr uns die Ausländer schonen, so sind deswegen die Unordnungen der Weibspersonen nichts geringer, und wer alle die unzeitigen Geburten, alle die Vergiftungen, alle die Ränke und alle die üblen Nachreden, die gewiß in Frankreich sowohl anzutreffen sind wie an anderen Orten, anführen wollte, der würde bei dem verstocktesten Menschen einen Abscheu erwecken.

Bilden Sie sich nun wohl ein, mein Herr, daß diejenigen Personen, welche diesen Unordnungen ergeben sind, die Geschichte des Evangeliums für eine Fabel halten? Nichts weniger als dieses. Die meisten unter diesen Weibspersonen beten ihre Litanei bei Gelegenheit oder die anderen Gebete, welche man sie in der Kindheit gelehrt hat. Es gibt deren einige, welche ungemein fleißig den öffentlichen Übungen der Religion beiwohnen. Es gibt andere, welche Almosen austeilen und zum Dienst Gottes prächtige Vermächtnisse machen, welche Hoffnung haben, sich einmal zu bekehren und selig zu werden, welche ihre Sünden im Beichtstuhl, wenigstens einmal im Jahr, wie es die Kirche verordnet, bekennen, welche sich der Vergnügungen einige Tage enthalten, nachdem ihnen im Beichtstuhl hart zugeredet worden ist, welche vor demjenigen, was sie für ketzerisch halten, einen Abscheu tragen, und diejenigen zu bekehren suchen, welche ihrer Meinung nach sich in einer schlimmen Religion befinden. Das sind alles Dinge, die augenscheinlich beweisen, daß sie mitten in ihrer Unreinigkeit dem Evangelium glauben.

Sie werden sagen, sie täten das alles nur deswegen, damit[305] sie der üblen Nachrede entgehen und diejenigen zuschanden machen möchten, welche sie für unehrbar halten. Ich will es von einigen glauben. (Denn was die italienischen Buhlerinnen betrifft, so würde man sich lächerlich machen, wenn man glauben wollte, daß sie nur das geringste täten, um ihre Ehre zu retten.) Ich bekenne sogar, daß, wenn ich sehe, wie gewisse vornehme, den Männern ungetreue Personen sich alle mögliche Mühe geben, die Ketzer zu bekehren, und wenn ein Küchenjunge, der aber ein Hugenotte ist, sich unter ihre Bedienten mit eingeschlichen, es kaum erwarten können, bis sie ihn entweder durch Drohungen oder Versprechungen dahin gebracht, daß er seine Religion abgeschworen hat, ich manchmal auf die Gedanken gerate, sie könnten wohl deswegen sich so aufführen, weil sie sich gern beliebt machen und nach der Mode leben wollten. Denn wie ist es wahrscheinlich, daß ein Frauenzimmer, welches vielleicht in ihrem Zimmer überall Gift verborgen hat, um entweder den Mann fortzuschaffen, wenn er nicht länger durch die Finger sehen will, oder den Liebhaber, wenn er sie einer andern aufopfert; wie ist es wahrscheinlich, sage ich, daß ein Frauenzimmer, wenn es so weit mit ihr gekommen ist, sich wegen der Bekehrung eines Ketzers aus christlicher Liebe zu ihm martern sollte? Doch überhaupt gestehe ich, es können übelberüchtigte Weibspersonen zuweilen entweder gegen Arme oder gegen Ketzer sich freigebig erzeigen, nicht nur aus menschlichen Ursachen, die oben berührt worden sind, sondern auch deswegen weil sie ihre Sünden dadurch freizukaufen erhoffen. Es scheint dem ersten Ansehen nach, als ob das gegen mich streite, weil es erweist, daß der Religionsglaube, welcher in der Seele der größten Sünder bleibt, sie antreibt, zuweilen Gutes zu tun. Allein, im Grund beweist es ebendas, was ich haben will, nämlich: 1. Daß diejenigen, welche sich allen Arten der Verbrechen überlassen, dennoch ihre Religion beibehalten. 2. Daß die stärkste Triebfeder des Menschen nicht in der Meinung, welche er von der Religion für wahr hält, sondern in dem Charakter seines Herzens und seiner Begierden zu suchen ist, weil man[306] sieht, daß er diesem die Gebote seiner Religion aufopfert, auch selbst dann, wenn es scheint, daß er sie ausübt. In der Tat, eine Person, welche Almosen austeilt oder einen Ketzer zu bekehren sucht, in der Absicht, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Sünden, das ist solche Sünden freizukaufen, die sie nicht willens ist zu lassen, diese Person, sage ich, bedient sich der Religion nur insofern, damit sie ihre lasterhaften Neigungen desto besser erfüllen könne. Sie werden bald einige andere Exempel von diesem Satz bekommen: Daß diejenigen, welche sich den Lastern überlassen, demungeachtet unsere Geheimnisse glauben.


143. Was man aus dem Bisherigen für Lehrsätze ziehen kann

Wir können daher als Grundsätze voraussetzen: 1. Daß die Menschen zu gleicher Zeit sehr unordentlich in ihren Sitten und von der Wahrheit einer Religion, ja sogar von der Wahrheit der christlichen Religion, überzeugt sein können. 2. Daß die Erkenntnis des Verstandes nicht die Ursache unserer Handlungen ist. 3. Daß überhaupt zu reden (denn ich nehme allemal diejenigen aus, welche von dem Geist Gottes geleitet werden) der Religionsglaube nicht die Regel des Verhaltens eines Menschen ist, außer nur, wenn sie öfters in seiner Seele einen Zorn gegen diejenigen, welche von unterschiedener Meinung sind, oder eine Furcht, wenn man einige Gefahr besorgt, und andere dergleichen Leidenschaften, insbesondere aber ich weiß nicht was für einen Eifer für die Ausübung einiger äußerlicher Zeremonien erweckt, weil man in den Gedanken steht, dergleichen äußerliche Handlungen und das öffentliche Bekenntnis des wahren Glaubens würden allen diesen Unordnungen, denen man sich überläßt, als Damm dienen und dermaleinst die Vergebung verschaffen. Infolge dieses Grundsatzes kann man augenscheinlich sehen, wie sehr man sich betrügt, wenn man dafürhält, daß die Götzenverehrer notwendiger weise tugendhafter sind als die Gottesleugner.


144. Daß die Gottesleugner und Götzenverehrer durch einerlei Grundsatz zum Bösen angetrieben werden

[307] Denn wenn die Überzeugung von einer Vorsehung, welche die Gottlosen züchtigt und die Frommen belohnt, nicht die Triebfeder der besonderen Handlungen eines Menschen ist, wie ich gezeigt habe, so folgt daraus, daß ein Gottesleugner und ein Götzendiener, was die Sitten betrifft, beide durch einerlei Gründe geleitet werden, nämlich durch die Neigungen ihres Temperaments und durch die Stärke der Gewohnheiten, die sie sich zugezogen haben; dergestalt, daß, wenn man wissen will, welcher von beiden der Gottloseste sein wird, man sich nur nach den Leidenschaften wird erkundigen müssen, welchen sie ihrem Temperament nach unterworfen sind. Und man glaube gewiß, wenn der Götzendiener einen Körper hat, vermöge dessen er zu Schmausereien ungemein geneigt ist, der ihn unkeusch, hitzig und trotzig macht, so wird er ein ungleich größerer Sünder werden als ein Atheist, dessen Temperament etwa frostig und friedfertig ist. Wenn man dergleichen Dinge nur obenhin ansieht, so bildet man sich ein, ein Gottesleugner werde sich täglich volltrinken, sobald er sich erinnere, daß er es ungestraft tun könne. Diejenigen aber, welche die Regel wissen: Trahit sua quemque voluptas: Ein jeder tut, wozu er Lust hat, und welche das Herz des Menschen genauer untersucht haben, übereilen sich nicht so stark. Sie erkundigen sich erst, bevor sie von dem Verhalten eines Gottesleugners urteilen, wozu seine Neigung ihn treibt. Finden sie, daß er gerne trinkt, daß er großes Vergnügen daran hat, daß er mehr Geschmack darin findet als in der Ehre, ein ehrbarer Mann zu sein, so urteilen sie, daß er in der Tat so viel trinkt, wie ihm immer möglich ist, deswegen aber urteilen sie noch nicht, daß er hierin weiter gehe als viele Christen, welche fast zeit ihres Lebens nicht nüchtern sind. Befinden sie aber, daß ihm der Wein gleichgültig ist, so denken sie von ihm, wie billig, daß er nicht über den Durst trinke. Ich behaupte ebendasselbe von andern verbotenen[308] Wollüsten. Findet ein Gottesleugner, daß sie nach seinem Geschmack sind, so genießt er sie, bis er ihrer satt ist. Findet er aber kein Vergnügen darin, so unterläßt er sie. Und ebenso haben sich auch die Götzenverehrer aufgeführt, und die meisten Christen machen es ebenfalls nicht anders. Dies ist ein starker Beweis, daß die Lust zu schwelgen nicht von den Meinungen, welche man von der Natur der Götter hat oder nicht, sondern aus einer gewissen Verderbnis entspringt, welche von dem Körper herrührt und täglich stärker wird, je mehr Vergnügen man in dem Genuß der Wollüste empfindet.


145. Daß diese Quelle bei den Götzendienern sowenig verbessert wurde wie bei den Gottesleugnern

Man mag mir einwenden, wie man will, die Furcht vor einer Gottheit sei ein ungemein geschicktes Mittel, diese natürliche Verderbnis zu bessern, ich werde mich allemal auf die Erfahrung berufen und allemal fragen, warum doch die Heiden, da sie die Furcht vor ihren Göttern bis zu dem entsetzlichsten Aberglauben getrieben haben, diese Verderbnis so wenig gebessert haben, daß kein abscheuliches Laster zu finden ist, welches nicht unter ihnen geherrscht hat. Es war umsonst, daß man das Andenken wichtiger Strafen, welche den Zorn des Himmels gegen die Kirchenräuber und Meineidigen bezeugt hatten, beibehielt; es war umsonst, daß man Geschichtenbücher, um die Gottlosen zu erschrecken, zusammenschmiedete; es war umsonst, daß man so prächtige Beschreibungen von den Furien, der Hölle und den elysäischen Feldern machte; alles dieses hinderte nicht, daß man nicht so viel falsche Zeugen hätte finden sollen, wie man verlangte, und daß man die Tempel nicht hätte plündern sollen, wenn die Gelegenheit sich dazu zeigte. Juvenal272 ist unvergleichlich in dem Bildnis, das er uns von falschen Zeugen, welche keine Religion gehabt, und von solchen falschen Zeugen, welche einen Gott glauben, hinterlassen hat. Er[309] spricht: Die ersteren schwören falsch, ohne sich zu besinnen, die anderen besinnen sich eine Weile und schwören doch darauf mit der äußersten Frechheit so falsch wie jene. Sie empfinden mit der Zeit Gewissensbisse und bilden sich ein, die Rache Gottes verfolge sie überall. Und dennoch bessern sie sich nicht und sündigen bei Gelegenheit so gut wie zuvor.

Dies ist eine nach der Natur geratene Abbildung. Man sieht noch überall einen solchen Geist herrschen, welcher die Menschen zur Sünde verleitet, ungeachtet sie sich vor der Hölle und vor den Bissen des Gewissens fürchten. Wollte man also gegen dasjenige, was ich behaupte, streiten, so würde man nichts anderes tun, als einer ausgemachten Sache metaphysische Vernunftschlüsse entgegensetzen, so wie jener Weltweise, welcher beweisen wollte, daß keine Bewegung sei. Ich bin gewiß, man wird mir zulassen, daß ich es mache wie Diogenes, der, ohne die Spitzfindigkeiten des Zeno stückweise zu beantworten, in seiner Gegenwart nur auf- und niederging, denn nichts ist geschickter, einen rechtschaffenen Mann zu überführen, daß er im Schließen falsche Sätze annimmt, als wenn man ihm zeigt, daß er gegen die Erfahrung streitet. Wenn es daher wahr ist, wie solches die Geschichte und der allgemeine Lauf der Welt bestätigt, daß die Menschen sich in allerhand Laster stürzen können, ob sie gleich von der Wahrheit ihrer Religion überzeugt sind und kraft derselben wissen, daß Gott die Sünden ernstlich bestraft und hingegen das Gute herrlich belohnt, so muß man auch zugestehen, daß diejenigen, welche uns diese Überzeugung für einen Beweis und für ein Dokument eines frommen Lebens angeben, sich notwendigerweise betrügen, und daß es also übel geschlossen ist, wenn man daraus, daß jemand ein Götzendiener ist, folgern will, er lebe moralischerweise besser als ein Gottesleugner. Wenn man nur so folgerte: Er sollte von Rechts wegen frömmer sein als ein Gottesleugner, so würde der Schluß gut sein. Allein, wie groß ist nicht der Unterschied zwischen dem, was man tun sollte, und dem, was man wirklich tut.[310]

Ich habe es bereits gesagt: Man hat keine Nachrichten, daraus man die Sitten und Gebräuche einer Nation, die sich der Gottesleugnung ergeben hat, erlernen könnte. Also kann man es nicht durch die Erfahrung widerlegen, wenn man gleich anfänglich die Mutmaßung anbringt, daß nämlich die Atheisten keiner moralischen Tugend fähig sind und daß sie wilden Tieren gleichkommen, bei denen man des Lebens weniger sicher ist als unter Tigern und Löwen. Aber es ist leicht zu zeigen, daß diese Mutmaßung sehr ungewiß ist. Denn da die Erfahrung bezeugt, daß diejenigen, die ein Paradies und eine Hölle glauben, fähig sind, alle Arten der Verbrechen auszuüben, so ist klar, daß die Neigung, Böses zu tun, nicht daher rührt, weil man nicht weiß, daß ein Gott sei und daß sie durch die erlangte Erkenntnis von einem Gott, der da straft und belohnt, nicht gebessert wird. Es erhellt daraus augenscheinlich, daß die Neigung, Böses zu tun, sich in einer Seele, die gar keine Erkenntnis von Gott besitzt, nicht stärker befindet als in einer solchen Seele, welche einen Gott glaubt, und daß eine von der Kenntnis Gottes entblößte Seele von demjenigen Zaum, welcher die Bosheit des Herzens zurückhält, nichts freier ist als eine solche, welche diese Erkenntnis besitzt. Es entspringt ferner daraus die Folge, daß die Neigung, Böses zu tun, aus dem Grund der menschlichen Natur herkommt und daß sie durch die Leidenschaften gestärkt wird, welche sich, da sie aus dem Temperament als aus ihrer Quelle entspringen, nach den verschiedenen Zufällen des Lebens sich auf verschiedene Arten verändern. Und endlich schließe ich noch daraus, daß die Neigung zum Mitleiden, zur Mäßigkeit, zur Milde usf. nicht daher kommt, weil man weiß, daß ein Gott ist (denn sonst müßte man sagen, es wäre niemals ein Heide grausam und trunken gewesen), sondern von einer gewissen Beschaffenheit des Temperaments, welche durch die Erziehung, durch den persönlichen Eigennutz, durch das Verlangen gelobt zu werden, durch den Trieb der Vernunft oder durch andere Beweggründe gestärkt worden ist, die sich bei einem Atheisten sowohl als bei anderen Leuten[311] befinden. Also haben wir kein Recht zu behaupten, daß ein Gottesleugner notwendigerweise unordentlicher in seinen Sitten sein müsse als ein Götzenverehrer.


146. Daß eine gesunde Theologie uns zeigt, die Verderbnis der Natur ist bei den Götzenverehrern so groß wie bei den Gottesleugnern

Alles dieses stimmt vollkommen mit der Theologie Augustins überein, vermöge welcher die Heiden niemals ein verdienstliches Werk, das ist eine tugendhafte Handlung, aus einer guten Grundursache und aus einer erlaubten Absicht getan haben. Heißt das nicht lehren, daß die Tugenden der Heiden die Wirkung entweder ihres Temperaments oder einiger Neigungen, daran sie Geschmack gefunden, gewesen ist? Und warum sollte ein Gottesleugner nicht ebensowohl nach Beschaffenheit seines Temperaments oder auf Antrieb irgendeiner Neigung, welche ihn beherrscht, alle die Handlungen tun können, welche die Heiden tun konnten? Hat der Heide nichts zur Ehre Gottes getan, hat er nicht aus Liebe zu Gott Almosen ausgeteilt, hat er dasjenige, was er vermöge seines Ansehens zur Verhinderung der Unterdrückung des Unschuldigen angewendet hat, nicht der Ehre Gottes zugeschrieben, so ist klar, daß die Kenntnis Gottes nichts beigetragen, dasjenige zu tun, was er getan hat, und daß er es ebensowohl getan haben würde, wenn er auch niemals von Gott hätte reden gehört, und folglich sind, nach den Sätzen Augustins, die Gottesleugner ungemein fähig, alle die moralischen Handlungen zu verrichten, welche wir in dem Heidentum bewundern. Dies ist es, was ich auf alle die Exempel der heidnischen Tugenden, welche man mir anführen kann, antworte. Ich bewundere sie so sehr wie ein anderer, allein, ich halte dafür, es läßt sich alles aus dem Temperament, aus der Erziehung, aus dem Bestreben nach Ehre, aus dem Geschmack, den man an einer Art der Ehre sich eingebildet hat, aus der Hochachtung,[312] welche man für das, was ehrbar und löblich ist, hegen kann, und aus vielen anderen Beweggründen mehr erklären, die alle Menschen haben können, sie mögen einer Religion ergeben sein oder nicht.

Erwägen Sie überdies, daß die Gottesgelehrtheit uns ausdrücklich lehrt, der Mensch könne ohne den Beistand der Gnade des Heiligen Geistes sich nicht zu Gott bekehren, noch sich der Verderbnis seiner Begierden entledigen, und diese Gnade bestehe nicht schlechterdings darin, daß man glaube, es sei ein Gott, und die Geheimnisse, die er uns offenbart hat, seien wahr, sondern sie bestehe in der Liebe, vermöge welcher wir Gott lieben und uns zu ihm als zu dem höchsten Gut halten. Daraus erhellt augenscheinlich, daß diejenigen, welche es nur bei einem schlechten Glauben von unseren Geheimnissen bewenden lassen, die heiligmachende Gnade noch nicht haben und noch in den Banden und unter dem Joch der Sünde sind. Wie wäre es also möglich, daß eine Ungewisse und undeutliche Kenntnis, welche die Heiden von Gott gehabt, dieselben von der Herrschaft der Erbsünde oder von den siegenden Eindrücken der Begierden hätte befreien können? Da also die Gnade des Heiligen Geistes, welche uns zu Kindern Gottes macht, und die Liebe, dadurch wir den Versuchungen unserer verdorbenen Natur widerstehen, nicht in den Heiden befindlich gewesen, so mangelte es ihnen ebensowohl an der wahren Quelle der guten Werke, wie es den Gottesleugnern daran fehlt, und sie konnten ebensowenig für tugendhaft angesehen werden wie die Atheisten.

Ich will eben nicht gänzlich in Abrede sein, daß es nicht Heiden gegeben, welche ihre Kenntnis von der Natur Gottes gut angewendet und sich derselben zum Beweggrund, die Gewalt ihrer Leidenschaften zu unterdrücken, bedient haben. Allein, es ist sehr wahrscheinlich, daß, wo dieser Beweggrund einige Kraft gehabt hat, die Leidenschaften so gemäßigt gewesen, daß man sie ohne jenes Hilfe hätte dämpfen können, wenn man sich entweder ein Verlangen, es ändern durch strenge Sitten zuvorzutun, in den Kopf gesetzt oder sich eine dauerhaftere Gesundheit[313] oder mehr Lobsprüche oder mehr Vorteil versprochen hätte. Hier sind die neuen Beweise, welche ich Ihnen versprochen habe.


147. IV. Beweis, von den Teufeln und Hexenmeistern hergenommen, daraus man abnehmen kann, daß die allerverruchtesten Leute von dem Dasein Gottes überzeugt bleiben

Man wundere sich nicht, daß ich gesagt habe, der bloße Glaube von unseren Geheimnissen sei nicht dasjenige, was unser Herz reinigt. Denn es ist nichts gewisser als das, wie man es aus dem Exempel so vieler Christen abnehmen kann, welche nichts in Zweifel ziehen, welche bereit sind, eine Million neuer Glaubensartikel zu glauben, wenn es die Kirche haben wollte, und die sich dennoch in allerhand Arten strafbarer Wollüste stürzen. Es erhellt dies noch weit mehr aus dem Exempel der Teufel, welche wohl besser wissen als wir, was man glauben und tun muß, und dennoch sind sie die allergottlosesten unter allen Kreaturen und diejenigen, welche am besten beweisen können, daß die Gottesleugnung nicht die Quelle der Gottlosigkeit ist. Denn wenn die Teufel Atheisten wären, sie würden nicht so gottlos sein, wie sie es wirklich sind, indem ihre meisten Verbrechen aus einer verfluchten Begierde entspringen, Gott zuwiderzuhandeln.

Man kann ebendieses durch das Exempel der Zauberer und Hexenmeister erweisen. Es ist außer Streit, daß diejenigen, welche, wie man sagt, mit dem Teufel ein Bündnis machen, es glauben, daß ein Gott ist. Es ist ferner außer Streit, daß keine Gottlosigkeit größer sein kann, als wenn ein Mensch sich dem Teufel ergibt und ihm in allen Stücken zu Willen sein will. Folglich ist es ausgemacht, daß es Leute gibt, welche bei ihrem Glauben von einer Gottheit ruchloser sind als die Atheisten. Folglich ist es falsch, daß die Atheisterei die Quelle der größten Sünden sei, und man kann nicht in Abrede sein, daß wenigstens[314] die zauberische Abgötterei, davon einer von ihren berühmtesten Doktoren273 einen sehr artigen Traktat geschrieben hat, nicht schlimmer sein sollte als die Gottesleugnung. Ebendieselben Teufel und ihre Gehilfen sind noch ein augenscheinlicher Beweis dessen, was ich so oft angenommen und erwiesen habe, daß nämlich die größten Verbrecher den Glauben, daß ein Gott ist, behalten, welches insbesondere in Ansehung derjenigen keine Schwierigkeit leidet, welche, um an ihren Gottheiten sich zu rächen, ihre Tempel umgerissen haben; denn niemals hat ein Mensch sich zu rächen gesucht, wenn er nicht geglaubt hat, daß er beleidigt worden, und niemals hat ein Mensch dafürgehalten, daß er durch eine Sache, die nicht ist, beleidigt worden wäre.


148. V. Beweis, den man findet, wenn man eine allgemeine Untersuchung des gewöhnlichsten Benehmens der Menschen anstellt

Es ist so wahr, daß die Überzeugung von unseren Geheimnissen mit allen Unordnungen der Sitten verknüpft sein kann, daß beinahe kein Mensch ist, der, sowenig er sich auch in der Welt umgesehen hat, nicht mehr als tausend Personen kennen sollte, welche alle von den Wundern, die in dem Christentum bekannt geworden und ihnen zu Ohren gekommen, überzeugt sind und die deren noch hundertmal mehr zu glauben sich bereitwillig finden ließen, wenn man sich die Mühe geben wollte, die Welt damit zu bereichern; und dennoch sind es alles Leute, welche in großer Unordnung leben. Auf der einen Seite sieht man diese Leute in einer Brüderschaft, wo sie, während sie sich ein Vergnügen machen, an dem Gebet, den Verdiensten und Vorzügen der Gesellschaft teilzunehmen hoffen. Sind sie krank, so sieht man, daß sie zu einer aus Rom gekommenen Reliquie, die da gewisse Krankheiten zu heilen sonderlich kräftig sein soll, oder zu dem Segensprechen eines Mönches, der durch wunderbare Kuren berühmt[315] geworden ist, ihre Zuflucht nehmen. Man sieht, daß sie eine Kutte oder etwas anderes um sich haben, welches soll verhindern können, daß man nicht ersaufe oder ungebeichtet sterbe oder von einem rasenden Hund gebissen werde usf. Man sieht zugleich, daß sie die Fasten und die frühesten Seelenmessen besuchen. Man sieht, daß, wenn ein Ketzer in ihrer Gegenwart sich über unsern Gottesdienst aufhält, sie auf ihn schimpfen oder wohl gar zuschlagen. Sind sie reich, so nimmt man wahr, daß sie den Geistlichen und Hospitälern ein Ansehnliches vermachen, daß sie Kapellen stiften und zur Verzierung der Kirchen etwas ausmachen. Denn wieviel gibt es nicht Zierate in unsern Kirchen, welche von den berühmtesten Leuteschindern und berüchtigsten Buhlerinnen als Opfer dargebracht worden sind, die, da sie unrechtmäßigerweise Geld genug zusammengescharrt, nunmehr mit Gott sich versöhnen wollen, indem sie ihm einen mittelmäßigen Anteil davon widmen. Wieviel gibt es nicht Opfer, denen man die Unterschrift machen müßte: Ein Sündopfer; oder so eine, wie Diogenes unter die goldene Venus, welche die Hure Phryne dem Delphischen Tempel widmete, setzen ließ: Von der Griechen Unmäßigkeit274 Kurz, man sieht, daß diese Herren, von denen ich rede, alle Tage in die Messe gehen, es aber doch gern sehen, wenn sie von einem geschwinden Franziskaner, der es hübsch hurtig machen kann, gelesen wird. Alles dieses wird ungefähr ihre schöne Seite ausmachen. Man sehe sie auf der andern Seite an. Man wird finden, daß es Leute sind, welche kaum drei Worte, ohne einen Schwur zu tun, hören lassen, welche, es mag in Gasthöfen bei Tisch oder anderswo sein, von sonst nichts als von ihrem vermeintlichen guten Glück sprechen, und das mit solchen Worten, daß die Unkeuschheit selber darüber erröten möchte. Übrigens sind es Leute, die überall nehmen, was sie kriegen. Sind sie im Feld, so schinden sie den Bauer ohne Barmherzigkeit und ziehen von dem Sold ihrer Soldaten so viel ab, wie nur möglich ist. Befehlen sie irgendwo, so haben sie tausend Wege, entweder durch Ränke oder durch Gewalt sich zu bereichern.[316] Sind sie in königlichen Geschäften auf dem großen Schauplatz der Räuberei und Erpressung, so ziehen sie sich durch ihre Ränke und Spitzbübereien den Haß aller Welt auf den Hals. Sie mögen treiben, was sie wollen, so lügen sie beständig und reden andern Leuten übel nach. Im Spiel betrügen sie und opfern ihrer Rachgier alles auf. Sie begehen entsetzliche Ausschweifungen, meretrix non sufficit omnis, sie bedienen sich verschiedener Arzneien, damit sie Kräfte bekommen, ihre unkeuschen Begierden desto besser zu erfüllen; mit einem Wort: In Ansehung der Sitten haben sie vor unartig gesinnten Christen nichts voraus. Es geschieht nicht nur bei alten Leuten, was St. Didier275 sagt, daß sie sich verschiedener unerlaubter und törichter Künste bedienen, um in sich ein Vergnügen zu erwecken, dessen sie die Schwäche dieses Alters zu ihrem größten Leidwesen beraubt hat, die allerjüngsten und gesündesten bedienen sich deren öfters, um dadurch ihre viehischen Beschäftigungen zu verlängern.


149. VI. Beweis, von der Ehrerbietung hergenommen, welche, wie man sagt, viele gottlose Buben gegen die Jungfrau Maria gehabt haben

Die Ehrerbietung der römischen Kirche gegen die Jungfrau Maria ist so hoch gestiegen, daß man sagen kann, es mache dieselbe eines der wichtigsten Stücke ihres Gottesdienstes aus. Es ist vergeblich, daß man uns die Ausschweifungen und allzu hoch getriebenen Redensarten unserer Mönche vorwirft, diese Ehrerbietung bleibt immer und behält ihren Glanz und ihr Ansehen. Wenig Personen haben das Herz, darin gegen die Gewohnheit und Meinungen des gemeinen Mannes zu verstoßen; die Sache ist allzu stark eingerissen, als daß man sie abschaffen könnte. Man vermehrt täglich die unzählbare Menge von Schriften, welche seit vielen Jahrhunderten von der Verehrung und von den Wundern unserer lieben Frau sind gemein gemacht worden. Unter den Grundsätzen aber, welche[317] von den Verfassern dieser Art Schriften sind festgesetzt worden, ist dieser einer der bekanntesten: Daß man sehr gottlos und doch auch sehr ehrerbietig gegen die Mutter Gottes sein könne, und man erläutert es durch unzählige Exempel in den Büchern, welche den Titel führen: Der große Spiegel der Exempel; die Blumen der Exempel oder historischer Katechismus; die Chronik, der Mutter Gottes usf. Alexis von Salo276 versichert nebst vielen andern, daß ein junger Mensch, der so ruchlos und in Lastern so verstockt gewesen, daß er verschiedener begangener Mordtaten und Straßenräubereien halber ins Gefängnis geworfen worden, dem Sohn Gottes und allen Sakramenten der Kirche abgesagt, in der Hoffnung, daß der Teufel seinem Versprechen gemäß ihn vom Galgen erretten würde; er versichert uns, sage ich, daß dieser Mensch doch noch alle Tage das Ave Maria gebetet hat und niemals in die Forderung einwilligen hat wollen, die ihm der Teufel getan, daß er der Jungfer Maria auch absagen sollte. Er war glücklich dabei, denn da man ihn zur Todesstrafe führte und er auf dem Weg das Bild unserer lieben Frau, die auf einer Kapelle stand, gewahr wurde, so verrichtete er sein Gebet zu derselben, und sogleich neigte sich das Bild ganz sacht mit dem Kopf zu seinem Verehrer und hielt ihn so fest bei den Armen, daß die Gerichtsdiener ihn nicht von der Stelle bringen konnten. Ebendieser Autor schreibt an einem andern Ort277 von einer Buhlerin, die außerordentlich liederlich gelebt hat, die aber dennoch alle Tage sich siebenmal vor der Jungfer Maria auf das ehrerbietigste geneigt und jedesmal ein Ave Maria gesprochen hat. Dieses habe so viel gewirkt, daß eine tugendhafte Dame, die es mit Verdruß angesehen, daß ihr Mann mit dieser Buhlerin einen unerlaubten Umgang gepflogen hat, die Mutter Gottes vergeblich angerufen, dieses liederliche Weibsbild zu züchtigen, denn das Bild der Heiligen Jungfrau, welches sie angerufen, habe mit diesen ausdrücklichen Worten geantwortet: Es ist mir unmöglich, deiner Bitte zu willfahren. Ich sehe wohl, daß dieselbe billig ist, allein die Liebe, welche diese Buhlerin nr="318"/> mitten in allen ihren Unordnungen gegen mich behält, bindet mir die Hände und verhindert mich, daß ich ihr die Strafe, die du von mir bittest, nicht antun kann. Ich setze noch das dritte Exempel hinzu und nehme es aus den Nachrichten von der Königin von Navarra. Ein junger Prinz, den sie nicht nennt, den sie aber deutlich genug bezeichnet, wenn er zu einer verliebten Zusammenkunft eilte, ging allemal vorher durch eine Kirche, welche er unterwegs antraf, und verrichtete darin ordentlicherweise sein Gebet. Wenn er nach abgestattetem Besuch bei seiner Mätresse wieder nach Hause ging, so ging er ebenfalls wieder durch dieselbe Kirche und verrichtete sein Gebet darin. Diese Königin führt dieses als ein Beispiel einer besonderen Andacht an, allein Montaigne278 ist darin nicht ihrer Meinung, und er tut wohl.

Denn wie es nur vor kurzem der Bischof von Castorien279 erwiesen hat, so kann keine wahrhafte Ehrerbietung, weder für Gott noch für die Heiligen, in einer Seele stattfinden, welche Gott nicht liebt und die ihm nicht gehorcht. Und was die Wunder betrifft, welche, wie man vorgibt, die Heilige Jungfrau zum Besten einiger gottloser Buben, welche ihren Dienst fleißig abgewartet hatten, soll gewirkt haben, so verwirft sie dieser Bischof ohne Schwierigkeit280, und er hat recht. Demungeachtet aber finde ich doch hierbei einen starken Beweis dessen, was ich behaupte. Ich will es Ihnen zeigen.

Weil sich eine entsetzliche Menge von Schriftstellern gefunden hat, welche bekanntgemacht haben, daß viele Personen, die in die abscheulichsten Verbrechen verwickelt gewesen, dennoch in der Verehrung der Jungfrau Maria beständig geblieben, so ist das schon ein Kennzeichen, daß sich die Menschen leicht überreden, die Erkenntnis Gottes könne mit allen Arten der Gottlosigkeit bestehen, und daß sie sich folglich widersprechen, wenn sie glauben, daß die Götzendiener notwendig frömmer sein müßten als Leute, welche ohne Religion leben. Noch mehr: Es ist ganz gewiß, daß der Bischof von Castorien sehr gründlich beweist, die Verehrer der Jungfrau Maria, wenn sie[319] nicht Tugend besäßen, wären keine wahrhaftigen Verehrer derselben. Allein weder er noch jemand in der Welt wird jemals erweisen können, daß diese Leute in ihren abscheulichsten Unreinigkeiten nicht die Gewohnheit behalten sollten, den Bildnissen unserer lieben Frau äußerliche Ehrenbezeigungen zu erweisen, etliche Ave Maria zu beten, sich ihrem Schutz zu empfehlen, die Orte zu besuchen, wo sie sich am gnädigsten bezeigt, zur Verzierung ihrer Kapellen etwas beizutragen und überhaupt tausenderlei geringe Übungen einer äußerlichen Andacht blicken zu lassen. Daraus erhellt unleugbar, daß diese leichtfertigen Buben eine völlige Überzeugung von unseren Geheimnissen behalten, weil sie gewiß glauben, daß die Heilige Jungfrau ihnen sowohl in diesem wie in jenem Leben mancherlei Gnade erweisen kann.


150. Gedanken von einer Schrift des P. Rapin

Der Unterschied, den ich kurz vorher zwischen der wahren Andacht und zwischen gewissen äußerlichen Übungen der Andacht gemacht habe, muß auch in Ansehung des Glaubens gemacht werden. Ein berühmter Jesuit hat vor zwei Jahren eine kleine Schrift ausgehen lassen, darin er den Abfall des Glaubens in diesen letzten Zeiten beschreibt. Er behauptet, daß die entsetzliche Verderbnis, welche in der Welt eingeführt worden ist, hauptsächlich aus dem großen Wachstum des Unglaubens entsprungen sei. Es ist nichts beredter als die Beschreibung der Sitten unserer Zeiten, welche er in folgende schöne Worte eingekleidet hat:

281Ist jemals mehr Unordnung bei der Jugend, mehr Ehrgeiz bei den Großen, mehr Unmäßigkeit unter geringen Personen, mehr liederliches Wesen unter den Mannspersonen, mehr Pracht und Weichlichkeit unter den Frauenzimmern, mehr Falschheit unter dem Pöbel, mehr Treulosigkeit in allen Ständen und Ämtern zu finden gewesen? Ist jemals weniger Treue unter Eheleuten, weniger Ehrbarkeit[320] in Gesellschaften, weniger Schamhaftigkeit und Bescheidenheit im Umgang gewesen? Die Kleiderpracht, die Kostbarkeit der Hausgeräte, die Niedlichkeit der Mahlzeiten, der Überfluß im Aufwand, die Frechheit der Sitten, die Neugierigkeit in heiligen Dingen und andere Unordnungen des Lebens sind unerhört hoch gestiegen. Welch eine Schläfrigkeit im Besuch der Sakramente! Welch eine Kaltsinnigkeit in der Gottesfurcht! Welch eine Verstellung in der Andacht! Welch eine Nachlässigkeit in den wesentlichen Pflichten! Was für Gleichgültigkeit in dem, was zur Seligkeit gehört! Was für Verderbnis des Verstandes in den Urteilen! Welch eine Verschlimmerung des Herzens in Ämtern! Was für Entheiligung der Altäre! Und welch eine Schändung dessen, was in der Religionsübung das Heiligste und Vortrefflichste ist! – Alle Grundsätze der wahren Frömmigkeit sind dergestalt übern Haufen geworfen, daß man heutzutage im Umgang einen ehrbaren Spitzbuben, der zu leben weiß, einem frommen Mann, der das nicht weiß, vorzieht, und das Verbrechen klug begehen, ohne jemanden anstößig zu sein, nennt man nach der Welt fromm leben, und die strafbarsten Sätze finden Leute, die sie billigen, wenn sie Männer von Stand zu Urhebern haben, und gewisse Umstände, die in die Augen fallen, damit verknüpft sind. Denn wer weiß nicht, daß in diesen letzten Zeiten die Frechheit bei geschickten Leuten für eine Stärke des Geistes, die Spielsucht für eine Beschäftigung vornehmer Leute, der Ehebruch für eine Artigkeit, der Verkauf der Kirchengüter für eine Versorgung der Familien, die Schmeichelei, die Lügen, die Verräterei, der Betrug, die Verstellung für Hoftugenden gehalten werden? Und es ist fast nicht mehr möglich, daß man sich anders als durch Verderbnis und Unordnung erhebt und hervortut. Ich verschweige jene grausamen und schändlichen Verbrechen, die sich in diesem unglücklichen Ende der Zeit ergossen haben und davor man einen Abscheu haben muß, wenn man nur daran denkt. Ich verschweige alle die abscheulichen Dinge, die bisher der Redlichkeit unserer Nation in dem Gebrauch des Giftes unbekannt[321] gewesen und welche unsern Vorfahren ganz und gar nicht bekannt waren, weil man nicht genug die Gedanken davon abwenden und nur die Vorstellung davon nicht sattsam unterdrücken kann. Und endlich, daß ich den Charakter dieser Zeit nur mit einem Wort ausdrücke, niemals ist so viel von der Moral gesprochen worden und niemals sind weniger gute Sitten anzutreffen gewesen, niemals ist mehr von Verbesserung geredet und niemals sind weniger Leute gebessert worden, niemals hat es mehr Gelehrsamkeit und weniger Frömmigkeit gegeben, niemals sind bessere Prediger und weniger Bekehrungen anzutreffen gewesen, niemals ist man öfter zum Abendmahl gegangen und niemals sind weniger Lebensänderungen erfolgt, niemals ist so viel Verstand und Vernunft unter den vornehmen Leuten gewesen und niemals haben sich die Leute weniger auf gründliche und ernsthafte Dinge gelegt.

»Würden wir«, fragt er alsdann, »in solchen Unordnungen leben, wenn wir den Glauben hätten? Würden wir so unglückliche Abwege ergreifen, wenn wir seinem Licht folgten? Und würden wir so verdorben und unordentlich sein, wenn wir Christen wären?« Ich antworte darauf: Wenn wir einen wahrhaften Glauben hätten, der von der Liebe Gottes niemals getrennt ist, und wenn wir der Erkenntnis unseres Gewissens nachlebten, und wenn wir wahre Christen wären, so würden wir in dergleichen Unordnungen nicht leben. Demungeachtet können wir doch noch so viel Glauben haben, daß wir von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt bleiben, ob wir gleich ganz gottlos leben. Es ist ein sehr großer Unterschied, den wahren Glauben nicht haben und ungläubig sein. Der wahre Glaube, das ist diese Gemütsverfassung, welche uns anreizt, allem demjenigen, was dem Willen Gottes entgegen ist, abzusagen, kann uns mangeln, und dennoch können wir glauben, daß die Lehre des Evangeliums wahr sei. Also spielt man mit Worten, wenn man sagt, daß die Unordnungen gegenwärtiger Zeiten von der Schwäche des Glaubens herrühren. Versteht man dadurch, daß sie von der Schwäche dieser christlichen Tugend entspringen, kraft deren wir alle[322] üblen Neigungen dem Willen Gottes aufopfern, so hat man recht; glaubt man aber, daß sie von einem Mangel der Überzeugung entstehen, daß wir deswegen übel leben, weil wir die Sachen, die man uns predigt, als unausgemachte Dinge, davon man keine Gewißheit habe, ansehe, so irrt man sehr. Denn einige wenige Standespersonen und einige Halbgelehrte oder wohl gar einige von euch, ihr Herren Schriftgelehrten, ausgenommen, so glaubt unter uns Christen alle Welt das Geheimnis der Menschwerdung, den Tod und das Sterben Jesu Christi, seine Himmelfahrt, seine Gegenwart auf unseren Altären, das Jüngste Gericht, die Auferstehung der Körper, die Hölle und das Paradies. Man hat in allen diesen Dingen nicht eine Überzeugung, die mit unumstößlicher Gewißheit verknüpft ist, das kann wohl sein, allein man hat doch wenigstens eine Überredung, welche den Zweifel ausschließt. Unsere Bauern, unsere Handwerker, unsere Soldaten, unsere Bürger, alle unsere Frauenzimmer, die Edelleute und Gelehrten größtenteils glauben ganz treuherzig und ohne Bedenken alle Artikel des Apostolischen Bekenntnisses. Solche, welche die Göttlichkeit der christlichen Religion in Zweifel ziehen und die dasjenige, was man von einem Leben nach dem Tod redet, für eine Fabel halten, gibt es nur sehr wenige.


151. Ob es wahr ist, daß an fürstlichen Höfen viele Atheisten angetroffen würden

Man glaubt gemeiniglich, daß Fürsten und Hofleute weder Glauben noch Gesetz haben, und man gründet darauf sich, weil man sieht, daß sie leben, als ob sie weder Himmel noch Hölle glaubten, daß sie alles ihrer Ehrbegierde aufopfern, daß sie sich eine unumgängliche Schuldigkeit daraus machen, das geringste Unrecht zu rächen, daß sie ihre ärgsten Todfeinde küssen und herzen, wenn der Eigennutz es so haben will, daß sie auf alle mir mögliche Gelegenheiten sinnen, dieselben durch unbemerkte Wege[323] zu stürzen, daß sie ihre besten Freunde, wenn sie in Ungnade gefallen sind, verlassen, daß sie immer in solchen Geschäften stehen, die von dem Geist des Evangeliums entfernt sind, im Spiel, in verbotenen Liebeshändeln, in Erpressungen, in Lustbarkeiten, daß sie vor allen Dingen den Schein der Frömmigkeit vermeiden, daß sie die Andacht zu etwas Lächerlichem machen; mit einem Wort, daß sie sich zu Sklaven aller Eitelkeiten der Welt machen. Man hat so unrecht nicht, wenn man glaubt, daß Leute, die so leben, keine Religion haben, und gewissermaßen ist es wahr, weil sie zwar eine Religion haben, die aber in einem Winkel der Seele ganz verborgen steckt und nicht die Quelle irgendeines Guten ist. Allein man irrt gewaltig, wenn man glaubt, daß alle diese Herren Atheisten sind. Weit gefehlt, daß sie Gottesleugner sein sollten; so ist fast niemand in der Welt, der mehr als sie gewissen abergläubischen Dingen ergeben wäre. Ich will von der starken Begierde nicht reden, die sie vorzeiten hatten, die Sterngucker um Rat zu fragen. Weiß man denn nicht, welch eine entsetzliche Neugierigkeit sie haben, die Wahrsager zu befragen? Kann es jemandem unbekannt sein, was für eine närrische Einbildung sie von Vorbedeutungen hegen? Gibt es nicht viele große Häuser, darin man aussprengt, daß allemal, wenn jemand von der Familie sterben soll, eine Anzeige davon entweder durch ein Gespenst oder durch ein anderes besonderes Zeichen geschähe? Was für prophetische Erzählungen trägt man nicht überall von gewissen hohen Familien herum. Und insonderheit, wieviel Wunderzeichen, wieviel wunderbare Zufälle erzählt man nicht in der vornehmen Welt von seinen Vorfahren. Man wird sagen, daraus erhelle noch nicht, daß man davon überzeugt sei, man wolle es nur anderen einreden, daß man dem Schicksal ganz besonders empfohlen sei. Ich glaube es von einigen, die meisten aber tragen so großes Belieben, sich einzubilden, daß die Vorsehung sie von anderen unterscheide, daß sie sich's im Ernst einbilden. Alle Geschichtsschreiber stimmen darin überein, daß die Zauberei nirgends mehr im Schwange gegangen[324] als am französischen Hof unter der Königin Katharina von Medici, das doch unmöglich gewesen sein würde, wenn man keinen Gott daselbst geglaubt hätte, denn niemand glaubt von Hexenmeistern und Zauberern weniger als die Atheisten.

Man sehe einmal große Herren auf dem Totenbett an. Hier ist der Ort, da die Natur das Joch der Verstellung abschüttelt und da sich die wahren Gedanken der Seele entdecken, wo sie es jemals tun können. Sieht man wohl Leute, die beflissener sind, als Könige, Fürsten und Grafen, sich in diesem Stand der Kraft der heiligen Reliquien oder der Fürbitte der Auserwählten zu empfehlen? Gibt es einige unter ihnen, welche nicht wünschen sollten, sich vor dem Pater Marcus d'Aviano oder vor einer Person, die der Heiligkeit halber oder wegen der Gabe, gesund zu machen, berühmt ist, zu zeigen? Was für Geschenke schicken sie nicht in die Klöster, damit man Gott um ihre Gesundmachung anflehe. Woher sind die Reichtümer der Kirche entsprungen, als weil große Herren sich gefürchtet haben, sie möchten allzulange im Fegefeuer bleiben. Es ist wahr, man macht heutzutage nicht so ansehnliche Vermächtnisse als vor diesem, allein sie sind doch noch ganz einträglich. Das Schlimmste ist nur für die Geistlichen, daß die Erben den letzten Willen des Verstorbenen nicht treulich er füllen, weil sie sich vor dem Tod, da sie ihn nicht so nahe sehen, weniger fürchten als jener. Alles dieses, mein Herr, erweist augenscheinlich, daß man des Hoflebens halber das Apostolische Bekenntnis nicht abschwören dürfe, man lebt seiner Erkenntnis nur so lange nicht nach, als man sich noch wohl befindet.


152. Besondere Betrachtung über die Gedanken Ludwigs XI.

Indem ich sage, daß große Herren, wenn sie auf dem Totenbett sind, zu verstehen geben, daß sie die Geheimnisse des Evangeliums für wahr halten, so ist meine Meinung[325] nicht, ihnen dadurch große Lobsprüche beizulegen; denn es könnte leicht sein, daß die Begierde, gesund zu werden, die einzige Ursache wäre, warum sie ihre Zuflucht zu dem Gebet frommer Knechte Gottes nehmen. Nun aber ist der Glaube eines Menschen, der es so lange aufschiebt, an Gott zu glauben, bis das Fieber ihn dazu antreibt, eine gewiß sehr schlechte Sache, und die Herren Franziskaner mögen sagen, was sie wollen, aus der Reise des heiligen Franziskus von Paolo, die er aus dem hintersten Kalabrien an den Hof König Ludwigs XI. hat tun müssen, kann ich mir keinen großen Begriff von der Heiligkeit dieses Prinzen machen. Ich will mir aber doch diese Reise zunutze machen und, da Ludwig XI. zeitlebens die Gewohnheit gehabt hat, zweizüngig zu sein, das doch dem Geist der christlichen Religion gänzlich zuwiderläuft, daraus erweisen, daß wohl kein König sein wird, den man der Atheisterei halber weniger in Verdacht haben könnte als diesen. Ein Betrüger, ein Prinz, der sich nichts daraus macht, wenn er sein Wort zurückzieht, der seinem Nächsten Fallstricke legt, der sich durch krumme Wege und durch allerhand Ränke in die Höhe schwingt, scheint mir lasterhafter zu sein als ein Weltbezwinger, der sich wie Alexander ohne einige Art der Verstellung öffentlich erklärt, daß er die Länder seiner Nachbarn an sich reißen wolle. Und wenn Ludwig XI. nicht ein so großer Störenfried des menschlichen Geschlechts gewesen ist wie Alexander, so ist es gar nicht deswegen geschehen, weil er gewissenhafter gewesen als jener, sondern weil er weniger Herz und weniger Verstand gehabt hat. Die Geschichtsschreiber dieses Königs geben zu, daß seine Wallfahrten282 und eifrigsten Andachten öfters von der Gerechtigkeit und Frömmigkeit sehr entfernte Absichten verdeckt haben. Er überrumpelte dabei immer jemanden und richtete seine Religion nach seinen Absichten ein, da er vielmehr diese nach jener hätte einrichten sollen. Er tat283 Sachen, die dem Schein nach gut waren, aber zu übler Absicht, und dachte, er würde durch sein heuchlerisches Wesen Gott und die Welt betrügen. Den Armen nahm er das Ihrige,[326] um es den Kirchen zu geben, und drückte das Volk mit größeren Auflagen und Steuern, als keiner von seinen Vorfahren getan hatte, daher denn auch sein Volk übel mit ihm zufrieden gewesen ist.284 Während seiner Regierung beging er viel Unrecht, übte viel Böses und viele Gewalttätigkeiten aus, und er hatte seinem Volk so übel mitgespielt, daß es an dem Tag, da er starb, der Verzweiflung ganz nahe war.

Es würde zu weitläufig werden, wenn ich dasjenige, was die Geschichtsschreiber von ihm schreiben, umständlich erzählen wollte. Ich verweise daher einen jeden dahin, der etwa nicht glauben wollte, daß, wo man jemanden in Verdacht hätte haben können, daß er nicht an Gott glaube, solches gewiß Ludwig XI. hätte sein müssen, und ich bin gewiß, daß man mir Beifall geben wird, wenn man seine Handlungen genau untersucht. Indessen würde doch nichts unrichtiger sein, als wenn man behaupten wollte, daß dieser Prinz von seiner Religion nicht überzeugt gewesen.285 Denn außerdem, daß er einstmals, als er sein Gebet vor dem hohen Altar zu unserer lieben Frau de Clery, ohne, wie er dachte, von jemanden gehört zu werden, verrichtete, in diese Worte ausgebrochen ist: Ach, meine liebe Frau, liebste Gebieterin, größte Freundin, bei der ich jederzeit Erquickung gefunden! Bitte für mich bei Gott und sei meine Fürsprecherin, daß er mir den Tod meines Bruders vergebe, den ich durch den gottlosen Abt von St-Jean mit Gift habe hinrichten lassen, leb bekenne es dir als meiner lieben Fürsprecherin und Gebieterin... Verschaffe mir daher Vergebung, meine liebe Frau, und ich weiß, was ich dir dafür geben will; außer diesem Gebet, sage ich, sieht man noch daraus, da er bei seiner letzten Krankheit so ernstlich befahl, man sollte den heiligen Franziskus von Paolo kommen lassen, daß er von der Kraft der Gebete überzeugt gewesen. Dieser arme Herr trug so großes Verlangen, länger zu leben, daß, als er erfuhr, daß dieser heilige Einsiedler sich in Kalabrien aufhielt und daselbst große Wunder täte286, er den Papst inständigst ersuchte, ihn nach Frankreich kommen zu lassen, und er glaubte so[327] gewiß, daß die Gegenwart und das Gebet dieses Mannes sein Leben verlängern würde, daß das erste, was er von ihm verlangte, als er ihn sah, darin bestand: Er sollte Gott um eine Verlängerung seiner Tage anflehen. Hernach schickte er alle Augenblicke zu ihm und ließ ihm sagen, es beruhe nur auf ihm, daß sein Leben verlängert würde. Ebendiese Begierde, länger zu leben, war Ursache, daß er den Papst um verschiedene Geschenke ansprach, wie uns dieses Philippus de Commines berichtet. Als der Papst Sixtus IV. erfuhr, daß der König aus Andacht das Altartuch haben woll te, auf welchem der Apostel Petrus Messe gelesen, so schickte er es ihm sogleich nebst noch vielen anderen Reliquien. Der Geschichtsschreiber Matthieu berichtet, daß der König mit lauter Reliquien umgeben gewesen, um damit dem Tod den Paß zu verwehren, weil er nicht glaubte, daß der Tod das Herz haben würde, darüber wegzuschreiten und ihn anzugreifen. Er ließ auch die heilige Flasche holen, in der Absicht, sich daraus salben zu lassen, wie bei der Krönung geschehen, wie solches ebenfalls Philippus de Commines anführt. Nichts aber gibt seine Begierde, länger zu leben, besser zu erkennen als die Art, wie er das Gebet änderte, welches man aufgesetzt hatte, um bei dem heiligen Eutropius die Gesundheit seines Leibes und seiner Seele zugleich zu erbitten; denn er ließ den Ort, wo von der Gesundheit der Seele geredet wird287, ausstreichen und sagte, es wäre genug, wenn der Heilige ihm nur die Gesundheit des Leibes verschaffte, man müßte nicht soviel auf einmal von ihm verlangen. Aus allen diesen Handlungen wird man notwendig folgern müssen, daß dieser Herr vollkommen von der Wahrheit unserer Lehrsätze überzeugt gewesen. Folglich haben wir in seiner Person das Exempel einer völligen Übereinstimmung zwischen einer ganz ruchlosen Seele und einer Überzeugung von der Wirklichkeit Gottes, die sogar auf den allergrößten Aberglauben hinausläuft.[328]


153. Daß der Hof niemanden vor dem Aberglauben noch vor den Irrtümern des Pöbels bewahrt

Es ist daher nichts als ein Blendwerk, wenn man sich einbildet, daß, weil Könige und Fürsten sich kein Gewissen daraus machen, die Friedensschlüsse und auf das feierlichste beschworene Bündnisse zu brechen und ihren Leidenschaften nichts versagen, sie nicht glauben, daß ein Gott ist. Ich sage es noch einmal: Die Vornehmen in der Welt sind in gewissen Stücken gemeiniglich abergläubischer als andere Menschen. Man bildet sich ein, wenn man nur in einem vornehmen Haus geboren und bei Hof erzogen worden ist, so müsse man einen großen und erhabenen Verstand besitzen. Allein die sich das einbilden, vermengen den Verstand mit dem Herzen. Es ist allerdings wahr, die Vorteile der Geburt und der Erziehung erheben das Herz. Man sieht wenig Leute aus diesem Stand, die nicht beherzt sind; man sieht deren sehr viele, welche eine unermeßliche Unerschrockenheit und Ehrbegierde haben. Allein mit dem Verstand ist es anders beschaffen. Es ist wahr, er wird ungemein fein bei Hof, aber die Größe erlangt er nicht daselbst; ich will so viel sagen, die Stärke, welche ihn über die Vorurteile der Kindheit erhebt und die ihn in den Stand setzt, bis zum Ursprung der Wahrheit durch tausend Irrtümer, von denen sie entweder bedeckt oder umringt ist, durchzudringen. Ich gehe noch weiter und sage: Man kann nicht einmal bei Hof die falsche und vermeintliche Stärke des Geistes, deren sich die Gottesleugner und Deisten rühmen, erlangen, und ich behaupte, daß, wenn man die Sache mit Aufmerksamkeit untersucht, man einsehen wird, daß diese eingebildete Stärke mehr durch öfteres Disputieren und unter Studierenden als bei Hof und im Feld verlangt werden könne. Wir wollen also, mein Herr, aufrichtig zugeben, daß vornehme Herren bei aller Pracht, die sie umgibt, dennoch sowohl wie andere Menschen in den Vorurteilen der Erziehung entweder in Ansehung der Lehrsätze, der Religion oder der natürlichen Wahrheiten verbleiben.[329]

In Wahrheit, wenn die Luft bei Hof diejenigen Eindrücke der Religion wegnähme, welche man Kindern beibringt, wir würden nicht so viel Aberglauben sehen, als wir bei den ansehnlichsten Männern der römischen Republik gewahr werden. Es erhellt aus unzähligen Exempeln, daß ihre Konsuln und Diktatoren und dergleichen Personen von erstem Rang sehr abergläubisch gewesen sind. Die heidnischen Könige und Kaiser sind es entsetzlich gewesen, und man könnte hundert Exempel anführen, daraus man augenscheinlich sehen kann, daß nicht die Politik, sondern ein krankes Herz wirksam gewesen, wiewohl ich zugebe, daß man ihren Aberglauben oft ihrer Politik zuschreiben muß. Erwägen Sie das noch ein wenig, was ich Ihnen oben von dem Tarquin, dem Hochmütigen, vom Nero, vom Catilina usf. angeführt habe, und erlauben Sie, daß ich bei dem Catilina noch anmerke, daß man zu Rom gesagt hat:288 Er habe seine Mitgenossen schwören lassen, recht verschwiegen zu sein, und damit die Flüche, denen sie sich unterwerfen wollten, wenn sie bundbrüchig würden, einen großem Eindruck bei ihnen machen möchten, so habe er ihnen Menschenblut mit Wein vermischt zu trinken gegeben, woraus erhellt, daß diese Rotte böser Buben, deren sich dieser gottlose Mensch zu der verfluchtesten Tat bedienen wollte, überzeugt gewesen, es gebe eine unsichtbare Gerechtigkeit, welche den gebrochenen Eid bestrafe. Einer der vornehmsten Mitgenossen des Catilina, nämlich Lentulus, begab sich deswegen mit in diese Verschwörung289, weil er sich einbildete, daß die Sibyllinischen Bücher und die Aussprüche der Opferdeuter ihm die Herrschaft der Römer versprächen; ein starker Beweis, daß er von der Atheisterei entfernt gewesen, weil er nicht einmal so weit darin gekommen war, daß er die Eitelkeit der Wahrsagungen erkennen konnte.
[330]

154. Von dem Aberglauben Alexanders des Großen

Doch hier haben Sie ein Exempel, das beinahe für sich allein so viel gilt wie eine Demonstration bei den Meßkünstlern. Wenn jemals der Hofgeist die Gottesleugnung in einer Seele hätte zuwege bringen sollen, so hätte es gewiß in Alexanders Seele geschehen müssen, denn er besaß den allergrößten Ehrgeiz unter den Menschen und war zugleich der verwegenste und glücklichste unter denselben. Man kann auch sagen, daß er hundert Dinge getan, welche eine entsetzliche Verachtung der Götter bezeugen. Ich rede nicht von seinen Eroberungen, obgleich, wenn man es genau betrachtet, nichts unbilliger, nichts gottloser ist, als wenn man diejenigen, welche ein Land rechtmäßigerweise besitzen, mit völliger Gewalt daraus vertreibt. Ich rede von der Verwegenheit, da er sich als einen Gott anbeten und die Tempel Äskulaps umreißen ließ, um den Tod seines vertrauten Ministers zu rächen. Dem allen ungeachtet ist doch Alexander mehr als jemand von der Atheisterei entfernt gewesen. Ich habe bereits oben berührt, daß ihm sein Hofmeister einen Verweis hat geben müssen, weil er in seiner Jugend den Weihrauch für die Götter allzusehr verschwendete. Jetzt erinnere ich, daß er den Aristander, seinen obersten Wahrsager, beständig zur Seite gehabt, der ihm allemal, wenn man etwas unternehmen sollte, sagen mußte, ob auch die Vorbedeutungen der Opfer ihre gute Richtigkeit hätten. Es ist wahr, er hörte auf, seine Wahrsager um Rat zu fragen, als er sich auf der obersten Staffel des Glücks befand. Allein, kaum war ihm etwas Unglückliches begegnet, so verfiel er wieder in seinen ersten Aberglauben290 und begab sich aufs neue unter das Joch seines Aristanders; dergestalt, daß er bei seinem Ende, weil er glaubte, die Götter wären übel mit ihm zufrieden, die geringsten ihm außerordentlich zustoßenden Dinge für Zeichen und Erinnerungen des Himmels ansah und allezeit in seinem Haus eine Menge Wahrsager hielt, welche daselbst entweder opferten oder es reinigten oder ein anderes Stück von ihrer Kunst daselbst verrichteten,[331] wie solches Plutarch in dem Leben dieses Weltbezwingers erzählt.

Trauen Sie nunmehr, mein Herr, solchen Leuten, welche uns versichern, gleich als ob sie die Gabe hätten, Herzen und Nieren zu erforschen, daß der Hof voller Atheisten sei. Meines Erachtens hab ich mehr Ursache, es zu leugnen und zu sagen, es könne zwar sein, daß sich daselbst mehr Gottesleugner finden als unter dem gemeinen Pöbel, doch sei, überhaupt zu reden und einige Personen ausgenommen, die vornehme Welt ebensogut von dem Dasein Gottes, von Himmel und Hölle überzeugt wie der gemeine Haufen. Ist ein Unterschied zu machen, so besteht er in der Tat nur darin, daß man bei Hof weniger als sonstwo Gewissenssachen in Erwägung zieht, daß man daselbst mehr Verwegenheit, mehr Gewohnheit, mehr Gelegenheit zu sündigen hat als sonst überall; daher es denn kommt, daß entweder die Hofleute in Religionssachen unwissender sind als andere Menschen oder weniger durch das Gewissen zurückgehalten werden und die Bisse desselben nicht so leicht fühlen wie andere. Was aber die Überzeugung der allgemeinen Wahrheiten und Grundsätze des Christentums betrifft, so glaub ich, überhaupt zu reden, daß sie dieselbe so stark wie andere Menschen besitzen.

Übrigens ist König Ludwig XI. ein unleugbares Exempel dessen, was ich oben berührt habe, daß man zu gleicher Zeit sehr gottlos und doch auch sehr ordentlich sein kann, der Jungfrau Maria tausend geringe Kennzeichen einer äußerlichen Andacht zu erweisen. Denn dieser Herr, so wie er war und wie wir ihn oben gesehen haben, hat erstaunliche Summen Geldes zur Verzierung der Kirche zu unsrer lieben Frau aufgewendet und verordnet, daß man täglich um Mittag läuten sollte, um den Leuten eine Erinnerung zu geben, wenn sie den Englischen Gruß beten sollten.291 Claudius von Seyssel führt an, daß seine Andacht mehr abergläubisch als ehrerbietig gewesen. Denn sobald er hörte, daß zu einem Bild oder zu einer Kirche Gottes und der Heiligen und selbst zur Frauenkirche andächtige Besuche von dem Volk abgestattet wurden oder[332] daß daselbst einige Wunder geschahen, so ging er entweder selbst hin und brachte seine Opfer oder schickte jemanden dahin. Zum Überfluß war sein Hut voller Bilder, meistens von Blei oder von Zinn, die er bei jeder Gelegenheit, es mochten gute oder üble Nachrichten einlaufen, oder wenn es ihm einfiel, küßte, auf die Knie niederfiel, er mochte sein, wo er wollte, und das zuweilen so jählings, daß man ihn mehr für einen im Kopf verrückten als verständigen Menschen ansah.


155. Unordnungen und Eifer des französischen Hofes im letzten Jahrhundert

Unter den Kennzeichen, daraus, wie ich gesagt habe, man erkennen kann, daß die allerliederlichsten Leute dennoch einen Gott glauben, habe ich den Haß mit angegeben, welchen sie gegen verschiedene Religionen bezeugen. Ich könnte diese Anmerkung über die Standespersonen machen, welche ich hier von dem Verbrechen der Atheisterei loszusprechen suche. Weil mich aber das gar zu weit abführen würde, so will ich nur von dem Hof der Katharina de Medici reden.

Ich habe bereits gesagt, daß dieser Hof der Zauberei ergeben gewesen, und es ist leicht zu mutmaßen, daß, ob man gleich an demselben einen Gott geglaubt hat, man dennoch allerhand Gottlosigkeiten auszuüben geschickt gewesen. Und es ist gewiß, daß292 die Unkeuschheit und die Pracht daselbst mit einer ungezähmten Frechheit triumphiert hat und daß die Verräterei, die Vergiftung und der Meuchelmord daselbst so stark eingerissen gewesen, daß man es nur für ein Spielwerk hielt, diejenigen ums Leben zu bringen, von deren Tod man einigen Vorteil zu haben glaubte. Vor dieser Regierung waren es die Männer, welche durch ihr Exempel und durch ihre Überredungen das Frauenzimmer in das Netz der Liebe zogen, sobald aber mittels der Verliebungen allerhand Staatsstreiche gespielt und die Geheimnisse des Staates damit[333] verknüpft wurden, so waren es die Weibspersonen, welche sich bei den Männern meldeten. Die Ehemänner ließen ihnen aus Gefälligkeit und aus Nutzen den Zügel schießen, andere hingegen, die die Veränderung liebten, fanden in dieser Freiheit ihr Vergnügen, weil sie solchergestalt statt einer Frau hundert haben konnten. Dies ist auf einer Seite das Gemälde eines Hofes, der allem Bösen ergeben gewesen ist.

Hier haben Sie das Gemälde von der andern Seite, daraus Sie werden erkennen können, daß er von der Göttlichkeit der katholischen, apostolischen und römischen Religion überzeugt gewesen. Niemals hat man die Ketzer mehr verfolgt, als die Calvinisten unter Franziskus I. und Heinrich II. sind verfolgt worden. Da das ihre Vermehrung nicht verhindern konnte, so wollte man ihre Zusammenkünfte doch nicht dulden und lieber das Reich in die unglücklichen Verheerungen eines Bürgerkrieges stürzen, als zugeben, daß in Frankreich eine neue Religion sein sollte. Was, sagte man, die Nachwelt sollte sagen, daß die Kirche in dem Erbreich des allerchristlichsten Königs ungestraft getrennt worden? Die Kirche, die seit dem König Clodoväus auf dem Thron gesessen? Diejenige Kirche, davon die Könige in Frankreich die erstgeborenen Söhne sind? Nein, man muß alle diejenigen ausrotten, welche die Kühnheit gehabt haben, dieselbe zu bestreiten. Man griff in der Tat zu den Waffen und schloß niemals mit den Rebellen einen Frieden, als damit man sich besser bereiten könnte, sie völlig zu stürzen; und wenn man sah, daß die offenbare Gewalt nichts vermochte, so bediente man sich der List, lockte ihre Häupter und ihren vornehmsten Adel unter dem schönsten Vorwand an den Hof und brachte sie daselbst erbärmlicherweise ums Leben. Man fuhr fort mit Metzeln und Schlachten, sosehr man konnte, bis daß endlich beide Parteien mehr müde als satt wurden, sich selbst aufzureiben, und da ein jeder an dem Sieg verzweifelte, so vertrugen sie sich, so gut sie konnten. Wäre der Hof von Frankreich atheistisch gesinnt gewesen, er würde sich niemals also aufgeführt haben.[334]

Allein, vielleicht waren diejenigen, welche an der Spitze dieser großen Religionseiferer standen, an der Unordnung in den Sitten, von der ich geredet habe, nicht schuld. Allerdings, und sie hatten daran den meisten Anteil, wie man solches sehen kann, wenn man der Spur des Herrn von Guise nachgeht. Und wenn man begreifen will, wie es möglich ist, daß ein Mensch zu gleicher Zeit ein starker Eiferer für seine Religion und sehr unmäßig sei, so darf man nur erwägen, daß bei den meisten Menschen die Liebe zur Religion ebensowohl ein Affekt ist, wie die andern menschlichen Leidenschaften es sind, welche man annimmt. Man irrt sehr, wenn man sich einbildet, daß alle Christen, welche einen Eifer für das Christentum zu haben scheinen, und alle Katholiken, welche andere Sekten hassen, diese Gemütsverfassung unmittelbar von Gott erhalten haben; denn nur die wahrhaften Diener Gottes können sich eines Eifers rühmen, den sie durch die Gnade des Heiligen Geistes erlangt haben. Die gottlosen Christen, welche für ihre Religion Eifer bezeugen, haben, eigentlich zu reden, nichts mehr als eine Halsstarrigkeit. Sie lieben ihre Religion, wie gewisse Leute ihren Adel oder ihr Vaterland lieben, oder sie setzen sich's vor, bei ihrer Religion zu bleiben, wie andere Leute die Hartnäckigkeit besitzen, die sie von den alten Gewohnheiten, sich zu kleiden oder zu verheiraten, durchaus nicht abgehen. Es gibt Leute, die sich lieber totschlagen ließen, als daß sie eine Neuerung in ihren alten Gewohnheiten zugeben sollten. Sie sind ebenso gesinnt, wenn man sie verhindern will, daß sie ihr Gebet in gewissen Kirchen nicht mit den von alten Zeiten eingeführten Zeremonien verrichten sollen. Der Herzog von Mompensier293, der alle Hugenotten, die er gefangen bekam, aufhängen und alle schönen Hugenottinnen, welche ihm in die Hände gerieten, durch einen seiner Offiziere schänden ließ, mag allem Ansehen nach diese schöne Leidenschaft sich in den Kopf gesetzt haben, denn er rühmte sich oft, daß er von dem heiligen Ludwig herstamme und daß er habe sagen hören, der heilige Ludwig habe die Feinde seiner Religion sogar bis in Afrika verfolgt gehabt.[335]

Große Herren bilden sich ihren Stamm und die Nachahmung ihrer Vorfahren so stark ein, daß dieses allein vermögend ist, einen Abscheu gegen die Abtrünnigen bei ihnen zu erwecken. Der Glaube also, daß die Religion, darin man erzogen worden, sehr gut sei, und das Begehen aller der Laster, welche sie verbietet, sind Sachen, die sich ungemein wohl vertragen, sowohl bei vornehmen Leuten als auch unter dem Pöbel.

Wenig Leute schweigen jetzt von dem Leben der Königin Margarethe, der Tochter der Katharina von Medici. Ich kann daher ohne Scheu sagen, daß sie ein herrliches Exempel dieser widersinnigen Vereinigung ist, von der ich geredet habe, nämlich zwischen einer Art der Gottesfurcht und der Gottlosigkeit. Hier haben sie von dem Herrn Mezerai eine Beschreibung ihres Lebens, wie sie es im Alter geführt:294 In der Vorstadt St-Germain, schreibt Herr von Mezerai, hielt sie die übrige Zeit ihres Lebens ihren kleinen Hofstaat und vermischte auf eine wunderliche Art die Wollüste der Frömmigkeit, die Liebe zu den freien Künsten mit der Liebe zur Eitelkeit, die christliche Liebe mit der Ungerechtigkeit. Denn wie sie sich eine Ehre daraus machte, öfters in die Kirche zu gehen, gelehrte Leute zu unterhalten und den Mönchen den Zehnten von ihren Einkünften zu geben, also schätzte sie sich's gleichfalls für eine Ehre, verliebten Umgang zu haben, neue Vergnügungen zu erfinden und niemals ihre Schulden zu bezahlen.


156. Eifer der großen Herren in Frankreich gegen die Protestanten

Der Beweis, den ich von dem Haß, welchen man gegen Trennungen hat, hernehme, kann auf unsere großen Herren bezogen werden. Denn sie tun ihr möglichstes, die Calvinisten nach dem neuerwählten Entwurf auszurotten. Sie tun ihr möglichstes, sage ich, ohne daß es scheint, als ob sie die geringste Begierde, christlicher zu leben, bei sich verspürten.[336] Diejenigen, welche Hugenotten auf ihren Gütern haben, suchen dieselben entweder gutwillig oder mit Gewalt zu bekehren. Die Kommandanten in den Festungen tun desgleichen in Ansehung der Bürger und Soldaten, über die sie zu gebieten haben. Die, die Calvinisten zu Bedienten haben, jagen sie entweder fort oder zwingen sie, ihren Glauben abzuschwören. Daraus erhellt, daß unsere großen Herren weder Gottesleugner noch Deisten sind, ihr Leben, das sie führen, mag sonst beschaffen sein, wie es will.

Ich folgere daher noch einmal, daß diejenigen, welche an der Göttlichkeit der christlichen Religion zweifeln und welche dasjenige, was ihnen von jenem Leben vorgesagt wird, für eine Fabel halten, in sehr geringer Anzahl anzutreffen sind, daß solchergestalt jene großen Unordnungen, deren Beschreibung uns der Pater Rapin gegeben, gar nicht aus dem Unglauben in diesen letzten Zeiten entspringt, sondern aus der Neigung zum Bösen, die sich in dem menschlichen Herzen befindet und zu deren Heilung ganz was anderes nötig ist als eine bloße Erkenntnis der Wahrheit des Evangeliums.


157. Sehr wichtiger Grund, die Notwendigkeit der Gnade zu erweisen

Wenn Sie hier dieses wohl erwägen, so versichere ich, mein Herr, Sie werden darin einen unumstößlichen Grund finden, daß wir die innerliche Wirkung des Heiligen Geistes vonnöten haben, wenn wir Gott lieben wollen. Denn alles dasjenige, was Menschen tun können, wenn sie uns unterrichten, ist nicht mehr als dieses, daß sie uns von der Wahrheit überzeugen. Nun können wir aber von der Wahrheit überzeugt sein und sie doch nicht lieben. Folglich sind es nicht Menschen, welche uns dahin bringen, daß wir die Wahrheiten des Evangeliums lieben, und daher ist es Gott, welcher die Ursache ist, daß wir dieselben lieben, indem er mit der Erleuchtung unseres Verstandes[337] eine gewisse Gemütsbeschaffenheit verknüpft, kraft deren wir mehr Vergnügen in der Ausübung der Tugend als in dem Begehen der Laster finden.


158. VII. Beweis, von dem öfteren Genuß des Abendmahls hergenommen

Bei Gelegenheit der Worte des P. Rapin: Niemals ist das Abendmahl öfter genossen worden und weniger Lebensänderung darauf erfolgt, erinnere ich mich des Buches von der öfteren Kommunion, in welchem Herr Arnaud eine sehr beredte Beschreibung von der Verderbnis der Menschen gegeben hat. Wem ist unbekannt, spricht er295, was die Laien vermöge der Kenntnis, die sie von der Welt haben, nur allzuwohl wissen, was die Beichtväter vermöge ihres Amtes noch mehr wissen und was die Prediger von den Kanzeln so laut erschallen lassen, um die Sünder zur Buße zu bewegen, daß alle wahren Kennzeichen des Christentums in den Sitten der Christen beinahe erloschen sind. Er beschreibt nachher die Sache umständlich und zeigt uns die Unreinigkeiten in den Ehebetten, die Verderbnis in den Familien, die Ausschweifungen in der Jugend, den Stolz unter den Reichen, die Pracht bei Leuten von allerhand Ständen, die Untreue im Handel, die Verfälschung der Waren, den Betrug bei den Handwerksleuten, die Schwelgerei bei dem geringsten Pöbel. Er sagt, daß die Hurerei in der Welt für einen geringen Fehler angesehen wird, der Ehebruch für gutes Glück, die Betrügerei für eine Hoftugend, Fluchen und Schwören für Zierate der Sprache, der Betrug und die Lügen für eine Handelswissenschaft, eine immerwährende Spielsucht für eine ehrbare Beschäftigung des Frauenzimmers, eine ehrbare Frauensperson für eine solche, die von einer tugendhaften ganz unterschieden ist, die verdeckte Simonie und Entheiligung der Kirchengüter für eine rechtmäßige Versorgung und endlich Räubereien und Wucher für Amtseinkünfte, für ordentliches Geldinteresse und für eine Erfindung, sich[338] zu bereichern, dabei heutzutage nur einfältige und unwissende Leute sich ein Gewissen machten. Er übergeht mit Stillschweigen die abscheulichen Laster, davon unsere Vorfahren nichts gewußt haben und die heutzutage außerordentlich eingerissen sind.

Man wird vielleicht denken, dieser geschickte Lehrer sei willens, den Unglauben der Menschen zu beweinen und zu sagen, daß sie in die Gottesverleugnung verfallen wären. Allein das sind seine Gedanken gar nicht, denn er gesteht aufrichtig, man habe die Leute niemals mehr beichten und zum Abendmahl gehen gesehen, man dränge sich recht zum Beichtstuhl, die Altäre seien mit Kommunikanten umringt, alle Pfarrkirchen und sonderlich die Klöster wären damit angefüllt. Aus dem Folgenden in seiner Schrift sieht man durchgängig, daß ebendieselben Personen, welche der Unordnungen, die er beschreibt, schuldig sind, sehr oft zur Beichte gehen und das heilige Abendmahl genießen, und er ist nicht der einzige, der diese Wahrheit zugibt.

Der Verfasser des Buches von der praktischen Moral der Jesuiten, indem er sich über die Willigkeit dieser guten Herren, die Sünden zu vergeben, beklagt, merkt an296, daß die allergottlosesten Leute sich gar nicht mehr vor der Beichte fürchten, sondern vielmehr ebenso willig zum Beichtstuhl wie zur Sünde laufen, und daß diejenigen Personen, welche die Jesuitenkirchen anfüllen297, nach genossener Mahlzeit die Wirtshäuser, die Kegelspiele und andere Orte der Vergnügungen bevölkern. Ein anderer Schriftsteller298, den man in dieser Sache nicht für verdächtig halten kann, weil es ein Jesuit ist, sagt bei der Schilderung der verdorbenen Sitten dieser Zeiten ausdrücklich, wie wir schon gesehen haben: Daß man niemals mehr das Abendmahl genossen habe und daß niemals weniger Lebensänderung erfolgt sei. Er rechnet zugleich unter die Wirkungen dieser allgemeinen Verderbnis jene Abwechslungen der Verirrungen und Rückkehr zu Gott, der Unordnung und Andacht, mit denen man die Sakramente genießt, jenen Aufschub des Lasters, der sich aber nur auf den Tag erstreckt, da man das Abendmahl[339] zu sich nimmt, jene Bekenntnisse ohne Reue, jene Reue ohne Besserung, jene Bekehrungen ohne Lebensänderung, die man häufig in der Welt zu sehen bekommt. Es ist daher wahr, daß es eine sehr große Anzahl Personen gibt, welche oft zur Beichte gehen und dennoch übel leben. Daraus fließt durch eine augenscheinlich notwendige Folgerung, daß die Christen auf eine abscheuliche Art leben, ob sie gleich glauben, nicht nur daß ein Gott ist, sondern auch, daß alle unsere Geheimnisse wahr sind. Denn wer zweifelt, daß nicht der meiste Teil derjenigen, welche so oft beichten und so oft zum Abendmahl gehen, es nicht deswegen tun sollten, damit sie Vergebung der Sünden erhalten möchten. Welches ein augenscheinlicher Beweis ist, daß sie der Lehre der Kirche völligen Glauben beimessen.


159. Bestätigung ebendieser Sache

Mit einem Wort: Man darf nur die Leichtgläubigkeit unseres Pöbels in Ansehung der Wunder betrachten, das Vertrauen, das er auf die Fürbitte der Heiligen setzt, seine Sorgfalt, Seelenmessen lesen zu lassen, den Eifer, sich in eine Ordensgesellschaft mit einzuschreiben und den Rosenkranz durch ein berühmtes Reliquienbehältnis berühren zu lassen, die entsetzliche Menge, die sich in den Kirchen einfindet, wenn völliger Ablaß ausgeteilt wird, die Willigkeit, mit der sie die nur kürzlich von Rom angekommenen Reliquien, z.B. des Ovid seine, ehrerbietig annehmen, ihren Abscheu vor den Hugenotten, man darf, sage ich, nur hunderterlei Sachen von der Art in Erwägung ziehen, wenn man überzeugt sein will, daß es der Fehler der Christen nicht ist, keinen Glauben zu haben. Schwerlich, spricht Augustinus299, wird man einen Menschen finden, der auch nur in dem Innersten seines Herzens sagen sollte: Es ist kein Gott. Diese Gattung von Leuten ist sehr seltsam, und, wenn dieses diejenigen sind, welche man ertragen soll, so wird man kaum einige Gegenstände der Geduld antreffen.[340]

Was kann man von denjenigen, welche sich zu gelinden Beichtvätern halten, anderes sagen, als daß sie von unseren Geheimnissen völlig überzeugt sind, übrigens aber dem Bösen so ergeben sind, daß, damit sie sich mit desto größerer Freiheit hineinstürzen könnten, sie sich aller Hilfsmittel bedienen, welche ihnen schlimme Kasuisten an die Hand geben.

Wenn man etwas in der Moral demonstrieren kann, so zweifle ich nicht, daß ich nicht sollte unumstößlich dargetan haben, daß es falsch ist, wenn man glaubt, daß Christen, welche sich in alle Arten der Laster stürzen, nicht von der Wahrheit ihrer Religion überzeugt sein sollten. Daraus folgere ich, daß die Quelle der Unordnung in den Sitten nicht der Unglaube sein kann. Es ist ganz was anderes.


160. Daß diejenigen, welche die Verderbnis der Sitten dem geschwächten Glauben zuschreiben, das Verbrechen verkleinern, anstatt daß sie es schrecklicher machen sollten

Ein seichter Kopf, wenn er mich sollte schließen hören, wie ich hier schließe, würde unfehlbar glauben, als ob ich den Sündern zu Gefallen eine Schutzschrift aufsetzte; ein durchdringender Verstand aber wird augenscheinlich einsehen, daß ich ganz das Gegenteil tue. Denn da ich zu erweisen suche, daß die Menschen sehr gottlos leben, ob sie gleich die evangelischen Wahrheiten glauben, so muß ich ihnen notwendig eine schändlichere Gottlosigkeit zuschreiben, als sie sein würde, wenn sie diese Überzeugung nicht hätten. Es ist ein Grundsatz, den man durchgängig annimmt, daß, je größer die Einsicht ist, bei der man sündigt, desto größer ist das Verbrechen. Nun sind meiner Meinung nach die Sünder von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt, folglich sind sie nach meiner Meinung strafbarer als nach des P. Rapin seiner, der sich einbildet, daß alle ihre Verbrechen aus einem Mangel des Glaubens[341] entspringen. Es ist ausgemacht, daß die Bosheit einer Handlung geringer ist, wenn die Einsicht desjenigen, der sie begeht, nicht groß ist; es wäre denn, daß er selbst an seiner Unwissenheit schuld wäre, da er sein Erkennen mutwilligerweise unterdrückt, damit er desto freier sündigen könne. Da nun aber niemand außer Gott wissen kann, wer diejenigen sind, die sich aus bloßer Bosheit selbst unwissend gemacht haben, so würden wir sehr verwegen handeln, wenn wir sagen wollten, diejenigen, welche sündigen, weil sie fast keinen Glauben mehr haben, wären gottloser als andere. Allein von denjenigen, die bei einer völligen Überzeugung von der Wahrheit des Evangeliums sündigen, kann man es sehr wohl behaupten, ohne ein verwegenes Urteil zu fällen, und folglich vergrößern diejenigen, die es mit den Sätzen halten, die ich oben vorausgesetzt habe, das Verbrechen der Sünder. Weit gefehlt, daß sie es vermindern sollten.

Denn wollte man sagen, nur die Bosheit des Herzens verdunkle die Klarheit der evangelischen Wahrheiten, so würde man sich zum Richter in einer Sache aufwerfen, welche über unsere Erkenntnis geht. Denn nur Gott allein sieht mit Gewißheit, was in dem Herzen eines Menschen vorgeht und wie sich die Gegenstände zu der Beschaffenheit des Verstandes verhalten. Wir erfahren täglich in Dingen, die bloß auf Betrachtungen hinauslaufen, daß einerlei Gründe einigen unumstößlich, anderen wahrscheinlich und dem dritten nichtig vorkommen. Wie oft geschieht es nicht, daß wir in einer Rede vor Gericht, daran wir gar keinen Anteil nehmen, von etwas gerührt werden, welches doch das Gründlichste darin nicht ist. Wie oft geschieht es nicht, daß die Einwürfe uns stärker rühren als die Beantwortungen, obgleich diese an und für sich selbst besser sind als jene und es uns zu unserer Glückseligkeit gleichviel ist, sie mögen besser sein oder nicht. Es wäre daher lächerlich, wenn man behaupten wollte, daß allemal, wenn man einen Grund dem anderen vorzieht, man es deswegen täte, um der Begierde, Gott zu beleidigen, nicht hinderlich zu sein. Da nun dieses nicht kann[342] behauptet werden, so kann man auch vernünftigerweise nicht sagen, daß alle diejenigen, welche unsere Geheimnisse in Zweifel ziehen, es deswegen tun, weil sie wünschen, daß das Evangelium nicht wahr sein möchte. Es ist sehr wohl möglich, daß die Entfernung von den Zeiten, da das Evangelium durch eine Menge von Wundern bestätigt worden ist, daß die ungeheure Verderbnis der Sitten, welche seit tausend Jahren das ganze Christentum überschwemmt hat, daß die unzähligen Sekten, darein es sich verteilt hat, davon jede alle anderen verdammt, darunter verschiedene sehr gelehrt und sehr spitzfindig gegen die anderen schreiben; es ist sehr wohl möglich, sage ich, daß alles dieses gewissen Geistern wie eine Wolke vor Augen schwebt, dadurch sie die Göttlichkeit des Evangeliums nicht klar erkennen können, ohne daß sie durch ihre Neigung zum Bösen etwas dazu beitragen sollten. Dem sei, wie ihm wolle, ich glaube, daß man in dem, was ich gesagt habe, seine Rechnung finden wird, man mag entweder Belieben haben, die Verderbnis des Menschen zu vergrößern oder ihm Lobsprüche zu geben. Denn indem ich sage, daß er seinen verderblichen Leidenschaften zum Verdruß dennoch die kostbare Beilage des Glaubens gesund und Völlig behält, so gebe ich ihm einiges Lob; aber eben daraus erhellt, daß seine Bosheit ungemein groß sein muß, weil das Licht des Glaubens nicht vermögend ist, dieselbe zu bessern.

Es ist mehr daran gelegen, als man denkt, wenn man dem Menschen begreiflich macht, wie weit sein Verderben geht, und wenn man insonderheit die widersinnige Unordnung, darein er sich gestürzt hat, ihm vor Augen stellt, vermöge welcher er beständig gegen seine Einsicht und gegen die Befehle der Religion handelt, die er doch glaubt, von Gott erhalten zu haben; daran, sage ich, ist sehr viel gelegen. Denn wenn man achtgibt, daß sonst alle Dinge in der Welt gewissen mechanischen Gesetzen unterworfen sind, die ordentlicherweise beobachtet werden und die unserem Bedünken nach mit dem Begriff, den wir von der Ordnung haben, sehr genau übereinkommen, so wird[343] man notwendigerweise daraus folgern müssen, daß etwas in dem Menschen anzutreffen sei, das nicht körperlich ist. Denn wäre der Mensch nur körperlich, so würde er notwendig der so weisen und ordentlichen Mechanik unterworfen sein, welche in dem ganzen Weltgebäude herrscht, und er würde dem Begriff, den wir von der Ordnung haben, nicht so entgegen handeln. Es ist daher eine Seele in dem Menschen, welches eine von dem Körper unterschiedene Substanz ist und die vollkommener ist als der Körper, weil der Mensch durch sie vernünftig wird. Wie kann man sich aber einbilden, daß alle Körper der Ordnung unterworfen sind, und nicht zugleich glauben, daß vollkommenere Substanzen, als der Leib ist, derselben nicht auch unterworfen sein sollten? Wenn die Welt ein Werk eines blinden Zufalls ist, warum folgt sie denn gewissen beständigen Gesetzen? Man kann nichts Taugliches darauf antworten. Man muß daher wenigstens so viel sagen: Die Natur der Dinge habe gewollt, daß die Welt durch gute Gesetze erhalten würde. Hat sie es aber in Ansehung des Leibes gewollt, warum hat sie nicht auch gewollt, daß die Seele des Menschen der Ordnung unterworfen wäre? Auch darauf kann man nichts Taugliches antworten. Man muß daher sagen: Die Seele des Menschen wäre sowohl durch ein unendlich gütiges Wesen in der Ordnung erschaffen worden wie alle übrigen Dinge, und befindet sie sich nicht mehr darin, so ist sie deswegen in Unordnung verfallen, weil sie ihre Freiheit mißbraucht hat. Je mehr man die Verderbnis des Menschen erweist, desto mehr verbindet man die Vernunft, dasjenige für wahr zu halten, was uns Gott von dem Fall Adams offenbart hat. Solchergestalt ist es der Religion zuträglicher, als man meint, wenn man beweist, die Bosheit der Menschen sei so groß, daß nur eine ganz besondere Gnade des Heiligen Geistes dieselbe bessern könne, und ohne diese Gnade sei es in Ansehung der Sitten gleich, man möge ein Gottesleugner sein oder alle Kirchensätze der Konzilien für wahr annehmen. Und daher werden Sie, mein Herr, nicht leicht einen sogenannten starken Geist antreffen, der die[344] Verderbnis des Menschen zugeben sollte. Nächstens sollen Sie meine Mutmaßungen über die Sitten einer Gesellschaft von Atheisten erhalten.

A..., den 29. Juli 1691


161. Mutmaßungen von den Sitten einer Gesellschaft, die etwa ohne Religion wäre

Nachdem ich alle diese Anmerkungen gemacht habe, kann ich meine Mutmaßungen, eine atheistische Gesellschaft betreffend, leicht wissen lassen. Meinem Bedünken nach würde sie in Ansehung der Sitten und bürgerlichen Handlungen einer Gesellschaft von Hei den ganz ähnlich sein. Es ist wahr, für die Verbrecher würde man darin sehr scharfe Gesetze haben und sie zur Bestrafung derselben streng beobachten müssen. Allein, ist das nicht durchgängig nötig? Und würden wir es wohl wagen, aus unseren Häusern zu gehen, wenn der Diebstahl, der Totschlag und andere Gewalttätigkeiten durch königliche Gesetze erlaubt würden? Ist es nicht einzig und allein die neue Kraft, welche der König den Gesetzen verliehen, um die Verwegenheit der Spitzbuben zu unterdrücken, welche uns den Tag und die Nacht über auf den Gassen zu Paris vor ihren Überfällen sichert? Würden wir außerdem nicht ebensowohl wie unter den andern Regierungen den Gewalttätigkeiten ausgesetzt sein, obgleich die Prediger und Beichtväter ihrer Pflicht jetzt besser nachkommen, als sonst geschah? Wieviel Totschläge und Plünderungen geschehen nicht, ungeachtet der Räder und des obrigkeitlichen Eifers und der Wachsamkeit der Unterrichter, selbst an den Orten und zu der Zeit, wenn man die Verbrecher zur Strafe führt. Man kann, ohne einen prahlerischen Redner abzugeben, behaupten, daß die menschliche Gerechtigkeit die Tugend bei dem größten Teil der Welt verursacht, denn sobald sie einer Sünde den Zügel schießen läßt, so sind wenig Leute, die sich davor in acht nehmen sollten.
[345]


162. Daß die menschlichen Gesetze die Tugend bei unzähligen Personen verursachen. Die Unkeuschheit ist ein Exempel davon

Dieses erhellt aus dem Exempel der Unkeuschheit. Alle Christen geben es zu, sie sei durch ein göttliches Gesetz verboten worden. Die Kirche predigt ebendasselbe unaufhörlich. Bei dem allen weiß ich nicht, ob unter Hunderten einer anzutreffen ist, der davon rein ist. Warum? Weil die weltliche Gerechtigkeit darin niemand beunruhigt. Was das Frauenzimmer betrifft, so ist es wahr, es enthalten sich ihrer mehrere von diesem Übel, allein nicht deswegen, weil sie von Natur größere Heiligkeit besitzen als die Mannspersonen oder weil die Liebe zu Gott ihnen mehr Kräfte verschafft, der Versuchung zu widerstehen. Weswegen denn? Weil sie durch das strenge Gesetz der Ehre zurückgehalten werden und weil sie sich dem Schimpf aussetzen würden, wenn sie der natürlichen Neigung unterliegen wollten. Es ist gewiß, hätten die Menschen die Ehre und den Ruhm des Frauenzimmers nicht mit der Keuschheit verknüpft, das Frauenzimmer würde, überhaupt zu reden, den Sünden des Fleisches so stark ergeben sein wie die Mannspersonen, und es ist sogar zu vermuten, daß sie noch weit geneigter dazu sein würden, weil es sehr wahrscheinlich ist, daß diese Leidenschaft bei dem Frauenzimmer heftiger ist als bei den Mannspersonen.


163. Die Mannspersonen sind in Ansehung der Ehre empfindlicher als die Weibspersonen

In der Tat, wenn ein keusches Leben einer Mannsperson so große Ehre brächte, wie dasselbe dem Frauenzimmer bringt, so würden allem Ansehen nach ebensowenig Edelleute verbotene Orte besuchen, wie man deren findet, welche den von ihrem General ihnen anvertrauten Posten verlassen. Man sieht sehr wenig Edelleute, die das letztere tun, sehr wenige, welche nicht, in der Absicht, Ruhm zu[346] erlangen, den Tod verachten und der größten Gefahr Trotz bieten sollten. Es ist so lange eben nicht, da man in ganz Frankreich nicht einen Edelmann gefunden, der sich nicht des geringsten Schimpfes halber, den man seiner Ehre angetan, mit jemanden in einen Zweikampf hätte einlassen sollen, dabei er nicht nur offenbar Gefahr lief, im Zweikampf zu bleiben, sondern auch dem Henker in die Hände zu geraten. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß, wenn die Keuschheit für die Mannspersonen den Weg zur Ehre, die Unkeuschheit aber der Weg zur Schande wäre, es ebenso was Seltsames sein würde, daß ein Edelmann ein ärgerliches Liebesverhältnis einginge, wie es was Ungewöhnliches ist, wenn man einen seiner niederträchtigen Aufführung halber außer Stand setzt, im Krieg dienen zu können. Indessen ist es doch gewiß, daß ungleich mehr Weibspersonen aus vornehmen Familien durch ihre Unmäßigkeit ihre Ehre einbüßen, als es Edelleute gibt, die durch ihre niederträchtige Aufführung den Adel verlieren. Folglich ist zu vermuten, daß, wenn die Weibspersonen die Begierden ihrer Natur erfüllen könnten, ohne ihre Ehre aufs Spiel zu setzen, sie in einem liederlichen Leben es höher treiben würden als die Mannspersonen, und daß diese die sündigen Lüste besser überwinden würden, als es bei dem Frauenzimmer geschieht, wenn ihre Ehre auf diesem Sieg beruhte. Sagen Sie, wo es Ihnen gefällt, es käme daher, weil die Weibspersonen nicht so viel Gewalt über ihre Leidenschaften haben wie die Männer und die Furcht vor der Verachtung bei Mannspersonen einen stärkeren Eindruck macht als bei dem Frauenzimmer, beweisen Sie es daher, weil es nicht so viele Weibspersonen gibt, welche die Begierde, sich zu vergnügen, durch die Furcht, sich zu entehren, überwinden, wie man Mannspersonen antrifft, welche die Furcht vor dem Tod, die allerheftigste unter allen Leidenschaften, durch die Scheu vor Schimpf und Schande dämpfen, oder sagen Sie, die Natur habe dem Frauenzimmer ein Temperament gegeben, das darin weniger zu zähmen sei als der Mannspersonen ihres; mir liegt wenig daran. Man wird allemal[347] mit Wahrheit sagen können, der Grund, warum die Weibspersonen sich ungleich mehr von dem Laster der Unkeuschheit enthalten, sei dieser, weil die Mannspersonen die Ehre des Frauenzimmers mit der Keuschheit verknüpft haben, und hingegen die Männer bei dieser Tugend so wenig Ehre erlangen, daß, wer sich damit in der Welt groß machen wollte, sich zum Gelächter machen würde.


164. Welches gewöhnlichermaßen die wahren Ursachen der Keuschheit des Frauenzimmers sind

Sie dürfen sich indessen nicht einbilden, daß meiner Meinung nach kein einziges Frauenzimmer anzutreffen sei, welches nicht ihre Tugend von der Furcht der Schände entlehnen sollte. Davor behüte mich Gott, daß ich solche Urteile abfassen sollte, welche der Gnade des Heiligen Geistes so nachteilig wären. Ich habe bereits bezeugt, und ich bezeuge es noch einmal, daß ich von der allgemeinen Regel eine gute Anzahl Personen ausnehme, welche sich durch den wahrhaften Geist der christlichen Religion leiten lassen und welche Gott von der gemeinsten Seuche verwahrt, wie aus dem göttlichen Ausspruch erhellt:300 Ich habe mir übriggelassen siebentausend Mann, welche ihre Knie nicht vor Baal gebeugt haben. Nach dieser getanen Erklärung aber sehe ich nicht, wie man es mir übelnehmen könnte, wenn ich die meisten menschlichen Tugenden und hauptsächlich die Keuschheit des Frauenzimmers für falsch und verdächtig halte. Wenn diejenigen, welche ihrer Pflicht darin nachgekommen sind, sich mit aller Schärfe untersuchen, so werden sie finden, daß die Furcht vor dem: Was wird man dazu sagen?, dazu mehr beigetragen hat als alles anderes. Und wieviel gibt es nicht deren, welche das Original zu der Amaryllis des Pastor Fido abgeben und die insgeheim in ihrem Herzen oder bei einer verliebten Zusammenkunft sagen:


[348] Das Wild, so hier mein Mund mehr als glücklich heißt,

Lebt außer dieser Pein.

Es hat sonst kein Gebot im Lieben als das Lieben:

Hergegen stellt bei uns sich schärfre Satzung ein;

Dieweil der Tod der Liebe Straf ist blieben.

Was aber? Diese Lieb ist schlecht und gar geringe,

Die für das Geliebte sich weigert zu sterben.

Ach Myrtillo, wollte Gott,

Es wäre nichts als nur der Tod,

Durch den die Verliebten müssen verderben.

Du heilig Ehre du, du reinstes aller Dinge,

Dir sei der heiße Trieb im Lieben

Durch deiner Schärfe Stahl geschlacht

Als ein unbeflecktes Wesen itzt zum Opfer hingebracht.

Hoffmannswaldau


Sie sehen wohl, daß das Gesetz, welches die Liebe mit dem Tod bestraft, die verliebten Herzen nicht so sehr zum Murren bewegt und daß man sich nur vor der Züchtigung des gemeinen Rufes fürchtet. Man bildet sich ein, Gott vergebe alles und die Menschen vergeben nichts, und daß also alles nur darauf ankomme, den Schein zu vermeiden, welches aber so leicht nicht angeht. Man sagt auch, daß diejenigen, welche sichere Hoffnungen haben, dem Urteil der Menschen zu entgehen, so gar viele Umstände nicht machen. Fügen Sie noch hinzu das bekannte Casta est, quam nemo rogavit; Die ist keusch, bei der sich keiner gemeldet hat; eine gewisse Schamhaftigkeit, welche von der Erziehung herrührt und oft die Allerverliebtesten verhindert, nur im geringsten sich was merken zu lassen; die Begierde, das Vergnügen größer zu machen und die Neigung eines Liebhabers durch die Schwierigkeit zu erhitzen, dadurch er aber zuweilen verdrießlich gemacht wird; die Liebe zu einem guten Namen; die Begierde, bei denjenigen, welchen man Widerstand leistet, Hochachtung zu erlangen;[349] die Hoffnung, dadurch zu einem Mann zu gelangen; ein gewisser301 edler Ehrgeiz, der nicht zuläßt, daß man jemals sich entschließe zu ertragen, daß jemand in der Welt ein Zeuge von unserer Schwachheit sei; die unangenehmen Bezeigungen derjenigen, die sie zur Liebe reizen; die ungelegene Zeit, da sie dieses tun; ihre Unbescheidenheit; wenn Sie alles dieses zusammennehmen, so werden Sie die wahrhafte Quelle der Enthaltsamkeit des Frauenzimmers entdecken, ohne die Eindrücke der Religion mit zu Hilfe zu nehmen.


165. Was für Nachteil die Unkeuschheit, die unter den Christen herrscht, der christlichen Religion bringt

Bei der Anmerkung, die ich hier von dem großen Umfang, den die Unkeuschheit unter den Christen hat, gemacht habe, erinnere ich mich, in der Nachricht des Herrn Ricaut302 gelesen zu haben, daß die Türken jetzt ihr Gelächter damit haben, wenn wir ihnen von der Strengigkeit der christlichen Religion was vorsagen, vermöge welcher es uns verboten ist, mehr als eine Frau zu heiraten, und mit einer anderen, sie mag sein, wer sie wolle, außer ihr zu tun zu haben. Es ist wahr, setzt er hinzu, zu unserer Schande müssen wir gestehen, daß die Unordnung unserer Sitten und Aufführung diesen Ungläubigen Gelegenheit genug gibt, ihr Gespött mit uns zu treiben und uns vorzuwerfen, unser Leben hebe unsere Lehre auf. Sie müssen sich ärgern, wenn sie sehen, daß es nicht nur unter uns unzählige Personen gibt, welche diese heiligen Regeln des Christentums durch ein unkeusches und verfluchtes Leben verletzen, sondern daß sich auch Gesetze und Freibriefe finden, welche die Hurerei bestätigen. Sie beweisen dies durch die Hurenhäuser in Italien. Sie wissen, daß die Unkeuschheit für eine Art des Handels und als ein Gewerbe zu Venedig und Neapel gehalten wird, daß die liederlichen Weibspersonen, die Kurtisanen, wie sie zu Rom, und die Cantoneras, wie sie in Spanien heißen, als[350] Glieder von dem Staatskörper angesehen werden, und daß man sie mit Steuern und Zoll belegt. Sie begreifen gar nicht, auf was für Gründen diese Politik beruhen müsse und was die Italiener zur Verteidigung dieser Gewohnheit vorbringen können. Der Autor hätte seine Redlichkeit ein wenig höher treiben und aufrichtig gestehen sollen, daß die Spanier und Italiener nicht allein zu tadeln sind, denn man nehme die Steuern und den Zoll aus, sonst haben die Huren in London den Huren in Spanien und Italien nichts vorzuwerfen, weder was ihre Anzahl noch ihre Frechheit, noch den ruhigen Zustand betrifft, dessen sie, ohne Strafe zu besorgen, genießen können. Eine Beschreibung des Herrn von St. Didier würde uns dasselbe sehr geschickt berichten können, und Herr Ricaut hätte seine Nation nicht schonen sollen, da er die Ehre der anderen den Spöttereien der Ungläubigen in so wohlfeilem Preis überläßt.

Übrigens aber gibt mir der Grund, den die Türken, wie er sagt, nicht begreifen können, einen starken Beweis an die Hand. Man weiß, daß die Ursache, warum sie die öffentlichen Hurenhäuser dulden, diese ist, damit sie ein größeres Übel, das ist eine Art Unreinigkeit, die noch schändlicher ist, vermeiden und dem ehrbaren Frauenzimmer Sicherheit verschaffen möchten. Da vor 254 Jahren Venedig ohne Huren war, sah sich die Republik genötigt, deren eine große Anzahl aus fremden Ländern zu verschreiben. Doglioni, welcher die Merkwürdigkeiten von Venedig beschrieben hat, rühmt darin die Weisheit der Republik ungemein, weil sie durch dieses Mittel ehrbaren Frauenspersonen Sicherheit zu verschaffen gewußt, welchen man vordem alle Tage öffentlich Gewalt antat, sogar, daß auch die heiligsten Orte nicht eine sichere Freistatt waren, wo die Keuschheit nichts zu befürchten gehabt hätte. Es ist eine Zeit gewesen, da man den Priestern und Mönchen in Deutschland mittels eines gewissen jährlichen Tributs, den sie ihrem Prälaten zahlten, Beischläferinnen zu halten erlaubt hat. Man glaubt gemeiniglich, daß nur der Geiz an dieser schändlichen Duldung schuld[351] gewesen, allein es ist wahrscheinlicher, daß man dadurch verhüten wollen, daß die Keuschheit ehrbarer Weiber nicht allzusehr verführt würde. Es kann auch sein, daß man die Unruhe der Männer dadurch zu stillen gesucht hat, weil es nicht gut ist, wenn die Geistlichkeit sich deren Rache zuzieht. Ich sage, dieses gibt mir einen sehr starken Beweis an die Hand. Denn es erhellt daraus augenscheinlich, daß ich mit Grund behauptet, daß die Religion nicht ein Zaum ist, der unsere Leidenschaften genugsam bändigen könnte. Da sieht man's, daß die christliche Religion so wenig vermögend gewesen, die Unkeuschheit zu mäßigen, daß man sich gezwungen gesehen hat, ihr ein Teil Weibspersonen aufzuopfern, um das andere Teil zu retten und ein größeres Übel zu verhüten, das demungeachtet dennoch sehr allgemein geworden ist. Hier bemerke ich im Vorbeigehen: Die Menschen sind schon so stark überzeugt, daß die allerfeierlichsten Eidschwüre nicht ein so starker Riegel sind, der die Herrschsucht der Fürsten aufhalten sollte, daß, ob sie gleich dieselben das Halten der Friedensschlüsse mit großer Behutsamkeit beschwören lassen, man doch immer voller Unruhe ist, wenn man erfährt, daß der Nachbar Truppen ins Feld rücken läßt. Wir sehen davon täglich verschiedene Exempel. Da nun die Religion nicht vermögend ist, die natürliche Neigung zu überwinden, so muß ein anderer Beweggrund von der Keuschheit der Weibspersonen und der guten Eigenschaften der Mannspersonen dasein als das Gewissen.


166. Kennzeichen, daran man ersehen kann, ob man etwas aus Liebe zu Gott tut

Sagen Sie mir einmal, ich bitte Sie, kann eine Frau, die sich mit anderen nicht gemein macht und die doch ihren Mann mit Gift hinrichtet, sich rühmen, sie habe deswegen mit anderen Männern nichts zu tun, weil sie Gott gehorchen wolle? Es ist augenscheinlich wahr, daß sie von ihrem eigenen Herzen würde betrogen werden, wenn sie sich[352] einbildete, sie könnte aus Liebe zu Gott eine gute Handlung unternehmen, mittlerweile daß sie geschickt ist, ihren Mann zu vergiften. Denn hätte die Liebe Gottes einiges Vermögen über sie, wie könnte sie sich entschließen, einen so schändlichen Totschlag zu begehen? Und da sie sich dazu entschließen kann, ohne sich mit jemandem verbotenerweise gemein zu machen, müssen nicht notwendig besondere Betrachtungen dasein, die sie zwar von der Unzucht abwenden, hingegen aber von der Vergiftung ihres Mannes sie nicht abziehen können? Ist es nicht wahr, sie würde sich ebensowohl zu allen andern Lastern wie zu diesem entschließen, wenn sie durch ähnliche Leidenschaften dazu angetrieben würde und In der Ausübung derselben sich nicht Umstände fänden, welche sie vielmehr zurückhalten? Daß sie also ein Verbrechen viel mehr begeht als ein anderes, das kommt einzig und allein daher, weil sie das eine tun kann, ohne in Schimpf zu geraten, das andere aber nicht begehen kann, ohne sich die übrige Zeit des Lebens zu verunehren. Ihre Religion ist daher gar nicht Ursache, daß sie sich keusch aufführt. Wenn die Mannspersonen sich nach dieser Regel untersuchen, so werden sie finden, daß sie fast nichts aus Liebe zu Gott tun und daß, wenn sie Almosen austeilen, während sie einen verbotenen Umgang mit einer Frau unterhalten, solches entweder deswegen geschieht, weil es ihnen nicht schwer ankommt, von ihrem Vermögen was wegzugeben, oder weil ihr Temperament sie beim Erblicken eines Armen weichherzig macht oder weil sie den Ruhm haben wollen, daß sie gegen Dürftige freigebig sind, oder weil sie dadurch das Recht, ungestraft zu sündigen, erkaufen wollen.

Wie sehr betrügt man sich, wenn man denkt, man tue alles, was man etwa Lobenswürdiges unternimmt, aus Liebe zu Gott. Warum enthält man sich nicht solcher Dinge, welche uns am liebsten sind, sobald man wahrnimmt, daß es von Gott verbotene Dinge sind? Ein Mensch, der das Frauenzimmer liebt und der seine Neigung so oft befriedigt, wie es ihm nur möglich ist, der aber außerdem so mäßig lebt, daß ihm nichts verdrießlicher[353] vorkommt, als wenn er seine Ordnung im Essen und Trinken unterbrechen muß, der niemals Wein ohne Wasser trinken kann, ohne sich heftige Kopfschmerzen zuzuziehen, der überdies so feige ist, daß er nicht einmal weiß, wie ein Degen oder Pistol aussieht, würde es einem solchen nicht ungemein gut sein, wenn er sich bei Gott ein Verdienst daraus machen wollte, daß er sich nicht vollsäuft noch einen Straßenräuber abgibt? Er entsage der Unkeuschheit, der er so ergeben ist, er tue sich diese Gewalt deswegen an, weil es Gott geboten hat, und alsdann wird man alles dasjenige, was an ihm lobenswert ist, für gut ansehen, außerdem wird man glauben dürfen, sein Abscheu vor der Trunkenheit und dem Straßenraub sei eine Tugend, daran der Glaube keinen Anteil hat und die er völlig behalten würde, wenn er auch dem Christentum absagen wollte.

Indessen sind die Umstände ehrbarer Leute meistens so beschaffen: Sie haben eine Leidenschaft, die sie lieben, die sie mit allem Fleiß nähren und in Ansehung deren sie sich keine Gewalt antun, das übrige bleibt in seiner guten Ordnung. Sie rühmen sich dessen und denken, daß sie dadurch Gott viel aufopfern. Blinde Menschen! Könntet ihr Gott viel aufopfern, so müßtet ihr bei derjenigen Leidenschaft, die ihr liebt, den Anfang machen. Das ist kein großes Opfer, wenn man solcher Leidenschaften sich enthält, zu denen man vermöge seines Temperaments kein Belieben trägt.


167. Welches die wahre Ursache ist, warum eine Sünde gewöhnlicher ist als die andere

Ich weiß nicht, ob alle Menschen einerlei Gedanken mit mir gehabt haben, wenn sie gesehen, daß es Sünden gibt, die gewöhnlicher sind als andere. Ich zweifle sehr daran, denn allem Ansehen nach bilden sich viele Leute ein, es komme daher, weil es Sünden gibt, die so gering und so klein zu sein scheinen, daß man sie fast für nichts rechnet,[354] wenn sie mit himmelschreienden Sünden verglichen werden. Ich meines Orts gebe das nicht für die Ursache davon an, und ich glaube vielmehr, es kommt daher, weil bei gewissen Sünden überhaupt ein größeres Vergnügen anzutreffen ist als bei anderen und das da weniger kostet. Denn in der Tat, das Vergnügen ist sozusagen die Spannader aller menschlichen Handlungen. Und es ist gewiß, man mag sagen, was man will, die Liebe zur Freude ist bei dem Menschen stärker als der Haß des Schmerzes, und er wird durch ein Gut mehr gerührt als durch ein Übel. Man trägt kein Bedenken, Verdruß und Schmerzen auf sich zu laden, wenn man nur vorher ein Vergnügen genossen hat, noch Kummer und Verdruß auszustehen, wenn man nur Vergnügen zu hoffen hat. Dieses erhellt aus dem Exempel so vieler junger Mädchen, bei welchen die Gewalt des gegenwärtigen Vergnügens alles andere überwiegt, daß sie Sachen vornehmen, von denen sie wohl wissen, was für eine Reihe von Verdrießlichkeiten sie nach sich ziehen. Es erhellt ferner aus dem Exempel so vieler Leute, die wohl tausendmal erfahren haben, daß der Genuß gewisser Speisen und das allzu viele Trinken ihnen erschreckliche Schmerzen verursacht hat, und die dennoch ihren Appetit darin stillen, sobald sie Gelegenheit dazu finden. Es gibt Korsen303, die, wenn sie sind beleidigt worden, ganze vierzehn Tage in einem Gebüsch stecken und ihren Feind erwarten und unterdessen sich daselbst mit Wurzeln, die sie fressen, ganz gerne befriedigen, wenn sie nur das Vergnügen haben, daß ihnen das Auflauern gelingt. Die Stärke des Vergnügens muß wohl sehr groß sein, weil man zu Rom bei der so geringen Anzahl der vestalischen Jungfrauen die Todesstrafe derjenigen, die sich übel aufgeführt haben, so oft zu sehen bekam. Eine Todesstrafe, die so grausam, so schimpflich, so traurig und mit so vielen Vermaledeiungen verknüpft war, daß man nichts Geschickteres hätte erfinden können, die Reize der Unkeuschheit im Zaume zu halten.

Wenn Sie bei sogestalten Sachen fragen, warum die Unkeuschheit ein ungleich gewöhnlicheres Laster ist als der[355] Totschlag, so gebe ich zur Antwort, daß es nicht deswegen geschieht, weil man weiß, daß der Totschlag ein entsetzlicheres Verbrechen ist, sondern weil ungleich mehr Leute größeres Belieben zur Unkeuschheit als zum Totschlag haben. Ich gebe zu, die weltliche Strafe, die gegen die Mörder eingeführt worden ist, trägt viel zu diesem Unterschied bei, davon wir hier reden, aber man wird mir auch nach reiflicher Überlegung zugestehen müssen, daß die von mir angeführte Ursache noch mehr dazu beiträgt.


168. Gedanken über die Gewohnheit zu lügen und übel nachzureden

Wollen Sie erlauben, daß ich noch von einem gewöhnlicheren Laster, als die Unkeuschheit ist, nämlich von der üblen Nachrede und von dem Lügen reden darf? Ist es nicht an dem, daß die Hauptursache, warum diese Laster so sehr im Schwange gehen, diese ist, weil sie eine unerschöpfliche Welle von Vergnügungen sind? Es sind dieses Laster, welche unserer Eitelkeit, unserem Neid, unserem Geiz und unserem Haß ungemein schmeicheln, und folglich müssen sie uns sehr angenehm sein. Die Kaufleute und Handwerksleute kriegen immer etwas mehr, weil sie so wacker lügen und schwören, eine gewisse Sache sei von dem und dem Wert; das Lügen ist ihnen daher ein beständiges Vergnügen, und also lügen sie in alle Ewigkeit fort. Diejenigen, welche aus Prahlerei lügen, finden darin ebenfalls ein großes Vergnügen, denn sie bilden sich ein, man würde sie auf ihr Wort für Leute halten, die was in der Welt zu bedeuten hätten. Diejenigen, welche lügen, um anderen zu schmeicheln, finden dabei ebenfalls viel Annehmlichkeit; sie erwerben sich Freunde damit, die ihnen ihre Lobsprüche manchmal mit barem Geld bezahlen oder die ihnen bei Gelegenheit Dienste erweisen oder die ihnen wenigstens Lobsprüche gegen Lobsprüche auszahlen. Gerät es ihnen hier nicht, wie sie wünschen, so haben sie doch eine heimliche Freude, wenn sie die Leichtgläubigkeit[356] derjenigen, welche sie loben, sehen und dadurch ihrem Unwillen entgehen; denn es gibt Leute, die es denjenigen nimmermehr vergeben, welche den Weihrauch in Ansehung ihrer sparen. Was diejenigen betrifft, welche anderen Übles nachreden, so haben sie das Vergnügen, die Ehre ihres Nächsten, den sie beneiden, zu vermindern und, soviel es an ihnen ist, sich über ihn zu erheben. Überdies werden sie dadurch sehr geschickt, dem Frauenzimmer zu gefallen, und das ist in der Welt eine Sache von Erheblichkeit.

Sie machen sich dadurch beliebt bei ihnen, denn überhaupt ist das Frauenzimmer der Eitelkeit und dem Neid sehr ergeben. Will man also dasselbe auf eine angenehme Art unterhalten, so muß man nicht nur lügen, wenn man sie lobt, man muß auch zu lügen wissen, indem man andere Frauenzimmer tadelt, insbesondere solche Personen, welche derjenigen, die man unterhält, an Schönheit oder an Verstand oder an Ansehen oder am Rang nichts nachgeben wollen. Man muß daher ein Frauenzimmer niemals besuchen, wenn man nicht ein Histörchen von einer anderen und sonderlich von denjenigen zu erzählen weiß, welche manchmal zu ihnen kommen. Weiß man keines, so erfinde man eines, denn man muß entweder von anderen übel sprechen können oder sich's gefallen lassen, daß man beim Frauenzimmer nicht wohl gelitten ist. Daher wird man finden, daß kein Ort in der Welt ist, wo die üble Nachrede so stark herrscht wie an solchen Orten, wo beiderlei Geschlechter beständig beisammen sind, denn es ereignen sich bei solcher Vertraulichkeit nicht nur tausenderlei Umstände, welche zum Plaudern Gelegenheit geben, sondern es erlernen auch die Mannspersonen in dieser Schule alle Kunstgriffe von dieser Geschicklichkeit.

Das sage ich nur im Vorbeigehen, denn meine Absicht ist nicht, mich darauf einzulassen. Mein Endzweck ist, Ihnen zu zeigen, daß die Ursache, warum alle diese Laster so allgemein sind, diese ist, weil sie uns gefallen, und nicht nur, weil sie uns für erlaubt vorkommen. Sie werden schon sehen, wozu mir das dienen wird.


169. Ob die Menschen recht haben, wenn sie glauben, daß die Unkeuschheit ein geringeres Verbrechen ist als der Totschlag,

[357] Ist es nicht wahr, wir haben keine Offenbarung und keinen tüchtigen Grund in der Theologie, daraus man erlernen könnte, daß die Unkeuschheit eine Sünde sei, welche Gott weniger mißfällt als der Totschlag oder Meineid. Sie ist zwar dem gemeinen Wesen nicht so nachteilig wie die letzteren beiden, allein daraus läßt sich die Eigenschaft der Sünden nicht erkennen, denn nach einer gesunden Theologie ist eine Handlung deswegen schändlich, weil sie Gott verboten hat; wobei man den Unterschied des natürlichen Gesetzes mit dem willkürlichen Gesetz beiseite setzt. Demzufolge verändern die Umstände, die aus dem Zustand, darin sich der Sünder befindet, aus seiner Einsicht und aus seinen Absichten entspringen, den Grad der Schändlichkeit, daß sie entweder größer oder geringer ist. Ich zweifle sehr, daß die Gewalt des Vergnügens, die uns dahinreißt, das Verbrechen verkleinern sollte, denn wenn das wäre, so müßte man sagen können, daß die Sünden der Gewohnheit, die man für schändlicher er kennt als andere, geringer wären, weil die Gewalt der angenommenen Gewohnheiten eine Art der Bestimmung ist, welche die Freiheit vermindert. Was die Folgen betrifft, welche der bürgerlichen Gesellschaft zum Nachteil gereichen, so glaube ich nicht, daß sie die Schuld des Sünders bei Gott vergrößern, es wäre denn, daß der Sünder dieselben zur Absicht gehabt. Zum Exempel: Ein Bandit bringt einen Menschen im Wald um, er weiß nicht, was es für ein Mensch ist, er will nur seine Sachen haben, darum schafft er ihn aus dem Weg. Dieser ist vor Gott nicht strafbarer oder unschuldiger, weil aus seinem Totschlag tausend Unordnungen oder tausenderlei Glücksfälle erfolgen. Er hat vielleicht einen Mann erschlagen, der Kinder hat, die durch den Verlust ihres Vaters an den Bettelstab geraten, einen Menschen, der in der ganzen Nachbarschaft Stütze der Armen und die Zuflucht der unterdrückten Unschuld[358] war, einen Mann, der alle Streitigkeiten seiner Mitbürger schlichtete usf.; oder er hat einen Menschen fortgeschafft, der weder Feuer noch Herd hatte und aus dem man machen konnte, was man wollte; alles dieses wird ihm bei Gott nicht angerechnet, weil es mit dem begangenen Totschlag nur zufälligerweise verknüpft ist. Zwei schießen mit der Pistole, jeder nach seinem Feind, der eine trifft, der andere verfehlt ihn oder bringt den Schuß so glücklich an, daß jenem ein Geschwür davon aufgeht, daran er in wenigen Tagen würde gestorben sein, durch den Schuß aber wird er in den Stand gesetzt, daß er noch fünfzig Jahre in völliger Gesundheit lebt, wie man davon Exempel anführt.304 Die weltliche Gerechtigkeit mag unter diesen beiden Menschen einen Unterschied machen, wie sie will, sie mag den einen zum Tod verurteilen und den andern in Ruhe lassen, weil des einen Handlung dem gemeinen Wesen nachteilig gewesen, des anderen aber nicht; vor dem Richterstuhl der göttlichen Gerechtigkeit sind sie beide gleich schuldig. Obgleich also die menschliche Gesellschaft von der Unkeuschheit Nutzen, von dem Totschlag aber Schaden hat, so folgt daraus doch nicht, daß eine von diesen Sünden vor Gott geringer sei als die andere, weil, wenn man weiß, daß Gott eine Sache ausdrücklich und schlechterdings verboten hat, man dieselbe nicht ausüben kann, ohne in alles dasjenige zu verfallen, was es zu einem Verbrechen macht. Die Sünde Adams, welche auf eine so entsetzliche Art bestraft worden ist, war deswegen so abscheulich, weil sie war verboten worden, denn sonst war wohl nichts unschuldiger, als von einer gewissen Frucht zu essen, das brachte weder der menschlichen Gesellschaft noch den Tieren, noch den anderen Kreaturen einigen Schaden zuwege. Man sage daher: Diejenigen Christen, welche sich den Unordnungen der Unkeuschheit ergeben, welche unaufhörlich lügen, entweder um ihren Nächsten zu betrügen oder ihn übel anzuschwärzen oder ihrer Eitelkeit zu schmeicheln, sind vor Gott ebenso strafbar wie die Totschläger, weil sie weder die Offenbarung noch irgendeinen tüchtigen Grund für sich haben, daraus[359] sie sehen könnten, daß Gott nicht alle diese Dinge gleich durchgängig verboten habe, oder daraus sie schließen könnten, eines würde bestraft werden, das andere nicht. Und also ist die Ursache, warum gewisse Verbrechen gewöhnlicher sind als andere, nicht darin zu suchen, weil man weiß, daß sie vor Gott geringer sind.


170. Gedanken über die Bosheit, welche sich oft bei der üblen Nachrede befindet

Wenn die Prediger auf die üble Nachrede und Unkeuschheit verfallen, so malen sie dieselben als die allerschändlichsten Sünden ab; ich nehme sogar diejenigen nicht aus, welche für gemächliche und gelinde Kasuisten gehalten werden, denn ich habe deren einige gehört, die darin ziemlich scharf waren, ihrer Meinung nach war dieses der höchste Grad der Bosheit. Sie mochten vielleicht ein andermal ein anderes Laster noch ärger ausschreien, wie etwa die Lobredner der Heiligen demjenigen, dem zu Ehren sie eine Predigt halten, allemal die oberste Stelle einräumen. Doch dem sei, wie ihm wolle, wir können nicht vorwenden, als wüßten wir die entsetzliche Schändlichkeit nicht, die mit der üblen Nachrede und Unmäßigkeit verknüpft ist, denn man schildert uns dieselbe alle Tage mit den lebhaftesten Farben. Es gibt üble Nachreden, die im Grunde ebenso sündig sind wie ein Totschlag und die aus einem so alten Groll entspringen, daß sie bei einem Handgemenge gute Pistolenschüsse und nicht schlechte Zungenstiche abgeben könnten. Wenn ich sehe, daß Geistliche entweder durch Pasquille oder durch heimlich ausgestreute ehrenrührige Beschuldigungen sich an ihren Feinden rächen, so trage ich kein Bedenken zu behaupten, daß dieser oder jener Edelmann, wenn er einen Bauer lahm geprügelt, Gott nicht so sehr beleidigt hat, wie ihn jene beleidigen. Die Galle, welche man in verschiedenen Büchern auf allen Blättern mehr als Papier und Tinte sieht, setzt eine Gemütsbeschaffenheit voraus, die von der christlichen[360] Liebe weiter entfernt ist als etwa die Gewalttätigkeiten eines Soldaten, der den Wirt prügelt und seine Sachen zum Fenster hinauswirft. Der Verfasser hat aber doch niemanden tot oder jemandem den Arm entzweigeschlagen. Das tut nichts dabei, er ist zu dergleichen Beleidigungen nicht aufgelegt, er hat andere Waffen, damit er die Leute angreift. Das ist ebensoviel, wie wenn der Wolf verlangte, man sollte ihm dafür Dank wissen, daß er nicht hinten ausschlägt.305 Allein der Verfasser ist im Eifer, er kann es nicht leiden, daß das Laster ungestraft bleibe. Possen! Ein Prälat hat ihn verfolgt oder macht sich ein Vergnügen daraus, seinem Orden täglich etwas Neues zu schaffen zu machen. Das ist der vermeintliche Eifer, welcher den Verfasser gegen den unordentlichen Lebenswandel des Prälaten aufbringt und weswegen er sich so sehr auf die alten Kirchengesetze beruft. Ein Zeichen davon ist, weil ein anderer Orden von Geistlichen, der alle Tage Proben von der Gütigkeit und dem Ansehen des Prälaten erhält, ihn in dem Genuß der Gefälligkeiten seiner Beischläferinnen ungestört läßt und, anstatt gegen seinen Hofgeist loszuziehen, ihn wegen des unermüdlichen Eifers für die Ehre der Kirche und das Wohl der Herde herausstreicht, welches nicht geschehen würde, gesetzt, daß es sich so verhielte, daß der Prälat ihm zuwider wäre. Ebendiese Pasquillanten, welche die Bischöfe, die sie verfolgen, so gut auszumustern wissen, würden einen andern Prälaten so herrlich rühmen können, wenn er nur ihr Gönner wäre, gesetzt, daß er im ganzen Land der größte Liebhaber vom Frauenzimmer wäre. Ich versichere Ihnen, mein Herr, daß es Leute in Ihrer Gesellschaft gibt (in der Sorbonne), welche ohne alle anderen Waffen außer ihrer Feder sich vor Gott strafbarer machen als diejenigen, welche sich an ihren Feinden mit Degen und Pistolen rächen; denn aus der hitzigen und ehrenrührigen Schreibart, der sie sich bedienen, erhellt sattsam, daß sie von dem Geist des Evangeliums sich entfernen und von dem Geist der Rache sich so stark oder noch stärker einnehmen lassen, wie immer Weltmenschen tun können.


171. Warum die Rache und der Geiz so gemeine Leidenschaften sind

[361] Und weil ich auf die Rache zu reden komme, laßt uns doch ein wenig untersuchen, warum sie unter den Christen so gemein ist. Geschieht es wohl deswegen, weil wir etwa nicht wissen, daß die Schrift uns dieselbe als eine der gottlosesten Handlungen verbietet? Nichts weniger als das. Es gibt wenig Wahrheiten, die in dem Evangelium so deutlich niedergeschrieben sind wie diejenigen, welche die Liebe gegen den Nächsten betreffen, und daß wir verbunden sind, ein uns angetanes Unrecht zu verzeihen. Es ist kein Kapitel in der Moral, dabei sich die Prediger länger aufhalten, und kaum sind wir aus der Wiege, so lehrt man uns ein Gebet, davon Jesus Christus selbst der Urheber ist und das wir sozusagen stündlich wiederholen, darin uns ausdrücklich gesagt wird, daß wir nur insofern Vergebung unserer Sünden zu hoffen haben, wie wir der Rache entsagen werden. Alle diejenigen also, welche nur die ersten Gründe der christlichen Religion wissen, können unmöglich im Zweifel stehen, ob die Begierde, sich zu rächen, eine große Sünde sei oder nicht; folglich muß man sagen, daß die Ursache, warum sie so allgemein ist, bloß daher entsteht, weil sie allen Menschen verlockend vorkommt. Die Italiener finden darin so viel Annehmlichkeit, daß sie mit einer entsetzlichen Gotteslästerung sagen, Gott habe sie deswegen sich vorbehalten, damit er der einzige wäre, der von einem so schmackhaften Gericht genießen möchte. Andere Nationen treiben die Sache nicht so hoch. Überhaupt aber finden alle Menschen in der Rache ein ungemeines Vergnügen. Denn da die Eigenliebe mit ihrer Natur unzertrennlich verbunden ist, so wünschen sie natürlicherweise so viel Leute wie möglich unter sich zu haben. Können sie sich nicht über andere erheben, so wünschen sie wenigstens, ihnen sowenig wie möglich unterwürfig zu sein. Da nun die Menschen, wenn sie sich wegen der angetanen Beleidigung zu rächen wünschen, sich allemal vorstellen, derjenige, der sie beleidigt hat, habe sie[362] sich unterwürfig machen wollen, so entledigen sie sich allemal eines großen Verdrusses und empfinden jederzeit die lebhaftesten Regungen der Freude, wenn sie sich rächen können und dadurch in Ansehung ihres Feindes entweder den vorigen Vorteil oder gar die Oberhand über ihn gewissermaßen erlangen. Dies ist unfehlbar der Grund des Vergnügens, welches die Menschen in der Rache finden, und zugleich die Ursache, warum sie so rachgierig sind. Betrachtet man überdies, wie sich tausend Mittel finden, die Rache auszuüben, die alle wenig kosten und von der weltlichen Gerechtigkeit so leicht nicht geahndet werden, so wird man die wahre Ursache finden, warum so viele Leute sich wirklich rächen.

Die unkeuschen Neigungen sind sehr gemein, es ist wahr; demungeachtet muß man doch auch gestehen, daß sie nicht so eingerissen sind wie diese Leidenschaft, die ich kurz vorher berührt habe. Man kann doch wenigstens ein gewisses Alter angeben, das von jenen Leidenschaften befreit ist. Die Kinder finden noch kein Vergnügen darin, alte Leute, da sie kein sonderliches Belieben mehr daran haben, gewöhnen sich dieselben meistenteils nach und nach ab; aber von der Begierde, sich zu rächen, befreit uns kein Alter. Kinder von der Wiege an belustigen sich daran, und die abgelebtesten Greise empfinden darin ein Vergnügen. Bei dem allen weiß ich nicht, ob der Geiz nicht noch gemeiner ist als die Rachgier. Ich verstehe unter dem Geiz nicht nur die schändliche Begierde, womit ein karger Filz Geld zusammenscharrt, sondern überhaupt ein unordentliches Verlangen nach Gütern, man mag sie nun entweder hernach verschwenden oder ihnen ein beständiges Gefängnis im Koffer an weisen. Man glaubt gemeiniglich, ein Geiziger und ein Verschwender könnten unmöglich in einer Person vereinigt werden, und man irrt darin, denn wenn man die Sache genau ansieht, so gibt es keine größeren Räuber fremder Güter, als diejenigen sind, welche sehr viel aufgehen lassen. Man sehe die Leute an, welche dem Finanzwesen und im Krieg bedient sind. Ihre Gastereien, ihre Gebäude und die Namenstage, welche sie den Damen[363] zu Ehren feiern, nehmen ungeheures Geld weg, dagegen erpressen sie das Geld von dem gemeinen Mann auf das geizigste, und man kann vollkommen auf sie beziehen, was von einem alten Römer gesprochen worden: Nach fremdem Gut streben sie, und ihres verschwenden sie.306 Ich kann daher den Geiz in obigem Sinn nehmen. Nehme ich ihn nun so, so finde ich, daß er entweder gemeiner oder doch ebenso gemein ist wie die Rachgier. Suche ich alsdann die Ursache, warum diese Neigung so allgemein ist, so finde ich nicht, daß es deswegen geschehen, weil man gezweifelt hat, ob es eine Sünde sei oder nicht, denn wie könnte man unter den Christen daran zweifeln, da uns in den Zehn Geboten ausdrücklich untersagt wird, fremde Güter zu begehren, da man so viel Predigten von dem Geiz gehört, welche denselben nach unleugbarer Meinung des Apostels Paulus als eine Art der Abgötterei und als das schändlichste Ungeheuer vor Augen stellen. Man muß daher sagen, daß die Eigenliebe, die beständige Gefährtin unserer Natur, uns geizig mache. Diese verfluchte Leidenschaft, vermöge deren wir in allem, was unserer Eitelkeit schmeichelt, in allem, was uns von anderen Menschen unterscheidet, in allem, was uns die Erfüllung unserer Begierden verschaffen kann, in allem, was uns zu einer Schutzwehr gegen die Übel, die wir besorgen, dienen kann, ein Vergnügen finden, reizt uns an, auf das eifrigste nach Gütern zu streben, weil wir alle diese Vorteile in dem Besitz der Reichtümer zu finden vermeinen. Nach der Gemütsbeschaffenheit der Menschen und zufolge ich weiß nicht was für einer machinalischen Einrichtung ihrer Natur ist das eine Sache, die sie erfreut, wenn sie denken, daß sie reich sind. Man führt allerhand Sachen aus der Moral von der Unruhe geiziger Leute an, es ist wahr; allein, sie empfinden in der Tat mehr Angenehmes in dem Besitz ihrer Schätze als Bitteres in der Vorstellung, daß sie dieselben einmal verlieren können. Wenn sie ihre Taler sehen, so wächst die gute Meinung, die sie von ihrer Person gefaßt haben, und da sie sich also selbst sehr loben, so kommen sie ihrem Schaden wieder bei, wenn zuweilen in der[364] Welt nicht viel aus ihnen gemacht wird.307 Da nun also einen Menschen nichts mehr belustigt, als wenn er sich selbst als einen Gegenstand, welcher Bewunderung verdient, betrachtet und sich imstande sieht, alle die Vergnügungen, die man nur kaufen kann, zu genießen, so folgt daraus, daß der Besitz vieler Reichtümer für ihn eine unerschöpfliche Quelle von Vergnügen ist oder wenigstens, wie er hofft, sein wird. Fragt man mich also, warum fast alle Menschen sich zu rächen und reich zu werden wünschen, zwei Leidenschaften, welche das Evangelium verdammt, und warum nur wenig Leute zur Jagd, zu Schilderungen, zu Wissenschaften und anderen dergleichen erlaubten Dingen oder zur Tugend, welches eine vorgeschriebene Sache ist, Belieben tragen, so antworte ich mit wenig Worten, es geschieht deswegen, weil die machinalische Einrichtung des Menschen, das ist die Vereinigung seiner Seele mit dem Körper, Anlaß gibt, daß fast alle Menschen in der Rache und bei den Reichtümern ein Vergnügen finden und nur eine geringe Anzahl derselben zur Jagd, zu Schilderungen, zum Studieren und zur Tugend Lust haben.

Aus allen diesen letzteren Anmerkungen ziehe ich folgenden Schlußsatz: Daß die Ursache, warum gewisse Laster allgemeiner sind als andere, in dem Vergnügen und in der Bequemlichkeit ein Vergnügen zu haben, nicht aber in den Meinungen, welche man von der größeren oder kleineren Schändlichkeit gewisser Laster hegt, zu suchen ist, und daß daher die Religion (denn dahin war mein Zweck gerichtet) uns in diesem Stück zu nichts weiter dient, als daß sie Gelegenheit gibt, gute Strafpredigten zu halten und uns unsere Pflichten vor Augen zu stellen. Im übrigen folgt ein jeder schlechterdings seinem Geschmack, der ihn bald zu diesem, bald zu jenem Vergnügen antreibt. Daraus folgt nun, daß die Gottesleugner, welche ebendiesem Geschmack folgen, nicht notwendig verdorbener sein müssen als die Götzendiener, ob sie gleich nicht wie diese von den Lastern und von den Strafen der Laster diese oder jene Meinungen hegen.


172. Ob eine Gesellschaft von Atheisten Gesetze des Wohlstandes und der Ehrbarkeit einführen würde

[365] Man sieht nunmehr die Wahrscheinlichkeit ein, daß eine Gesellschaft von Gottesleugnern die bürgerlichen und sittlichen Handlungen ebensowohl wie alle anderen Gesellschaften ausüben würde, sofern sie nur die Verbrechen ernstlich bestrafte und mit gewissen Dingen entweder Schimpf oder Schande verknüpfte. Wie die Unwissenheit eines ersten Wesens, des Schöpfers und Erhalters der Welt, die Glieder dieser Gesellschaft nicht hindern würde, durch Ehre und Verachtung, durch Belohnung und Strafe und durch alle Leidenschaften, welche man bei anderen Menschen sieht, gerührt zu werden, und keineswegs alle Einsicht der Vernunft ersticken würde, also würde es Leute unter ihnen geben, welche im Handel redlich, den Armen behilflich, der Ungerechtigkeit aufsässig, ihren Freunden treu sein würden, welche das Unglück verachten, die Wollüste des Leibes nicht achten und niemanden Leid zufügen würden, weil entweder das Verlangen, gelobt zu werden, sie zu allen diesen schönen Handlungen, die notwendig öffentlichen Beifall haben müßten, antreiben würde oder weil die Absicht, gute Freunde und Gönner im Fall der Not zu haben, sie dazu anreizte. Das Frauenzimmer darin würde sich der Keuschheit befleißigen, weil es dadurch unfehlbar die Liebe und Hochachtung der Mannspersonen erlangen würde. Es würden darin allerhand Arten der Verbrechen vorgehen, daran ist kein Zweifel, aber es würden deren nicht mehr daselbst ausgeübt werden als in den Gesellschaften der Götzendiener; denn alles dasjenige, was die Heiden entweder zum Guten oder zum Bösen antreibt, würde sich dort auch finden, nämlich Strafen und Belohnungen, Ehre und Schande, Temperament und Erziehung. Denn was die heiligmachende Gnade betrifft, welche uns mit der Liebe Gottes erfüllt und uns den Sieg über unsere bösen Gewohnheiten verschafft, so sind die Heiden davon so entblößt wie die Gottesleugner.[366]

Wer vollkommen überzeugt sein will, daß ein Volk, welches keine Erkenntnis von Gott besitzt, sich Regeln der Ehrbarkeit machen und in Beobachtung derselben sehr zärtlich sein würde, der darf nur in Erwägung ziehen, daß es unter Christen eine gewisse Ehre gibt, welche dem Geist des Evangeliums schnurstracks zuwider ist. Ich möchte doch wissen, wonach man diesen Entwurf der Ehre gemacht hat, darein sich die Christen so sehr verlieben, daß sie ihr alle Dinge aufopfern. Kommt es etwa daher, weil sie wissen, daß ein Gott, ein Evangelium, eine Auferstehung, ein Paradies und eine Hölle ist, daß sie glauben, es ginge ihrer Ehre etwas ab, wenn sie einen Schimpf ungerächt ließen, einem andern die Oberstelle überließen und weniger Frechheit und Ehrgeiz als ihresgleichen besäßen? Man wird mit Nein antworten. Man gehe alle Begriffe des Wohlstandes durch, welche unter Christen Heimstatt finden, man wird deren kaum zwei finden, welche von der Religion entlehnt sind, und wenn Sachen wohlanständig werden, denen man vorher einen Übelstand beilegte, so kommt es durchaus nicht daher, weil man etwa die Moral des Evangeliums besser zu Rate gezogen. Das Frauenzimmer hat sich seit einiger Zeit in den Sinn kommen lassen, es wäre vornehmer, wenn man sich öffentlich und in Gegenwart vieler Leute anzöge, wenn man ritte und in vollem Rennen einem Wild nachjagte usw., und sie haben es so weit gebracht, daß man dieses für nichts Unbescheidenes mehr ansieht. Hat die Religion in diesem Stück unsere Begriffe geändert? Vergleichen Sie einmal die Lebensarten verschiedener Nationen, welche sich zum Christentum bekennen, vergleichen Sie dieselben, sage ich, miteinander, Sie werden sehen, daß, was in einem Land unehrbar ist, es in einem anderen ganz und gar nicht ist. Es müssen daher die Begriffe der Ehrbarkeit, welche unter den Christen anzutreffen sind, gar nicht von der Religion herkommen, zu der sie sich bekennen. Es gibt deren wohl einige, die allgemein sind; denn ich weiß keine christliche Nation, wo es eine Schande ist, wenn ein Frauenzimmer keusch lebt. Allein wenn man[367] aufrichtig verfahren will, so wird man gestehen müssen, daß dieser Begriff älter ist als das Evangelium und Moses. Es ist ein gewisser Eindruck, der so alt wie die Welt ist, und ich will Ihnen bald zeigen, daß die Heiden denselben nicht von ihrer Religion entlehnt haben. Man gestehe daher, daß es unter den Menschen Begriffe von der Ehre gibt, die schlechterdings ein Werk der Natur, das ist der allgemeinen Vorsorge, sind. Man gestehe es insbesondere von dieser Ehre, daraus unsere Helden so viel machen und die dem göttlichen Gesetz so zuwider ist. Und wer wollte alsdann in Zweifel ziehen, daß die Natur unter den Gottesleugnern, wo die Kenntnis des Evangeliums sie niemals hindert, nicht ebendas tun sollte, was sie unter Christen tut?


173. Daß die Meinung von der Sterblichkeit der Seele das Verlangen, seinen Namen unsterblich zu machen, nicht verhindert

Vielleicht bildet man sich ein, daß ein Gottesleugner, da er überzeugt ist, daß seine Seele mit dem Körper stirbt, nichts Lobenswürdigeres tun könne, weil ihm das Verlangen, seinen Namen zu verewigen, fehlt, das doch in dem Gemüt anderer Menschen so großen Eindruck macht. Aber das ist ein sehr falscher Gedanke, denn es ist gewiß, daß diejenigen, welche, um von der Nachwelt gelobt zu werden, große Dinge getan haben, sich gar nicht mit der Hoffnung geschmeichelt haben, daß sie dasjenige, was man nach ihrem Tod sagen würde, erfahren würden. Und ist wohl noch heutzutage einer von unsern Helden, der sich bei so vieler Gefahr und bei so schwerer Arbeit, welcher er sich aussetzt, einbildet, er werde von den Ehrengedächtnissen, die man nach seinem Tod ihm zu Ehren aufrichten und dadurch der spätesten Nachwelt melden wird, was er für große und herrliche Taten getan, einiges Vergnügen finden? Glauben Sie wohl, daß man Ihnen in jener Welt melden werde, was in dieser vorgeht? Und wissen Sie[368] nicht, daß die Bewunderung der Menschen Ihnen im geringsten nichts helfen werde. Sie mögen nun entweder die Glückseligkeit des Paradieses genießen oder in der Hölle brennen? Der Glaube von der Unsterblichkeit der Seele verursacht also die Liebe zur Ehre nicht, und folglich können Gottesleugner sehr wohl nach einem ewigen Ruhm streben. Das Gründlichste in der Liebe zur Ehre sind wohl die angenehmen Vorstellungen, die man sich in diesem Leben macht, da man sich eine lange Reihe von Jahrhunderten vorstellt, die alle voller Verwunderung über unsere Taten sein werden. Ist man tot, so denkt man nicht mehr daran, man hat andere Dinge zu tun, als daß man an den Ruhm gedenken sollte, den man in dieser Welt hinterlassen hat.


Id cineres et manes credis curare sepultos?

Glaubst du, daß Asch und Geist im Grabe danach fragen?


Sie haben unfehlbar erzählen gehört, daß der Herr von Castelnau308, als er kurz vor seinem Ende mit dem Marschallstab von Frankreich beehrt worden ist, sich verlauten lassen hat, in dieser Welt wäre das was Schönes, er ginge aber in ein Land, wo es ihm nichts helfen würde.


174. Exempel, welche geigen, daß die Gottesleugner in der Unreinigkeit der Sitten es andern nicht zuvorgetan haben

Dem sei, wie ihm wolle, wird man sagen, es wäre doch was Wundersames, wenn ein Atheist tugendhaft lebte, und das ist ein Ungeheuer, welches die Kräfte der Natur übersteigt. Ich antworte: Es ist nicht wundersamer, daß ein Atheist tugendhaft lebt, als daß ein Christ alle Arten der Verbrechen ausübt. Wenn wir diese letzte Art von Ungeheuern alle Tage zu sehen bekommen, warum wollen wir glauben, daß jene Art unmöglich sei?[369]

Doch ich komme zu etwas Wichtigerem, daraus man sehen wird, daß dasjenige, was ich von den Sitten einer atheistischen Gesellschaft behauptet habe, nicht auf bloße Mutmaßungen gegründet gewesen. Ich habe angemerkt, daß die wenigen Personen, welche unter den Alten sich öffentlich für Gottesleugner ausgegeben, ein Diagoras, ein Theodor, ein Evemer und einige andere, gar nicht so gelebt haben, daß sie ihrer frechen Aufführung halber in ein übles Geschrei gekommen wären. Ich sehe nicht, daß man sie so vieler Unordnungen im Wandel als Abweichungen im Verstand beschuldigt. Ich finde hingegen, daß ihr frommes Leben dem Clemens von Alexandrien309 so wundersam vorgekommen ist, daß er diejenigen eines Irrtums beschuldigt, welche sie zu Gottesleugnern machen wollten. Er behauptet, ihr durchdringender Verstand, die Irrtümer der heidnischen Theologie zu entdecken, sei ihr ganzer Fehler gewesen, und man habe sie nur deswegen Atheisten genannt, weil sie die falschen Götter nicht zugeben wollten. Er irrt, und ich wundere mich, daß ein so gelehrter Mann wie er den Unterschied nicht bemerkt hat, welchen die Heiden darin sorgfältig machten.310 Einige gaben die Wirklichkeit der Götter zu, einige zogen sie in Zweifel, einige leugneten dieselben gar, einige schrieben ihnen die Regierung der Welt zu, einige eigneten ihnen nur eine Seligkeit zu, die sich um nichts bekümmert. Man hat die Meinung derjenigen, welche das Dasein der Götter leugneten, niemals mit den anderen Meinungen vermengt, und man hat jederzeit nur jenen den Namen eines Atheisten beigelegt und allemal diejenigen darunter gerechnet, welche Clemens von Alexandrien davon ausschließen will. Diogenes von Laert311, Cicero312, Plutarch313 und viele andere drücken sich hierin so deutlich aus, daß man auf keine Weise ihre Zeugnisse entkräften kann. Sokrates ist für einen Weltweisen gehalten worden, der die Einigkeit Gottes erkannt, aber unter die Atheisten setzte man ihn nicht wie Theodor und Diagoras. Es haben sich noch andere Philosophen gefunden, welche behaupteten, daß man alle Gottheiten des Heidentums nur für eine einzige[370] Gottheit ansehen könnte.314 Lactantius gesteht ausdrücklich, daß die Einigkeit Gottes von vielen Heiden erkannt worden, vom Orpheus, vom Virgil, vom Thales, vom Pythagoras, vom Anaxagoras, vom Antisthenes, vom Kleanthes, vom Anaximenes, vom Cicero, und er beweist es mit ausdrücklichen Stellen aus ihren Schriften, und doch sind diese Leute niemals als Gottesleugner ausgeschrien worden. Es ist daher ohne Grund, wenn Clemens von Alexandrien die Atheisterei derjenigen in Zweifel zieht, welche dessen ausdrücklich von den Heiden sind beschuldigt worden, und es ist zu verwundern, daß Muretus315, der doch so belesen gewesen, ebendiesen Fehler begangen hat. Es ist daher wahr, daß Diagoras, Theodor, Nicanor, Hippon und Ephemer keinen Gott geglaubt haben, indessen waren es doch so ehrbare Leute, daß ein Kirchenlehrer sich auf sie beruft und die wahre Religion mit ihrer Tugend schmücken will.316

Es erhellt aus einigen Stellen des Plinius317, daß er keinen Gott geglaubt hat; dennoch aber lebte er nicht wollüstig, und niemals ist ein Mensch mehr als er mit ehrbaren und für einen edlen Römer anständigen Verrichtungen beschäftigt gewesen.

Epikur, der die Vorsorge und die Unsterblichkeit der Seele leugnete, ist einer von den alten Weltweisen, der am meisten exemplarisch gelebt hat; und obgleich seine Sekte nach der Zeit ist übel ausgeschrien worden, so ist doch gewiß, daß sie aus vielen ehrbaren und rechtschaffenen Leuten bestanden hat und daß diejenigen, welche sie durch ihre Laster verunehrt haben, nicht in dieser Schule lasterhaft geworden sind. Es waren Leute, die durch Gewohnheit und wegen ihres Temperaments liederlich geworden waren. Es gefiel ihnen ganz wohl, daß sie ihre unkeuschen Leidenschaften mit einem so schönen Vorwand, als ob sie den Grundsätzen eines der größten Weltweisen nachlebten, bedecken konnten. Sie bildeten sich ein, sie dürften nach dem Ärgernis, das sie etwa verursachen möchten, nicht fragen, wenn sie sich nur unter den Mantel der Philosophie versteckten. Sie waren daher nicht liederlich[371] geworden, weil sie die Lehre des Epikurs angenommen hatten, sondern sie hatten die Lehre des Epikurs übel verstanden und also angenommen, weil sie liederlich waren. So redet Seneca davon318, ob er gleich zu einer Sekte gehört, die gegen das Andenken des Epikurs sehr erbittert war, und er trägt kein Bedenken, sich also zu erklären: Er glaube völlig, daß die Wollust dieses Weltweisen sehr nüchtern und trocken sei. Der heilige Hieronymus319 redet sehr vorteilhaft von der Nüchternheit dieses Epikurs und setzt dieselbe der Unordnung bei den Christen entgegen, um diese desto mehr zu beschämen. Es war eine Sekte unter den Juden, welche ganz öffentlich die Unsterblichkeit der Seele leugnete. Es waren dieses die Sadduzäer. Ich sehe nicht, daß sie bei einer so schändlichen Meinung ein verdorbeneres Leben geführt haben als andere Juden, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie rechtschaffenere Leute gewesen als die Pharisäer, die sich mit der Beobachtung des göttlichen Gesetzes so sehr rühmten.

Der Herr Balzac führt in dem christlichen Sokrates die letzten Worte eines Fürsten an, der als ein Atheist gelebt und gestorben, und gibt ihm das Zeugnis, es habe ihm an sittlichen Tugenden nicht gefehlt, er habe niemals höher geschworen als: Fürwahr, und nichts anderes als Gerstenwasser getrunken, und in Dingen, die man an ihm von außen gesehen, sei er ungemein ordentlich gewesen.

Der schändliche Vanini, der zu Toulouse seiner Atheisterei wegen im Jahre 1619 verbrannt worden ist, war in seinen Sitten allemal ordentlich gewesen, und wer ihm sonst etwas anderes als seine Lehrsätze hätte vorwerfen wollen, würde unfehlbar für einen Lästerer angesehen worden sein.

320Unter der Regierung Karls IX. im Jahr 1573 verbrannte man zu Paris einen Menschen, der heimlich die Atheisterei gelehrt hatte. Er behauptete, es wäre sonst kein Gott in der Welt, als die Reinheit des Leibes zu erhalten. Man sagte auch, er wäre noch ein Junggeselle. Er hatte so viele Hemden, wie Tage im Jahr sind, und schickte sie allemal[372] nach Flandern zu einer Quelle, die wegen des hellen Wassers, und weil die Wäsche ungemein weiß davon ward, sehr berühmt war. Vor allen Unreinigkeiten, sowohl der Handlungen als in Worten, hatte er einen Abscheu, und ob er gleich in seinen Gotteslästerungen bis an sein Ende fortfuhr, so sprach er dieselben doch allemal mit einer sehr sanftmütigen Miene aus und mit einer so gelinden Stimme, als ob er seine Worte bei einem Frauenzimmer anbringen wollte.

Die Erzählung des Herrn Ricaut, Sekretärs des Herrn Grafen von Winchelsei, der englischer Abgesandter in Konstantinopel war, hat allzuviel Lärm gemacht, als daß sie Ihnen unbekannt sein sollte. Ich werde mich daher nicht aufhalten. Ihnen den Fleiß herauszustreichen, mit welchem der Verfasser sich nach all demjenigen, was er beschrieben, erkundigt hat. Es erzählt derselbe erstlich321, daß die Gottesleugner eine zahlreiche Sekte in der Türkei, meistens von Kadis und der arabischen Bücher kundigen Personen aufgerichtet haben. Er fügt hinzu, daß die Anhänger dieser Sekte sich untereinander ungemeine Freundschaft erzeigen, daß sie einander alle willig Dienste erweisen, daß sie höflich und gastfrei sind und daß, wenn ein Gast zu ihnen kommt, der ihrer Meinung beipflichtet, sie ihn nach Möglichkeit herrlich bewirten. Ihre Höflichkeit geht allzuweit, es ist wahr, weil sie des Nachts ihrem Gast ein sehr schändliches Vergnügen verschaffen, aber sie tun darin nichts, das die anderen Türken nicht auch tun sollten. Wenn man also das ganze Leben der anderen Türken mit dem Wandel dieser Gottesleugner vergleicht, so wird man entweder keinen Unterschied darin sehen oder befinden, daß jene schändlicher leben als diese.

Es sei ferne, daß ich den Kanzler de l'Hospital in die Zahl der Gottesleugner setzen sollte, denn ich zweifle gar nicht, daß er nicht ein guter Christ gewesen sein sollte. Ich will nur so viel sagen, daß man ihn in Verdacht gehabt hat, als hielte er es mit keiner Religion, obgleich nichts so streng, nichts so ansehnlich und gesetzt gewesen wie sein äußerliches Ansehen, und ob er schon sehr exemplarisch[373] gelebt hat. Der Herr de Beaucaire de Peguillon322, Bischof von Metz, beschuldigt ihn öffentlich der Gottesleugnung. Sein Zeugnis ist etwas verdächtig, weil er es mit dem Kardinal von Lothringen hielt, dessen Lehrmeister er gewesen war. Man kann wenigstens so viel daraus sehen, daß die Menschen sich vergessen, wenn sie so ohne Bedenken behaupten, daß die Atheisterei mit der Uneinigkeit der Sitten unzertrennlich verknüpft sei, weil man findet, daß ein Kanzler in Frankreich der Gottesleugnung halber in Verdacht gewesen, obgleich sein rechtschaffenes Leben aller Welt bekannt gewesen. Das ist eine wundersame und ganz ärgerliche Sache, daß sowohl er als auch alle diejenigen, welche in dem letzten Jahrhundert eine strenge Sittenlehre ausübten, für üble Katholiken angesehen wurden; und hätte nur damals ein Mensch erweisen können, daß er in allerhand Arten der Laster sich gestürzt hat, so würde er sich völlig von dem Verdacht, als ob er neue Lehren hege, frei gemacht haben, wie man etwa sonst diejenigen, welchen Schuld gegeben wurde, daß sie eine Verräterei gegen die Regierung angesponnen haben, lossprach, sobald sie erhärten konnten, daß sie unkeusch gelebt hätten.323


175. Wollüstige Leute geben sich nicht leichtlich die Mühe, gegen die Religion zu lehren

Ich weiß nicht, ob man nicht auf die Religion beziehen könnte, was Julius Cäsar zu denjenigen sagte324, welche ihm die Nachricht brachten, daß M. Antonius und Dolabella etwas gegen ihn im Sinn hätten. Vor jenen fetten und wohlgebildeten Leuten fürchte ich mich nicht sehr, antwortete er, ich fürchte mich weit mehr vor jenen magern und blassen, und meinte damit den Brutus und Cassius. Die Feinde der Religion, jene Geister, die nichts glauben, die sich deswegen, weil sie an allen Dingen zweifeln, starke Geister nennen, die da nachgrübeln, wie man etwa die Gründe beantworten möchte, welche man zum[374] Beweis der Wirklichkeit Gottes anführt, welche die Schwierigkeiten, die man gegen die Vorsorge macht, spitzfindig einzurichten suchen, sind gemeiniglich der Wollust nicht allzusehr ergeben. Wenn man den ganzen Tag mit Essen und Trinken zubringt, wenn man die ganze Nacht auf den Tanzböden herumläuft, wenn man bald dieses, bald jenes Frauenzimmer auf seine Seite zu bringen sucht, wenn man die Keuschheit des Frauenzimmers auf allerhand Art und Weise zu berücken trachtet, wenn man die Zeit in einem liederlichen Wandel nur unvermerkt hinzubringen und den Ekel an den Vergnügungen durch die Mannigfaltigkeit der Gegenstände zu vertreiben bemüht ist, so kümmert man sich wohl schwerlich, ob Herr Descartes in seiner Metaphysik das Dasein Gottes und die Geistlichkeit der Seele richtig erwiesen und die ihm dawider gemachten Schwierigkeiten gut beantwortet habe. Man untersucht auch nicht leichtlich die evangelische Demonstration des Herrn Huetius, die so voller Beredsamkeit und Belesenheit ist, und wie man etwa die Beweise von der Wahrheit der christlichen Religion zuschanden machen könnte. Man zerbricht sich nicht den Kopf, damit man mittels der vorgegebenen Demonstrationen des Spinoza begreifen möchte, daß die Welt ein einfaches Wesen sei und daß wir alle Einschränkungen Gottes wären. Man spottet sogar über einen Naturkundigen, der sich angelegen sein läßt, die Ursache der Luftbegebenheiten zu entdecken.


325Que Rohault vainement sèche pour concevoir,

Comment tout étant plein, tout a pû se mouvoir.

Wie, da nichts leer verbleibt, doch alles sich bewegt,

Mag Rohault sich den Kopf im Forschen nur zerbrechen,

Bevor er es begreift.


Man hat nicht Zeit, daran zu denken, und wenn man sie auch hätte, so würde man sie nicht zu so abstrakten Dingen anwenden, die für Personen, die zur Sinnlichkeit gewöhnt[375] sind, nichts Angenehmes mit sich führen. Man beharrt daher bei dem, was man hat, man glaubt ohne Widerwillen seinem Katechismus. Man bildet sich ein, wenn man nichts in Zweifel zöge, so behielte man Hoffnung zur Seligkeit übrig, und der Glaube wäre ebenso nützlich, unsere Seele zu beruhigen, wie er nötig ist, sie selig zu machen, und unterdessen erlustigt man sich. Diejenigen hingegen, welche sich einen Geist des Unglaubens gewählt haben und die sich damit breitmachen, daß sie an allen Dingen mit Grund zweifeln, fragen wenig nach den Wirtshäusern, schelten auf die Verliebungen, sind verdrießlich, mager und bleich, sinnen wohl gar über der Mahlzeit auf eine geometrische Figur, daß man also die Worte Catons326: Unter allen denjenigen, welche die römische Freiheit zu unterdrücken gesucht, wäre nur der einzige Cäsar nüchtern gewesen, ändern und sagen müßte: Unter denjenigen, welche wider die Einigkeit der Kirche sich verschworen, welche Ketzereien gestiftet, welche die Religion oder gar die Wirklichkeit Gottes übern Haufen werfen wollen, sind nicht viel Trunkenbolde und unordentlich lebende Leute gewesen. Als Cicero327 gesehen, daß Cäsar nur mit der Spitze des Fingers im Kopf kratzte und sich viel Mühe gab, seine Haare wohl auszukämmen, aufzukräuseln und in Ordnung zu bringen, so urteilte er, Cäsar sei nicht geschickt, die Freiheit der Republik zu unterdrücken. Seine Mutmaßung schlug fehl. Allein, man wird schwerlich irren, wenn man urteilt, ein Mensch, der auf das schändlichste lebt, werde sich nicht der Ketzerei oder der Gottesleugnung halber verbrennen lassen. Es ist meine Meinung nicht, als ob alle diejenigen, welche ohne Religion sind, ein wohlgezogenes Leben führen müßten, ich glaube, daß es Leute darunter gibt, die alle nur ersinnlichen Laster ausüben; ich will nur so viel behaupten, daß auch einige darunter zu finden sind, deren Wandel so lasterhaft eben nicht ist, und man wird dieses nicht leugnen können, weil ich die Erfahrung auf meiner Seite habe. Von den Gottesleugnern also, welche, moralisch zu reden, gute Neigungen haben, kann man leicht auf die Atheisterei[376] schließen, daß sie nicht eine notwendige, sondern nur zufällige Ursache eines bösen Lebenswandels ist und nur bei denjenigen eine Verderbnis der Sitten veranlaßt, welche ohnedem schon Neigung genug zu einem unordentlichen Leben bei sich verspüren.


176. Daß der Mensch sein Leben nicht nach seinen Meinungen einrichtet

Es ist wahr, es ist etwas Wundersames, daß ein Mensch sittlicherweise gut lebt und doch weder Himmel noch Hölle glaubt. Allein, man muß dabei allemal bedenken, daß der Mensch eine gewisse Kreatur ist, die bei aller ihrer Vernunft doch nicht so handelt, wie sie weiß, daß sie handeln sollte. Die Christen geben uns davon manchen Beweis an die Hand. Cicero328 hat es ebenfalls bei verschiedenen Epikureern angemerkt, welche gute Freunde waren, ehrbar lebten und ihre Aufführung nicht nach dem Verlangen der Wollust, sondern nach den Regeln der Vernunft einrichteten. Sie leben besser, spricht er, als sie reden, dahingegen andere besser reden als leben. Von den Stoikern hat man ebendieses angemerkt. Ihre Lehrsätze waren: Es geschehe alles durch eine unvermeidliche Notwendigkeit, welche Gott selbst weder vermeiden könne noch jemals gekonnt habe. Natürlicherweise hätte sie dieses dahin bringen sollen, daß sie sich zu nichts ermuntert und weder Ermahnungen noch Drohungen, weder Strafen noch Versprechen angewendet hätten. Indessen sind niemals Philosophen gewesen, die sich alles dessen mehr bedient haben als sie, und aus ihrer ganzen Aufführung konnte man so viel abnehmen, daß sie ihr Schicksal völlig in Händen zu haben glaubten. Die Türken haben etwas von dieser Lehre der Stoiker behalten und treiben die Materie von der Vorherverordnung ungemein hoch, indessen flüchten sie in der Gefahr ebensowohl wie andere Menschen, und man sieht eben nicht, daß sie so beherzt Sturm laufen wie die Franzosen, welche doch nicht die Prädestination glauben.[377] Was man uns von der Sicherheit dieser Ungläubigen, die sich auf ihre Meinung von der Unveränderlichkeit ihres Schicksals gründen soll, erzählt, ist alles erdichtet; sie bedienen sich ihrer Klugheit so gut wie wir und strafen gewisse Fehler schärfer als wir. Man sieht Christen, welche die Vorherverordnung leugnen, man sieht auch deren, welche sie glauben. Einige behaupten, man könne seiner Seligkeit gewiß sein, man verliere die Gnade niemals, man werde nicht durch die Werke selig, man dürfe seine Sünden Gott allein bekennen, und es sei kein Fegefeuer; andere leugnen das alles. Aber ungeachtet dieses Unterschiedes in den Lehrsätzen verfahren sie doch auf einerlei Art, was die Sitten betrifft. Wenn sie in etwas voneinander unterschieden sind, so kommt es von dem besonderen Charakter einer jeden Nation her und nicht von der Sekte.

Wann würde man fertig werden, wenn man alles Wunderliche bei dem Menschen durchgehen wollte, daraus man sehen kann, daß er nicht nur das närrischste Tier unter allen ist, wie solches der Herr Despréaux in einer seiner Satiren erwiesen hat, sondern auch ein Untier, welches ungeheurer ist als die Zentauren und die Chimäre in der Fabel. Nach des Herrn Pascals Meinung ist dieses ein starker Beweis der Wahrheit dessen, was uns im ersten Buch Mosis von dem Fall Adams erzählt wird; und es ist gewiß, daß man sonst nirgends als hier die Aufwicklung aller der gegeneinanderlaufenden Dinge finden kann, die sich in unserer Art sehen lassen. Demungeachtet kann der Grundsatz, den ich oben vorausgesetzt habe, doch auch etwas beitragen, dieses Chaos ein wenig kennenzulernen. Denn wenn es wahr ist, daß die allgemeinen Wahrheiten des Verstandes nicht die Triebfedern unserer Handlungen sind, sondern daß das Temperament, die Gewohnheit oder etwa eine besondere Leidenschaft uns in Bewegung setzt, so kann ein ungeheurer Unterschied zwischen demjenigen, was man glaubt, und zwischen demjenigen, was man tut, stattfinden. Folglich ist es ebenso leicht, daß ein Gottesleugner sich seiner Vergnügungen aus Liebe zu[378] einem anderen beraube, wie es einem Götzenverehrer leicht ist, einen falschen Eid zu schwören. Also sieht man, daß die Folgerung nicht richtig ist, wenn man schließt: Weil ein Mensch keine Religion hat, so muß er notwendig allen Arten der Laster oder allen Arten der Vergnügungen sich ergeben. Soviel folgt nur: Er werde sich Sachen belieben lassen, dazu er vermöge seines Temperaments und seiner Gemütsart geneigt ist, und doch muß die Furcht der menschlichen Gerechtigkeit, des Schadens oder einiges Schimpfes nicht dazwischenkommen. Daraus sieht man, daß ein Heide in Ansehung der Sitten notwendigerweise nichts besser ist als ein Gottesleugner.


177. Was die Ursache ist, warum man sich die Atheisten außerordentlich gottlos vorstellt

Woher kommt es aber, wird man sagen, daß alle Welt sich die Atheisten als die gottlosesten Leute vorstellt, als Leute, welche totschlagen, schänden und rauben, was sie nur können? Daher, weil man sich fälschlich einbildet, daß ein Mensch allemal nach sei nen Lehrsätzen, das ist nach dem, was er in Religionssachen glaubt, handele. Daher, weil man gesehen hat, daß Leute ohne Religion die allererschrecklichsten Dinge vorgenommen haben, z.B. Sultan Mahomet II., und nicht zugleich erwägt, daß diese Leute es nicht besser machen würden, wenn sie auch überhaupt glaubten, daß ein Gott ist, wie man solches an dem bereits angeführten Exempel des Nero und aus dem Beispiel des Bajazets sehen kann, der wenigstens ebenso wild, ebenso grausam und ebenso lasterhaft gewesen ist wie jener Sultan. Endlich kommt es daher329, weil man unter denjenigen Atheisten, die erst anfangen zu zweifeln, und unter denjenigen, welche mit Zweifeln aufhören, keinen Unterschied macht. Diese sind gemeiniglich Falschgelehrte, die das Ansehen haben wollen, als gingen sie nach der Vernunft und als verachteten sie alle leiblichen Wollüste, jene hingegen sind Seelen, die mit allerhand Lastern besudelt[379] und zu den abscheulichsten Gottlosigkeiten geschickt sind, die, weil sie wahrnehmen, daß die Furcht vor der Hölle sie manchmal in der Ruhe stört, und weil sie begreifen, daß es für sie vorteilhaft sein würde, wenn kein Gott wäre, sich alle Mühe geben, um sich davon zu überzeugen. Einer von unsern berühmten Prälaten330 ist, wie es scheint, der Meinung, daß sonst niemand als dergleichen Leute in die Atheisterei verfällt. Man kann gerade das Gegenteil von demjenigen behaupten, was jener ruchlose und freche Weltweise mehr aus Vergnügen, etwas Sinnreiches zu sagen, als aus Überzeugung gesprochen, daß nämlich die Furcht die Meinung von einer Gottheit auf die Bahn gebracht. Denn die einzige Furcht vor der Strafe ist die Ursache, daß einige sich zu überzeugen suchen, es sei kein Gott. Ich glaube nicht, daß alle Atheisten von der Art sind, ich glaube nur, daß es Leute gibt, welche sich von der Atheisterei überreden wollen. Sie mögen nun zu ihrem Zweck kommen oder nicht, so sind es doch allemal die gottlosesten Leute von der Welt. Aber sie sind nicht gottlos, weil sie Atheisten sind, sondern sie werden Atheisten, weil sie gottlos waren, und können sie nicht Atheisten werden, so leben sie doch so, als wenn sie es wären. Denn wenn ein Mensch dahin kommt, daß er ein Atheist werden will und sich deswegen alle mögliche Mühe gibt, so ist die Bosheit bei ihm so erschrecklich groß, wie sie nur in einer menschlichen Seele sein kann; und wenn ihn Gott nicht durch Wunderwerke bekehrt, so wird er alle Laster, die in seiner Gewalt stehen, ausüben, ob er es gleich nicht so weit bringen kann, daß er ein Gottesleugner würde. Ein solcher Mensch ist ungleich weiter von dem Weg zur Seligkeit entfernt als ein geborener Atheist, als ein Ungläubiger, der es ohne Vorsatz ist und gut lebt. Weil nun diejenigen, welche durch vorsätzliche Bosheit die Erkenntnis eines Gottes in ihrer Seele ersticken oder doch ersticken wollen, die allerliederlichsten Leute und vorsätzlichsten Sünder in der Welt sind, so denkt man, alle Atheisten ohne Unterschied sind dergleichen böse Buben.


178. Ob man einen Begriff von der Ehrbarkeit haben kann, wann man keinen Gott glaubt

[380] Die nächste Ursache, warum man in dieser Einbildung steht, ist diese, weil man nicht leicht begreifen kann, wie ein Mensch, der keinen Gott glaubt, einigen Begriff von Ehrbarkeit haben könne, und man also in den Gedanken steht, er sei allemal geneigt, alle diejenigen Laster zu begehen, um derentwillen ihn die menschliche Gerechtigkeit nicht zur Strafe ziehen kann. Man irrt darin augenscheinlich. Wieviel löbliche und ehrbare Handlungen verrichteten nicht die Epikureer, die sie, ohne einige Strafe zu besorgen, hätten unterlassen können und bei denen sie den Nutzen und das Vergnügen der Tugend aufopferten. Die Vernunft gab es den Weisen des Altertums331: Man müsse das Gute aus Liebe zum Guten tun, und die Tugend müsse sich selbst für die Belohnung ansehen, und das sei eine Eigenschaft eines bösen Menschen, wenn er aus Furcht vor der Strafe sich vom Bösen enthielte.

Unsere Geschichte erzählt, daß ein Abgesandter des heiligen Ludwigs, der zu dem Sultan zu Damaskus abgeschickt gewesen, einstmals auf der Gasse ein Weib angetroffen, welche in der einen Hand Feuer und in der anderen Wasser getragen, und als er sie gefragt, was sie damit machen wolle, habe sie zur Antwort gegeben, sie wollte mit dem Feuer das Paradies in Brand stecken und mit dem Wasser die Hölle auslöschen, damit die Menschen einmal aufhörten, der Gottheit aus eigennützigen Absichten zu dienen, und Gott einzig und allein wegen der Vortrefflichkeit seiner Natur verehren möchten. Ich will von den Sadduzäern nichts gedenken, welche Gott ausdrücklich dienten, ob sie gleich von ihm nur die Güter dieses Lebens erwarteten. Liest man nicht, daß Epikur, der die Vorsorge und die Unsterblichkeit der Seele leugnete, dennoch die Götter verehrt hat? Er verfertigte geistliche Bücher332, darin er mit so großem Nachdruck von der Heiligkeit und Frömmigkeit redete, daß man hätte sagen können, es wären Schriften eines obersten Priesters. Wenn man ihm den[381] Einwurf machte, warum er denn von dem Dienst der Götter redete, da er doch glaube, daß sie weder Gutes noch Böses täten, so gab er zur Antwort333, die Vortrefflichkeit ihrer Natur sei Ursache genug, daß man sie verehre, und man begehe einen großen Irrtum, wenn man da fürhielte, man könne die Götter nicht anbeten, sofern man nicht ihren Zorn zu befürchten hätte. Lukrez sagt hier334: Nachdem wir durch den Epikur von diesem Schrecken befreit und in Freiheit sind gesetzt worden, so fürchten wir die Götter nicht, denn wir wissen, daß sie sich um nichts bekümmern, noch jemandem Übles zuzufügen suchen, und wir verehren dieses Wesen voller Majestät und Herrlichkeit auf eine fromme und heilige Weise. Ob mehr Aufrichtigkeit als List unter diesen Worten stecke, will ich nicht entscheiden. Dieses aber wird man nicht in Abrede stellen können, daß ein Mensch, der also redet, nicht einen Begriff von Ehrbarkeit haben und nicht begreifen sollte, daß es einem Menschen anständig ist, wenn er eine uneigennützige Hochachtung für Sachen, die vortrefflich sind, hegt; und dieses ist der Schluß, welchen Seneca aus dieser Lehre des Epikurs zieht.335 Es ist daher wahr, daß die Vernunft ohne Beihilfe der Religion den Begriff von derjenigen Frömmigkeit gefunden hat, welche die Kirchenlehrer so sehr gerühmt haben, da man nämlich bloß wegen der unendlichen Vollkommenheit Gottes ihn liebt und seinen Gesetzen gehorcht. Dieses veranlaßt mich zu glauben, daß zuweilen die Vernunft ohne irgendeine Kenntnis von Gott den Menschen überführen kann, daß es ehrbare Dinge gibt, da es schön und lobenswert ist, wenn man sie tut, nicht des Nutzens wegen, der daraus entspringt, sondern weil es der Vernunft gemäß ist.

Es können sich wohl Leute finden, die so unvernünftig sind, daß sie nicht einsehen können, es sei ehrbarer, wenn man seinem Wohltäter Gutes erzeigt, als wenn man ihn mit Undank belohnt. Allein, ich sehe nicht, warum eben alle diejenigen, welche nicht wissen, daß ein Gott ist, diese mit der Dankbarkeit verknüpfte Ehrbarkeit notwendigerweise nicht erkennen sollten. Denn ob sich gleich Gott[382] einem Gottesleugner nicht vollkommen offenbart, so unterläßt er doch nicht, in seinem Verstand zu wirken, und erhält ihm die Vernunft und den Verstand, durch den alle Menschen die Wahrheit der ersten Gründe von der Grundlehre und Sittenlehre begreifen,


179. Daß ein Gottesleugner ruhmbegierig und ehrgeizig sein kann

Es ist auch ganz gewiß, ein Mensch ohne Religion kann Empfindung für die Ehre der Welt haben und nach Lobeserhebungen begierig streben. Wenn er sich also in einem Land befindet, wo der Undank und Betrug den Menschen in Schimpf und Schande bringt und wo die Großmut und Redlichkeit bewundert werden, so ist kein Zweifel, er wird sich für einen rechtschaffenen Mann ausgeben und sich gar nicht weigern, das ihm anvertraute Geld wiederzuerstatten, wenn man ihn auch nicht durch Mittel der Gerechtigkeit dazu zwingen könnte. Die Sorge, man möchte ihn in der Welt für einen Betrüger und Spitzbuben halten, wird die Liebe zum Geld bei ihm überwiegen. Und wie es Leute gibt, welche sich tausenderlei Ungelegenheiten und tausenderlei Gefahren aussetzen, um sich einer Beleidigung halber zu rächen, die ihnen in Gegenwart einiger weniger Zeugen angetan worden ist, und die gerne verzeihen würden, wenn sie nur nicht besorgten, sie möchten sich in der Nachbarschaft Schimpf zuziehen; also glaube ich auch, daß ein Mensch, der ohne Religion lebt, ungeachtet aller Einwände seines Geizes dennoch vermögend ist, anvertraute Gelder zu ersetzen, und daß er sich nicht wird bereden lassen, dieselben unbilligerweise zu behalten, wenn er sieht, daß seine Redlichkeit ihm den Beifall einer ganzen Stadt zuziehen werde, und daß man ihm mit der Zeit seine Treulosigkeit vorwerfen oder ihn wenigstens in Verdacht haben könnte, als ob er etwas begangen, das mit dem Begriff eines ehrlichen Mannes, den man von ihm gehabt, nicht übereinkäme. Denn die innerliche[383] Hochachtung anderer Menschen ist es, wonach man hauptsächlich strebt. Die Gebärden und Worte, welche diese Hochachtung an den Tag legen, gefallen uns nur insofern, als wir uns einbilden, daß sie Zeichen von dem sind, was in dem Verstand vorgeht. Eine Maschine, wenn sie noch so geschickt wäre, uns allerhand Ehrenbezeigungen zu erweisen, und uns noch so schmeichelhafte Worte vorsagen könnte, würde uns doch schwerlich eine gute Meinung von uns selber beibringen, weil wir wissen, daß es keineswegs Zeichen von der guten Meinung sind, die etwa ein anderer von unsern Verdiensten hegen kann. Daher ist es möglich, daß derjenige, von dem ich hier rede, seinen Geiz der Eitelkeit wird aufopfern können; er darf nur in den Gedanken stehen, man würde ihn in dem Verdacht haben, als ob er die geheiligten Gesetze eines anvertrauten Gutes verletzt habe. Und gesetzt, er glaubte, dieser Verdacht würde ihn nicht treffen, so könnte er sich doch entschließen, seinen Vorteil fahrenzulassen; er dürfte nur besorgen, es möchte ihm ergehen, wie es einigen ergangen ist, die im Schlaf oder in einem hitzigen Fieber alle ihre Verbrechen selber bekanntgemacht haben. Lukrez336 bedient sich dieses Beweggrundes, um Leute, die ohne Religion leben, zur Tugend anzureizen.

Ich übergehe den Gedanken des Cardanus337 mit Stillschweigen, da er nämlich sagt, daß diejenigen, welche behaupteten, die Seele sterbe zugleich mit dem Körper, zufolge ihrer Grundsätze frömmer als andere sein müßten, weil ihr eigener Vorteil damit verknüpft wäre, wenn sie sich einen guten Namen zuwege brächten. Und er vergleicht sie mit Wucherern, die, damit ihr Gewerbe nicht in ein übles Geschrei kommen möge, weit ordentlicher und richtiger sind als andere, dasjenige zu halten, was sie versprechen, und es so zu halten, wie sie es versprochen haben.


180. Daß das Exempel der Lucretia und ihresgleichen augenscheinlich erweise, daß die Religion unter den Heiden die Begriffe, die sie von der Ehrbarkeit gehabt, nicht verursacht hat

[384] Allein, was würden Sie wohl sagen, mein Herr, wenn ich Ihnen erwiese, daß das Verlangen nach Ehre, davon die Heiden so gerührt gewesen, sich oftmals weder ganz noch zum Teil auf die Begriffe gegründet hat, die sie von der Religion entlehnt haben? Wenn ich es erweise, so wird man mir alsdann zugestehen müssen, daß dieses Verlangen nach Ehre oft aus einem Grund entsprungen, der von der Religion ganz unterschieden gewesen ist, und daß es folglich in der Welt hätte stattfinden können, wenn auch keine Religion dagewesen wäre. Geben Sie genau acht, wie ich es erweise.

Es ist eine unleugbare Sache, daß die Bescheidenheit, Mäßigkeit und Keuschheit der Weiber in den drei oder vier ersten Jahrhunderten des alten Roms bekannter gewesen ist, als es seit tausend Jahren unter den Christen geschehen. Man glaubte, daß diese Tugenden die vornehmste Zierde des weiblichen Geschlechtes ausmachten, man lobte die Frauenspersonen, die sich dessen rühmen konnten, und bezeugte eine Verachtung gegen diejenigen, denen es daran fehlte. Es ist bekannt, daß die vornehmste obrigkeitliche Person338 in Rom, die in einem solchen Ansehen stand, das der Tyrannei nicht viel unähnlich war, tausenderlei Versprechungen umsonst angewendet und es nicht dahin zu bringen vermocht hat, daß sie ihren ungebührlichen Endzweck bei einem schlichten Bürgermädchen hätte erhalten können. Er befand, daß alle seine Versuchungen keinen Eindruck zu machen vermochten. Er mußte daher einen andern Weg gehen und pochte auf das Ansehen, das ihm sein Amt gab.339 Allein der Vater des jungen Mädchens stieß ihr lieber einen Dolch in die Brust, als daß er sie sich mit Gewalt hätte wegnehmen lassen. Man wird mir zugestehen müssen, daß man ungemein empfindlich in der Ehre sein müsse, wenn man auf solche[385] Art verfahren solle, und daß Lucretia, die weder den unkeuschen Forderungen des königlichen Sohnes Gehör geben noch den Schimpf, der ihr von ihm angetan wurde, überleben wollte, eine unglaubliche Neigung zu der Ehre, ein ehrbares Frauenzimmer zu sein, müsse gehabt haben.

Dieses vorausgesetzt, behaupte ich nunmehr, daß diese große Neigung zur Ehre den römischen Frauen nicht durch die Religion, zu der sie sich bekannten, beigebracht werden konnte, denn sonst hätten sie aus ihrer Religion lernen müssen, daß die Unkeuschheit den Göttern mißfällig wäre. Nun aber konnten sie das aus ihrer Religion nicht lernen, sie lehrte ihnen vielmehr das Gegenteil, daß nämlich die Götter überaus unkeusch wären. Wenn also die Römer beiderlei Geschlechts den Eingebungen ihrer Religion gefolgt wären, so würden sie insgesamt wie jener bei dem Terenz geschlossen haben, dem dieser bei Betrachtung des Gemäldes, wo Jupiter sich in einen goldenen Regen verwandelt, um seiner Liebsten zu genießen, die Worte in den Mund legt: Ich als ein schlechter Mensch sollte daran ein Bedenken tragen, woraus der größte unter allen Göttern sich kein Gewissen macht? Wer kann nunmehr zweifeln, ob die Menschen sich Begriffe von der Ehrbarkeit und der Ehre machen, ohne dieselben aus der Religion herzuholen, da wir auf der einen Seite oben gesehen haben, daß sie gewisse Dinge für ehrbar halten, die es in der Tat nicht sind und die ihnen von der Religion als unehrbar vorgestellt werden, und nun auf der anderen Seite sehen, daß sie gewisse Sachen für unehrbar halten, die es in der Tat sind, die ihnen aber die Religion als sehr ehrbar vorstellt?

Ist diese Betrachtung dem Schein nach noch nicht überzeugend genug, hier ist noch eine, der man nicht widerstehen können wird. Wenn Lucretia die Keuschheit aus einem Religionstriebe oder, welches einerlei ist, um Gott gehorsam zu sein, geliebt hätte, so würde sie niemals in das Verlangen des Sextus eingewilligt und ihre Ehre lieber der üblen Nachrede preisgegeben haben, als daß sie ihr Ehebett hätte beflecken sollen. Allein, das tat sie nicht. Sie[386] widersetzte sich den Verfolgungen dieses Fürsten mit beherztem Mut, ob er ihr gleich mit dem Tod drohte. Da er ihr aber drohte, er wollte ihren guten Namen einer ewigen Schmach aussetzen, so tat sie, was er verlangte, und erstach sich darauf. Das ist ein augenscheinlicher Beweis, daß sie bei der Tugend nur die Ehre, welche sie begleitet, liebte und daß sie gar nicht die Absicht hatte, ihren Göttern zu gefallen. Denn diejenigen, welche Gott gefallen wollen, erwählen lieber die Schande bei Menschen, als daß sie ein Verbrechen begehen sollten. Folglich muß man notwendig zugeben, daß die Religion der Lucretia zu ihrer Keuschheit nichts beigetragen hat und daß sie solchergestalt ebenso, wie sie war, gewesen sein würde, wenn sie gleich nimmermehr gehört hätte, daß es Götter gebe.

Man wird vielleicht sagen, ich gebe mir unnötig Mühe, weil ich das zu erweisen suchte, was niemand in Zweifel zieht, daß nämlich die Gottesleugnung dem Menschen das Verlangen, gelobt zu werden, nicht nehme. Was soll ich daher tun? Soll ich erweisen, die Atheisterei hindere die Menschen nicht, den Begriff der Ehrbarkeit mit dem, was wahrhaftig ehrbar ist, zu verknüpfen, in einer Gesellschaft von Gottesleugnern z.B. würde man niemals den Ruhm des Frauenzimmers in der Unkeuschheit setzen? Wenn man nichts mehr als dieses will, so brauche ich keine neuen Schlüsse anzuführen. Ich darf nur sagen, daß man zu Rom die Ehre eines Frauenzimmers in der Keuschheit gesucht hat, obgleich die Religion ihnen ganz natürlich Anlaß geben konnte, die Blutschande und den Ehebruch als göttliche Handlungen anzusehen. Wenn man es unter den Heiden, allen Eingebungen ihrer Religion zuwider, als einen Grundsatz angenommen hat, daß die Keuschheit für das Frauenzimmer löblich und rühmlich sei, wieviel mehr würde man diesen Grundsatz unter den Atheisten festsetzen können? Und wie es dem Menschen ebenso natürlich ist, wenn er Sachen hochschätzt, nachdem sie etwas kosten, wie er es gern sieht, wenn man ihm einen Vorzug vor anderen gibt, so würde die Natur allein die Einwohner einer Stadt bald gelehrt haben, daß es einem Frauenzimmer[387] rühmlich ist, wenn es ihre Gunstbezeigungen nicht verschwendet. Und solchergestalt gelangen die Sachen ganz natürlich und unvermerkt in die Verfassung, darin wir sie beinahe in allen Republiken gesehen haben.


181. Neue Anmerkung, daraus man ersehen kann, daß die Menschen nicht nach ihren Grundsätzen handeln

Man mag sich drehen, wie man will, man muß mir allemal zugeben, daß die Menschen gegen ihre Grundsätze handeln. Denn sagt man mir, daß die alten Götzendiener gewisse Begriffe von ihren Göttern gehabt, daraus sie erlernt haben, daß sie die Tugend belohnen und das Laster bestrafen, so frage ich: Woher kam es doch, daß die Götzendiener so gottlos lebten? Spricht man, sie hätten deswegen gottlos gelebt, weil ihre verdammenswerte Theologie ihnen die Götter voller Lastertaten vorstellten, so frage ich wiederum: Woher kommt es doch, daß unter den Heiden so viel ehrbare Leute waren, unter den Christen aber, wo dieser Grund nicht gilt, so viel ruchlose Gemüter gefunden werden? Niemals wird man mir antworten, daß man nicht zugestehen sollte, die wahre Triebfeder der menschlichen Handlungen sei von der Religion sehr unterschieden. Demungeachtet kann man gar wohl sagen, daß die Religion diese Triebfeder sehr oft in Bewegung setzt und ihr in Dingen, dazu uns das Temperament anreizt, große Stärke gibt. Zum Beispiel ein Jähzorniger gerät bald in Eifer gegen diejenigen, die nicht zu seiner Sekte gehören. Der Glaube, sagt man, ist Ursache davon. Sprecht lieber: Die natürliche Begierde und das Vergnügen, welches wir empfinden, wenn wir unsere Mitbuhler übertreffen und uns an denjenigen rächen, welche unser Verhalten verdammen.

Der Verfasser des Traktats von der Religion gegen die Atheisten, Deisten und neuen Pyrrhonier, das im Jahr 1677 gedruckt worden, hat tausenderlei schöne Sachen mit großer Beredsamkeit angeführt. Unter anderen Gedanken[388] hat er auch diese mit angebracht340: Wenn die Gottesleugnung oder die Deisterei in den ersten Jahrhunderten geherrscht hätte, so würde die Welt lange Zeit zugrunde gegangen sein, anstatt daß sie dieser Meinung nach eine völlige Ewigkeit hätte dauern können. Dieses zu erweisen, dichtet er ein Gespräch341 zwischen zwei Gottesleugnern, darin man sieht, daß ihren Sätzen nach die Vernunft, die natürlichen und bürgerlichen Gesetze, die Gerechtigkeit und Tugend leere Worte sind, die keinen Verstand haben. Er beweist es auf eine sehr verständige Art. Da er aber das nicht in acht genommen hat, was ich meinem Bedünken nach unumstößlich erwiesen habe, daß nämlich die Menschen ihrer Einsicht nicht gemäß leben, so kann man ihm billig den Einwand machen, er habe an diesem Ort nichts erwiesen. Das, was er einer von den erdichteten Personen in den Mund legt, kann in einer gesunden Theologie nicht in Zweifel gezogen werden, daß nämlich die Heiden, so zu reden, alle die herrschende Neigung ihrer Natur vergöttert und auf diesen Schlag sich selbst Tugenden und Glückseligkeiten geschmiedet haben, daß bei schweren Handlungen das Hirngespinst der Ehre sie unterstützt und sie aufgemuntert habe, Taten zu verrichten, die zu einem Beispiel dienen, das man nicht nachahmen kann, die Verzweiflung, darein sie alle ihre Zuschauer gestürzt, sei ihnen ein vortreffliches Vergnügen gewesen, das ihnen alle angewandte Mühe reichlich bezahlt habe. Manlius Torquatus, der sein Vaterland und die Ehre fast göttlich verehrt, habe diesem Götzen seinen Sohn aufgeopfert.


L'amour de la patrie et l'amour de la gloire

Sur la nature même emportent la victoire.

Wer Land und Ehre liebt, besiegt selbst die Natur.


Alexander habe ein wallendes Geblüt, einen hohen Geist, eine große und herrschsüchtige Seele gehabt, und dieses alles miteinander vermischt habe bei ihm dasjenige zuwege gebracht, was man Großmut nennt. Titus hingegen habe[389] von Natur einen Abscheu vor Blutvergießen und Metzeln gehabt, er habe darin ein Vergnügen gesucht, daß er von dem Volk geliebt worden ist, und in dieser Eigenliebe ein Verdienst gefunden. Epikur habe die Lust der Sinne geliebt und darin seine Glückseligkeit gesucht, Seneca hingegen, der darin weniger Geschmack gefunden, habe sich alles dasjenige, was der Natur widerlich war, zur Tugend gemacht, und Cato, da er hart und phlegmatisch gesinnt gewesen, seine Unempfindlichkeit in Weisheit verwandelt. Ist dieses nicht ebendas, was ich so oft gesagt habe, daß die Heiden nur der Neigung ihres Temperaments und des Geschmacks gefolgt sind, den sie sich in Ansehung einer gewissen Ehre gemacht hatten? Da sie nun auf dieser Bahn, darauf sie gingen, zuweilen eine Tugend ausgeübt haben, was hat man wohl für Grund zu verneinen, daß die Gottesleugner es nicht auch tun könnten?

Vielleicht haben sie nur ein schwaches Bestreben nach Ruhm und Ehre? Allein, kann man wohl mehr tun, als Spinoza kurz vor seinem Ende getan hat?342 Die Sache ist nur kürzlich geschehen, und ich habe es von einem großen Mann, der es von guter Hand weiß. Spinoza war der größte Atheist, den man jemals gesehen hat. Er hatte sich von gewissen philosophischen Grundsätzen auf eine so närrische Art einnehmen lassen, daß er, um denselben desto besser nachzusinnen, sich in die Einsamkeit begab, allem demjenigen absagte, was man Vergnügungen und Eitelkeiten der Welt nennt, und sich nur mit diesen versteckten Betrachtungen beschäftigte. Als er sein Ende merkte, ließ er seine Wirtin zu sich kommen und bat sie, sie möchte doch keinen Prediger in solchen Umständen zu ihm kommen lassen. Die Ursache davon war, wie man es von seinen Freunden erfahren hat, weil er ohne Streit sterben wollte und besorgte, er möchte aus Schwachheit des Verstandes etwas sagen, dessen man sich, seinen Grundsätzen zuwider, zum Vorteil bedienen könnte. Das heißt, er befürchtete, man möchte in der Welt ausbreiten, sein Gewissen sei bei Annäherung des Todes aufgewacht, darüber er seine Unerschrockenheit verloren und seine Meinung[390] widerrufen hätte. Kann man sich eine lächerlichere und größere Eitelkeit, als diese war, und eine abgeschmacktere Neigung zu dem falschen Begriff, den man sich von seiner Beständigkeit gemacht hat, einbilden? Wir werden bald einige Exempel von ebender Art zu sehen bekommen.


182. Da die Gottesleugnung ihre Märtyrer gehabt hat, so ist dieses ein unzweifelhaftes Merkmal, daß sie nicht die Begriffe der Ehre und Ehrbarkeit ausschließt. Betrachtung über das Verhalten des Vanini

Wenn ich betrachte, daß die Atheisterei ihre Märtyrer gehabt hat, so zweifle ich gar nicht mehr, daß nicht die Gottesleugner sich einen Begriff von Ehrbarkeit machen sollten, der über ihr Gemüt mehr Vermögen hat als das Nutzbare und Angenehme. Denn wie wäre es möglich gewesen, daß Vanini, ohne sich in acht zu nehmen, in Gegenwart solcher Personen seine Lehren hat vortragen können, die es der Obrigkeit melden konnten? Wenn er seinen besonderen Nutzen gesucht hätte, so würde er die vollkommene Ruhe des Gewissens für sich allein genossen und sich nicht darum bekümmert haben, wie er Schüler bekommen möchte. Er muß daher Lust gehabt haben, deren einige zu bekommen, entweder, damit er das Oberhaupt einer Sekte würde oder um die Menschen von einem Joch zu befreien, das, seiner Meinung nach, sie verhinderte, sich nach Gefallen zu erlustigen. Hat er sich zum Haupt einer Partei machen wollen, so ist es ein Zeichen, daß er die Vergnügungen des Leibes und die Reichtümer nicht als seinen letzten Endzweck angesehen, sondern nur für die Ehre gearbeitet hat. Ist er willens gewesen, die Menschen von der Furcht der Hölle zu befreien, weil er glaubte, daß man sie ohne Grund damit schreckte, so ist es ein Zeichen, daß er sich verbunden erachtet hat, seinem Nächsten Dienste zu leisten, und daß er dafürgehalten hat, ein rechtschaffener Mann müsse für seinesgleichen nicht nur mit seinem Schaden,[391] sondern auch mit Gefahr seines Lebens arbeiten. Denn Vanini konnte leicht ermessen, daß ein Gottesleugner, der nur seinen eigenen Nutzen sucht, seine Rechnung vielmehr unter frommen als gottlosen Leuten finden würde. Denn ein Frommer schadet niemanden durch listige Ränke und Streiche und besitzt so wenig Neigung, jemanden zu betrügen oder eines fremden Gutes sich zu bemächtigen, daß er lieber sein Recht fahrenläßt, ehe er gegen einen solchen streitet, den er völlig entschlossen sieht, mehr als einen falschen Eid zu schwören; dahingegen ein gottloser Mensch der erste ist, der sich des Betrugs und Meineides bedient und die Absichten seiner Mitbuhler durch allerhand Gottlosigkeiten rückgängig zu machen sucht. Solchergestalt ist es einem Gottesleugner, der sein Glück machen will, vorteilhaft, wenn lauter fromme Seelen auf der Welt sind, und Vanini ist einfältig gewesen, sofern er durch Ausbreitung der Atheisterei im trüben zu fischen gedacht hat; er hätte vielmehr dafür arbeiten sollen, die Welt fromm zu machen. Überdies wußte er noch, daß die Todesstrafe solchen Leuten zuerkannt wird, welche die Gottesleugnung öffentlich lehren. Da er also bemüht war, seine Gottlosigkeit bekanntzumachen, so verscherzte er sich nicht allein die Gelegenheiten, das gute Gewissen anderer Menschen sich zunutze zu machen, sondern setzte zugleich sein eigenes Leben in Gefahr. Er muß sich also durch einen falschen Begriff der Ehrbarkeit haben überreden lassen, daß er verbunden sei, seinen eigenen Nutzen dem Vorteil des Nächsten aufzuopfern.

Wie kam es aber, daß er seine Richter nicht hintergangen hat und daß er viel lieber mitten in den größten Schmerzen sterben als seine Meinung hat widerrufen wollen, da dieses, seinen Grundsätzen zufolge, ihm in jener Welt nichts schaden konnte? Warum stellt er sich nicht, als ob er seine Gottlosigkeiten einsehe, da er nicht glaubte, daß die Heuchelei von Gott verboten sei? Man muß hierbei gestehen, daß er entweder den Vorsatz gehabt hat, die Leute dahin zu bringen, daß sie von ihm reden sollten, wie etwa jener nichtswürdige Mensch, der den Tempel der[392] Diana in Brand steckte, oder daß er sich einen Begriff von Ehrbarkeit gemacht, demzufolge er geurteilt, es sei eine dem Menschen unanständige Niederträchtigkeit, wenn er seine Meinungen aus Furcht vor dem Tod verbergen wollte. Man kann daher nicht leugnen, daß nicht die Vernunft ohne ausdrückliche Erkenntnis Gottes den Menschen auf die Seite der Ehrbarkeit lenken könne, die er zuweilen richtig, zuweilen fälschlich einsieht. Und endlich, das Exempel des Vanini ist ein unleugbarer Beweis dessen, was ich so oft gesagt habe, daß nämlich die Menschen demjenigen, was sie glauben, nicht gemäß handeln. Denn hätte dieser Narr auf diese Art gehandelt, so hätte er einen jeden bei seiner Meinung gelassen oder würde vielmehr gewünscht haben, überall fromme Seelen anzutreffen, die sich von einem Heuchler mit leichter Mühe betrügen ließen. Was lag ihm daran, wenn ein rechtschaffener Christ sich der Vergnügungen der Welt beraubte? Ging es ihm nahe, so wich er von seinem Lehrgebäude ab, denn dieses verbindet ihn in Ansehung eines andern zu nichts. Ich will nicht sagen, daß er sich gröblich dabei verging, denn es befindet sich keine Annehmlichkeit in der Sünde, welche dem Vergnügen beikommen sollte, das eine fromme Seele schon in dieser Welt genießt. Was die übrigen Christen betrifft, so hatte er nicht Ursache, sie zu beklagen. Sie lassen sich an ihren Vergnügungen nichts abgehen, ebenso als ob sie ohne Religion lebten. Und da er so unüberlegt seine Lehrsätze öffentlich vorgetragen hatte, so hätte er wenigstens mit einem Schwur bekräftigen können, daß er seine Irrtümer nunmehr eingesehen und, müßte er sterben, alle Artikel unseres Glaubens mit seinem Blut versiegeln würde. Statt dessen suchte er eine lächerliche Ehre darin, daß er bei allen Martern sich unempfindlich zeigte. Daraus kann man sehen, daß er bei einer solchen Hartnäckigkeit geschickt gewesen, für die Atheisterei zu sterben, gesetzt, daß er von dem Dasein Gottes sehr wohl überzeugt gewesen wäre.

Man kann zu diesem Exempel des Vanini noch ein anderes von einem gewissen Mahomet Effendi343 hinzusetzen,[393] der vor kurzem in Konstantinopel hingerichtet worden ist, weil er gegen das Dasein Gottes öffentlich gelehrt hatte. Er konnte sein Leben retten, er durfte nur seinen Irrtum bekennen und versprechen, denselben inskünftig fahrenzulassen. Allein, er ging von seinen Gotteslästerungen nicht ab, sondern sagte: Ob er gleich keine Belohnung zu erwarten hätte, so verbände ihn doch die Liebe zur Wahrheit, den Märtyrertod auszustehen, um dieselbe zu behaupten. Ein Mensch, der also redet, muß notwendig einen Begriff von Ehrbarkeit haben, und treibt er seine Hartnäckigkeit so hoch, daß er für die Gottesleugnung stirbt, so muß er eine so unsinnige Begierde, ein Märtyrer derselben zu werden, besitzen, daß er sich ebendiesen Martern aussetzen würde, wenn er gleich nicht ein Atheist wäre.


183. Untersuchung des Einwurfs, von der Schwierigkeit, einen Atheisten zu bekehren, hergenommen

Ich verlange keine andere Antwort für diejenigen, welche sagen, daß, da die Gottesleugnung unter allen Gemütsbeschaffenheiten am schwersten auszurotten ist, so notwendig schlimmer sein müsse als die Abgötterei. Ein Götzenverehrer, sprechen sie, den man zur wahren Religion bringen will, gibt unzählige Dinge zu. Man darf keine Zeit verlieren, um ihm zu erweisen, daß ein Gott ist, und eben davon muß man bei einem Gottesleugner anfangen, und dessen Hartnäckigkeit geht so weit, daß man während des Streites alt wird und dennoch mit diesem Artikel nicht zustande kommt. Als daher Origenes an der Bekehrung zweier junger heidnischer Edelleute, von denen der eine hernach der heilige Gregorius Thaumaturgus geworden, arbeitete, so erlaubte er ihnen, alle Philosophen und Dichter zu lesen, ausgenommen diejenigen, welche zur Gottesleugnung verleiteten. Denn er hielt dafür, es sei unendlich weit gefährlicher, wenn man auf die Gedanken gerät, es sei kein Gott, als wenn man die verschiedenen Begriffe der Weltweisen, ihre Götter betreffend, erwägt, weil die[394] Verehrung dieser Götter die Menschen zur wahren Religion um desto fähiger macht, je ungereimter sie ist.344

Ich bitte diejenigen, welche also denken, zu betrachten: 1. Daß für einen Atheisten, der in seinen Gottlosigkeiten so hartnäckig geworden ist, daß er lieber sterben als denselben entsagen will, es Millionen Götzenverehrer gibt, die ebenso hartnäckig sind. 2. Daß die Hartnäckigkeit dieser kleinen Anzahl von Atheisten nicht aus ihrer Gottesleugnung entspringt, denn nach meiner schon gemachten Anmerkung müßten sie, ihren Grundsätzen zufolge, sich zu der eingeführten Religion bequemen. Da nun aber dieses nicht geschieht, so muß man folgern, daß sie, vermöge ihres Temperaments, hartnäckig und von einem unsinnigen Ehrgeiz, sich durch außerordentliche Wege hervorzutun, eingenommen sind. Und dieses ist eine Gemütsverfassung, die einen Menschen, der überhaupt von einer Religion überzeugt ist, dahin bringen könnte, daß er sich so gut wie ein Atheist könnte verbrennen lassen. Und da sich solches also verhält, so folgt, daß, wenn Vanini ein Götzenverehrer oder ein Jude oder ein Türke gewesen wäre, er ebensowenig Neigung zu einer wahren Bekehrung wie der hartnäckigste Gottesleugner gehabt haben würde.


184. Woher die Schwierigkeiten zu glauben entspringen

3. Überdies möchte ich gern, daß man aufmerksam betrachtete, woher die Schwierigkeit, die Menschen zum Evangelium zu bekehren, entspringt. Die meisten, welche hiervon ihre Gedanken an den Tag gelegt haben, scheinen überzeugt zu sein, daß diese Schwierigkeit nicht daher kommt, weil man von den Menschen verlangt, daß sie unbegreifliche Geheimnisse glauben sollen, sondern weil man haben will, daß sie ihren Leidenschaften entsagen sollen. So sagt man etwa bei diesen Gedanken.

Wenn zu einem Christen nichts mehr gehörte, als im Herzen zu sagen: Ich glaube alles, was man mir von dem Geheimnis der Dreieinigkeit, der Menschwerdung und anderen[395] Geheimnissen vorsagt, die ich glauben soll, ohne daß ich sie begreifen darf, so würde es leicht sein, sich zum Evangelium zu bekennen. Ein jeder würde gern alles glauben, was man nur wollte, sofern man nur nicht von ihm verlangte, daß er es entweder begreifen oder anders als nach seinem Gefallen leben sollte. Es ist nicht die Meinung, als ob das Glauben eine so leichte Sache wäre, wie man wohl sagen möchte. Man bildet sich nur ein, es sei nichts leichter, und untersucht nicht, was es heißt.345 Einige wollen die Welt bereden, daß sie glauben, was sie doch nicht glauben; andere, und zwar in größerer Anzahl, überreden sich's selber, indem sie nicht einsehen können, was das heißt: glauben. Dem sei, wie ihm wolle, ein jeder denkt, er könne sich mit gutem Recht zum Christentum bekennen, weil, wie er meint, man ein Gläubiger sein könne, wenn man nur kaltsinnig sagt, man sei überzeugt346, daß man jenen Hirnglauben besitze, der unsere Geheimnisse für wahr hält, weil man nichts dabei einbüßt, und jenen flüchtigen Glauben, der nur die Spitze des Verstandes berührt und ohne alle Wirkung verbleibt. Sieht er aber, und wird es ihm vorgestellt, daß, um dem Evangelium auf gehörige Art zu glauben, es nötig ist, sich wehe zu tun, Schmach und Verachtung mit Freuden zu erdulden, seine Feinde zu lieben; mit einem Wort, gegen den Strom seiner sinnlichen Neigungen zu schwimmen, alsdann werden Vernunft und Natur zugleich rebellisch, und man mag von der christlichen Religion nichts mehr reden hören.

Die Vernunft, welche vordem bereit war, sich hinter die Wolken eines Köhlerglaubens zu verstecken, die da gegen die Leichtgläubigkeit eines Götzendieners nichts einzuwenden pflegte, die sich Lehrsätze gefallen ließ, welche nicht nur weit unbegreiflicher waren als unsere Geheimnisse, sondern auch so viel Ungereimtheiten, Niederträchtigkeiten und offenbare Widersprüche in sich begriffen; die Vernunft, sage ich, will nun nicht mehr leiden, daß man Sachen glaube, die sie nicht einsieht. Es ist dieses ein lauterer Betrug, den man sich erweckt, oder ein Vorwand,[396] den man sucht, um die wahre Ursache des Unglaubens zu bemänteln. Man hat nicht das Herz, zu bekennen, daß der Grund, warum das Evangelium uns mißfällt, dieser sei, weil es tugendhaft zu leben anbefiehlt, obgleich dieses die beständige Klage ist. Man sucht daher eine Entschuldigung und unterfängt sich, gegen theoretische Lehrsätze zu streiten. Das Gemüt will sich nicht ergeben und veranlaßt den Verstand, der gemeiniglich durch jenes betrogen wird, daß er Waffen sucht, um sich zu beschützen. Der heilige Chrysostomus347 hat hierbei vortreffliche Gedanken, und ihm haben wir folgenden Satz zu danken: Daß man den Geboten Gottes keinen Glauben beimißt, das kommt daher, weil man so nachlässig ist und sie nicht erfüllen will.348

Ist dieser Satz wahr, so folgt daraus, daß die Götzendiener, so gewohnt sie auch sind, unbegreifliche Sachen für wahr zu halten, doch nicht geneigter sind, sich zu bekehren, als die Gottesleugner, weil nach diesem Satz die einzige Quelle des Widerstandes, den das menschliche Herz dem Heiligen Geist bezeugt, in dem Verderben des Temperaments, in der Unordnung der Leidenschaften, in der Neigung zu sinnlichen Dingen seinen Grund hat, welches alles Sachen sind, die sich bei einem Götzendiener sowohl als bei Gottesleugnern befinden. Man irrt demnach, wenn man glaubt, daß das Schwerste vorbei ist, wenn Personen, die man zum Evangelium bekehren will, bereits überzeugt sind, daß ein Gott ist, denn die größten Hindernisse sind noch alle rückständig.

Was das Ansehen des Origenes betrifft, welches man uns einwendet, so muß man antworten, daß sein Schluß aufs höchste bloß wahrscheinlich ist. Man kann nicht leugnen, er ist sehr wahrscheinlich, wenn man ihn in einem gewissen Sinn ansieht, aber sehen Sie ihn auf einer anderen Seite an, so werden Sie befinden, daß er dieselbe Stärke nicht mehr hat. Und in der Tat, der Herr Erzbischof von Condom, der so viel Richtigkeit im Verstand und Gründlichkeit im Urteilen besitzt, hat kein Bedenken getragen, gerade das Widerspiel vom Origenes zu behaupten, denn er[397] hat geschlossen, daß die Abgötterei schwerer zu bestreiten sei, weil sie so ungereimt gewesen. Unserm Bedünken nach, spricht er349, scheint uns die Abgötterei die Schwäche selbst zu sein, und man kann kaum begreifen, warum so viel Stärke nötig gewesen, dieselbe übern Haufen zu werfen; allein ihre Torheit erweist im Gegenteil die Schwierigkeit, sie zu besiegen, und ein so großer Verfall der gesunden Vernunft zeigt sattsam, wie verdorben die Erkenntnis gewesen ist. Ich behaupte nicht, daß dieser Prälat den Götzendienst mit der Atheisterei habe vergleichen wollen, allein, es ist unstreitig, da er erwiesen, daß die Abgötterei schwer zu bestreiten sei, er zugleich erwiesen, daß sie schwerer zu widerlegen sei als die Gottesleugnung. Alle Sinne, spricht er350, alle Leidenschaften, alle Vorteile stritten für die Götzenverehrung. Sie war zum Vergnügen erfunden worden. Die Belustigungen, die Schauspiele und endlich die Frechheit selbst machten einen Teil des Gottesdienstes aus. Die Festtage waren nichts als Spiele, und es war kein Platz im menschlichen Leben, von dem die Schamhaftigkeit mit größerer Sorgfalt war verbannt worden, als es bei den Geheimnissen der Religion geschah. Wie sollte man so verdorbene Gemüter zur Ordnung der wahren, keuschen, strengen Religion gewöhnen, die eine so starke Feindin der Sinne und einzig und allein unsichtbaren Gütern ergeben war? Er zeigt im folgenden, daß der Eigennutz, das ist der Gewinn und die Pracht, welche die Gebräuche der Religion verschiedenen Städten verschafften, das entsetzliche Vorurteil, welches man für das Altertum in Religionssachen hat, und die Staatsmaximen gemeinschaftlich die Beibehaltung der Abgötterei stark beförderten. Wer sieht aber nicht, daß alle diese wichtigen Triebfedern unter den Atheisten von keiner Stärke gewesen sein würden?

Wir werden ein wenig besser unten sehen, ob nicht eine andere Ursache von der Schwierigkeit, die Menschen zu Gott zu bekehren, zu finden sei, als diese ist, von der wir zu Anfang dieses Artikels geredet haben.


185. Betrachtung über das Verbalten Jesu Christi gegen die Sadduzäer und Pharisäer

[398] Es scheint, als ob unser Herr Jesus Christus durch sein Verhalten in Ansehung der Pharisäer und Sadduzäer uns habe lehren wollen, daß das hauptsächlichste Hindernis unserer Bekehrung in der üblen Beschaffenheit unseres Herzens bestehe. Die Pharisäer waren weit richtiger in der Lehre als die Sadduzäer; sie nahmen die ganze Schrift des Alten Testamentes für wahr an, sie rühmten sich eines großen Eifers für das göttliche Gesetz und glaubten sogar, es sei nicht genug, dasselbe zu beobachten, man müsse auch noch einen Haufen Erklärungen, Gebote und Zeremonien halten, die sie jenem an die Seite gesetzt hatten. Die Sadduzäer waren weit gefälliger; sie ließen tausenderlei Sachen weg, welche ihnen überflüssig zu sein schienen, ihr ganzer Glaube ging nicht weiter, als daß sie die fünf Bücher Mosis annahmen und glaubten, Gott sei das allervollkommenste Wesen. Im übrigen glaubten sie nicht, daß es Geister gäbe und daß die Seele nach dem Tod wirklich bleibe und daß die Körper dermaleinst wiederauferstehen würden. Das sind Lehrsätze, die die äußerste Gottlosigkeit zum Grunde setzen. Indessen findet man nicht, daß der Hohepriester bei den Juden oder die Synode jemals gegen die Sadduzäer übel verfahren sei oder daß sie jemals von der Gemeinschaft der jüdischen Kirche ausgeschlossen worden, welches man unfehlbar würde getan haben, wenn sie Götzendiener geworden wären.


186. Von dem Abscheu der Juden vor Abgötterei

In Wahrheit, die erschrecklichen Strafen, welche Gott den Juden wegen ihrer Abgötterei zugeschickt hatte, hatten ihnen den Abscheu, welchen man vor einem solchen Verbrechen haben muß, dergestalt ins Gemüt eingedrückt, daß sie sich kaum enthalten konnten, daß sie nicht gegen ihren furchtbaren Tyrannen Herodes einen Aufstand gemacht[399] hätten, als er in Judäa dem Augustus zu Ehren einen Tempel aufbauen ließ. Als ebendieser Wüterich einen goldenen Adler über die große Pforte des Tempels hatte setzen lassen, so mußte er vor seinem Ende sehen, daß ein großer Haufe junger Leute351, die sich auf Aufwiegelung einiger Lehrer des Gesetzes zusammengerottet hatten, denselben am hellen lichten Tag mit Äxten herunter schlug. Da einige Zeit darauf Pilatus die Bildnisse des Kaisers des Nachts in den Tempel zu Jerusalem hatte tragen lassen, so machte das eine so starke Bewegung unter den Juden, daß sie augenblicklich nach Cäsarien liefen und den Pilatus demütigst baten, dieselben wieder wegzunehmen. Es hielt schwer, ehe sie es erlangten, sie mußten fünf Tage und fünf Nächte hintereinander in der Stellung fußfälliger Leute um seinen Palast herum liegen bleiben und ihren Hals dem bloßen Degen der Soldaten hinreichen, dem Pilatus sie zu überliefern drohte, sofern sie sich nicht entschließen würden, die Bilder des Kaisers in die Stadt zu nehmen. Sie wiederholten kurz darauf ebendieses Verhalten und erklärten sich gegen den Statthalter Petronius mit einer unglaublichen Beständigkeit: Sie wollten sich lieber in Stücke zerhauen lassen, ehe sie zugeben würden, daß man die Bildsäule des Caligula in den Tempel zu Jerusalem setzen sollte. Vordem hatten sie durch ihr Bitten erlangt, nicht zwar, wie es ein berühmter Prälat352 erzählt, daß die Völker des Vitellius ohne Fahnen durch Judäa marschierten, sondern daß sie einen andern Weg nahmen, damit nicht die jüdische Nation einen Anstoß nähme, die in dem Umfang des Gelobten Landes keinen Gegenstand der Abgötterei dulden konnte.

Sie glaubten, daß die Gegenwart eines Götzendieners die Heiligkeit ihrer Geheimnisse entheiligte, und konnten es durchaus nicht leiden, daß ein Heide während des Gottesdienstes sich unter sie mengte. Ihr Gewissen ging so weit, daß sie verboten, sich unter dem Schatten eines Baumes niederzusetzen, unter dem ein Götzenbild gestanden hatte, oder unter diesem Baum wegzugehen, wenn man einen anderen Weg nehmen konnte, und war kein anderer Weg[400] zu finden, so wollten sie, man sollte nicht anders als im vollen Lauf unter dem Baum fortgehen. Dieses erzählt uns der gelehrte Maimonides353 nebst anderen noch wichtigeren Sachen. Zufolge dieser Anmerkung wird man leicht begreifen können, daß die Juden, welche vordem die wahre Religion gehabt haben und die Verwahrer des göttlichen Willens gewesen sind, die Götzenverehrung für ein weit abscheulicheres Verbrechen, als die Ketzerei derjenigen ist, welche das Paradies leugnen, gehalten haben. Doch dieses ist nicht das Hauptwerk, was ich sagen wollte. Ich wollte erinnern, daß unser Heiland mehr Verachtung gegen die Pharisäer als gegen die Sadduzäer bezeugt hat. In allem und überall hat er mit den Pharisäern zu tun, ihnen deckt er ihre Fehler auf das schärfste auf, sie sucht er bei aller Gelegenheit zu bestrafen. Die Ursache ist diese: Sie waren zwar in der Lehre richtiger, allein ihr Herz war durch Scheinheiligkeit und Hochmut verdorbener, und deswegen waren sie unfähiger, sich zum Evangelium zu bekehren.


187. Ob noch eine andere Ursache des Unglaubens zu finden als die Neigung zum Bösen

Alle diejenigen aber, welche ihre Gedanken von der Schwierigkeit, die Menschen zum Evangelium zu bekehren, eröffnen, sagen nicht so überhaupt, daß sie in der Bosheit des Herzens bestehen. Sie befinden es nicht für unmöglich, daß sie nicht zuweilen aus einer Dunkelheit in ihrer Seele, die sie wider Willen hegen, entspringen sollten. Und wie es Gegenstände gibt, welche man nicht erblicken kann, so gern man auch immer wollte, also gebe es auch Wahrheiten, die uns niemals Wahrheiten zu sein scheinen, so große Mühe und Lust wir auch haben mögen, dieselben zu erkennen. Man mag sagen, was man will, unsere Kräfte wirken niemals, wenn die Gegenstände nicht in einem richtigen Verhältnis mit ihnen stehen. Sind die Gegenstände des Gesichts allzu klein oder allzu entfernt oder im Finstern, so mögen wir noch so viele Wünsche haben,[401] dieselben zu sehen, wir müssen es uns gefallen lassen, daß wir sie nicht sehen, wir mögen noch so gute Augen haben. Haben wir auf der anderen Seite ein schwaches Gesicht, so mag man die Gegenstände so weit setzen, wie gute Augen sehen können, wir werden sie nicht erkennen. Und wer hat es gesagt, daß die Gegenstände des Verstandes nicht ebenfalls ein gewisses Verhältnis erfordern, wenn wir sie wahrnehmen sollen? Wer hat es uns gesagt, daß man nur wünschen dürfe, dieselben für wahr zu halten, sogleich würden sie uns als wahr vorkommen? Wer hat es gesagt, daß die innerliche Einsicht unserer Seele allemal so hell und deutlich ist, daß sie die Gegenstände, die man ihr vorhält, erkennen kann, man mag sie entfernen und verwickeln, wie man will? Ich meines Orts leugne gar nicht, daß es unzählige Menschen gibt, welche sich mit Wissen und Willen verblenden, allein, ich halte mich doch daran, was ich sonst schon gesagt habe, daß Gott allein weiß und kennt, wer diejenigen sind, die boshafterweise die Geheimnisse seines Wortes nicht wissen. Und da es Leute gibt, welche die Stärke des Einwurfes besser einsehen als die Stärke der Antwort, obgleich die Antwort besser ist und man weder von dem Einwurf noch von der Antwort Nutzen hat, so kann es auch Leute geben, welche sich durch die schwächsten Gründe überwinden lassen, ohne dabei der Neigung einer ausschweifenden Leidenschaft zu folgen. Die gesunde Weltweisheit lehrt uns heutzutage auf eine sehr überzeugende Art, daß unsere Seele von dem Körper unterschieden und folglich unsterblich ist; allein, wieviel gibt es nicht Leute, welche den Nachdruck und die Stärke aller dieser festen Gründe nicht einsehen. Und man sage ja nicht, daß es Leute wären, welche wünschten, daß die Seele mit dem Körper unterginge. Es sind im Gegenteil Personen, welche ihre Ewigkeit wünschen. Ich nehme deswegen den Cicero354 zum Zeugen, welcher uns versichert, er wünsche erstlich, daß die Seele unsterblich sei, und fürs andere, wenn dieses nicht wahr wäre, daß man es ihm wenigstens einreden solle. Er setzt hinzu: Wenn er die Abhandlung des Plato von der Seele[402] lese, so habe er an seinen Gründen nichts auszusetzen, sobald er aber das Buch zumache und der Sache nachdenke, so verschwinde seine gehabte Meinung. Ich nehme auch den Seneca355 zum Zeugen, der so viel zu verstehen gibt, er habe gern von der Ewigkeit der Seele philosophiert oder vielmehr sie geglaubt, und er sei mit vielen großen Männern leicht eines Sinnes geworden, welche eine so angenehme Lehre nicht sowohl beweisen als vielmehr versprechen. Ich überließ mich, fährt er fort, dieser süßen Hoffnung. Hier sieht man die zwei vortrefflichsten Köpfe des Altertums, wie sie alles mögliche tun, um sich von der Unsterblichkeit der Seelen zu überzeugen, und doch nicht vollkommen davon überführt werden können. Es gibt hinwiederum andere, welche nach der Anmerkung des Minutius Felix, die ich an einem anderen Ort angeführt habe, wünschen, daß die Seele mit dem Körper untergehen möge, und können es doch nicht glauben. Mehr als tausend Personen ärgern sich alle Tage, daß sie an hundert Dingen, die sie so gern nicht wissen möchten, nicht zweifeln können, und bemühen sich vergeblich, blind zu werden, damit sie nur die Verdienste ihrer Feinde nicht sehen möchten. Es ist daher nicht wahr, daß allemal unsere Leidenschaften die Richtschnur unsrer Meinungen sind. Man hat daher unrecht, wenn man sich einbildet, daß, sobald man in der Religion eine wichtige Wahrheit erblickt hat, eine heimliche Neigung sich rege, der viel daran gelegen sei, wenn wir in Unwissenheit verbleiben.

Jedoch mir liegt bei meinem Beweis wenig daran, die Menschen mögen entweder deswegen dem Evangelium widerstehen, weil ihr Verstand mit Finsternissen, die durch die Verderbnis des Herzens verursacht worden sind, angefüllt ist oder weil sie wider Willen in einen Abgrund von Vorurteilen gestürzt sind; mir, sage ich, liegt wenig daran, man mag es erklären, wie man will, ich kann allemal mit Grund behaupten, daß die Atheisten nicht schwerer zu bekehren sind als die Götzenverehrer. Will man, daß die Menschen dem Evangelium widerstehen, weil es uns befiehlt, unsere Neigungen zu bekriegen? Ich behaupte und[403] habe es erwiesen, daß die Götzendiener nicht mehr Stärke besitzen, ihren Leidenschaften Widerstand zu tun, als die Gottesleugner. Will man, daß die Menschen dem Evangelium widerstreben, weil es unbegreifliche Sachen zu glauben befiehlt? Ich behaupte und habe es erwiesen, daß die Götzendiener ihren Verstand ebensowohl wie die Atheisten mit Finsternis, mit lächerlichen und ungereimten Vorurteilen angefüllt haben.


188. Wie geschickt die heidnische Religion gewesen, Atheisten zu machen

Wenn ich der Sache mit Fleiß nachdenke, so scheint es, daß zwar ein Atheist nicht geschickt gewesen ist, den Aberglauben des Heidentums anzunehmen, allein ich finde nicht, daß man größere Schwierigkeiten haben würde, ihn zu dem wahren Gott zu bekehren als bei einem Götzendiener. Die heidnische Religion lehrte, die Gottheit betreffend, so lächerliche Dinge, daß kein Atheist in der Welt sein konnte, der, wenn er nur gesunde Vernunft hatte, nicht hätte weit lieber bei seinen Gedanken beharren sollen, als daß es ihm möglich gewesen wäre, solche Götter, wie der Heiden ihre waren, anzunehmen. Sonst war es auch eine Religion, welche die abscheulichsten Verbrechen bestätigte, und daher kam die Verachtung und der Abscheu, den die Gottesleugner vor ihr bezeugten, als vor der Erfindung einer sowohl gewaltsamen als betrügerischen Staatskunst.356 Daher kam es, daß sie sagten, wenn die Religion den Menschen von den Göttern wäre gegeben worden, so müßte man sie vielmehr für eine Wirkung ihres Zorns als ihrer Gewogenheit ansehen. Und das war endlich die Ursache, warum gewisse Personen sich in die Gottesleugnung stürzten. Wir wollen einmal den Plutarch357 reden hören:

Der Aberglaube ist es, der die Gottesleugnung in die Welt gebracht hat und der ihr noch alle Tage Mittel in die Hand gibt, sich zu rechtfertigen und zu verteidigen, wenn nicht[404] rechtmäßigerweise, so doch wenigstens mit viel Schein und Vorwand. Denn die allerersten, welche die Atheisterei ergriffen, haben es nicht deswegen getan, weil sie an dem Himmel was auszusetzen gefunden oder an den Sternen oder an den Jahreszeiten oder an den Umdrehungen der Sonne, die durch ihre Bewegung Tag und Nacht macht; auch nicht deswegen, weil sie einige Unordnung oder irgendeinen Mangel in der Nahrung der Tiere oder in dem Wachstum derselben angemerkt, keineswegs. Der Aberglaube war schuld daran. Seine wunderlichen Handlungen, seine lächerlichen Neigungen, seine Worte, seine Bewegungen, seine Hexereien, seine Bezauberungen, seine Streiche und Gegenstreiche, seine unreinen und abscheulichen Reinigungen, seine Dreifüße, seine unkeusche und garstige Eingezogenheit, seine unmenschlichen Peinigungen und der Überlast, den er sich selber in den Tempeln verursacht hat; alles dieses sind die schönen Dinge, welche einige veranlaßt haben zu sagen, es wäre weit besser, die Menschen hätten gar keine Götter, als daß sie solche haben müßten, welche dergleichen Dinge guthießen, welche an einem so wunderlichen Dienst einen Gefallen hätten, welche mit ihren Verehrern übel umgingen, welche sich über nichtswürdige Dinge ärgerten und welche über Kleinigkeiten verdrießlich würden. In der Tat, würden die Gallier und Skythen nicht glücklicher gewesen sein, wenn sie nimmermehr von den Göttern was gehört oder nie an sie gedacht oder nicht den geringsten Begriff von ihnen gehabt hätten; als da sie geglaubt, daß es Götter gebe, die aber an Menschenblut einen Gefallen trügen, das man vergießen und ihre Altäre damit benetzen müßte, und die dergleichen barbarische und unmenschliche Opfer als die angenehmste Sache von der Welt ansähen, und die sich für ihre Hoheit am besten schickten? Und wieweit besser würde es für die Karthaginenser gewesen sein, wenn sie zu ihren ersten Gesetzgebern einen Kritias und einen Diagoras gehabt hätten, welche weder Götter noch Geister glaubten, als daß sie dem Saturn ihre gewöhnlichen Opfer brachten.[405]

Da nun die Religion der Götzendiener also beschaffen gewesen, so ist keine Wahrscheinlichkeit, daß jemals ein Atheist seine Partei habe verlassen und an einem so lächerlichen und strafbaren Gottesdienste teilnehmen wollen. Man verkündige ihm aber die christliche Religion, die uns nichts von Gott offenbart, das nicht groß, heilig und erhaben sein sollte, die uns solche Tugenden auszuüben anbefiehlt, welche höchst rein und der Einsicht der wahren Vernunft höchst gemäß sind: er wird dergleichen Schwierigkeiten nicht machen können. Und wofern die herrschende Neigung eines Menschen, nach den Lüsten seines Herzens zu leben, oder eine entsetzliche Dummheit diesen Atheisten nicht abhalten, sich zum Evangelium zu bekennen, so wird er sehen, daß es eine ungleich vernünftigere Partei ist als diese, mit der er es bisher gehalten.


189. Obgleich der Mensch sehr verdorben ist, so will er doch nicht, daß die Religion das Laster gebiete

Ich kann nicht umhin, hier eine kleine Betrachtung über das wunderliche Wesen des menschlichen Verstandes anzustellen. Ob er gleich das Laster liebt, so ist es ihm doch nicht recht, wenn es durch die Gesetze der Religion bestätigt wird. Ebendieselben Personen, welche das Evangelium wegen seiner strengen Moral verwerfen, würden mit noch größerm Abscheu eine Religion von sich stoßen, die ihnen geböte, sich in den allerschändlichsten Unordnungen herumzuwälzen, wenn man ihnen dieselbe zu einer Zeit vor Augen stellte, da sie imstande sind zu schließen, und bevor sie von den Vorurteilen der Jugend eingeschläfert worden. Es ist keine liederliche Manns- oder Weibsperson in Paris, die nicht einen Prediger mit Steinen werfen sollte, wenn er die Frechheit hätte zu predigen, daß Gott verbotene Wollüste guthieße. So lasterhaft das Leben der meisten Christen ist, so ist es doch wahrscheinlich, wenn ein Ketzer aufstünde und freiheraus und ohne Umstände lehrte, das Evangelium erlaube uns alles, was unser[406] Herz wünscht, er würde gar nicht fortkommen oder doch nicht so gut, als wenn er eine strenge Art annähme und mit einer ausnehmenden Freimütigkeit gegen die Sitten der vornehmsten Personen eiferte. Sogar die Heiden haben sich gesorgt, sie möchten ein Ärgernis geben, wenn sie eine Lehre bekanntmachten, die, dem Ansehen nach, der Freiheit zu sündigen das Tor öffnete. Als daher Lukrez gleich zu Anfang seines Buches angeführt hat, er wolle nach den Grundsätzen Epikurs, dieses ruhmwürdigen Bezwingers der Religion, philosophieren, so setzt er sehr geschickt hinzu, nicht um die Welt böse zu machen. Man dürfe sich nicht einbilden, daß er dadurch den Lastern behilflich sein wolle, weil im Gegenteil die Religion zu den allerabscheulichsten Gottlosigkeiten Anlaß gegeben habe.358

Es kommt einem fremd vor, daß man mit dem Menschen auf diese Art verfahren muß, und es gehört dieses mit unter die Widersprüche, welche unser Geschlecht verstellen. Zufolge der Neigung, die wir haben, unserer Natur ein Genüge zu leisten, sollten wir denjenigen nachlaufen, welche uns predigen, daß alles erlaubt sei, und indessen verabscheuen wir sie. Weil eine gelinde Sittenlehre uns abscheulich vorkommt, so sollten wir uns zu der allerstrengsten Moral halten, und indessen fliehen wir vor ihr. Vielleicht wollen wir also ein gewisses Mittel halten, dabei man uns etwas zuläßt, nicht aber alles erlaubt? Allein, man erwäge es genau, so wird man sehen, daß auch dieses Mittel uns nicht ansteht, denn wir tun entweder alles, ob wir gleich nicht wollen, daß man es uns erlaube, oder wir tun wenigstens mehr, als uns von denjenigen erlaubt worden ist, welche uns, wie wir wollten, etwas zugelassen haben.

Die Staatsverständigen haben einen ähnlichen Widerspruch in dem Gemüt des Menschen in Ansehung des Verlangens nach der Freiheit angemerkt. Die Menschen sind sehr begierig danach, und doch können sie sie nicht vertragen. Dulden sie daher die Sklaverei? Auch dieses nicht.359 Sie können es nicht ertragen, weder daß sie gänzlich in Sklaverei noch gänzlich frei sein sollten.[407]


360Pour avoir du public, ce qu'on peut souhaiter,

Il ne faut le trop bien, ni le trop maltraiter.

Vom Volke, was man wünscht zu haben und genießen,

Wird man ihm nicht zu sanft, auch nicht zu hart sein müssen.


Sie werden sich wenigstens eine Vermischung von Freiheit und Sklaverei gefallen lassen. Sie können sie nicht finden noch sich dabei erhalten.361 Es ist eine Eigenschaft des Pöbels, daß er entweder niederträchtig dient oder trotzig herrscht. Was die Freiheit anlangt, welche das Mittel hält, so kann er dieselbe weder entbehren noch behalten.


190. Was die Ursache davon ist

Fragen Sie mich, warum die Menschen weder eine Religion, die nichts erlaubt, noch eine Religion, die alles zuläßt, haben wollen, so gebe ich Ihnen zur Antwort: Die Ursache ist diese: Einerseits veranlaßt sie ihre Neigung zu fleischlichen Wollüsten, daß sie eine gemächliche Religion wünschen, andererseits sagt ihnen die gesunde Vernunft, eine Religion, wenn sie gut und des Gehorsams würdig sein sollte, müsse von Gott herkommen, Gott aber beföhle dem Menschen niemals, das Böse auszuüben. Wenn daher ein Mensch eine Religion wählen will und in dem Forschen frei und aufrichtig verfährt, so wird er niemals eine Religion ergreifen, welche die Ausübung der Sünde lehrt, weil daraus augenscheinlich erhellt, daß sie nicht von Gott herkommt und daß es eine Erfindung eines Menschen ist, dem man sein Gewissen zu unterwerfen nicht verbunden ist. Findet er aber eine Religion, welche die Ausübung aller Tugenden auf die reinste Art verordnet, was wird er sagen? Er wird darin die Merkmale der Gottheit erkennen, wenn er sie auf gehörige Art untersucht ; und wenn ihn die Liebe zum Laster nicht abschreckt, so wird er sich vorbereiten, dieselbe zu ergreifen. Daraus[408] erhellt, daß, obgleich die Atheisten gegen falsche Religionen Verachtung und Abscheu bezeugt haben, man doch nicht schließen dürfe, daß sie davon für die wahre Religion mehr eingenommen sein müssen als die Götzendiener. Im Gegenteil scheinen sie mehr imstande zu sein, ihre Gottheit zu erkennen, als ein Heide, weil ein Heide nicht mit den Gedanken umgeht, sich eine Religion zu erwählen. Man hat ihm schon eine gegeben, ehe er geschickt war, sein Urteil zu gebrauchen. Er ist zufrieden damit und will nicht einmal untersuchen, ob nicht vielleicht ein Fehler darin sein könnte.

Dem sei, wie ihm wolle, man kann behaupten, daß die Gottesleugner und Götzendiener gleich schwer zurechtzubringen sind, wenn man die Beschaffenheit ihres Herzens ansieht, welches bei beiden gleich böse und gleich geschickt ist, durch die Eindrücke der Gewohnheit, der Erziehung, der Fertigkeiten und des angenommenen Geschmackes sich entweder zu verschlimmern oder zu verbessern. Da es nun aber sonst ausgemacht ist, daß ein durch eine Religion schon eingenommenes Gemüt schwerer aus dem Irrtum zu bringen ist als ein anderes, das davon leer ist, so kann man auch, wenn man alles wohl zusammen nimmt, nicht leugnen, daß ein Gottesleugner nicht leichter sollte zu dem wahren Gott können bekehrt werden als der Götzendiener.


191. Ob das äußerliche Bekenntnis der Religion, das die Atheisten tun, ihnen einigen Vorteil verschaffen kann

Man könnte noch hinzusetzen, daß ein Atheist, weil er kein Bedenken trägt, das Christentum von außen zu bekennen, mehr imstande sei, daran einen Geschmack zu finden, als ein Götzendiener, der ihr Bekenntnis verabscheut, weil er von falschen Grundsätzen eingenommen ist. Allein dieser Grund kann durch die Erfahrung der spanischen und portugiesischen Inquisition widerlegt werden, da man täglich verschiedene ganze jüdische Familien[409] entdeckt und zum Feuer verurteilt hat, ob sie gleich seit undenklichen Zeiten sich zur christlichen Religion bekannt und, um ihre Nachbarn desto füglicher zu betrügen, die äußerlichen Übungen der katholischen Religion sehr ordentlich mitgemacht haben. Überdies bekennen sich die Gottesleugner gemeiniglich zu der Religion, die im Schwange geht; daraus folgt, daß für einen, der von außen ein Christ zu sein scheint, es deren hundert gibt, die das nicht zu sein scheinen. Ich habe gesagt, gemeiniglich; denn es ist gewiß, daß es Personen ohne Religion gibt, welche, was das äußerliche Bekenntnis anbelangt, in der Gesellschaft, darin sie sind erzogen worden, verbleiben, ob diese gleich nicht irdische Vorteile zur Seite hat, weil sie entweder keinen Ehrgeiz besitzen oder weil sie in der Religion, darin sie sich befinden, den äußerlichen Schein leichter beobachten können, oder weil sie sich mit ihrer Beständigkeit und Verachtung des Glücks großmachen wollen, oder weil sie ihre Eltern und Freunde nicht betrüben wollen, oder weil sie besorgen, man möchte sie beschuldigen, als ob sie die Religion des Nutzens halber geändert hätten, oder anderer Ursachen halber,


192. Warum man sich bei dieser Materie so weitläufig erklärt hat

Dieses hier, mein Herr, ist ein Teil derjenigen Gründe, wovon ich vor kurzem gehört habe, daß ein sowohl seiner Frömmigkeit als Wissenschaft halber berühmter Mann beweisen wollte, daß der Götzendienst schlimmer sei als die Gottesleugnung. Ich besorge, ich werde sie allzu weitläufig vorgestellt haben, und ich gestehe sogar, daß ich mich allzutief in eine Sache eingelassen habe, die mich oft von meiner Hauptsache abführte. Doch da mich diese Moral sehr lebhaft rührte und mir mehr Gelegenheit gab, als wohl eine Predigt hätte tun können, daß ich mich selber kennenlernen und mich überführen konnte, daß das wenige Gute, das sich in mir befinden mag, sehr unvollkommen[410] ist wegen der vielen menschlichen Beweggründe, die sich nur allzuoft mit einschleichen, so habe ich wissen wollen, was Sie bei diesem Lehrsatz denken. Und ebendeswegen habe ich Ihnen denselben so weitläufig auseinandergesetzt, zudem hat er seinen großen Nutzen bei der Geschichte von dem Fall Adams und ist den Pelagianern sehr zuwider. Es scheint anfänglich, als ob er die Abscheulichkeit der Atheisterei verringere. Allein, wenn Sie die Absicht des Verfassers nur ein wenig einsehen, so werden Sie sehen, daß er zugibt, die Gottesleugnung sei an und für sich ein Stand des Fluches und der Verwerfung, darüber man erschrecken muß, ob er gleich glaubt, daß sie nicht die äußerste Stufe der Verwerfung sei, wenn er sie mit den Gottlosigkeiten des Heidentums vergleicht.


193. Betrachtung über ein Traktat des Plutarchus von dem Aberglauben

Wenn Sie diese Abhandlung mit derjenigen vergleichen, welche Plutarch über eine ähnliche Materie aufgesetzt hat, so weiß ich gewiß. Sie werden befinden, daß das Alteste darum nicht das Beste ist. Sie mögen nun entweder die Sache selber oder die Art und Weise betrachten, wie sie ausgeführt worden ist. Man erlaube mir dasjenige zu loben, woran ich nicht viel Anteil habe, und zu zeigen, worin jener es einem der vornehmsten Männer des Altertums zuvorgetan habe.

Plutarch setzt sich den Zweck, daß er zeigen will, der Aberglaube sei schlimmer als die Gottesleugnung. Da es nun ganz gewiß ist, daß die Abgötterei ungleich verdammenswerter ist als der Aberglaube, so ist außer Zweifel, daß jener Verfasser eine weit verhaßtere, gefährlichere und unglaublichere Materie ausgearbeitet hat, als diese sein kann, die in der Abhandlung, welche ich Ihnen zuschicke, enthalten ist. Was die Art der Ausarbeitung anbelangt, so weist es der Augenschein, daß hier mehr Weitläufigkeit und Stärke in den Gründen zu finden ist als in[411] dem Traktat Plutarchs, und daß eine Menge von Gedanken angebracht sind, die wohl jener allem Ansehen nach nimmermehr mag gehabt haben. Der Grund, darauf er am meisten dringt und in dem er, wie es scheint, die größte Stärke zu finden vermeint, ist so schwach, wie nur möglich ist. Er vergleicht die Unruhe eines Abergläubischen mit dem ruhigen Zustand eines Gottesleugners und behauptet, daß die Atheisterei den Menschen eine große Stille genießen lasse, dahingegen der Aberglaube ihn aus einer Unruhe in die andere stürze, und daher sei dieser schlimmer als jene. Allein mit Erlaubnis dieses großen Mannes, er hat weder die Sache wohl eingesehen noch richtig geschlossen. Es soll nicht das physikalische Gute der Gottesleugnung mit dem physikalischen Guten des Aberglaubens, sondern beide in Absicht auf die Sittenlehre miteinander verglichen werden. Nun ist es gewiß, es gibt Sachen, die moralisch besser sind als andere, die doch nicht so viel Unempfindlichkeit und fleischliche Sicherheit zuwege bringen wie die andern. Wer zweifelt, daß es nicht Leute geben sollte, welche der Wichtigkeit ihrer Seligkeit so stark nachdenken, daß sie dabei nicht einschlafen können, da inzwischen Trunkene in sehr tiefem Schlaf liegen? Wird man deswegen sagen müssen, es sei besser, wenn man so lange trinkt, bis man trunken wird, als wenn man über die vier letzten Dinge des Menschen tiefsinnige Betrachtungen anstellt? Nach der Schlußrede Plutarchs würde man erweisen können, es sei besser, in dem Schoß der Wollust ohne irgendeinen Kummer zu leben, als Tag und Nacht zu arbeiten, wie ein rechtschaffener Advokat tut, um der Unschuld aufzuhelfen. Man würde auch erweisen können, daß die verfolgte Tugend schlimmer sei als ein Laster, das niemanden stört. Er hat daher an diesem Ort seht unglücklich geschlossen.

Ich gestehe indessen, daß dieses Traktat Plutarchs aller Lobeserhebungen nicht unwürdig ist, welche ihm von Tanaquil Faber, dem Vater der berühmten Frau Dacier, welche die Welt mit so viel gelehrten Büchern bereichert hat sind beigelegt worden. (Erlauben Sie, daß ich sie loben[412] darf, ob sie gleich Hugenottin ist, und seien Sie nicht so verdrießlich wie jene unfreundlichen und sauertöpfischen Katholiken, welche den ehrlichsten Leuten von der Welt – einem Pasquier, einem Thuan, einem Servin – es als ein Verbrechen anrechnen, daß sie gegen einige Ketzer, die sich in der Welt berühmt gemacht haben, Hochachtung bezeugt haben.)362 Ja, ich gebe auch noch zu, daß Plutarch an den Orten, wo er die hauptsächlichsten Gottlosigkeiten des alten Götzendienstes betrachtet, sehr gründlich erweist, daß sie schlimmer sind als die Gottesverleugnung, und dieses gesteht auch der gelehrte Bischof von Auxerre363, welcher ihn ins Französische übersetzt hat, indem er öffentlich seine Partei gegen diejenigen nimmt, welche diese Lehre verdammen. Er ist darin mit dem Arnobius einerlei Meinung. Hier haben Sie eine Stelle aus seinen Schriften, die meinem Bedünken nach von großem Verstand zeugt.364 Ich wundere mich, spricht er zu den Heiden, seit langer Zeit, da ich die Mißgeburt eurer Theologie betrachtet habe, wie ihr euch unterstehen könnt, diejenigen Gottesleugner Gottlose und Kirchenräuber zu nennen, welche schlechterdings leugnen, daß es Götter gibt, oder welche daran zweifeln, oder die behaupten, daß die Götter Menschen gewesen. Denn wenn man die Sache genau erwägt, so verdient kein Mensch diese Namen mehr als ihr, weil, unter dem Vorwand, sie zu verehren, ihr ihnen mehr Schimpfreden anhängt, als wenn ihr sie öffentlich beschimpftet. Wer an dem Dasein der Götter zweifelt oder es schlechterdings leugnet, hat zwar das Ansehen, als ob er sich in Meinungen stürzte, die von der äußersten Verwegenheit und Gottlosigkeit sind, aber er greift doch niemanden persönlich an. Er will nur nicht glauben, was er nicht begreift... Ihr aber usf. Bedenken Sie es wohl, mein Herr. Sie können meinen Doktor nicht verdammen, ohne daß Sie nicht zugleich einen Kirchenlehrer verdammen sollten.

Hat dieser geschickte Mann recht, so ist nichts mehr einzuwenden. Man muß notwendig leugnen, daß die Kometen nicht Zeichen des göttlichen Zorns sind, die durch ein Wunderwerk hervorgebracht worden sind, weil sie so geschickt[413] sind, die Menschen in dem allergottlosesten Zustand, den man nur erdenken kann, zu erhalten. Lassen Sie mich nach dieser Abschweifung, die so viel Mühe erfordert hat, ein wenig ausruhen, ob ich gleich den Einwurf nicht völlig beantwortet habe. Das übrige soll bald nachkommen.

A..., den 2. August 1681


194. Fünfte Antwort: Man kann kein Exempel anführen, das da erweist, Gott habe zur vermeintlichen Bekehrung eines und des anderen zur Abgötterei durch ein Wunderwerk Wunderzeichen erscheinen lassen

Damit ich den ersten Einwurf vollends beantworte, so sage ich, mein Herr, daß das Exempel des Horaz, welches man darin anführt, gegen mich keine Stärke besitzt. Denn fürs erste ist es sehr ungewiß, ob dergleichen Donner und Blitze bei heiterem Himmel, davon man in den alten Registern der Wunderzeichen so viel Redens macht, jemals gewesen sind. Wenn man dergleichen so oft gesehen hätte, so würde Lukrez nicht das Herz gehabt haben, in einer öffentlichen Schrift zu behaupten, daß man deren niemals sehe; er würde vielmehr sich Mühe gegeben haben, davon eine natürliche Ursache durch Hilfe seiner Sonnenstäubchen herauszufinden. Überdies findet man nicht, soviel ich mich erinnern kann, daß diejenigen bei uns, welche Wunderzeichen erzählen, so genau und ordentlich sie sonst sind, ein solches Zeichen, wie das obige ist, anführen sollten. Ferner, wenn man vor diesem dergleichen Wunderzeichen gesehen hätte, so würde das für die Kometen nichts erweisen, weil es nicht erwiese, daß Gott diese Donnerschläge durch ein Wunderwerk hervorgebracht hätte, um die Menschen zu überführen, daß es eine Vorsorge gibt, wie man behauptet, daß Gott auf ebendiese Art Kometen hervorbringe, um die Menschen ihrer bevorstehenden Unglücksfälle halber im voraus zu warnen. Wie soll[414] man glauben, daß Gott Wunder tue, die auf der einen Seite so unnötig und auf der andern der Abgötterei so behilflich sind, wie z.B. die Donnerschläge bei heiterem Himmel waren?


195. Wie behilflich zur Abgötterei und wie unnötig die Wunderwerke unter den Heiden gewesen sein würden

Ich sage, sie waren der Abgötterei förderlich, weil sie die Menschen auf die Gedanken brachten, Gott verlange Opfer und neue Ehrenbezeigungen, und weil sie selbige durch Furcht der Strafe nur sinnreich machten, neue abergläubische und abgöttische Zeremonien zu erfinden. Ich sage auch, sie waren unnötig, denn die ganze Welt, nur einige wenige Leute ausgenommen, war voller Tempel oder Religionen, und diese wenigen Leute, welche der Lehre Epikurs anhingen, waren nicht von der Art, daß sie sich bei einem Donnerschlag, den sie bei heiterem Himmel gehört, viel mehr als bei dem ordentlichen Donner und bei so vielen andern wundernswürdigen Wirkungen, die man in der Welt sieht, hätten bekehren sollen. Und sofern es wahr ist, daß Horaz sich nicht eher als nach diesem Donnerschlag bekehrt hat, so hat er sich gewiß aus Eigensinn oder von ungefähr bekehrt, wie jener Jude, der alle die Stellen der Heiligen Schrift, welche die Dreieinigkeit erweisen, nichts achtete und endlich glaubte, er habe den unumstößlichen Beweis davon in einem Vers gefunden, wo er ich weiß nicht was für eine Zusammensetzung der Buchstabe bemerkte, die er für geheimnisvoll hielt.


196. Vergeblichkeit der Bekehrung eines Epikureers zur Abgötterei

Und endlich ist die Bekehrung des Horaz so was weniges gewesen, daß es sich nicht der Mühe verlohnte, ein Wunder[415] deswegen zu tun. Er war ein Epikureer und ward ein Götzendiener. Meinen Sie wohl, daß er dadurch dem Himmelreich näher gekommen? Meinen Sie wohl, daß dieses ein großer Schritt gewesen, um in den Schoß der Kirche einzugehen? Meinen Sie wohl, daß dieses Wundergut bezahlt worden ist, da es eine Bekehrung zum Götzendienst gewirkt hat? Denn bilden Sie sich nur nicht ein, daß Horaz dadurch ein rechtschaffenerer Mann geworden ist, als er vorher war, und daß er das mindeste von seinen schändlichsten Wollüsten sich entzogen habe. Alles, was er getan hat, besteht darin, daß er zu glauben angefangen, die Götter regierten die Welt, anstatt daß er vorher glaubte365, sie führten ein ganz glückliches Leben, ohne den geringsten Kummer, und daß er nunmehr, nebst den anderen abgöttischen Römern, den Jupiter und die anderen römischen Gottheiten angebetet hat. Übrigens ist er seinen Lüsten nachgegangen wie sonst und dadurch in einen ebenso irrigen und den Göttern schimpflichen Irrtum verfallen, wie derjenige war, dem er abgeschworen hatte; denn er hat geglaubt, es sei ebensowohl erlaubt, seine Leidenschaften zu vergnügen, wenn man solche Götter verehre, welche die Welt regieren, als wenn man dergleichen anbetet, die sie nicht regieren; und daß folglich die Götter die Reinheit des Herzens nicht von uns verlangen, und wenn sie dieselbe auch verlangen, daß man dennoch seine Lebensart nicht verlassen dürfe, welches weit anstößiger ist, als wenn man glaubt, daß sie keine Aufsicht über die Welt haben. Wenn man also alles genau überrechnet, so wird man befinden, daß Horaz, nachdem er durch das vorgegebene Wunder von der epikureischen Sekte bekehrt war, weit gottloser geworden ist, als er vordem gewesen (denn die Überzeugung, daß es eine Vorsorge gibt, vergrößert die Schändlichkeit der Laster), und die göttliche Natur weniger kennengelernt hat, als er sie vorher gekannt. Denn man würde sehr irren, wenn man dafürhielte, daß der größte Irrtum, darin man in Ansehung der göttlichen Natur stecken könne, dieser sei, wenn man die Vorsorge leugnet. Ich gebe zu, daß es ein sehr[416] grober Irrtum ist und der wider alle Begriffe der gesunden Vernunft läuft, allein, ich behaupte, daß es noch ungereimtere Irrtümer gibt.


197. Daß es Irrtümer gibt, die noch gröber sind, als wenn man die Vorsehung leugnet

I. Hierher gehören z.B. die Irrtümer der Griechen und Römer, da sie der Kybele als der Mutter der Götter, dem Jupiter als dem Ehemann seiner Schwester Juno, dem Phöbus und der Diana als den Kindern des Jupiters Tempel erbaut. Feste und Opfer verordnet haben. Von dem Romulus, der die Stadt Rom erbaut hat und der einer von ihren vornehmsten Göttern war, will ich nicht einmal reden, denn es ist bekannt, daß er für einen Sohn des Gottes Mars und der Rhea Sylvia, die von der unkeuschen Liebe der Göttin Venus entsprossen war, ist gehalten worden. Wer sich also nach dem Geschlechtsregister des Romulus erkundigte, der mußte zugleich erfahren, daß eine Göttin den ehrlichen Anchises verleitet hat, bei ihr zu schlafen, und daß ein Gott eine Jungfrau geschändet habe, deren Jungfrauschaft der Göttin Vesta gewidmet war, eine Handlung, um derentwillen man einen Menschen zum Tode verurteilen würde, gesetzt, daß man die Laster der Unkeuschheit noch sosehr duldete. Wer sieht nicht, daß dieses ein für die Götter weit niederträchtigerer und unanständigerer Begriff ist, als wenn man ihnen die Regierung der Welt nimmt?

II. Hierher gehören die rasenden Meinungen, wel che diejenigen von der göttlichen Natur sich gemacht haben, die, wie ich schon angemerkt habe, die Tempel der Götter niederrissen, wenn sie glaubten, daß ihnen diese nicht recht aufgewartet hätten. Es gehören auch diejenigen hierher, welche zwar überzeugt waren, daß die Götter die Welt regierten, ihren Leidenschaften aber nichts versagt haben, denn sie müssen entweder geglaubt haben, die Götter wären damit zufrieden, oder man habe nicht Ursache,[417] sich darum zu bekümmern, die Götter möchten damit zufrieden sein oder nicht. Ein verdammenswerter Gedanke, und der Gott tausendmal schimpflicher ist, als wenn man mit dem Epikur glaubt, die Götter genössen ihrer Ruhe und bekümmerten sich nicht um die Händel anderer, weil es tausendmal schimpflicher ist, wenn sich jemand unterfängt, eine Stadt zu regieren und alle Arten der Unordnungen darin duldet, als wenn er sich dessen gar nicht unterfängt. Man kann daraus die Abscheulichkeit des Urteils ersehen, welches die Christen abfassen, wenn sie nach vorhergegangener reiflicher Überlegung sich beratschlagen, wie sie ein Verbrechen begehen könnten, und man kann erkennen, daß, ohne die Bosheit des Herzens zu rechnen, die Verblendung ihres Verstandes ebenso abscheulich und ungeheuer ist wie bei einem Ketzer.

III. Hierher gehören auch die Alfanzereien, welche man in dem Talmud und in dem Koran findet, deren einige der Herr Marquis de Pianezze und der gelehrte Grotius in ihren Abhandlungen von der Wahrheit der christlichen Religion angeführt haben.

IV. Hierher gehören ferner die Meinungen der heutigen Juden, welche glauben, wie man sagt, es sei ein gutes und verdienstliches Werk vor Gott, wenn sie die Christen betrügen, nicht nur, wenn sie mit großen Kennzeichen des Eifers in die Messen gehen, um die Inquisition zu hintergehn, sondern auch, wenn sie sie in Handel und Wandel bestehlen. Judenzins nehmen und ihr Wort nicht halten. Leo von Modena, ein venezianischer Rabbiner, bemüht sich, dieselben in seinem Buch von den Zeremonien und Gebräuchen der Juden366, welches der gelehrte Simon zum anderen Mal übersetzt hat, zu verteidigen. Der Rabbiner versichert, daß diejenigen, welche sagen und schreiben, daß die Juden durch einen Schwur sich anheischig machten, alle Tage in ihrem Leben einen Christen zu betrügen, und daß sie dabei dächten, es wäre eine gute Handlung, sie verleumden, um sie desto verhaßter zu machen. Hat er unrecht, daß er sich darüber beschwert, so haben die Juden hier einen Lehrsatz, der schlimmer ist, als die Irrtümer[418] Epikurs sein können; hat er aber recht, so folgen ihre Verleumder einem Grundsatz, der weit verdammenswerter ist, als Epikur seiner war. Denn nichts ist ketzerischer, als wenn man glaubt, man könne Gott gefallen, indem man die all gemeinen Begriffe der Billigkeit verletzt. Daher kann ich mich nicht genug verwundern, daß wir in Frankreich so verblendete Missionsgesellschaften haben, welche die Obrigkeiten überreden, sie würden Gott durch die unterdrückte Unschuld der Hugenotten einen angenehmen Dienst erweisen, sofern nur daraus die Niederreißung irgendeines Tempels, die Vertreibung eines Predigers, die Bekehrung einiger Religionsverwandter entspränge, oder daß so viele Obrigkeiten so eingenommen sind, daß sie sich dergleichen unglückliche Grundsätze selber in den Kopf setzen können. Es wäre tausendmal besser, wenn sie gegen alle Sekten der christlichen Religion gleichgültig gesinnt wären, als daß sie für die wahre einen Eifer, der voller Gottlosigkeiten ist, haben.

V. Auch gehören hierher die Gedanken des Kaisers Marcus Aurelius, der sich einbildete, die Götter hätten Körper, welche sich von den Ausdunstungen unterhalten müßten, wie etwa die Stoiker sagten, daß die Sonne sich von den Dünsten des großen Weltmeeres nähre, welches die Ursache wäre, warum sie sich allemal in dem Tierkreis aufhielte, weil sie nicht gern von ihren Provianthäusern entfernt sein wollte.367 Der Kaiser Julianus, welcher diese Meinung des M. Aurelius anführt, erklärt sich nicht, was für Ausdunstungen die Götter seinem Bedünken nach nötig hätten. Allein, es kommt mir sehr wahrscheinlich vor, daß er den Dampf und Rauch von den Opfern darunter verstanden hat, denn man glaubte nicht allein unter den Heiden, daß die Seelen der Verstorbenen sich an den Gewässern, welche man auf ihre Gräber goß, indem man ihnen opferte, sich erfrischten; sondern es erhellt auch aus einigen Stellen der Kirchenlehrer, daß die Götzen des Heidentums sehr naschhaft gewesen und mit einer ungemeinen Begierde nach dem Geruch der Opfer gegangen wären. Hat nun M. Aurelius geglaubt, die Götter brauchten[419] dergleichen Unterhalt, so hat er auch notwendig glauben müssen, es beruhe nur auf Menschen, wenn man den Göttern das harte Schicksal widerfahren und sie vor Hunger bersten lassen wollte.

VI. Hierher gehören noch die wunderlichen Begriffe vieler abergläubischer Menschen, welche sich die Gottheit als unversöhnlich vorstellen, sofern man nicht hundert lächerliche Kleinigkeiten beobachte, oder aber, sofern man nicht ihr zu Ehren Verbrechen begehe, wie z.B. die Karthaginenser368, deren schon gedacht worden ist, welche ihre leiblichen Kinder aufopferten, bei welcher Gelegenheit ein gewisser Autor sehr wohl ausruft: Ihr armen Sterblichen! Eure Unwissenheit von der Natur der Götter ist die erste Ursache eurer Verbrechen.369

VII. Endlich gehören hierher verschiedene Lehren, welche von berühmten Männern in der Christenheit mit großer Hitze sind behauptet worden: Man müsse einem Ketzer das gegebene Wort nicht halten, man würde zu einem Märtyrer, wenn man in einer Verschwörung umkäme, die gegen einen ketzerischen König entsponnen worden ist. Es sei erlaubt, seinen Feind umzubringen, über den Tod seines Vaters Freude zu haben, ein Kind abzutreiben, damit man der üblen Nachrede entgehen möge, man sei nicht verbunden, Gott zu lieben, noch dasjenige wieder zu ersetzen, was man nach und nach jedesmal ein wenig gestohlen, und noch viele andere Dinge, die man, ohne Verdruß zu erwecken, nicht anführen könnte. Man kann nicht leugnen, daß es für einen Heiden nicht ein geringerer Irrtum sein sollte, wenn er glaubt, Gott regiere die Welt nicht, als für einen katholischen Gottesgelehrten, wenn er die gemeldeten Lehrsätze vorträgt. Jener bildet sich ein, Gott gebe keine Gesetze, und dieser denkt, entweder Gott gebe ungereimte und gottlose Gesetze, oder es stehe in eines Menschen Macht, die Gesetze Gottes aufzuheben und ihre ganze Heiligkeit durch seine Auslegungen zu verkehren, welches tausendmal anstößiger ist, als wenn man in den Gedanken steht, Gott ließe die Dinge gehen, wie sie gehen.
[420]

198. Betrachtung dessen, was bei Gelegenheit der fünfundsechzig von dem Papst verdammten Sätze vorgegangen

Ich erfuhr vor zwei Jahren zu meiner großen Beruhigung, daß Seine päpstliche Heiligkeit auf Anregung eines großen Eifers für die Ehre Gottes und auf Ansuchen einiger orthodoxer Gottesgelehrter fünfundsechzig verdammenswerte Lehrsätze verdammt hätten, die in veschiedenen Schriften erschienen oder in Disputationen öffentlich behauptet worden sind. Das Verlangen, die Akten dieser Verdammung zu sehen, veranlaßte mich, verschiedene von meinen Freunden zugleich zu bitten, mir dieselben zuzuschicken. Sie gaben mir zur Antwort, das Parlament zu Paris hätte eine so ernstliche Verordnung gegen dieses arme Dekret ergehen lassen370, daß man sich nicht getraute, es ferner zu verkaufen. Darüber wunderte ich mich herzlich und konnte gar nicht begreifen, daß es wahr wäre. Kurz darauf erhielt ich Zuspruch von einem Herrn von Adel, der nur neulich aus Paris angekommen war. Dieser behauptete gegen uns, die wir fünf oder sechs ausmachten, die Verdammung des Dekrets sei sehr billig oder wenigstens wohl zu entschuldigen. Man habe wohl darauf zu sehen, sagte er, daß eine so berühmte Gesellschaft, welche eine der stärksten Stützen von der katholischen Religion abgibt, nicht mittelbarerweise um ihr Ansehen komme, wie solches durch die Verdammung der fünfundsechzig Sätze geschehen. Diesem Unheil hätten die Herren des Parlaments abgeholfen, indem sie hinwiederum die Akten der Inquisition entkräftet, welche die Herren Jesuiten um ihr Ansehen gebracht haben. Und überhaupt wäre diese Gesellschaft so furchtbar geworden, daß die Herren des Parlaments wohl hätten müssen die Gefälligkeit gegen sie bezeugen, die sie ihr erwiesen, damit sie nur die bösen Wirkungen ihres Ansehens sich nicht zuziehen möchten. Hier ließ ich ihn innehalten und sagte zu ihm: Er wolle zwar ein guter Franzose sein, allein dadurch behaupte er Dinge, die im Grunde sowohl der Religion als auch der Nation[421] schimpflich wären. Er habe eben nicht nötig gehabt zu berühren, daß die Sachen in der Verwirrung so hoch gestiegen wären, daß eine Gesellschaft von Geistlichen, welche seit einem Jahrhundert aufgerichtet worden ist, um einzig und allein dasjenige zu besorgen, was die allerhöchste Ehre Gottes betrifft, sich in einem Staat so furchtbar gemacht habe, daß die allerdurchlauchtigste und vornehmste Gesellschaft des Königreichs, die sich vordem so herzhaft erwiesen, ebendiese Gesellschaft in Ordnung und gehörige Pflicht zu bringen, nunmehr genötigt sei, um nur nicht in Streit mit ihr zu geraten, auf eine anstößige Art sich gegen sie gefällig zu erweisen. Nein, mein Herr, sagte ich zu ihm, das muß man nicht glauben, und vielleicht reden Sie nur so, damit Sie eine berühmte Gesellschaft, die Ihnen etwa in einer Sache zuwider gewesen ist, dem öffentlichen Neid und Haß aussetzen möchten. Damit Sie sich rächen könnten, wollten Sie uns gar artig überreden, daß sie die verdammenswerten Lehrsätze, welche durch unseren Heiligen Vater Papst verdammt worden sind, in hohen Schutz genommen. Und ohne ihm Zeit zu lassen, mir darauf zu antworten, lenkte ich das Gespräch auf einen Gedanken, damit, wie ich mich erinnere, ich Sie einmal unterhalten habe.


199. Betrachtung über die verschiedenen Arten, wie man mit den Lastern und Irrtümern verfährt

Ich sagte, es wäre mir schon längst wunderlich vorgekommen, daß man zwischen den Irrtümern und Lastern einen Unterschied gemacht habe und daß der Geist der katholischen Religion gegen die Lehren, welche mit ihren Kirchensatzungen nicht übereinkommen, mehr eifere als gegen das unordentliche Leben. Man trägt kein Bedenken, einen Menschen, der im Zweikampf geblieben ist, in den Kirchen zu beerdigen, ob es gleich bekannt ist, daß er sich tausenderlei Unordnungen schuldig gemacht hat. Ein vornehmer Herr, der bei Nacht in das Haus eines anderen[422] vornehmen Herrn geschlichen ist, um bei seiner Frau zu schlafen, mag von den Bedienten ganz kaltsinnig ums Leben gebracht werden, man wird ihn doch in einer prächtigen Kapelle und mit einem Ehrengedächtnis beehrt sehen. Wenn aber ein Gottesgelehrter, der seiner Aufführung halber sehr gelobt worden ist, in seiner letzten Krankheit das Unglück gehabt hätte, daß er die Beichte ausgeschlagen und behauptet, es wäre genug, wenn er Reue und Leid über seine Sünden hätte und sie Gott bekennte, so würde man ihn mit Abscheu ansehen und wohl gar nach seinem Tode auf den Schindanger führen lassen. Jansenius, dessen Sittenlehre so streng war und der der Kirche alle nötige Unterwerfung erwiesen, hat die Lobeserhebungen seines Grabmales nicht mit Frieden genießen können, weil man vorgab, er habe die Lehre von der Vorherverordnung nicht recht erklärt. Es sage ein Mensch in der Beichte, er glaube nicht, daß es erlaubt sei, die Heiligen anzurufen, er wird mehr Gefahr laufen, ohne Beichte zurückgeschickt zu werden, als wenn er einen Totschlag oder Straßenraub oder Ehebruch gebeichtet hätte. Noch mehr: Diejenigen Irrtümer, welche keinen Einfluß auf die Sitten haben, werden weit nachdrücklicher geahndet als diejenigen, welche sich darauf beziehen. Wenn ein Doktor in der Sorbonne die Kühnheit hätte, nur ein klein wenig in dem Geheimnis von der Menschwerdung Christi zu wanken, nicht was das Wesentliche der Lehre betrifft, sondern nur was die Arten, dasselbe zu erklären, anbelangt, wenn er z.B. sagte, daß die menschliche Natur Jesu Christi eine Person ist, ohne daß er im geringsten der Vollgültigkeit seines Leidens etwas absprechen wollte, oder aber, wenn er sagte, die menschliche Natur wäre dergestalt mit der göttlichen vereinigt, daß der Wille der einen der Wille der anderen geworden wäre, so würde man alsbald schreien: ein Nestorianer, ein Monothelite, seine Bedienungen würden an andere vergeben werden, und er würde zu tun haben, daß er nicht auf öffentlichem Markt verbrannt würde. Trüge er aber nur einige Lehrsätze der gelinden Sittenlehre vor, wie etwa der berühmte Escobar,[423] so würde man nur sagen, es sei nicht gut, und vielleicht würde man erst nach vielen Unterhandlungen das Urteil über sein Buch zu sehen bekommen. Ich bin gewiß, daß, wenn in Spanien, wo man ungestraft eine Menge ärgerlicher Lehrsätze, und die dem Geist des Evangeliums gänzlich zuwider sind, bekanntgemacht hat, ein Mensch als einen Lehrsatz vortrüge: Der Leichnam des heiligen Jacobus ruhe nicht in Galizien, die Jungfrau Maria sei nicht die Königin der Welt und nicht mit Leib und Seele gen Himmel gefahren, er würde augenblicklich in das Gefängnis des heiligen Ketzergerichtes geschleppt werden und nimmermehr wieder herauskommen.

Wüßte man zu Rom, daß einige Hugenotten daselbst versammelt wären, welche Gott nach ihren Lehrsätzen verehrten, so würde man mit aller möglichen Strenge sowohl gegen sie wie gegen den Ort der Versammlung verfahren. Indessen sagt man den liederlichen Weibspersonen nichts, welche seit so vielen Jahrhunderten ihre unkeusche Hantierung in dieser Hauptstadt der Welt treiben. Die Versammlung der Kardinäle und Bischöfe, welche einen Entwurf der Reformation auf Befehl des Papstes Paul des Dritten kurz vor dem Konzil zu Trident aufgesetzt hatte371, verlangte unter anderm, man sollte doch den Mißbrauch abschaffen, der sich in Rom eingeschlichen hätte, daß nämlich unzüchtige Weibspersonen zu Fuß oder zu Pferd unter ansehnlicher Begleitung auf den Gassen gehen und in so prächtigen Häusern ungehindert wohnen dürften. Nach vielem Streiten372 aber der Kardinäle in öffentlicher Versammlung wurde endlich beschlossen, man wollte die Sache auf ein andermal verschieben, und also blieb es, wie es gewesen war. Dieses gibt uns Gelegenheit, zwei wichtige Einwürfe zu machen. Der erste ist: daß man nicht sieht, warum man bei einem Verbrechen mehr Nachsicht hat als bei der Ketzerei. Der andere: daß man nicht sieht, warum, wenn die Ketzerei eines römischen Bürgers, der ein Hugenotte ist, gestraft wird, die Ketzerei einer liederlichen Weibsperson aber nicht auch für straffällig erkannt wird. Ich sage, die Ketzerei einer liederlichen[424] Weibsperson, denn es ist gewiß, daß eine solche, wenn sie dreißig, vierzig Jahre hintereinander bei ihrer schändlichen Hantierung bleibt, sie mag noch soviel Unterwürfigkeit und Glauben gegen die Lehre der Kirche in ihren allgemeinen Urteilen bezeugen, alle Tage besondere Urteile fällt, dadurch sie in ihrem Kopf bejaht, es sei besser, Gott nicht zu gehorchen, als ihm gehorsam zu sein. Wer wollte leugnen, daß diese so oft wiederholten Bejahungen eine Seele nicht höchst ketzerisch machen sollten? Warum bestraft man denn also nicht eine liederliche Weibsperson als eine Ketzerin, da man ihr als einer Hure Gnade widerfahren läßt? Die Ursache ist diese, wird man sagen, weil sie nicht gegen die Entscheidungen der Kirchenversammlungen öffentlich lehrt. Und heißt das nicht öffentlich gegen die Kirchenordnungen lehren, wenn man eine offene Schule hält, um die Unkeuschheit in der Tat auszuüben?373 Macht man nicht mehr Schüler, wenn man in einer solchen Sache mit dem Exempel predigt, als wenn man theologische Lehrstunden hält? Und überdies, wenn ein römischer Betrüger niemals in die Messe ginge und auf protestantische Art seine Andacht auf der Stube hätte, würde er dadurch öffentlich lehren? Gar nicht. Würde man ihn aber demungeachtet dulden?

Ich gestehe es Ihnen, das sind Sachen, die mir allemal sehr fremd vorgekommen sind, und Sie wissen wohl, daß der selige Herr Abt de Villars Sie in meiner Gegenwart einstmals hierüber erschrecklich in die Enge trieb. Wie ich mich erinnere, so sagte er Ihnen sehr artig, es nehme ihn nicht wunder, daß der Pöbel unter den Schriftgelehrten mit den Lastern und Irrtümern in den Lehrsätzen der Sittenlehrer weit gelinder verfährt als mit den Ketzereien, weil er wohl merkt, daß er weit geschickter ist, das menschliche Geschlecht und das Laster fortzupflanzen, als die Ketzereien zu vermehren. Über Sie aber, sagte er zu Ihnen, die Sie sonst so vernünftig und geschickt sind, über Sie wundere ich mich, daß Sie nicht vielmehr für die Ausschweifungen des Verstandes als für die Unreinigkeit der Sitten eine Gelindigkeit verlangen.


200. Daß es Irrtümer gibt, welche nicht strafbar sind

[425] Wir hatten das Vergnügen, über alles dieses unsere Gedanken mit derjenigen Freiheit auszulassen, welche rechtschaffenen Leuten so angenehm ist und die sie sich alsdann nehmen, wenn sie weder durch die Gegenwart des gemeinen Mannes noch abergläubischer Lehrer gestört werden, zwei Arten von Leuten, vor denen man sich sorgfältig in acht zu nehmen hat. Vor den ersteren, um sie nicht in ihrem Glauben irrezumachen, und vor den anderen, um nicht der Gegenstand ihrer hitzigen Verfolgungen zu werden. Bei unserer ersten Zusammenkunft werde ich Ihnen die Betrachtungen mitteilen können, welche wir in unserem Garten angestellt haben, und vielleicht werde ich finden, daß Sie deren schon einige werden erraten haben, denn es braucht nicht viel Nachsinnens, wenn man mutmaßen will, daß Leute, welche auf diese Art, wie ich Ihnen zu verstehen gegeben habe, über diese Materie ihre Gedanken entdecken, sich stark darauf gründen werden, daß es dem Menschen niemals erlaubt ist, lasterhaft zu werden, da es hingegen unzählige Irrtümer gibt, darein man sich ungestraft stürzen kann. Ich rede hier nicht von den Irrtümern in der Philosophie, davon alle unsere Schulen voll sind, indessen man öffentliche Befehle auswirkt, um den allervernünftigsten Weltweisen das Maul zu verbieten, denn es ist klar genug, daß vor Gott nichts unschuldiger ist, als wenn man mit den Scholastikern in der Natur des Universalis a parte rei oder in den wesentlichen Formen usf. irrt. Ich rede von den Irrtümern in der Gottesgelahrtheit und behaupte, daß wir insgesamt von der Natur Gottes sowohl als von seinen Ratschlüssen tausend Urteile abfassen, die so falsch sind wie möglich. Ich behaupte, daß alle unsere gemeinen Leute Anthropomorphyten und Nestorianer sind und daß kein Bauer zu finden ist, der, wenn er auswendig gelernt hat, daß Gott ein Geist und Jesus Christus in einer Person Gott und Mensch zugleich ist, sich nicht Begriffe machen sollte, die demjenigen, was er als ein Papagei nachsagt, ganz zuwider sind.[426]

Da also die Irrtümer in den Urteilen des Verstandes bestehen, so kann ein Mensch noch so orthodox in den Kunstwörtern sein, die er auswendig hersagt, er ist doch eine Nestorianer, wenn er glaubt, daß Jesus Christus als ein Mensch ebensowohl eine eigentliche und vollkommene Person ist wie er. Nun aber hat der gemeine Mann in der Tat keinen Begriff davon als diesen, denn er wird nimmermehr den gehörigen Unterschied zu machen wissen. Welch eine Menge von Irrtümern gibt es nicht von der Natur der Engel und vernünftigen Seelen! Der Kardinal Cajetanus hat in diesen letzten Zeiten kein Bedenken getragen zu lehren, daß die Engel materiell sind, und sich wenig um das Ansehen der lateranensischen Kirchenversammlung, die unter Innocenz III. gehalten worden ist, bekümmert, wo, nach dem Ausspruch vieler berühmter Gottesgelehrter, die Geistlichkeit der Engel ist festgesetzt worden.374 Man ist sogar so weit gegangen, daß man gesagt hat, Gott sei körperlich. Dieses sind so grobe Irrtümer, daß, wenn man gegen die Fehler in der Weltweisheit Strafen eingeführt hätte, wie man deren gegen die Fehler in der Syntax austeilt, man einem Schüler, der auf dergleichen Meinungen verfiele, die Rute mit besserem Recht geben könnte als einem solchen, der gegen die Regel anstößt: Mobile cum fixo. Indessen, mein Herr, ist es gewiß, daß unsere Anthropomorphiten und Nestorianer unter dem gemeinen Volk, daß diejenigen, welche glauben, daß alle Geister eine Ausdehnung haben, daß die Weltweisen, welche von der Natur Gottes so unvollkommene Begriffe sich machen, daß die Gottesgelehrten, welche so vielerlei Arten des Willens, der Erkenntnis und der Ratschlüsse in Gott unterscheiden, daß, sage ich, alle diese irren, ohne Gott zu beleidigen, und es ist keine so geringe Verleumdung anzutreffen, welche nicht ein weit größeres Verbrechen als alle jene Unwahrheiten sein sollte. Der Grund davon ist dieser: Alle diese Irrtümer begeht man wider Willen, und man faßt dergleichen dunkle Urteile sowohl ohne Bosheit als auch ohne Freiheit ab. Hingegen aber ist kein moralisches Laster von dem kleinsten an bis[427] zu dem größten anzutreffen, darein man sich nicht mit Freiheit und mit Kenntnis des Übels, das man begehen will, stürzen sollte.

Wenn Sie etwa mutmaßen, daß wir diese Betrachtung werden gemacht haben, so irren Sie nicht, denn es ist wahr, daß wir sie sehr weit getrieben. Unseren Edelmann aber konnten wir doch nicht überführen. Er mochte wohl wie viele andere denken, der Mensch sündige nur dann, wenn er das nicht glauben will, was die Kirche glaubt. Er wollte uns nur dadurch widerlegen, daß er sagte, wenn er von der Inquisition sollte eingezogen werden, so wollte er lieber, daß man ihn beschuldigte, er hätte mehr uneheliche Kinder gezeugt als Karl der Große, als daß er wie Galiläus gelehrt, die Erde bewege sich um die Sonne. Er hatte nicht unrecht, denn hätte Galiläus verschiedene Beischläferinnen gehalten, nicht aber sich für einen Kopernikaner ausgegeben, es würde ihn kein Mensch beunruhigt haben.


201. Woher ein Irrtum schlimmer wird als der andere

Ich komme nun wieder zur Hauptsache und behaupte, daß die Verblendung des Epikurs, welche ihm nicht hinderlich war, die Götter zu verehren und auf eine sehr gereinigte Art zu leben, beinahe nicht so verdammenswert ist, wie die Irrtümer sind, von denen ich Ihnen einige Proben gegeben habe. Denn woher kommt es, daß ein Irrtum schlimmer ist als der andere? 1. Daher, weil der eine von der Wahrheit sich weiter verirrt als der andere und seinem Gegenstand mehr Unbilligkeit erweist als der andere; 2. weil der eine Irrtum mehr Verbrechen veranlaßt als der andere, und hierin besteht hauptsächlich das Gift der Irrtümer. Nun behaupte ich, daß die Irrtümer, welche ich angeführt habe, wenigstens ebenso entfernt von der Wahrheit und dem höchsten Wesen ebenso zuwider sind wie die Lehre Epikurs und daß sie verdammenswertere Laster gezeugt haben als des Epikurs seine. Und also werden Sie, mein Herr, mir erlauben, daß ich glauben darf: Horaz, nachdem[428] er von der epikurischen Sekte bekehrt worden, habe mehr Irrtümer hegen können als vorher.


202. Hätte Gott Wunderwerke getan, um seine Güte den Heiden zu erkennen zu geben, so hätte er für die falschen Götter sich Mühe gegeben

Doch es ist mir wenig daran gelegen, Horaz mag wohl sehr vernünftige Gedanken von der Natur des Jupiters angenommen haben, er mag seine Geduld und seine Gütigkeit bewundert oder angebetet haben, ja er mag gar fromm gewesen sein. Denn da Gott durch die Ehre, welche den falschen Gottheiten erwiesen wird, nicht kann verherrlicht werden, da im Gegenteil alle Empfindungen der Liebe und der Furcht, welche man gegen sie hegt, Stücke der Abgötterei ausmachen, so ist augenscheinlich wahr, daß dasjenige Wunderzeichen, wodurch Epikur bekehrt worden, nichts hat zuwege bringen können, was Gott angenehm gewesen wäre, daraus folgt, daß Gott nimmermehr weder dieses Wunderzeichen noch irgendeinen Kometen durch ein Wunderwerk hervorgebracht hat, um die Heiden zu überführen, daß er gütig, geduldig und fruchtbar sei, denn das wäre ebensoviel gewesen, als ob er für den Jupiter und die anderen falschen Götter, nicht aber für sich gearbeitet hätte. Und hier haben Sie endlich einmal die völlige Antwort auf die Schwierigkeit, die ich mir gemacht hatte.


203. Zweiter Einwurf: Die Kometen erfolgen ohne ein Wunderwerk. Gott kann bei den Ungläubigen auch Wunder tun. Gott will sich vermittels der Kometen den Menschen zu erkennen geben. Die Ausübungen der Abgötterei, die durch die Kometen verursacht worden sind, nehmen den Menschen alle Entschuldigungen

Ich zweifle gar nicht, mein Herr, es wird sich eine Menge Schwierigkeiten, die Sie mir machen können, in Dero Verstand[429] blicken lassen, sobald Sie meine Beantwortung lesen werden; meinem Bedünken nach wird man sie auf vier bringen können. Sie können sagen: 1. Die Stärke aller meiner Gründe bestehe darin, daß ich annehme, die Kometen wären durch ein Wunderwerk hervorgebracht worden, und dieses könne man mir leugnen. 2. Es folge aus meinen Gründen, daß Gott unter den Ungläubigen keineswegs Wunder tun würde, denn meinen Sätzen nach würden diese Wunder die Ungläubigen anreizen, die Übungen ihrer falschen Andacht zu verdoppeln. 3, Ich nehme an, daß die Absicht Gottes bei Hervorbringen der Kometen sei, die falsche Andacht der Götzendiener anzufeuern, und das hieße etwas Falsches annehmen, denn Gott habe im Gegenteil den Vorsatz, sich als den wahren Gott zu offenbaren. 4. Und daß endlich alle Folgen der erschienenen Kometen, davon ich so großes Lärmen gemacht habe, nur ein Mißbrauch der göttlichen Gnade sei, der dazu dienen werde, daß die Heiden desto weniger Entschuldigungen haben würden.


204. I. Antwort: Sollten die Kometen dasjenige, was nach ihrer Erscheinung erfolgen soll, vorbedeuten, so müßten sie notwendig durch ein Wunderwerk hervorgebracht werden

Ich antworte auf die erste Schwierigkeit: Die Kometen können unmöglich Zeichen derjenigen Begebenheiten abgeben, welche in der Welt erfolgen sollen, wenn sie nicht durch ein Wunderwerk sind hervorgebracht worden. Hier haben Sie den Beweis davon. Da die Kometen nicht die physikalische Ursache der Veränderungen sind, welche darauf erfolgen, wie ich es schon erwiesen habe und wie aus dem Verfolgen meiner Schrift weiter erhellen wird, so muß eine notwendige Verknüpfung zwischen den Kometen und diesen Veränderungen dasein, sofern sie diese Begebenheit richtig vorbedeuten sollen. Nun ist aber diese Verknüpfung schlechterdings unmöglich, wenn die Kometen[430] nur ein Werk der Natur sind. Folglich bedeuten sie entweder das Darauffolgende nicht vor, oder aber sie sind durch ein Wunderwerk hervorgebracht worden.


205. Verzeichnis verschiedener angenommener Meinungen, denen man folgen kann, wenn man seine Gedanken von den Kometen eröffnen will

Damit Sie sehen, daß diese Verknüpfung unmöglich ist, so belieben Sie einmal die verschiedenen Meinungen, die die Weltweisen von der Natur der Kometen angenommen haben, mit mir durchzugehen, 1. Einige sagen uns, daß die Kometen trockene Ausdunstungen sind, die leicht anbrennen, und wenn sie einmal Feuer gefaßt haben, so lange vor unseren Augen erscheinen, wie sie Nahrung finden. Das ist des Aristoteles Meinung. Diejenigen, welche nicht ganz und gar von ihm haben abgehen wollen, seitdem man aus der Parallaxe ersehen, daß die Kometen über dem Mond stehen, haben bei dieser Meinung nur die Quelle der Ausdunstungen geändert, denn da Aristoteles sagt, daß sie von der Erde entspringen, so sprechen diese, die Planeten geben das Benötigte dazu her. 2. Andere Philosophen behaupten, daß die Kometen ein Haufen vieler kleiner Sterne sind, welche, wenn man jeden allein nimmt, unsichtbar sind, sobald sie aber miteinander vereinigt werden, einen großen lichten Körper ausmachen. 3. Es gibt auch Weltweise, welche glauben, daß die Kometen ein Stück von der Materie des Himmels sind, welche hart geworden und sich zusammengegeben, daß das Licht, welches von der Sonne darauf fällt, in unsere Augen zurückprallt. 4. Viele glauben, die Kometen seien Sterne, die ebenso alt wie die Welt wären und die einen so ordentlichen Lauf wie die Sonne hätten, weil aber die Linie, welche sie beschreiben, unsere Welt nur an gewissen Orten berührt, so müßten wir sie nur alsdann sehen, wenn sie diese Orte durchlaufen. 5. Die Cartesianer sind der Meinung, der Himmel sei in verschiedene Wirbel eingeteilt, deren jeder[431] eine Sonne in seinem Mittelpunkt habe. Nun geschehe es zuweilen, daß einer von diesen Wirbeln von denen, die um ihn herum sind, verschlungen würde, weil, wenn die Sonne, die den Mittelpunkt davon eingenommen hat, durch eine sehr dicke Rinde bedeckt worden ist, sie die Kraft verlöre, ein gewisses Stück Materie um sich herum zu bewegen und einen Wirbel zuwege zu bringen. Da in der Natur nichts verloren wird, so machen sich die anderen Wirbel den Untergang des erstem zunutze, je nachdem, ob sie entweder viel oder wenig Kraft besitzen. Die Sonne, da sie zu einem dunklen Körper geworden, ist ebendemselben Schicksal unterworfen und wird von den anderen Wirbeln fortgetrieben. Kommt sie unseren Wirbeln nahe, so macht sie einen Kometen darinnen, solange sie sich hier aufhält.


206. Keine von diesen angenommenen Meinungen setzt eine natürliche Verknüpfung zwischen den Kometen und demjenigen, was nach ihrer Erscheinung auf dem Erdboden vorgeht, voraus

Alle diese angenommenen Meinungen haben unauflösliche Schwierigkeiten. Doch weil davon hier die Rede nicht ist, so sage ich nur so viel, man mag eine Meinung annehmen, was für eine man will, es ist durchgehend unmöglich, daß eine natürliche Verknüpfung zwischen dem Erscheinen eines Kometen und demjenigen, was nach seinem Erscheinen bei den Menschen erfolgt, stattfinden sollte. Denn sollte diese Verknüpfung stattfinden, so müßte z.B. so oft, wie die Wirkung der natürlichen Ursachen trockene und brennbare Ausdunstungen verschiedener Planeten in einen Körper zusammengebracht hätte, die Erde gleichfalls in Bereitschaft stehen, die Materie der Pest, der Unfruchtbarkeit, der unterirdischen Feuer, der Sturmwinde usf. herzugeben; die Menschen müßten sich geneigt finden, gegen ihre Beherrscher einen Aufstand zu machen, Feuer in die Städte zu legen, gegen das Leben ihrer Herren[432] sich zusammen zu verschwören, Erfindungen zu machen, die eingeführte Religion auszurotten, Sekten und Trennungen anzurichten, der Nachbarn Länder sich zu bemächtigen, durch ihren Übermut sich den gerechten Unwillen eines mächtigen Fürsten auf den Hals zu laden und übel eroberte Ländereien gegen alles Recht zurückzubehalten. In der Tat, da wir annehmen, daß die Kometen nicht die Ursache der erschrecklichen Unglücksfälle sind, die sie nach der gemeinen Sage vorbedeuten sollen, so muß wohl die Ursache dieser Unglücksfälle in der Beschaffenheit des menschlichen Herzens liegen. Nun läßt sich's unmöglich begreifen, daß alle diese Einrichtungen sich eben zu der Zeit auf der Erde und in dem Herzen des Menschen befinden sollten, wenn am Himmel eine Menge brennbarer Ausdunstungen sich zusammengefunden haben. Folglich ist es unmöglich, diese vorgegebene Verknüpfung, welche wir hier untersuchen, zu begreifen.

Ich sage, es ist unmöglich zu begreifen, wie die Erde und das menschliche Herz so eingerichtet sein könnten, wie es nötig ist, wenn die Wirkung, von der die Rede ist, erfolgen soll. Denn die Veränderungen, welche auf der Erde sich ereignen, entstehen aus vielerlei Ursachen, welche von denjenigen, die den Himmel verändern, ganz unterschieden sind, und die Wirkung, vermöge welcher unsere Elemente ineinander wirken, richtet sich nicht nach der Bewegung der Planeten, dadurch sie erhitzt oder abgekühlt werden. Zum Exempel: Die Mittagswinde, welche in gewissen Ländern alle Hoffnung des Landmannes verderben, warten nicht so lange, wenn sie blasen wollen, bis der Saturn verschiedene rußige Materien von sich fortgetrieben hat, es mag auf diesem Planeten kalt oder warm sein, es mögen Ausdunstungen von diesem Planeten geschehen oder nicht, der Mittagswind bläst auf der Erde, wenn die Sonne oder eine innerliche Hitze gewisse Stücke der Erde verdünnen; dieses aber rührt keineswegs von dem Zustand, darin sich Saturn, Jupiter und andere beliebige Planeten befinden. Was die Menschen anbelangt, so werden sie manchmal durch die Herrschsucht einer Privatperson[433] zum Aufstand angetrieben, ein andermal geschieht es, weil etwa einer, der unter dem gemeinen Pöbel in Ansehen steht, übel ist gehalten worden. Die Kriege unter hohen Häuptern entstehen aus vielerlei Staatsgründen oder aus gewissen Neigungen, welche der geringsten Ursache halber sich ändern. Und wann wollte man mit Erzählung der unzähligen Ursachen fertig werden, daraus innere und auswärtige Kriege, Trennungen und Verschwörungen entspringen? So viel aber kann man sagen, daß nichts von alledem sich danach richte, was in der Gegend des Saturns oder des Jupiters vorgeht. Es ist daher klar, daß nach den Gesetzen der Natur keine Verknüpfung zwischen dem, was hier unten nach dem Erscheinen der Kometen vorgeht, und zwischen dem Erscheinen des Kometen selbst stattfindet.


207. In was für Sinn die natürlichen Ursachen einander entweder untergeordnet sind oder nicht

Ich weiß wohl, daß alle natürlichen Ursachen, sowohl diejenigen, welche die Ausdunstungen in den Himmelsgegenden zusammenbringen und anzünden, als auch diejenigen, welche die Witterung der Luft, den Regen und die Dürre verursachen, einer allgemeinen Ursache untergeordnet sind, die sie alle in einer bewunderungswürdigen Übereinstimmung in Bewegung setzt. Allein, ich sage demungeachtet, daß die Wirkungen, welche auf der Erde entstehen, sich nicht ändern, wenn diejenigen, welche am Himmel vorgehen, ihre Ordnung wechseln, weil die allgemeine und erste Ursache, die alle anderen in Bewegung setzt, sich nach der Notdurft einer jeden insbesondere richtet, nicht aber die Wirkung der einen erfolgen läßt, wie es die Notdurft der anderen erfordert. Zum Beispiel soll Feuer ins Holz kommen, so betrachtet die allgemeine Ursache nur die Kraft des Feuers, das man dazu anwendet. Die anderen Ursachen mögen eingerichtet sein, wie sie wollen, die Sonne mag verfinstert sein, ein Nordwind mag[434] alle Flüsse mit Eis bedecken, es mag regnen, es mögen Schlachten geliefert werden: das Feuer brennt deshalb nicht weniger und nicht stärker. Die erstere Ursache läßt es mit seiner Kraft fortwirken, ebenso als ob keine Sonnenfinsternis da wäre usf. Ich nehme nur diejenigen Ursachen aus, welche unmittelbar in das Holz wirken, wie z.B. Wasser sein würde, wenn man es darauf fallen ließe; denn in dem Fall würde das Feuer nicht mit demselben Fortgang wirken, ja, es würde auslöschen, wenn die Kraft zu wirken bei dem Wasser stärker wäre als bei dem Feuer. Außerdem aber ist das Feuer den anderen Körpern nicht untergeordnet, und folglich stimmen die Wirkungen, welche auf der Erde erfolgen, mit denjenigen nicht überein, welche am Himmel vorgehen. Und also ist nichts ungereimter, als wenn man sagt, die unteren Körper befänden sich eben zu der Zeit bereit, uns mit Pest oder Hungersnot zu ängstigen, wenn die Planeten viele Ausdunstungen aus ihrem Schoß gestoßen, die sogleich Feuer gefangen haben, nachdem sie sich auf dem allgemeinen Sammelplatz eingefunden haben.

Dieses ist um so viel ungereimter, je mehr wir aus der Erfahrung wissen, daß diejenigen Körper, welche die Erde umgeben, sich nicht nach einander richten. Wir können z.B. nicht sagen, wenn in einer gewissen Gegend schönes Wetter ist, daß in einer anderen vierzig Meilen davon das Wetter so oder anders sein werde. Wir sehen zwar, daß, wenn eine Provinz mit großer Dürre heimgesucht wird, der allzu große Regen in einer anderen Nässe verursacht, doch ohne daß man dieses als eine ordentliche Regel annehmen könnte; denn vielleicht wird es nimmermehr geschehen, daß eine von diesen zwei Provinzen ein Unheil wird ausstehen müssen, welches demjenigen Unglück, das die andere zu gleicher Zeit betroffen, gerade entgegengesetzt ist. Wie kann man daher begreifen, daß Ursachen, die so entfernt sind wie Himmel und Erde, deren Eigenschaften so unterschieden sind, welche, ohne einander untergeordnet zu sein, wirken, ob sie gleich alle von einer allgemeinen Ursache geleitet werden, ein so wohlgetroffenes[435] Verhältnis der Wirkung haben sollten, daß, wenn die einen sechs Jahre zubringen, ehe sie ihre Wirkung tun, die anderen nicht mehr noch weniger Jahre zubringen dürfen, wenn die einen in ihrer Wirkung entweder gestört oder gefördert werden, bei den anderen ebendieses geschehen müsse? Man müßte seiner Vernunft absagen, wenn man sich dergleichen Unwahrscheinlichkeiten wollte überreden lassen.

Geben Sie wohl acht, mein Herr. Ich nehme an, daß die Kometen nicht als physikalische Ursachen bei demjenigen, was auf der Erde sich zuträgt, wirken, denn darauf beruht die Stärke meines Schlusses. Ich weiß es sehr wohl, wenn verschiedene Ursachen zu einer gewissen Handlung gebraucht werden, daß derjenige, der sie anbringen will, die Kräfte der einen dergestalt nach den Kräften der anderen einrichtet, daß sie entweder fortwirken oder nicht, je nachdem es nötig ist, um den gefaßten Endzweck zu erreichen. Ein König z.B., der vier bis fünf Armeen ins Feld stellt und seine Absicht keinem von seinen Generälen entdeckt, sie aber doch insgesamt zu seinem Zweck handeln läßt, richtet die Verfassungen der einen Armee nach dem Zustand der übrigen so wohl ein, daß man sagen kann, die eine Armee ist Ursache, warum die anderen tun, was sie tun. Mit den Planeten und der Erde ist es nicht so beschaffen. Denn wir nehmen an, daß Gott sich derselben nicht bediene, durch die Übereinstimmung und Vereinigung ihrer Kräfte eine gewisse Wirkung hervorzubringen, in welchem Fall die Planeten zu gleicher Zeit, wenn die Erde das Ihrige gäbe, auch dasjenige fertig haben würden, was sie dazu beitragen mußten. Wir nehmen an, daß die Planeten ohne Mitwirkung der Erde einen Kometen hervorbringen und daß hinwiederum die Erde ohne Mitwirkung der Planeten oder des Kometen eine Menge von Unglücksfällen verursache: In diesem letzteren Fall ist es klar, daß keine notwendige Übereinstimmung in ihren Wirkungen möglich ist, welche verursacht, daß, sobald wir sehen, daß die Planeten das Ihrige verrichtet haben, wir versichert sein könnten, daß die Erde[436] das Ihrige auch bald geben werde. Sind also die Kometen ein Zeichen irgendeines zukünftigen Übels, so muß sie Gott ausdrücklich hervorbringen, wenn er sieht, daß die Erde geneigt ist, dieses Übel auszubrüten; denn nach den Gesetzen der Natur würde es vielleicht nimmermehr geschehen, daß, wenn die Erde in einem solchen Zustand sich befände, sich so ganz zu gelegener Zeit am Himmel eine brennbare Materie finden sollte, daraus ein Komet könnte gemacht werden.


208. Erläuterung dieser Lehre

Ich bin von der Meinung eines der größten Weltweisen375 unserer Zeit nicht sehr weit entfernt, welcher glaubt, daß Gott alle Körper durch sehr einfache, sehr allgemeine und sehr einförmige Regeln bewege, so daß ebendasselbe Gesetz, welches die Bewegung der Flamme auf der Erde macht, auch die Bewegung oder die Ruhe der allerentferntesten Materie, die wir uns nur einbilden können, verursache. Allein, ich sage dennoch, daß die Veränderungen, welche auf der Erde erfolgen, nicht von dem Zustand abhängen, darin sich die Körper sonst überall befinden. Wir wollen setzen, eine gewisse Menge Wasser wird durch die Begegnung der umstehenden Körper und kraft der allgemeinen Regeln bestimmt, sich in Zirkeln mitten im Rhein zu bewegen, da mittlerweile ebendiese Ursachen ein Haus, das an dem Fluß steht, umreißen. Wir begreifen sehr deutlich, daß, obgleich diese zwei Bewegungen die Wirkung von einerlei Gesetz sind, doch eine von der anderen nicht herrührt, und das kann man daraus augenscheinlich ersehen, weil, wenn die eine aufhört, die andere deswegen dennoch fortfährt. Der Wirbel, den ich mitten in dem Rhein annehme, ändert seine Natur nicht, obgleich das Haus nicht mehr steht. Man verbrenne alle Wälder ringsherum, man reiße alle Weinstöcke aus, dem Wirbel wird man nichts ansehen. Das wird die Witterung der dortigen Gegend und verschiedne besondere Dinge verändern können,[437] einige andere aber werden beständig diejenigen, die sie waren, verbleiben. Also haben wir Grund zu glauben, daß die allgemeinen Regeln in Ansehung eines gewissen Körpers ebendieselbe Wirkung hervorbringen würden, die sie wirklich hervorbringen, wenn gleich an sonst tausend Orten die Beschaffenheiten der Materie ganz anders eingerichtet wären, als sie es in der Tat sind. Daher muß die Erde nicht notwendig viel mehr diese Veränderung als eine andere erdulden, weil die allgemeinen Gesetze in dem Wirbel des Saturns eine gewisse Veränderung viel mehr als eine andere zuwege bringen. Sonst würde man sagen müssen, daß, weil ein gewisser Mensch heut um 8 Uhr und nicht um 6 aufgestanden ist, alle Körper auf hundert Meilen im Umkreis auf eine gewisse Art wären eingerichtet worden, was nicht geschehen sein würde, wenn er um 6 Uhr aufgestanden wäre. Da nun dieses abgeschmackt sein würde, wenn es jemand sagen wollte, so ist es gewiß, daß, obgleich ebendieselben Gesetze, welche die Kometen an den Ort bringen, da wir sie sehen, alle die Veränderungen auf der Erde veranlassen, die sie auszustehen hat, so werden doch diese Veränderungen, weil ein Komet erscheint, nicht anders, als sie sein würden, wenn keiner erschienen wäre. Und folglich muß man zugeben, daß die Erde nicht zu einer gewissen Veränderung, z.B. zur Pest, zur Hungersnot zubereitet sein müsse, weil die Himmelsgegend eine andere gewisse Veränderung hat erleiden müssen.


209. Eine andere Erläuterung durch das System des Malebranche

Die wahre Ursache alles dessen ist, weil die allgemeinen Gesetze der Bewegung, so einfach und einförmig man sie auch immer annimmt, dennoch durch den Zusammenlauf unzähliger Gelegenheitsursachen376 ausgeübt werden, deren unendliche Verschiedenheit die allgemeine Ursache gewissermaßen in unzählige besondere Ursachen verteilt,[438] die dem Schein nach nicht mehr voneinander abhängen. Denn, wenn z.B. der Urheber aller Dinge dieses allgemeine Gesetz gesetzt hat: Die Bewegung soll verschiedenen Teilen der Materie mitgeteilt werden, je nachdem sie einander anstoßen werden, und die Größe der Bewegung, welche jedes Teil bekommt, der Große der Teile, die einander stoßen, sich gemäß verhalten wird; so ist es unvermeidlich, daß dieses Gesetz, so schlecht und einförmig es ist, sich bei der Ausübung nicht in eine unzählige Menge von besonderen Gründen verändern sollte, davon der eine hier etwas, der andere an einem anderen Ort ganz was Unterschiedliches hervorbringen wird. Ich will nicht sagen, daß die Ursache der Bewegung, an und für sich selbst betrachtet, ihre Einförmigkeit verliere, ich will so viel sagen, sie vereinigt sich an einem Ort mit einer gewissen Gelegenheitsursache und an einem anderen Ort mit einer andern; daher müssen ihre Wirkungen ebenso verschieden sein und ebensowenig eine von der anderen herrühren, als ob sie aus zwei verschiedenen Quellen entsprungen wären. Und in der Tat, da die Gelegenheitsursache einer jeden besonderen Bewegung die Lage und das bestimmte Maß der Größe eines gewissen Körpers ist, und da die Lage und Größe eines gewissen Steines, den man auf ein Dach geworfen hat, weder von der Lage noch Größe der Steine, die man am Ufer gelassen, abhängt, auch nicht davon, daß es warm ist oder regnet usf., so ist augenscheinlich wahr, daß die Kraft, welche alle Körper bewegt, wenn sie angewendet wird, einen Stein aufs Dach zu werfen, nur insofern zur Ausübung gelangt, als es die Lage und Ausdehnung dieses Steines erfordert. Sie bewegt wohl, es ist wahr, zu gleicher Zeit verschiedene andere Teile des Weltgebäudes, allein ihre Wirkung richtet sich nicht nach dem, was sie in dem Stein zuwege bringt. Sie findet an jedem Ort Gelegenheit, sich auf eine gewisse Art zu bestimmen, und folglich erlangt dieser Stein nicht vielmehr diese als eine andere Veränderung, kraft der Bewegungen, welche sonst überall erfolgen. Und man darf sich nicht wundern, warum die Wirkungen der Natur eine von[439] der anderen nicht abhängen, ob sie gleich alle von einerlei Ursache durch einerlei Wirkung entstehen, da wir sehen, daß der Fall des Wassers auf ein Rad tausenderlei Arten der Wirkungen in einer Maschine hervorbringt, welche so wenig eine von der anderen abhängen, daß, ob man gleich deren einige hemmt, die anderen dennoch ihren Lauf fortgehen.


210. Bekräftigung dieser Lehre durch das, was erfolgt, wenn Wunderwerke geschehen

Dieses kann man durch die Betrachtung der Wunderwerke bestärken, welche man in der Schrift liest. Man müßte seine Vernunft verloren haben, wenn man sich einbilden wollte, daß, weil Gott die Materie in Ägypten anders als nach dem allgemeinen Gesetz bewegte, alle übrige Materie ihre Beschaffenheit verändert habe. Das war es gar nicht. Alle Dinge waren in diesem Lande z.B. ebendieselben, wie sie würden gewesen sein, wenn Gott in Ansehung seines Volkes nichts Außerordentliches getan hätte, ebendieselbe Ernte, ebendieselbe Kälte, ebendieselben Winde, ebenderselbe Regen usf. Folglich verursachen die Veränderungen, welche in einem Teil der Materie erfolgen, gar nicht die Veränderung in allen übrigen Stücken. Und folglich ist es nicht möglich zu begreifen, daß die Veränderungen, welche Pest und Hungersnot auf der Erde zuwege bringen, ebendie Bahn beständig gehen sollten, welche diejenigen Veränderungen beschreiten, die da einen Kometen am Himmel verursachen.

Es würde nicht nötig sein, mich hier so weit einzulassen, wie ich tue, wenn ich nur nach den gewöhnlichen Grundsätzen zu streiten hätte, weil sie nicht eine so große Verknüpfung aller Begebenheiten voraussetzen wie die Grundsätze des Herrn Descartes.


211. Anwendung dessen, was von der ersten angenommenen Meinung gesagt worden, auf die drei übrigen

[440] Es ist leicht, alles dieses auf die andere, dritte und fünfte angenommene Meinung von den Kometen zu ziehen und zu sehen, daß allemal ebendieselbe Schwierigkeit sich ereignet, weil die Begegnung verschiedener kleiner Sterne die Wirkung, welche einen Teil der Himmelsluft verdickt, und diejenige, welche eine Sonne zum Untergang eines ganzen Wirbels in einen Planeten verwandelt, nach den Gesetzen der Natur mit der Wirkung der Körper, welche unsere Drangsale hervorbringen, unmöglich so wohl abgemessen sein können, daß jene mit diesen beständig einerlei Bahn verfolgen könnten.


212. Daß die vierte angenommene Meinung die Verknüpfung, davon man hier redet, nicht zugibt

Was die vierte Meinung betrifft, so habe ich sonst schon gesagt, daß es gegen alle Vernunft ist, daß diejenigen Körper, welche unsere Elemente verderben, gleich zu derselben Zeit mit der Zubereitung der Pest oder Hungersnot fertig sein sollten, wenn die Kometen auf ebendenselben Punkt der Linie, die sie beschreiben, zurückkommen. Denn entweder die Kometen brauchen einerlei Zeit, diese Linie durchzulaufen, oder sie vollenden ihren Umlauf bald mit größerer Geschwindigkeit, bald mit mehr Langsamkeit. Wählen Sie von dem, was ich hier vorausgesetzt habe, welches Sie wollen, ich will Sie gleich widerlegen.

Das erste, was ich angenommen hatte, ist heutzutage sehr gewöhnlich. Man redet immer davon, daß ebendieselben Kometen in einer gewissen Zeit wiederkommen sollen.377 Einige eignen ihnen einen Zeitlauf von sechsundvierzig Jahren zu. Andere378 glauben, wie es scheint, daß derjenige Komet, welcher vor kurzem erschienen, ebenderselbe ist, welcher im Jahr 1577 erschien und daß er 1784 wohl wieder erscheinen möchte. Andere glauben bei einer[441] anderen Zeitrechnung sicherer zu gehen. Alle zusammen können sich auf das Zeugnis des Diodorus von Sizilien berufen379, welcher erzählt, daß vor alters die ägyptischen und chaldäischen Sternseher die Ankunft der Kometen vorhergesagt. Sie mögen tun, was Sie wollen, Sie werden zu tun haben, ehe Sie mit diesen Lufterscheinungen zurechtkommen. Und das Ansehen des sizilianischen Diodorus wird Ihnen nicht viel helfen, weil wir schon von dem Eudoxus wissen380, der zuallererst die Griechen dasjenige gelehrt, was er in Ägypten, die Bewegung der Gestirne betreffend, erlernt hat, daß er in Ansehung der Kometen nichts gesagt hat, daraus leicht zu schließen ist, daß die Ägypter damals noch keine Entdeckungen hiervon gehabt haben. Man kann es auch daraus schließen, weil Conon, der nach ihm gekommen ist, von den Ägyptern in Ansehung der Kometen nichts hat erfahren können, so sorgfältig er auch gewesen war, die Entdeckungen zu sammeln, welche sie von den Verfinsterungen gemacht hatten. Was die Chaldäer betrifft, so ist es wohl war, daß Apollonius Myndius, der sich rühmte, bei ihnen studiert zu haben, versicherte, sie rechneten die Kometen unter die Wandelsterne und wüßten ihren Lauf. Allein Epigen, der sich auch rühmte, daß er bei ihnen studiert hätte, und der so geschickt war wie jener, behauptete, sie hätten von dem Kometen nichts Gewisses gewußt, sondern gemutmaßt, daß er durch einen Wirbelwind angezündet würde.

Wir wollen aber setzen, mein angenommener Satz sei wahr, und so sage ich: Es sei gar nicht wahrscheinlich, daß die Kometen und Körper, welche durch Verschlimmerung unserer Elemente Pest und Hungersnot, Sturmwinde und Erdbeben verursachen, vielmal hintereinander mit ebendem Erfolg sollten wirken können, weil die Einrichtungen, welche bei diesen großen Unordnungen mit da sein müssen, sich unaufhörlich auf der Erdfläche ändern. Man sieht Städte, wo vordem Schafe weideten, und verfallene Mauern, wo vordem herrliche Städte standen. An einem Ort trocknet man Moräste aus, da man an anderen Orten die allerfruchtbarsten Flächen unbebaut liegenläßt.[442]

Man haut Wälder um, die Erde öffnet sich an gewissen Orten und verschluckt Berge, welche das ganze Land ringsherum kühl machten. Einige Flüsse sind ganz und gar verschluckt oder in andere Gänge geleitet worden. Das Meer überschwemmt ein gewisses Land. Es wachsen sozusagen große Länder mitten im Wasser, wie wir es von Plinius381, Seneca382, Pythagoras383 und vielen anderen Naturverständigen erfahren. Ich weiß nicht, ob man glauben darf, was Ovid ebendiesem Pythagoras in den Mund legt: Daß es Flüsse gegeben hat, die salzig geworden sind. Ich zweifle aber gar nicht, daß es heutzutage einige gibt, welche diejenigen Eigenschaften, die sie vor alters hatten, nicht mehr haben, und daß also unsere Reisenden unrecht tun, wenn sie schreien: Betrug!, nachdem sie Entdeckungen gemacht haben, welche mit dem Zeugnis der Alten nicht übereinkommen. Ich wollte, daß Herr Guillet dieses in der Schutzschrift, die er für den Pausanias gegen den Herrn Spon verfertigt hat, mit angeführt hätte, da nämlich dieser letztere gefunden hat, daß der Fluß Haies nicht so kalt sei, wie die alten Naturkündiger es ihn hatten überreden wollen. Ich wollte auch, daß man dergleichen Dinge denjenigen zur Antwort gäbe, welche sich rühmen, daß Ägypten größeren Überfluß an Regen hätte, als wohl die Alten gesagt hätten. Dieses aber will ich denjenigen nicht zum Nachteil gesagt haben, welche behaupten, daß die Alten in ihren Schriften nicht allemal gute Nachrichten zum Grund gelegt haben.

Dem sei, wie ihm wolle, man kann nicht leugnen, daß die Veränderungen, die ich berührt habe, nicht in den Witterungen eine Verschiedenheit sollten verursacht haben. Und wenn uns auch das nicht überzeugte, so können wir die tägliche Erfahrung nicht übern Haufen werfen. Niemals hat man, wenn man auch noch solange gelebt hat, zwei Winter, zwei Sommer, zwei Frühlinge, zwei Herbste gesehen, die einander vollkommen gleich gewesen. Ist wohl ein Mensch, der sich rühmen kann, daß er nur zweimal die Zeit erlebt, da Tag und Nacht gleich gewesen, wo er ebendieselben Winde, einerlei Witterung und einerlei[443] Beschaffenheit, was alles übrige anbelangt, angetroffen? Kann man wohl vernünftigerweise dasjenige in Zweifel ziehen, was Solon384 zum Krösus sagte: In siebzig Jahren finde sich nicht ein einziger Tag, der den übrigen in allem und durchgehend gleich sei. Ich glaube nicht, daß, solange die Welt Welt ist, zwei Tage gewesen, die einander in allem ähnlich gewesen sind, nicht nur in Ansehung der ganzen Erde, sondern auch in Ansehung eines Stückes davon, wie z.B. Frankreich. Wie wäre es daher möglich, daß diejenigen Ursachen, welche vierzig Jahre gebraucht worden sind, um eine Pest oder eine Dürre zu Mosis Zeiten hervorzubringen, dieselbe ebenfalls binnen vierzig Jahren in gegenwärtigem Jahrhundert hervorbringen sollten, wo die Erde von dem, was sie sonst war, so unterschieden ist, daß man sagen kann: Von hundert besonderen Ursachen, welche zu Mosis Zeiten mitwirkten, um ein Königreich mit Seuchen anzustecken, wären ihrer nicht zehn, die bis jetzt dieselben geblieben sind. Dieses aber muß notwendig eine Verschiedenheit in den Wirkungen zuwege bringen und sie außer alle Ordnung setzen und folglich den Kometen alle bedeutende Kraft auf das Zukünftige benehmen, sofern mein zuerst angenommener Satz wahr ist.

Von dem anderen will ich nichts sagen, weil er ebenden Schwierigkeiten der andern vier Meinungen unterworfen ist.


213. Bestätigung dieser Anmerkungen durch die Zufälligkeit der menschlichen Handlungen

Damit ich meinen Gründen ein desto größeres Gewicht geben möge, so belieben Sie nur anzumerken, mein Herr, es sei noch weit unmöglicher, daß die Unglücksfälle, die ein Mensch dem anderen zuzieht, die nach dem Urteil des Königs David385 weit schrecklicher sind als Hungersnot oder Pestilenz, allemal gerade um die Zeit erfolgen sollten, wenn der Lauf der Natur Kometen hervorbringt, wie es unmöglich ist, daß das Unheil, daran der Mensch keinen[444] Anteil hat, z.B. Sterben und Teurung, mit dieser Übereinstimmung sich zutragen sollten. Die Ursache ist, weil die Unordnungen des Krieges von tausenderlei nicht vorhergesehenen Zufällen und von dem Willen des Menschen abhängen, der solchen Leidenschaften unterworfen ist, welche sich zwischen Abend und Morgen vielfältig verändern. Daher kommt es, daß kein Zustand oder irgendeine Wirkung natürlicher Ursachen anzutreffen ist, welche mit dem, was von dem Willen des Menschen herrührt, ein ordentliches Verständnis haben sollte.

Wie will man z.B. erweisen, daß der Komet, welcher im ersten Jahr der Regierung Alexanders des Großen erschienen ist, nach den Gesetzen der Natur einiges Verhältnis mit allem demjenigen Unheil gehabt habe, das dieser Herr in der Welt verursacht hat? Ist es nicht wahr, daß, wenn die Kometen ohne Wunder erschienen, dieser auch durch eine natürliche Folge der Wirkung der himmlischen Körper hat erscheinen müssen? Und da dem also ist, folgt es nicht daraus, daß er würde erschienen sein, wenn es gleich sich zugetragen hätte (welches sehr möglich war), daß entweder Alexander krank geworden oder daß er bei dem ersten Anfall wäre erschlagen worden, oder daß Darius ebenso tapfer gewesen wäre wie Cyrus. Indessen, wenn eines von diesen drei Dingen erfolgt wäre, so würde viel Unglück sein erspart worden, und folglich würde dieser Komet doch erschienen sein, wenngleich die Welt eben keine sonderliche Verheerung hätte ausstehen müssen. Und also war kein natürliches Verhältnis zwischen diesem Kometen und den darauffolgenden Begebenheiten.

Jedermann sieht, daß, wenn Alexander gleich den vierten Tag, seitdem er seinen Marsch angetreten, wäre gefährlich krank geworden, seine Armee über den Hellespont nicht gegangen sein würde. Seine gefährliche Krankheit hätte also nur in einen Schlagfluß sich verändern dürfen, so wäre der Krieg zu Ende gewesen, ehe er noch angefangen worden. Wäre Alexander bei der Überfahrt an dem Fluß Granicum erschlagen worden, so wäre der Krieg ausgewesen; seine Generäle würden jeder gedacht haben, wie[445] sie wieder nach Hause kämen. Hätte der König in Persien die Geschwindigkeit des Cyrus besessen, so würde Alexander Zeit zum Sterben gehabt haben, bevor er nur zwanzig Meilen in das feindliche Land hätte dringen können; der Übergang über den Hellespont würde ihm zwanzig Treffen gekostet haben, die seine Armee ziemlich aufgerieben haben würden, welches ihm vielleicht sein Unternehmen würde verekelt haben. Wäre er also gestorben, ohne etwas erobert zu haben, so hätte er keine Nachfolger gelassen, welche die Erde mit Verbrechen, mit Blut, mit Feuer, mit Metzelungen angefüllt haben. Sie werden vielleicht angemerkt haben, da Sie die Historie gelesen haben, daß, wenn zwei Prinzen, die einander an Macht, an Herzhaftigkeit und guter Anführung fast gleich sind, miteinander Krieg führen, sie sich tapfer herumschlagen, Plätze erobern und die genommenen wieder einnehmen, ihre Armeen aufreiben und wechselweise das feindliche Land verwüsten. Was geschieht darauf? Sie werden müde, sie erschöpfen sich und gehen endlich einen Frieden ein, nachdem beide wenig oder nichts gewonnen haben. So würde es, allem Ansehen nach, dem Cyrus und Alexander gegangen sein, wenn sie beide zu gleicher Zeit gelebt hätten. Und so ging's Franziskus dem Ersten und Karl dem Fünften. Wenn die eine von beiden Parteien in dem Friedensschluß etwas zurückbehält, so kann man wohl sagen, daß es teurer gekauft worden ist, als es wert war, wie solches Hannibal, da er den Scipio anredet, sehr wohl anmerkt: Es wäre zu wünschen, spricht er zu ihm, daß die Götter unseren Vätern ein solches Gemüt gegeben hätten, daß ihr mit der Herrschaft in Italien und wir mit der Herrschaft in Afrika zufrieden gewesen wären. Euch Römern ist durch die Eroberung Siziliens und Sardiniens der Verlust so vieler Flotten, so vieler Armeen und so vieler wackerer Generäle noch lange nicht nach Würden ersetzt worden.386
[446]

214. Es liegt an nur sehr wenigem, daß die allergrößten Begebenheiten nicht verändert werden

Alles dieses veranlaßt mich zu sagen, daß die wichtigen Begebenheiten, welche das menschliche Geschlecht umkehren, auf so zufälligen Umständen beruhen, daß es unmöglich ist, daß der Lauf der Natur uns davon eine gewisse Vorbedeutung sollte geben können. Wenn daher der Komet, der zu Anfang der Regierung Alexanders erschienen ist, alles dasjenige hat vorbedeuten sollen, was sowohl durch ihn als seine Nachfolger geschehen, so muß ihn Gott notwendig bloß dazu erschaffen haben. Denn, wie gesagt, es brauchte nichts mehr, als daß der Bucephalus einmal aufgebäumt hätte (wozu er seiner Art nach sehr geneigt war), so wären alle Vorbedeutungen des Kometen umsonst gewesen. Ein einziger Pferdeschlag, der bei anderen Umständen zu nichts gedient hätte, würde hier Millionen Menschen das Leben erhalten haben, die des Alexanders halber umgekommen sind, und hätte der Welt eine unzählige Menge Elend ersparen können, das sie bei Gelegenheit dieses Prinzen betroffen hat, denn man muß ihm alles zurechnen, was nur Gewaltsames und Unglückliches durch den Lysimachus, durch den Ptolomäus, durch den Antigonus, Demetrius, Seleucus, Cassander und durch seine anderen Nachfolger ist verübt worden. Denn außer seinem Ehrgeiz würden sie bei etlichen tausend Talenten Einkünften und in einer Bedienung in Makedonien ganz glücklich gelebt haben, anstatt daß sie so große Lust kriegten, die bei der Teilung der Eroberungen des Alexanders ihnen zugefallenen Königreiche zu besitzen, daß sie alles mit Feuer und Schwert verheerten, um nur groß zu werden. Man kann also nicht in Abrede sein, soll dieser Komet all das Unglück vorbedeutet haben, so muß er von einer Ursache sein erschaffen worden, welche gewußt, daß Alexander einen unersättlichen Ehrgeiz besitzen würde, daß er mit einem Feind zu tun haben würde, mit dem er leicht auskommen könnte, daß keine Krankheit, keine Wunde ihn aufhalten würde usf. Da überdies, wenn[447] alles drüber und drunter gehen soll, oft nur eine einzige Person erfordert wird, die sich in gewissen Umständen befinden muß, die natürlichen Ursachen aber, welche Kometen hervorbringen, nicht geschickt sind, die gelegene Zeit zu wählen und mit dem Hervorbringen eines Kometen so lange zu warten, bis ein Cyrus, ein Cäsar, ein Mahomet, ein Alexander soll geboren werden, so ist es klar, daß entweder die Kometen nichts bedeuten oder daß sie nicht durch die Kraft der natürlichen Ursachen, sondern durch Gott selber hervorgebracht worden. Man mag nun entweder sagen, Gott gebe einer gewissen Materie die Gestalt eines Kometen, ohne auf die Beschaffenheit noch Wirksamkeit der umstehenden Körper achtzuhaben (das ist für Sie, denn Sie sind ein Peripatetiker), oder er gebe ebenderselben Materie die Figur der Teile, die Lage, die Dicke und Bewegung, die ein Komet haben muß, bediene sich aber dabei nicht der Bewegung, die bereits den benachbarten Körpern eingedrückt worden ist, und richte sich auch nicht nach den Gesetzen der Mitteilung der Bewegung, die er festgesetzt hat (dieses ist nach den Grundsätzen des Herrn Descartes). Gott mag, sage ich, wirken, auf was für eine von beiden Arten er will, so kommt allemal ein eigentlich sogenanntes Wunderwerk heraus.


215. Ein Mittel, wie man sich etwa einbilden könnte, daß die Kometen ordentlicherweise Vorbedeutungen abgeben

Damit Sie mich nicht beschuldigen, als ob ich mich geschont hätte, so will ich Ihnen wohl sagen, daß ich ein Mittel weiß, wie man etwa machen könnte, daß die Kometen üble Vorbedeutungen würden, ohne daß sie Wunderwerke sein dürften. Wissen Sie wohl wie? Man darf nur annehmen, daß allemal, wenn die natürlichen Ursachen einen Kometen hervorbringen, Gott den Schluß fasse, die Menschen zu strafen. Nimmt man nun an, daß Gott sich selber diese Losung gegeben habe, so folgt daraus,[448] daß eine notwendige Verknüpfung zwischen den Kometen und den Strafruten der göttlichen Gerechtigkeit stattfindet und daß also die Kometen eine Vorbedeutung der göttlichen Gerichte sind. Wäre ich mit meiner Antwort nicht schon fertig, so würde der vorhergehende Satz Ihres Einwurfes eine unüberwindliche Schwierigkeit sein.


216. Widerlegung dieses Mittels

Allein, ich gebe zur Antwort: In dem angenommenen Fall müßte Gott die Pest, den Krieg, die Hungersnot und was daraus folgt, durch ein Wunderwerk hervorbringen, weil es nicht möglich ist, wie ich schon erwiesen habe, daß allemal, wenn die himmlischen Körper einen Kometen zuwege bringen, die irdischen Körper auch schon bereit sein sollten, ein großes Sterben, eine Unfruchtbarkeit und alle Unordnungen des Krieges zu verursachen. Das kann sich wohl zuweilen so zutragen, wie es manchmal geschieht, daß es hagelt, wenn eine Königin mit einem Prinzen niederkommt. Allein, man kann nicht eine allgemeine Regel daraus machen, wenn man die natürlichen Ursachen in ihrem ordentlichen Lauf fortgehen läßt. Solchergestalt würde Gott die meiste Zeit hier auf der Welt keine Einrichtung zur Pest oder zum Krieg oder zur Hungersnot antreffen, wenn die Natur am Himmel einen Kometen hervorgebracht hätte. Folglich müßte Gott durch ein Wunderwerk ansteckende Seuchen in die Städte schicken, er müßte auf dem Land alle Saaten verderben; er müßte in dem Herzen der Menschen eine Begierde, sich einander ohne Barmherzigkeit zu bekriegen, erwecken, er müßte ihnen einen Geist des Aufruhrs und der Trennung eingeben, er müßte in dem Eingeweide des Erdbodens Feuer erschaffen, welches denselben erschütterte, Landschaften verschlänge und, nachdem es durch entsetzliche Abgründe hervorgebrochen wäre, in alle herumliegenden Gegenden Schrecken und Elend hinbringen müßte. Allein, wer sieht nicht, wie unanständig alles dieses der Weisheit Gottes sein würde.[449]

Ich frage fürs erste: Was gewinnt man, wenn man leugnet, daß Gott durch Wunderwerke Kometen hervorbringe, weil, indem man solches leugnet, man gezwungen wird zuzugeben, daß er durch ein Wunderwerk die Unglücksfälle zuwege bringe, welche auf den Kometen erfolgen? Ferner, ist es nicht eine himmelschreiende Gottlosigkeit und Gotteslästerung, wenn man sagt, Gott reize die Menschen an, sich einander zu bekriegen, wenn er sie nicht geneigt findet, alle die Unordnungen zu verursachen, welche er mit dem Hervorbringen der Kometen hat verknüpfen wollen? Noch mehr, heißt das nicht Gott die Wahl der Zeit nehmen, darin die Reichsveränderungen und Bestrafungen der Gottlosigkeit der Menschen erfolgen? Denn solchergestalt würde nicht mehr die Gottlosigkeit des Menschen und der entsetzliche Mißbrauch der Gnade des Himmels Gott bewegen, daß er die Länder strafte. Gott müßte es deswegen tun, weil die Zusammenkunft gewisser Ursachen, die ihren ordentlichen Lauf fortgegangen, einen Kometen auf unseren Horizont gebracht hätte. Man weiß, daß diese Ursachen nach ihrem völligen Vermögen wirken und daß sie ihre Kräfte nicht nach dem Anwachsen der Bosheit unter den Menschen einrichten. Daher können die Kometen sozusagen aus ihren Händen kommen, ebensowohl, wenn die Menschen sich bessern, wie wenn sie in Lastern am allerverstocktesten sind. Demzufolge würde sich Gott genötigt sehen, die Menschen zu strafen, nicht, wenn seine Weisheit es am bequemsten hielte, sondern wenn der Lauf der Natur Kometen hervorgebracht hätte, denn sobald sich nur ein Komet blicken ließe, müßten sie entweder durch ein Wunderwerk oder auf eine andere Art mit den allerschrecklichsten Drangsalen heimgesucht werden. Wer sieht nicht, daß man solchergestalt Gott schuld gibt, als täte er etwas zu ungelegener Zeit, und daß man seiner Vorsorge die Augenblicke und Gelegenheiten wegnimmt, welche sie sich ganz besonders vorbehalten hat? Wer sieht nicht, daß man dadurch der Erklärung widerspricht, welche Gott selbst dem Abraham getan hat: Er wolle ihm das Land der Amoriter noch nicht geben, weil ihre Gottlosigkeit[450] ihr Maß noch nicht erfüllt hätte? Der allerkürzeste Weg für Sie, mein Herr, wenn Sie bei ihrer Meinung bleiben, ist also dieser: Sagen Sie nur, Gott schaffe Kometen, wenn er willens ist, die Menschen zu strafen, und wenn er sieht, daß ihre Neigungen, die er nicht ersticken will, bereit sind, die Ruhe der Welt durch unzählige Gewalttätigkeiten zu stören. Ich habe daher Ursache, zu behaupten, daß, wenn die Kometen Vorbedeutungen sind, sie durch ein Wunderwerk sind hervorgebracht worden.


217. II. Antwort: Wenn die Kometen Wunderwerke wären, so gehörten sie in eine gewisse Klasse solcher Wunder, die Gott in dem Land der Ungläubigen nimmermehr tut

Damit ich auf die zweite Schwierigkeit antworte, welche darin bestand, daß meine Gründe erwiesen, Gott könne in dem Land der Ungläubigen keine Wunder verrichten, so unterscheide ich zwei Arten der Wunderwerke. Einige sind sozusagen redend und unterscheiden ganz deutlich den wahren Gott von den falschen Gottheiten. Die andern aber geben nur zu verstehen, es sei über dem Menschen ein Wesen, welches große Macht besitzt. Ich sehe nicht, was für ein Übel daraus entstehen sollte, wenn ich behaupte, daß Gott niemals Wunderwerke von der anderen Art unter den Ungläubigen tue, denn diese Wunderwerke enthalten nichts in sich, das einem Götzenverehrer seinen Irrtum nehmen könnte, und bringen ihn nur auf die Gedanken, die Götter, welche er anbetet, wären mächtig und furchtbar, und dadurch wird er angereizt, sie mit desto größerem Eifer anzubeten. Tut er es nicht, so bezeugt er noch augenscheinlicher, daß er dasjenige, was er für den wahren Gott hält, verachtet, weil er in seinem Verhalten nichts ändert, ob er gleich neue Merkmale seiner Macht und seines Zornes gespürt hat. Er mag tun, was er will, so steigt sein Verbrechen. Denn verdoppelt er seine falsche Andacht, so begeht er desto mehr Stücke der Abgötterei,[451] tut er gar nichts, so ist seine Gottlosigkeit noch strafbarer. Da also dergleichen Wunderwerke nur dazu dienen können, daß die Ungläubigen gottloser werden, so finde ich nicht, daß es mit der Güte Gottes übereinkommen sollte, dieselben unter ihnen zu tun, und meinem Bedünken nach hieße das ihnen Schlingen legen, wobei ich meine anderen Gründe noch hinzufüge. Ich rechne unter diese Art Wunderwerke einen Kometen, einen Sturmwind, ein Erdbeben, Lufterscheinungen und fürchterliche Wunderzeichen, die Gott allein gegen die Ordnung der Natur tun soll.


218. Was das für Wunder sind, die Gott unter den Ungläubigen tut

Die andere Art Wunder versteht diejenigen unter sich, welche Gott durch diejenigen wirkt, die mit seinem Geist erfüllt sind und die er unter die Ungläubigen sendet, um ihnen seine Offenbarung zu predigen und damit er sie durch einen deutlichen und verständlichen Unterricht von der Falschheit ihres Glaubens überführen möchte. Es kommt mit der Güte und Weisheit Gottes überein, dergleichen Wunder vor den Augen der Ungläubigen zu tun, wenn er sie zu seiner Erkenntnis berufen will. Er schickt ihnen auch alsdann seine Diener, welche ihnen bekanntmachen, was man von der Natur Gottes wissen muß, welche ihnen die Eitelkeit ihres falschen Gottesdienstes vor Augen legen und ihnen die Art, Gott seinem Willen gemäß zu verehren, vortragen. Da aber Reden ohne Wunder nicht überzeugen würden, so rüstet Gott seine Diener mit der Kraft aus, vielerlei wunderbare Sachen auszurichten. Auf ihr Wort verliert das Feuer seine Wirksamkeit, die Bäche teilen sich, die Toten gehen aus ihren Gräbern, und die allerunheilbarsten Krankheiten werden geheilt. Das nenne ich redende Wunder, weil sie die Predigt eines Apostels bekräftigen und auf eine sehr deutliche Art bezeugen, dasjenige, was er verkündigt, sei wahr. Man hat keine[452] Entschuldigung, warum man in der Religion der falschen Götter länger verharren wollte, weil diejenigen, welche geradeheraus und ausdrücklich sagen, daß Jupiter nicht Gott ist, daß der Gott der Christen einzig und allein der wahre Gott ist, uns durch herrliche Wunder die Wahrheit dessen, was sie predigen, bestärken. Man kann sich nicht mehr einbilden, daß die Götter, welche man anbetet, die Wunder verrichten, welche man tun sieht, weil diejenigen, die sie verrichten, mit deutlichen Worten versichern, daß es falsche Götter sind, deren Tempel und Altäre man ungesäumt niederreißen solle. Hier sehen Sie, mein Herr, die Wunderwerke, welche Gott in dem Land der Ungläubigen tut; ich kenne deren keine anderen, welche nach dem Zustand eines Sünders eingerichtet sein sollten.

Geben Sie mir nicht zu, daß, wenn die Apostel nur Lahme und Blinde geheilt. Tote auferweckt hätten usf., niemand nichts von ihrem Amt würde verstanden haben, niemand würde darauf verfallen sein, daß er deswegen an der Gültigkeit seiner Religion gezweifelt und geglaubt hätte, Jesus Christus sei Gott. Aller Vorteil, den etwa die Apostel von diesen Wundern hätten haben können, würde darin bestanden haben, daß man sie unter die Götter gezählt oder für solche angesehen hätte, die von den Göttern auf die Erde herabgekommen wären, so wie solches in Ansehung des Paulus und Barnabas in einer Stadt von Lykaonien geschah. Sie mußten daher reden und deutlich und klar erklären, wem zu Gefallen sie alle diese Wunder täten. Ich behaupte ein Gleiches vom Moses. Hätte er nur Wunder vor dem Pharao getan und in sein Königreich viele Plagen kommen lassen, so hätte dieser König nimmermehr erraten können, auf wen alles dieses gehen sollte, nimmermehr hätte er begreifen können, daß die so gewaltsame Staatskunst, der er sich gegen die Hebräer bediente, demjenigen, der die Welt regiert, mißfalle, und daß kein anderer Gott sei, als den die Hebräer anbeteten. Daher sieht man auch, daß Gott dem Moses befiehlt, er solle von dem großen Namen Gottes anfangen und dem König Pharao von selten Gottes verkündigen, daß er die[453] Kinder Israels solle ziehen lassen. Um diese Sendung zu bekräftigen, gibt Gott Moses Gewalt, erstaunliche Wunder zu tun, welche weit über das Vermögen aller Zauberer Pharaos gingen, und bringt diesen König so weit, daß er bekennen muß, der Hebräer Gott sei der wahre Gott. Daraus erhellt, daß bei den Wundern Reden und bei den Reden Wunder sein müssen, wenn der wahre Gott den Ungläubigen soll bekanntgemacht werden, und daß also Gott in dem Land der Heiden nicht Wunder vom ersten Rang geschehen läßt. Bringen sie nicht ihre gehörige Wirkung hervor, desto schlimmer ist es für diejenigen, welche sich wie Pharao verstecken, nicht nur, weil sie sich nicht bekehren, sondern auch, weil sie einer Berufung widerstreben, die sie so leicht verstehen konnten und die ihnen keine Entschuldigung übrigläßt. Sie haben auf das deutlichste gesehen und auch gehört, was Gott von ihnen verlangte, anstatt daß sie von einem Kometen, der ihnen durch ein Wunderwerk zugeschickt worden, hätten sagen können, sie wüßten nicht, ob ihnen Jupiter oder Diana oder Merkur oder der Gott der Hebräer solchen zugeschickt hätte und welcher von diesen Göttern der einzige wahre Gott sei.


219. III. Antwort: Es ist falsch, daß Gott die Absicht gehabt hat, sich den Heiden als der wahre Gott zu erkennen zu geben, indem er Kometen hat erscheinen lassen

Hier haben Sie, mein Herr, meine Antwort auf den dritten Einwurf. Ich begreife es nicht, ich gestehe es Ihnen, wie Gott die Absicht haben könne, wenn er bei abgöttischen Völkern einen Kometen leuchten läßt, sie zu überzeugen, daß er der wahre Gott ist und daß Jupiter und die anderen Gottheiten nichts sind als Holz und Steine. Denn stellen Sie sich einmal einen Heiden vor, der redlich gesinnt ist, der Vernunft, Verstand und Wissenschaft besitzt. Lassen Sie ihn, so lange Sie wollen, seinen Gedanken über[454] das Erscheinen eines Kometen nachhängen, leiten Sie seinen Verstand auf alle nur möglichen Betrachtungen, welche beim Erblicken dieses Gestirns in seiner Seele entstehen können. Ich bin gewiß, Sie werden keine richtige Reihe von Folgerungen bei ihm finden, dadurch er dahin gebracht würde, daß er erkennen werde, der Gott Israels oder der Gott der Christen sei der wahre Gott, alle anderen Götter aber, die er anbetet, wären falsche Gottheiten.

Ich gestehe es, wenn die Betrachtung des Kometen ihn dahin brächte, daß er anfinge, die Werke der Schöpfung zu betrachten, so würde er durch diesen Weg zur Erkenntnis eines unendlich weisen und unendlich mächtigen Wesens gelangen, sofern er nur seine Wissenschaft gehörig gebrauchen wollte. Ich bin überzeugt, daß niemand in einer unüberwindlichen Unwissenheit einer ersteren Ursache steht, welche die Welt regiert. Ich bin mit dem Propheten David eines Sinnes, daß die Himmel, so stumm sie sind, dennoch die Ehre Gottes von einem Ende der Welt bis zum anderen verkündigen, wegen der bewundernswürdigen Symmetrie ihres Baues und der Ordnung ihrer Bewegungen. Ich bekenne mit Paulus, daß dasjenige, was in Gott unsichtbar ist, durch die Schöpfung der Welt denjenigen sichtbar geworden ist, welche seine Werke betrachten. Allein, ich sage zu gleicher Zeit, daß, wenn dieser Götzendiener durch dieses Mittel sich zur Erkenntnis eines höchstvollkommenen Wesens erhübe, er solches gar nicht dem Kometen zu danken haben würde, denn nicht des Kometen halber würde er seinem Jupiter mehr Größe und mehr Macht, als er sonst getan hat, zuschreiben, sondern wegen der Schönheit der Kreaturen. Eine jede andere Sache konnte ihm ebensowohl wie der Komet Gelegenheit geben, den Bau der Welt vernünftig zu überdenken. Er durfte nur die Sonne oder eine von jenen Erscheinungen der Natur betrachten, welche wegen ihrer Seltenheit die Aufmerksamkeit desto mehr erwecken, und er würde ebensoweit gekommen sein, als da er den Kometen betrachtete. Ich behaupte daher, daß, da ein Komet nicht für sich selbst die Menschen zur Kenntnis des wahren Gottes leiten[455] kann, indem er kein besonderes Verhältnis mit dem Verstand des Menschen hat, daß er ihm dieses Geheimnis beibringen könnte, weil er unendlich weniger dazu geschickt ist als die Welt selber, es gar nicht wahrscheinlich sei, daß Gott durch diesen Weg sich dem Menschen habe offenbaren wollen und daß er in dieser Absicht Wunderwerke von dergleichen Art sollte getan haben.


220. Das Anschauen eines Kometen macht uns nicht geschickter, die Natur Gottes kennenzulernen

Wir wollen billig miteinander umgehen, mein Herr. Erkennen wir wohl in den Kräften unserer Seele ein besonderes Vermögen, dadurch wir uns geschickt befinden sollten, Entdeckungen in der göttlichen Natur zu machen, sobald wir einen Kometen gewahr werden ? Wir wollen aufrichtig reden und gestehen, daß wir bleiben, wie wir waren. Es ist wahr, es ist eine Erscheinung, die allen Menschen zu schaffen macht. Die Naturverständigen wissen nicht gewiß und richtig, wie er entsteht. Die Sternseher bewundern seine Bewegung und Größe weit mehr, als sie sie erkennen. Andere Menschen fürchten sich vor ihm als vor einem Vorboten des Unglücks. Bringt aber dieses alles so viel zuwege, daß man die Natur Gottes besser erkennt? Gar nicht. Ein Naturverständiger wußte ohnedem schon zur Genüge, daß die Werke Gottes von einer solchen Tiefe sind, daß sie von unserem Verstand nimmermehr gefaßt werden können. Man darf den Versuch hiervon nicht zuallererst in den Wundern tun, wenn man von dieser Wahrheit überzeugt werden will. Man darf nur die Untersuchung des geringsten Strohhalmes oder einer Fliege vornehmen, so wird man empfinden, daß es mehr Geheimnisse gibt, als die ganze Naturlehre nimmermehr entdecken wird. Ein Sternseher wußte gleichfalls ohne Hilfe des Kometen, daß die Bewegungen des Himmels bewundernswürdig sind. Diejenigen, welche sich vor den Kometen fürchten, wissen auch schon, daß Gott ein Feind des[456] Lasters ist und das Böse bestraft. Wenn wir solchergestalt den Kometen viele Monate hintereinander angesehen haben, so erlangen wir dennoch keine andere Kenntnis von Gott, als wir sonst hatten, und glauben auch nicht, daß wir deswegen Tadel verdienten. Macht uns das Gewissen hierbei einen Vorwurf, so betrifft es nur dieses, daß wir unser Leben nicht gebessert haben. Da nun die Christen durch Hilfe der Kometen nichts Neues, die göttliche Natur betreffend, erlernen, warum wollen Sie denn, daß die Heiden verbunden sein sollen, mehr davon zu erkennen? Wenn wir, was die Erkenntnis betrifft, ungestraft da bleiben können, wo wir waren, sofern wir nur im übrigen in der Liebe Gottes unaufhörlich fortgehen, wie können Sie sich einbilden, daß Gott von den Heiden habe fordern können, daß sie ihn besser erkennen sollten, als es vor dem Erblicken des Kometen geschehen?


221. Es gab heidnische Völker, welche eine fremde Religion nicht zugaben

Ich für meine Person gestehe es ganz gern, ich kann es mir nicht einbilden. Meinem Bedünken nach war ein heidnischer Weltweiser, der die Natur untersucht hatte, ohne an der Gottheit des Jupiters und des Mars zu zweifeln, im geringsten nicht imstande, sich zu bekehren, wenn er einen Kometen sah. Denn wie hätte er dieser Lufterscheinung zu Gefallen einen neuen Gott suchen sollen, da er für die Welt selbst keinen gesucht hatte? Ist Jupiter der Herr der Welt, regiert er im Himmel, hat er über die Sterne zu gebieten, wird er nicht über den Kometen auch gebieten können? Aber der Komet droht der Welt den Zorn Gottes. Es sei so. Daraus folgt noch nicht, daß Jupiter und Saturn von ihrer Stelle sollten vertrieben werden, es folgt vielmehr dieses daraus: Ein Heide, wenn er nach seiner Einbildung leben will, solle diese Götter mehr als sonst verehren. Der Anblick des Kometen führt ihn durch eine natürliche Folge dahin. Jedes Volk sieht ihn an als[457] ein Zeichen seines Unglücks. Jedes Volk glaubt, daß sein Wohl und Weh von seinen Göttern herkomme und daß, wenn man dem befürchteten Unglück entgehen wolle, man seine Götter und nicht die Götter anderer Nationen versöhnen müsse. Folglich haben die Kometen jedes Volk angetrieben, seine eigenen Götter zu verehren, und anstatt daß sie ihnen ein Verlangen, ihre Gottheiten zu wechseln, hätten beibringen sollen, so konnten sie vielmehr gewisse Völker auf die Gedanken bringen, man müsse untersuchen, ob sich nicht einige fremde Zeremonien in den Gottesdienst eingeschlichen hätten. Denn man hat Götzenverehrer gefunden, welche diese Vermischung als eine Art der Gottlosigkeit verabscheut haben. Als Anacharsis387 nach seiner Zurückkunft in Skythien nach Art der Griechen hatte opfern wollen, so wurde er von seinem leiblichen Bruder erschlagen, der in Skythien als König regierte. Andere388 sagen, Anacharsis habe einen Skythen erschlagen, der bei seiner Wiederkunft aus Griechenland den Gottesdienst der Mutter der Götter auf griechische Art hätte halten wollen, das aber, allem Ansehen nach, ein Versehen von dem Clemens von Alexandrien ist. Indem die Römer zwar ihre alten Gottheiten beibehielten, aber doch auch neue annahmen, sonderlich bei öffentlichen Drangsalen, so gingen sie darin von ihrer alten Gewohnheit sehr ab, welche ihnen allen fremden Gottesdienst untersagte, wie es aus einer Stelle des T. Livius erhellt, die ich oben angeführt habe, und noch aus einer anderen in dem neunten Buch der vierten Dekade.389


222. Kurze Vorstellung dessen, was man aus den vorhergehenden Anmerkungen schließen kann

Man mag es nehmen, wie man will, so sehe ich doch nicht, daß man sagen könne, das Erscheinen eines Kometen habe entweder den Glauben der Völker von ihren Göttern oder die Zeremonien der eingeführten Religion in sonst etwas geändert, als daß man einige abergläubische Dinge an gewissen[458] Stellen eingeflickt hat. Und also komme ich immer wieder auf meinen obigen Satz zurück, daß die Kometen einerseits sehr vergebliche, andernteils aber dem Aberglauben beförderliche Wunderwerke gewesen sein würden und daß es endlich mit der Weisheit Gottes nicht übereinkäme, wenn er ein Mittel zur Bekehrung der Götzendiener gebraucht hätte, welches die Heiden nicht allein nicht bekehrt hat, sondern auch nicht einmal hat bekehren können. Daraus folgt, daß es falsch ist, daß Gott eine besondere und ausdrücklichere Absicht sollte gehabt haben, sich durch Hilfe der Kometen, mehr als anderer Kreaturen, als den wahren Gott bekanntzumachen. Und da dem also ist, so bleibt mein Satz noch immer wahr, nämlich daß, wenn Gott zu derselben Zeit, als das Heidentum die ganze Erde bedeckte, durch ein Wunderwerk Kometen hervorgebracht hätte, so würde er zum Zweck gehabt haben, den Eifer eines jeden Volkes auf der ganzen Erde für seine Religion anzufeuern. Da nun dieses ohne Gottlosigkeit nicht kann gesagt werden, so bleibt nichts übrig, als daß die Kometen schlechterdings Werke der Natur sind, die nichts bedeuten.


223. Ob man sagen dürfe: Gott tut eine Sache nicht, wenn man nicht siebht, daß sie einigen Nutzen hat

Allein, es scheint mir, als ob Sie mir hier einfallen und sagen würden: Die Verwegenheit sei bei mir ziemlich strafbar, indem ich leugnete, daß Gott etwas tue, weil meine schwache Vernunft den Nutzen davon nicht entdecke, vielmehr im Gegenteil allerhand grobe Mißbräuche zeigte, die daraus entsprungen wären. Hierbei gestehe ich Ihnen frei, mein Herr, daß ich völlig überzeugt bin, Gott könne nichts tun, das nicht von unendlicher Weisheit ist. Es ist genug für mich, wenn ich weiß, daß Gott etwas getan hat, denn da kann ich gewiß glauben, daß es mit der allerhöchsten Vernunft gemacht worden ist. Ich verlange nichts mehr. Meine geringe Erkenntnis mag den Nutzen[459] davon entdecken oder nicht einsehen, es ist nichts daran gelegen. Ich glaube dennoch, daß es ein der unendlichen Größe Gottes angemessenes Werk ist. Könnte man mir also entweder durch notwendige Gründe oder durch ein untrügliches Zeugnis erweisen, daß Gott die Kometen durch ein Wunderwerk hervorbringe, damit sie Zeichen seines Zorns abgeben möchten, so würde ich herzlich gern dabei beruhen, ob ich gleich einzusehen glaubte, daß nichts vergeblicher und den Absichten des Teufels zuträglicher sei als Wunder von dieser Art.

Allein das sind nicht die Umstände, darin wir uns befinden. Wir wollen wissen, ob die Kometen ein von Gott zugeschicktes Zeichen sind oder nicht. Wir haben davon keine Versicherung, wir müssen durch Schlüsse ausmachen, was man davon denken soll, und es hindert nichts, daß wir unter anderen Gründen nicht auch die Ehre der Weisheit, der Gerechtigkeit und der Heiligkeit Gottes zur Verneinung dieses Satzes anführen könnten, wenn wir befinden, daß die Bejahung desselben mit diesen göttlichen Eigenschaften nicht übereinstimmt.

Wir lernen in den Schulen der Gottesgelehrten und Weltweisen, daß man weder die Dinge noch auch die Wunder ohne Not vervielfältigen soll. Dadurch geben sie uns das Recht, alle diejenigen angenommenen Meinungen zu verwerfen, welche keinen Nutzen haben, ob sie gleich nichts Böses nach sich ziehen. Nach diesem Grundsatz muß man niemals seine Zuflucht zu einem Wunderwerk nehmen, wenn sich Sachen natürlich erklären lassen. Man darf nicht annehmen, daß Gott beim Hervorbringen einer Wirkung auf eine ganz besondere Art dazwischengekommen sei, wenn diese Dazwischenkunft uns schlechterdings vergeblich oder wohl gar seiner Heiligkeit zuwider zu sein scheint. Man hat nicht unbillig die Poeten und zuallererst Homer lächerlich gemacht, weil sie die Götter überall mit einflochten und bei der Auflösung einer Verwirrung, die wenig zu sagen hatte, sich ihrer Hilfe bedienten, das doch gegen die Regel ist. Wieviel mehr würden wir Tadel verdienen, wenn wir ohne Not dasjenige der außerordentlichen[460] Kraft zuschreiben wollten, was wir in der Natur erfolgen sehen. Wenn es ein ausgemachter Satz ist: Dieses oder jenes ist ein Wunder, so würde es freilich lächerlich sein, wenn man es verdrehen wollte unter dem Vorwand: Man sähe ja nicht, wozu ein solches Wunder diene, und man würde im Gegenteil vieler Mißbräuche gewahr, die daraus entstehen könnten. Allein alsdann sind es keine Verdrehungen mehr, wenn das Dasein des Wunders auf übelgegründete Mutmaßungen beruht.


224. Betrachtung über den Ausspruch des Stadtrichters Cassius: Cui bono?

Cicero rühmt einen Prätor mit Namen Cassius, der in Kriminalprozessen den Ankläger, wenn seine Beweise schwach waren, fragte: Was für ein Vorteil den Beklagten bewegen hätte, das Verbrechen, davon die Rede war, zu begehen – cui bono? Was hatte er für Nutzen davon? Dieser setzte als ein verständiger Mann voraus, daß man um nichts kein Verbrechen ausübt und daß man ohne augenscheinliche Überführung keinen Menschen verdammen sollte, der angeklagt wird, daß er ohne den geringsten Vorteil etwas Böses begangen habe. Allein, es würde bei diesem Spruch lächerlich sein, wenn man einen Ankläger, der seine Anklage gründlich ausgeführt hat, auch fragen wollte: Cui bono? Das kann nur bei Ungewissen Fällen stattfinden. Wenn ich jemand einen Totschlag hätte begehen sehen, so möchte man mir sagen, wie man wollte, der Mörder würde dadurch sein Glück verscherzt haben, und er hätte es ja voraussehen müssen, daß er es verscherzen würde. Ich würde dennoch meinen Sinnen mehr zutrauen und viel eher glauben, daß der Mensch zuweilen gegen seinen Nutzen handelt, als daß ich mich bereden ließe, derjenige sei unschuldig, den ich den Totschlag hätte begehen sehen. So wollen wir auch sagen, wenn wir gewiß sind, daß Gott etwas getan hat, so wäre es eine Gottlosigkeit, wenn wir denken wollten, daß es vergeblich sei. Will man uns aber[461] auf der anderen Seite ohne den geringsten Schatten der Wahrheit ein Wunderwerk aufdrängen, so wollen wir allemal fragen: Cui bono? Was soll es helfen?


225. Betrachtung über die Art und Weise, wie die Verstockung des Pharao ausgelegt wird

Damit ich mich bei Ihnen, da Sie ein Gottesgelehrter sind, mit noch etwas Stärkerem rechtfertigen könne, so belieben Sie nur, mein Herr, sich zu erinnern, daß die Kirchenlehrer und Kirchenversammlungen von den Worten der Schrift: Ich will das Herz Pharaos verstocken, eine Auslegung gegeben haben, die von dem Wortverstand sehr abgeht, und dieses deswegen, weil der Wortverstand gegen die Vollkommenheiten Gottes laufen würde. Denn hätte Gott das Herz dieses Herrn ausdrücklich verstockt, nachdem er ihm durch Moses hat befehlen lassen, den Kindern Israels den Auszug zu gestatten, und sich ihm durch unleugbare Proben als den Herrn der Welt zu erkennen gegeben, um seinen Gehorsam gegen Moses Worte zu verhindern und nur Gelegenheit zu haben, seine Macht gegen einen ungehorsamen König zu erweisen, so würde jedermann sehen, daß ein solches Verfahren der Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit und Heiligkeit sehr zuwiderlaufe. Könnte man aber eine ausdrückliche Offenbarung aufweisen, durch welche man versichert würde, die Absicht des Heiligen Geistes sei gewesen, daß man diese Worte in ihrem eigentlichen Sinn nehmen sollte, so würde die Kirche davon nicht abgehen, sie würde der Vernunft ein Stillschweigen auflegen und ihr vorstellen, daß, da Gott, der die Richtschnur und der Quell aller Heiligkeit und Gerechtigkeit ist, uns zu wissen tun lasse, er habe das Herz Pharaos im eigentlichen Wortverstand verstockt, solche Verstockung eine Handlung sein müsse, welche weder seiner Aufrichtigkeit noch Gerechtigkeit, noch Heiligkeit zuwiderlaufe. Ich mache die Anwendung hiervon auf den Streit, der unter uns ist, und sage: Da uns weder ein augenscheinlicher[462] Beweisgrund noch irgendeine Offenbarung die Versicherung gibt, daß Gott Kometen hervorbringe, um seine Züchtigung vorzubedeuten, so können wir nicht anders urteilen, als daß diese Meinung falsch sein müsse, weil Gott keine Wunder tut, die nicht allein vergeblich sind, sondern auch seiner Heiligkeit, seiner Gerechtigkeit und Güte zuwiderlaufen. Denn wenn nach dem Sinn der Kirche jede Auslegung der Schrift falsch ist, wenn sie Gott Handlungen zuschreibt, welche den Begriff aufheben, den wir von seinen Eigenschaften haben, und man sich nicht darauf berufen darf, daß Gott gewisse uns unbekannte Vorrechte besitze, die mit seinen anderen Eigenschaften auf eine uns unbekannte Art und Weise übereinstimmten: das Recht z.B., den Pharao dem Wortverstand nach zu verhärten; wenn, sage ich, dem also ist, so kann man behaupten, daß ein jedes Wunderwerk falsch ist, wenn es unserem von den Eigenschaften Gottes gefaßten Begriff augenscheinlich zuwiderläuft, ohne daß man seine Gedanken auf verborgene Absichten oder auf unbekannte Vorrechte, die Gott haben könne, richten darf, solange man nicht dessen ist versichert worden. Denn wäre es notwendig, auf dergleichen Dinge seine Gedanken zu richten, so würde man in Zweifel geraten, ob dergleichen immermehr gefunden worden ist. Ich will also warten, mein Herr, bis Sie mir zeigen, daß die Kometen nicht ein Antrieb zum Götzendienst noch ein Fallstrick für den Sünder auf dem Erdboden gewesen, und unterdessen glauben, daß sie Gott nicht außerordentlicherweise hervorgebracht hat, um seinen Unwillen im voraus zu verkündigen.


226. IV. Antwort: Es ist falsch, daß die Heiden außer Verantwortung gesetzt wurden, indem sie sich bei Erblicken der Kometen nicht zu dem wahren Gott bekehrt

Ich komme zur vierten Schwierigkeit, die nichts mehr auf sich hat, nachdem ich die dritte beantwortet habe. Denn[463] da ich gezeigt habe, daß die Götzendiener keine neue Vollkommenheit in der göttlichen Natur durch Hilfe der Kometen haben entdecken können, ohne nur, daß die Götter beleidigt sein müßten und daß sie die Menschen bedrohten, so ist es klar, daß die Opferungen, die Anbetungen und die anderen Ehrenbezeigungen, welche sie ihren falschen Gottheiten mit einem bei dieser Gelegenheit verstärkten Eifer erwiesen, nicht für einen Mißbrauch der besonderen Gnade können angesehen werden, die, wie man vorgibt, ihnen erzeigt worden, um sie vor seinem Zorn zu warnen. Ich habe gezeigt, daß die Kometen nicht ein Wunderwerk sind, das sich für den Verstand eines Heiden schicke und dadurch er aus seinen Vorurteilen könne gezogen werden. Die ganze Schrift lehrt, daß, wenn Gott gewollt, daß die benachbarten Völker erkennen sollten, der Gott Israels sei allein der wahre Gott, der alle Dinge regiere, er sich allemal solcher Wunderwerke bedient, daraus man dieses ganz deut lich abnehmen konnte und welche diesen Gott von allen anderen Göttern unterschieden haben. Da hingegen die Kometen, wenn es viel ist, nur den Zorn des Himmels bedeuten, und diesen Zorn vermeint ein jedes Volk bei den Göttern zu finden, welche es anbetet.

Wir wissen überdies, daß allemal, wenn die Zeit gekommen ist, darin Gott beschlossen, sich denjenigen zu offenbaren, welche ihn nicht kannten, er ihnen sein Wort durch solche Personen verkündigen lassen hat, welche wegen der Gabe, Wunder zu tun, und anderer vortrefflicher Gaben halber, so augenscheinliche Merkmale ihrer Sendung aufweisen konnten, daß niemand in Unwissenheit bleiben können, als wer vorsätzlich hat blind sein wollen. Und wieviel Jahrhunderte, wieviel Märtyrer, wieviel Wunderwerke sind nicht nötig gewesen, den Götzendienst übern Haufen zu werfen. Konnte die Blindheit der Menschen nicht anders geheilt werden als durch viele Lehren, die mit unzähligen Wundern unterstützt worden sind, und hat man drei- oder vierhundert Jahre streiten müssen, um das Heidentum mit Waffen von solcher Stärke zu Boden zu[464] werfen, wie ist es wahrscheinlich, daß Gott durch einen einzigen Kometen alle falschen Götter der Heiden in die Flucht habe jagen wollen? Er hätte es tun können, wenn er gewollt hätte, allein seine Vorsorge hatte die Absicht, die Heiden durch die Predigt des Evangeliums zu bekehren, und nicht durch ein stummes Feuer, welches ordentlicherweise nichts mehr als eine Empfindung von Furcht erregen kann.


227. Die Kometen sind nicht geschickt, die Menschen zur Erkenntnis des wahren Gottes zu bringen

Hat nun Gott durch Hervorbringen der Kometen nicht die Bekehrung der Ungläubigen wirken wollen, so folgt, daß er sie nur hat wissen lassen wollen: Die Menschen würden in kurzem ihrer Verbrechen halber gezüchtigt werden, sofern sie ihrer Strafe nicht durch Religionshandlungen zuvorkämen. Ist aber dem also, wie können Sie sagen, daß die Heiden, welche bei dieser Gelegenheit ihren Eifer sonderlich haben blicken lassen, beschuldigt werden könnten, als ob sie die Warnung des Himmels auf eine unverantwortliche Weise mißbraucht hätten? Haben sie nicht alles getan, was sie nur wußten und was man von ihnen als Menschen erwarten konnte? Haben sie nicht Opfer dargebracht, welche ihnen ihre Religion vorschrieb, und alle Zeremonien dabei beobachtet, die ihrem Bedünken nach am geschicktesten waren, den Unwillen des Himmels zu besänftigen? Konnten sie es dem Kometen ansehen, daß dieses nicht die rechte Art wäre, Gott zu versöhnen, und daß man aus dem Innersten China z.B. nach Jerusalem laufen, daselbst ein Jude werden und Versöhnungsopfer nach den Gebräuchen der Juden darbringen müßte, wenn man dem Verderben entrinnen wollte? Deswegen also werden sie nicht ohne Entschuldigung sein, sondern deswegen, daß sie ihre Vernunft nicht gut angewendet haben, um den wahren Gott in der Ordnung, Schönheit und Größe zu erkennen, welche in allen Teilen des Weltgebäudes[465] so herrlich erscheinen. Den Finger Gottes in einem Kometen nicht erkannt zu haben, das ist nichts gegen das, wenn man ihn in der ganzen Weltmaschine nicht kennenlernt. Und wie man nimmermehr einen Menschen für dumm ausgeben würde, weil er die Pracht eines großen Monarchen in Zweifel gezogen, indem er nur einen von seinen Edelknaben zu sehen bekommen hat, sondern vielmehr alsdann, wenn er es in Zweifel gezogen, nachdem er seinen ganzen Hof, alle seine Schätze, sein gesamtes Gerät und alle seine Paläste gesehen hat, also werden auch die Heiden des Irrtums überführt werden, nicht, daß sie beim Erblicken eines Kometen den wahren Gott nicht erkannt haben, sondern weil sie darin bei ihrer Unwissenheit geblieben, nachdem sie alle seine Werke betrachtet haben, welche ihn so kenntlich machen. Ich gebe es zu, daß die Kometen auch ihren Platz unter denjenigen Dingen behaupten, welche die Güte und Größe Gottes zu er kennen geben, wie z.B. Regen, fruchtbare Witterungen, Lufterscheinungen und Planeten sind; aber ich kann nicht glauben, daß die Heiden hauptsächlich deswegen sollten verdammt werden, weil sie geurteilt haben, die Kometen wären vielmehr ein Merkmal des Zorns ihrer Götter als des Gottes der Juden; und noch viel weniger kann ich mir einbilden, daß Gott den Heiden bei ihren damaligen Umständen Wunder hat erscheinen lassen, welche ihnen nur den Zorn des Himmels überhaupt eröffnen konnten, und sie veranlaßten, die abscheulichsten Dinge vorzunehmen.


228. III. Einwurf: Die Kometen sind eine natürliche Wirkung und die natürliche Ursache der Unglücksfälle, welche man nach ihrer Erscheinung duldet

Ich sehe vorher, mein Herr, Sie werden aus Eifer für die Rechte der Heiligkeit und Güte Gottes, vermöge deren er keineswegs durch herrliche Wunder fast den ganzen Erdkreis in der schändlichen Verehrung der falschen Gottheiten bestätigen kann, eine andere Partei ergreifen und behaupten,[466] daß die Kometen wahre Ursachen der darauffolgenden Unglücksfälle sind und daß es in ganz natürlicher Ordnung zugeht, wenn zuweilen Kometen erscheinen, welche tausend betrübliche Zufälle nach sich ziehen, so wie es ganz natürlich ist, wenn auf dem Weltmeer oftmals Stürme sich erheben, welche tausend Schiffbrüche verursachen.


229. Antwort: Es ist unmöglich, daß die Kometen die wirkende Ursache der Unglücksfälle sein können, welche sie, wie man sagt, vorbedeuten sollen

Es ist wahr, auf solche Art setzen siedle göttliche Vorsorge außer alle Schuld. Die Menschen mögen die Wirkungen der Natur mißbrauchen, wie sie wollen, Gott ist deswegen nicht verbunden, die natürlichen Ursachen in ihrem Lauf zu hemmen; und erschrecken sie, wenn ein Hund mit zwei Köpfen geboren wird, und opfern sie deswegen der Diana oder der Proserpina, so ist der Schaden ihrer. Gott, der darin nichts mehr getan, als was er beim Hervorbringen eines ordentlichen Hundes tut, verlangte von ihnen nichts Besonderes.


230. Der Größe Gottes steht nichts besser an, als beständig nach allgemeinen Regeln zu geben

Dieser Umstand, daß die Mißgeburten nichts anderes sind als Wirkungen der allgemeinen Vorsorge, nimmt denjenigen alle Entschuldigung, welche auf abgöttische Handlungen verfallen, sobald sie gesehen, daß Mißgeburten von Tieren geboren worden sind. Es müßte ein sehr abgeschmackter Mensch sein, der da sagen wollte, Gott sollte es nicht zulassen, daß Mißgeburten zum Vorschein kämen, da er vorhersähe, daß das Erblicken dieser Mißgeburten zu Götzenopfern Anlaß geben würde. Einer allgemeinen Ursache, welche alle anderen durch ein einfaches und einförmiges[467] Gesetz wirksam macht, würde es sehr unanständig sein, wenn sie alle Augenblicke dieses Gesetz aufheben wollte, um dem Murren und Aberglauben zuvorzukommen, darein sich schwache und unwissende Menschen stürzen lassen. Nichts kann uns von einem Monarchen einen höheren Begriff beibringen, als wenn man sieht, daß er ein Gesetz weislich eingeführt hat und es gegen alle und wider alle bei Kräften erhält, ohne zuzugeben, daß der Schaden einer Privatperson oder die gewinnsüchtigen Vorstellungen eines Ministers dasselbe gewissermaßen einschränken. Und unter allen Dingen, welche einen Staat in die äußerste Verwirrung stürzen können, ist ohne Zweifel das schleunigste Hilfsmittel dazu dieses, daß man die Gesetze abschaffe, sie verändere, sie verstümmele, sie dehne und verkürze, je nachdem es Privatpersonen gibt, deren häuslichen Absichten alle dergleichen Veränderungen gar gemäß sind. Sie haben ohne Zweifel gelesen, wie die Versammlung der Kardinäle und Bischöfe, welche kurz vor dem Konzil zu Trident einen Entwurf zur Reformation aufsetzten390, dem Papst Paul III. vorgestellt haben, daß, weil die vorigen Päpste so willig gewesen, schmeichlerische Anschläge anzuhören und die Kirchensätze abzuschaffen, solches ein Quell gewesen, daraus wie aus dem Trojanischen Pferd alle die Mißbräuche entsprungen, welche die Kirche überschwemmt hätten. Man hatte bereits dem Papst Innocenz IV. einige Jahrhunderte vorher die Vorstellung getan, daß das non obstanibus, mittels dessen man die Gesetze abschafft, eine Sintflut der Unbeständigkeit, einen Mangel des Glaubens und ein Hindernis der Ruhe in der Christenheit abgebe. So ist es auch ausgemacht, daß, wenn Staatsverständige ihre Gesetze durch Erläuterungen, durch Erörterungen verbessern müssen, wenn sie Anhänge dazu machen, die das erstere gewissermaßen entkräften, und sie wohl gar gänzlich abschaffen müssen, solches bei ihnen eine Einschränkung des Verstandes voraussetzt, und daß sie die Ungelegenheiten nicht haben vorher sehen können, welche aus der Handhabung dieser Gesetze erfolgen mußten. Je weniger ein Gesetz[468] darf verändert werden, desto mehr gibt es den großen Verstand und die weit voraussehenden Absichten desjenigen zu erkennen, der es gemacht hat. Daher kommt das Sprichwort der Italiener, wenn sie eine reife Klugheit ausdrücken wollen: Capo da far statuti, ein Kopf eines Gesetzgebers.


231. Betrachtung über die Unbilligkeit derjenigen, welche sich über die Glückseligkeit der Gottlosen beklagen

Hierbei trage ich kein Bedenken zu sagen, daß alle diejenigen, welchen das Glück der Gottlosen wunderlich vorkommt, der Natur Gottes wenig nachgedacht und die Schuldigkeit einer Ursache, welche alle Dinge regiert, nach dem Maß einer gänzlich unterwürfigen Vorsorge eingerichtet haben, welches einen kleinen Geist anzeigt. Wie? Sollte Gott, da er freie und notwendige Ursachen eingeführt und dieselben so unendlich untereinander vermischt hat, daß man die Wunder seiner unendlichen Weisheit auf das herrlichste erkennen kann, sollte Gott, sage ich, Gesetze eingeführt haben, welche der Natur freier Ursachen gemäß, aber so unbeständig wären, daß der geringste Verdruß, der einem Menschen begegnete, dieselben gänzlich aufheben und also die menschliche Freiheit zugrunde gehen müßte? Ein schlechter Stadthauptmann würde sich zum Gelächter machen, wenn er allemal seine Verordnungen und Anstalten ändern wollte, sooft es einem oder dem andern gefällt, gegen ihn zu murren; und Gott, dessen Gesetze ein so allgemeines Wohl zur Absicht haben, daß alles, was uns sichtbar ist, vielleicht nur als ein kleiner Anhang davon anzusehen ist, soll gehalten sein, seine Gesetze zu entkräften, weil sie heute dem einen und morgen dem andern nicht gefallen; weil bald ein Abergläubischer fälschlich urteilt, eine Mißgeburt prophezeie etwas Ungückliches, und von seinem Irrtum auf ein sträfliches Opfer verfällt; bald eine redliche Seele, die aber doch die Tugend[469] nicht so hoch schätzt, daß sie glauben sollte, man sei gestraft genug, wenn man sie nicht besitzt, sich daran ärgert, wenn ein gottloser Mensch reich wird und eine gute Gesundheit genießt. Kann man sich wohl unrichtigere Begriffe von einer allgemeinen Vorsorge machen? Und da jedermann zugibt, daß dieses Gesetz der Natur: Das Schwächere muß dem Stärkeren weichen, sehr weise ist festgestellt worden, und daß es lächerlich sein würde, wenn man haben wollte, daß, wenn ein Stein auf ein zerbrechliches Gefäß, welches seinem Herrn ungemein lieb ist, fiele, Gott dieses Gesetz entkräften sollte, um diesem Herrn den Verdruß zu ersparen, ist es nicht ebenso lächerlich, wenn man behauptet, Gott solle eben diesem Gesetz eine Kraft benehmen, damit nicht ein gottloser Mensch durch Beraubung eines Frommen sich bereitem möge? Je mehr ein gottloser Mensch die Eingebungen des Gewissens und der Ehre beiseite setzt, desto mehr übertrifft er an Stärke den Frommen. Und überfällt ein solcher den Frommen, so kann es nach dem Lauf der Natur nicht anders geschehen, er muß ihn zugrunde richten. Haben aber beide mit öffentlichen Geldern zu tun, so muß nach ebendiesem Lauf der Natur der Gottlose sich mehr bereichern als der Fromme, ebenso wie ein gewaltiges Feuer mehr Holz verzehrt als ein anderes, das nur lodert. Diejenigen, die da wollen, daß ein gottloser Mensch krank werde, sind zuweilen ebenso ungerecht wie diejenigen, welche verlangen, daß ein Stein, der auf ein Glas fällt, solches nicht zerbrechen soll; denn vermöge der Beschaffenheit seiner Gliedmaßen, der Speisen, die er zu sich nimmt, und der Luft, die er einatmet, ist es nach den natürlichen Gesetzen gar nicht möglich, daß seine Gesundheit Schaden leiden sollte. Diejenigen also, welche sich über seine Gesundheit beklagen, beklagen sich darüber, daß Gott die einmal festgestellten Gesetze nicht aufhebt. Und darin ist ihr Verfahren um desto ungerechter, je mehr es vermöge der Verbindungen und Verknüpfungen, die Gott nur allein machen kann, oft zu geschehen pflegt, daß der Lauf der Natur die Strafe der Sünden mit sich bringt.


232. Von dem Unterschied, der zwischen den Wunderwerken und den Wirkungen der Natur, im Hinblick auf uns, anzutreffen ist

[470] Alles dieses, mein Herr, geht dahin, daß Sie erkennen sollen, daß, obgleich die Menschen entweder aus Schwachheit oder aus Bosheit die Werke der Natur gottloserweise mißbrauchen, Gott dennoch den Lauf der natürlichen Ursachen unverletzt erhalten könne, ohne daß seine Gerechtigkeit, seine Weisheit oder seine Güte das Geringste darunter leiden dürfe. Hemmt er diesen Lauf manchmal dem Menschen zum Besten, so ist es lauter Gnade, lauter Barmherzigkeit. Mit den Wunderwerken hat es eine andere Bewandtnis; denn da diese die von Gott beliebte Ordnung der Natur unterbrechen, so ist es unserer Vernunft unbegreiflich, daß Gott dieselben tun würde, wenn er vorhersieht, daß sie die Menschen in den Götzendienst verstricken würden. Die gesunde Vernunft bringt uns auf die Gedanken, daß Gott den natürlichen Ursachen keine Gewalt antut, außer wenn seine Ehre in dem Heil derjenigen, die sich bekehren, und in der gerechten Strafe derjenigen, welche die außerordentlichen Wirkungen seiner Güte verachten, soll offenbart werden. Dem Ansehen nach greift Gott nicht eher zu einem Wunder, als wenn seine Liebe gegen uns so ungemein groß ist, daß er ein noch kräftigeres Mittel in Ansehung unserer anwenden will als die ganze Natur und als alles dasjenige, was er unserthalben schon getan hat, wenn er nämlich sieht, daß alles dieses nicht stark genug ist, entweder unseren Glauben zu befestigen oder uns aus unserem Verderben herauszureißen. Im übrigen ist es Gott allein, der Wunder tut, ohne sich nach der Notdurft oder Einrichtung der natürlichen Ursachen zu richten. Nichts bestimmt ihm, wie bei den Wirkungen der Natur, vielmehr diese als jene zu tun. Es scheint daher: 1. daß er, vermöge seiner Güte, allemal diejenigen wählen werde, welche die Wahrheit am besten bekräftigen, die Lügen aber am besten zuschanden machen können, damit die Menschen, welche sich durch dieses Mittel nicht[471] bekehren lassen, nichts als ihrer eigenen Verhärtung die Schuld geben dürfen; 2. daß seine Heiligkeit ihm niemals erlaubt, solche Wunder zu wählen, welche unendlich geschickter sind, die Götzenverehrung zu fördern, als die wahre Religion, die Sünder zu entschuldigen, als sie ohne Entschuldigung zu machen.


233. Daß die Merkmale der wahren Wunder den Kometen nicht zukommen

Das erste Merkmal finde ich bei den Wundern Mosis, Jesu Christi, der Apostel usw., und das andere bei den Kometen. Denn, wie ich schon gesagt habe, die natürliche und ordentliche Wirkung der Kometen, wenn man annimmt, daß Gott dieselben außerordentlicherweise hervorgebracht hat, um die Menschen in Furcht zu jagen, hat müssen die Juden antreiben, dem Gesetz Mosis besser zu gehorchen, alle anderen Völker des Erdbodens aber dem abscheulichen Dienst der falschen Götter mit mehr Eifer obzuliegen. Hat also gleich die Erscheinung der Kometen auf dem Erdboden eine Handlung der wahren Gottesfurcht verursacht, so hat sie dagegen wieder tausend Handlungen der Abgötterei veranlaßt. Man sage mir nicht, die Wirkung des Kometen habe sein sollen, die Heiden zur wahren Religion zu bekehren; denn, daß ich es noch einmal sage, das gehörte für die andere Art der Wunder. Dieses hingegen sollte in der Lehre eines jeden Volkes nichts ändern, sondern nur zu verstehen geben, der Gott, den ein jedes Volk anbete, sei zornig, und man müsse ihn zu versöhnen suchen, entweder durch eine sorgfältigere Ausübung der Religionshandlungen, welche bereits in Gewohnheit waren, oder durch Einsetzung eines neuen Festes ihm zu Ehren.

Was die Mittel betrifft, sich zu entschuldigen, so sind sie so augenscheinlich wie möglich. Denn wenn Gott durch ein Wunderwerk Kometen hervorbringt, um die Menschen zu warnen, daß, wenn sie seinen Grimm nicht aussöhnen,[472] er sie mit unzähligen Übeln heimsuchen werde, so haben alle Völker, welche beim Erblicken der Kometen ihre Andacht verdoppelt, sich zu den Füßen der Altäre niedergeworfen, unzählige Opfer schlachten lassen, neue Tempel erbauen lassen; so haben alle diese Völker, sage ich, sich der Absicht Gottes, soviel wie möglich war, gemäß gezeigt. Und wollte man sie fragen: Warum so viele Opfer?, so würden sie antworten können: Weil der Himmel durch außerordentliche Feuer uns erinnerte, daß man andächtiger als sonst sein sollte.


234. Ob Gott den Heiden Böses und Gutes hat widerfahren lassen, um sie zu bekehren

Seien Sie doch so gütig, mein Herr, und bemerken Sie den Unterschied, welchen ich zwischen den Wirkungen der Natur und den wunderbaren Handlungen Gottes mache, denn daraus kann eine Schwierigkeit aufgelöst werden, welche sich dem Verstand, gegen meinen behaupteten Lehrsatz, ganz natürlich darstellt. Fast jedermann wird mir den Einwurf machen können, es folge aus dieser Lehre, daß Gott die Götzendiener weder durch die Ruten seines Zorns erschrecken noch ihnen Zeugnisse von seiner Güte geben könne; denn meiner Meinung nach würden die Züchtigungen und Wohltaten Gottes nur geschickt sein, die Ungläubigen entweder gottloser oder abergläubischer zu machen. Gottloser, wenn sie ihren Eifer für ihre falschen Gottheiten nicht verstärkten, und abergläubischer, wenn sie ihren Eifer wirklich verdoppelten. Und doch ist es wahr, daß Gott zu allen Zeiten die Götzendiener die Wirkungen seines Unwillens hat spüren lassen, und daß er sie, um ihre Verbrechen zu bestrafen, oft mit Pest, Krieg und Hunger heimgesucht hat. Ferner ist es wahr nach der ausdrücklichen Erklärung des heiligen Paulus, daß Gott den Menschen sich nicht unbezeugt gelassen hat, daß er ihnen viel Gutes getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben hat, daß er ihre Herzen mit Speise und Freuden[473] erfüllt und daß die Menschen haben denken sollen, Gottes Güte leite sie zur Buße. Ohne Zweifel ist dieses ein Einwurf, der zu vielen Betrachtungen Gelegenheit gibt. Ich will es demjenigen überlassen, der sich darein vertiefen will, und ich hoffe, Sie werden Ihre gründliche Theologie dabei sehr wohl sehen lassen. In Erwartung dessen will ich Ihnen nur so viel beweisen, daß alles Gute und alles Böse, welches Gott den Heiden zuschickt, in der Ordnung seiner allgemeinen Vorsorge enthalten und als eine ununterbrochene Folge der Gesetze der mitgeteilten Bewegung anzusehen ist. Wo Sie die Abhandlung von der Natur und Gnade, welche der P. Malebranche vor kurzem herausgegeben hat, gelesen haben, so werden Sie darin gefunden haben, daß die Begebenheiten, welche aus der Ausübung der allgemeinen Gesetze der Natur entspringen, nicht der Gegenstand eines besonderen göttlichen Willens sind. Daraus folgt, daß Gott die alten Heiden nicht aus einer besonderen Verordnung mit Pestilenz oder mit Hunger bestraft habe, sondern einzig und allein, weil dieses mit den allgemeinen Gesetzen verknüpft war. Ich weiß wohl, daß, wenn man eine Sache will, man auch alles dasjenige wolle, was notwendigerweise damit verknüpft ist, und daß folglich Gott die allgemeinen Gesetze nicht wollen kann, ohne zugleich alle die besonderen Wirkungen zu wollen, welche notwendigerweise daraus entstehen sollen. Ich weiß das sehr wohl, mein Herr, allein ich weiß auch, daß es Sachen gibt, welche wir wollen, nicht ihretwegen, sondern weil sie mit einigen andern verknüpft sind; und alsdann kann man sehr wohl sagen, daß wir sie nicht mit einem besonderen und eigentlichen391 Willen wollen. Wenn es uns erlaubt ist, von den Handlungen Gottes zu urteilen, so können wir sagen, daß er nicht alle besonderen Begebenheiten der dabei befindlichen Vollkommenheit halber wolle, sondern nur, weil sie mit den allgemeinen Gesetzen verknüpft sind, welche er zur Regel seiner Wirkungen erwählt hat. Es ist kein Zweifel, daß, wenn Gott beschlossen hat, etwas außer sich zu wirken, er nicht eine solche Art und Weise sollte[474] erwählt haben, welche sich für das allerweiseste Wesen schickt, das ist, welche überaus einfach und einförmig und doch ungemein fruchtbar ist. Man kann sich auch einbilden, daß die einfache und einförmige Art zu wirken, die aber mit unendlicher Fruchtbarkeit verknüpft ist, ihm besser geschienen, obgleich einige überflüssige Begebenheiten daraus entspringen mußten, als eine andere Art zu wirken, die zusammengesetzter und ordentlicher war. Nichts ist bequemer als dieser angenommene Satz, tausenderlei Schwierigkeiten aufzulösen, welche man gegen die göttliche Vorsorge macht; man darf ihn daher nicht verdammen, ohne ihn genau untersucht zu haben. Nun aber folgt aus diesem Grundsatz, daß Gott nur deswegen jede besondere Begebenheit gewollt hat, weil sie in dem allgemeinen Entwurf, den er erwählt hatte, enthalten war, und daß folglich er keine besondere Absicht gefaßt hat, als er die Götzendiener mit Pest und Hunger verheert hat. Und also würde es unrecht sein, wenn man fragen wollte, warum Gott Dinge getan hat, welche die Menschen gottloser machen. Denn das wäre soviel, als wenn man fragte, warum Gott seinen Entwurf, der doch unendlich schön sein muß, durch die einfachsten und einförmigsten Mittel ausgeführt hat und warum er nicht durch eine Verbindung der Ratschlüsse, da immer einer den anderen aufhebt, den üblen Gebrauch des freien Willens bei dem Menschen verhindere. Die Frage aber findet statt, wenn man voraussetzt, daß die Pest und der Hunger durch ein Wunderwerk erfolgen, weil bei den Wundern Gott einen besonderen Willen hat. Man kann sehr wohl fragen, wie es möglich sei, daß Gott einen besonderen Willen habe, dessen Zweck sei, die Menschen gottloser zu machen. Und man kann sogar behaupten, daß Gott unmöglich Ratschlüsse von dergleichen Art machen könne. Sie sehen daher, mein Herr, daß, da die Wunder in dem besonderen Willen Gottes gegründet sind, sie eine Gott angemessene Absicht haben müssen, das heißt, sie müssen dem Menschen den wahren Gott so klar und deutlich zu verstehen geben, daß man nicht Ursache habe zu zweifeln, ob es nicht vielmehr Jupiter sei, der da[475] wirke, oder der Schöpfer aller Dinge. Daraus folgt, daß ein ungeheurer Unterschied unter denjenigen zu machen ist, welche sagen: daß Gott die Völker durch wunderbare Zeichen erschreckt hat, und zwischen denjenigen, welche sprechen: er erschrecke und züchtige sie durch die natürliche Handlung der Körper. Ohne Zweifel wird man gegen den P. Malebranche schreiben und ihm Gelegenheit geben, dieses neue Lehrgebäude auseinanderzusetzen, daraus man meines Erachtens große Vorteile ziehen könnte.

Was die Stellen des heiligen Paulus betrifft, daß nämlich alle Völker zu allen Zeiten die Wirkungen der Gnade Gottes empfunden haben, so sage ich, daß nichts so wahr ist wie dieses. Die Gesetze der Natur, wie ich nur angemerkt habe, sind so fruchtbar, ob sie gleich sehr einfach sind, daß sie tausenderlei Gutes hervorbringen und überall Spuren einer unendlich weisen Ursache hinterlassen; und man hat allerdings recht, diejenigen zu tadeln, welche sich des Lichtes ihrer Vernunft nicht bedient haben, um den wahren Gott in den Kreaturen zu erkennen. Da aber die Heilige Schrift nirgends diejenigen bestraft, welche an den Kometen den wahren Gott nicht erkannt haben, so schickt es sich ganz und gar nicht, daß man davon wie von etwas Besonderem rede und daß man sie zu außerordentlichen Zeichen irgendeines göttlichen Willens mache.


235. Neue Anmerkungen, welche erweisen, daß die Kometen nicht die Ursachen des zukünftigen Unglücks sind, und die man von den zufälligen Abwechslungen der menschlichen Dinge hergenommen

Sie werden daher wohl tun, mein Herr, wenn Sie behaupten, daß die Kometen als Ursachen vorbedeuten, allein rechtfertigen Sie gleich dadurch die Vorsorge, so werden Sie sich doch nicht ebenso gut aus den Schwierigkeiten herauswickeln können.

Denn daß ich nicht alles wiederholen darf, was ich Ihnen bereits von der Freiheit des Menschen gesagt habe, und[476] das zulänglich sein wird, unsere Frage zu entscheiden, wie kann man sich noch einbilden, ein Komet sei die Ursache derjenigen Kriege, welche sich ein oder zwei Jahre darauf entspinnen, nachdem er verschwunden ist. Wie will man behaupten, die Kometen seien die Ursache dieser so ungeheuren Verschiedenheit der Begebenheiten, welche sich in dem Verlauf eines langwierigen Krieges ereignen? Weiß man nicht, daß ein aufgefangenes Schreiben zuweilen den ganzen Entwurf eines Feldzuges zuschanden macht, daß eine Ordre, welche eine Stunde später ausgeführt worden ist, hunderterlei Absichten vernichtet, da immer eine auf die andere gebaut war, daß das Absterben eines einzigen Menschen die ganze Gestalt der Dinge verändert und daß es zuweilen nur an einer Kleinigkeit liegt, die sich so über alles Vermuten ereignet, wie nur möglich ist, daß man Schlachten gewinnt, deren Verlust unzählige Drangsale nach sich zieht? Wie will man sagen, daß die in der Luft herumfliegenden Stäubchen des Kometen alle diese Dinge hervorbringen? Müßte nicht ein jedes von denselben Verstand besitzen, dergleichen Dinge anzugeben? Müßte es nicht mit allen übrigen Absprache gehalten haben, daß, sobald z.B. man hören würde, daß der Kardinal Richelieu tot sei oder daß der Fürst von Bayern mit dem Haus Osterreich nicht zufrieden sei, an alle Stäubchen, welche ihren angewiesenen Platz im Norden haben, Befehl ergehen sollte, sie sollten nunmehr anders als sonst auf die Körper und Geister wirken? Trägt es sich nicht vielmals zu, daß zwei Fürsten gegeneinander zu Felde liegen, jeder hat seine Bundesgenossen, und viele andere Fürsten, welche sich neutral halten, ungeachtet man sie stark ersucht hat, eine Partei zu ergreifen, wollen sich endlich einmal erklären. Ein Treffen aber, welches während dieser Unterhandlungen der einen Partei von beiden zum gänzlichen Untergang geliefert wird, trennt alle gefaßten Anschläge, und da es die Vorteile verschiedener Nachbarn verändert, so müssen diese sich in ganz andere Verbindungen einlassen. Im Ernst, kann man wohl sagen, daß dieses die Wirkung eines Kometen sei, es wäre denn, daß man behaupten[477] wollte, die Stäubchen, welche in Deutschland zu tun hätten, um dasselbe zu bewegen, Partei zu nehmen, wären von denjenigen, welche die zwei Armeen zum Schlagen gebracht haben, benachrichtigt worden, daß die eine hätte fliehen müssen, und gleich auf die erhaltene Nachricht hätten sie ihre Stärke auf eine neue Art angewendet? Und ist dem also, gibt man denn nicht den Ausdünstungen des Kometen diejenige Freiheit, welche man dem Menschen genommen hat? Macht man sie nicht zur Hauptursache der Begebenheiten, da man dem Menschen nichts mehr übrigläßt als einzig und allein die Mühe, unter ihrer Anführung zu handeln?


236. Wie klein und gering manchmal die Ursachen der größten Begebenheiten zu sein pflegen

Diese Schwierigkeiten, welche die Sterndeuterkunst gänzlich übern Haufen werfen, lassen sich um desto weniger auflösen, je gewisser es ist, daß die Ursache großer Zurüstungen und wichtiger Kriege zuweilen nichts ist als ein Eigensinn, ein Verdruß, eine Liebessache, ein Nichts, anstatt daß man sich einbildet, die ganze Natur habe schon seit vielen Jahren daran gearbeitet, der Sache den ersten Schwung zu geben. Diejenigen, welche die Handlungen der Fürsten mit großen Flüssen verglichen haben, deren Quelle von wenig Personen gesehen worden ist, obgleich viele Leute ihren Lauf und Anwachs sehen können, haben nicht alles gesagt. Sie hätten noch hinzusetzen sollen, wie jene großen Flüsse, welche ihr Wasser in einem tiefen und breiten Gang so prächtig fortgehen lassen und deren entsetzliche Überschwemmungen manchmal viele Provinzen verheeren, in ihrem ersten Ursprung nur einen Strahl von Wasser ausmachen, also haben auch jene berühmten Feldzüge, welche einen Teil der Welt in Zweifel halten und die das Schicksal vieler Völker ändern, manchmal nur eine Kleinigkeit zur Ursache.

Was meinen Sie wohl, welches die erste Triebfeder des Krieges[478] Xerxes'392 gegen die Griechen, das ist der allerentsetzlichsten Kriegszurüstung, gewesen ist, die man nur in der Geschichte finden kann? Ein griechischer Arzt, ein Bedienter der Königin, hatte Lust, sein Vaterland wiederzusehen, redete daher diesen großen Feldzug seiner Liebhaberin ein und endlich dem König selbst durch Hilfe der Königin. Was war es, das ganz Griechenland Anlaß gab, das blühende Königreich des Priamus zugrunde zu stürzen? Ein unzüchtiges Weib, das sich von einem jungen Prinzen, in den sie sich verliebt hatte, entführen ließ, und die Leichtgläubigkeit eines Ehemannes, der so gutwillig war, wie gemeiniglich Männer von seiner Art zu sein pflegen, daß er sich einbildete, sein liebes Eheweib wäre ihm mit Gewalt entführt worden. War nicht einmal ein mazedonischer König in Gefahr, in einem bürgerlichen Krieg zu unterliegen, und zwar auf Anstiften einer Dame, die es nicht verschmerzen konnte, daß man ihre Gunst sich nicht zunutze machen hat wollen, ob man gleich erkannt hat, daß sie gar nicht grausam sei? Hat man nicht geglaubt, der Einfall der Engländer in die Insel de Re sei ein Werk der Politik und eine Wirkung des Religionseifers, dazu man durch die Hoffnung, den Ruhm aller Kreuzzüge der alten englischen Könige zu verdunkeln, angereizt worden? Indessen war es ein Krieg, der nichts als ein Liebesverhältnis und verliebte Einbildungen eines vertrauten Ministers zum Grunde hatte. Welches war wohl, ich bitte Sie, die erste Ursache des Einbruchs der Sarazenen in Spanien? Die Tochter des Grafen Julian, die es nicht für gut befand, bei den verliebten Reden ihres Prinzen die Ohren zu verstopfen und ihm alle Proben einer gegenseitigen Zuneigung, die er nur verlangte, zu versagen. Als nach diesen die Sarazenen sich bis in das Herz von Frankreich ausgebreitet hatten und daselbst tausenderlei Verheerungen vornahmen, bevor sie von dem tapferen Karl Martell zum Lande herausgetrieben wurden, so sagte man doch, der Komet, der im Jahr 726 erschienen, habe alle diese Unglücksfälle verursacht. Welch ein Irrtum! Das allzu gutwillige spanische Frauenzimmer war es, was daran schuld[479] hatte; dieses allein hätte man als einen Kometen ansehen und ihm die Worte des Lucan, damit man sich so breitmacht, beilegen sollen:


Et terris mutantem regna Cometen.

Ein Stern, der Länder stürzt und ihre Grenzen ändert.


Denn da die Mohren ihre Eroberungen durch die Gelegenheit, die sie ihnen dazu verschaffte, bis an die pyrenäischen Gebirge getrieben hatten, so war es diesen siegenden Völkern ganz bequem, daß sie Lust bekamen, sich in einem der schönsten Länder von der Welt auszubreiten, ohne daß ein Komet ihnen dieselbe erst beibringen durfte. Lesen Sie die 21. Unterredung des Herrn Balzac, so werden Sie finden, daß ein nicht ehrerbietig genug geschriebener Brief und das Auslassen zweier Silben mehr als zweihunderttausend Menschen das Leben gekostet hat. Weil der Graf Duc d'Olivarez in der Unterschrift eines Briefes an einen Prinzen bien-humble et très-affectionnè fand anstatt très-humble et très-obéïssant, welches seiner Meinung nach für ihn gehörte, so ward er so zornig, daß er den Brief zerriß und schwur, daß diese Unhöflichkeit ihm den Untergang seines Landeskosten sollte.

Wenn es sich für Sie schickte, den Brantôme zu lesen, so würden Sie vielleicht die Stelle angemerkt haben, wo er spricht:393Daß der einzige Admiral de Bonnivet dem Franziskus 1. den Rat gegeben hat, über das Gebirge zu gehen, nicht sowohl zum Besten und Dienst seines Herrn, als damit er eine vornehme Dame in Mailand wieder besuchen möchte, die sehr schön war, die er vor einigen Jahren zu seiner Mätresse gehabt und viel Vergnügen bei ihr genossen hatte und die er nunmehr wieder sprechen wollte. Ich habe mir dieses, fährt er fort, von einer vornehmen Dame unserer Zeit erzählen lassen, und daß er sogar bei dem König von dieser Dame (die Signora Clerice soll geheißen haben und unter den damaligen Schönen in Italien die vornehmste gewesen sein soll) so viel Rühmens gemacht[480] hat, daß dieser dadurch bewogen worden ist, sie zu sich kommen zu lassen und bei ihr zu schlafen. Und das ist die Hauptursache, warum der König diesen Feldzug vorgenommen hat und die nicht jedermann bekannt ist. So weiß die eine Hälfte der Welt nicht, wie die andere lebt, denn wir bilden uns eine Sache so ein, die doch ganz anders ist. So muß Gott, der alle Dinge weiß, wohl manchmal über uns lachen. Ist es nicht eine entsetzliche Sache, daß ein Feldzug, welcher Frankreich durch Gefangennahme seines Königs an den Rand des Abgrundes gebracht hat, zur Hauptursache nichts als eine verliebte Einbildung gehabt hat, die man hätte können loswerden, ohne so weit zu gehen?

Was Ihr sagt, ist wahr, wird man mir antworten. Die allergrößten Unternehmungen haben manchmal nur den Verdruß oder die Eifersucht einer unzüchtigen Weibsperson zur ersten Ursache. Die großen Begebenheiten, sie mögen gut oder übel ablaufen, welche aufmerksame Köpfe zu so vielen Gedanken veranlassen und welche denjenigen so viel Lob oder Schimpf zuziehen, die, dem Ansehen nach, Urheber davon gewesen, beruhen mehr als zu oft auf gewissen kleinen verborgenen Triebfedern, welche durch den Neid oder Eigennutz, durch die Liebe oder eine andere geheime Leidenschaft in Bewegung gesetzt werden. Und wüßte man solches alles, so würde man den Tadel bald in eine Schutzrede und das Lob in Verachtung verändern. Man würde erkennen, daß die allerpreiswürdigsten Taten von den schlimmen Streichen gekommen sind, welche man dem General der feindlichen Armee unter der Hand gespielt, und daß der Kardinal Richelieu mit Recht gesagt hat: Sechs Fuß Erde (darunter er die Kabinettsachen verstand) machten ihm mehr zu schaffen als sonst ganz Europa. Allein, wer hat es euch gesagt, daß die Kometen sich nicht in alles dieses mit einmengen?
[481]

237. Daß die Kometen an all den Leidenschaften, welche die Verschiedenheit der Begebenheiten verursachen, nicht Anteil haben können

Wer es mir gesagt hat? Ein wenig gesunde Vernunft, die ich von der Natur bekommen habe, durch deren Hilfe ich überzeugt bin: 1. daß die Kometen nicht alle die Leidenschaften erregen können, welche die Begebenheiten verändern, es sei denn, daß man allen den Körperchen, welche sie in der Luft ausbreiten, einen Verstand beilegen wollte. Denn wenn man annimmt, daß ein Komet alle die Leidenschaften erregt habe, welche den trojanischen Krieg verursacht haben, so muß man auch annehmen, daß einigen seiner Teilchen die eben nicht beschwerliche Mühwaltung aufgetragen worden ist, den Paris in die Helena und die Helena in den Paris verliebt zu machen; daß die anderen Teilchen die Sorge auf sich genommen haben, den ehrlichen Menelaos aufzuhetzen und ihn zu überreden, ob es gleich nicht an dem war, daß seiner lieben Frau die Zeit entsetzlich lang würde, seitdem sie ihn nicht mehr sähe, und daß sie gegen ihren Liebhaber eine unerbittliche Grausamkeit besäße; daß andere Teilchen Befehl erhalten, dem Agamemnon vorzustellen, man müsse dergleichen Schandfleck in seiner Familie nicht dulden und ihm mit der Hoffnung, oberster Befehlshaber zu werden, zu schmeicheln; daß wiederum noch andere Teilchen in unzähliger Menge durch alle Flecken, Städte und Dörfer Griechenlands gehen und die Leute insgesamt, die Waffen zu ergreifen, anfrischen sollten; daß endlich andere an den Hof des Königs Priam gebracht worden, welche ihn auf den Entschluß bringen sollten, die Helena nicht auszuliefern usw. Ist es nicht wahr, sollen die Teilchen, welche in den Ehemann der Helena wirken sollen, ihre Rolle spielen, so müssen sie wissen, daß ihre Kameraden die ihrige bei der Helena schon gespielt haben? Und ist es wohl möglich, daß eine Kriegsausrüstung, die man so oft geändert, weil ein Teil der Fürsten sich nach dem Verhalten der andern richtete und den Sinn änderte, nachdem[482] das Verfahren der anderen ihm gefiel oder nicht, wie es allemal zu geschehen pflegt, daß diese Kriegsausrüstungen, sage ich, durch solche Teilchen von Kometen hervorgebracht worden, welche den Fortgang ihres Einflusses einander nicht mitgeteilt haben, noch ihren Stand der Zeit und dem Ort nach verändert haben? Wie es nun lächerlich sein würde, die geringste Kenntnis den Stäubchen der Kometen zuzuschreiben, also ist es auch lächerlich, wenn man sie in die Händel und Leidenschaften mit einmischen wollte, daraus die Begebenheiten entspringen, weil diese Leidenschaften immer eine aus der anderen entstehen und vielmehr diese als jene, je nach Beschaffenheit der Zeiten, der Orte und je nachdem, was die Sachen für einen Ausgang haben, gewinnen. Es ist gewiß, je mehr die Dinge auf dem Eigensinn und den Leidenschaften beruhen, desto unmöglicher ist es, daß sie dem Einfluß einer notwendigen und blinden Ursache, wie die Gestirne sind, unterworfen sein sollten.

2. Das wenige von gesunder Vernunft, welches mir die Natur gegeben hat, überzeugt mich ferner, daß, wenn auch nimmermehr ein Komet am Himmel erschiene, so würde doch auf der Erde Buhlschaft, Eifersucht, Hochmut, Neid, Liebe und Haß genug gefunden werden. Ein verbuhltes Weib mag daher sagen, wie es will, ihr Stern reize sie zur Liebe an, ich werde es nimmermehr glauben und bin gänzlich überzeugt, daß, wenn auch alle Sterne vom Himmel fielen, sie ihr Tun nicht mehr noch weniger treiben werde. Wenn Sie also, mein Herr, für die Kometen kein anderes Ämtchen haben, als daß sie den Leuten Zärtlichkeit, den Geist verwirrter Händel, allzu starke Liebeshändel, Eifersucht und Eitelkeit beibringen sollten, so verlohnte es sich nicht der Mühe, daß Sie davon reden. Ich sage es noch einmal, es ist nichts vergeblicher als die Kometen. Wir werden dergleichen Dinge genug haben, ohne daß sie was dazu beitragen.
[483]

238. Der Mensch braucht niemanden als sich selbst, um von allerhand Arten der Leidenschaften beunruhigt zu werden. Wie abergläubisch die Juden gewesen sind

Ich wiederhole dasjenige, was ich bereits von dem Aberglauben gesagt habe: Wenn auch der Teufel sich darein nicht vermengt hätte, so würden die Menschen dennoch darein verfallen sein, so geneigt sind sie dazu von Natur. Hat jemals ein Volk von diesem Fehler befreit sein sollen, so sind es gewiß die Juden gewesen, denen Gott seinen Willen durch untrügliche göttliche Aussprüche, durch Propheten und durch beständige Wunder zu erkennen gegeben. Indessen waren sie doch so lächerlich geworden394, daß sie glaubten, die Versöhnung ginge nicht vonstatten, wenn die Opferpriester beim Anlegen der priesterlichen Kleidung dieselbe nicht nach ihrer Ordnung nähmen, und es sei etwas Wesentliches bei dem Opfer, daß die Priester, die das Amt hielten, ihre Füße bloß auf die Erde setzten und keine andere Kleidung trügen, als die ihnen von Gott verordnet worden; und wenn es sich zutrüge, daß sie den einen Fuß auf den anderen oder auf das Fell eines Opferviehs oder auf etwas anderes setzten, so könne die Versöhnung nicht vor sich gehen, und wenn sie eine Wunde und auf derselben ein Pflaster liegen hatten, so gab man vor, ihre Ankleidung wäre ganz und gar nichtig und vergeblich usf.

Was ich eben jetzt von dem Aberglauben gesagt habe, muß sich auch von den andern Lastern verstehen. Es liegt in der Seele des Menschen eine Wurzel der Verderbnis, welche mit einem Feuer, das an eine brennbare Materie gelegt worden ist, sehr wohl kann verglichen werden. Stößt ein starker Wind in dieses Feuer, so greift es entsetzlich um sich, es greift aber doch auch um sich, wenn es gleich durch keinen Wind angefacht wird. Der ganze Unterschied besteht darin, daß seine Wirksamkeit sich schneller und weiter ausbreitet, wenn der Wind darein stößt, als wenn solches nicht geschieht. Der Teufel ist sozusagen der Wind,[484] welcher in das Feuer unserer Begierden bläst, und der in der Tat die Ursache ist, daß sie ihre üblen Früchte eher und häufiger zum Vorschein bringen. Demungeachtet aber würden sie aus eigenen Kräften fruchtbar genug sein. Daraus erhellt die irrige Meinung derjenigen, welche sich einbilden, sie hätten niemals einen üblen Gedanken, der nicht von dem Teufel ihnen eingegeben worden ist, und die also nicht erwägen, daß sie in ihnen selbst den Grund ihrer Bosheit haben, wie solches der Apostel Jakobus395 sehr wohl angemerkt hat. Demungeachtet bleibt es doch wahr, daß der Teufel uns zum Bösen anreizt, ob wir gleich wenigstens zugeben müssen, daß die Gestirne keineswegs die Ursache unserer Leidenschaften sind. Es sind dieses Hirngespinste, auf welche die Menschen mit ebensowenig Grund ihre Fehler zu schieben suchen, wie wenn sie dem Glück diejenigen üblen Zufälle zurechnen, welche lediglich von ihrer Unvorsichtigkeit herrühren.

A..., den 31. August 1681


239. Anmerkungen, welche erweisen, daß es unnötig ist, auf den Kometen achtzuhaben, wenn man an die folgen desselben Mutmaßungen knüpfen will, und daß man nur auf die Beschaffenheit der allgemeinen Händel, auf die Leidenschaften und Vorteile der Fürsten achthaben muß. Eine Probe von diesem Grundsatz, im Hinblick auf den Kometen 1618 und 1681

Ich fange an, müde zu werden, mein Herr, und ich glaube, daß ich bald aufhören werde, Ihnen meine Gedanken mitzuteilen. Ich hatte beinahe vergessen, wie weit ich gekommen war, und ich mußte mich erst eine Weile besinnen, bis ich wahrnahm, daß, wenn ich dasjenige, was ich Ihnen jetzt schreibe, mit demjenigen, was ich Ihnen letztlich aufgesetzt habe, verbinden sollte, ich folgenderweise anfangen müßte.

Wenn man die Quelle der Eitelkeit, des Hochmuts, des[485] Neides, des Geizes, der Liebe und der übrigen Unordnungen, welche der menschlichen Gesellschaft so viel Übles zufügen, entdecken will, so darf man sie nicht so weit suchen. Wenn es Sterne sind, die dieselben verursachen, so sind es gewiß jene Sterne, von denen uns die Dichter so vieles vorsingen, und nicht diejenigen, welche an dem Himmel glänzen. Wenigstens ist es gewiß, daß niemand geschickter sei, die Veränderungen in der Welt vorherzusagen, als diejenigen, welche die Gemütsart der Fürsten, ihre Vorteile und Kräfte kennen. Ein verständiger Mensch, der weit zurückdenkt, der aus den Geschichten und der Kenntnis der Welt die Grundsätze erlernt hat, auf welche sich die allgemeinen Händel beziehen, und der überdies benachrichtigt ist, was für eine Art man in einem jeden Land beobachtet, macht oftmals ohne Beihilfe der Sterndeuterkunst so richtige Mutmaßungen, daß, wenn alle Sterndeuter in der Welt ihre Kräfte vereinigen sollten, um dasjenige zu entdecken, was die Gestirne von der Veränderung der Staaten vorhersagen, sie nichts Erhebliches in Ansehung des ersteren sagen würden. Daraus erhellt, daß es schlechterdings vergeblich ist, die Sterne zu Rate zu ziehen, wenn man das Zukünftige erkennen will, und daß man eine Sache viel eher erraten kann, wenn man die Neigungen und die Gemütsart der Menschen zu Rate zieht.


240. Beispiele einiger Staatsverständiger, welche gewisse Begebenheiten erraten haben

Unfehlbar hat Cicero durch dieses Mittel den Untergang der römischen Republik erraten und der Siegelverwahrer du Vair dasjenige, was dem Staat widerfahren sollte, vorhergesehen. Einer von diesen großen Männern drückt sich folgendermaßen aus396: Ich tröste mich, sagt der erste, mit dem guten Zeugnis meines Gewissens. Ich weiß, daß ich meinem Vaterland große Dienste erwiesen habe, sooft ich gekonnt habe; wenigstens habe ich seine Händel allemal als ein guter Wahrsager beurteilt, und die Unterdrückung[486] der Republik ist durch dasjenige Ungewitter erfolgt, welches ich vierzehn Jahre vorhergesehen hatte. Wir wollen den Herrn du Vair anhören. Meine Gesundheit war sehr schwach, ich hatte einen Körper und einen Geist, der zur Arbeit nicht sehr aufgelegt war, und ein sehr schwaches Gedächtnis, indessen hatte ich der Natur eine so große Wahrsagekraft zu danken, daß ich mich nicht erinnern kann, daß, seitdem ich das männliche Alter erreicht habe, weder dem Staat noch dem gemeinen Wesen, noch mir insbesondere etwas begegnet, das ich nicht vorhergesehen haben sollte. Ich habe diese zwei Stellen dem gelehrten Menage397 zu danken, dem Varro unserer Zeiten, wie ihn der P. Maimbourg in seiner Geschichte der Trennung der Griechen sehr verständig genannt hat.

Man darf indessen nicht denken, daß Cicero die Gabe gehabt hat, zukünftige Dinge zu erraten, weil er sich selbst das Zeugnis davon gibt. Man weiß es auch aus der Nachricht eines berühmten römischen Geschichtsschreibers, welcher gesagt hat398: Man dürfe nur die Briefe des Cicero an den Pomponius Atticus lesen, so könne man die Geschichte dieser Zeiten entbehren, weil man darinnen die Leidenschaften der Fürsten, die Fehler der Oberhäupter und die Veränderungen der Republik so genau beschrieben findet, daß das übrige ganz klar daraus erhelle und man mit leichter Mühe daraus schließen könne399, daß die Klugheit eine Art der Ahnung sei, weil Cicero nicht allein Sachen vorhergesagt hat, die bei seinem Leben erfolgen sollten, sondern auch, was einige Zeit darauf geschehen sollte. Dieses Zeugnis macht uns eine andere Stelle Ciceros glaubwürdiger, wo er versichert, daß die Kunst zu prophezeien, welche er sich durch Fleiß und Verwaltung öffentlicher Händel erworben, ihn niemals betrogen habe, und daß er solches leicht durch Exempel erweisen könnte, wenn er nicht befürchten müßte, man möchte ihm schuld geben, als ob er Dinge prophezeien wollte, die schon geschehen wären, ob es ihm gleich an verschiedenen Zeugen nicht fehle. Ich prophezeie, spricht er, weder aus dem Flug noch Gesang der Vögel, noch aus anderen dergleichen[487] Anmerkungen, welche in der Vogeldeuterkunst enthalten sind, ich bediene mich einiger anderer Zeichen, die zwar ebenso untrüglich, doch aber klarer und nicht so betrügerisch sind; ich betrachte einesteils die Gemütsart und das Naturell des Cäsars und anderenteils die Art und Beschaffenheit der Bürgerkriege.

Auf gleiche Art mutmaßte der berühmte Stephan Pasquier, daß große Unglücksfälle in Frankreich erfolgen würden, als er bei Eröffnung des Parlaments von St-Martin 1587 wahrgenommen hatte, daß der Priester, welcher in Gegenwart der Präsidenten und Räte, die in ihren scharlachenen Röcken gingen und die gefütterten Mützen trugen, Messe las, ihnen nicht das Kreuz zu küssen reichte, wie solches beständig zu geschehen pflegte. Habt ihr nicht bemerkt, sagte er an demselben Tag zu einem seiner Freunde, daß das Kruzifix den Herren nicht ist überreicht worden? Ich sterbe, wenn das ich weiß nicht was für ein Unglück für Frankreich zu bedeuten hat.


241. Widerlegung der Prophezeiung des Pasquier

Man durfte eben kein großer Hexenmeister sein, wenn man die Prophezeiung machen wollte, die dieser Verfasser der Recherches de la France machte. Es war alles zu einem großen Lärmen so wohl eingerichtet, daß es moralischerweise unmöglich war, daß dieses Königreich so leicht durchkommen sollte. Der Fehler des Priesters trug also bei den Mutmaßungen des Pasquier nichts mehr bei, als daß er ihm Anlaß gab, den gegenwärtigen Zustand der Sache zu erwägen. Und ich bin gut dafür, wenn er heute leben sollte und ebendiesen Fehler bei Eröffnung des Parlaments begehen sähe, er würde keine Vorbedeutung daraus machen. So wahr ist es, daß das Verhalten dieses Priesters eine ganz ungefähre Sache gewesen ist, die nichts bedeutete. Denn wie wäre es möglich gewesen, daß die Unterlassung einer alten Zeremonie die Kraft hätte haben können, die Drangsale Frankreichs zu prophezeien? Gott[488] hätte den Priester mit Unachtsamkeit schlagen müssen, in der Absicht, dem Pasquier zu offenbaren, daß Frankreich was zu besorgen habe, und das wäre ungereimt, wenn man solches sagen wollte; denn erstlich wußte Pasquier sehr wohl, daß die Sachen in Frankreich nicht wohl liefen, und fürs andere war es für Frankreich schlechterdings vergeblich, daß Pasquier geglaubt hat, es würde ein Unglück zu besorgen haben. Denn was hat es diesem Königreich geholfen, daß Pasquier geglaubt hat, es sei solches eine Vorbedeutung? Was half es den Freunden des Pasquier, welchen er seine Mutmaßung anvertraute? Was half es ihm selber? Seine Prophezeiung gefiel ihm. Er machte sich breit damit. Er gedachte wohl hundertmal gegen seine Freunde, nachdem das Unglück eingebrochen war, daß er's ihnen wohl gesagt hätte. Er hat es der Republik der Gelehrten in einem Kapitel seines Buches wissen lassen, und das war es alles. Es verlohnt sich wohl der Mühe, daß Gott deswegen den Lauf der Natur unterbrechen hat sollen und dem Priester andere Gedanken hätte geben sollen, als er sonst würde gehabt haben, wenn es nicht der Vorsorge gefallen hat, ihn diesmal nicht an alle Zeremonien denken zu lassen. Und gleichwohl hätte es so sein müssen. Denn wenn der Priester diesen Umstand ausgelassen hat, weil er ihn entweder nicht gewußt oder sich nicht danach richten gewollt hat oder weil er zerstreut gewesen ist, daß er bald auf dieses, bald auf jenes mit seinen Gedanken gefallen ist und also nicht Zeit genug gehabt hat, sich darauf zu besinnen, daß er das Kruzifix den Herren des Parlaments zu küssen reichen müßte, so ist klar, daß die Unterlassung dessen keineswegs eine Vorbedeutung sein könne, weil niemand als Gott eine Sache zur Vorbedeutung ma chen kann, die es ihrer Natur nach nicht ist. Nun lehrt aber die gesunde Vernunft, daß, wenn es Gott täte, er sich deutlicher und mit solchen Umständen erklären würde, daß diese Vorbedeutung auch einigen Nutzen haben könnte.

Ich erinnere mich eines anderen Mannes, der in seinen politischen und militärischen Diskursen sich auch für einen[489] Unglückspropheten, fast mit dem Pasquier zu gleicher Zeit, ausgibt. In dem ersten Kapitel seines Buches will er erweisen, Frankreich könne von einer unglücklichen Veränderung nicht weit entfernt sein, wegen der abscheulichen Laster, die darin herrschten: der Atheisterei, der Ruchlosigkeit, der Gotteslästerung, der Zauberei, der Hexerei, der Pracht, der Trunkenheit, der Unkeuschheit und Ungerechtigkeit halber. Was er noch hinzusetzt: Man habe bereits Kometen, Verfinsterungen, Gespenster gesehen, man habe fürchterliche Stimmen in der Luft gehört usf. Das würde mich bei ihm als einem Kriegsmann wundernehmen, wenn ich nicht wüßte, daß unter allen Reichen keines sich so weit erstreckt wie das Reich der Leichtgläubigkeit in Ansehung der Vorbedeutungen. Was er aber sagt, es sei schon von anderen angemerkt worden, und darauf er, wie es scheint, nicht viel hält, daß nämlich der Staat ein Stufenjahr erlangt habe, und daß alle Plätze, die man in dem Palast in Paris ausdrücklich dazu angebracht, daß die Bildsäulen unserer Könige hingesetzt werden sollten, sich angefüllt befänden; das, sage ich, ist zwar ein ganz gemeiner, aber auch sehr kindischer Aberglaube. Herr Noue würde allem Ansehen nach nicht einen Propheten abgegeben haben, wenn er nicht jene politischen Ahnungen vor Augen gehabt hätte, die weit gewisser sind als die Prophezeiungen des Aberglaubens.

Wenn Sie die Stellen, die ich Ihnen anführe, nachschlagen, so werden Sie vielleicht finden, daß ich die letztere übel angeführt habe; denn ich gestehe es Ihnen, daß ich sie nur aus dem Kopf anführe. Wenigstens kann mein Versehen nicht so groß sein, wie des Herrn Naude seines gewesen ist, eines Mannes, der in Frankreich an Belesenheit seinesgleichen nicht hatte, welcher dem Herrn la Noue schuld gibt, er habe Frankreich ein großes Unglück prophezeit, weil alle Plätze, die man ganz besonders dazu gemacht hatte, daß die Bildsäulen unserer Könige hingesetzt werden sollten, sich angefüllt befunden haben. Das heißt, ihm schuld geben, als ob er statt seines Beweisgrundes angeführt habe, was er nur als eine Anmerkung[490] zu Ende des Kapitels mit einiger Verachtung einfließen läßt. Alle Skribenten sind voll von dergleichen Fehlern, und seitdem ich angefangen habe, an Sie zu schreiben, habe ich mehr als hundertmal den Verdruß gehabt, daß ich habe Stellen fahrenlassen müssen, welche sich nach der Art, wie ich sie bei den neuen Skribenten antraf, ungemein zu meiner Sache schickten; wenn ich aber zur Quelle kam, so fand ich nichts, was mir hätte anständig sein können.


242. Es war leicht, im Jahr 1618 einen großen Krieg in Europa vorherzusehen

Bloß nach politischen Weissagungen war es leicht, im Jahr 1618 vorherzusehen, daß Europa auf eine erschreckliche Art würde erschüttert werden. Der Komet, welcher zu dieser Zeit sich sehen ließ, war das einzige, was man als eine Prophezeiung ansah. Allein das war nicht ein Umstand, darauf man die Augen hätte richten sollen. Es konnte nach den elenden Regeln der Astrologie, von denen ich Ihnen einen kleinen Entwurf gemacht habe, ebensoleicht erwiesen werden, daß er was Glückliches vorbedeutete, als daß er Unglück prophezeien sollte. Worauf hätte man also sehen müssen? Auf die Bemühungen des Hauses Osterreich um die allgemeine Monarchie, auf den unerträglichen Übermut, welchen die Minister des Kaisers und des Königs in Spanien überall blicken ließen, und auf den wütenden Eifer, den dieses Haus so unzeitig bezeigte, alle neuen Religionen auszurotten. Man brauchte nur ein klein wenig Verstand, so konnte man abnehmen, den Leuten würde endlich die Geduld reißen und man würde mächtige Bündnisse aufrichten, um die ehrsüchtigen Absichten eines Hauses aufzuhalten, welches so übermütig nicht allein über den Leib, sondern auch über die Gewissen in ganz Europa herrschen wollte. Wie war es wahrscheinlich, daß man solchen Unternehmungen, die der allgemeinen Ruhe so nachteilig waren, sich nicht widersetzen[491] würde? Da aber dieses Haus noch sehr mächtig war, obgleich die so hitzigen Anstalten, aller Welt in Religionssachen Zwang anzulegen, es sehr entkräftet hatten, und da es gute Völker und gute Generäle hatte, welche die Befehle des Hofes ausführen konnten, mittlerweile daß die anderen Fürsten von abergläubischen Mönchen sozusagen belagert waren und sich aus ihren Palästen nicht rührten, so war es leicht zu vermuten, daß die Bemühungen der Potentaten in Europa, ihre Freiheit zu erhalten, auf das nachdrücklichste würden zurückgetrieben werden und daß es also ein langwieriger Krieg werden würde.


243. Langsamkeit und abergläubisches Wesen in der Politik des Hauses Österreich

Einerseits sah man voraus, daß der Kaiser und König in Spanien sich einer sehr großen Stärke bedienen werde, die Christenheit zu unterdrücken; andererseits aber sah man auch voraus, daß sie nimmermehr imstande sein würden, dieses zuwege zu bringen, weil die Langsamkeit und die langweiligen Beratschlagungen400, welche allemal bei diesen Herren zu finden gewesen sind, ein Umstand sind, dabei allzu viele gute Gelegenheiten verlorengehen. Sie wissen die Gedanken des Malherbe hierüber. Wenn es wahr ist, spricht er in einem seiner Briefe, daß Spanien nach der allgemeinen Monarchie trachtet, so wollte ich wohl raten, Gott zu bitten, daß er das Ende der Welt aufschiebe. In der Tat, wie es sich dazu schickte, da es ebendieselbe Sache tausendmal bald so, bald anders überdachte, so war es unmöglich, daß es mit den Eroberungen hätte zu Rande kommen können, die es, der Beschuldigung nach, im Sinn hatte. Die großen Weltbezwinger haben allemal mehr ausgerichtet, wenn sie sich dem Glück überlassen, als wenn sie alles mit der äußersten Behutsamkeit erwogen haben, was sie im Begriff waren vorzunehmen. Deswegen hat Machiavelli401 das Glück mit einer Weibsperson verglichen, und da Karl V. das Glück[492] Heinrichs II. sah, so sagte er, es hätte einen Frauenzimmersinn, dem junge Leute allemal angenehmer wären. Der florentinische Politikus gibt diesen Grund an: Junge Leute wagten eher etwas und hielten nichts von einer ehrerbietigen Furchtsamkeit, die im Umgang mit Frauenzimmern nicht viel taugt. Die Vergleichung mag sein, wie sie will, so viel ist gewiß, ohne viel Kühnheit wird man kein Weltbezwinger, und nichts fördert die Sachen eines ehrsüchtigen402 Fürsten mehr als Hurtigkeit und Fertigkeit, und also konnte ganz Europa aus der sorgsamen und vorsichtigen Langsamkeit des spanischen Staatsrates leicht schließen, daß die Absicht der allgemeinen Monarchie noch lange Zeit erfordern würde.

Überdies waren die zwei Zweige von dem Haus Österreich durch die Beamten der Inquisition so stark eingenommen, daß es gar nicht wahrscheinlich war, daß sie würden Europa bezwingen können. Das heißt, zwei widrige Dinge vereinigen wollen, wenn man zugleich Weltbezwinger und Verfolger der anderen Religionen sein will; denn die Völker, welche man sich unterwerfen will, widerstehen wie die Löwen, wenn sie wissen, daß man sie zu einem Gottesdienst zwingen will, den sie für unrecht halten.


244. Daß die Weltbezwinger den Titel der Verfolger nicht haben haben wollen

Das ist unfehlbar die Ursache, warum Mohammed, da er willens war, ein großes Reich und eine neue Religion zugleich zu stiften, tausenderlei Arten403 der Milde in Ansehung der Christen angenommen hat und an allen Orten, wo er den meisten Anhang hatte, bekanntmachen lassen hat: er wolle alle Arten der Religionen und hauptsächlich die christliche dulden. Er gibt es in seinem Koran mit sehr nachdrücklichen Worten zu verstehen: O ihr Ungläubigen! spricht er, was ihr anbetet, bete ich nicht an, und ich verehre nicht, was ihr verehrt. Haltet ihr euer[493] Gesetz, und ich will das meinige halten. Man sagt, er habe ein Bündnis mit den Christen gemacht, kraft dessen er für sich und alle seine Nachfolger sich auf das feierlichste anheischig macht, sie zu schützen und sie eine große Anzahl herrlicher Freiheiten genießen zu lassen. Das Original von diesem Bündnis will man in einem Kloster des Berges Karmel gefunden haben. Salmasius hält es für kein untergeschobenes Werk und gründet sich auf eine Stelle des El-Macin in dem Leben des Mohammed, wo von seiner Milde gegen die christliche Religion geredet wird. Wollte man auch gleich mit Grotius404 mutmaßen, es sei solches ein heiliger Betrug der Christen, so würde man doch sonst sehen können, daß dieser falsche Prophet das Christentum geduldet hat und daß das Kapitel im Koran von dem Schwert, so viel Gewalttätigkeit es gegen diejenigen zuläßt, welche sich dem Joch nicht unterwerfen wollen, dennoch diejenigen zu dulden anbefiehlt, welche die Waffen niederlegen. Dieses ist von den ersten Nachfolgern des Mohammed auf eine sehr leutselige Art beobachtet worden, wie solches der P. Maimbourg in seiner Histoire des Iconoclastes gestehen muß, wo er anführt, daß die Kalifen den Christen nicht allein freie Religionsausübung gestatten, sondern sie auch zu vornehmen Ämtern erhoben haben. Sie trugen kein Bedenken, dem Vater des heiligen Johannes Damaszenus die vornehmsten Bedienungen des Reichs anzuvertrauen, mit der Versicherung, daß sein Sohn sie nach ihm haben und er überdies das Haupt des Rates und Hauptmann in der Hauptstadt sein sollte. Noch heutzutage werden die Christen in der Türkei geduldet und haben sich mehr vor der List als der Gewalt der Ungläubigen in acht zu nehmen.405 Denn wenn sie gegen die Religion des Mohammed reden oder wenn sie trunken sind und unbedachtsamerweise versprechen, Türken zu werden, oder wenn sie mit einer Türkin verbotenen Umgang pflegen, so ist zwischen dem Tod oder dem Abfall kein Mittel. Wird ein Christ ein Türke, so müssen alle diejenigen in seiner Familie, welche das vierzehnte Jahr nicht erreicht haben, dem Christentum abschwören. Man[494] erlaubt ihnen wohl, die Dächer und Lücken der Kirchen, die sie seit undenklichen Zeiten innehaben, auszubessern, aber es steht ihnen nicht frei, neue Kirchen aufzubauen oder eine zu vergrößern oder diejenigen wieder aufzubauen, welche eingefallen sind, wie etwa bei uns die Hugenotten gezwungen sind, mit denjenigen Tempeln zufrieden zu sein, welche sie unter der Regierung Heinrichs des Großen hatten. Das sind Verfolgungen, wenn Sie es so haben wollen, allein, es ist doch auch wahr, daß die Arglist darin mehr herrscht als die Gewalt, und diejenigen, welche an dem Untergang der Calvinisten arbeiten, werden es nicht in Abrede stellen, denn sonst würden sie sich selbst verurteilen. Und endlich, die Türken mögen das Christentum verfolgen oder nicht, so bleibt es dennoch wahr, daß Mohammed, als er hat Länder einnehmen wollen, sich sehr in acht nahm, die Völker der Religion halber schüchtern zu machen.

Die Weltbezwinger, die vor ihm gelebt, haben es noch weniger getan. Niemals hat man gesehen, daß Cyrus, Alexander und Cäsar Nachricht eingezogen haben, was die Völker, die sie überwunden haben, für eine Religion hätten, damit sie sie zwingen könnten, dieselbe zu verlassen, sofern sie von der Religion ihres neuen Herrn unterschieden wäre. Wenn ein Offizier verdient hatte, höher zu steigen, so fragten sie ihn nicht, ob er der Religion des Fürsten zugetan sei. Sie hielten niemals die Belohnung so lange zurück, bis er sich bekehrt hatte. Und wann würden sie die Welt überwunden haben, wenn sie sich in so kleine Umstände hätten einlassen wollen? Sie sehen auch, wie sehr das Haus Österreich sich der allgemeinen Monarchie genähert hat. Seiner großen Neigung zur katholischen Religion halber nähert es sich derselben mit sehr großen Schritten, wie man es sieht. In Deutschland kann es sich kaum gegen eine Handvoll Rebellen verteidigen, in Spanien kann es nicht einmal verhindern, wie ich sonst schon gesagt habe, daß die wenigen Soldaten, die es auf den Beinen hat, den Reisenden nicht aus dem Beutel nehmen, was man ihnen am Sold schuldig ist.


245. Wie sehr das Haus Österreich durch die Religionsverfolgungen entkräftet worden ist

[495] Wenn es wahr ist, wie man sagt, daß die Höhe, welche dieses Haus erreicht hat, eine Belohnung der wundersamen Gottesfurcht des Kaisers Rudolph gewesen, der einmal einen Priester angetroffen, welcher das heilige Sakrament zu Fuße getragen hat, ihn auf sein Pferd hat steigen lassen und alsdann mit großer Andacht zu Fuß hinter ihm drein gegangen ist, so kann man wohl sagen, daß seine Abkömmlinge in der unüberwindlichen Bemühung, die Ketzerei durch Feuer und Schwert auszurotten, nicht gleiches Glück gehabt haben. Und man darf sich darüber nicht verwundern. Die Handlung Kaiser Rudolphs kam aus einer Seele, die von wahrer Ehrfurcht eingenommen war. Die Verfolgungen aber, die Galeeren, die Galgen und überhaupt alle Gewalttätigkeit, die man der wahren Religion zum Besten anwendet, sind ein strafbarer Eifer, den Gott nimmermehr segnen wird. Fallit te incautum pietas tua (deine Frömmigkeit hintergeht dich, weil du nicht behutsam bist), kann man zu demjenigen sagen, der von einem so abscheulichen Eifer gerührt ist, dabei diejenigen in ihrer Atheisterei gestärkt werden, welche mit der Religion überhaupt ihren Spott treiben und sprechen:


Tantum Religio potuit suadere malorum! Lucrez.

So vieles Unglück hat die Religion veranlassen können.


Ich würde nicht so frei reden, wenn ich mich nicht erinnerte, wie Sie diejenigen verdammten, welche den Fürsten raten, gottlose Mittel zur Ausrottung der Ketzereien anzuwenden. Dem sei, wie ihm wolle, wo das Haus Österreich, seines Eifers halber gegen die falschen Religionen, ist belohnt worden, so ist es gewiß in zeitlichen Dingen nicht geschehen. Denn es hat ihm eine der schönsten Blumen an seinen Kronen gekostet. Ich verstehe darunter nicht die Länder, welche es bei dieser Gelegenheit verloren hat,[496] sondern das Ansehen, den Ruhm, den furchtbaren Namen, welchen es einige Zeit besessen hat. Es ist so schwach, daß es ganz Europa wegen des übermütigen Benehmens, weswegen es vordem so unleidlich gewesen, eine Ehrenerklärung gegeben hat, die es nicht einmal verlangte. Den Siegen Frankreichs hat man es hauptsächlich zu danken, daß Europa ist gerächt und der Stolz der Spanier mit Füßen getreten worden, calco Platonis fastum, das übrige ist Ihnen bekannt, und Sie werden mir zugeben, daß die ungezähmte Herrschsucht des Hauses Osterreich, nebst dem Eifer, überall die Unmenschlichkeit und Sklaverei der Inquisition aufzurichten, daß seine Gewalt, nebst der Langsamkeit in ihren Anschlägen, gar wohl Gelegenheit gegeben hat, im Jahr 1618, als ein Komet am Himmel stand, einen langwierigen und blutigen Krieg zwischen den Fürsten in Europa vorherzusehen.


246. Was das für Prophezeiungen sind, die man jetzt ausbreitet. Herrliche Vorteile für Frankreich, Länder einzunehmen

Was ich von dem Jahr 1618 behaupte, wird durch die Dinge bestärkt, die ich alle Tage sagen höre. Leute, die sich am wenigsten in öffentlichen Staatshändeln umgesehen haben, glauben doch, sie wüßten so viel, daß sie Prophezeiungen von dem, was auf unseren Kometen erfolgen wird, machen könnten, und ich habe angemerkt, wenn sie solche Prophezeiungen machen, so bekümmern sie sich nicht darum, durch was für Zeichen derselbe laufe. Sie erwägen nur die Umstände, darin sich die Sachen in Europa befinden. Und das ist auch in der Tat der Ort, auf den man sehen muß. Und daraus, gesetzt, daß kein Wunderzeichen erschienen ist, glaubt man schließen zu können, daß Europa einer entsetzlichen Erschütterung ganz nahe sei und daß die Umstände niemals so bequem gewesen, Länder einzunehmen.

I. Auf der einen Seite sieht man in Frankreich einen König[497] herrschen, dessen große Taten, die er mit so viel Geschicklichkeit wie Tapferkeit und mit der glücklichsten Fähigkeit ausgerichtet hat, die Gemüter dergestalt eingenommen haben, daß man sich einbildet, er unternehme nichts, bevor er alles zubereitet, was die Unternehmung unfehlbar macht, und daher kommt es, daß man nicht einmal denkt, wie man sich verteidigen soll. Des Königs Name ist ein Kopf der Medusa, der seine Feinde zu Bildsäulen macht. Er überwältigt sie oft, weil er ihnen den Mut nimmt, ihm zu widerstehen. Ich werde bald mehr davon sagen.


247. Die vorteilhaften Umstände Frankreichs in gewissen Stücken

II. Über dieses große Vorurteil, welches allein soviel gilt wie eine Armee von hunderttausend Mann, hat der König eine Menge sehr erfahrener Völker, und die zu siegen gewohnt sind, und verschiedene gute Generale, die so viel Eifer für die Ehre ihres Herrn wie Fähigkeiten zu großen Unternehmungen besitzen. Er hat eine sehr große Anzahl geschickter Unterhändler, welche überall Verbindungen haben, verschmitzt, geschickt, hurtig sind, die auf das beste entweder schmeicheln oder drohen, je nachdem es die Gelegenheit erfordert, die die Fähigkeit besitzen, Trennungen zu machen, Argwohn und Eifersucht bald auf der einen, bald auf der anderen Seite zu erregen, die der Sache einen guten Schein geben können; mit einem Wort, die die Fürsten zu überreden vermögen, sie dürften nur in Ruhe schlafen. Wollen Sie sie aus ihren Wirkungen besser kennenlernen, so lesen Sie dasjenige, was die Sybille des Virgils getan hat. Die Stelle ist etwas lang, aber schön. Man sollte beinahe sagen, daß Virgil die Tripleallianz in Gedanken gehabt hätte, welche zur Beobachtung der Spanier als eine Schildwacht ausgestellt worden ist:


406Cerberus haec ingens latratu regna trifauci

Personat, adverso recubans immanis in antro.

[498] Cui vates horrere videns iam colla colubris

Melle soporatam et medicatis frugibus offam

Obiicit. Ille fame rabida tria guttura pandens

Corriptt obiectam atque immania terga resolvit

Fusus humi, totoque ingens extenditur antro.

Occupat Aeneas aditum, custode sepulto.

Hier liegt nun Cerberus mit dreifach offnem Rachen

Und füllt das Höllenreich aus seiner Kluft, mit Bellen.

Die Priesterin sieht, wie schon sein Hals von Schlangen starrt,

Und wirft ihm Speise vor, die Kraut und Honig würzt.

Aus Hunger öffnet er die drei ergrimmten Kehlen,

Verschlingt den Bissen gar und streckt den Rücken hin.

Sein Körper dehnt sich aus und füllt die ganze Kluft,

Aenas dringt hinein, sobald der Wächter schnarcht.


III. Was das Geld betrifft, diese Spannader des Krieges, welches alle Dinge zuwege bringt und vor dem sich keine Festung halten kann, so hat Seine Majestät dessen mehr als alle seine Nachbarn zusammen und ist noch so glücklich, daß sie Minister findet, welche in neuen Erfindungen, Geld zu schaffen, unerschöpflich sind, und solche Untertanen hat, deren Geduld ebenfalls unerschöpflich ist.

IV. Muß man nicht vergessen, daß wir an allen Höfen in Europa französische Damen haben, welches kein geringer Vorteil ist, denn was bringen sie nicht zuwege, da sie von Natur viel Reizendes besitzen, sich mit großer Geschicklichkeit in die Gemüter einschmeicheln können und aus allen Vorteilen ihrer Nation sich eine große Ehre machen, weil sie zur Kunst, Verwirrungen anzurichten, beizeiten sind abgerichtet worden, und wenn sie nicht fortkommen können, nur die französischen Minister um Rat fragen brauchen. Diejenigen, die da wissen, was der Herr de Mezerai407 in dem Leben Heinrichs IV. anmerkt: daß die Verständnisse der Damen und Hofleute seit der Regierung Franziskus' I.[499] die wichtigsten Begebenheiten für den Hof in Frankreich verursacht haben, zweifeln gar nicht an der Geschicklichkeit unserer Französinnen. Und das mag vielleicht die Ursache sein, warum einer einmal gesagt hat, es sei unseren Königen vorteilhafter, wenn in Frankreich Prinzessinnen als wenn Prinzen geboren würden, denn wenn die Prinzessinnen an auswärtige Herren vermählt werden, so macht man vorteilhafte Allianzen und hat unter den Nachbarn Kreaturen, auf die man sich verlassen kann und die was zu sagen haben. Daher kommt es, daß sie Opfer genannt werden, welche man zum Besten des Staates gegen ihre innerlichen Neigungen aufopfert. Allein, man gedenkt nicht an diese geringe Gewalttätigkeit und arbeitet bloß fürs Vaterland.

V. Man verknüpfe hiermit die großen Vorteile, welche der König in seiner eigenen Person findet. Er befindet sich in einem Alter, wo der Leib und das Gemüt, der Mut und die Klugheit ihren Kräften nach in einem Gleichgewicht stehen. Er ist ein Herr, der zu seinem Charakter die Eigenschaften des Alexanders und Philippus hat, da immer die eine die andere verbessert. Statt der falschen Herzhaftigkeit des Alexanders hat er den Geist der Unterhandlungen, welchen Philippus besaß, und mit dieser geheimen Staatskunst, darauf Philippus sich so wohl verstand, hat er dasjenige vereinigt, was Alexander an wahrer Tapferkeit besessen. Denn was die gewissenhafte Zärtlichkeit anbelangt, da er seine Feinde nicht überfallen wollte, so kann man sagen, daß ein Held die Sache so hoch nicht treiben dürfe, ohne seiner Ehre dadurch einen Schandfleck anzuhängen. Das heißt, die Tapferkeit allzu hoch treiben, wenn man die Dunkelheit der Nacht nicht brauchen will, um einen Sieg zu erhalten, auf den alles ankommt. Es ist eine bloße Eitelkeit, wenn man besorgt, die Ehre des Triumphs würde vermindert werden, wenn man seinen Feinden nicht Zeit genug läßt, sich zur tapfern Gegenwehr vorzubereiten. Unser Held hat sich über dergleichen eitle Spitzfindigkeiten emporgeschwungen. Wenn er in Flandern eine Stadt belagern will, so marschiert er gegen Lothringen zu, und[500] es würde ihn sehr verdrießen, wenn die Feinde seine Absicht errieten und denselben durch ihre großen Zurüstungen Schwierigkeiten in den Weg legten. Daraus erhellt, daß die Wege zur Ehre ganz widrig sind. Wenn ein Weltbezwinger seinen Feinden wissen ließe, er sei willens, einen gewissen Platz zu belagern, und er nähme ihn demungeachtet weg, so würde er entsetzlich deswegen gelobt werden. Die Antwort des Alexanders, welche er dem Polypercon gab und die man so stark bewundert hat, ist ein Beweis davon. Wenn unser König eine Stadt wegnimmt, nachdem er alles Mögliche getan hat, um zu verhindern, daß man die Belagerung nicht errate, die er im Sinne hat, so wird er auch entsetzlich deshalb gelobt. Man lobt ihn täglich, daß er ein Kriegsunternehmen unter dem Vorwand einer Lustbarkeit oder Reise zu verbergen gewußt hat, daß die Musterung bei Vincennes zur Zubereitung des Krieges in Flandern gedient und daß die Eroberung der Franche-Comté nur als eine Reise nach Bourgogne zu sein geschienen hat. Man lernt die Devise auswendig, welche bei dieser Gelegenheit gemacht worden ist. Es wurde eine mit Wolken bedeckte Sonne gemalt, mit den Worten:


Tegiturque, parat dum fulmina.

Sie versteckt sich, wenn sie die Blitze zubereitet.


Dieser letzte Weg führt besser zum Sieg als der erste. Man gebe daher immer zu, daß, da der König den Charakter des Philippus mit dem, was in der Herzhaftigkeit des Alexanders gründlich war, vereinigt, er sehr geschickt sei, große Dinge vorzunehmen, und gar nicht aufgelegt ist, die Vorteile seines Glücks durch verwegene Streiche zu verderben. Ich setze diese letzten Worte hinzu, weil ich mich erinnere, daß ich gesagt habe, die Weltbezwinger müßten sich dem Glück überlassen und nicht sehr auf die Eingebungen der Klugheit hören. Ich gestehe es, die meisten unter den großen Weltbezwingern haben es getan, allein, da es viele unter ihnen gegeben hat, welche deswegen umgekommen sind, weil sie unbesonnen gehandelt haben, so[501] ist es sicherer, wenn man die Anschläge der Klugheit mit den Eingebungen der Herzhaftigkeit verbindet.

Alles dieses aber ist nicht zulänglich, daß man folgern könnte, die Zeit, große Kriegssachen vorzunehmen, sei gekommen. Europa muß überdies nicht imstande sein, dieser großen Stärke des Königs zu widerstehen, denn, wie ich schon gesagt habe, Cyrus und Alexander würden sich lange in einer Provinz herumgeschlagen haben. Große Eroberungen lassen sich alsdann zuwege bringen, wenn ein kriegerischer Herr, der mit allen nötigen Vorteilen versehen ist, niemanden findet, der ihm allzu großen Widerstand leistet. Wenn man alle Augenblicke kämpfen muß, daß man Platz behält und, hat man eine Stadt eingenommen, eine Meile davon eine andere belagern muß, so wird man in zwanzig Jahren nicht weit kommen. So weit muß man es bringen, daß man die Gemüter in einen solchen Schrecken setzt, daß sie die Schlüssel von Städten entgegenbringen, wenn man noch drei oder vier Tagreisen davon entfernt ist.


280. Betrachtung über den gegenwärtigen Zustand in Europa

VI. Man betrachte also den Zustand, darin sich jetzt Europa unter dem Schatten unzähliger Souveräner oder solcher, die sich dafür ausgeben, befindet. Man wird deren einige sehen, welche nicht vermögend sind, ihre unumschränkte Herrschaft zu behaupten und sich nicht zu einem herzhaften Unternehmen entschließen können, weil sie vielleicht ihre bewilligte Pension verlieren möchten. Andere wird man in Vergnügungen vertieft finden, welche nur darin Ruhm und Ehre suchen, daß sie in dem Schoß der Wollust gemächlich ruhen können. Es gibt noch andere, welche ein Teil von ihren Ländern verkaufen, damit sie dem Karneval in Venedig beiwohnen können, die an nichts Großes denken und gar keine Geschicklichkeit besitzen, für die Ehre zu arbeiten. Andere sind verstrickt[502] in den Banden eines niederträchtigen abergläubischen Wesens und sind völlige Sklaven irgendeines Mönches, dahingegen andere die Furcht abhält, sie möchten zuallererst verschlungen werden, wenn sie nur sich zu rühren anfingen. Diejenigen, welche Mut und Geschicklichkeit besitzen, um sich auf eine furchtbare Art zu widersetzen, haben nicht die Kräfte in der Hand, die sie sich wohl wünschten.

VII. Ich weiß Franzosen, welche zu dem breits angeführten hinzusetzen: Alle unsere Nachbarn bewunderten unsern großen Monarchen und strebten nach der Ehre, seine Untertanen zu werden, und ich habe es, ich weiß nicht in wievielen Büchern gelesen, die mit königlicher Freiheit gedruckt worden sind. Ich versichere Sie aber, mein Herr, daß es lächerliche Schmeichelreden sind. Ich bin durch Orte gereist, die am ersten werden weggenommen werden, wenn es noch so weit kommt, und habe daselbst eine erschreckliche Furcht vor der französischen Herrschaft angemerkt, und daß man sie als eine traurige Zukunft angesehen, die man sich durch seine Sünden zugezogen. Nichts ist angenehmer, spricht man an diesen Orten, als mit Franzosen zu tun haben, wenn man in ihrem Land auf Reisen ist, allein, es ist was Erschreckliches, in ihre Hände zu fallen, wenn sie als Überwinder an einen Ort kommen. Sie üben allen Mutwillen aus, sie plündern, sie sind der Schrecken der Mütter und Männer, sie erfüllen alles mit Gerichtsherren und Schatzungseinforderern, die ebenso arg sind wie die Soldaten usf. Ich sagte zu ihnen, sie machten aus ihrer eingebildeten Freiheit einen Abgott, und daß sie, alles zusammengenommen, größere Sklaven wären als wir, allein, sie wollten es nicht glauben. Man rechne daher die Begierde, ein Franzose zu werden, nicht mit unter die glücklichen Umstände, die wir hier untersuchen.


249. Was vor diesem die Republiken den Monarchien für Herzeleid angerichtet

[503] VIII. Diejenigen, welche sagen, unser König werde nur mit Republiken zu tun haben, haben gewissermaßen recht, denn, die Wahrheit zu sagen, ich weiß in unserer Nachbarschaft keinen monarchischen Staat außer Spanien, von dem der Widerstand gewißlich nicht zu besorgen ist. Allein, Sie irren, wenn Sie glauben, daß ein Monarch vor einem republikanischen Staat sich nicht zu fürchten habe. Denn wer weiß nicht, daß die römische Republik eine Geißel unzähliger Monarchen gewesen ist und daß gekrönte Häupter niemals so sehr sind gekränkt worden, wie es durch diese Republik geschehen ist. Man machte sie zum Gelächter des Volkes, wenn sie im Triumph vorgeführt wurden, man warf sie mit Ketten und Banden ins Gefängnis, man verlangte, daß ein schlechter römischer Bürger, wenn er mit der Würde eines Konsuls prangte, den Rang vor den größten Monarchen haben sollte, und behauptete, daß man ihnen eine große Ehre erwiese, wenn man sie zu Freunden des römischen Volkes erklärte.408 Kann man etwas Trotzigeres sich vorstellen, als was Popilius gesagt hat, das Haupt der Gesandtschaft, welche die Römer zum Antiochus abfertigten, um ihn zu nötigen, daß er mit Ptolomäus, König in Ägypten, Frieden machen sollte? Dieser Monarch, einer der mächtigsten Fürsten in Asien, reichte dem Abgesandten auf das höflichste die Hand, jener tat nichts mehr, als daß er ihm das Schreiben vom Rat überreichte. Als es Antiochus durchgelesen, so versprach er, die ihm vorgeschlagene Sache in Erwägung zu ziehen. Popilius wollte keinen Aufschub haben, machte mit seinem Stab einen Kreis um den König und forderte von ihm eine richtige Antwort, bevor er aus dem gemachten Bezirk träte. Als dieser Fürst sah, daß er so in die Enge getrieben wäre, so antwortete er auf eine den Absichten des Rats gemäße Art, und alsdann trug der Abgesandte keine Bedenken mehr, ihm die Hand zu reichen. Einige Zeit darauf schickte Antiochus Abgesandte nach[504] Rom, die dem Rat sagen sollten, er habe den Befehlen der römischen Abgesandten auf ebendie Art gehorcht, wie er dem Gebot der Götter gehorchen würde. Was soll man von Griechenland sagen, das doch nicht wie Rom eine einzige Republik ausmachte, sondern aus vielen Republiken bestand, deren eine die andere beneidete und die durch tausenderlei Parteien zerrüttet wurden? Indessen hat doch Griechenland die mächtige Monarchie der Perser mit Schimpf und Schande bedeckt und, nachdem es die entsetzlichen Armeen, welche die Perser nach Europa übergesetzt, um es unter ihre Herrschaft zu bringen, aus dem Lande getrieben, den Krieg nach Asien gespielt und ihnen Verschiedenes weggenommen. Mußte nicht der mächtige König Darius, nachdem er das Ärgernis gehabt hat, zu erfahren, die Athenienser hätten die Hauptstadt in Lydien, wo sein leiblicher Bruder ordentlicherweise seinen Sitz hatte, mit Feuer verbrannt, weswegen ihn ein Edelknabe alle Morgen dieses Schimpfes halber erinnern mußte; mußte nicht, sage ich, Darius allein sterben, bevor er diese Schmach gerächt, sondern auch erleben, daß er in der marathonischen Ebene so übel empfangen worden ist? Deswegen also hat Frankreich gar nicht zu glauben, daß es schwachen Widerstand finden werde, weil es ringsherum mit Republiken umgeben ist, sondern das möchte vielmehr die Ursache davon sein, weil unsere Nachbarn weder eine Republik noch Monarchie ausmachen. Sie leben in einer gewissen vermischten Regierungsform, welche zu den Absichten, die etwa unser König haben möchte, sehr bequem ist, weil, wenn dasjenige, was unter ihnen monarchisch ist, etwas haben will, solches von dem, was republikanisch gesinnt ist, verworfen wird.

Jedermann weiß, daß der König in England sich im Jahr 1672 von der Triple-Allianz zum großen Verdruß seiner Untertanen losgerissen hat und daß er nach zwei Feldzügen gegen Holland, in denen die Engländer nichts als Schläge bekommen haben, durch das Murren seines Parlaments gezwungen worden ist, Frieden zu machen. Was hat dieser König getan, um sich an seinem Parlament[505] zu rächen? Er hat niemals mit Frankreich brechen wollen, so stark seine Untertanen ihn darum angelegen und eine Vorstellung nach der anderen gemacht haben, die Erhaltung von England und der Religion im Lande wären in augenscheinlicher Gefahr, sofern man sich nicht den Franzosen mit größerem Nachdruck widersetzte, als es die Alliierten täten. Er lachte über alle dergleichen Vorstellungen und verwarf sie im Zorn. Endlich schien es, als ob er im Jahre 1678 zum Krieg entschlossen wäre, und da war es eben der republikanischen Partei in England nicht gelegen, weil sie sich einbildete, man wolle, unter dem Vorwand, furchtbare Kriegszurüstungen gegen Frankreich zu machen, versuchen, die willkürliche Gewalt und das Papsttum in die drei Königreiche einzuführen. Diese Uneinigkeit, welche, allem Ansehen nach, ein unaufhörlicher Quell der Verschwörungen und Parteien sein wird, weil die Religion, diese große Maschine, womit man den Pöbel in Bewegung zu setzen gewohnt ist, damit vermengt ist, wird mit der Zeit Frankreich zu seinen Absichten, welche es etwa haben möchte, sehr beförderlich sein und ist auch schon behilflich gewesen, den Niemägischen Friedensschluß zu schließen, der den Konföderierten so schimpflich, für unsere Nation aber so rühmlich gewesen ist, daß man schwerlich etwas dem Ähnliches in der Historie finden wird.


250. Wie vorteilhaft der Niemägische Friede für Frankreich gewesen

Der König machte den Frieden, ohne von einem einzigen Artikel des Vorschlages abzugehen, welchen er viele Monate vorher hat drucken lassen, anstatt daß man sonst gemeiniglich tausend Dinge verlangt, um eines davon zu erhalten. Schweden mußte alles wiedergegeben werden, was es verloren hatte, und Deutschland machte er den Verdruß, daß es einen Prinzen nicht hatte kränken können, der unsere Vorteile so frei unterstützt hatte. Dadurch[506] machte er allen Fürsten des Reichs die Hoffnung, wenn sie einmal mit Frankreich in ein Bündnis treten wollten, würden sie es ungestraft tun können. Was der Kurfürst von Brandenburg in Pommern erobert hatte, riß er ihm auf eine solche Art aus den Händen, daß ganz Europa wahrnehmen konnte, die Ehre dieses Kurfürsten sei den vornehmsten Häuptern in Deutschland ein Dorn in den Augen, und wenn man das wohl anzuwenden weiß, so wird es zu vielen Dingen gut sein können. Endlich zwang er die Bundesgenossen, daß jeder sei nen besonderen Friedenstraktat machte, dadurch sie so erbittert gegeneinander gemacht wurden, daß immer einer dem anderen alles Unglück auf den Hals wünschte. Noch jetzt haben einige ihren Zorn nicht können fahrenlassen und sind geneigter, mit Frankreich als gegen dasselbe sich zu vereinigen, weil manchmal die Menschen zum Possen gegen ihre wahren Vorteile zu handeln gewohnt sind. Daraus kann man erkennen, wie vorteilhaft für den König es ist, daß er Nachbarn hat, die weder eine Republik noch eine Monarchie ausmachen, obgleich einige darunter sind, die sich einen Namen geben, der weit monarchischer klingt als der Name eines Königs.


251. Betrachtung über die Regimentsverfassung in Deutschland

Ich werde zeitlebens an den Eigensinn des Rechtsgelehrten denken, den Sie gar wohl kennen und der sich einmal über den Mißbrauch des Wortes Reich, das man Deutschland beilegt, sehr ereiferte, und es ist wahr, niemals hat man eine Benennung übler angebracht als diese. Es ist dieses wohl das größte Ungeheuer von einer Regierung, wie solches der Herr Pufendorf unter dem Namen des Monzambanus erwiesen hat. Und wenn ich bedenke, daß es doch seit langer Zeit unter einer unzähligen Menge Regenten bestanden hat, welche wegen der Ordnung, wie sie sitzen sollen, noch nicht einig geworden sind, und welche die[507] allernötigsten Beratschlagungen für die öffentliche Ruhe aufschieben, um auszumachen, wieviel Anteil jeder Abgeordnete an einer Sache nehmen solle; wenn ich, sage ich, diese Zänkereien und die langweiligen und unendlichen Beratschlagungen des Reichstages zu Regensburg bedenke, so sehe ich, daß Papst Urban VIII. nicht unrecht gehabt hat, wenn er gesagt409: Die Welt müsse sich gewissermaßen selber regieren. Ich will es so verstanden haben, die Menschen mögen manchmal alles mögliche tun, um ein Sache zu verderben, so ist doch eine höhere410 Vorsorge zugegen, die sie aufrechterhält. Haben Sie nicht die zweideutige Redensart gehört, daß, wenn die Franzosen am Rhein und die Türken in Ungarn sich einen guten Tag machen, so halten die Deutschen in Regensburg ihren Reichstag. Der Sinn davon ist mehr als zu wahr411, und die betrübliche Erfahrung hat es in dem letzten Krieg der Türken mit dem Kaiser gewiesen. Neuheusel war schon weg, die Ungläubigen hatten schon verschiedene Provinzen verwüstet, Ihre Kaiserliche Majestät war aus Wien mit allen Kostbarkeiten und allen öffentlichen Briefschaften nach Linz geflüchtet, mittlerweile daß auf dem Reichstag zu Regensburg die Zeit mit unnötigen Wortwechseln, verdächtigen und eifersüchtigen Vorstellungen, mit lauter Nebendingen zugebracht wurde, dergestalt, daß die Frucht so vieler Beratschlagungen keine andere war, als daß jeder aus der Versammlung erbitterter und eifriger davonging.


252. Bemühungen der Jesuiten, die Vorteile Frankreichs zu befördern

IX. Unter die Vorteile von Frankreich setzt man noch das Bestreben der Jesuiten, ihren Nutzen zu befördern. Solange Spanien unter allen Potentaten in Europa das meiste Ansehen hatte, waren alle Jesuiten spanisch, sie mochten in Paris, in Rom oder in Kastilien geboren sein. Seit dem Verfall des Hauses Österreich und Aufkommen Ludwigs des Großen sind sie alle Franzosen geworden, zu Rom,[508] in Wien und in Madrid, so gut, als wenn sie in dem Jesuitenkolleg zu Clermont wären. Vor diesem schienen ihnen die Freiheiten der französischen Kirche übel gegründet zu sein, sie verteidigten beständig in Schriften die Rechte der Päpste gegen die Rechte der Könige. Man könnte eine Bibliothek von den Schriften aufrichten, welche die Sozietät hat ausgehen lassen und die von dem Parlament in Paris und der Sorbonne sind verboten worden. Heutzutage hat unser König keine getreueren Federn als die Jesuiten in seinen Streitigkeiten mit dem Papst. Jetzt ist der römische Hof mit den Büchern der Herren Jesuiten nicht zufrieden. Es scheint, als ob das Glück des Königs ihnen ein Licht gegeben hat, welches sie vor diesem in ihren Bibliotheken nicht fanden, und daß es, wie etwa jene Gerichtsverordnungen, von denen der P. Maimbourg sagt412, daß sie die Erkenntnis der wahren Religion in die Herzen der Hugenotten ausgießen, ihren Verstand so stark aufgeklärt hat, daß sie nunmehr Wahrheiten begreifen können, welche ihnen so dunkel zu sein schienen. Man hätte unrecht, wenn man sie deswegen der Unbeständigkeit beschuldigen wollte, denn nicht die Gesellschaft ändert ihren Sinn, sondern das Glück ändert den Gönner. Und wer sieht nicht endlich, daß solches ein Gehorsam ist, den sie der Schrift erzeigen, die nicht haben will, daß wir eine bleibende Stätte auf der Welt haben sollen? Nun aber ist das kein geringer Vorteil für den König, daß er die Jesuiten auf solche Art aus ganz Europa an sich gezogen hat; sie stehen an mehr als einem Hof in Ansehen und können durch ihre Geschicklichkeit ungemein viel beitragen, solche Beratschlagungen zu hintertreiben, welche den Absichten Seiner Majestät zuwiderlaufen. Die Begierde, an allen denjenigen Orten, welche durch die Franzosen werden eingenommen werden, zu herrschen und daselbst einen so mächtigen und freundschaftlich gesinnten Beschützer zu haben, wie unser König ist, der ihren Orden, ungeachtet der Eifersucht ihrer Feinde, in einen weit blühenderen und prächtigeren Stand setzen kann als alle Fürsten, die jetzt regieren, diese Begierde, sage ich, ist vermögend,[509] sie zu allerhand Verwirrungen anzustiften, die uns vorteilhaft sein können. Soll man darin der ärgerlichen Chronik glauben, so sind sie in dem letzten Krieg für uns nicht unbrauchbar gewesen, und sie haben vielleicht zu unseren Siegen mehr beigetragen als die Fertigkeit unserer Generale. Man sagt, daß sie große Staatsverständige abgeben, und eine von den drei Predigten, welche auf den heiligen Ignatius im Jahr 1609 gehalten worden, da er kanonisiert wurde, gibt ihrer Kompanie das Lob413, sie zähle mehr als 10580 Geistliche, die die Regierung so wohl verstünden, daß unter ihren Laienbrüdern sich Leute fänden, welche den Kanzlern in Granada, zu Valladolid und also dem Staatsrat des Königs etwas zu raten aufgeben könnten. Und man behauptet, daß ihr General, da er sich einmal mit einem französischen Herrn unterredet hat, zu ihm gesagt: Aus seiner Kammer regiere er nicht allein Paris, sondern auch China, nicht allein China, sondern auch die ganze Welt, ohne daß jemand wisse, wie es zugehe. Veda il Signor D. di questa camera, und wiederholte es zweimal, io governo, non dico Parigi, ma la Cina: non già la Cina, ma tutto il mondo, senza che nissuno sappia, come si fa. Es könnte indessen wohl sein, daß alles, was man von ihrer Geschicklichkeit, von ihrem Ansehen bekanntmacht, nicht wahr ist. Es gibt wenig Sachen in der Welt, die man nicht vergrößert.


253. Von einigen Prophezeiungen, welche, wie man sagt, dem König große Eroberungen versprechen

X. Endlich rechnet man unter die vorteilhaften Umstände, welche dem König den Weg zur allgemeinen Monarchie bahnen, verschiedene Prophezeiungen, welche einem König in Frankreich die Herrschaft über die ganze Welt versprechen. Eine von diesen Prophezeiungen befindet sich in dem neunten Band der Werke des Augustinus, in der Abhandlung von dem Antichrist, welche, wie man vorgibt, entweder Augustinus selbst oder Rabanus Maurus,[510] Erzbischof zu Mainz, soll gemacht haben. Man findet noch eine andere in einem Kommentar über die Offenbarung Johannis, den ein protestantischer Theologe, David Pareus, gemacht hat, welche er in dem Haus eines Propstes in Deutschland gefunden zu haben vorgibt. Es ist eine alte Sage unter uns, daß die Türken eine alte Tradition haben, welche ihr Reich bedroht, es werde von den Franzosen zerstört werden. Die großen Eigenschaften unseres Monarchen überreden so viele Leute, daß alle diese Prophezeiungen auf ihn gehen, und sogar414Mathematikverständige haben solches vorgegeben, ja viele Leute glauben, daß es nicht einmal erlaubt sei, daran zu zweifeln, nachdem sie die Offenbarungen des berühmten Drabicius gehört haben, welcher in Siebenbürgen so vieles gegen den Kaiser und für Frankreich prophezeit hat. Nun gibt es aber keine vorteilhafteren Umstände, etwas zu unternehmen, als wenn man Versicherungen und Offenbarungen von oben herab erlangt. Und also scheinen alle Dinge den König anzureizen, daß er den Krieg wieder von neuem anfangen solle.


254. Vorwand, den der König nehmen könnte, um sich der vorteilhaften Umstände zu bedienen, welche ihm das Glück anbietet

Es war dieser Tage ein Mann bei mir, der, indem er alle diese glücklichen Umstände betrachtete, sich höchlich darüber verwunderte, daß der König sie sich nicht zunutze macht. Wer hindert ihn, sagte er, daß er das übrige von den spanischen Niederlanden nicht wegnimmt und, ohne viel Umstände zu machen, sich alles dessen bemächtigt, was ihm in Deutschland anständig ist? Will er etwa niemanden Gelegenheit zu klagen geben? Allein, wie kommt es, daß er Plätze blockiert und wegnimmt, die so vorteilhaft lagen, daß sie uns zu Kriegszeiten nur im Wege hätten stehen können? Woher kommen so viele alte Anforderungen, darin sich der König sein Recht selber nimmt,[511] erstlich durch Richter, die dazu abgeordnet werden, und dann durch Soldaten? Man beklagt sich darüber in ganz Europa. Sollte es also einmal an ein Klagen gehen, so wäre es ja besser, man gebe ihnen viel als wenig Ursache dazu. Will der König nicht, daß man sich über ihn beklagen soll, so tut er zuviel. Fragt er aber nach den Klagen nichts, so tut er zuwenig. Will er etwa nicht der erste sein, der den Niemägischen Frieden bricht, und wartet er vielleicht, daß die Spanier ihn brechen sollen? Wenn das ist, so werden wir den längsten Frieden von der Welt haben, denn die Spanier werden viel eher tausend Beschimpfungen einfressen, als daß sie uns den Krieg ankündigen sollten, weil sie wohl wissen, daß ein Feldzug in öffentlichem Krieg ihnen schädlicher sein würde als hundert Befehle aus der Reunionskammer und als alle der Überlast, dadurch man ihre Geduld aufheben und sie zum Krieg anreizen will. Erwarten Seine Majestät etwa einen scheinbaren Vorwand, um den Nachbarn den Krieg ankündigen zu können? Hier ist schon einer, und zwar der scheinbarste von der Welt. Die Spanier beklagen sich bei allen Höfen in Europa und sogar in gedruckten Schriften, daß Frankreich den zu Niemägen geschlossenen Frieden auf verschiedene Art gebrochen hat. Das ist eine der größten Beschimpfungen von der Welt. Wenn eine Privatperson beschuldigt wird, daß sie ihren Schwur gebrochen hat, so wartet sie nicht einen Tag, um sich zu rächen, und jedermann hält es ihr für übel an, wenn sie nicht auf die Ehrenerklärung wegen einer solchen Beschimpfung dringt. Wieviel mehr ist nicht ein Fürst, dem man schuld gibt, daß er einen feierlich beschworenen Frieden gebrochen hat, berechtigt, auf Rache wegen einer solchen Beleidigung, durch Hilfe der Waffen, zu dringen, welche das einzige Mittel sind, dessen große Herren sich bedienen können. Fehlt also Ihro Majestät nichts als ein vernünftiger Vorwand, um den Krieg wieder anzufangen, so ist er ja schon da, und ein so schlechter Mensch, wie ich bin, so getraue ich mir doch binnen zwei Tagen das schönste Manifest aufzusetzen, das man jemals gesehen hat. Zum allerwenigsten[512] sollte es besser geraten als das Manifest im Jahr 1672, welches nur auf den Undank der Holländer gegründet war. Es ist gewiß, daß undankbare Leute unsere Ehre lange nicht so sehr beleidigen als solche, die uns Lügen strafen. Es ist wahr, der Undank ist ein schändliches Laster, doch aber haben die Gesetze keine Strafe darauf gesetzt, ausgenommen bei den Meden415, wenn mir recht ist. Und wozu sollten doch die Gesetze gegen die Undankbaren dienen, weil niemand seine Zuflucht zu denselben nehmen könnte, ohne das Lob der Wohltat zu verlieren?416 Man macht sich gehässig, wenn man jemanden die erzeigten Wohltaten vorwirft, denn das sind Sachen, deren sich wohl derjenige erinnern muß, der sie erhalten hat, die aber der Urheber nicht erwähnen darf.417 Die einzige Strafe des Undanks ist diese: Man schilt überall auf die Undankbaren und überläßt sie dem Haß der Menschen und dem göttlichen Gericht. Das ist die ganze Strafe, die sie auszustehen haben. Doch das hindert nichts, daß nicht Potentaten, welche Rechte haben, die anderen Leuten unbekannt sind, einen Nachbar wegen seines Undanks mit Recht sollten zur Rede stellen können, wie man solches in dem Krieg 1672 gesehen hat. Und da dem also ist, ist es nicht weit vernünftiger, wenn Ihro Majestät wegen der von den Spaniern gemachten Beschuldigung, daß sie bundbrüchig geworden, auf Rache dringen, da solches eine Beschimpfung ist, die selbst Privatpersonen den Gesetzen nach nicht leiden dürfen?


255. Ursachen, warum man sich dieser vorteilhaften Umstände nicht bedient

Ihr habt gut reden, antwortete ich diesem aufgeweckten Kopf, weil Ihr weder die Kriegsankündigung noch die Unordnungen, die daraus entstehen, bei Gott verantworten dürft. Wenn aber ein Fürst, wie der unsrige, bei voller Frömmigkeit und Liebe zu Gott ist, die Gesetze der Religion betrachtet, so sieht er nicht darauf, ob es ihm leicht[513] sein würde, sich der benachbarten Staaten zu bemächtigen und ein Manifest aufzusetzen, es möge geraten, wie es wolle, sondern er erwägt, ob er es auch mit gutem Gewissen tun kann, und macht den Schluß, es sei besser, einen jeden in dem Besitz dessen zu lassen, was ihm zugehört, als einen Gott zum Zorn zu reizen, der die Könige418, wenn sie ihre Gewalt mißbrauchen, auf eine unendlich härtere Art bestraft, als etwa die Könige schlechte Edelleute züchtigen, wenn sie gegen ihre Untertanen tyrannisch sind. So vorteilhaft also alle die Umstände sind, welche Seine Majestät anreizen können, die Eroberung von ganz Europa vorzunehmen, so wollte ich doch nicht eines gegen zehn wetten, daß der Krieg in kurzem allgemein werden wird und daß Frankreich alle die Vorteile erhalten sollte, welche ihm das Glück zu versprechen scheint. Denn außer dem, was ich von der Gottesfurcht unseres Monarchen gesagt habe, so zweifle ich gar nicht, daß sein großer Verstand und seine Kenntnis der Geschichte ihm nicht die Unbeständigkeit des Glücks vorstellen sollte. Was die Szythen dem Alexander zu bedenken gaben, ist sehr vernünftig, und hätte der Tod diesen Weltbezwinger nicht in der Blüte seiner Jahre weggerissen, vielleicht hätte er rufen müssen: O ihr Szythen! wie Krösus rief: O Solon! Das Glück, welches so vielen Sachen ist verglichen worden, kann meinem Bedünken nach einer ruhigen Meeresstille, die aber indessen alles zu einem entsetzlichen Ungewitter419 veranstaltet, sehr wohl verglichen werden. Der ist ein Tor, der sich darauf verläßt.


420 Mene salis placidi vultum, fluctusque quietos

Ignorare iubes? Mene huic confidere monstro?

Aeneam credam quid enim fallacibus Austris

Et coeli toties deceptus fraude sereni?

Soll ich das stille Salz und die so sanften Wellen

Nicht kennen, und mich gar dem Scheusal überlassen?

Soll ich dem falschen Süd Aeneen anvertraun,

Da mich der Himmel oft bei heitrer Luft betrog?
[514]

Ich weiß wohl, daß der König darin noch nicht ist hintergangen worden. Es gibt aber so viel andere Fürsten, die zum Teil früh, zum Teil spät erfahren, daß das Glück ihnen den Rücken zugekehrt, daß es also in Wahrheit am sichersten ist, man unternehme nichts auf die bloße Wahrscheinlichkeit, die Sache werde gut ablaufen. Denn ist man unglücklich, so wird man von niemanden weder gelobt noch beklagt, man hat überdies den Vorwurf seines Gewissens, das Murren der Untertanen und die Spöttereien der Fremden zu gewärtigen. Ganz Europa hat es mit Freuden angesehen, daß die ehrsüchtigen Unternehmungen des Hauses Österreich übel abgelaufen sind. (Ich komme immer wieder darauf, so sehr wünschte ich, daß wir ein so frisches Exempel uns zunutze machen möchten.) Gustavs Siege, die Triumphe der Franzosen, die Empörung in Katalonien, der Aufstand in Portugal und andere dergleichen unglückliche Dinge auf spanischer Seite gaben Anlaß, daß jedermann mit lachendem Mund sagte: Sie haben es verdient. Man sah das Wachstum der Holländer mit Vergnügen, welche, da sie den Anfang gemacht, diese furchtbare Partei zu erschüttern, dieselbe durch Wegnahme vieler Städte, durch verschiedene Siege zur See, durch ihren Handel, den sie in allen Teilen der Welt aufgerichtet haben, durch die unvergleichliche Tapferkeit der Fürsten, welche ihre Armeen kommandierten, und durch die seltene Klugheit ihrer Generalstäbe von Tag zu Tag schwächten. Und hätte man gewußt, daß diese Republik mit der Zeit die stärkste Stütze des wankenden Spaniens abgeben und zeigen würde, daß sie den Krieg nicht aus Herrschsucht geführt hat, sondern einzig und allein, um die Freiheit und das Gleichgewicht der Potentaten in Europa zu sichern, hätte man, sage ich, alles dieses gewußt, ich weiß nicht, ob man damit zufrieden gewesen sein würde, denn man sieht es nicht gern voraus, daß diejenigen, deren gegenwärtige Glückseligkeit zum Schrecken dient, in ihrem Unglück einige Linderung und Hilfe finden sollen. Man ist alsdann nicht imstande, seinen Beifall denjenigen zu geben, welche gleich geneigt sind, ebendieselbe[515] Partei entweder zu unterstützen oder zu schwächen, nachdem sie entweder allzu schwach oder allzu furchtbar geworden. Mit einem Wort: Wer sich sein Unglück selber zuzieht, der wird nicht beklagt, ist man aber unglücklich, wenn man sich rechtmäßigerweise verteidigt, so hat man noch tausenderlei Trost und Hoffnung. Warum sollten wir nicht glauben, daß Seine Majestät dergleichen Gedanken oft hegen?

Warum sollten wir nicht glauben, daß sie durch die Stärke ihres Verstandes einsehe, man müsse sich mit der einmal erlangten Ehre begnügen und sie nicht auf die Spitze setzen. Die Menschen sind so gesinnt, daß sie allemal einen Helden nach denjenigen Taten beurteilen, welche er zuletzt getan hat. Hat er vorher viele Siege erhalten, und er verliert nun einige Schlachten, so redet man nicht mehr von seinem Glück, man denkt nur an sein Unglück. Das war unfehlbar die Ursache, warum Cäsar421 desto furchtsamer war, sich in eine Schlacht einzulassen, je öfter er glücklich gewesen war, weil er mit vielem Grund denken mochte, ein neuer Sieg, den er zu soviel anderen hinzusetzte, würde ihm nicht so viel Glück bringen, als es ihm Schaden zufügen würde, wenn er eine Schlacht verlieren sollte. Das ist eine Arbeit für junge Leute, die noch keinen Ruhm erlangt haben, und für die Ehrbedürftigen (bisognosi d'honore, wie man sie in Italien nennt), daß sie Gelegenheit suchen, sich hervorzutun. Diese mögen sich ohne Not Feinde machen, damit sie ihre Kräfte können sehen lassen. Wenn man aber einen großen Namen schon erlangt hat, wie gut tut man, wenn man es dabei bewenden läßt.

Warum422 sollte man nicht glauben, da Seine Majestät so viel Verstand besitzen und so oft zu erkennen gegeben haben, was deroselben Großmut und Kriegstapferkeit zuwege bringen könne, daß sie auf eine ganz andere Art sich unsterblich machen werde, dabei sie im Grunde mehr Lob verdienen wird, als wenn sie gesiegt und triumphiert hätte? Diese ganz neue Art, diese Bahn zu der gründlichsten Ehre ist: Ganz Europa in Ruhe zu lassen, wenn man nr="516"/> es gleich mit leichter Mühe überwältigen könnte. Das heißt einen Triumph über sich selbst erhalten, der rühmlicher ist als die Eroberung eines Königreiches, und das allerseltenste und größte Exempel der Tugend abgeben. Von wem sollte man aber dieses große Exempel billiger erwarten als von einem König, wie der unsrige ist, den Gott durch so viel wunderbare Sachen vor anderen unterschieden hat? Sollte nicht dem erstgeborenen Sohn der Kirche, der durch das Erbrecht den rühmlichen Titel des allerchristlichsten trägt, der Vorzug aufbehalten sein, der Welt zu zeigen, was für ein Unterschied zwischen einem Fürsten, der den wahren Gott anbetet, und zwischen ungläubigen Regenten anzutreffen ist? Jener muß lediglich der Vernunft, die durch den Glauben aufgeklärt worden ist, Gehör geben, diese aber handeln bloß nach dem Trieb ihrer Leidenschaften. Aber leider! Die christlichen Fürsten folgen, zur Schande des Christentums, beinahe keinem anderen Trieb als diesem, und die christliche Religion bringt schon seit langer Zeit nicht viel Herrliches bei ihnen zuwege. Es wäre Zeit, daß sie sich einmal recht sehen ließe. Nichts würde es herrlicher zeigen, als wenn man sähe, daß Ludwig der Große allen Triumphen entsagt, die ihm das Glück anbietet. Warum sollten wir nicht glauben, daß Seine Majestät den Vorsatz habe, auf dieser Bahn zur Ehre zu schreiten? Was für Segen, was für Lobeserhebungen wird sie nicht von allen ihren Nachbarn und von der spätesten Nachwelt erhalten, wenn sie sich weder die Schwäche der Spanier noch die Parteilichkeit der Engländer, noch die Rotten, welche England zerrütten, noch das unschlüssige Wesen der Deutschen, noch die Unordnungen in Ungarn, deren sich der Türke gewiß bedienen wird, zunutze macht, sondern es geschehen läßt, daß alle Staaten in Europa ruhig nach ihren Gesetzen leben. Dann würden alle die schönen Gedanken, weiche unsere sinnreichen Köpfe zum Lob der Mäßigung unseres unüberwindlichen Monarchen ersonnen haben, von aller Welt gutgeheißen werden. Bis jetzt sind es nur französische Wahrheiten, die unsere Nachbarn nicht zugeben.[517]

Man sage, wie man will, in Frankreich, der akische und niemägische Friedensschluß sei ein lauteres Werk der Mäßigung Seiner Majestät. Sie selbst habe den Lauf ihrer Siege aufgehalten, den nur sie allein habe hemmen können. Jenseits der Alpen, des Meeres, des Rheins und der pyrenäischen Gebirge will man davon nichts wissen. Indessen sollte man hauptsächlich danach trachten, daß man in diesen Ländern gelobt würde, denn man mag tun, was man will, so kann man fast allezeit versichert sein, daß man, wenigstens solange man lebt, von einigen Untertanen wird gelobt werden. Der wahre Ruhm eines Fürsten ist also dieser, den selbst die Feinde bekanntzumachen gezwungen sind, und als daher der berühmte Herr Balzac423 an einen Gelehrten in Holland schrieb und ihm seinen Eifer für den Prinzen von Oranien, Friedrich Heinrich, bezeugen wollte, so glaubte er alles in diesen wenigen Worten zu sagen: Ich wünsche ihm einen Ruhm, den der Feind zugeben muß und der ihm selbst in der spanischen Geschichte nicht abgesprochen wird.


256. Betrachtung über dasjenige, was von gewissen Prophezeiungen erzählt wurde, die Frankreich zum Vorteil ausgesprengt wurden

Was die alten Erzählungen oder Prophezeiungen betrifft, welche, wie man sagt, einem von unseren Königen die Eroberung der ganzen Welt versprechen, so müßte man einen sehr üblen Begriff von Ludwig XIV. haben, wenn man denken wollte, er würde nur das geringste auf einen so schlechten Grund hin unternehmen. Er besitzt einen allzu gründlichen Verstand, als daß er alle diese vermeintlichen Offenbarungen nicht für Hirngespinste und Einbildungen halten sollte, und er weiß wohl, daß, wenn ein Prinz gefunden worden ist, der sich auf dergleichen Hoffnung mit großem Vorteil geschlagen hat, zehn andere gewesen sind, welche dadurch Unternehmungen vorgenommen haben, die so verwegen gewesen wie un glücklich ausgefallen[518] sind. Ich erinnere mich, daß ich in der Beschreibung der Kreuzzüge gelesen424, daß man bei der Belagerung von Jerusalem sehr unglücklich gewesen, da man auf Anraten eines Einsiedlers einen Sturm wagte, der in einem großen Ruf der Heiligkeit in einer Höhle des Ölberges lebte und von selten Gottes den Christen auf diesen Tag Sieg versprach, ob ihm gleich vorgestellt wurde, daß man zu einer dergleichen Unternehmung nichts in Bereitschaft hätte. Allein, man erfuhr bald, wie es der P. Maimbourg sehr wohl anmerkt, daß es in allen Händeln und sonderlich im Krieg gefährlich ist, die Regeln der Kunst und Klugheit zu verlassen, um blindlings den Weg der Offenbarungen zu erwählen. Man dürfe sich nicht, spricht er, allzusehr darauf verlassen, denn sehr oft wären sie falsch, und wenn sie auch wahr wären, so sei man nicht verbunden, dieselben zu glauben, ohne unumstößliche Beweisgründe davon zu haben. Außerdem sei man allezeit verbunden, mehr dem Verstand und der gesunden Vernunft zu folgen, welche Gott dem Menschen nebst seinem göttlichen Wort gegeben hat, damit sie die Regel unseres Verhaltens sein möchte. Der Schimpf, den Gottfried von Bouillon davon hatte, daß er diesen Fehler begangen hat und die Erscheinungen eines elenden Einsiedlers den Regeln der Kriegskunst vorgezogen hat, machte ihn auf ein andermal klüger.

Es ist nicht nötig, die Historie der Kreuzzüge zu verlassen und viele andere Exempel von Prophezeiungen aufzusuchen, welche diejenigen auf eine sehr unglückliche Art betrogen haben, die ihnen Glauben beigemessen haben. Wir wollen nur noch dasjenige betrachten, was dem heiligen Bernard widerfahren ist. Als dieser große Mann von dem Papst Eugenius III. Befehl erhalten hat, den anderen Kreuzzug im Jahr 1145 zu predigen, so unterließ er nicht, denjenigen Fürsten, welche einen so heiligen Feldzug unternehmen würden, tausendfaches Glück zu versprechen. Weil er sich durch seine Heiligkeit einen großen Namen erworben hatte, so nahm man alle diese Versprechungen als göttliche Eingebungen an, und es geschah, daß niemals[519] mehr Volk zu der Wallfahrt nach Jerusalem sich einschreiben lassen hat als dieses Mal. Einige sagen sogar, er habe seine Versprechungen durch verschiedene herrliche Wunder bestärkt. Allein der P. Maimbourg ist es gar wohl zufrieden425, wenn man davon nichts glaubt, und es ist sehr wahrscheinlich, daß es falsch ist, weil niemals ein Feldzug unternommen worden ist, der unglücklicher abgelaufen als dieser, von dem der heilige Bernard so viel Gutes versprochen hatte. Es beklagten sich auch die armen unglücklichen Leute darüber, daß er sie durch seine falschen Prophezeiungen in solch Elend gestürzt habe. Was antwortete er darauf? Ich tue es nicht gerne, mein Herr, daß ich hier offenherzig mit Ihnen rede, doch ich will es immer tun. Anstatt daß er aufrichtig hätte gestehen sollen, er sei zuerst betrogen worden, so rettete er sich damit, daß er seine Versprechungen bedingungsweise getan, und wenn er ihnen prophezeit gehabt, daß der Kreuzzug glücklich sein würde, so sei als eine notwendige Bedingung darunter zu verstehen, die Leute, die denselben unternähmen, müßten Gott durch Unordnungen in ihrem Wandel nicht beleidigen. Heißt das nicht, die Welt zum besten haben, wenn man sich zum Propheten aufwirft, um dasjenige vorherzusagen, was nimmermehr geschehen wird, und daran nicht mit einem Wort gedenkt, was wirklich geschehen soll? Der heilige Bernard hätte entweder gar nicht sich unterfangen sollen, das Zukünftige vorherzusagen, oder er hätte die wirklichen Unordnungen prophezeien sollen, darein die Kreuzfahrer verfallen sind, anstatt daß er ihnen eingebildete Siege versprach, die niemals erfolgen sollten. Was ich hier sage, geschieht hauptsächlich darum, daß ich denjenigen antworten möchte, welche sich auf die Abhandlung vom Antichrist berufen, die unter die Werke des heiligen Augustinus mit eingeschoben worden ist, und einer herrlichen Prophezeiung halber, die, zum Vorteil eines von unseren Königen geschehen, merkwürdig ist. Denn sind die von dem heiligen Bernard gepredigten Prophezeiungen für die Christenheit schädliche Betrügereien gewesen, was wäre es nicht für eine Torheit, wenn[520] man sich die Herrschaft der Welt aufs Wort des Rabanus Maurus oder selbst des heiligen Augustins versprechen wollte.

Aber, sagt man, die Türken haben eine alte Prophezeiung, darin sie mit dem französischen Degen bedroht werden. Ein anderes Hirngespinst. Es ist wohl wahr, daß seit dem 10. Jahrhundert unter anderen Prophezeiungen des Bischofs Hippolytus auch diese bekannt gewesen, daß nämlich die Ungläubigen nicht durch die Griechen, sondern durch die Franzosen sollten ausgerottet werden. Es ist ferner wahr, daß wir diese Prophezeiung dem klugen und gelehrten Bischof zu Cremona, Luitprand, in der Beschreibung seiner anderen Gesandtschaft nach Konstantinopel zu danken haben. Auch dieses ist wahr, daß die Sarazenen durch diese Prophezeiung in dem Treffen, das sie im Jahr 963 über die Völker des Nicephorus, Kaisers zu Konstantinopel, gewonnen haben, ungemein sind beherzt gemacht worden. Es ist wahr endlich, daß der P. Maimbourg426, auf dessen Wort ich alle diese Dinge anführe, sagt, es gebe ohne Zweifel viele andere dergleichen Prophezeiungen. Die Zeit würde es lehren müssen, ob sie wahr seien, und es werde nur alsdann eintreffen, wenn die Franzosen, die bei ihrer großen Einigkeit, darin sie jetzt unter einem der größten Könige stehen, ganz allein vermögend sind, eine so glückliche Unternehmung zustande zu bringen, nicht durch auswärtige Kriege, durch unrechtmäßige Bündnisse, die sie damals, da der Jesuit dieses schrieb, um sich auf eine gerechte Art zu verteidigen, von einem so rühmlichen Unterfangen abhielten, würden verhindert werden. Ich gebe es zu, daß alles dieses wahr sei, ich leugne aber, daß man die Prophezeiung für wahr erkennen müsse.

Denn fürs erste ist es ausgemacht, daß die Ungläubigen, von denen in der Prophezeiung die Rede ist, nicht Türken, sondern Sarazenen sind. Im 10. Jahrhundert kannte man im Okzident die Türken noch nicht, von den Sarazenen aber wurde man wohl geplagt. Daher fanden sich gutherzige Seelen, welche den Christen, um sie zu trösten,[521] versprachen, daß das abendländische Reich, das von einem König in Frankreich würde gestiftet werden, diese Nation der Ungläubigen ausrotten werde, oder es mochten sich's auch wohl viele durch eine allzusehr erhitzte Einbildungskraft selber so einbilden. Da nun der Ausgang die Unrichtigkeit dieser schönen Prophezeiung gezeigt hat, weil es gewiß ist, daß das sarazenische Reich weder durch Franzosen noch durch die abendländischen Kaiser, sondern durch die Türken und Tataren ist übern Haufen geworfen worden, wie kann man sich nur mit einem Schein der Vernunft einbilden, daß die Prophezeiung von den Muselmännern werde erfüllt werden? Und müßte man nicht verrückt sein, wenn man ihnen kraft dieses Versprechens den Krieg ankündigen wollte?

Fürs andere ist es so gewiß nicht, daß die Türken eine Prophezeiung haben, vermöge der sie sich von den Franzosen nicht viel Gutes zu versprechen hätten. Denn verhielte sich's also, wie wäre es möglich, daß die Griechen eine für unsere Nation so vorteilhafte Weissagung nicht sollten gewußt haben, da sie dem Herrn Spon erzählt haben427, die Türken trügen sich mit einer Prophezeiung, daß ihr Reich durch eine Nation Chrysogenos, das heißt durch eine weiße Nation, sollte zerstört werden? Das war eine Gelegenheit, dabei es sich ungemein schickte, davon zu reden, und da also Herr Spon kein Wort davon sagt, so kann man schließen, daß er auf seiner Reise in die Türkei nichts davon erfahren hat, welches ein Zeichen ist, daß diese vermeintliche Tradition nur unter unseren Leuten bekannt ist. Übrigens ist es klar genug, daß diese dem türkischen Reich fatale weiße Nation nicht die unsrige ist. Herr Spon glaubt, es wären die Moskowiter. Ich erlaube es ihm.

Aber, wird man einwenden, weil Ihr ein so redlicher Franzose seid und nicht wollt, daß wir auf Anreizung geneigter Prophezeiungen die Türken mit Krieg überziehen, so werdet Ihr doch wenigstens dulden, daß Drabicius ein guter Prophet gewesen ist, da er uns verschiedene Siege im Römischen Reich versprochen hat. Ich antwortete: Ob ich[522] gleich unseren Dichtern und Rednern nicht nachahmen will, die seit undenklichen Zeiten alle unsere Könige abschicken, Konstantinopel einzunehmen, so wünsche ich dennoch, daß es unserem großen Monarchen belieben möchte, dieses große Werk zu unternehmen. Ich sage nur, daß es ungereimt wäre, wenn man sich auf vermeintliche Traditionen, die uns einen glücklichen Erfolg versprechen, gründen wollte. Und, was den Drabicius betrifft, so ist leicht zu sehen, daß es nur Feinde von Frankreich sein müssen, die sich einbilden können, man sehe ihn hier als einen Mann an, der wahrhaftig Eingebungen gehabt hat, oder Frankreich werde etwas unternehmen, um dasjenige auszuführen, was er vorhergesagt hat. Denn kann man wohl gut katholisch sein, so wie der Rat des Königes ist, und glauben, daß ein protestantischer Prediger die Sendung eines außerordentlichen Propheten von Gott erhalten habe? Kann man so viel Neigung besitzen, wie der Rat des Königs hat, die dem Papst gehässigen Sekten auszurotten, und sich doch zur Ausführung der Prophezeiungen des Drabicius rüsten, deren Inhalt dieser sein soll: Derjenige König in Frankreich, welcher das Haus Österreich zerstören werde, werde auch den Papst zugrunde stürzen? Man kann dergleichen Gedanken nicht hegen, ohne eine strafbare Beleidigung, nicht allein in Ansehung des Verstandes des Königes und seiner Minister, sondern auch ihrer Religion, zu begehen.

Selbst die Protestanten glauben es nicht sehr, daß Drabicius einen Propheten abgegeben hat. Es gibt viele unter ihnen, die ihn für einen Schwärmer halten, dem das viele Lesen der Erklärungen über die Propheten des Alten Testaments und die Offenbarung Johannis die Einbildungskraft verwirrt gemacht hat, daß, nachdem er dergleichen Begriffe sich in den Kopf gesetzt, er die deutschen Kaiser als Pharaonen, Sennacheribs, Nebukadnezars und Abgeordnete der großen Hure, die von dem Wein ihrer Hurerei trunken worden ist, angesehen, bis er sich endlich eingebildet hat, Gott habe ihn bestimmt, verschiedenen Fürsten Befehl zu erteilen, diese Verfolger auszurotten.[523]

Diejenigen, welche diese Verfolgungen ausgestanden hatten und sich einbildeten, die göttliche Vorsorge würde die Urheber eines so barbarischen Verfahrens über lang oder kurz züchtigen, hätten allem Ansehen nach diesen Erscheinungen des Drabicius trauen sollen. Indessen haben sie meistenteils wenig Rechnung darauf gemacht, da sie nämlich erfahren haben, daß er sich geirrt und sich sehr oft auf eine so sichtbare Art widersprochen, daß man sich nicht helfen kann, ohne seine Zuflucht zu einem Haufen Glossen zu nehmen, darüber die Spötter mehr lachen, als wenn man die Irrtümer dieses Mannes aufrichtig gesteht. Denn wenn man überall, wo es die Not erfordert, Glossen machen wollte, so könnte man einen jeden falschen Propheten verteidigen. Welch eine elende Sache ist es nicht, mein Herr, sich auf Offenbarungen zu verlassen, gesetzt, daß sie von der heiligen Hildegard, der heiligen Gertrud, der heiligen Brigitta herkämen. Und Sie wissen wohl, daß sehr gute Katholiken428 und, was noch mehr ist, Geistliche die Prophezeiungen dieser Heiligen mit sehr bündigen Gründen öffentlich bestritten haben. Wie schön würde es sein, wenn Frankreich, das so weislich beherrscht wird, sich in einen Krieg gegen Deutschland einlassen wollte, weil Drabicius deshalb Erscheinungen gehabt? Die vorteilhaften Umstände, welche man in den Prophezeiungen zu finden vermeint, werden mich also wohl nicht überreden, daß wir bald wieder zu siegen anfangen werden.


257. Ob Europa jetzt mehr Ursache haben möchte, sich in Bündnisse einzulassen, als sonst

Zudem, wer hat es uns gesagt, daß Europa allezeit in dem tiefen Schlummer liegen werde, darin es jetzt liegt? Es ist wahr, es fürchtet sich vor Frankreich. Es glaubt in seinem Betragen etwas zu bemerken, das demjenigen sehr ähnlich ist, was wir von den vormaligen Spaniern gesagt haben. Indessen hält sich ein jeder still, niemand will die[524] erste Gefahr ausstehen. Dabei fällt mir die Fabel ein von den Mäusen und der Katze. Dieser Schlummer ist um so viel mehr zu bewundern, weil man gar wohl einsieht, daß es unserem König weit leichter ist, das große und weitläufige Vorhaben von der allgemeinen Monarchie zustande zu bringen, als es dem Kaiser und König in Spanien war. Alle Stärke von Frankreich ist unter einem Haupt vereinigt. Der König geht selbst mit zu Felde. Er ist glücklich, tapfer und geschickt. Alle seine Länder stoßen aneinander, und er darf sich nicht vor einem so furchtbaren Staat fürchten, als unser Königreich in Ansehung der Spanier zur Zeit ihres großen Wohlstandes gewesen ist. Das sind Vorteile, welche dem Hause Osterreich allemal entweder gänzlich oder zum Teil gefehlt haben. Da fast alle seine Kräfte in der Person Karls des Fünften, eines Herrn von außerordentlicher Tapferkeit und Geschicklichkeit, vereinigt waren, so lagen doch seine Staaten so weit auseinander, daß sie einander nicht leicht gegenseitige Hilfe leisten konnten. Zudem hatte damals Europa an Franzisko I. einen streitbaren Held, der Karl den Fünften für seine Person beinahe so viel zu schaffen machte, wie er nötig hatte. Auf der anderen Seite war Soliman, der Türken Kaiser, ein fürchterlicher Nachbar für die Erbländer. Und die protestantischen Fürsten in Deutschland, die von einem hitzigen Eifer eingenommen waren, den man allemal für eine Religion hat, wenn sie sozusagen noch ganz glühend ist, waren dem Kaiser Karl ein empfindlicher Dorn im Auge. Nachdem der Kaiser die Ruhe erwählt hat, ward es noch schlimmer. Seine Länder wurden geteilt, ihre Besitzer lebten lange Zeit in einem gewissen Mißverständnis, das sie sehr schwächte. Die Entfernung von Madrid und Wien gestattete nicht, daß man jede Sache mit derjenigen Geschwindigkeit ausfertigte, die bei wichtigen Unternehmungen erforderlich ist; und, unter uns geredet, die Nachfolger Karls V. sind nichts weniger als streitbar gewesen. Unterdessen ist Europa in Bewegung geraten, Europa hat Bündnisse geschlossen, Europa hat endlich sie mit Grimm angefallen, indem es sie für allzu[525] herrschsüchtig angesehen hat, bis es sie endlich zurechtgebracht. Und jetzt, da es einsieht, daß die Gefahr weit größer ist, begnügt es sich damit, daß es solches eingesehen hat. Es ist alles dieses wahr, mein Herr. Demungeachtet wette ich nichts, daß wir was erobern werden. Die Völker sind wie das Meer, welches nach der größten Windstille in ein schreckliches Brausen gerät. Oft kann nur ein einziger Mensch der halben Welt Mut machen und einer Partei Glück verschaffen.429


258. Ob man sich vor Bündnissen zu fürchten hat

Ei was, werden Sie sagen. Man verbinde sich, wie man wolle. Bündnisse haben nicht viel zu bedeuten. Es sind Körper mit hunderttausend Armen, die keinen Kopf haben, weil sie deren viele haben. Die Fabel des türkischen Abgesandten ist Ihnen bekannt, und wie wenig er zusammen verbundene Truppen schätzte, wenn er sie gegen Völker hielt, die nur ein einziges Oberhaupt erkennen. Es ist wahr, mein Herr, es ist ein unschätzbarer Vorteil für eine Armee, wenn nur einer das Kommando führt. Und das ist auch ein vorteilhafter Umstand für die Absichten unseres Königs, den ich vergessen hatte. Diejenigen nämlich, welche sich ihm widersetzen werden, werden eine Menge Völker sein, darüber verschiedene Personen, welche verschiedene Absichten und entgegengesetzte Vorteile haben, das Kommando führen. Es ist uns ganz wohl bekommen, daß wir in dem letzten Krieg mit dergleichen Leuten zu streiten gehabt haben, denn unerachtet der guten Anführung des Königs und der Herzhaftigkeit unserer Truppen würde es übel für uns abgelaufen sein, wenn sich die Alliierten wohl verstanden hätten. Allein das Glück von Frankreich hat es so zu machen gewußt, daß sie niemals haben übereinstimmen können. Ihr Kriegsrat stellte den allergrößten Kampfplatz vor, darauf sie sich jemals befunden haben. Da war nichts als Mißtrauen, als gegenseitiges Klagen, als Neid, als Eigensinn. Es waren einige[526] darunter, denen ein größerer Gefallen geschah, wenn sie geschlagen wurden, als wenn sie sehen mußten, daß der Gewinn einer Schlacht einem General, den sie nicht liebten, zugeschrieben ward. Andere wollten doch auch ihre Gnadengelder verdienen und rieten daher allemal zum Schlimmsten. Das mußte nun alles so sein, mein Herr, wenn wir so glücklich sein sollten, wie wir gewesen. Denn, wie ich schon zu verschiedenen Malen gesagt habe, ist unter den Kräften zweier Feinde nicht ein großer Unterschied anzutreffen, so sind die Siege, welche der eine über den anderen erhält, nicht von Wichtigkeit. Diesen Unterschied aber macht nicht allemal die Anzahl der Truppen; er besteht oft darin, daß eine Partei viele Fehler, die andere aber keinen begeht. Auf diese Art sind die Alliierten schwächer geworden als wir. Die Menge ihrer eignen Vorteile und Absichten veranlaßte sie zu unzähligen Fehlern, da mittlerweile unser König die Sachen mit einem erhabenen Verstand betrachtete und keinen Fehler beging. Sie haben zwei- oder dreimal den großen Hauptfehler begangen, der dem Hannibal vorgeworfen wurde430, daß sie nämlich nicht gewußt haben, sich den Sieg zunutze zu machen.


259. Fehler der Alliierten in dem letzten Krieg

In Wahrheit, der Herr de Montecuculi erhielt im Jahre 1673 ohne Schwertschlag einen so großen Vorteil über den Herrn von Turenne, daß man sich an dem französischen Hof für sehr glücklich schätzte, daß man mit dem Verlust des Kölner Landes und der meisten Plätze, die wir in Holland innehatten, noch so davonkam; so gut sah man ein, daß man uns noch größeren Schaden zufügen könne. Es bekam uns ganz gut, daß die Deutschen ein wenig allzusehr in die Winterquartiere in ihrem Land eilten und der Hitze und dem Heldenmut des Prinzen von Oranien nicht beistehen wollten, welche zu der Eroberung Bonns so vieles beigetragen. Zwei Jahre darauf hatte Herr de[527] Montecuculi den Ruhm, daß er sah, wie sein Verstand den Verstand des Herrn Turenne übertraf und wie er unsere Völker bei unserem Zurückweichen übel an ließ. Allein, er wußte sich seines Vorteils nicht zu bedienen, weil entweder sein Alter ihn etwas träge machte oder weil sich dienstfertige Personen zu Wien finden mochten, die an uns dachten. Dem sei, wie ihm wolle, er war zufrieden, daß er seine Armee diesseits des Rheins erfrischen konnte431, da mittlerweile der Prinz eine Person spielte, die seinem feurigen Charakter gar nicht gemäß war, daß er nämlich mit dem Überrest einer Armee hinter seinen Verschanzungen zusah, wie die Kaiserlichen nach ihrem Gefallen im Elsaß spazierengingen. Das war auch der Fehler derjenigen, welche den Herrn von Crequi zu Konsarbrik schlugen, denn anstatt daß sie sich unsern erschrockenen Grenzen hätten nähern sollen, so brachten sie die übrige Zeit des Feldzuges damit zu, daß sie eine Stadt wieder wegnahmen, die wir gar wohl entbehren konnten. Die Franzosen machten dergleichen Schnitzer nicht. Man darf sich daher nicht wundern, wenn die Sachen der Alliierten nicht glücklich abgelaufen sind, denn durch ihr übles Betragen schwächten sie sich, und der Feind half ihnen durch ein übles Verhalten nicht wieder auf. Solches geschieht zwar gemeiniglich, wie es der Herr de la Rochefoucaut in Ansehung unserer letzten inneren Kriege sehr wohl anmerkt. Jede Partei hat zuletzt erfahren, daß sie beide ihren wahren Nutzen nicht eingesehen. Der Hof selbst, den das Glück einzig und allein erhalten, hat wichtige Fehler begangen, und im folgenden hat man gesehen, daß dieser oder jener Anhang sich mehr durch das Versehen der entgegengesetzten Partei als durch sein gutes Betragen erhalten hat.


260. Wichtige Folgen einiger Bündnisse

Glauben Sie aber deswegen nicht, mein Herr, als ob man sich vor den Bündnissen nicht zu fürchten habe. Ich könnte[528] Sie lange Zeit unterhalten, wenn ich Ihnen alle die herrlichen Unternehmungen erzählen wollte, die sie veranlaßt haben. Kam nicht der vortreffliche Sieg bei Lepanto von einem Bündnis her, das man gegen die Türken geschlossen hatte? Der Sultan achtet die Bündnisse nicht so gering, wie es uns sein Abgesandter mit der Fabel von einer Schlange, die viel Köpfe oder viel Schwänze hat, überreden wollte. Da es wegen der Liga am gefährlichsten aussah, bot der türkische Kaiser Heinrich IV. Hilfsvölker an, hauptsächlich darum, weil er vor dem Wort Liga einen natürlichen Abscheu hatte. Und woher kam dieser Abscheu? Weil seine Einbildungskraft bei Gelegenheit dieses Wortes ihm alle die Zurüstungen wieder vorstellte, welche man gegen ihn gemacht und mit diesem Namen belegt hatte. Diese verdrießliche Idee machte ihm alles dasjenige verhaßt, was diesen Namen führte, wie solches ein scharfsinniger Kopf432 in einer kleinen Abhandlung von dem Nutzen der Geschichte, die voller trefflicher Betrachtungen ist, anmerkt. Behielt nicht die Liga, von der ich geredet habe und die man in diesem Königreich gemacht hatte, um einen König, der ein Hugenotte war, von der Krone auszuschließen, die Oberhand? Diente sie nicht dazu, nicht allein die Macht Heinrichs des Dritten, sondern auch sogar Heinrichs des Großen, eines der größten Fürsten auf der Erden, zu schwächen? Mußte er nicht ihretwegen der Religion abschwören? Und würde er nicht außerdem ein flüchtiger König in seinem Königreich gewesen sein? Würde er nicht seine ganze Lebenszeit in demjenigen Zustand haben bleiben müssen, darin er vor Amiens gewesen und den er in einem Schreiben an den Marquis de Rosni433 mit folgenden Worten beschreibt: Ich will Ihnen wohl den Zustand entdecken, darein ich bin gebracht worden. Ich bin ganz nahe bei meinen feinden und habe fast nicht ein Pferd, auf dem ich streiten könnte, noch eine völlige Rüstung, die ich anlegen könnte. Meine Hemden sind alle zerrissen, ich trage ein Wams mit zerrissenen Ärmeln, meine Küche ist oft leer, und seit zwei Tagen speise ich bald bei diesem, bald bei jenem, weil nr="529"/> meine Küchenmeister sagen, es sei ihnen nicht mehr möglich, etwas auf meine Tafel zu schaffen, indem sie schon seit mehr als einem halben Jahr kein Geld erhalten. Indessen war diese Liga ein Mischmasch von tausenderlei unterschiedlichen Neigungen, und die Herren von Guise waren nicht einmal untereinander eines Sinnes. Thuanus434 wird Ihnen sagen, daß die Hinrichtung des Herzogs von Guise dadurch am meisten befördert worden ist, weil der Herzog von Maine, sein Bruder, dem Dornane die weit voraussehenden Absichten des Herzogs vertraut und demselben aufgetragen hat, Heinrich III. davon Nachricht zu geben. Diese beiden Brüder veruneinigten sich eines Frauenzimmers halber dergestalt, daß sie auf einer Wiese zum Degengriffen. Der Herzog von Maine aber dachte der Sache besser nach, und da er sah, daß er entweder seinen Bruder oder sein Bruder ihn niederstoßen könnte, so ließ er das Frauenzimmer fahren. Nach dem gewaltsamen Tod des Herzogs und des Kardinals hätte man meinen sollen, die Liga würde ein Ende nehmen, allein der Herzog von Maine erhielt sie doch, obgleich viele Personen, die ihre Absichten hatten, ihm zuwider waren, und Heinrich IV. mußte sich unterwerfen. Dieses ist desto merkwürdiger, weil dieser große König in Ansehung seines Naturells ungleich hurtiger war als der Herzog von Maine und in seinen Vergnügungen mehr Glück hatte als dieser. Denn da dieser arme Herzog aus seinen wichtigsten Verrichtungen sich in ein435 verdächtiges Wirtshaus hatte schleppen lassen, darin vier oder fünf gute Freunde von ihm mit liederlichen Weibspersonen sich lustig machten, so bekam es ihm so übel, daß er viele Wochen das Bett hüten mußte. Da er aber nicht Zeit genug hatte, solche Mittel zu brauchen, die das Übel aus dem Grund hätten heben können, so behielt er das Gift immer bei sich, das ihn noch träger, schwermütiger und verdrießlicher machte, und solchergestalt erstarrte in seiner Person die Lebhaftigkeit seiner ganzen Partei.

Wurden nicht überdies der Kaiser und der König in Spanien durch ein Bündnis genötigt, in den münsterischen[530] Friedensschluß zu willigen, dabei sie so vieles verschmerzen mußten? Und hätte Frankreich in Ansehung des Herzogs von Bayern nicht nachgegeben, würden sie nicht sein gezwungen worden, die Mitteilung des Kurfürstentums mit Schimpf und Schande zu widerrufen, welche zum Nachteil des Königs in Böhmen geschehen, der in ein Bündnis gegen das Haus Österreich getreten war? Um noch was Bündigeres zu sagen, wissen wir nicht, daß unser unüberwindlicher Monarch nichts geschont hat, um die letztere Liga zu trennen? Welches ein Zeichen ist, daß er sich vor ihr fürchtete. Seien Sie versichert, mein Herr, der Friede zu Niemägen 1678 wurde zu rechter Zeit geschlossen. Und hätte der Feind seine Bündnisse gehabt, so zweifle ich sehr, daß der Feldzug von 1679 und 1680 so glücklich würde gewesen sein wie die vorigen.

Die da sagen, Ihro Majestät habe Europa den Frieden geschenkt, haben mehr Grund, als sie vermeinen. Sie wollen nur so viel sagen, der König habe mit seinen Feinden Mitleid gehabt, die ihn um Friede gebeten, und habe ihnen denselben zum Nachteil der großen Siege bewilligt, die er hätte erhalten können, wenn er nur gewollt hätte. Soviel wollen sie zu verstehen geben, und das ist der einzige Grund, weswegen sie die Mäßigung des Siegers mit so herrlichen Lobsprüchen beehren. Es ist aber noch ein Grund, den diese Herren nicht sehen und den man doch leicht einsehen kann, weswegen man verbunden ist, den Niemägischen Frieden als ein königliches Werk anzusehen. Unter allen Potentaten, welche in Krieg verwickelt waren, wünschte niemand das Ende desselben, ohne allein Frankreich. Das Haus Österreich trennte die Unterhandlungen zu Köln auf eine sehr unhöfliche Art und bediente sich tausenderlei Weitläufigkeiten und tausenderlei Schwierigkeiten, um die Versammlung zu Niemägen zu verhindern. Frankreich aber, welches man müde machen wollte, war so geduldig, daß es tausend geringe Zwischenfälle überging, welche man von Tag zu Tag in den Weg legte. Wer hätte nicht gelaubt, daß der Friede nach dem Treffen bei St-Denys gänzlich gebrochen würde, wo der Prinz von[531] Oranien unsere Armee so beherzt und mit so wichtigem Vorteil angriff? Wer hätte gedacht, daß wir so viel Mäßigung und Kaltsinnigkeit bezeugen würden? Die Alliierten bildeten sich nichts weniger ein als dieses. Sie schmeichelten sich mit der Hoffnung, daß sie den Krieg, wie sie eifrig wünschten, würden fortsetzen, doch aber auch sagen können, Frankreich allein verhindere den Friedensschluß. Sie erstaunten recht, da sie erfuhren, daß, ungeachtet der erhaltenen Schlappe des Herrn von Luxemburg, alles dasjenige völlig bestehen sollte, was zu Niemägen geschlossen worden ist. Wo kam das anders her, mein Herr, als von der großen Begierde des Königs, das Bündnis zu trennen, gegen welches er seit langer Zeit den Krieg geführt hat? Anstatt daß dieses letztere Treffen diese Begierde hätte vermindern sollen, so verstärkte es dieselbe, weil es besser zu erkennen gab, wie nötig es sei, daß man nicht alle Jahre einen so tapferen und großen Feldherrn, wie der Prinz von Oranien war, auf der Grenze habe, und der, unerachtet ihm die Alliierten nicht zum besten beistanden, ja wohl gar öfters zuwider waren, dennoch zur Erhaltung von Flandern alle Unerschrockenheit und möglichste Wachsamkeit anwandte. Überlegen Sie nunmehr, ob man Bündnisse verachten darf. Da Seine Majestät dieselben gescheut haben, da sie nichts verabsäumen, um zu verhindern, daß mäh nicht etwa eines ihr zum Nachteil aufrichte, und da sie vielmehr bedacht ist, zu ihrem Vorteil Bündnisse zu schließen, so müssen sie doch wohl etwas zu bedeuten haben.


261. Daß man sich auf den gegenwärtigen Zustand der Sachen nicht verlassen muß

Was daher unsere Hoffnung erheben und stärken kann, das ist die Gelassenheit von Europa. Ich sage: die Gelassenheit; denn aus der Geduld, welche es merken läßt, kann man schließen, daß es völlig zufrieden ist, wie etwa Gott sein Schicksal verordnen werde, und daß es nicht[532] willens ist, sich in Bündnisse einzulassen. Aber auch dieses ist eine Sache, darauf man nicht lange bauen darf. Ich sage es noch einmal: Es darf nur ein geschickter und geschäftiger Geist sich finden, so können hundert verschiedene Völker veranlaßt werden, die Waffen zu ergreifen. Wer hätte sich eingebildet, daß, da ganz Europa sich vor dem Hause Österreich fürchtete, da der Rat unserer Könige voll solcher Leute war, die sich mit Geld bestechen ließen, ein junger Schüler in der Sorbonne wäre, welcher dieses große Reich untergraben und es mit so vielen Leuten in ein Handgemenge bringen würde, ja, daß es endlich den kürzeren ziehen würde? Dennoch ist es wahr gewesen, wie es sich an dem großen Kardinal Richelieu, eines der mächtigsten Geister in der Welt, ausgewiesen hat. Und was wissen wir, ob nicht zu der Stunde ein junger Herr noch in dem Schulstaub steckt, der bestimmt ist, eine Geißel für Frankreich abzugeben, bevor zwanzig Jahre verstreichen?


436Dii prohibete minus, Dii talem avertite casum,

Et placidi servate pios!

Ihr Götter gebt's nicht zu! Verhindert solchen Fall

Und schützt die Frömmigkeit.


262. Beschluß des Werkes

Hier bleibe ich stehen und wundere mich über mich selber, wenn ich meine Augen auf die übermäßige Weitläufigkeit dieser Schrift richte, noch mehr aber, wenn ich bedenke, was für ein wundersamer Mischmasch darinnen herrscht. Denn wovon habe ich nicht geredet? Was für eine seltsame Menge Gedanken habe ich aufeinandergehäuft, indem ich alles zusammengerafft habe, bald was ich in einem Buch gelesen, bald was ich in Gesellschaft erzählen gehört, bald was etwa mein geringer Vorrat mir an die gegeben. Sie werden in diesem Werk das unordentliche Wesen, welches sich in einer Stadt befindet, ganz leicht[533] bemerken. Weil man in einer Stadt zu verschiedener Zeit baut und bald an einem Ort, bald an einem anderen bessert, so sieht man oft ein kleines Haus bei einem großen, ein altes neben einem neuen stehen. So ist diese Menge verschiedener Gedanken zusammengekommen. Ich bin oft zurückgekehrt, damit ich bald hier, bald dort Zusätze machen möchte. Sie würden dieses schon von sich selber erraten, wenn Sie den ersten Entwurf dieser Schrift sehen sollten. Sie werden es aber desto besser empfinden, wenn Sie folgenden Entwurf untersuchen und sich danach zu richten belieben wollen. Ich bin auf die Gedanken geraten, es würde Ihnen bequemer fallen, mich zu lesen, wenn ich meine Schrift in verschiedene Abteilungen verteile, und daher habe ich diesen anderen Entwurf ohne Verzug ausgearbeitet. Ich habe noch unterschiedliche Sachen hinzugefügt, und ich hätte mehr dazu tun können, aber es ist besser, ich erwarte Ihre gelehrten Anmerkungen. Es soll mich nicht wundern, wenn Sie mir schuld geben, daß ich viele unausgearbeitete und übel verdaute Gedanken angebracht habe; denn ich kann Ihnen auf das aufrichtigste versichern, daß, da ich anfing, an Sie zu schreiben, ich nicht wußte, was ich Ihnen auf dem dritten Blatt sagen würde, und daß fast alles, was ich Ihnen gesagt habe, mir während des Schreibens eingefallen ist, ohne daß ich in meinem Leben daran nur gedacht gehabt. Unerachtet ich aber Sie gleich anfangs zu diesem unordentlichen Mischmasch der Gedanken vorbereitet habe, so versichere ich Sie doch, daß ich nicht glaubte, daß ich mein Wort so gut würde halten können, wie ich es getan habe. Vielleicht geschieht Ihnen ein Gefallen, wenn ich zeige, wie dieses Werk aussehen würde, wenn man die Abschweifungen davon wegließe. Richten Sie Ihre Augen auf das, was jetzt folgt, so werden Sie sehen, daß ich so höflich gewesen und aus Liebe zu Ihnen diesen Auszug gemacht habe.


263. Kurzer Entwurf des ganzen Werkes

[534] Um meine ganze Streitschrift ins kurze zu ziehen, so sage ich, daß, wenn die Kometen einige Unglücksfälle vorbedeuten sollten, solches geschehen müßte, entweder weil sie die wirkende Ursache dieser unglücklichen Begebenheiten oder ein Zeichen derselben sind. Niemand wird solches in Zweifel ziehen können.

Nun aber geschieht solches nicht, weil sie weder die wirkende Ursache dieser Unglücksfälle noch derselben Zeichen sind. Den Schlußsatz wird man leicht daraus ziehen können, sofern ich die zwei Teile dieses Satzes erwiesen habe. Den ersten Teil erweise ich mit vier Gründen:

1. Weil, wenn man behauptet, daß die Kometen die wirkende Ursache der Kriege, der neuen Religionen, die entstehen, der Verschwörungen und anderer Verderbnisse der Gesellschaft sind, welche von dem freien Willen des Menschen und von der Zusammenkunft tausend zufälliger Dinge abhängen, solches nicht allein eine Ketzerei, sondern auch die allergrößte Ungereimtheit ist, wie ich gezeigt habe.

2. Weil man keinen Grund aus der Vernunft a priori hat, wie die Weltweisen zu reden pflegen, daraus man erweisen kann, daß die Kometen die Kraft haben, physikalischerweise Hunger, Sterben und dergleichen zu verursachen.

3. Weil es falsch ist, daß man es mit Gründen a posteriori, das ist mit Beweisen aus der Erfahrung hergenommen, bestärken könne. Denn aufs höchste läuft alles, was sich hierinnen aus der Erfahrung erweisen läßt, dahin: Man habe allemal, sooft Kometen erschienen sind, wahrgenommen, daß sich große Unglücksfälle in der Welt ereignet haben. Dieses aber kann ebensowenig erweisen, daß die Kometen diese Unglücksfälle verursachen, wie wenn man sagen wollte, der Ausgang eines Mannes aus einem Hause sei Ursache, warum so viele Leute den ganzen Tag über die Gasse gegangen sind. Mit einem Wort: Es ist ein elender[535] Schluß, wenn man folgert, zwei Dinge würden voneinander verursacht, weil sie beständig aufeinander folgen. Der Niederfall eines Steines, den man in die Luft geworfen, folgt beständig und notwendigerweise auf die Wirkung desjenigen, der ihn in die Höhe geworfen hat, und dennoch ist diese Wirkung nicht die wirkende Ursache des Falles dieses Steines. Noch mehr: Die Erfahrung erweist nicht einmal, daß man nach Erscheinen der Kometen mehr Unglück als zu einer anderen Zeit gesehen hat, und das Gegenteil behaupten, ist schlechterdings ein Betrug und eine Unwissenheit dessen, was vorgeht. Man darf nur die Jahrbücher der Welt ohne Vorurteil zu Rate ziehen, so wird man von dem, was ich sage, überzeugt werden.

4. Weil, wenn die Kometen die Kraft hätten, Pest und Hungersnot zu verursachen, und solches Ursachen wären, die notwendig und ohne Ansehen der Person wirkten, sie ja alle Teile der Welt, welche sie durchstreichen oder denen sie sichtbar werden, wenn sie die Welt umlaufen, verheeren müßten, welches aber falsch ist. Sagt man, sie fänden nicht überall die erforderliche Einrichtung zum Hervorbringen dieser Wirkungen, so antworte ich, daß sie daher nichts Gewisses vorbedeuten können. Weiß man denn, wenn man sie sieht, ob irgendwo in der Welt ein Ort so eingerichtet ist, wie die Kometen es verlangen? Man hat nicht Grund zu glauben, sie warteten so lange mit ihrer Erscheinung, bis die Ursachen, welche mit ihren Einflüssen zugleich wirken sollen, in irgendeinem Teil der Welt fertig wären.

Der andere Teil des Satzes, nämlich daß die Kometen nicht deswegen Unglücksfälle vorbedeuten, weil sie etwa Zeichen dieser Unglücksfälle abgeben, läßt sich durch folgende Gründe erweisen:

1. Weil die Kometen weder ein natürliches noch geordnetes Zeichen einiger Unglücksfälle sein können. Denn wenn sie ein natürliches Zeichen einiger Unglücksfälle wären, so müßten sie entweder die natürliche Ursache derselben sein, und daß dieses falsch sei, haben wir[536] erwiesen, oder es müßte wenigstens eine notwendige Verknüpfung zwischen den Kometen und diesen Unglücksfällen stattfinden, welches ebenfalls nicht wahr ist, weil die Erfahrung als das einzige Mittel, diese vermeintliche Verknüpfung gegen alle Gründe, die sie bestreiten, zu behaupten, nichts weniger als das erweist. Jedermann kann sich leicht davon überführen und zugleich durch dieses Mittel erfahren, wie wenig man Ursache habe, sich der Vernunft zu rühmen, die wir so wenig brauchen, daß fast alle Menschen einer gewissen Meinung zugetan sind, davon sie keine Gründe angeben können, weder ob die Sache sein kann noch auch, daß sie wirklich ist. Daß die Kometen kein geordnetes Zeichen gewisser Unglücksfälle sind, erhellt von sich selber, indem uns Gott nicht geoffenbart, wie er es in Ansehung des Regenbogens getan, daß er am Himmel wolle Kometen leuchten lassen, um uns seiner Gerichte halber im vor aus zu warnen.

2. Weil, wenn die Kometen ein gewisses von natürlichen und geordneten Zeichen unterschiedenes Zeichen verschiedener Unglücksfälle sein sollten, Gott ihnen in Ermangelung einer ausdrücklichen Offenbarung gewisse ganz besondere Merkmale eindrücken müßte, die sie bedeutend machten und das Urteil derjenigen rechtfertigten, welche behaupten, daß es schlimme Vorbedeutungen sind, und welche denjenigen alle Entschuldigungen benähmen, die davon nichts glauben. Nun aber hat Gott das nicht getan. Er hat im Gegenteil dieselben aller wahren Merkmale eines bedeutenden Wunderzeichens dergestalt beraubt, daß es scheint, als ob er unserer natürlichen Leichtgläubigkeit habe zuvorkommen wollen. Er hat sie der Botmäßigkeit der Sonne unterworfen, welche den Stand ihres Schweifes verändert, wie sie bei dem geringsten Wölkchen zu tun pflegt, imgleichen der Botmäßigkeit der Nebel oder der Wolken, welche uns den Anblick derselben die halbe Zeit über rauben. Er gibt ihnen zuweilen eine Bewegung, dadurch er sie stracks zur Sonne bringt, wo sie unsichtbar werden. Er gibt ihnen auch manchmal eine so geringe Größe oder eine solche Größe, daß sie von niemanden gesehen[537] werden, ausgenommen von irgendeinem Sternseher, der alle Nächte mit einem guten Fernglas die Sterne betrachtet und dabei Frost und Kälte aussteht. Überdies läßt er sie so oft erscheinen und so lange Zeit am Himmel stehen, als ob wir sie gewohnt werden sollten und als ob er uns die Erlaubnis gäbe, ihre Bahn auszuspüren. Überhaupt aber gibt er ihnen ein Merkmal der Allgemeinheit, welches allein zulänglich ist, ihnen die Eigenschaft eines Zeichens zu nehmen; denn da Gott niemals den Vorsatz gehabt hat, die ganze Erdfläche auf einmal mit einer entsetzlichen Überschwemmung außerordentlicher Übel zu bedecken, so hat er auch unfehlbar niemals Zeichen eines solchen Vorsatzes hervorgebracht. Indessen müßten doch die Kometen unter die Klasse dieser Zeichen gehören, wenn sie wirklich Zeichen wären, weil sie durchgehend die ganze Welt bedrohen, und daraus erhellt klar, daß, wenn die Menschen ihre Vernunft brauchten, sie begreifen würden, daß solches keineswegs Drohungen sind, weil es unwahrscheinlich ist, daß alle Völker, welche die Kometen sehen, unglücklich sein sollten, und weil die Ordnung, welche allemal in der Welt beobachtet worden ist, erfordert, daß, wenn eine Nation zugrunde geht, die andere vom Raub derselben zu Kräften kommt. Überdies will Gott seine Gerichte in den Jahren, welche kurz auf das Erscheinen der Kometen folgen, nicht mehr ergehen lassen als zu anderen Zeiten, welches doch ein Umstand ist, ohne welchen die Kometen unmöglich ein gegründetes Recht haben können, zukünftige Übel vorzubedeuten. Es kann wohl sein, daß eine Nation zu dieser Zeit unglücklicher ist als zu einer anderen, wie es Frankreich widerfuhr, als unter Heinrich III. und mit Antritt der Regierung seines Nachfolgers so viele Kometen sich sehen ließen. Allein, es folgt nicht daraus, daß alle Nationen zusammengenommen mehr Unglück auszustehen gehabt haben; es wäre denn, daß man nach der Vernunft jener kleinen Geister folgern wollte, die das Schicksal aller Dinge nach dem Schicksal des kleinen Stückes Landes, das ihnen bekannt ist, abmessen, und die allemal,[538] wenn es in ihrem Dorf hagelt, bereit sind auszurufen: Solange die Welt Welt sei, habe man nicht ein unglücklicheres, schrecklicheres und betrübteres Jahr erlebt. Man betrachte einmal den Zustand, darin sich Spanien unter den Kometen befand, welche, wie man sagt, unsere Bürgerkriege verursachten. Man wird sehen, daß es zu seinen weitläufigen Monarchien Portugal und Ostindien hinzugefügt hat, daß das Glück es mit Vorteilen überschüttet und daß man gesagt hat, der König regiere mit seiner Feder die ganze Welt.

3. Weil, wenn die Kometen, unerachtet alles dessen, was gesagt worden, dennoch Zeichen wären, sie ein von Gott durch ein Wunderwerk hervorgebrachtes Zeichen sein müßten, um allen Menschen anzubefehlen, daß sie sich in den Stand setzen sollten, den Zorn des Himmels auszusöhnen, das ist, Gott müßte Wunder getan haben und noch tun, um hunderttausend abgöttische Handlungen zu veranlassen, welches ohne Gotteslästerung nicht kann gesagt werden.

Nachdem ich nun die zwei Teile meines Satzes erwiesen und dargetan habe, daß die Kometen dasjenige nicht sind, was man sich von ihnen einbildet, so schließe ich, mein Herr, daß es Körper sind, die ebenso alt sind, wie die Welt ist, die vermöge der Gesetze der Bewegung, nach welchen Gott die ungeheure Maschine der Welt regiert, bestimmt sind, von Zeit zu Zeit unserem Gesicht nahe zu kommen und uns das Sonnenlicht dergestalt gebrochen zuzusenden, daß wir einen langen Schweif von Strahlen entweder vorne an der Spitze oder von hinten gewahr werden, worüber man die Herren der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Rate ziehen kann. Übrigens ist ihr Übergang in unsere Welt von keiner Folge, weder im guten noch bösen, nicht mehr, als wenn ein Indianer eine Reise nach Europa tut. Indessen steht es jedem frei, nach den Bewegungen seiner Frömmigkeit bei dem Anblick dieser Erscheinung sich zu ängstigen, wie er will.

Sie werden bei diesem Schluß ein leichtes Mittel finden, die Einsicht der Weltweisheit mit dem Licht des Gewissens[539] zu vereinigen. Ich unterwerfe diese ganze Schrift Dero Einsicht; und ob ich mir's gleich zutraue, auf die Einwürfe zu antworten, die Sie mir machen werden, so erkenne ich Sie dennoch für meinen Meister und Lehrer. Ich bin usf.

Den II. Oktober 1681[540]


Quelle:
Pierre Bayle: Verschiedene einem Doktor der Sorbonne mitgeteilte Gedanken über den Kometen, der im Monat Dezember 1680 erschienen ist. Leipzig 1975.
Lizenz:

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon