Die Antinomien in der Vorstellung Gottes nach seinen Eigenschaften

[286] Eine zweite Klasse von Antinomien entspringt, indem die religiösen Erfahrungen, wie sie der Gottesidee zugrunde liegen, in einem Vorstellungszusammenhang ausgedrückt werden. Die Idee Gottes muß in die Ordnung der Vorstellungen eintreten, in welcher auch unser Selbst Und die Welt ihren Platz haben, und doch kann den Anforderungen, welche an diese Idee das religiöse Leben stellt, kein System im[286] Vorstellen entworfener Formeln entsprechen. Zwischen der Idee Gottes, wie sie in der religiösen Erfahrung gegeben ist, und den Bedingungen des Vorstellens besteht eine innere Heterogeneität, und diese bringt die Antinomie in der Vorstellung des höchsten Wesens hervor. Der Nachweis dieses Tatbestandes liegt zunächst in der Darlegung der fruchtlosen Verstandesarbeit, welche seit dem Mittelalter vollbracht worden ist, und wird später durch psychologische Betrachtung ergänzt werden können.

Das gesamte Mittelalter ringt auch mit dieser zweiten Klasse von Antinomien, und eine vergleichende Betrachtung kann dieselben durch die theologische Metaphysik des Judentums, des Christentums und des Islam hindurch verfolgen. – Und zwar findet eine Antinomie statt zwischen der Idee Gottes und ihrer Darstellung in den Formeln des Vorstellens durch Eigenschaften. Die Thesis wird durch die Aussagen über Eigenschaften Gottes gebildet, diese Aussagen sind innerhalb des Vorstellens notwendig, und werden sie aufgehoben, so wird die Vorstellung Gottes selber mit ihnen aufgehoben. Die Antithesis besteht in den Sätzen: da in Gott Subjekt und Prädikat nicht gesondert sind, Eigenschaften Gottes aber Prädikate desselben sein würden, so müssen Gott Eigenschaften abgesprochen werden; da Gott einfach ist, die Verschiedenheit der Eigenschaften aber in ihm ein Mehrfaches setzen würde, so können auch aus diesem Grunde von Gott Eigenschaften nicht ausgesagt werden; und da Gott Vollkommenheit ist, jede Eigenschaft aber ein Begrenztes ausdrücken würde, so ergibt sich noch einmal die Unangemessenheit der Annahme von Eigenschaften Gottes.283 – Eine Reihe anderer Antinomien entsteht durch die Beziehungen, welche inhaltlich zwischen den einzelnen Bestandteilen der Vorstellung Gottes auftreten. Unser Vorstellen Gottes in seiner Beziehung zur Welt und uns selber ist an die Bedingungen räumlicher und zeitlicher Beziehungen gebunden, unter welchen die Welt und wir selber stehen, aber die Idee Gottes schließt räumliche und zeitliche Bestimmungen aus. Unser religiöses Leben besitzt Gott als einen Willen, wir können jedoch einen Willen nur als Person und diese nur als von anderen Personen eingeschränkt vorstellen. Endlich ist die unbedingte Kausalität Gottes d.h. seine Allmacht, welche auch die Ursache der Übel in der Welt ist, mit dem[287] sittlichen Ideal in ihm d.h. seiner Güte in Widerspruch, und so entspringt das unauflösbare Problem der Theodizee.284

Auch diese ganze Klasse von Antinomien ist, wie die früher behandelten, mit dem religiösen Vorstellen zugleich gegeben und wird schon bei der Arbeit, es in Formeln auszudrücken, empfunden sowie aufzulösen versucht. Augustinus hat mit der ihm eigenen Energie des Ausdruckes dies Antinomische der Gottesvorstellung ausgesprochen: »groß ohne quantitative Bestimmung, allgegenwärtig ohne einen Ort einzunehmen, Kausalität der Veränderungen ohne Veränderung in sich usw.«285 Das Bewußtsem dieser Widersprüche tritt im Islam bei den Mutaziliten in großer Klarheit auf und hat sie zur Leugnung der Eigenschaften Gottes geführt.286 Ja von einem Mitglied dieser Schule, welches freilich in der Aufhebung von Eigenschaften in Gott weiter ging als die anderen, wurde Gott das Wissen abgesprochen; denn entweder hätte dasselbe Gott zum Gegenstande, wodurch dann in Gott eine Trennung von Wissendem und Gewußtem, sonach die Aufhebung seiner vollen vom Islam so streng gefaßten Einheit gesetzt würde, oder es hätte einen Gegen stand außer ihm, und dann wäre Gott in Rücksicht dieser seiner Eigenschaft von der Existenz dieses Gegenstandes außer ihm bedingt.287 Dann stellten die Mutaziliten die Örtlichkeit Gottes, wie sie dem Vorstellen unvermeidlich ist, ja überhaupt die dem Vorstellen anhaftenden sinnlichen Züge in Frage.288 Und die arabischen Philosophen schlossen: Jede Vorstellung vollzieht sich in der Unterscheidung eines Subjektes, das erkannt werden soll, von Prädikaten, durch welche erkannt werden soll; aber ein Unterschied eines Trägers von Eigenschaften und dieser Eigenschaften selber, einer Substanz und der Attribute, wie er damit eintreten würde, hebt die Einfachheit Gottes auf289, sonach ist das Wesen Gottes unerkennbar.[288] Mit den Sekten des Islam finden wir dann die christlichen Theologen des frühen Mittelalters auch in bezug auf diese Antinomie in einer merkwürdigen Übereinstimmung. Scotus Eriugena und Abälard zeigen die Unmöglichkeit jeder angemessenen Aussage über Gott; da eine solche aus Begriffen bestehen würde, diese aber nur zur Bezeichnung der relativen und endlichen Dinge gefunden sind; da sie unter Kategorien stehen würde, aber selbst die Kategorie der Substanz Akzidenzien von sich ausschließt, also Gott begrenzt; da sie aus Begriffen zusammensetzen würde, Gott aber einfach ist; da sie endlich im Zeitwort eine Bewegung einschließen würde, Gott aber jenseit des Gegensatzes von Bewegung und Ruhe ist.290

Mit dieser Kritik der Eigenschaften Gottes verband sich früh Nachdenken über den Ursprung unserer Begriffe von ihnen, und dieses führte ebenfalls zu negativen Ergebnissen. Einsicht in den Ursprung der Bestimmungen über Gott mußte eine Entscheidung letzter Instanz darüber gewähren, welcher Erkenntniswert diesen Bestimmungen zukomme. Die Theologie der Araber unterschied relative und negative Attribute Gottes, die jüdische sonderte mit einer nicht erheblichen Abweichung zuweilen auch solche der Tätigkeit291 und die christliche Theologie stellte, einer schon im zweiten Jahrhundert und von da an oft bei den Neuplatonikern auftretenden Unterscheidung folgend292, die »drei Wege« nebeneinander, auf welchen man zu den Eigenschaften Gottes gelangt: viam eminentiae, causalitatis und remotionis oder, wie dieser dann häufiger genannt wurde, negationis.293 Die letztere Unterscheidung kann sich gegenüber der Zweiteilung der Methoden, zu der Idee Gottes aufzusteigen, nicht behaupten; hat doch die Einschränkung nur ihre andere Seite an der Verneinung, sonach kann die via eminentiae von der via negationis nicht getrennt werden. Führt man, sie berichtigend, die Eigenschaften Gottes auf solche zurück, in welchen die Verneinung das Endliche an dem religiösen Ideal auf hebt, und solche, in denen Gott durch sein schaffendes Weltwirken vorstellig gemacht wird: alsdann leitet auch diese Untersuchung des Ursprungs der Vorstellungen von Eigenschaften Gottes auf die Erkenntnis ihrer Unangemessenheit. Denn wo ist dann die Grenze im Vorgang[289] der Aufhebung ? und wo ist dann das Recht, von dem, was wir an der Welt gewahren, auf die Beschaffenheit ihrer Ursache zu schließen, da diese Ursache der Welt ganz heterogen sein kann?

So endigt die Arbeit des Mittelalters, das Wesen Gottes durch seine Eigenschaften bestimmen zu wollen, mit der gründlichen Einsicht in die Unangemessenheit dieser Vorstellung über Gott an das religiöse Ideal. Jede Ausflucht ist auch hier vergeblich. Die Aufgabe ist unlösbar, den Gehalt des Ideals in uns festzuhalten und doch menschliche, endliche Form und Mannigfaltigkeit aufzuheben. Spinozas hartes Wort in bezug auf jeden solchen Versuch, Intellekt und Wille Gottes seien dem unsrigen nicht ähnlicher, als das Gestirn des Hundes dem bellenden Tiere, entwickelt nur Sätze der Theologie des Judentums. So erklärt Abraham ben David: »Der Wille Gottes ist von dem unsrigen spezifisch verschieden; denn unser Wille gründet sich auf ein Begehren, und dieses besteht in dem Wunsche, etwas zu besitzen was man nicht hat. Gott aber bedarf nichts, sondern alle Dinge bedürfen seiner, und sein Wille ist dem Zwecke nach gerade das Entgegengesetzte von dem, was wir uns unter unserem Willen vorstellen.«294 Und Maimuni geht bis zu der Frage: »Findet denn zwischen unserem und Gottes Wissen eine andere Gleichheit als die des Namens statt?«295 Wenn in bezug auf eine weitere Schwierigkeit Kirchenväter und Scholastiker erklären, die Eigenschaften in Gott seien untereinander identisch296 so ist diese Identität des Unterschiedenen ein hölzernes Eisen. Wenn Thomas sagt, daß das Mehrfache der Eigenschaften, durch welche wir Gott erkennen, in der Abspiegelung Gottes in der Welt sowie in der Auffassung vermittels unseres Intellektes gegründet sei, und nun im Zusammenhang seiner theologischen Metaphysik die mannigfaltige Vollkommenheit der Kreaturen in dem einfachen Wesen Gottes enthalten gedacht werden soll: dann wird anerkannt, daß jeder Ausdruck nur inadäquat sei, ja der Ergänzung durch die anderen bedürfe, und doch wird nicht auf Erkenntnis Gottes verzichtet.297 Hebt Thomas tiefblickend hervor, daß der Inhalt der Aussage nicht abhängig von der Art sei, wie wir aussagen, sonach durch die Unterscheidung im Satze kein Unterschied in Gott gesetzt werde298: so ergibt sich hieraus um so klarer die Unmöglichkeit,[290] den durch Unterscheidung aufgefaßten Inhalt einfach vorzustellen. So führt keine Distinktion der mittelalterlichen theologischen Metaphysik über die nur symbolische Bedeutung der Gottesvorstellung hinaus: damit ist aber eine dem Gegenstande entsprechende Erkenntnis der Eigenschaften Gottes aufgegeben, und alle endlichen relativen Bestimmungen behalten nur den Sinn einer Bilderschrift für das Über-Endliche und über alle Relationen Hinausreichende.299

283

Die Thesis wird so oft ausgesprochen, daß Belege überflüssig sind, die Antithesis ging besonders aus der neuplatonischen Schule vermittels des Areopagiten Dionysius auf Scotus Eriugena und andere ältere mittelalterliche Schriftsteller über, vgl. Scotus Eriugena de divisione I, c. 15 ff. p. 463 B, c. 73 ff. p. 518 A. Abälard, theolog. christ, lib. III, p. 1241 B ff. Anselm, Monolog, c. 17 P. 166 A. – Die Antinomie wird aus dem älteren Material sehr klar formuliert von Thomas, summa theol. p. I, quaest. 13 art. 12.

284

Vgl. neben den nachfolgenden Stellen Abälard, Sic et non c. 31-38 p. 1389 C ff.

285

Augustinus de trinitate V, c. I: ut sic intelligamus Deum, si possumus, quantum possamus, sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, sine indigentia creatorem, sine situ praesidentem, sine habitu omnia continentem, sine loco ubique totum, sine tempore sempiternum, sine ulla sui mutatione mutabilia facientem...

286

Schahrastani I, 13: »Die Mutazila übertreiben aber bei der Behauptung der Einheit so viel, daß sie durch die Bestreitung der Eigenschaften zur gänzlichen Leermachung gelangen.«

287

So berichtet mit lebhaftem Ausdruck der Mißbilligung Schahrastani I. 69 f.

288

Vgl. die Auseinandersetzung des Ibn Roschd mit den Mutazila hierüber in der »Abhandlung über die Gegend« in seiner spekulativen Dogmatik, Philosophie und Theologie S. 62 ff. und Schahrastani I, 43.

289

Averroes' Philosophie und Theologie S. 53 f.; die entsprechende Darlegung Maimunis bei Kaufmann, Geschichte der Attributenlehre S. 431 ff. Nach dieser kann nur Gottes Existenz erkannt werden, aber nicht seine Essenz, da sich der Begriff jedes Gegenstandes aus Gattung und artbildendem Unterschied zusammensetzt, diese aber für Gott nicht existieren; ebenso sind Akzidenzien von Gott ausgeschlossen.

290

Vgl. S. 287 Anm. I.

291

Die Zweiteilung bei Maimuni I, c. 58 (Munk, Le guide des égarés I, 245); wogegen Jehuda Halevi eine Dreiteilung anwendet, die freilich sehr unvollkommen ist, vgl. Kaufmann, Attributenlehre S. 141 ff., ebenso Kusari (übers. von Cassel) S. 65 ff.; der arab. ähnlich die Zweiteilung in Emunah Ramah von Abraham ben David (übers. von Weil) S. 65 ff.

292

Freudenthal, Hellenistische Studien III, 285 f.

293

Durandus in Lombardi I, dist. 3 p. 1 qu. 1: triplex est via investigandi Deum ex creaturis: scilicet via eminentae, quantum ad primuni; via causalitatis, quantum ad secundum; via remotionis, quantum ad tertium.

294

Emunah Ramah übers. von Weil S. 70.

295

Maimuni, More Nebochim übers. von Scheyer Bd. III, 130.

296

So schon bei Augustinus de trinitate VI, c. 7: Deus multipliciter quidem dicitur magnus, bonus, sapiens, beatus, verus: sed eadem magnitudo ejus est, quae sapientia etc.

297

Die widerspruchsvolle Stellung des Thomas in dieser Frage tritt am deutlichsten hervor in der summa theol. p. I, quaest. 3 und quaest. 13, sowie in der Schrift contra gentiles I, c. 31-36; vgl. besonders in der ersteren Schrift quaest. 13 art. 12.

298

Contra gentil. I, c. 36. Summa theol. p. I, quaest. 13 art. 12.

299

Occam, quodlibeta septem III, quaest. 2: attributa (divina) non sunt nisi quaedam praedicabilia mentalia, vocalia vel scripta, nata significare et supponere pro Deo, quae possunt naturali ratione investigari et concludi de Deo.

Quelle:
Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften. Band 1, Leipzig u.a. 1914 ff, S. 286-291.
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