Grundsätze (Axiome) oder Gemein-Begriffe.

[134] 1. Es giebt keine Sache, von der man nicht fragen kann, was die Ursache ihres Daseins ist. Denn selbst bei Gott kann man das fragen, nicht weil er eine Ursache zu seinem Dasein bedürfte, sondern weil die Unendlichkeit seiner Natur die Ursache oder der Grund ist, weshalb er keiner Ursache zu seinem Dasein bedarf.

2. Die gegenwärtige Zeit hängt nicht von der vorhergegangenen ab; deshalb bedarf es keiner geringeren Ursache zur Erhaltung einer Sache als zu ihrer ersten Hervorbringung.[134]

3. Keine wirklich bestehende Sache und Vollkommenheit[135] einer Sache kann das Nichts oder eine nicht seiende Sache zur Ursache ihres Daseins haben.

4. Alles, was an Realität oder Vollkommenheit in einer Sache ist, ist formal oder in höherem Maasse (eminenter) in dessen erster und zureichender Ursache.

5. Hieraus folgt auch, dass die gegenständliche Realität unserer Vorstellungen eine Ursache verlangt, in welcher diese Realität nicht blos gegenständlich, sondern formal oder in höherem Maasse enthalten ist. Man halte fest, dass dieser Grundsatz so nothwendig anzunehmen ist, dass von ihm allein die Erkenntniss aller sinnlichen wie unsinnlichen Dinge abhängt. Woher wissen wir z.B., dass ein Himmel ist? Etwa weil wir ihn sehen? Aber dieses Sehen trifft die Seele nur als Vorstellung; ich sage, als eine der Seele innewohnende Vorstellung, und Dicht als ein Bild, was in der Phantasie abgezeichnet ist. Und von dieser Vorstellung kann man nur schliessen, dass der Himmel besteht, weit jede Vorstellung für ihre gegenständliche; Realität eine wirklich bestellende zur Ursache haben[136] muss, für welche Ursache wir den Himmel selbst annehmen, und dasselbe gilt für alles Andere.

6. Es giebt verschiedene Grade der Realität oder des Seins. Denn die Substanz enthält mehr Realität als das Accidenz oder der Zustand, und eine unendliche Substanz mehr als eine endliche. Deshalb ist auch mehr gegenständliche Realität in der Vorstellung der Substanz als in der des Accidenz, und mehr in einer unendlichen als endlichen Substanz.[137]

7. Der Wille eines denkenden Wesens bestimmt sich zwar willkürlich und freiwillig (denn dies gehört zu dem Wesen des Willens), aber dennoch untrüglich zu dem ihm als gut Bekannten. Wenn es daher Vollkommenheiten kennen lernt, die ihm fehlen, so wird es sich sofort dieselben geben, wenn sie in seiner Macht sind.

8. Wer das Schwerere oder Grössere bewirken kann, kann auch das Geringere bewirken.

9. Das Schaffen und Erhalten der Substanz ist grösser als das der Attribute und Eigenschaften der Substanz;[138] aber das Schaffen desselben ist nicht grösser als das Erhalten, wie schon bemerkt worden ist.

10. In der Vorstellung oder dem Begriffe jeder Sache ist das Sein enthalten, weil man etwas nur als seiend auffassen kann. In dem Begriffe einer beschränkten Sache ist dieses Sein als möglich oder zufällig enthalten, in dem Begriffe eines vollkommensten Wesens aber als nothwendig und vollkommen.

Quelle:
René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 134-139.
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