III. Gewaltstheorie (Fortsetzung)

[154] Betrachten wir indes diese allmächtige »Gewalt« des Herrn Dühring etwas näher. Robinson knechtet den Freitag »mit dem Degen in der Hand«. Woher hat er den Degen? Auch auf den Phantasie-Inseln der Robinsonaden wachsen bis jetzt die Degen nicht auf den Bäumen, und Herr Dühring bleibt jede Antwort auf diese Frage schuldig. Ebensogut wie Robinson sich einen Degen verschaffen konnte, ebensogut dürfen wir annehmen, daß Freitag eines schönen Morgens erscheint mit einem geladnen Revolver in der Hand, und dann kehrt sich das ganze »Gewalt«-Verhältnis um: Freitag kommandiert, und Robinson muß schanzen. Wir bitten die Leser um Verzeihung, daß wir so konsequent auf die eigentlich in die Kinderstube und nicht in die Wissenschaft gehörige Geschichte von Robinson und Freitag zurückkommen, aber was können wir dafür? Wir sind genötigt, Herrn Dührings axiomatische Methode gewissenhaft anzuwenden, und es ist nicht unsre Schuld, wenn wir uns dabei stets auf dem Gebiete der reinen Kindlichkeit bewegen. Also der Revolver siegt über den Degen, und damit wird es doch wohl auch dem kindlichsten Axiomatiker begreiflich sein, daß die Gewalt kein bloßer Willensakt ist, sondern sehr reale Vorbedingungen zu ihrer Betätigung erfordert, namentlich Werkzeuge, von denen das vollkommnere das unvollkommnere überwindet; daß ferner diese Werkzeuge produziert sein müssen, womit zugleich gesagt ist, daß der Produzent vollkommnerer Gewaltwerkzeuge, vulgo Waffen, den Produzenten der unvollkommneren besiegt, und daß, mit Einem Wort, der Sieg der Gewalt beruht auf der Produktion von Waffen, und diese wieder auf der Produktion überhaupt, also – auf der »ökonomischen Macht«, auf der »Wirtschaftslage«, auf den der Gewalt zur Verfügung stehenden materiellen Mitteln.

Die Gewalt, das ist heutzutage die Armee und die Kriegsflotte und beide kosten, wie wir alle zu unsrem Schaden wissen, »heidenmäßig viel Geld«. Die Gewalt aber kann kein Geld machen, sondern höchstens schon gemachtes wegnehmen, und das nützt auch nicht viel, wie wir ebenfalls zu unserm Schaden mit den französischen Milliarden erfahren haben. Das Geld muß[154] also schließlich doch geliefert werden vermittelst der ökonomischen Produktion; die Gewalt wird also wieder durch die Wirtschaftslage bestimmt, die ihr die Mittel zur Ausrüstung und Erhaltung ihrer Werkzeuge verschafft. Aber damit nicht genug. Nichts ist abhängiger von ökonomischen Vorbedingungen als grade Armee und Flotte. Bewaffnung, Zusammensetzung, Organisation, Taktik und Strategie hängen vor allem ab von der jedesmaligen Produkti onsstufe und den Kommunikationen. Nicht die »freien Schöpfungen des Verstandes« genialer Feldherrn haben hier umwälzend gewirkt, sondern die Erfindung besserer Waffen und die Veränderung des Soldatenmaterials; der Einfluß der genialen Feldherrn beschränkt sich im besten Fall darauf, die Kampfweise den neuen Waffen und Kämpfern anzupassen.

Im Anfang des 14. Jahrhunderts kam das Schießpulver von den Arabern zu den Westeuropäern und wälzte, wie jedes Schulkind weiß, die ganze Kriegführung um. Die Einführung des Schießpulvers und der Feuerwaffen war aber keineswegs eine Gewalttat, sondern ein industrieller, also wirtschaftlicher Fortschritt. Industrie bleibt Industrie, ob sie auf die Erzeugung oder die Zerstörung von Gegenständen sich richtet. Und die Einführung der Feuerwaffen wirkte umwälzend nicht nur auf die Kriegführung selbst, sondern auch auf die politischen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse. Zur Erlangung von Pulver und Feuerwaffen gehörte Industrie und Geld, und beides besaßen die Städtebürger. Die Feuerwaffen waren daher von Anfang an Waffen der Städte und der auf die Städte gestützten, emporkommenden Monarchie gegen den Feudaladel. Die bisher unnahbaren Steinmauern der Adelsburgen erlagen den Kanonen der Bürger, die Kugeln der bürgerlichen Handbüchsen schlugen durch die ritterlichen Panzer. Mit der geharnischten Kavallerie des Adels brach auch die Adelsherrschaft zusammen; mit der Entwicklung des Bürgertums wurden Fußvolk und Geschütz mehr und mehr die entscheidenden Waffengattungen; durch das Geschütz gezwungen, mußte das Kriegshandwerk sich eine neue, ganz industrielle Unterabteilung zulegen: das Ingenieurwesen.

Die Ausbildung der Feuerwaffen ging sehr langsam vor sich. Das Geschütz blieb schwerfällig, die Handrohre trotz vieler Einzelerfindungen roh. Es dauerte über dreihundert Jahre, bis ein Gewehr zustande kam, das zur Bewaffnung der gesamten Infanterie taugte. Erst anfangs des 18. Jahrhunderts verdrängte das Steinschloßgewehr mit Bajonett die Pike endgültig aus[155] der Bewaffnung des Fußvolks. Das damalige Fußvolk bestand aus den stramm exerzierenden, aber ganz unzuverlässigen, nur mit dem Stock zusammengehaltnen, aus den verkommensten Elementen der Gesellschaft, oft aus gepreßten, feindlichen Kriegsgefangenen sich zusammensetzenden fürstlichen Werbesoldaten, und die einzige Kampfform, in der diese Soldaten das neue Gewehr zur Verwendung bringen konnten, war die Lineartaktik, die unter Friedrich II. ihre höchste Vollendung erreichte. Das ganze Fußvolk eines Heeres wurde in einem dreigliedrigen, sehr langen hohlen Viereck aufgestellt und bewegte sich in Schlachtordnung nur als Ganzes; höchstens wurde einem der beiden Flügel gestattet, sich etwas vorzuschieben oder zurückzuhalten. Diese unbehülfliche Masse war in Ordnung zu bewegen nur auf einem ganz ebnen Gelände, und auch da nur im langsamen Tempo (fünfundsiebzig Schritt auf die Minute); eine Änderung der Schlachtordnung während des Gefechts war unmöglich, und Sieg oder Niederlage wurden, sobald die Infanterie einmal im Feuer war, in kurzer Zeit mit Einem Schlag entschieden.

Diesen unbehülflichen Linien traten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Rebellenhaufen entgegen, die zwar nicht exerzieren, aber desto besser aus ihren gezognen Büchsenschießen konnten, die für ihre eigensten Interessen fochten, also nicht desertierten wie die Werbetruppen, und die den Engländern nicht den Gefallen taten, ihnen ebenfalls in Linie und auf freier Ebene gegenüberzutreten, sondern in aufgelösten, rasch beweglichen Schützenschwärmen und in den deckenden Wäldern. Die Linie war hier machtlos und erlag den unsichtbaren und unerreichbaren Gegnern. Das Tiraillieren war wieder erfunden – eine neue Kampfweise infolge eines veränderten Soldatenmaterials.

Was die amerikanische Revolution begonnen, das vollendete die französische, auch auf militärischem Gebiet. Den geübten Werbeheeren der Koalition hatte sie ebenfalls nur schlecht geübte, aber zahlreiche Massen entgegenzustellen, das Aufgebot der ganzen Nation. Mit diesen Massen aber galt es, Paris zu schützen, also ein bestimmtes Gebiet zu decken, und das konnte nicht ohne Sieg in offner Massenschlacht geschehn. Das bloße Schützengefecht reichte nicht aus; es mußte eine Form auch für die Massenverwendung gefunden werden, und sie fand sich in der Kolonne. Die Kolonnenstellung erlaubte auch wenig geübten Truppen, sich mit ziemlicher Ordnung zu bewegen und das selbst mit einer größern Marschgeschwindigkeit (hundert Schritt und darüber in der Minute), sie erlaubte, die steifen Formen der alten Linienordnung zu durchbrechen, in jedem, also auch indem der Linie ungünstigsten Terrain zu fechten, die Truppen in jeder[156] irgendwie angemessenen Art zu gruppieren und, in Verbindung mit dem Gefecht zerstreuter Schützen, die feindlichen Linien aufzuhalten, zu beschäftigen, zu ermatten, bis der Moment gekommen, wo man sie am entscheidenden Punkt der Stellung mit in Reserve gehaltnen Massen durchbrach. Diese neue, auf der Verbindung von Tirailleurs und Kolonnen und auf der Einteilung der Armee in selbständige, aus allen Waffen zusammengesetzte Divisionen oder Armeekorps beruhende, von Napoleon nach ihrer taktischen wie strategischen Seite vollständig ausgebildete Kampfweise war demnach notwendig geworden vor allem durch das veränderte Soldatenmaterial der französischen Revolution. Sie hatte aber auch noch zwei sehr wichtige technische Vorbedingungen: erstens die von Gribeauval konstruierte leichtere Lafettierung der Feldgeschütze, wodurch allein diesen die von ihnen jetzt verlangte raschere Bewegung möglich wurde, und zweitens die in Frankreich 1777 eingeführte, dem Jagdgewehr entlehnte Schweifung des bisher ganz grade in der Verlängerung des Laufs sich fortsetzenden Flintenkolbens, die es möglich machte, auf einen einzelnen Mann zu zielen, ohne notwendig vorbeizuschießen. Ohne diesen Fortschritt aber hätte man mit dem alten Gewehr nicht tiraillieren können.

Das revolutionäre System der Bewaffnung des ganzen Volks wurde bald auf eine Zwangsaushebung (mit Stellvertretung durch Loskauf für die Begüterten) beschränkt und in dieser Form von den meisten großen Staaten des Festlands angenommen. Nur Preußen versuchte in seinem Landwehrsystem die Wehrkraft des Volks in größerm Maß heranzuziehn. Preußen war zudem der erste Staat, der sein ganzes Fußvolk – nachdem der zwischen 1830 und 1860 ausgebildete, kriegsbrauchbare gezogne Vorderlader eine kurze Rolle gespielt – mit der neuesten Waffe versah, dem gezognen Hinterlader. Beiden Einrichtungen verdankte es seine Erfolge von 1866.

Im Deutsch-Französischen Krieg traten zuerst zwei Heere einander gegenüber, die beide gezogne Hinterlader führten, und zwar beide mit wesentlich denselben taktischen Formationen wie zur Zeit des alten glattläufigen Steinschloßgewehrs. Nur daß die Preußen in der Einführung der Kompaniekolonne den Versuch gemacht hatten, eine der neuen Bewaffnung angemessenere Kampfform zu finden. Als aber am 18. August bei St. Privat die preußische Garde mit der Kompaniekolonne Ernst zu machen versuchte, verloren die am meisten beteiligten fünf Regimenter in höchstens zwei Stunden über ein Drittel ihrer Stärke ( 176 Offiziere und 5114 Mann), und von da an war auch die Kompaniekolonne als Kampfform gerichtet, nicht minder als die Bataillonskolonne und die Linie; jeder Versuch[157] wurde aufgegeben, fernerhin irgendwelche geschlossene Trupps dem feindlichen Gewehrfeuer auszusetzen, und der Kampf wurde deutscherseits nur noch in jenen dichten Schützenschwärmen geführt, in die sich die Kolonne bisher unter dem einschlagenden Kugelhagel schon regelmäßig von selbst aufgelöst, die man aber von oben herab als ordnungswidrig bekämpft hatte; und ebenso wurde nun im Bereich des feindlichen Gewehrfeuers der Laufschritt die einzige Bewegungsart. Der Soldat war wieder einmal gescheiter gewesen als der Offizier; die einzige Gefechtsform, die bisher im Feuer des Hinterladers sich bewährt, hatte er instinktmäßig gefunden und setzte sie trotz des Sträubens der Führung erfolgreich durch.

Mit dem Deutsch-Französischen Krieg ist ein Wendepunkt eingetreten von ganz andrer Bedeutung als alle frühern. Erstens sind die Waffen so vervollkommnet, daß ein neuer Fortschritt von irgendwelchem umwälzenden Einfluß nicht mehr möglich ist. Wenn man Kanonen hat, mit denen man ein Bataillon treffen kann, soweit das Auge es unterscheidet, und Gewehre, die für einen einzelnen Mann als Zielpunkt dasselbe leisten und bei denen das Laden weniger Zeit raubt als das Zielen, so sind alle weitern Fortschritte für den Feldkrieg mehr oder weniger gleichgültig. Die Ära der Entwicklung ist nach dieser Seite hin also im wesentlichen abgeschlossen. Zweitens aber hat dieser Krieg alle kontinentalen Großstaaten gezwungen, das verschärfte preußische Landwehrsystem bei sich einzuführen, und damit eine Militärlast, bei der sie in wenigen Jahren zugrunde gehn müssen. Die Armee ist Hauptzweck des Staats, ist Selbstzweck geworden; die Völker sind nur noch dazu da, die Soldaten zu liefern und zu ernähren. Der Militarismus beherrscht und verschlingt Europa. Aber dieser Militarismus trägt auch den Keim seines eignen Untergangs in sich. Die Konkurrenz der einzelnen Staaten untereinander zwingt sie einerseits, jedes Jahr mehr Geld auf Armee, Flotte, Geschütze etc. zu verwenden, also den finanziellen Zusammenbruch mehr und mehr zu beschleunigen; andrerseits mit der allgemeinen Dienstpflicht mehr und mehr Ernst, und damit schließlich das ganze Volk mit dem Waffengebrauch vertraut zu machen; es also zu befähigen, in einem gewissen Moment seinen Willen gegenüber der kommandierenden Militärherrlichkeit durchzusetzen. Und dieser Moment tritt ein, sobald die Masse des Volks – ländliche und städtische Arbeiter und Bauern – einen Willen hat. Auf diesem Punkt schlägt das Fürstenheer um in ein Volksheer; die Maschine versagt den Dienst, der Militarismus geht unter an der Dialektik seiner eignen Entwicklung. Was die bürgerliche Demokratie von 1848 nicht fertigbringen konnte, eben weil sie bürgerlich war und nicht proletarisch, nämlich den arbeitenden Massen einen Willen geben,[158] dessen Inhalt ihrer Klassenlage entspricht – das wird der Sozialismus unfehlbar erwirken. Und das bedeutet die Sprengung des Militarismus und mit ihm aller stehenden Armeen von innen heraus.

Das ist die eine Moral unsrer Geschichte der modernen Infanterie. Die zweite Moral, die uns wieder zu Herrn Dühring zurückführt, ist, daß sich die ganze Organisation und Kampfweise der Armeen, und damit Sieg und Niederlage, abhängig erweist von materiellen, das heißt ökonomischen Bedingungen: vom Menschen- und vom Waffenmaterial, also von der Qualität und Quantität der Bevölkerung und von der Technik. Nur ein Jägervolk wie die Amerikaner konnte das Tiraillieren wieder erfinden – und sie waren Jäger aus rein ökonomischen Ursachen, eben wie jetzt aus rein ökonomischen Ursachen dieselben Yankees der alten Staaten sich in Bauern, Industrielle, Seefahrer und Kaufleute verwandelt haben, die nicht mehr in den Urwäldern tiraillieren, dafür aber um so besser auf dem Felde der Spekulation, wo sie es auch in der Massenverwendung weit gebracht haben.- Nur eine Revolution wie die französische, die den Bürger und namentlich den Bauer ökonomisch emanzipierte, konnte die Massenheere und zugleich die freien Bewegungsformen finden, an denen die alten steifen Linien zerschellten – die militärischen Abbilder des Absolutismus, den sie verfochten. Und wie die Fortschritte der Technik, sobald sie militärisch verwendbar und auch verwendet wurden, sofort Änderungen, ja Umwälzungen der Kampfweise fast gewaltsam erzwangen, oft noch dazu gegen den Willen der Heeresleitung, das haben wir Fall für Fall gesehn. Wie sehr außerdem die Kriegführung von der Produktivität und den Kommunikationsmitteln des eignen Hinterlandes wie des Kriegsschauplatzes abhängt, darüber kann heutzutage schon ein strebsamer Unteroffizier Herrn Dühring aufklären. Kurz, überall und immer sind es ökonomische Bedingungen und Machtmittel, die der »Gewalt« zum Siege verhelfen, ohne die sie aufhört, Gewalt zu sein, und wer nach Dühringschen Grundsätzen das Kriegswesen vom entgegengesetzten Standpunkte aus reformieren wollte, der könnte nichts ernten als Prügel.4

Gehn wir nun vom Lande aufs Wasser, so bietet sich uns allein in den letzten zwanzig Jahren eine noch ganz anders durchgreifende Umwälzung. Das Schlachtschiff des Krimkriegs war der hölzerne Zwei- und Dreidecker[159] von 60 bis 100 Kanonen, der vorzugsweise noch durch Segel bewegt wurde und nur zur Aushülfe eine schwache Dampfmaschine hatte. Er führte hauptsächlich 32pfünder von etwa 50 Zentner Rohrgewicht, daneben nur wenige 68pfünder von 95 Zentner. Gegen Ende des Kriegs traten eisengepanzerte schwimmende Batterien auf, schwerfällige, fast unbewegliche, aber dem damaligen Geschütz gegenüber unverletzliche Ungeheuer. Bald wurde die Eisenpanzerung auch auf die Schlachtschiffe übertragen; anfangs noch dünn, vier Zoll Eisenstärke galt schon für einen äußerst schweren Panzer. Aber der artilleristische Fortschritt überholte bald die Panzerung: für jede Panzerstärke, die nach der Reihe angewandt wurde, fand sich ein neues, schwereres Geschütz, das sie mit Leichtigkeit durchschlug. So sind wir jetzt bereits bei zehn-, zwölf-, vierzehn, vierundzwanzigzölliger Panzerstärke (Italien will ein Schiff mit drei Fuß dickem Panzer bauen lassen) auf der einen Seite angekommen; auf der andern bei gezognen Geschützen von 25, 35, 80, ja 100 Tons (à 20 Zentner) Rohrgewicht, die Geschosse von 300, 400, 1700 bis 2000 Pfund auf früher unerhörte Entfernungen schleudern. Das heutige Schlachtschiff ist ein riesiger gepanzerter Schraubendampfer von 8000 bis 9000 Tonnen Gehalt und 6000 bis 8000 Pferdekraft, mit Drehtürmen und vier, höchstens sechs schweren Geschützen und mit einem, unter der Wasserlinie in einer Ramme zum Niederrennen feindlicher Schiffe auslaufenden Bug; es ist eine einzige kolossale Maschine, auf der der Dampf nicht nur die schnelle Fortbewegung bewirkt, sondern auch die Steuerung, das Ankerwinden, die Drehung der Türme, die Richtung und Ladung der Geschütze, das Auspumpen des Wassers, das Einnehmen und Herablassen der Boote – die selbst teilweise wieder Dampfkraft führen – usw. Und so wenig ist der Wettkampf zwischen Panzerung und Geschützwirkung zum Abschluß gekommen, daß ein Schiff heutzutage fast regelmäßig schon nicht mehr den Ansprüchen genügt, schon veraltet ist, ehe es vom Stapel gelassen wird. Das moderne Schlachtschiff ist nicht nur ein Produkt, sondern zugleich ein Probestück der modernen großen Industrie, eine schwimmende Fabrik – vornehmlich allerdings zur Erzeugung von Geldverschwendung. Das Land, wo die große Industrie am meisten entwickelt ist, hat beinahe das Monopol des Baues dieser Schiffe. Alle türkischen, fast alle russischen, die meisten deutschen Panzerschiffe sind in England gebaut; Panzerplatten von irgendwelcher Brauchbarkeit werden fast nur in Sheffield gemacht; von den drei Eisenwerken Europas, die allein imstande sind, die schwersten Geschütze zu liefern, kommen zwei (Woolwich und Elswick) auf England, das dritte (Krupp) auf Deutschland. Hier zeigt sich aufs handgreiflichste, wie die »unmittelbare politische Gewalt«, die[160] nach Herrn Dühring die »entscheidende Ursache der Wirtschaftslage« ist, im Gegenteil vollständig von der Wirtschaftslage unterjocht ist; wie nicht nur die Herstellung, sondern auch die Behandlung des Gewaltwerkzeugs zur See, des Schlachtschiffs, selbst ein Zweig der modernen großen Industrie geworden ist. Und daß dies so geworden, geht niemandem mehr wider die Haare, als grade der Gewalt, dem Staat, dem jetzt ein Schiff so viel kostet wie früher eine ganze kleine Flotte; der es mit ansehn muß, daß diese teuren Schiffe, noch ehe sie Ins Wasser kommen, schon veraltet, also entwertet sind; und der sicher ebensoviel Verdruß darüber empfindet wie Herr Dühring, daß der Mann der »Wirtschaftslage«, der Ingenieur, jetzt an Bord viel wichtiger ist als der Mann der »unmittelbaren Gewalt«, der Kapitän. Wir dagegen haben durchaus keinen Grund, uns zu ärgern, wenn wir sehn, wie in diesem Wettkampf zwischen Panzer und Geschütz das Schlachtschiff bis zu der Spitze der Künstlichkeit ausgebildet wird, die es ebenso unerschwinglich wie kriegsunbrauchbar macht5, und wie dieser Kampf damit auch auf dem Gebiet des Seekriegs jene innern dialektischen Bewegungsgesetze offenbart, nach denen der Militarismus, wie jede andre geschichtliche Erscheinung, an den Konsequenzen seiner eignen Entwicklung zugrunde geht.

Auch hier also sehn wir sonnenklar, daß keineswegs »das Primitive in der unmittelbaren politischen Gewalt und nicht erst in einer Indirekten ökonomischen Macht gesucht werden« muß. Im Gegenteil. Was zeigt sich grade als »das Primitive« der Gewalt selbst? Die ökonomische Macht, die Verfügung über die Machtmittel der großen Industrie. Die politische Gewalt zur See, die auf den modernen Schlachtschiffen beruht, erweist sich als durchaus nicht »unmittelbar«, sondern grade als vermittelt durch die ökonomische Macht, die hohe Ausbildung der Metallurgie, das Kommando übergeschickte Techniker und ergiebige Kohlengruben.

Indes, wozu das alles? Man gebe im nächsten Seekriege Herrn Dühring den Oberbefehl, und er vernichtet alle die von der Wirtschaftslage geknechteten Panzerflotten ohne Torpedos und andre Kunststücke, einfach vermittelst seiner »unmittelbaren Gewalt«.[161]

4

Im preußischen Generalstab weiß man dies auch schon ganz gut. »Die Grundlage des Kriegswesens ist in erster Reihe die wirtschaftliche Lebensgestaltung der Völker überhaupt«, sagt Herr Max Jähns, Hauptmann im Generalstab, in einem wissenschaftlichen Vortrag (»Köln. Ztg.«, 20. April 1876, drittes Blatt).

5

Die Vervollkommnung des letzten Erzeugnisses der großen Industrie für den Seekrieg, des sich selbst fortbewegenden Torpedos, scheint dies verwirklichen zu sollen; das kleinste Torpedoboot wäre damit dem gewaltigsten Panzerschiff überlegen. (Man erinnere sich übrigens, daß obiges 1878 geschrieben wurde.)

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 20, S. 154-162.
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