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[98] Griechen wie Pelasger und andre stammverwandte Völker waren schon seit vorgeschichtlicher Zeit geordnet nach derselben organischen Reihe wie die Amerikaner: Gens, Phratrie, Stamm, Bund von Stämmen. Die Phratrie konnte fehlen wie bei den Doriern, der Bund von Stämmen brauchte noch nicht überall ausgebildet zu sein, aber in allen Fällen war die Gens die Einheit. Zur Zeit, wo die Griechen in die Geschichte eintreten, stehn sie an der Schwelle der Zivilisation; zwischen ihnen und den amerikanischen Stämmen, von denen oben die Rede war, liegen fast zwei ganze große Entwicklungsperioden, um welche die Griechen der Heroenzeit den Irokesen voraus sind. Die Gens der Griechen ist daher auch keineswegs mehr die archaische der Irokesen, der Stempel der Gruppenehe fängt an, sich bedeutend zu verwischen. Das Mutterrecht ist dem Vaterrecht gewichen; damit hat der aufkommende Privatreichtum seine erste Bresche in die Gentilverfassung gelegt. Eine zweite Bresche war natürliche Folge der ersten: Da nach Einführung des Vaterrechts das Vermögen einer reichen Erbin durch ihre Heirat an ihren Mann, also in eine andre Gens gekommen wäre, durchbrach man die Grundlage alles Gentilrechts, und erlaubte nicht nur, sondern gebot in diesem Fall, daß das Mädchen innerhalb der Gens heiratete, um dieser das Vermögen zu erhalten.
Nach Grotes griechischer Geschichte wurde speziell die athenische Gens zusammengehalten durch:
1. Gemeinsame religiöse Feierlichkeiten und ausschließliches Recht des Priestertums zu Ehren eines bestimmten Gottes, des angeblichen Stammvaters der Gens, der in dieser Eigenschaft durch einen besondern Beinamen bezeichnet wurde.
2. Gemeinsamen Begräbnisplatz (vgl. Demosthenes' »Eubulides«).[98]
3. Gegenseitiges Beerbungsrecht.
4. Gegenseitige Verpflichtung zu Hülfe, Schutz und Unterstützung bei Vergewaltigung.
5. Gegenseitiges Recht und Verpflichtung zur Heirat in der Gens in gewissen Fällen, besonders wo es Waisentöchter oder Erbinnen betraf.
6. Besitz, wenigstens in einigen Fällen, von gemeinsamem Eigentum mit einem eignen Archon (Vorsteher) und Schatzmeister.
Sodann band die Vereinigung in der Phratrie mehrere Gentes zusammen, doch weniger eng; doch auch hier finden wir gegenseitige Rechte und Pflichten ähnlicher Art, besonders Gemeinsamkeit bestimmter Religionsübungen und das Recht der Verfolgung, wenn ein Phrator getötet worden. Die Gesamtheit der Phratrien eines Stammes hatte wiederum gemeinsame, regelmäßig wiederkehrende heilige Feierlichkeiten unter Vortritt eines aus den Adligen (Eupatriden) gewählten Phylobasileus (Stammvorstehers).
So weit Grote. Und Marx fügt hinzu: »Durch die griechische Gens guckt der Wilde (Irokese z.B.) aber auch unverkennbar durch.« Er wird noch unverkennbarer, sobald wir etwas weiter untersuchen.
Der griechischen Gens kommt nämlich ferner zu:
7. Abstammung nach Vaterrecht;
8. Verbot der Heirat in der Gens außer im Fall von Erbinnen.
Diese Ausnahme und ihre Fassung als Gebot beweisen die Geltung der alten Regel. Diese folgt ebenfalls aus dem allgemein gültigen Satz, daß die Frau durch die Heirat auf die religiösen Riten ihrer Gens verzichtete und in die ihres Mannes übertrat, in dessen Phratrie sie auch eingeschrieben wurde. Heirat außerhalb der Gens war hiernach und nach einer berühmten Stelle des Dikäarchos Regel, und Becker im »Charikles« nimmt geradezu an, daß niemand innerhalb seiner eignen Gens heiraten durfte.
9. Das Recht der Adoption in die Gens; es erfolgte durch Adoption in die Familie, aber mit öffentlichen Formalitäten und nur ausnahmsweise.
10. Das Recht, die Vorsteher zu erwählen und abzusetzen. Daß jede Gens ihren Archon hatte, wissen wir; daß das Amt erblich in bestimmten Familien sei, wird nirgends gesagt. Bis ans Ende der Barbarei ist die Vermutung stets gegen strikte Erblichkeit, die ganz unverträglich ist mit Zuständen, wo Reiche und Arme innerhalb der Gens vollkommen gleiche Rechte hatten.
Nicht nur Grote, sondern auch Niebuhr, Mommsen und alle andern bisherigen Geschichtsschreiber des klassischen Altertums sind gescheitert an[99] der Gens. So richtig sie auch viele ihrer Merkmale aufgezeichnet haben, so sahn sie in ihr stets eine Gruppe von Familien und machten es sich damit unmöglich, die Natur und den Ursprung der Gens zu verstehn. Die Familie ist unter der Gentilverfassung nie eine Organisationseinheit gewesen und konnte es nicht sein, weil Mann und Frau notwendig zu zwei verschiednen Gentes gehörten. Die Gens ging ganz ein in die Phratrie, die Phratrie in den Stamm; die Familie ging auf halb in die Gens des Mannes und halb in die der Frau. Auch der Staat erkennt im öffentlichen Recht keine Familie an; sie existiert bis heute nur für das Privatrecht. Und dennoch geht unsre ganze bisherige Geschichtsschreibung von der, namentlich im achtzehnten Jahrhundert unantastbar gewordnen, absurden Voraussetzung aus, die monogame Einzelfamilie, die kaum älter ist als die Zivilisation, sei der Kristallkern, um den sich Gesellschaft und Staat allmählich angesetzt habe.
»Herrn Grote ferner zu bemerken«, fügt Marx ein, »daß, obgleich die Griechen ihre Gentes aus der Mythologie herleiten, jene Gentes älter sind als die von ihnen selbst geschaffne Mythologie mit ihren Göttern und Halbgöttern.«
Grote wird von Morgan mit Vorliebe angeführt, weil er ein angesehner und doch ganz unverdächtiger Zeuge. Er erzählt weiterhin, daß jede athenische Gens einen von ihrem vermeintlichen Stammvater abgeleiteten Namen hatte, daß vor Solon allgemein, und noch nach Solon bei Abwesenheit eines Testaments, die Gentilgenossen (gennêtes) des Verstorbenen sein Vermögen erbten, und daß im Fall von Totschlag zunächst die Verwandten, dann die Gentilgenossen und endlich die Phratoren des Erschlagenen das Recht und die Pflicht hatten, den Verbrecher vor den Gerichten zu verfolgen:
»Alles, was wir von den ältesten athenischen Gesetzen hören, ist begründet auf die Einteilung in Gentes und Phratrien.«
Die Abstammung der Gentes von gemeinsamen Urahnen hat den »schulgelehrten Philistern« (Marx) schweres Kopfbrechen gemacht. Da sie diese natürlich für rein mythisch ausgeben, so können sie sich die Entstehung einer Gens aus nebeneinanderstehenden, ursprünglich gar nicht verwandten Familien platterdings nicht erklären, und doch müssen sie dies fertigbringen, um nur das Dasein der Gentes zu erklären. Da wird denn ein sich im Kreise drehender Wortschwall aufgeboten, der nicht über den Satz hinauskommt: Der Stammbaum ist zwar eine Fabel, aber die Gens ist eine Wirklichkeit, und schließlich heißt es denn bei Grote – mit Einschiebungen von Marx – wie folgt:
[100] »Wir hören von diesem Stammbaum nur selten, weil er vor die Öffentlichkeit nur in gewissen, besonders feierlichen Fällen gebracht wird. Aber die geringeren Gentes hatten ihre gemeinsamen Religionsübungen« (sonderbar dies, Mr. Grote!) »und gemeinsamen übermenschlichen Stammvater und Stammbaum ganz wie die berühmteren« (wie gar sonderbar dies, Herr Grote, bei geringeren Gentes!); »der Grundplan und die ideale Grundlage« (werter Herr, nicht ideal, sondern karnal, germanice fleischlich) »war bei allen dieselbe.«
Marx faßt Morgans Antwort hierauf wie folgt zusammen: »Das der Gens in ihrer Urform – und die Griechen hatten diese einst besessen wie andre Sterbliche – entsprechende Blutsverwandtschaftssystem bewahrte die Kenntnis der Verwandtschaften aller Mitglieder der Gentes untereinander. Sie lernten dies für sie entscheidend Wichtige durch Praxis von Kindesbeinen. Mit der monogamen Familie fiel dies in Vergessenheit. Der Gentilname schuf einen Stammbaum, neben dem der der Einzelfamilie unbedeutend erschien. Es war nunmehr dieser Name, der die Tatsache der gemeinsamen Abstammung seiner Träger zu bewahren hatte; aber der Stammbaum der Gens ging so weit zurück, daß die Mitglieder ihre gegenseitige wirkliche Verwandtschaft nicht mehr nachweisen konnten, außer in beschränkter Zahl von Fällen bei neueren, gemeinschaftlichen Vorfahren. Der Name selbst war Beweis gemeinsamer Abstammung, und endgültiger Beweis, abgesehn von Adoptionsfällen. Dahingegen ist die tatsächliche Leugnung aller Verwandtschaft zwischen Gentilgenossen à la Grote und Niebuhr, welche die Gens in eine rein ersonnene und erdichtete Schöpfung verwandelt, würdig ›idealer‹, d.h. stubenhockerischer Schriftgelehrter. Weil die Verkettung der Geschlechter, namentlich mit Anbruch der Monogamie, in die Ferne gerückt und die vergangne Wirklichkeit im mythologischen Phantasiegebild widergespiegelt erscheint, schlossen und schließen Philister-Biedermänner, daß der Phantasiestammbaum wirkliche Gentes schuf!«
Die Phratrie war, wie bei den Amerikanern, eine in mehrere Tochtergentes gespaltne und sie einigende Muttergens und leitete sie alle oft noch vom gemeinsamen Stammvater ab. So hatten nach Grote
»alle gleichzeitigen Glieder der Phratrie des Hekatäus einen und denselben Gott zum Stammvater im sechzehnten Glied«;
alle Gentes dieser Phratrie waren also buchstäblich Brudergentes. Die Phratrie kommt noch bei Homer als militärische Einheit vor, in der berühmten Stelle, wo Nestor dem Agamemnon rät: Ordne die Männer nach Stämmen und nach Phratrien, daß die Phratrie der Phratrie beistehe, und der Stamm dem Stamm. – Sonst hat sie das Recht und die Pflicht der Verfolgung[101] der an einem Phrator begangnen Blutschuld, also in früherer Zeit auch die Verpflichtung zur Blutrache. Sie hat ferner gemeinsame Heiligtümer und Feste, wie denn die Ausbildung der gesamten griechischen Mythologie aus dem mitgebrachten altarischen Naturkultus wesentlich bedingt war durch die Gentes und Phratrien und innerhalb ihrer vor sich ging. Ferner hatte sie einen Vorsteher (phratriarchos) und nach de Coulanges auch Versammlungen und bindende Beschlüsse, eine Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Selbst der spätere Staat, der die Gens ignorierte, ließ der Phratrie gewisse öffentliche Amtsverrichtungen.
Aus mehreren verwandten Phratrien besteht der Stamm. In Attika gab es vier Stämme, zu je drei Phratrien, von denen jede dreißig Gentes zählte. Solche Abzirkelung der Gruppen setzt bewußtes, planmäßiges Eingreifen in die naturwüchsig entstandne Ordnung voraus. Wie, wann und warum dies geschehn, darüber schweigt die griechische Geschichte, von der die Griechen selbst nur bis ins Heldenzeitalter hinein sich Erinnerung bewahrt haben.
Dialektische Abweichung war bei den auf verhältnismäßig kleinem Gebiet zusammengedrängten Griechen weniger entwickelt als in den weiten amerikanischen Wäldern; doch auch hier finden wir nur Stämme derselben Hauptmundart zu einem größern Ganzen vereinigt und selbst in dem kleinen Attika einen besondern Dialekt, der später als allgemeine Prosasprache der herrschende wurde.
In den homerischen Gedichten finden wir die griechischen Stämme meist schon zu kleinen Völkerschaften vereinigt, innerhalb deren Gentes, Phratrien und Stämme indes ihre Selbständigkeit noch vollkommen bewahrten. Sie wohnten bereits in mit Mauern befestigten Städten, die Bevölkerungszahl stieg mit der Ausdehnung der Herden, des Feldbaus und den Anfängen des Handwerks; damit wuchsen die Reichtumsverschiedenheiten und mit ihnen das aristokratische Element innerhalb der alten, naturwüchsigen Demokratie. Die einzelnen Völkchen führten unaufhörliche Kriege um den Besitz der besten Landstriche und auch wohl der Beute wegen; Sklaverei der Kriegsgefangnen war bereits anerkannte Einrichtung.
Die Verfassung dieser Stämme und Völkchen war nun wie folgt:
1. Stehende Behörde war der Rat, bulê, ursprünglich wohl aus den Vorstehern der Gentes zusammengesetzt, später, als deren Zahl zu groß wurde, aus einer Auswahl, die Gelegenheit bot zur Ausbildung und Stärkung des aristokratischen Elements; wie denn auch Dionysios geradezu den Rat der Heroenzeit aus den Vornehmen (kratistoi) zusammengesetzt sein läßt. Der Rat entschied endgültig in wichtigen Angelegenheiten; so faßt der von[102] Theben, bei Äschylos, den für die gegebne Sachlage entscheidenden Beschluß, den Eteokles ehrenvoll zu begraben, die Leiche des Polynikes aber hinauszuwerfen, den Hunden zur Beute. Mit Errichtung des Staats ging dieser Rat über in den späteren Senat.
2. Die Volksversammlung (agora). Bei den Irokesen fanden wir das Volk, Männer und Weiber, die Ratsversammlung umstehend, dreinredend in geordneter Weise und so ihre Beschlüsse beeinflussend. Bei den homerischen Griechen hat sich dieser »Umstand«, um einen altdeutschen Gerichtsausdruck zu gebrauchen, bereits entwickelt zur vollständigen Volksversammlung, wie dies ebenfalls bei den Deutschen der Urzeit der Fall war. Sie wurde vom Rat berufen zur Entscheidung wichtiger Angelegenheiten; jeder Mann konnte das Wort ergreifen. Die Entscheidung erfolgte durch Handerheben (Äschylos in den »Schutzflehenden«) oder durch Zuruf. Sie war souverän in letzter Instanz, denn, sagt Schoemann (»Griechische Alterthümer«),
»handelt es sich um eine Sache, zu deren Ausführung die Mitwirkung des Volks erforderlich ist, so verrät uns Homer kein Mittel, wie dasselbe gegen seinen Willen dazu gezwungen werden könne«.
Es gab eben zu dieser Zeit, wo jedes erwachsene männliche Stammesmitglied Krieger war, noch keine vom Volk getrennte öffentliche Gewalt, die ihm hätte entgegengesetzt werden können. Die naturwüchsige Demokratie stand noch in voller Blüte, und dies muß der Ausgangspunkt bleiben zur Beurteilung der Macht und der Stellung sowohl des Rats wie des Basileus.
3. Der Heerführer (basileus). Hierzu bemerkt Marx: »Die europäischen Gelehrten, meist geborne Fürstenbediente, machen aus dem Basileus einen Monarchen im modernen Sinn. Dagegen verwahrt sich der Yankee-Republikaner Morgan. Er sagt sehr ironisch, aber wahr, vom öligen Gladstone und dessen ›Juventus Mundi‹:
›Herr Gladstone präsentiert uns die griechischen Häuptlinge der Heldenzeit als Könige und Fürsten, mit der Zugabe, daß sie auch Gentlemen seien; er selbst muß aber zugeben: Im ganzen scheinen wir die Sitte oder das Gesetz der Erstgeburtsfolge hinreichend, aber nicht allzu scharf bestimmt vorzufinden.‹«
Es wird auch wohl dem Herrn Gladstone selbst scheinen, daß eine so verklausulierte Erstgeburtsfolge hinreichend, wenn auch nicht allzu scharf, geradesoviel wert ist wie gar keine.
Wie es mit der Erblichkeit der Vorsteherschaften bei den Irokesen und andern Indianern stand, sahen wir. Alle Ämter waren Wahlämter meist[103] innerhalb einer Gens und insofern in dieser erblich. Bei Erledigungen wurde der nächste Gentilverwandte – Bruder oder Schwestersohn – allmählich vorgezogen, falls nicht Gründe vorlagen, ihn zu übergehn. Ging also bei den Griechen unter der Herrschaft des Vaterrechts das Amt des Basileus in der Regel auf den Sohn oder einen der Söhne über, so ist das nur Beweis, daß die Söhne hier die Wahrscheinlichkeit der Nachfolge durch Volkswahl für sich hatten, keineswegs aber Beweis rechtskräftiger Erbfolge ohne Volkswahl. Was hier vorliegt, ist bei den Irokesen und Griechen die erste Anlage zu besondern Adelsfamilien innerhalb der Gentes, und bei den Griechen noch dazu die erste Anlage einer künftigen erblichen Führerschaft oder Monarchie. Die Vermutung spricht also dafür, daß bei den Griechen der Basileus entweder vom Volk gewählt oder doch durch seine anerkannten Organe – Rat oder Agora – bestätigt werden mußte, wie dies für den römischen »König« (rex) galt.
In der »Ilias« erscheint der Männerbeherrscher Agamemnon nicht als oberster König der Griechen, sondern als oberster Befehlshaber eines Bundesheers vor einer belagerten Stadt. Und auf diese seine Eigenschaft weist Odysseus hin, als Zwist unter den Griechen ausgebrochen war, in der berühmten Stelle: Nicht gut ist die Vielkommandiererei, einer sei Befehlshaber usw. (wobei noch der beliebte Vers mit dem Zepter späterer Zusatz). »Odysseus hält hier keine Vorlesung über eine Regierungsform, sondern verlangt Gehorsam gegen den obersten Feldherrn im Kriege. Für die Griechen, die vor Troja nur als Heer erscheinen, geht es in der Agora demokratisch genug zu. Achilles, wenn er von Geschenken, d.h. Verteilung der Beute spricht, macht stets zum Verteiler weder den Agamemnon noch einen andern Basileus, sondern ›die Söhne der Achäer‹, d.h. das Volk. Die Prädikate: von Zeus erzeugt, von Zeus ernährt, beweisen nichts, da jede Gens von einem Gott abstammt, die des Stammeshaupts schon von einem ›vornehmeren‹ Gott – hier Zeus. Selbst die persönlich Unfreien, wie der Sauhirt Eumäus u. a. sind ›göttlich‹ (dioi und theioi) und dies in der ›Odyssee‹, also in viel späterer Zeit als die ›Ilias‹; in derselben ›Odyssee‹ wird der Name Heros noch dem Herold Mulios beigelegt, wie dem blinden Sänger Demodokos. Kurz, das Wort basileia, das die griechischen Schriftsteller für das homerische sogenannte Königtum anwenden (weil die Heerführerschaft ihr Hauptkennzeichen), mit Rat und Volksversammlung daneben, bedeutet nur – militärische Demokratie.« (Marx.)
Der Basileus hatte außer den militärischen noch priesterliche und richterliche Amtsbefugnisse; letztere nicht näher bestimmt, erstere in seiner Eigenschaft als oberster Vertreter des Stamms oder Bundes von Stämmen.[104] Von bürgerlichen, verwaltenden Befugnissen ist nie die Rede; er scheint aber von Amts wegen Ratsmitglied gewesen zu sein. Basileus mit König zu übersetzen, ist also etymologisch ganz richtig, da König (Kuning) von Kuni, Künne abstammt und Vorsteher einer Gens bedeutet. Aber der heutigen Bedeutung des Wortes König entspricht der altgriechische Basileus in keiner Weise. Thukydides nennt die alte Basileia ausdrücklich eine patrikê, d.h. von Gentes abgeleitete, und sagt, sie habe festbestimmte, also begrenzte Befugnisse gehabt. Und Aristoteles sagt, die Basileia der Heroenzeit sei eine Führerschaft über Freie gewesen, und der Basileus Heerführer, Richter und Oberpriester; Regierungsgewalt im spätern Sinne hatte er also nicht.6
Wir sehn also in der griechischen Verfassung der Heldenzeit die alte Gentilorganisation noch in lebendiger Kraft, aber auch schon den Anfang ihrer Untergrabung: Vaterrecht mit Vererbung des Vermögens an die Kinder, wodurch die Reichtumsanhäufung in der Familie begünstigt und die Familie eine Macht wurde gegenüber der Gens; Rückwirkung der Reichtumsverschiedenheit auf die Verfassung vermittelst Bildung der ersten Ansätze zu einem erblichen Adel und Königtum; Sklaverei, zunächst noch bloß von Kriegsgefangnen, aber schon die Aussicht eröffnend auf Versklavung der eignen Stammes- und selbst Gentilgenossen; der alte Krieg von Stamm gegen Stamm bereits ausartend in systematische Räuberei zu Land und zur See, um Vieh, Sklaven, Schätze zu erobern, in regelrechte Erwerbsquelle; kurz, Reichtum gepriesen und geachtet als höchstes Gut und die alten Gentilordnungen gemißbraucht, um den gewaltsamen Raub von Reichtümern zu rechtfertigen. Es fehlte nur noch eins: eine Einrichtung, die die neuerworbnen Reichtümer der einzelnen nicht nur gegen die kommunistischen Traditionen der Gentilordnung sicherstellte, die nicht nur das früher so geringgeschätzte Privateigentum heiligte und diese Heiligung für den höchsten Zweck aller menschlichen Gemeinschaft erklärte, sondern die auch die nacheinander sich entwickelnden neuen Formen der Eigentumserwerbung,[105] also der stets beschleunigten Vermehrung des Reichtums mit dem Stempel allgemein gesellschaftlicher Anerkennung versah; eine Einrichtung, die nicht nur die aufkommende Spaltung der Gesellschaft in Klassen verewigte, sondern auch das Recht der besitzenden Klasse auf Ausbeutung der nichtbesitzenden und die Herrschaft jener über diese.
Und diese Einrichtung kam. Der Staat wurde erfunden.[106]
6 | Wie dem griechischen Basileus, so ist auch dem aztekischen Heerführer ein moderner Fürst untergeschoben worden. Morgan unterwirft die erst mißverständlichen und übertriebnen, später direkt lügenhaften Berichte der Spanier zum erstenmal der historischen Kritik und weist nach, daß die Mexikaner auf der Mittelstufe der Barbarei, höher jedoch als die neumexikanischen Pueblos-Indianer, standen, und daß ihre Verfassung, soweit die entstellten Berichte sie erkennen lassen, dem entsprach: ein Bund dreier Stämme, der eine Anzahl andrer zur Tributpflichtigkeit unterworfen hatte und der regiert wurde von einem Bundesrat und Bundesfeldherrn, aus welchem letzteren die Spanier einen »Kaiser« machten. |
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