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Mit der Verurteilung der Kölner Kommunisten 1852 fällt der Vorhang über die erste Periode der deutschen selbständigen Arbeiterbewegung. Diese Periode ist heute fast vergessen. Und doch währte sie von 1836 bis 1852, und die Bewegung spielte, bei der Verbreitung der deutschen Arbeiter im Ausland, in fast allen Kulturländern. Und damit nicht genug. Die heutige internationale Arbeiterbewegung ist der Sache nach eine direkte Fortsetzung der damaligen deutschen, welche die erste internationale Arbeiterbewegung überhaupt war und aus der viele der Leute hervorgingen, die in der Internationalen Arbeiterassoziation die leitende Rolle übernahmen. Und die theoretischen Grundsätze, die der Bund der Kommunisten im »Kommunistischen Manifest« von 1847 auf die Fahne schrieb, bilden heute das stärkste internationale Bindemittel der gesamten proletarischen Bewegung Europas wie Amerikas.
Bis jetzt gibt es für die zusammenhängende Geschichte jener Bewegung nur eine Hauptquelle. Es ist das sogenannte Schwarze Buch: »Die Communisten-Verschwörungen des 19. Jahrhunderts«. Von Wermuth und Stieber. Berlin. 2 Theile, 1853 und 1854. Dies von zwei der elendsten Polizeilumpen unsres Jahrhunderts zusammengelogne, von absichtlichen Fälschungen strotzende Machwerk dient noch heute allen nichtkommunistischen Schriften über jene Zeit als letzte Quelle.
Was ich hier geben kann, ist nur eine Skizze, und auch diese nur, soweit der Bund selbst in Betracht kommt; nur das zum Verständnis der »Enthüllungen« absolut Notwendige. Es wird mir hoffentlich noch vergönnt sein, das von Marx und mir gesammelte reichhaltige Material zur Geschichte jener ruhmvollen Jugendzeit der internationalen Arbeiterbewegung einmal zu verarbeiten.
Aus dem im Jahr 1834 in Paris von deutschen Flüchtlingen gestifteten demokratisch-republikanischen Geheimbund der »Geächteten« sonderten[206] sich 1836 die extremsten, meist proletarischen Elemente aus und bildeten den neuen geheimen Bund der Gerechten. Der Mutterbund, worin nur die schlafmützigsten Elemente à la Jacobus Venedey zurückgeblieben, schlief bald ganz ein: Als die Polizei 1840 einige Sektionen in Deutschland aufschnüffelte, war er kaum noch ein Schatten. Der neue Bund dagegen entwickelte sich verhältnismäßig rasch. Ursprünglich war er ein deutscher Ableger des an babouvistische Erinnerungen anknüpfenden französischen Arbeiterkommunismus, der sich um dieselbe Zeit in Paris ausbildete; die Gütergemeinschaft wurde gefordert als notwendige Folgerung der »Gleichheit«. Die Zwecke waren die der gleichzeitigen Pariser geheimen Gesellschaften: halb Propagandaverein, halb Verschwörung, wobei jedoch Paris immer als Mittelpunkt der revolutionären Aktion galt, obgleich die Vorbereitung gelegentlicher Putsche in Deutschland keineswegs ausgeschlossen war. Da aber Paris das entscheidende Schlachtfeld blieb, war der Bund damals tatsächlich nicht viel mehr als der deutsche Zweig der französischen geheimen Gesellschaften, namentlich der von Blanqui und Barbès geleiteten Société des saisons mit der enger Zusammenhang bestand. Die Franzosen schlugen los am 12. Mai 1839; die Sektionen des Bundes marschierten mit und wurden so in die gemeinsame Niederlage verwickelt.
Von den Deutschen waren namentlich Karl Schapper und Heinrich Bauer ergriffen worden; die Regierung Louis-Philippes begnügte sich damit, sie nach längerer Haft auszuweisen. Beide gingen nach London. Schapper aus Weilburg in Nassau, als Student der Forstwissenschaft in Gießen 1832 Mitglied der von Georg Büchner gestifteten Verschwörung, machte am 3. April 1833 den Sturm auf die Frankfurter Konstablerwache mit, entkam ins Ausland und beteiligte sich im Februar 1834 an Mazzinis Zug nach Savoyen. Ein Hüne von Gestalt, resolut und energisch, stets bereit, bürgerliche Existenz und Leben in die Schanze zu schlagen, war er das Musterbild des Revolutionärs von Profession, wie er in den dreißiger Jahren eine Rolle spielte. Bei einer gewissen Schwerfälligkeit des Denkens war er keineswegs besserer theoretischer Einsicht unzugänglich, wie schon seine Entwicklung vom »Demagogen« zum Kommunisten beweist, und hielt dann um so starrer am einmal Erkannten. Ebendeshalb ging seine revolutionäre Leidenschaft zuweilen mit seinem Verstande durch; aber er hat stets seinen Fehler nachher eingesehn und offen bekannt. Er war ein ganzer Mann, und was er zur Begründung der deutschen Arbeiterbewegung getan, bleibt unvergeßlich.[207]
Heinrich Bauer aus Franken war Schuhmacher; ein lebhaftes, aufgewecktes, witziges Männchen, in dessen kleinem Körper aber ebenfalls viel Schlauheit und Entschlossenheit steckte.
In London angekommen, wo Schapper, der in Paris Schriftsetzer gewesen, nun als Sprachlehrer seinen Unterhalt suchte, knüpften beide die abgerissenen Bundesfäden wieder zusammen und machten nun London zum Zentrum des Bundes. Zu ihnen gesellte sich hier, wenn nicht schon früher in Paris, Joseph Moll, Uhrmacher aus Köln, ein mittelgroßer Herkules – er und Schapper haben, wie oft! eine Saaltüre gegen Hunderte andringender Gegner siegreich behauptet –, ein Mann, der seinen beiden Genossen an Energie und Entschlossenheit mindestens gleichkam, sie aber geistig beide übertraf. Nicht nur, daß er geborner Diplomat war, wie die Erfolge seiner zahlreichen Missionsreisen bewiesen; er war auch theoretischer Einsicht leichter zugänglich. Ich lernte sie alle drei 1843 in London kennen; es waren die ersten revolutionären Proletarier, die ich sah; und soweit auch im einzelnen damals unsre Ansichten auseinandergingen – denn ich trug ihrem bornierten Gleichheitskommunismus1 damals noch ein gut Stück ebenso bornierten philosophischen Hochmuts entgegen –, so werde ich doch nie den imponierenden Eindruck vergessen, den diese drei wirklichen Männer auf mich machten, der ich damals eben erst ein Mann werden wollte.
In London, wie in geringerm Maße in der Schweiz, kam ihnen die Vereins- und Versammlungsfreiheit zugut. Schon am 7. Februar 1840 wurde der öffentliche Deutsche Arbeiterbildungsverein gestiftet, der heute noch besteht. Dieser Verein diente dem Bund als Werbebezirk neuer Mitglieder, und da, wie immer, die Kommunisten die tätigsten und intelligentesten Vereinsmitglieder waren, verstand es sich von selbst, daß seine Leitung ganz in den Händen des Bundes lag. Der Bund hatte bald mehrere Gemeinden oder, wie sie damals noch hießen, »Hütten« in London. Dieselbe auf der Hand liegende Taktik wurde in der Schweiz und anderswo befolgt. Wo man Arbeitervereine gründen konnte, wurden sie in derselben Weise benutzt. Wo die Gesetze dies verboten, ging man in Gesangvereine, Turnvereine u. dgl. Die Verbindung wurde großenteils durch die fortwährend ab- und zureisenden Mitglieder aufrechterhalten, die auch, wo erforderlich, als Emissäre fungierten. In beiden Hinsichten wurde der Bund lebhaft unterstützt durch die Weisheit der Regierungen, die jeden[208] mißliebigen Arbeiter – und das war in neun Fällen aus zehn ein Bundesmitglied – durch Ausweisung in einen Emissär verwandelten.
Die Ausbreitung des wiederhergestellten Bundes war eine bedeutende. Namentlich in der Schweiz hatten Weitling, August Becker (ein höchst bedeutender Kopf, der aber an innerer Haltlosigkeit zugrundeging wie so viele Deutsche) und andre eine starke, mehr oder weniger auf Weitlings kommunistisches System vereidigte Organisation geschaffen. Es ist hier nicht der Ort, den Weitlingschen Kommunismus zu kritisieren. Aber für seine Bedeutung als erste selbständige theoretische Regung des deutschen Proletariats unterschreibe ich noch heute Marx' Worte im Pariser »Vorwärts!« von 1844: »Wo hätte die« (deutsche) »Bourgeoisie – ihre Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet – ein ähnliches Werk wie Weitlings ›Garantien der Harmonie und Freiheit‹ in bezug auf die Emanzipation der Bourgeoisie – die politische Emanzipation – aufzuweisen? Vergleicht man die nüchterne, kleinlaute Mittelmäßigkeit der deutschen politischen Literatur mit diesem maßlosen und brillanten Debüt der deutschen Arbeiter; vergleicht man diese riesenhaften Kinderschuhe des Proletariats mit der Zwerghaftigkeit der ausgetretenen politischen Schuhe der Bourgeoisie, so muß man dem Aschenbrödel eine Athletengestalt prophezeien.« Diese Athletengestalt steht heute vor uns, obwohl noch lange nicht ausgewachsen.
Auch in Deutschland bestanden zahlreiche Sektionen, der Natur der Sache nach von vergänglicherer Natur; aber die entstehenden wogen die eingehenden mehr als auf. Die Polizei entdeckte erst nach sieben Jahren, Ende 1846, in Berlin (Mentel) und Magdeburg (Beck) eine Spur des Bundes, ohne imstande zu sein, sie weiter zu verfolgen.
In Paris hatte der noch 1840 dort befindliche Weitling ebenfalls die zersprengten Elemente wieder gesammelt, ehe er in die Schweiz ging.
Die Kerntruppe des Bundes waren die Schneider. Deutsche Schneider waren überall, in der Schweiz, in London, in Paris. In letzterer Stadt war das Deutsche so sehr herrschende Sprache des Geschäftszweigs, daß ich 1846 dort einen norwegischen, direkt zur See von Drontheim nach Frankreich gefahrnen Schneider kannte, der während 18 Monaten fast kein Wort Französisch, aber vortrefflich Deutsch gelernt hatte. Von den Pariser Gemeinden bestanden 1847 zwei vorwiegend aus Schneidern, eine aus Möbelschreinern.
Seit der Schwerpunkt von Paris nach London verlegt, trat ein neues Moment in den Vordergrund: Der Bund wurde aus einem deutschen allmählich ein internationaler. Im Arbeiterverein fanden sich außer Deutschen und Schweizern auch Mitglieder aller jener Nationalitäten ein, denen die[209] deutsche Sprache vorwiegend als Verständigungsmittel mit Ausländern diente, also namentlich Skandinavier, Holländer, Ungarn, Tschechen, Südslawen, auch Russen und Elsässer. 1847 war unter andern auch ein englischer Gardegrenadier in Uniform regelmäßiger Stammgast. Der Verein nannte sich bald: Kommunistischer Arbeiterbildungsverein, und auf den Mitgliedskarten stand der Satz: »Alle Menschen sind Brüder« in wenigstens zwanzig Sprachen, wenn auch hie und da nicht ohne Sprachfehler. Wie der öffentliche Verein, so nahm auch der geheime Bund bald einen mehr internationalen Charakter an; zunächst noch in einem beschränkten Sinn, praktisch durch die verschiedene Nationalität der Mitglieder, theoretisch durch die Einsicht, daß jede Revolution, um siegreich zu sein, europäisch sein müsse. Weiter ging man noch nicht; aber die Grundlage war gegeben.
Mit den französischen Revolutionären hielt man durch die Londoner Flüchtlinge, die Kampfgenossen vom 12. Mai 1839, enge Verbindung. Desgleichen mit den radikaleren Polen. Die offizielle polnische Emigration, wie auch Mazzini, waren selbstverständlich mehr Gegner als Bundesgenossen. Die englischen Chartisten wurden wegen des spezifisch englischen Charakters ihrer Bewegung als unrevolutionär beiseite gelassen. Mit ihnen kamen die Londoner Leiter des Bundes erst später durch mich in Verbindung.
Auch sonst hatte sich der Charakter des Bundes mit den Ereignissen geändert. Obwohl man noch immer – und damals mit vollem Recht – auf Paris als die revolutionäre Mutterstadt blickte, war man doch aus der Abhängigkeit von den Pariser Verschwörern herausgekommen. Die Ausbreitung des Bundes hob sein Selbstbewußtsein. Man fühlte, daß man in der deutschen Arbeiterklasse mehr und mehr Wurzel faßte und daß diese deutschen Arbeiter geschichtlich berufen seien, den Arbeitern des europäischen Nordens und Ostens die Fahne voranzutragen. Man hatte in Weitling einen kommunistischen Theoretiker, den man seinen damaligen französischen Konkurrenten kühn an die Seite setzen durfte. Endlich war man durch die Erfahrung vom 12. Mai belehrt worden, daß es mit den Putschversuchen vorderhand nichts mehr sei. Und wenn man auch fortfuhr, jedes Ereignis sich als Anzeichen des hereinbrechenden Sturms auszulegen, wenn man die alten, halb konspiratorischen Statuten im ganzen aufrechthielt, so war das mehr die Schuld des alten revolutionären Trotzes, der schon anfing, mit der sich aufdringenden bessern Einsicht in Kollision zu kommen.
Dagegen hatte die gesellschaftliche Doktrin des Bundes, so unbestimmt sie war, einen sehr großen, aber in den Verhältnissen selbst begründeten[210] Fehler. Die Mitglieder, soweit sie überhaupt Arbeiter, waren fast ausschließlich eigentliche Handwerker. Der Mann, der sie ausbeutete, war selbst in den großen Weltstädten meist nur ein kleiner Meister. Die Ausbeutung selbst der Schneiderei auf großem Fuß, der jetzt sogenannten Konfektion, durch Verwandlung des Schneiderhandwerks in Hausindustrie für Rechnung eines großen Kapitalisten, war damals sogar in London erst im Aufkeimen. Einerseits war der Ausbeuter dieser Handwerker ein kleiner Meister, andrerseits hofften sie alle schließlich selbst kleine Meister zu werden. Und dabei klebten dem damaligen deutschen Handwerker noch eine Masse vererbter Zunftvorstellungen an. Es gereicht ihnen zur höchsten Ehre, daß sie, die selbst noch nicht einmal vollgültige Proletarier waren, sondern nur ein im Übergang ins moderne Proletariat begriffener Anhang des Kleinbürgertums, der noch nicht in direktem Gegensatz gegen die Bourgeoisie, d.h. das große Kapital, stand – daß diese Handwerker imstande waren, ihre künftige Entwicklung instinktiv zu antizipieren und, wenn auch noch nicht mit vollem Bewußtsein, sich als Partei des Proletariats zu konstituieren. Aber es war auch unvermeidlich, daß ihre alten Handwerkervorurteile ihnen jeden Augenblick ein Bein stellten, sobald es darauf ankam, die bestehende Gesellschaft im einzelnen zu kritisieren, d.h. ökonomische Tatsachen zu untersuchen. Und ich glaube nicht, daß im ganzen Bund damals ein einziger Mann war, der je ein Buch über Ökonomie gelesen hatte. Das verschlug aber wenig; die »Gleichheit«, die »Brüderlichkeit« und die »Gerechtigkeit« halfen einstweilen über jeden theoretischen Berg.
Inzwischen hatte sich neben dem Kommunismus des Bundes und Weitlings ein zweiter, wesentlich verschiedner herausgebildet. Ich war in Manchester mit der Nase darauf gestoßen worden, daß die ökonomischen Tatsachen, die in der bisherigen Geschichtsschreibung gar keine oder nur eine verachtete Rolle spielen, wenigstens in der modernen Welt eine entscheidende geschichtliche Macht sind; daß sie die Grundlage bilden für die Entstehung der heutigen Klassengegensätze; daß diese Klassengegensätze in den Ländern, wo sie vermöge der großen Industrie sich voll entwickelt haben, also namentlich in England, wieder die Grundlage der politischen Parteibildung, der Parteikämpfe und damit der gesamten politischen Geschichte sind. Marx war nicht nur zu derselben Ansicht gekommen, sondern hatte sie auch schon in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« (1844) dahin verallgemeinert, daß überhaupt nicht der Staat die bürgerliche Gesellschaft, sondern die bürgerliche Gesellschaft den Staat bedingt und regelt, daß also die Politik und ihre Geschichte aus den ökonomischen[211] Verhältnissen und ihrer Entwicklung zu erklären ist, nicht umgekehrt. Als ich Marx im Sommer 1844 in Paris besuchte, stellte sich unsere vollständige Übereinstimmung auf allen theoretischen Gebieten heraus, und von da an datiert unsre gemeinsame Arbeit. Als wir im Frühjahr 1845 in Brüssel wieder zusammenkamen, hatte Marx aus den obigen Grundlagen schon seine materialistische Geschichtstheorie in den Hauptzügen fertig herausentwickelt, und wir setzten uns nun daran, die neugewonnene Anschauungsweise nach den verschiedensten Richtungen hin im einzelnen auszuarbeiten.
Diese die Geschichtswissenschaft umwälzende Entdeckung, die, wie man sieht, wesentlich das Werk von Marx ist und an der ich mir nur einen sehr geringen Anteil zuschreiben kann, war aber von unmittelbarer Wichtigkeit für die gleichzeitige Arbeiterbewegung. Kommunismus bei Franzosen und Deutschen, Chartismus bei den Engländern erschien nun nicht mehr als etwas Zufälliges, das ebensogut auch hätte nicht dasein können. Diese Bewegungen stellten sich nun dar als eine Bewegung der modernen unterdrückten Klasse, des Proletariats, als mehr oder minder entwickelte Formen ihres geschichtlich notwendigen Kampfs gegen die herrschende Klasse, die Bourgeoisie; als Formen des Klassenkampfs, aber unterschieden von allen früheren Klassenkämpfen durch dies eine: daß die heutige unterdrückte Klasse, das Proletariat, seine Emanzipation nicht durchführen kann, ohne gleichzeitig die ganze Gesellschaft von der Scheidung in Klassen und damit von den Klassenkämpfen zu emanzipieren. Und Kommunismus hieß nun nicht mehr: Ausheckung, vermittelst der Phantasie, eines möglichst vollkommenen Gesellschaftsideals, sondern: Einsicht in die Natur, die Bedingungen und die daraus sich ergebenden allgemeinen Ziele des vom Proletariat geführten Kampfs.
Wir waren nun keineswegs der Absicht, die neuen wissenschaftlichen Resultate in dicken Büchern ausschließlich der »gelehrten« Welt zuzuflüstern. Im Gegenteil. Wir saßen beide schon tief in der politischen Bewegung, hatten unter der gebildeten Welt, namentlich Westdeutschlands, einen gewissen Anhang und reichliche Fühlung mit dem organisierten Proletariat. Wir waren verpflichtet, unsre Ansicht wissenschaftlich zu begründen; ebenso wichtig aber war es auch für uns, das europäische und zunächst das deutsche Proletariat für unsere Überzeugung zu gewinnen. Sobald wir erst mit uns selbst im reinen, ging's an die Arbeit. In Brüssel stifteten wir einen deutschen Arbeiterverein und bemächtigten uns der »Deutschen-Brüsseler-Zeitung«, in der wir bis zur Februarrevolution ein Organ hatten. Mit dem revolutionären Teil der englischen Chartisten verkehrten wir durch Julian Harney, den Redakteur des Zentralorgans der Bewegung, »The[212] Northern Star« dessen Mitarbeiter ich war. Ebenso standen wir in einer Art Kartell mit den Brüsseler Demokraten (Marx war Vizepräsident der Demokratischen Gesellschaft) und den französischen Sozialdemokraten von der »Réforme« der ich Nachrichten über die englische und deutsche Bewegung lieferte. Kurz, unsre Verbindungen mit den radikalen und proletarischen Organisationen und Preßorganen waren ganz nach Wunsch.
Mit dem Bund der Gerechten standen wir folgendermaßen. Die Existenz des Bundes war uns natürlich bekannt; 1843 hatte mir Schapper den Eintritt angetragen, den ich damals selbstredend ablehnte. Wir blieben aber nicht nur mit den Londonern in fortwährender Korrespondenz, sondern in noch engerm Verkehr mit Dr. Ewerbeck, dem jetzigen Leiter der Pariser Gemeinden. Ohne uns um die innern Bundesangelegenheiten zu kümmern, erfuhren wir doch von jedem wichtigen Vorgang. Andrerseits wirkten wir mündlich, brieflich und durch die Presse auf die theoretischen Ansichten der bedeutendsten Bundesmitglieder ein. Hierzu dienten auch verschiedne lithographierte Zirkulare, die wir bei besondern Gelegenheiten, wo es sich um Interna der sich bildenden kommunistischen Partei handelte, an unsre Freunde und Korrespondenten in die Welt sandten. Bei diesen kam der Bund zuweilen selbst ins Spiel. So war ein junger westfälischer Studiosus, Hermann Kriege, der nach Amerika ging, dort als Bundesemissär aufgetreten, hatte sich mit dem verrückten Harro Harring assoziiert, um vermittelst des Bundes Südamerika aus den Angeln zu heben, und hatte ein Blatt gegründet, worin er einen auf »Liebe« beruhenden, von Liebe überfließenden, überschwenglichen Kommunismus der Liebesduselei im Namen des Bundes predigte. Hiergegen fuhren wir los in einem Zirkular, das seine Wirkung nicht verfehlte. Kriege verschwand von der Bundesbühne.
Später kam Weitling nach Brüssel. Aber er war nicht mehr der naive junge Schneidergeselle, der, über seine eigene Begabung erstaunt, sich klar darüber zu werden sucht, wie denn eine kommunistische Gesellschaft wohl aussehen möge. Er war der wegen seiner Überlegenheit von Neidern verfolgte große Mann, der überall Rivalen, heimliche Feinde, Fallstricke witterte; der von Land zu Land gehetzte Prophet, der ein Rezept zur Verwirklichung des Himmels auf Erden fertig in der Tasche trug und sich einbildete, jeder gehe darauf aus, es ihm zu stehlen. Er hatte sich in London schon mit den Leuten des Bundes überwerfen, und auch in Brüssel, wo besonders Marx und seine Frau ihm mit fast übermenschlicher Geduld entgegenkamen,[213] konnte er mit niemand auskommen. So ging er bald darauf nach Amerika, um es dort mit dem Prophetentum zu versuchen.
Alle diese Umstände trugen bei zu der stillen Umwälzung, die sich im Bund und namentlich unter den Londoner Leitern vollzog. Die Unzulänglichkeit der bisherigen Auffassung des Kommunismus, sowohl des französischen einfachen Gleichheitskommunismus wie des Weitlingschen, wurde ihnen mehr und mehr klar. Die von Weitling eingeleitete Zurückführung des Kommunismus auf das Urchristentum – so geniale Einzelheiten sich in seinem »Evangelium des armen Sünders« finden – hatte in der Schweiz dahin geführt, die Bewegung großenteils in die Hände zuerst von Narren wie Albrecht und dann von ausbeutenden Schwindelpropheten wie Kuhlmann zu liefern. Der von einigen Belletristen vertriebne »wahre Sozialismus«, eine Übersetzung französischer sozialistischer Wendungen in verdorbenes Hegeldeutsch und sentimentale Liebesduselei (siehe den Abschnitt über den deutschen oder »wahren« Sozialismus im »Kommunistischen Manifest«), den Kriege und die Lektüre der betreffenden Schriften in den Bund eingeführt, mußte schon seiner speichelfließenden Kraftlosigkeit wegen den alten Revolutionären des Bundes zum Ekel werden. Gegenüber der Unhaltbarkeit der bisherigen theoretischen Vorstellungen, gegenüber den daraus sich herleitenden praktischen Abirrungen sah man in London mehr und mehr ein, daß Marx und ich mit unsrer neuen Theorie recht hatten. Diese Einsicht wurde unzweifelhaft dadurch befördert, daß sich unter den Londoner Führern jetzt zwei Männer befanden, die den Genannten an Befähigung zu theoretischer Erkenntnis bedeutend überlegen waren: der Miniaturmaler Karl Pfänder aus Heilbronn und der Schneider Georg Eccarius aus Thüringen.2
Genug, im Frühjahr 1847 erschien Moll in Brüssel bei Marx und gleich darauf in Paris bei mir, um uns im Namen seiner Genossen mehrmals zum Eintritt in den Bund aufzufordern. Sie seien von der allgemeinen Richtigkeit unserer Auffassungsweise ebensosehr überzeugt wie von der Notwendigkeit, den Bund von den alten konspiratorischen Traditionen und[214] Formen zu befreien. Wollten wir eintreten, so sollte uns Gelegenheit gegeben werden, auf einem Bundeskongreß unsren kritischen Kommunismus in einem Manifest zu entwickeln, das sodann als Manifest des Bundes veröffentlicht würde; und ebenso würden wir das unsrige beitragen können, daß die veraltete Organisation des Bundes durch eine neue zeit- und zweckgemäße ersetzt werde.
Daß eine Organisation innerhalb der deutschen Arbeiterklasse schon der Propaganda wegen notwendig sei und daß diese Organisation, soweit sie nicht bloß lokaler Natur, selbst außerhalb Deutschlands nur eine geheime sein könne, darüber waren wir nicht im Zweifel. Nun bestand aber grade im Bund bereits eine solche Organisation. Das, was wir bisher an diesem Bund auszusetzen gehabt, wurde jetzt von den Vertretern des Bundes selbst als fehlerhaft preisgegeben; wir selbst wurden aufgefordert, zur Reorganisation mitzuarbeiten. Konnten wir nein sagen? Sicher nicht. Wir traten also in den Bund; Marx bildete in Brüssel aus unsern näheren Freunden eine Bundesgemeinde, während ich die drei Pariser Gemeinden besuchte.
Im Sommer 1847 fand der erste Bundeskongreß in London statt, wo W. Wolff die Brüsseler und ich die Pariser Gemeinden vertrat. Hier wurde zunächst die Reorganisation des Bundes durchgeführt. Was noch von den alten mystischen Namen aus der Konspirationszeit übrig, wurde jetzt auch abgeschafft; der Bund organisierte sich in Gemeinden, Kreise, leitende Kreise, Zentralbehörde und Kongreß und nannte sich von nun an: »Bund der Kommunisten«. »Der Zweck des Bundes ist der Sturz der Bourgeoisie, die Herrschaft des Proletariats, die Aufhebung der alten, auf Klassengegensätzen beruhenden bürgerlichen Gesellschaft und die Gründung einer neuen Gesellschaft ohne Klassen und ohne Privateigentum« – so lautet der erste Artikel. Die Organisation selbst war durchaus demokratisch, mit gewählten und stets absetzbaren Behörden und hiedurch allein allen Konspirationsgelüsten, die Diktatur erfordern, ein Riegel vorgeschoben und der Bund – für gewöhnliche Friedenszeiten wenigstens – in eine reine Propagandagesellschaft verwandelt. Diese neuen Statuten – so demokratisch wurde jetzt verfahren – wurden den Gemeinden zur Diskussion vorgelegt, dann auf dem zweiten Kongreß nochmals durchberaten und von ihm definitiv am 8. Dezember 1847 angenommen. Sie stehn abgedruckt bei Wermuth und Stieber, I, S. 239, Anl. X.
Der zweite Kongreß fand statt Ende November und Anfang Dezember desselben Jahres. Hier war auch Marx anwesend und vertrat in längerer Debatte – der Kongreß dauerte mindestens 10 Tage – die neue Theorie. Aller Widerspruch und Zweifel wurde endlich erledigt, die neuen Grundsätze[215] einstimmig angenommen und Marx und ich beauftragt, das Manifest auszuarbeiten. Dies geschah unmittelbar nachher. Wenige Wochen vor der Februarrevolution wurde es nach London zum Druck geschickt. Seitdem hat es die Reise um die Welt gemacht, ist in fast alle Sprachen übersetzt worden und dient noch heute in den verschiedensten Ländern als Leitfaden der proletarischen Bewegung. An die Stelle des alten Bundesmottos: »Alle Menschen sind Brüder«, trat der neue Schlachtruf: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«, der den internationalen Charakter des Kampfes offen proklamierte. Siebzehn Jahre später durchhallte dieser Schlachtruf die Welt als Feldgeschrei der Internationalen Arbeiterassoziation, und heute hat ihn das streitbare Proletariat aller Länder auf seine Fahne geschrieben.
Die Februarrevolution brach aus. Sofort übertrug die bisherige Londoner Zentralbehörde ihre Befugnisse an den leitenden Kreis Brüssel. Aber dieser Beschluß traf ein zu einer Zeit, wo in Brüssel schon ein tatsächlicher Belagerungszustand herrschte und namentlich die Deutschen sich nirgends mehr versammeln konnten. Wir waren eben alle auf dem Sprung nach Paris, und so beschloß die neue Zentralbehörde, sich ebenfalls aufzulösen, ihre sämtlichen Vollmachten an Marx zu übertragen und ihn zu bevollmächtigen, in Paris sofort eine neue Zentralbehörde zu konstituieren. Kaum waren die fünf Leute, die diesen Beschluß (3. März 1848) gefaßt, auseinandergegangen, als die Polizei in Marx' Wohnung drang, ihn verhaftete und am nächsten Tage nach Frankreich abzureisen zwang, wohin er grade gehn wollte.
In Paris fanden wir uns bald alle wieder zusammen. Dort wurde auch das folgende, von den Mitgliedern der neuen Zentralbehörde unterzeichnete Dokument verfaßt, das in ganz Deutschland verbreitet wurde und woraus auch heute mancher noch etwas lernen kann:
1. Ganz Deutschland wird zu einer einigen, unteilbaren Republik erklärt.
3. Die Volksvertreter werden besoldet, damit auch der Arbeiter im Parlament des deutschen Volkes sitzen könne.
4. Allgemeine Volksbewaffnung.[216]
7. Die fürstlichen und andern feudalen Landgüter, alle Bergwerke, Gruben usw. werden in Staatseigentum umgewandelt. Auf diesen Landgütern wird der Ackerbau im großen und mit den modernsten Hilfsmitteln der Wissenschaft zum Vorteile der Gesamtheit betrieben.
8. Die Hypotheken auf den Bauerngütern werden für Staatseigentum erklärt. Die Interessen für jene Hypotheken werden von den Bauern an den Staat gezahlt.
9. In den Gegenden, wo das Pachtwesen entwickelt ist, wird die Grundrente oder der Pachtschilling als Steuer an den Staat gezahlt.
11. Alle Transportmittel: Eisenbahnen, Kanäle, Dampfschiffe, Wege, Posten etc. nimmt der Staat in seine Hand. Sie werden in Staatseigentum umgewandelt und der unbemittelten Klasse zur unentgeltlichen Verfügung gestellt.
14. Beschränkung des Erbrechts.
15. Einführung von starken Progressivsteuern und Abschaffung der Konsumtionssteuern.
16. Errichtung von Nationalwerkstätten. Der Staat garantiert allen Arbeitern ihre Existenz und versorgt die zur Arbeit Unfähigen.
17. Allgemeine, unentgeltliche Volkserziehung.
Es liegt im Interesse des deutschen Proletariats, des kleinen Bürger und Bauernstandes, mit aller Energie an der Durchsetzung obiger Maßregeln zu arbeiten. Denn nur durch Verwirklichung derselben können die Millionen, die bisher in Deutschland von einer kleinen Zahl ausgebeutet wurden und die man weiter in Unterdrückung zu erhalten suchen wird, zu ihrem Rechte und zu derjenigen Macht gelangen, die ihnen, als den Hervorbringern alles Reichtums, gebührt.
Das Komitee:
Karl Marx Karl Schapper H. Bauer F. Engels
J. Moll W. Wolff
In Paris herrschte damals die Manie der revolutionären Legionen. Spanier, Italiener, Belgier, Holländer, Polen, Deutsche taten sich in Haufen zusammen, um ihre respektiven Vaterländer zu befreien. Die deutsche Legion wurde geführt von Herwegh, Bornstedt, Börnstein. Da sofort nach der Revolution alle ausländischen Arbeiter nicht nur beschäftigungslos, sondern auch noch vom Publikum drangsaliert wurden, fanden diese Legionen starken Zulauf. Die neue Regierung sah in ihnen ein Mittel, die fremden[217] Arbeiter loszuwerden, und bewilligte ihnen l'étape du soldat, d.h. Marschquartiere und die Marschzulage von 50 Centimen per Tag bis an die Grenze, wo dann der stets zu Tränen gerührte Minister des Auswärtigen, der Schönredner Lamartine, schon Gelegenheit fand, sie an ihre respektiven Regierungen zu verraten.
Wir widersetzten uns dieser Revolutionsspielerei aufs entschiedenste. Mitten in die damalige Gärung Deutschlands eine Invasion hineintragen, die die Revolution zwangsmäßig von außen importieren sollte, das hieß der Revolution in Deutschland selbst ein Bein stellen, die Regierungen stärken und die Legionäre selbst – dafür bürgte Lamartine – den deutschen Truppen wehrlos in die Hände liefern. Als dann in Wien und Berlin die Revolution siegte, wurde die Legion erst recht zwecklos; aber man hatte einmal angefangen, und so wurde weitergespielt.
Wir stifteten einen deutschen kommunistischen Klub, worin wir den Arbeitern rieten, der Legion fernzubleiben, dagegen einzeln nach der Heimat zurückzukehren und dort für die Bewegung zu wirken. Unser alter Freund Flocon, der in der provisorischen Regierung saß, erwirkte für die von uns fortgeschickten Arbeiter dieselben Reisebegünstigungen, die den Legionären zugesagt waren. So beförderten wir drei- bis vierhundert Arbeiter nach Deutschland zurück, darunter die große Mehrzahl der Bundesglieder.
Wie leicht vorherzusehn, erwies sich der Bund, gegenüber der jetzt losgebrochenen Bewegung der Volksmassen, als ein viel zu schwacher Hebel. Drei Viertel der Bundesglieder, die früher im Ausland wohnten, hatten durch Rückkehr in die Heimat ihren Wohnsitz gewechselt; ihre bisherigen Gemeinden waren damit großenteils aufgelöst, alle Fühlung mit dem Bund ging für sie verloren. Ein Teil der Ehrgeizigeren unter ihnen suchte sie auch nicht wieder zu gewinnen, sondern fing, jeder in seiner Lokalität, eine kleine Separatbewegung auf eigne Rechnung an. Und endlich lagen die Verhältnisse in jedem einzelnen Kleinstaat, jeder Provinz, jeder Stadt wieder so verschieden, daß der Bund außerstande gewesen wäre, mehr als ganz allgemeine Direktiven zu geben; diese waren aber viel besser durch die Presse zu verbreiten. Kurz, mit dem Augenblick, wo die Ursachen aufhörten, die den geheimen Bund notwendig gemacht hatten, hörte auch der geheime Bund auf, als solcher etwas zu bedeuten. Das aber konnte am wenigsten die Leute überraschen, die soeben erst demselben geheimen Bund den letzten Schatten konspiratorischen Charakters abgestreift.
Daß aber der Bund eine vorzügliche Schule der revolutionären Tätigkeit gewesen, bewies sich jetzt. Am Rhein, wo die »Neue Rheinische Zeitung« einen festen Mittelpunkt bot, in Nassau, Rheinhessen etc. standen überall[218] Bundesglieder an der Spitze der extrem-demokratischen Bewegung. Desgleichen in Hamburg. In Süddeutschland stand das Vorherrschen der kleinbürgerlichen Demokratie im Weg. In Breslau war Wilhelm Wolff bis in den Sommer 1848 hinein mit großem Erfolg tätig; er erhielt auch ein schlesisches Mandat als Stellvertreter zum Frankfurter Parlament. Endlich in Berlin stiftete der Schriftsetzer Stephan Born, der in Brüssel und Paris als tätiges Bundesmitglied gewirkt hatte, eine »Arbeiterverbrüderung«, die eine ziemliche Verbreitung erhielt und bis 1850 bestand. Born, ein sehr talentvoller junger Mann, der es aber mit seiner Verwandlung in eine politische Größe etwas zu eilig hatte, »verbrüderte« sich mit den verschiedenartigsten Krethi und Plethi, um nur einen Haufen zusammenzubekommen, und war keineswegs der Mann, der Einheit in die widerstrebenden Tendenzen, Licht in das Chaos bringen konnte. In den amtlichen Veröffentlichungen des Vereins laufen daher auch die im »Kommunistischen Manifest« vertretenen Ansichten kunterbunt durcheinander mit Zunfterinnerungen und Zunftwünschen, Abfällen von Louis Blanc und Proudhon, Schutzzöllnerei usw., kurz, man wollte allen alles sein. Speziell wurden Streiks, Gewerksgenossenschaften, Produktivgenossenschaften ins Werk gesetzt und vergessen, daß es sich vor allem darum handelte, durch politische Siege sich erst das Gebiet zu erobern, worauf allein solche Dinge auf die Dauer durchführbar waren. Als dann die Siege der Reaktion den Leitern der Verbrüderung die Notwendigkeit fühlbar machten, direkt in den Revolutionskampf einzutreten, wurden sie von der verworrenen Masse, die sie um sich gruppiert, selbstredend im Stich gelassen. Born beteiligte sich am Dresdner Mai-Aufstand 1849 und entkam glücklich. Die »Arbeiterverbrüderung« aber hatte sich, gegenüber der großen politischen Bewegung des Proletariats, als ein reiner Sonderbund bewährt, der großenteils nur auf dem Papier bestand und eine so untergeordnete Rolle spielte, daß die Reaktion ihn erst 1850 und seine fortbestehenden Ableger erst mehrere Jahre nachher zu unterdrücken für nötig fand. Born, der eigentlich Buttermilch heißt, wurde keine politische Größe, sondern ein kleiner Schweizer Professor, der nicht mehr den Marx ins Zünftlerische, sondern den sanften Renan in sein eignes süßliches Deutsch übersetzt.
Mit dem 13. Juni 1849 in Paris, mit der Niederlage der deutschen Mai-Aufstände und der Niederwerfung der ungarischen Revolution durch die Russen war eine große Periode der 1848er Revolution abgeschlossen. Aber der Sieg der Reaktion war soweit noch keineswegs endgültig. Eine Neuorganisation der zersprengten revolutionären Kräfte war geboten und damit auch die des Bundes. Die Verhältnisse verboten wieder, wie vor 1848,[219] jede öffentliche Organisation des Proletariats; man mußte also sich von neuem geheim organisieren.
Im Herbst 1849 fanden sich die meisten Mitglieder der frühem Zentralbehörden und Kongresse wieder in London zusammen. Es fehlte nur noch Schapper, der in Wiesbaden saß, aber nach seiner Freisprechung im Frühjahr 1850 ebenfalls kam, und Moll, der, nachdem er eine Reihe der gefährlichsten Missions- und Agitationsreisen erledigt – zuletzt warb er mitten unter der preußischen Armee in der Rheinprovinz Fahrkanoniere für die pfälzische Artillerie –, in die Besançoner Arbeiterkompanie des Willichschen Korps eintrat und im Gefecht an der Murg, vorwärts der Rotenfelser Brücke, durch einen Schuß in den Kopf getötet wurde. Dagegen trat nun Willich ein. Willich war einer der seit 1845 im westlichen Deutschland so häufigen Gemütskommunisten, also schon deshalb in instinktivem, geheimem Gegensatz gegen unsre kritische Richtung. Er war aber mehr, er war vollständiger Prophet, von seiner persönlichen Mission als prädestinierter Befreier des deutschen Proletariats überzeugt und als solcher direkter Prätendent auf die politische nicht minder als auf die militärische Diktatur. Dem früher von Weitling gepredigten urchristlichen Kommunismus trat somit eine Art von kommunistischem Islam zur Seite. Doch blieb die Propaganda dieser neuen Religion zunächst auf die von Willich befehligte Flüchtlingskaserne beschränkt.
Der Bund wurde also neu organisiert, die im Anhang (IX, Nr. 1) abgedruckte Ansprache vom März 1850 erlassen und Heinrich Bauer als Emissär nach Deutschland geschickt. Die von Marx und mir redigierte Ansprache ist noch heute von Interesse, weil die kleinbürgerliche Demokratie auch jetzt noch diejenige Partei ist, welche bei der nächsten europäischen Erschütterung, die nun bald fällig wird (die Verfallzeit der europäischen Revolutionen, 1815, 1830, 1848-1852, 1870, währt in unserm Jahrhundert 15 bis 18 Jahre), in Deutschland unbedingt zunächst ans Ruder kommen muß, als Retterin der Gesellschaft vor den kommunistischen Arbeitern. Manches von dem dort Gesagten paßt also noch heute. Die Missionsreise Heinrich Bauers war von vollständigem Erfolg gekrönt. Der kleine fidele Schuhmacher war ein geborner Diplomat. Er brachte die teils lässig gewordnen, teils auf eigne Rechnung operierenden ehemaligen Bundesglieder wieder in die aktive Organisation, namentlich auch die jetzigen Führer der »Arbeiterverbrüderung«. Der Bund fing an, in den Arbeiter-, Bauern- und Turnvereinen in weit größerem Maß als vor 1848 die dominierende Rolle zu spielen, so daß schon die nächste vierteljährliche Ansprache an die Gemeinden vom Juni 1850 konstatieren konnte, der im Interesse der kleinbürgerlichen[220] Demokratie Deutschland bereisende Studiosus Schurz aus Bonn (der spätere amerikanische Exminister) »habe alle brauchbaren Kräfte schon in den Händen des Bundes gefunden« (s. Anhang IX, Nr. 2). Der Bund war unbedingt die einzige revolutionäre Organisation, die in Deutschland eine Bedeutung hatte.
Wozu diese Organisation aber dienen sollte, das hing sehr wesentlich davon ab, ob die Aussichten auf einen erneuten Aufschwung der Revolution sich verwirklichten. Und dies wurde im Lauf des Jahres 1850 immer unwahrscheinlicher, ja unmöglicher. Die industrielle Krisis von 1847, die die Revolution von 1848 vorbereitet hatte, war überwunden; eine neue, bisher unerhörte Periode der industriellen Prosperität war angebrochen; wer Augen hatte zu sehn, und sie gebrauchte, für den mußte es klar sein, daß der Revolutionssturm von 1848 sich allmählich erschöpfte.
»Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln, wie dies innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden möglich, wo diese beiden Faktoren, die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsformen, miteinander in Widerspruch geraten. Die verschiedenen Zänkereien, in denen sich jetzt die Repräsentanten der einzelnen Fraktionen der kontinentalen Ordnungspartei ergehn und gegenseitig kompromittieren, weit entfernt zu neuen Revolutionen Anlaß zu geben, sind im Gegenteil nur möglich, weil die Grundlage der Verhältnisse momentan so sicher und, was die Reaktion nicht weiß, so bürgerlich ist. An ihr werden alle die bürgerliche Entwicklung aufhaltenden Reaktionsversuche ebenso sicher abprallen wie alle sittliche Entrüstung und alle begeisterten Proklamationen der Demokraten.« So schrieb Marx und ich in der »Revue von Mai bis Oktober 1850« in der »Neuen Rheinischen Zeitung. Politisch-ökonomische Revue«, V. und VI. Heft, Hamburg 1850, S. 153.
Diese kühle Auffassung der Lage war aber für viele Leute eine Ketzerei zu einer Zeit, wo Ledru-Rollin, Louis Blanc, Mazzini, Kossuth, und von kleineren deutschen Lichtern Ruge, Kinkel, Goegg und wie sie alle heißen, sich in London haufenweise zu provisorischen Zukunftsregierungen, nicht nur für ihre respektiven Vaterländer, sondern auch für ganz Europa zusammentaten und wo es nur noch darauf ankam, das nötige Geld als Revolutionsanleihe in Amerika aufzunehmen, um die europäische Revolution benebst den damit selbstverständlichen verschiednen Republiken im Nu[221] zu verwirklichen. Daß ein Mann wie Willich hier hineinfiel und daß auch Schapper aus altem Revolutionsdrang sich betören ließ, daß die Mehrzahl der Londoner Arbeiter, großenteils selbst Flüchtlinge, ihnen in das Lager der bürgerlich-demokratischen Revolutionsmacher folgte, wen kann es wundern? Genug, die von uns verteidigte Zurückhaltung war nicht nach dem Sinn dieser Leute; es sollte in die Revolutionsmacherei eingetreten werden; wir weigerten uns aufs entschiedenste. Die Spaltung erfolgte; das Weitere ist in den »Enthüllungen« zu lesen. Dann kam die Verhaftung zuerst Nothjungs, dann Haupts in Harnburg, der zum Verräter wurde, indem er die Namen der Kölner Zentralbehörde angab und im Prozeß als Hauptzeuge dienen sollte; aber seine Verwandten wollten diese Schande nicht erleben und beförderten ihn nach Rio de Janeiro, wo er sich später als Kaufmann etablierte und in Anerkennung seiner Verdienste erst preußischer und dann deutscher Generalkonsul wurde. Er ist jetzt wieder in Europa.3
Zum besseren Verständnis des Folgenden gebe ich die Liste der Kölner Angeklagten: 1. P. G. Röser, Zigarrenarbeiter; 2. Heinrich Bürgers, später verstorbener fortschrittlicher Landtagsabgeordneter; 3. Peter Nothjung, Schneider, vor wenigen Jahren als Photograph in Breslau gestorben; 4. W. J. Reiff; 5. Dr. Hermann Becker, jetzt Oberbürgermeister von Köln und Mitglied des Herrenhauses; 6. Dr. Roland Daniels, Arzt, wenige Jahre nach dem Prozeß an der im Gefängnis erworbenen Schwindsucht gestorben; 7. Karl Otto, Chemiker; 8. Dr. Abraham Jacobi, jetzt Arzt in New York; 9. Dr. J. J. Klein, jetzt Arzt und Stadtverordneter in Köln; 10. Ferdinand Freiligrath, der aber damals schon in London war; 11. J. L. Ehrhard, Kommis; 12. Friedrich Leßner, Schneider, jetzt in London. Von diesen wurden, nachdem die öffentlichen Verhandlungen vor den Geschwornen vom 4. Oktober bis 12. November 1852 gedauert, wegen versuchten Hochverrats verurteilt: Röser, Bürgers und Nothjung zu 6, Reiff, Otto, Becker zu 5, Leßner zu 3 Jahren Festungshaft, Daniels, Klein, Jacobi und Ehrhard wurden freigesprochen.
Mit dem Kölner Prozeß schließt diese erste Periode der deutschen kommunistischen Arbeiterbewegung. Unmittelbar nach der Verurteilung lösten[222] wir unsern Bund auf; wenige Monate nachher ging auch der Willich-Schappersche Sonderbund ein zur ewigen Ruhe.
Zwischen damals und jetzt liegt ein Menschenalter. Damals war Deutschland ein Land des Handwerks und der auf Handarbeit beruhenden Hausindustrie; jetzt ist es ein noch in fortwährender industrieller Umwälzung begriffnes großes Industrieland. Damals mußte man die Arbeiter einzeln zusammensuchen, die Verständnis hatten für ihre Lage als Arbeiter und ihren geschichtlich-ökonomischen Gegensatz gegen das Kapital, weil dieser Gegensatz selbst erst im Entstehen begriffen war. Heute muß man das gesamte deutsche Proletariat unter Ausnahmegesetze stellen, um nur den Prozeß seiner Entwicklung zum vollen Bewußtsein seiner Lage als unterdrückte Klasse um ein geringes zu verlangsamen. Damals mußten sich die wenigen Leute, die zur Erkenntnis der geschichtlichen Rolle des Proletariats durchgedrungen, im geheimen zusammentun, in kleinen Gemeinden von drei bis zwanzig Mann verstohlen sich versammeln. Heute braucht das deutsche Proletariat keine offizielle Organisation mehr, weder öffentliche noch geheime; der einfache, sich von selbst verstehende Zusammenhang gleichgesinnter Klassengenossen reicht hin, um ohne alle Statuten, Behörden, Beschlüsse und sonstige greifbare Formen das gesamte Deutsche Reich zu erschüttern. Bismarck ist Schiedsrichter in Europa, draußen jenseits der Grenze; aber drinnen wächst täglich drohender jene Athletengestalt des deutschen Proletariats empor, die Marx schon 1844 vorhersah, der Riese, dem das auf den Philister bemessene enge Reichsgebäude schon zu knapp wird und dessen gewaltige Statur und breite Schultern dem Augenblick entgegenwachsen, wo sein bloßes Aufstehn vom Sitz den ganzen Reichsverfassungsbau in Trümmer sprengt. Und mehr noch. Die Internationale Bewegung des europäischen und amerikanischen Proletariats ist jetzt so erstarkt, daß nicht nur ihre erste enge Form – der geheime Bund –, sondern selbst ihre zweite, unendlich umfassendere Form – die öffentliche Internationale Arbeiterassoziation – eine Fessel für sie geworden und daß das einfache, auf der Einsicht in die Dieselbigkeit der Klassenlage beruhende Gefühl der Solidarität hinreicht, unter den Arbeitern aller Länder und Zungen eine und dieselbe große Partei des Proletariats zu schaffen und zusammenzuhalten. Die Lehren, die der Bund von 1847 bis 1852 vertrat und die damals als die Hirngespinste extremer Tollköpfe, als Geheimlehre einiger zersprengten Sektierer vom weisen Philisterium mit Achselzucken behandelt werden durften, sie haben jetzt zahllose Anhänger in allen zivilisierten[223] Ländern der Welt, unter den Verdammten der sibirischen Bergwerke wie unter den Goldgräbern Kaliforniens; und der Begründer dieser Lehre, der bestgehaßte, bestverleumdete Mann seiner Zeit, Karl Marx, war, als er starb, der stets gesuchte und stets willige Ratgeber des Proletariats beider Welten.
London, 8. Oktober 1885
Friedrich Engels[224]
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