IX. Geruch und Gehör in Verbindung.

[64] 1. So wie diese Sinne gesondert unserer Statue nicht die Vorstellung von etwas Aeusserem geben, werden sie ihr dieselbe eben so wenig nach ihrer Vereinigung geben.[64] Sie wird nicht auf die Vermuthung kommen, dass sie zwei verschiedene Organe habe.

2. Wenn sie gleich im ersten Augenblicke ihres Daseins Töne hört und Düfte riecht, so wird sie noch nicht zwei Daseinsweisen in sich zu unterscheiden vermögen. Die Töne und Gerüche werden zusammenfliessen, als wenn sie nur eine einfache Wandlung wären; denn wir haben oben beobachtet, dass sie bei ihren Sinneserregungen nur die Vorstellungen unterscheidet, die sie einzeln zu bemerken Gelegenheit gehabt hat.

3. Hat sie jedoch die Gehörsempfindungen von denen des Geruchs gesondert betrachtet, so wird sie dieselben zu unterscheiden im Stande sein, wenn sie sie zusammen erfährt; denn vorausgesetzt, dass die Lust am Genusse der einen sie nicht völlig von der Lust am Genusse der andern abwendet, so wird sie sich besinnen, dass sie, was sie nach einander gewesen, jetzt zugleich ist. Diese Empfindungen sind nicht von Natur geneigt, wie zwei Düfte zusammenzufliessen; sie sind zu verschieden, um nicht in der Erinnerung, die von jeder übrig ist, geschieden zu werden. Dem Gedächtniss also verdankt die Statue den Vortheil, die Eindrücke zu unterscheiden, die ihr durch verschiedene Organe zugleich übermittelt worden sind.

4. Nunmehr scheint es ihr, dass ihr Wesen zunimmt und ein doppeltes Dasein gewinnt. Eine grosse Veränderung also in ihren gewohnheitsmässigen Urtheilen! Denn vor der Vereinigung des Gehörs mit dem Geruche hatte sie gar nicht daran gedacht, dass sie zugleich auf zwei so verschiedene Weisen dasein könne.

5. Augenscheinlich wird sie dieselben Fähigkeiten erwerben, als da sie diese zwei Sinne einzeln hatte. Ihr Gedächtniss wird insofern gewinnen, als die Kette der Vorstellungen mannichfaltiger und ausgedehnter wird. Bald wird ihr ein Ton eine Reihe Düfte zurückrufen, bald ein Duft eine Reihe Töne. Man muss je doch beachten, dass diese zwei Arten der Empfindungen, wenn sie vereinigt sind, demselben Gesetze unterliegen, wie vor ihrer Vereinigung, dass nämlich die lebhaftesten die anderen zuweilen in Vergessenheit bringen und es verhindern können, dass sie gerade in dem Augenblick, wo sie stattfinden, beachtet werden.

6. Auch scheint mir, dass die Statue mehr abstrakte[65] Vorstellungen haben kann, als mit einem einzigen Sinne. Sie kennt im Allgemeinen nur zwei Daseinsweisen, eine angenehme und eine unangenehme; aber jetzt, wo sie die Töne von den Düften unterscheidet, kann sie nicht umhin, sie für zwei Wandlungsarten anzusehen. Vielleicht erscheint ihr auch das Geräusch so verschieden von den harmonischen Tönen, dass sie, wenn man ihr begreiflich machen könnte, ihre Empfindungen würden ihr durch Organe übermittelt, leicht denken könnte, sie habe drei Sinne, einen für Düfte, einen andern für Geräusch und einen dritten für harmonische Töne.

Quelle:
Condillac's Abhandlung über die Empfindungen. Berlin 1870, S. 64-66.
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