Ludwig Feuerbach

Grundsätze der Philosophie der Zukunft

§ 1.

Die Aufgabe der neueren Zeit war die Verwirklichung und Vermenschlichung Gottes – die Verwandlung und Auflösung der Theologie in die Anthropologie.


§ 2.

Die religiöse oder praktische Weise dieser Vermenschlichung war der Protestantismus. Der Gott, welcher Mensch ist, der menschliche Gott also: Christus – dieser nur ist der Gott des Protestantismus. Der Protestantismus kümmert sich nicht mehr, wie der Katholizismus, darum, was Gott an sich selber ist, sondern nur darum, was er für den Menschen ist; er hat deshalb keine spekulative oder kontemplative Tendenz mehr, wie jener; er ist nicht mehr Theologie – er ist wesentlich nur Christologie, d.i. religiöse Anthropologie.




§ 3.

Der Protestantismus negierte jedoch den Gott an sich oder Gott als Gott – denn Gott an sich ist erst eigentlicher Gott – nur praktisch; theoretisch ließ er ihn bestehen; er ist, aber nur nicht für den Menschen, d.h. den religiösen Menschen – er ist ein jenseitiges Wesen, ein Wesen, das einst erst dort im Himmel ein Gegenstand für den Menschen wird. Aber was jenseits der Religion, das liegt diesseits der Philosophie, was kein Gegenstand für jene, das ist gerade der Gegenstand für diese.


§ 4.

Die rationelle oder theoretische Verarbeitung und Auflösung des für die Religion jenseitigen ungegenständlichen Gottes ist die spekulative Philosophie.




§ 5.

Das Wesen der spekulativen Philosophie ist nichts anderes als das rationalisierte, realisierte, [87] vergegenwärtigte Wesen Gottes. Die spekulative Philosophie ist die wahre, die konsequente, die vernünftige Theologie.


§ 6.

Gott als Gott – als geistiges oder abstraktes, d.i. nicht menschliches, nicht sinnliches, nur der Vernunft oder Intelligenz zugängliches und gegenständliches Wesen ist nichts anderes als das Wesen der Vernunft selbst, welches aber von der gemeinen Theologie oder vom Theismus vermittels der Einbildungskraft als ein von der Vernunft unterschiedenes, selbstständiges Wesen vorgestellt wird. Es ist daher eine innere, eine heilige Notwendigkeit, daß das von der Vernunft unterschiedene Wesen der Vernunft endlich mit der Vernunft identifiziert, das göttliche Wesen also als das Wesen der Vernunft erkannt, verwirklicht und vergegenwärtigt werde. Auf dieser Notwendigkeit beruht die hohe geschichtliche Bedeutung der spekulativen Philosophie.

Der Beweis, daß das göttliche Wesen das Wesen der Vernunft oder Intelligenz ist, liegt darin, daß die Bestimmungen oder Eigenschaften Gottes – so weit natürlich diese vernünftige oder geistige sind, nicht Bestimmungen der Sinnlichkeit oder EinbildungskraftEigenschaften der Vernunft sind.

»Gott ist das unendliche Wesen, das Wesen ohne alle Einschränkungen«. Aber was keine Grenze oder Schranke Gottes, das ist auch keine Schranke der Vernunft. Wo z.B. Gott ein über die Schranken der Sinnlichkeit erhabenes Wesen ist, da ist es auch die Vernunft. Wer keine andere Existenz denken kann als eine sinnliche, wer also eine[88] durch die Sinnlichkeit beschränkte Vernunft hat, der hat auch eben deswegen einen durch die Sinnlichkeit beschränkten Gott. Die Vernunft, welche Gott als ein unbeschränktese Wesen denkt, die denkt in Gott nur ihre eigene Unbeschränktheit. Was der Vernunft das göttliche, das ist ihr auch erst das wahrhaft vernünftige Wesen – d.h. das vollkommen der Vernunft entsprechende und eben deswegen sie befriedigende Wesen. Das aber, worin sich ein Wesen befriedigt, ist nichts anderes als sein gegenständliches Wesen. Wer sich in einem Dichter befriedigt, ist selbst eine dichterische, wer in einem Philosophen, selbst eine philosophische Natur, und daß er es ist, das wird ihm und anderen erst in dieser Befriedigung Gegenstand. Die Vernunft »bleibt aber nicht bei den sinnlichen, endlichen Dingen stehen; sie befriedigt sich nur in dem unendlichen Wesen« – also ist uns erst in diesem Wesen das Wesen der Vernunft aufgeschlossen.

»Gott ist das notwendige Wesen«. Aber diese seine Notwendigkeit beruht darauf, daß er ein vernünftiges, intelligentes Wesen ist. Die Welt, die Materie hat den Grund, warum sie ist und so ist, wie sie ist, nicht in sich, denn es ist ihr völlig einerlei, ob sie ist oder nicht ist, ob sie so oder anders ist1. Sie setzt daher notwendig als Ursache ein anderes Wesen voraus, und zwar ein verständiges, selbstbewußtes, nach Gründen und Zwecken wirkendes Wesen. Denn nimmt man von diesem anderen Wesen die Intelligenz weg, so entsteht von neuem die Frage nach dem Grund desselben. Die Notwendigkeit[89] des ersten, höchsten Wesens beruht darum auf der Voraussetzung, daß der Verstand allein das erste und höchste, das notwendige und wahre Wesen ist. Wie überhaupt die metaphysischen oder ontotheologischen Bestimmungen erst Wahrheit und Realität haben, wenn sie auf psychologische oder vielmehr anthropologische Bestimmungen zurückgeführt werden, so hat also auch die Notwendigkeit des göttlichen Wesens in der alten Metaphysik oder Ontotheologie erst Sinn und Verstand, Wahrheit und Realität in der psychologischen oder anthropologischen Bestimmung Gottes als eines intelligenten Wesens. Das notwendige Wesen ist das notwendig zu denkende, schlechterdings zu bejahende, schlechterdings unleugbare oder unaufhebbare Wesen, aber nur als ein selbstdenkendes Wesen. In dem notwendigen Wesen beweist und zeigt also die Vernunft nur ihre eigene Notwendigkeit und Realität.

»Gott ist das unbedingte, allgemeine – ›Gott ist nicht dies und das‹ –, unveränderliche, ewige oder zeitlose Wesen.« Aber Unbedingtheit, Unveränderlichkeit, Ewigkeit, Allgemeinheit sind selbst nach dem Urteil der metaphysischen Theologie auch Eigenschaften der Vernunftwahrheiten oder Vernunftgesetze, folglich Eigenschaften der Vernunft selbst; denn was sind diese unveränderlichen, allgemeinen, unbedingten, immer und überall gültigen Vernunftwahrheiten anderes als Ausdrücke von dem Wesen der Vernunft?

»Gott ist das unabhängige, selbständige Wesen, welches keines anderen Wesens zu seiner Existenz bedarf, folglich von und durch sich selbst ist.« Aber auch diese abstrakte metaphysische Bestimmung hat nur Sinn und Realität als eine Definition von dem Wesen des Verstandes und sagt daher nichts weiter aus, als[90] daß Gott ein denkendes, intelligentes Wesen oder umgekehrt nur das denkende Wesen das göttliche ist; denn nur ein sinnliches Wesen bedarf zu seiner Existenz andere Dinge außer ihm. Luft bedarf ich zum Atmen, Wasser zum Trinken, Licht zum Sehen, pflanzliche und tierische Stoffe zum Essen, aber nichts, wenigstens unmittelbar, zum Denken. Ein atmendes Wesen kann ich nicht denken ohne die Luft, ein sehendes nicht ohne Licht, aber das denkende Wesen kann ich für sich isoliert denken. Das atmende Wesen bezieht sich notwendig auf ein Wesen außer ihm, hat seinen wesentlichen Gegenstand, das, wodurch es ist, was es ist, außer sich; aber das denkende Wesen bezieht sich auf sich selbst, ist sein eigener Gegenstand, hat sein Wesen in sich selbst, ist, was es ist, durch sich selbst.


§ 7.

Was im Theismus Objekt, das ist in der spekulativen Philosophie Subjekt, was das dort nur gedachte, vorgestellte Wesen der Vernunft, ist hier das denkende Wesen der Vernunft selbst.

Der Theist stellt sich Gott als ein außer der Vernunft, außer dem Menschen überhaupt existierendes, persönliches Wesen vor – er denkt als Subjekt über Gott als Objekt. Er denkt Gott als ein dem Wesen, d.h. seiner Vorstellung nach geistiges, unsinnliches, aber der Existenz, d.h. der Wahrheit nach sinnliches Wesen; denn das wesentliche Merkmal einer objektiven Existenz, einer Existenz außer dem Gedanken oder der Vorstellung ist die Sinnlichkeit. Er unterscheidet Gott von sich in demselben Sinne, in welchem er die sinnlichen Dinge und Wesen als außer ihm existierende von sich unterscheidet; kurz, er denkt Gott vom Standpunkt der Sinnlichkeit[91] aus. Der spekulative Theologe oder Philosoph dagegen denkt Gott vom Standpunkt des Denkens aus; er hat daher nicht zwischen sich und Gott in der Mitte die störende Vorstellung eines sinnlichen Wesens; er identifiziert somit ohne Hindernis das objektive, gedachte Wesen mit dem subjektiven, denkenden Wesen.

Die innere Notwendigkeit, daß Gott aus einem Objekt des Menschen zum Subjekt, zum denkenden Ich des Menschen wird, ergibt sich aus dem bereits Entwickelten näher so: Gott ist Gegenstand des Menschen, und nur des Menschen, nicht des Tieres. Was aber ein Wesen ist, das wird nur aus seinem Gegenstand erkannt; der Gegenstand, auf den sich ein Wesen notwendig bezieht, ist nichts anderes als sein offenbares Wesen. So ist der Gegenstand der pflanzenfressenden Tiere die Pflanze; aber durch diesen Gegenstand unterscheiden sich wesentlich dieselben von den anderen, den fleischfressenden Tieren. So ist der Gegenstand des Auges das Licht, nicht der Ton, nicht der Geruch. Im Gegenstand des Auges ist uns aber sein Wesen offenbar. Ob einer nicht sieht oder kein Auge hat, ist darum einerlei. Wir benennen daher auch im Leben die Dinge und Wesen nur nach ihren Gegenständen. Das Auge ist das »Lichtorgan«. Wer den Boden bebaut, ist ein Bauer; wer die Jagd zum Objekt seiner Tätigkeit hat, ist ein Jäger; wer Fische fängt, ein Fischer usw. Wenn also Gott – und zwar, wie er es ja ist, notwendig und wesentlich – ein Gegenstand des Menschen ist, so ist in dem Wesen dieses Gegenstandes nur das eigene Wesen des Menschen ausgesprochen. Stelle Dir vor, ein denkendes Wesen auf einem Planeten oder gar Kometen bekäme zu Gesicht die paar Paragraphen einer christlichen Dogmatik, welche von dem Wesen Gottes handeln. Was würde[92] dieses Wesen aus diesen Paragraphen folgern? Etwa die Existenz eines Gottes im Sinne einer christlichen Dogmatik? Nein! Es würde nur daraus folgern, daß auch auf der Erde denkende Wesen sind; es würde in den Definitionen der Erdbewohner von ihrem Gott nur Definitionen von ihrem eigenen Wesen, z.B. in der Definition: Gott ist ein Geist, nur den Beweis und Ausdruck ihres eigenen Geistes finden; kurz, es würde aus dem Wesen und den Eigenschaften des Objektes auf das Wesen und die Eigenschaften des Subjektes schließen. Und mit vollem Recht; denn die Unterscheidung zwischen dem, was der Gegenstand an sich selbst, und dem, was er für den Menschen ist, fällt bei diesem Objekt weg. Diese Unterscheidung ist nur an ihrem Platz bei einem unmittelbar sinnlich, und eben deswegen auch noch anderen Wesen außer dem Menschen gegebenen Gegenstand. Das Licht ist nicht nur für den Menschen da, es affiziert auch die Tiere, auch die Pflanzen, auch die unorganischen Stoffe: es ist ein allgemeines Wesen. Um zu erfahren, was das Licht ist, betrachten wir darum nicht nur die Eindrücke und Wirkungen desselben auf uns, sondern auch auf andere, von uns unterschiedene Wesen. Notwendig, objektiv begründet ist daher hier die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand an sich selbst und dem Gegenstand für uns, namentlich zwischen dem Gegenstand in der Wirklichkeit und dem Gegenstand in unserem Denken und Vorstellen. Gott aber ist nur ein Gegenstand des Menschen. Die Tiere und Sterne preisen Gott nur im Sinne des Menschen. Es gehört also zum Wesen Gottes selbst, daß er keinem anderen Wesen außer dem Menschen Gegenstand, daß er ein spezifisch menschlicher Gegenstand, ein Geheimnis des Menschen ist. Wenn aber Gott nur ein Gegenstand des Menschen ist, was offenbart sich uns im Wesen[93] Gottes? Nichts anderes als das Wesen des Menschen. Wem das höchste Wesen Gegenstand ist, das ist selbst das höchste Wesen. Je mehr den Tieren vom Menschen Gegenstand wird, desto höher stehen sie, desto mehr nähern sie sich dem Menschen. Ein Tier, dem der Mensch als Mensch, das eigentliche menschliche Wesen Gegenstand wäre, das wäre kein Tier mehr, sondern selber Mensch. Nur ebenbürtige Wesen sind sich Gegenstand, und zwar so, wie sie an sich sind. Die Identität des göttlichen und menschlichen Wesens fällt nun allerdings auch in das Bewußtsein des Theismus. Aber weil er Gott, ungeachtet daß er das Wesen Gottes in den Geist setzt, doch zugleich als ein außer dem Menschen existierendes, sinnliches Wesen vorstellt, so ist ihm auch diese Identität nur als sinnliche Identität, als Ähnlichkeit oder Verwandtschaft Gegenstand. Verwandtschaft drückt dasselbe aus, als Identität, aber es ist mit ihr zugleich verbunden die sinnliche Vorstellung, daß die verwandten Wesen zwei selbständige, d.i. sinnliche, außereinander existierende Wesen sind.


§ 8.

Die gemeine Theologie macht den Standpunkt des Menschen zum Standpunkt Gottes; die spekulative dagegen macht den Standpunkt Gottes zum Standpunkt des Menschen oder vielmehr des Denkers.

Gott ist der gemeinen Theologie Objekt, und zwar gerade so, wie irgendein anderes sinnliches Objekt; aber zugleich ist er ihr wieder Subjekt, und zwar Subjekt, gerade wie das menschliche Subjekt: Gott bringt Dinge außer sich hervor, hat Beziehungen zu sich selbst und zu anderen, außer ihm existierenden Wesen, liebt und denkt sich zugleich und andere Wesen. Kurz, der Mensch macht seine Gedanken und[94] selbst Affekte zu Gedanken und Affekten Gottes, sein Wesen, seinen Standpunkt zum Wesen und Standpunkt Gottes. Die spekulative Theologie aber kehrt dies um. In der gemeinen Theologie ist daher Gott ein Widerspruch mit sich selbst, denn er soll ein nicht-, ein übermenschliches Wesen sein, aber ist doch allen seinen Bestimmungen nach in Wahrheit ein menschliches; in der spekulativen Theologie oder Philosophie ist dagegen Gott ein Widerspruch mit dem Menschen – er soll das Wesen des Menschen – wenigstens der Vernunft – sein, und ist doch in Wahrheit ein nicht-, ein übermenschliches, d.i. abstraktes Wesen. Der übermenschliche Gott ist in der gemeinen Theologie nur eine erbauliche Floskel, eine Vorstellung, ein Spielzeug der Phantasie, in der spekulativen Philosophie dagegen Wahrheit, bitterer Ernst. Der heftige Widerspruch, den die spekulative Philosophie gefunden, hat nur darin seinen Grund, daß sie den Gott, welcher im Theismus nur ein Wesen der Phantasie, ein ferngehaltenes, unbestimmtes, nebuloses Wesen ist, zu einem gegenwärtigen, bestimmten Wesen gemacht, und dadurch den illusorischen Zauber zerstört hat, den ein entferntes Wesen im blauen Dunst der Vorstellung hat. So haben die Theisten sich darüber geärgert, daß die Logik nach Hegel die Darstellung Gottes in seinem ewigen, vorweltlichen Wesen sei und doch, z.B. in der Lehre von der Quantität, von der extensiven und intensiven Größe, den Brüchen, den Potenzen, den Maßverhältnissen usw. handle. Wie, riefen sie entsetzt aus, dieser Gott soll unser Gott sein? Und doch, was ist er anderes als der aus dem Nebel der unbestimmten Vorstellung an das Licht des bestimmenden Gedankens hervorgezogene, der, sozusagen ad coram, beim Wort genommene Gott des Theismus, welcher alles nach Maß, Zahl und Gewicht geschaffen und geordnet hat?[95] Wenn Gott alles nach Zahl und Maß geordnet und geschaffen, also Maß und Zahl, ehe sie an den außergöttlichen Dingen zur Wirklichkeit kamen, im Verstand und folglich im Wesen Gottes – denn zwischen Gottes Verstand und seinem Wesen ist kein Unterschied – enthalten waren und heute noch sind, gehört denn nicht auch die Mathematik zu den Mysterien der Theologie? Aber freilich sieht ein Wesen ganz anders in der Einbildung und Vorstellung aus, als in der Wahrheit und Wirklichkeit; kein Wunder, daß denen, die nur nach dem Aussehen, nach dem Schein sich richten, das eine und selbe Wesen als zwei ganz verschiedene Wesen erscheint.


§ 9.

Die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate des göttlichen Wesens sind die wesentlichen Eigenschaften oder Prädikate der spekulativen Philosophie.


§ 10.

Gott ist reiner Geist, reines Wesen, reine Tätigkeit – actus purus – ohne Leidenschaften, ohne Bestimmungen von außen, ohne Sinnlichkeit, ohne Materie. Die spekulative Philosophie ist dieser reine Geist, diese reine Tätigkeit, verwirklicht als Denkakt – das absolute Wesen als absolutes Denken.

Wie einst die Abstraktion von allem Sinnlichen und Materiellen die notwendige Bedingung der Theologie war, so war sie auch die notwendige Bedingung der spekulativen Philosophie, nur mit dem Unterschied, daß die Abstraktion der Theologie, weil ihr Gegenstand, obwohl ein abstraktes Wesen, doch zugleich wieder als ein sinnliches Wesen vorgestellt wurde, selbst eine sinnliche Abstraktion, Asketik war, während die Abstraktion der spekulativen Philosophie nur eine geistige, denkende ist, nur eine szientifische[96] oder theoretische, keine praktische Bedeutung hat. Der Anfang der Cartesischen Philosophie, die Abstraktion von der Sinnlichkeit, von der Materie ist der Anfang der neueren spekulativen Philosophie. Aber Cartesius und Leibniz betrachteten diese Abstraktion nur als eine subjektive Bedingung, das immaterielle göttliche Wesen zu erkennen, sie stellten sich die Immaterialität Gottes als eine von der Abstraktion, vom Denken unabhängige, objektive Eigenschaft vor; sie standen noch auf dem Standpunkt des Theismus, machten das immaterielle Wesen nur zum Objekt aber nicht zum Subjekt, zum aktiven Prinzip, zum wirklichen Wesen der Philosophie selbst. Allerdings ist auch bei C. und L. Gott Prinzip der Philosophie, aber nur als ein vom Denken unterschiedenes Objekt – darum Prinzip nur im allgemeinen, nur in der Vorstellung, nicht in der Tat und Wahrheit. Gott ist nur die erste und allgemeine Ursache der Materie, der Bewegung und Tätigkeit; aber die besonderen Bewegungen und Tätigkeiten, die bestimmten wirklichen, materiellen Dinge werden unabhängig von Gott betrachtet und erkannt. L. und C. sind nur im allgemeinen Idealisten, im besonderen bloße Materialisten. Gott nur ist der konsequente, der vollständige, wahre Idealist, denn er nur stellt alle Dinge ohne Dunkelheit sich vor, d.h. im Sinne der Leibnizschen Philosophie ohne Sinne und Einbildungskraft; er ist reiner, d.i. von aller Sinnlichkeit und Materialität abgesonderter Verstand; für ihn sind daher die materiellen Dinge pure Verstandeswesen, pure Gedanken; für ihn existiert überhaupt gar keine Materie, denn diese beruht nur auf dunkeln, d.i. sinnlichen Vorstellungen. Aber gleichwohl hat bei L. auch der Mensch schon eine gute Portion Idealismus in sich – wie wäre es auch möglich, sich ein immaterielles Wesen vorzustellen, ohne ein immaterielles[97] Vermögen und folglich ohne immaterielle Vorstellungen zu haben? – denn er hat außer den Sinnen und der Einbildungskraft Verstand, und der Verstand ist eben immaterielles, reines, weil denkendes Wesen; nur ist der Verstand des Menschen nicht ganz so rein, nicht in der Unbeschränktheit und Ausdehnung rein, wie der göttliche Verstand oder das göttliche Wesen. Der Mensch, respektive dieser Mensch: Leibniz ist also ein partialer, halber Idealist, Gott nur ein ganzer Idealist, Gott nur »der vollkommene Weltweise«, wie er ausdrücklich von Wolff genannt wird; d.h. Gott ist die Idee des vollendeten, des bis ins Spezielle durchgeführten, des absoluten Idealismus der späteren spekulativen Philosophie. Denn was ist der Verstand, was das Wesen Gottes überhaupt? Nichts anderes, als der Verstand, als das Wesen des Menschen, abgesondert von den Bestimmungen, die zu einer bestimmten Zeit Schranken des Menschen sind, seien sie nun wirkliche oder vermeintliche. Wer keinen mit seinen Sinnen entzweiten Verstand hat, die Sinne nicht für Schranken hält, der stellt sich auch nicht einen Verstand ohne Sinne als den höchsten, den wahren Verstand vor. Was ist aber die Idee einer Sache anderes als ihr Wesen, gereinigt von den Beschränkungen und Verdunklungen, die sie in der Wirklichkeit, wo sie im Zusammenhang mit anderen Dingen steht, erleidet? So liegt die Schranke des menschlichen Verstandes nach Leibniz darin, daß er mit dem Materialismus, d.i. mit dunkeln Vorstellungen behaftet ist; aber diese dunkeln Vorstellungen entspringen selbst wieder nur daraus, daß das menschliche Wesen im Zusammenhang mit anderen Wesen, mit der Welt überhaupt steht. Aber diese Verbindung gehört nicht zum Wesen des Verstandes, sie steht vielmehr im Widerspruch mit demselben, denn er ist an sich, d.i. in der Idee[98] ein immaterielles, d.i. für sich selbst seiendes, isoliertes Wesen. Und diese Idee, dieser also von allen materialistischen Vorstellungen gereinigte Verstand ist eben der göttliche Verstand. Was aber bei Leibniz nur Idee war, das wurde in der späteren Philosophie Wahrheit und Wirklichkeit. Der absolute Idealismus ist nichts anderes als der realisierte göttliche Verstand des Leibnizschen Theismus, der systematisch durchgeführte reine Verstand, der alle Dinge ihrer Sinnlichkeit entkleidet, sie zu puren Verstandeswesen, zu Gedankendingen macht, der mit nichts Fremdartigem behaftet, nur mit sich selbst, als dem Wesen der Wesen beschäftigt ist.


§ 11.

Gott ist ein denkendes Wesen, aber die Gegenstände, die er denkt, in sich begreift, sind, wie sein Verstand, nicht unterschieden von seinem Wesen, so daß er, indem er die Dinge denkt, nur sich selbst denkt, also in ununterbrochener Einheit mit sich selbst bleibt. Diese Einheit des Denkende und Gedachten ist aber das Geheimnis des spekulativen Denkens.

So sind z.B. in der Hegelschen Logik die Gegenstände des Denkens nicht unterschieden vom Wesen des Denkens. Das Denken ist hier in ununterbrochener Einheit mit sich selbst; die Gegenstände desselben sind nur Bestimmungen des Denkens, sie gehen rein im Gedanken auf, haben nichts für sich, was außer dem Denken bliebe. Aber was das Wesen der Logik, ist auch das Wesen Gottes. Gott ist ein geistiges, abstraktes Wesen; aber er ist zugleich das Wesen der Wesen, das alle Wesen in sich faßt, und zwar in Einheit mit diesem seinem abstrakten Wesen. Aber was sind die mit einem abstrakten, geistigen Wesen identischen Wesen? Selber abstrakte Wesen – Gedanken. Die Dinge, wie sie in Gott sind, sind nicht so,[99] wie sie außer Gott sind; sie sind vielmehr eben so unterschieden von den wirklichen Dingen, als die Dinge, wie sie Gegenstand der Logik, von den Dingen, wie sie Gegenstand der wirklichen Anschauung sind. Worauf reduziert sich also der Unterschied zwischen dem göttlichen und dem metaphysischen Denken? Nur auf einen Unterschied der Einbildung, auf den Unterschied zwischen dem nur vorgestellten und wirklichen Denken.


§ 12.

Der Unterschied zwischen dem Wissen oder dem Denken Gottes, welches als Urbild den Dingen vorausgeht, sie schafft, und dem Wissen des Menschen, welches den Dingen nachfolgt als Abbild derselben, ist nichts anderes als der Unterschied zwischen dem apriorischen oder spekulativen und dem aposteriorischen oder empirischen Wissen.

Der Theismus stellt sich Gott, obwohl als ein denkendes oder geistiges, doch zugleich als ein sinnliches Wesen vor. Er verbindet daher mit dem Denken und Willen Gottes unmittelbar sinnliche, materielle Wirkungen – Wirkungen, die mit dem Wesen des Denkens und Willens in Widerspruch stehen, die nichts weiter als die Macht der Natur ausdrücken. Eine solche materielle Wirkung – folglich ein bloßer Ausdruck sinnlicher Macht – ist vor allem die Schöpfung oder Hervorbringung der wirklichen, materiellen Welt. Die spekulative Theologie dagegen verwandelt diesen dem Wesen des Denkens widersprechenden sinnlichen Akt in einen logischen oder theoretischen Akt, die materielle Hervorbringung des Gegenstandes in die spekulative Erzeugung aus dem Begriff. Im Theismus ist die Welt ein zeitliches Produkt Gottes – die Welt existiert seit einigen Jahrtausenden, und ehe sie wurde, war Gott;[100] in der spekulativen Theologie dagegen ist die Welt oder Natur nach Gott nur dem Range, der Bedeutung nach; das Akzidenz setzt die Substanz, die Natur die Logik voraus, dem Begriff, aber nicht dem sinnlichen Dasein, folglich nicht der Zeit nach.

Der Theismus verlegt jedoch in Gott nicht nur das spekulative, sondern auch das sinnliche, empirische Wissen, und zwar in seiner höchsten Vollendung. Wie aber das vorweltliche, vorgegenständliche Wissen Gottes in dem apriorischen Wissen der spekulativen Philosophie, so hat auch das sinnliche Wissen Gottes erst in den empirischen Wissenschaften der neueren Zeit seine Realisation, seine Wahrheit und Wirklichkeit gefunden. Das vollkommenste und also göttliche sinnliche Wissen ist nämlich nichts anderes als das allersinnlichste Wissen, das Wissen der allergrößten Kleinigkeiten und unmerklichsten Einzelheiten – »Gott ist deswegen der Allwissende,« sagt der h. Thomas A., »weil er die allereinzelsten Dinge weiß« – das Wissen, welches die Haare am Haupte des Menschen nicht indiskret in einen Schopf zusammenfaßt, sondern sie zählt, alle, Haar für Haar, kennt. Aber dieses göttliche Wissen, welches in der Theologie nur eine Vorstellung, eine Phantasie ist, wurde vernünftiges, wirkliches Wissen in dem teleskopischen und mikroskopischen Wissen der Naturwissenschaft. Sie hat die Sterne am Himmel gezählt, die Eier in den Leibern der Fische und Schmetterlinge, die Tüpfelchen auf den Flügeln der Insekten, um sie voneinander zu unterscheiden; sie hat allein in der Raupe des Weidenspinners am Kopf 288, am Körper 1647, am Magen und den Gedärmen 2186 Muskeln anatomisch nachgewiesen. Was will man mehr verlangen? Hier haben wir daher ein sinnfälliges Beispiel von der Wahrheit, daß die Vorstellung des Menschen von Gott die Vorstellung[101] des menschlichen Individuums von seiner Gattung, daß Gott als der Inbegriff aller Realitäten oder Vollkommenheiten nichts anderes ist, als der zum Nutzen des beschränkten Individuums kompendiarisch zusammengefaßte Inbegriff der unter die Menschen verteilten, im Laufe der Weltgeschichte sich realisierenden Eigenschaften der Gattung. Das Gebiet der Naturwissenschaften ist seinem quantitativen Umfang nach für den einzelnen Menschen ein völlig unübersehbares, unermeßliches. Wer kann zugleich die Sterne am Himmel und die Muskeln und Nerven am Leib der Raupe zählen? Lyonet verlor sein Gesicht über der Anatomie der Weidenraupe. Wer kann zugleich die Unterschiede der Höhen und Vertiefungen im Mond und zugleich die Unterschiede der zahllosen Ammoniten und Terebrateln beobachten? Aber was nicht der einzelne Mensch weiß und kann, das wissen und können die Menschen zusammen. So hat das göttliche Wissen, das alles einzelne zugleich weiß, seine Realität im Wissen der Gattung.

Wie mit der göttlichen Allwissenheit, ist es aber auch mit der göttlichen Allgegenwart, die sich gleichfalls im Menschen realisiert hat. Während der eine Mensch bemerkt, was auf dem Mond oder Uranus vorgeht, ist ein anderer auf der Venus oder in den Eingeweiden der Raupe oder sonst an einem Ort, wohin weiland unter der Herrschaft des allwissenden und allgegenwärtigen Gottes kein menschliches Auge gedrungen ist. Ja, während der Mensch diesen Stern vom Standpunkt Europas aus beobachtet, beobachtet er zugleich denselben Stern vom Standpunkt Amerikas aus. Was einem Menschen allein absolut unmöglich, ist zweien möglich. Aber Gott ist ja an allen, allen Orten zugleich und weiß alles, alles ohne Unterschied zugleich. Freilich; aber nur ist zu bemerken, daß diese Allwissenheit und Allgegenwart bloß in der[102] Vorstellung, Einbildung existieren, und also nicht zu übersehen der schon mehrmals erwähnte wichtige Unterschied zwischen dem nur eingebildeten und dem wirklichen Ding. In der Einbildung kann man allerdings die 4059 Muskeln einer Raupe mit einem Blick überschauen, in der Wirklichkeit aber, wo sie außereinander existieren, nur nacheinander. So kann auch das beschränkte Individuum in seiner Einbildung sich den Umfang des menschlichen Wissens als beschränkt vorstellen, während es doch, wenn es wirklich sich dieses Wissen aneignen wollte, nun und nimmermehr an ein Ende desselben kommen würde. Man stelle sich als Beispiel nur eine Wissenschaft, die Historie z.B., vor und löse in Gedanken die Weltgeschichte auf in die Geschichte der einzelnen Länder, diese in die Geschichte der einzelnen Provinzen, diese wieder in die Stadtchroniken, die Stadtchroniken in Familiengeschichten, in Biographien. Wie käme je ein einzelner Mensch an den Punkt, wo er ausrufen könnte: Hier bin ich am Ende des historischen Wissens der Menschheit! So erscheint uns auch in der Einbildung unsere Lebenszeit, sowohl die vergangene, als die mögliche zukünftige, sollten wir auch diese noch so sehr verlängern, außerordentlich kurz, und wir fühlen uns daher in den Momenten solcher Einbildung gedrungen, diese vor unserer Vorstellung verschwindende Kürze durch ein unübersehbares, endloses Leben nach dem Tode zu ergänzen; aber wie lange dauert in der Wirklichkeit auch nur ein Tag, auch nur eine Stunde! Woher dieser Unterschied? Daher: die Zeit in der Vorstellung ist die leere Zeit, also nichts zwischen dem Anfangs- und Endpunkt unserer Rechnung; aber die wirkliche Lebenszeit ist die erfüllte Zeit, wo Berge von Schwierigkeiten aller Art zwischen dem Jetzt und dem Dann in der Mitte liegen.


§ 13.

[103] Die absolute Voraussetzungslosigkeit – der Anfang der spekulativen Philosophie – ist nichts anderes als die Voraussetzungsund Anfangslosigkeit, die Aseität des göttlichen Wesens. Die Theologie unterscheidet zwischen tätigen und ruhenden Eigenschaften Gottes. Die Philosophie aber verwandelt auch die ruhenden Eigenschaften in tätige – das ganze Wesen Gottes in Tätigkeit, aber menschliche Tätigkeit. Dies gilt auch von dem Prädikat dieses Paragraphen. Die Philosophie setzt nichts voraus – dies heißt nichts weiter als: sie abstrahiert von allen unmittelbar, d.i. sinnlich gegebenen, vom Denken unterschiedenen Objekten, kurz von allem, wovon man abstrahieren kann, ohne aufzuhören, zu denken, und macht diesen Akt der Abstraktion von aller Gegenständlichkeit zum Anfang von sich. Was ist aber das absolute Wesen anderes als das Wesen, dem nichts vorausgesetzt, dem kein Ding außer ihm gegeben und und notwendig ist, das von allen Objekten, allen von ihm unterschiedenen und unterscheidbaren sinnlichen Dingen abgezogene Wesen, welches daher dem Menschen auch nur durch die Abstraktion von eben diesen Dingen Gegenstand wird? Wovon Gott frei ist, davon mußt Du Dich selbst frei machen, wenn Du zu Gott kommen willst, und machst Du Dich also wirklich frei, wenn Du ihn Dir vorstellst. Denkst Du Dir folglich Gott als ein Wesen ohne Voraussetzung irgendeines anderen Wesens oder Objektes, so denkst Du selbst ohne Voraussetzung eines äußerlichen Objektes; die Eigenschaft, die Du in Gott verlegst, ist eine Eigenschaft Deines Denkens. Nur ist im Menschen Tun, was in Gott Sein ist oder als solches vorgestellt wird. Was ist also das Ich Fichtes, welches sagt: »Ich bin schlechthin, weil ich bin«, was das reine, voraussetzungslose[104] Denken Hegels anderes, als das in das gegenwärtige, aktive, denkende Wesen des Menschen verwandelte göttliche Wesen der alten Theologie und Metaphysik?


§ 14.

Die spekulative Philosophie ist, als die Verwirklichung Gottes, zugleich die Position, zugleich die Aufhebung oder Negation Gottes, zugleich Theismus, zugleich Atheismus, denn Gott ist nur so lange Gott – Gott im Sinne der Theologie - , als er als ein vom Wesen des Menschen und der Natur unterschiedenes, selbständiges Wesen vorgestellt wird. Der Theismus, welcher als die Position Gottes zugleich die Negation Gottes ist, oder umgekehrt als die Verneinung Gottes zugleich noch die Bejahung dessen, ist der Pantheismus. Der eigentliche oder theologische Theismus aber ist nichts anderes als der imaginäre Pantheismus, dieser nichts anderes als der reelle, wahre Theismus.

Was den Theismus vom Pantheismus scheidet, ist einzig die Einbildung, die Vorstellung Gottes als eines persönlichen Wesens. Alle Bestimmungen Gottes – und Gott wird notwendig bestimmt, sonst ist er nichts, gar nicht Objekt einer Vorstellung – sind Bestimmungen der Wirklichkeit, entweder der Natur oder des Menschen, oder beiden gemeine, also pantheistische Bestimmungen; denn was Gott nicht unterscheidet vom Wesen der Natur oder des Menschen, ist Pantheismus. Gott ist also nur seiner Persönlichkeit oder Existenz nach, aber nicht seinen Bestimmungen oder Wesen nach von der Welt – dem Inbegriff der Natur und Menschheit – unterschieden, d.h. er wird nur vorgestellt als ein anderes Wesen, er ist aber in Wahrheit kein anderes Wesen. Der Theismus ist der Widerspruch zwischen Schein und[105] Wesen, Vorstellung und Wahrheit, der Pantheismus die Einheit beider – der Pantheismus die nackte Wahrheit des Theismus2. Alle Vorstellungen des Theismus, wenn sie ins Auge gefaßt, ernstlich genommen, wenn sie durchgeführt, realisiert werden, führen notwendig zum Pantheismus. Der Pantheismus ist der konsequente Theismus. Der Theismus denkt sich Gott als die Ursache, als den Schöpfer der Welt: Gott hat die Welt durch seinen Willen hervorgebracht. Aber der Wille reicht nicht aus. Wo einmal Wille ist, da muß auch Verstand sein: was man will, das ist nur Sache des Verstandes. Ohne Verstand kein Gegenstand. Die Dinge, die Gott hervorbrachte, waren daher vor ihrer Hervorbringung in Gott, als Objekte seines Verstandes, als Verstandeswesen. Der Verstand Gottes ist, heißt es in der Theologie, der Inbegriff aller Dinge und Wesenheiten. Woher wären sie auch sonst entsprungen als aus dem Nichts? Und es ist gleichgültig, ob Du Dir dieses Nichts in Deiner Einbildung selbständig vorstellst oder es in Gott verlegst. Aber Gott enthält oder ist alles nur auf ideale Weise, in der Weise der Vorstellung. Dieser ideale Pantheismus führt nun aber notwendig zum realen oder wirklichen; denn vom Verstand Gottes ist nicht weit bis zum Wesen und vom Wesen nicht weit bis zur Wirklichkeit Gottes. Wie sollte sich der Verstand vom Wesen, das Wesen von der Wirklichkeit oder Existenz Gottes trennen lassen? Sind die Dinge im Verstand Gottes, wie sollen sie außer seinem Wesen sein? Sind sie Folgen seines Verstandes, warum nicht Folgen seines Wesens? Und wenn in Gott sein Wesen unmittelbar mit seiner Wirklichkeit identisch ist, vom Begriff Gottes die Existenz desselben[106] sich nicht absondern läßt, wie sollte sich im Begriff Gottes von den Dingen der Begriff des Dinges und das wirkliche Ding trennen lassen, wie also in Gott der Unterschied stattfinden, welcher nur die Natur des endlichen, ungöttlichen Verstandes konstituiert, der Unterschied zwischen dem Ding in der Vorstellung und dem Ding außer der Vorstellung? Haben wir aber einmal keine Dinge mehr außer dem Wesen und endlich auch keine mehr außer der Existenz Gottes – alle Dinge sind in Gott, und zwar in der Tat und Wahrheit, nicht in der Vorstellung nur; denn wo sie nur in der Vorstellung – sowohl Gottes als des Menschen - , also nur ideal oder vielmehr imaginär in Gott sind, da existieren sie zugleich außer der Vorstellung, außer Gott. Haben wir aber einmal keine Dinge, keine Welt mehr außer Gott, so haben wir auch keinen Gott mehr außer der Welt – kein nur ideales, vorgestelltes, sondern ein reales Wesen; so haben wir mit einem Worte den Spinozismus oder Pantheismus.

Der Theismus stellt sich Gott als ein pur immaterielles Wesen vor. Gott aber als immateriell bestimmen, heißt nichts anders, als die Materie als ein nichtiges Ding, als ein Unwesen bestimmen; denn Gott nur ist das Maß des Wirklichen, Gott nur Sein, Wahrheit, Wesen; nur was von und in Gott gilt, das ist; was von Gott verneint wird, ist nicht. Die Materie aus Gott ableiten, heißt daher nichts anderes, als durch ihr Nichtsein ihr Sein begründen wollen; denn Ableitung ist Angabe eines Grundes, Begründung. Gott hat die Materie gemacht. Aber wie, warum, woraus? Darauf gibt der Theismus keine Antwort. Die Materie ist für ihn ein rein unerklärliches Dasein, d.h. sie ist die Grenze, das Ende der Theologie, an ihr scheitert sie, wie im Leben, so im Denken. Wie kann ich also aus der Theologie, ohne sie zu negieren, das[107] Ende, die Negation der Theologie ableiten? wie da, wo ihr der Verstand ausgeht, einen Erklärungsgrund, eine Auskunft suchen? wie aus der Verneinung der Materie oder Welt, welche das Wesen der Theologie ist, aus dem Satze: die Materie ist nicht, die Bejahung der Materie, den Satz: sie ist, und zwar dem Gott der Theologie zum Trotz, herausbringen? Wie anders als durch bloße Fiktionen? Die materiellen Dinge können nur aus Gott abgeleitet werden, wenn Gott selbst als ein materialistisches Wesen bestimmt wird. So nur wird Gott aus einer nur vorgestellten, eingebildeten Ursache zur wirklichen Ursache der Welt. Wer sich nicht schämt, Schuhe zu machen, der schäme sich auch nicht, ein Schuster zu sein und zu heißen. Hans Sachs war wohl Schuster und Dichter zugleich. Aber seine Schuhe waren die Werke seiner Hände, seine Gedichte die Werke seines Kopfes. Wie die Wirkung, so die Ursache. Aber die Materie ist nicht Gott, sie ist vielmehr das Endliche, das Ungöttliche, das Gott Verneinende – die unbedingten Verehrer und Anhänger der Materie sind Atheisten. Der Pantheismus verbindet daher mit dem Theismus den Atheismus – mit Gott die Negation Gottes: Gott ist ein materielles, in Spinozas Sprache ein ausgedehntes Wesen.


§ 15.

Der Pantheismus ist der theologische Atheismus, der theologische Materialismus, die Negation der Theologie, aber selbst auf auf dem Standpunkt der Theologie; denn er macht die Materie, die Negation Gottes zu einem Prädikat oder Attribut des göttlichen Wesens. Wer aber die Materie zu einem Attribut Gottes macht, der erklärt die Materie für ein göttliches Wesen. Die Verwirklichung Gottes hat[108] überhaupt zur Voraussetzung die Göttlichkeit, d.i. Wahrheit und Wesenhaftigkeit des Wirklichen. Die Vergötterung des Wirklichen, des materiell Existierenden – der Materialismus, Empirismus, Realismus, Humanismus – die Negation der Theologie ist aber das Wesen der neueren Zeit. Der Pantheismus ist daher nichts anderes als das zum göttlichen Wesen, zu einem religionsphilosophischen Prinzip erhobene Wesen der neueren Zeit.

Der Empirismus oder Realismus, worunter hier überhaupt die sogenannten realen Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften verstanden werden, negiert die Theologie, aber nicht theoretisch, sondern praktischdurch die Tat, indem der Realist das, was die Negation Gottes oder wenigstens nicht Gott ist, zur wesentlichen Angelegenheit seines Lebens, zum wesentlichen Gegenstand seiner Tätigkeit macht. Wer aber Geist und Herz nur auf das Materielle, das Sinnliche konzentriert, der spricht dem übersinnlichen tatsächlich seine Realität ab; denn nur das ist, für den Menschen wenigstens, wirklich, was ein Objekt reeller, wirklicher Tätigkeit ist. »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«. Die Rede, man könne vom übersinnlichen nichts wissen, ist nur eine Ausrede. Man weiß nur dann nichts mehr von Gott und göttlichen Dingen, wenn man von ihnen nichts mehr wissen mag. Wie vieles wußte man von Gott, wie vieles von den Teufeln, wie vieles von den Engeln, solange noch diese übersinnlichen Wesen Gegenstand eines wirklichen Glaubens waren! Wofür man sich interessiert, dazu hat man auch Fähigkeit. Die Mystiker und Scholastiker des Mittelalters hatten nur darum keine Fähigkeit und Geschicklichkeit zur Naturwissenschaft, weil sie kein Interesse für die Natur hatten. Wo der[109] Sinn nicht fehlt, da fehlen auch nicht die Sinne, die Organe. Wofür das Herz offen, das ist auch dem Verstand kein Geheimnis. So verlor denn auch die Menschheit in neuerer Zeit nur deswegen die Organe für die übersinnliche Welt und ihre Geheimnisse, weil sie mit dem Glauben an sie auch den Sinn für sie verlor, weil ihre wesentliche Tendenz eine antichristliche, antitheologische, d.h. eine anthropologische, kosmische, realistische, materialistische Tendenz war.3 Spinoza traf daher mit seinem paradoxen Satz: Gott ist ein ausgedehntes, d.i. materielles Wesen, den Nagel auf den Kopf. Er fand den, für seine Zeit wenigstens, wahren philosophischen Ausdruck für die materialistische Tendenz der neueren Zeit; er legitimierte, sanktionierte sie: Gott selbst ist Materialist. Spinozas Philosophie war Religion; er selbst ein Charakter. Nichtstand bei ihm, wie bei unzähligen anderen, der Materialismus im Widerspruch mit der Vorstellung eines immateriellen, antimaterialistischen Gottes, der konsequent auch nur antimaterialistische, himmlische Tendenzen und Beschäftigungen dem Menschen zur Pflicht macht; denn Gott ist nichts anderes als das Ur- und Vorbild des Menschen: wie und was Gott ist, so und das soll, so und das will der Mensch sein oder hofft er wenigstens einst zu werden. Aber nur, wo die Theorie nicht die Praxis, die Praxis nicht die Theorie verleugnet, ist Charakter, Wahrheit und Religion. Spinoza ist der Moses der modernen Freigeister und Materialisten.


§ 16.

Der Pantheismus ist die Negation der theoretischen, der Empirismus die Negation der praktischen Theologie – der Pantheismus[110] negiert das Prinzip, der Empirismus die Konsequenzen der Theologie.

Der Pantheismus macht Gott zu einem gegenwärtigen, wirklichen, materiellen Wesen; der Empirismus, wozu auch der Rationalismus gehört, zu einem abwesenden, fernen, unwirklichen, negativen Wesen. Der Empirismus spricht Gott nicht die Existenz ab, aber alle positiven Bestimmungen, weil ihr Inhalt nur ein endlicher, empirischer, das Unendliche daher kein Gegenstand für den Menschen sei. Je mehr Bestimmungen ich aber einem Wesen abspreche, desto mehr setze ich es außer Zusammenhang mit mir, desto weniger räume ich ihm Macht und Einfluß auf mich ein, desto freier mache ich mich von ihm. Je mehr Qualitäten ich habe, desto mehr bin ich auch für andere, desto größer ist auch der Umfang meiner Wirkungen, meines Einflusses. Und je mehr einer ist, desto mehr weiß man auch von ihm. Jede Negation einer Eigenschaft Gottes ist daher ein partialer Atheismus, eine Sphäre der Gottlosigkeit. So weit ich die Eigenschaft wegnehme, so weit nehme ich Gott das Sein weg. Ist z.B. Teilnahme, Barmherzigkeit keine Eigenschaft Gottes, so bin ich in meinen Leiden allein für mich – Gott ist nicht da als mein Tröster. Ist Gott die Negation alles Endlichen, so ist konsequent auch das Endliche die Negation Gottes. Nur wenn Gott an mich denkt – so schließt der Religiöse – habe ich auch Grund und Ursache, an ihn zu denken; nur in seinem für mich Sein liegt der Grund meines für ihn Seins. Dem Empirismus ist daher in Wahrheit das theologische Wesen nichts mehr, d.h. nichts Wirkliches, aber er verlegt dieses Nichtsein nicht in den Gegenstand, sondern nur in sich, in sein Wissen. Er spricht Gott nicht das Sein ab, d.h. das tote, gleichgültige Sein, aber er spricht ihm das Sein ab, das sich als Sein beweist, das wirksame, fühlbare,[111] ins Leben eingreifende Sein. Er bejaht Gott, aber negiert alle Konsequenzen, die mit dieser Bejahung notwendig verbunden sind. Er verwirft die Theologie, gibt sie auf, aber nicht aus theoretischen Gründen, sondern aus Widerwillen, aus Abneigung gegen die Gegenstände der Theologie, d.h. aus einem dunklen Gefühl von ihrer Unrealität. Die Theologie ist nichts, denkt der Empiriker bei sich, aber er setzt noch hinzu: für mich, d.h. sein Urteil ist ein subjektives, pathologisches; denn er hat nicht die Freiheit, aber auch nicht die Lust und den Beruf, die Gegenstände der Theologie vor das Forum der Vernunft zu ziehen. Dies ist der Beruf der Philosophie. Die Aufgabe der neueren Philosophie war daher keine andere, als das pathologische Urteil des Empirismus, daß es mit der Theologie nichts sei, zu einem theoretischen, objektiven Urteil zu erheben, – die indirekte, unbewußte, negative Negation der Theologie in eine direkte, positive, bewußte Negation zu verwandeln. Wie lächerlich ist es darum, den »Atheismus« der Philosophie unterdrücken zu wollen, ohne zugleich den Atheismus der Empirie zu unterdrücken! Wie lächerlich, die theoretische Negation des Christentums zu verfolgen und doch zugleich die tatsächlichen Negationen des Christentums, von denen die neuere Zeit wimmelt, bestehen zu lassen! Wie lächerlich, mit dem Bewußtsein, d.h. dem Symptom des Übels auch zugleich die Ursache des Übels aufheben zu wollen! Ja, wie lächerlich! Und doch wie reich an solchen Lächerlichkeiten ist die Geschichte! Sie wiederholen sich in allen kritischen Zeiten. Kein Wunder; in der Vergangenheit läßt man sich alles gefallen, anerkennt man die Notwendigkeit der vorgefallenen Veränderungen und Revolutionen; aber gegen die Anwendung auf den gegenwärtigen Fall sträubt man sich[112] immer mit Händen und Füßen; die Gegenwart macht man aus Kurzsichtigkeit oder Bequemlichkeit zu einer Ausnahme von der Regel.


§ 17.

Die Erhebung der Materie zu einer göttlichen Wesenheit ist unmittelbar zugleich die Erhebung der Vernunft zu einer göttlichen Wesenheit. Was der Theist aus Gemütsbedürfnis, aus Verlangen nach unbegrenzter Glückseligkeit vermittelst der Einbildungskraft von Gott verneint, das bejaht der Pantheist von Gott aus Vernunftbedürfnis. Die Materie ist der Vernunft ein wesentlicher Gegenstand. Wäre keine Materie, so hätte die Vernunft keinen Reiz und Stoff zum Denken, keinen Inhalt. Die Materie kann man nicht aufgeben, ohne die Vernunft aufzugeben, nicht anerkennen, ohne die Vernunft anzuerkennen. Materialisten sind Rationalisten. Aber der Pantheismus bejaht die Vernunft als eine göttliche Wesenheit nur indirekt – nur so, daß er Gott aus einem Wesen der Einbildungskraft, welches er als ein persönliches Wesen im Theismus ist, zu einem Vernunftgegenstande, einem Vernunftwesen macht; die direkte Apotheose der Vernunft ist der Idealismus. Der Pantheismus führt notwendig zum Idealismus. Der Idealismus verhält sich zum Pantheismus gerade wie dieser zum Theismus.

Wie das Objekt, so das Subjekt. Nicht den Sinnen, sondern nur dem Verstand ist nach Cartesius das Wesen der körperlichen Dinge, der Körper als Substanz Gegenstand; aber eben deswegen ist auch nicht der Sinn, sondern der Verstand nach Cartesius das Wesen des wahrnehmenden Subjektes, des Menschen. Nur dem Wesen ist Wesen als Objekt gegeben. Die Meinung hat nach Plato nur die unbeständigen Dinge zum Objekt, aber darum ist sie selbst das[113] unbeständige, veränderliche Wissen – eben nur Meinung. Das Wesen der Musik ist dem Musiker das höchste Wesen – darum das Gehör das höchste Organ; er verliert lieber die Augen als die Ohren; der Naturforscher dagegen lieber die Ohren als die Augen, weil sein objektives Wesen das Licht. Vergöttere ich den Ton, so vergöttere ich das Ohr. Sage ich also wie der Pantheist: Die Gottheit oder, was eins ist, das absolute Wesen, die absolute Wahrheit und Realität ist nur für die Vernunft, nur der Vernunft Gegenstand, so erkläre ich Gott für ein Vernunftding oder Vernunftwesen und spreche dadurch nur indirekt die absolute Wahrheit und Realität der Vernunft aus. Und es ist daher notwendig, daß die Vernunft auf sich selbst zurückgeht, diese verkehrte Selbstanerkennung umkehrt, sich direkt als die absolute Wahrheit ausspricht, sich selbst unmittelbar, ohne das Zwischenglied eines Objektes, als die absolute Wahrheit Gegenstand wird. Der Pantheist sagt dasselbe, was der Idealist, nur spricht jener objektiv oder realistisch aus, was dieser subjektiv oder idealistisch. Jener hat seinen Idealismus im Gegenstande – außer der Substanz, außer Gott ist nichts, alle Dinge sind nur Bestimmungen Gottes – dieser hat seinen Pantheismus im Ich – außer dem Ich ist nichts, alle Dinge sind nur als Objekte des Ich. Aber gleichwohl ist der Idealismus die Wahrheit des Pantheismus; denn Gott oder die Substanz ist nur das Objekt der Vernunft, des Ich, des denkenden Wesens; – glaube, denke ich überhaupt keinen Gott, so habe ich keinen Gott, er ist für mich nur durch mich, für die Vernunft nur durch die Vernunft; – das A priori, das erste Wesen ist also nicht das gedachte, sondern das denkende Wesen, nicht das Objekt, sondern das Subjekt. So notwendig die Naturwissenschaft vom Licht auf das[114] Auge, so notwendig ging die Philosophie von den Gegenständen des Denkens auf das: Ich denke zurück. Was ist das Licht, als erleuchtendes, hell machendes Wesen, als Objekt der Optik, ohne das Auge? Nichts. Und so weit die Naturwissenschaft. Aber, was ist – so fragt nun weiter die Philosophie – das Auge ohne Bewußtsein? Gleichfalls nichts – ob ich sehe ohne Bewußtsein oder nicht sehe, ist identisch. Erst das Bewußtsein des Sehens ist die Wirklichkeit des Sehens oder wirkliches Sehen. Aber warum glaubst Du, daß etwas ist außer Dir? Weil Du etwas siehst, hörst, fühlst. Also ist dieses Etwas erst als Objekt des Bewußtseins ein wirkliches Etwas, ein wirkliches Objekt – also das Bewußtsein die absolute Realität oder Wirklichkeit, das Maß aller Existenz. Alles, was ist, ist nur als seiend für das Bewußtsein, als Bewußtes; denn Bewußt sein ist erst Sein. So verwirklicht sich im Idealismus das Wesen der Theologie, im Ich, im Bewußtsein das Wesen Gottes. Ohne Gott kann nichts sein, nichts gedacht werden; das heißt im Sinne des Idealismus: Alles ist nur als, sei es nun wirklicher oder möglicher, Gegenstand des Bewußtseins; Sein heißt Gegenstand sein, setzt also Bewußtsein voraus. Die Dinge, die Welt überhaupt ist ein Werk, ein Produkt des absoluten Wesens, Gottes; aber dieses absolute Wesen ist ein Ich, ein bewußtes, denkendes Wesen – also ist die Welt, wie Cartesius vortrefflich vom Standpunkte des Theismus aus sagt, ein Ens rationis divinae, ein Gedankending, ein Hirngespinst Gottes. Aber dieses Gedankending ist im Theismus, in der Theologie selbst wieder nur eine vage Vorstellung. Realisieren wir daher diese Vorstellung, führen wir sozusagen praktisch aus, was im Theismus nur Theorie ist, so haben wir die Welt als Produkt des Ich (Fichte) oder – wenigstens so, wie[115] sie uns erscheint, wie wir sie anschauen – als ein Werk oder Produkt unserer Anschauung, unseres Verstandes (Kant). »Die Natur wird von den Gesetzen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt abgeleitet«. »Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori) nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor«. Der Kantische Idealismus, wo sich die Dinge nach dem Verstand, nicht der Verstand nach den Dingen richtet, ist daher nichts anderes als die Verwirklichung der theologischen Vorstellung vom göttlichen Verstand, der nicht von den Dingen bestimmt wird, sondern umgekehrt diese bestimmt. Wie töricht ist es darum, den Idealismus im Himmel, d.h. den Idealismus der Einbildung als eine göttliche Wahrheit anzuerkennen, aber den Idealismus auf Erden, d.h. den Idealismus der Vernunft, als einen menschlichen Irrtum zu verwerfen! Leugnet Ihr den Idealismus, nun, so leugnet auch Gott! Gott ist nur der Urheber des Idealismus. Wollt Ihr die Konsequenzen nicht, so wollt auch das Prinzip nicht! Der Idealismus ist nichts als der rationelle oder rationalisierte Theismus. Aber der Kantische Idealismus ist noch ein beschränkter Idealismus – der Idealismus auf dem Standpunkte des Empirismus. Dem Empirismus ist Gott, der schon oben gegebenen Entwicklung zufolge, nur noch ein Wesen in der Vorstellung, in der Theorie – Theorie im gewöhnlichen, schlechten Sinne – aber nicht in der Tat und Wahrheit, ein Ding an sich, aber nicht mehr ein Ding für ihn; denn die Dinge für ihn sind allein die empirischen, wirklichen Dinge. Die Materie ist die einzige Materie seines Denkens – er hat daher keine Materialien mehr für Gott: Gott ist aber er ist für uns eine tabula rasa, ein leeres Wesen, ein bloßer Gedanke. Gott – Gott, wie wir ihn vorstellen, denken – ist unser Ich, unser Verstand, unser Wesen, aber dieser Gott ist nur eine Erscheinung[116] von uns für uns, nicht Gott an sich. Kant ist der noch im Theismus befangene Idealismus. Wir sind oft längst von einer Sache, einer Lehre, einer Idee der Tat nach frei, aber gleichwohl sind wir es noch nicht im Kopf; sie ist keine Wahrheit mehr in unserem Wesen – sie war es vielleicht nie - , aber sie ist noch eine theoretische Wahrheit, d.h. eine Schranke unseres Kopfes. Der Kopf, weil er die Dinge am gründlichsten nimmt, wird auch am spätesten frei. Die theoretische Freiheit ist, wenigstens in vielen Dingen, die letzte Freiheit. Wie viele sind Republikaner von Herzen, von Gesinnung, aber im Kopf können sie nicht über die Monarchie hinaus; ihr republikanisches Herz scheitert an den Einwürfen und Schwierigkeiten, welche der Verstand macht. So ist es denn auch mit dem Theismus Kants. Kant hat die Theologie in der Moral, das göttliche Wesen im Willen realisiert und negiert. Der Wille ist Kant das wahre, ursprüngliche, unbedingte, von sich selbst anfangende Wesen. Kant vindiziert also In der Tat die Prädikate der Gottheit dem Willen; sein Theismus hat daher nur noch die Bedeutung einer theoretischen Schranke. Der von der Schranke des Theismus freie Kant ist Fichte – der »Messias der spekulativen Vernunft«. Fichte ist der Kantische Idealismus, aber auf dem Standpunkt des Idealismus. Nur auf dem empirischen Standpunkt gibt es nach Fichte einen von uns unterschiedenen, außer uns seienden Gott, aber in Wahrheit, auf dem Standpunkt des Idealismus ist das Ding an sich, ist Gott – denn Gott ist das eigentliche Ding an sich – nur das Ich an sich, d.h. das vom Individuum, vom empirischen Ich unterschiedene Ich. Außer dem Ich gibt es keinen Gott: »Unsere Religion ist die Vernunft«. Aber der Fichtesche Idealismus ist nur die Negation und Realisation des abstrakten und formalen Theismus, des Monotheismus,[117] nicht des religiösen, materiellen, inhaltserfüllten Theismus, des Tritheismus, dessen Realisation erst der »absolute«, der Hegelsche Idealismus ist. Oder: Fichte hat nur den Gott des Pantheismus, inwiefern er ein denkendes Wesen, aber nicht inwiefern er ein ausgedehntes, materielles Wesen ist, realisiert. Fichte ist der theistische Idealismus, Hegel der pantheistische Idealismus.


§ 18.

Die neuere Philosophie hat das von der Sinnlichkeit, der Welt, dem Menschen abgesonderte und unterschiedene göttliche Wesen verwirklicht und aufgehoben – aber nur im Denken, in der Vernunft, und zwar einer gleichfalls von der Sinnlichkeit, der Welt, dem Menschen abgesonderten und unterschiedenen Vernunft. Das heißt, die neuere Philosophie hat nur die Gottheit des Verstandes bewiesen – nur den, und zwar abstrakten Verstand als das göttliche, das absolute Wesen erkannt. Die Definition des Cartesius von sich, als Geist: Mein Wesen besteht einzig darin, daß ich denke, – ist die Definition der neueren Philosophie von sich. Der Wille des Kantischen und Fichteschen Idealismus ist selbst ein pures Verstandeswesen, und die Anschauung, die Schelling, im Gegensatz zu Fichte, mit dem Verstand verband, nur Phantasie, keine Wahrheit, kommt also nicht in Betracht.

Die neuere Philosophie ist von der Theologie ausgegangen – sie ist selbst nichts anderes als die in Philosophie aufgelöste und verwandelte Theologie. Das abstrakte und transzendente Wesen Gottes konnte daher selbst nur auf eine abstrakte und transzendente Weise verwirklicht und aufgehoben werden. Um Gott in die Vernunft zu verwandeln,[118] mußte die Vernunft selbst die Beschaffenheit des abstrakten göttlichen Wesens annehmen. Die Sinne, sagt Cartesius, geben keine wahre Realität, kein Wesen, keine Gewißheit – nur der von den Sinnen abgezogene Verstand gibt Wahrheit. Woher dieser Zwiespalt zwischen dem Verstand und den Sinnen? Nur aus der Theologie kommt er. Gott ist kein sinnliches Wesen, er ist vielmehr die Negation aller Bestimmungen der Sinnlichkeit, wird nur erkannt durch die Abstraktion von derselben; aber er ist Gott, d.h. das allerwahrste, allerrealste, allergewisseste Wesen. Woher soll also die Wahrheit in die Sinne kommen – in die Sinne, die geborene Atheisten sind? Gott ist das Wesen, bei dem sich die Existenz nicht vom Wesen, vom Begriff absondern läßt, das gar nicht anders, denn als seiend gedacht werden kann. Cartesius verwandelt dieses objektive Wesen in ein subjektives, den ontologischen Beweis in einen psychologischen, das cogitatur deus ergo est in cogito ergo sum. Wie sich in Gott nicht das Sein vom Gedachtwerden, so läßt sich in mir – als Geist, der aber mein Wesen ist – nicht vom Denken das Sein absondern und, wie dort, so konstruiert auch hier diese Unzertrennlichkeit das Wesen. Ein Wesen, das nur ist – gleichviel, ob an sich oder für mich – als Gedachtes, als Gegenstand der Abstraktion von aller Sinnlichkeit, realisiert und versubjektiviert sich notwendig auch nur in einem Wesen, das nur ist als denkendes, dessen Wesenheit nur das abstrakte Denken.


§ 19.

Die Vollendung der neueren Philosophie ist die Hegelsche Philosophie. Die historische Notwendigkeit und Rechtfertigung der neuen Philosophie knüpft sich daher hauptsächlich an die Kritik Hegels.


§ 20.

[119] Die neue Philosophie hat, ihrem historischen Ausgangspunkt nach, dieselbe Aufgabe und Stellung der bisherigen Philosophie gegenüber, welche diese der Theologie gegenüber hatte. Die neue Philosophie ist die Realisation der Hegelschen, überhaupt bisherigen Philosophie, – aber eine Realisation, die zugleich die Negation, und zwar widerspruchlose Negation, derselben ist.


§ 21.

Der Widerspruch der neueren Philosophie, insbesondere des Pantheismus, daß er die Negation der Theologie auf dem Standpunkt der Theologie oder die Negation der Theologie ist, welche selbst wieder Theologie, dieser Widerspruch charakterisiert insbesondere die Hegelsche Philosophie.

Das immaterielle Wesen, das Wesen, wie es pures Verstandesobjekt, reines Verstandeswesen, ist der neueren Philosophie, so auch der Hegelschen, allein das wahre, das absolute Wesen – Gott. Selbst die Materie, die Spinoza zum Attribut der göttlichen Substanz macht, ist ein metaphysisches Ding, ein pures Verstandeswesen; denn die wesentliche Bestimmung der Materie im Unterschied von dem Verstande, der Denktätigkeit, die Bestimmung, ein leidendes Wesen zu sein, ist ihr genommen. Aber Hegel unterscheidet sich von der früheren Philosophie dadurch, daß er das Verhältnis des materiellen, sinnlichen Wesens zum immateriellen anders bestimmt. Die früheren Philosophen und Theologen dachten das wahre, das göttliche Wesen als ein von Natur, per se von der Sinnlichkeit oder Materie abgelöstes, befreites Wesen; nur in sich selbst verlegten sie die Mühe und Arbeit der Abstraktion, des sich Freimachens vom Sinnlichen, um zu dem zu kommen, was an sich selber davon [120] frei ist. In dieses Freisein setzten sie die Seligkeit des göttlichen, in dieses sich Freimachen die Tugend des menschlichen Wesens. Hegel dagegen machte diese subjektive Tätigkeit zur Selbsttätigkeit des göttlichen Wesens. Gott selbst muß sich dieser Arbeit unterziehen, sich, wie die Heroen des Heidentums, durch Tugend seine Gottheit erkämpfen. So nur wird die Freiheit des Absoluten von der Materie, die außerdem nur Voraussetzung, nur Vorstellung ist, Tat und Wahrheit. Aber diese Selbstbefreiung von der Materie kann nur in Gott gesetzt werden, wenn zugleich die Materie in ihn gesetzt wird. Wie kann sie aber in ihn gesetzt werden? Nur dadurch, daß er sie selbst setzt. Aber in Gott ist nur Gott. Also nur dadurch, daß er sich selbst als Materie, als Nicht-Gott, als sein Anderes setzt. Die Materie ist so kein dem Ich, dem Geist auf eine unbegreifliche Weise vorausgesetzter Gegensatz: sie ist die Selbstentäußerung des Geistes. Damit bekommt die Materie selbst Geist und Verstand, sie ist aufgenommen in das absolute Wesen als ein Lebens-, Bildungs- und Entwicklungsmoment desselben; zugleich ist sie aber doch wieder als ein nichtiges, unwahres Wesen gesetzt, indem erst das aus dieser Entäußerung sich herstellende, d.h. die Materie, die Sinnlichkeit von sich abstreifende Wesen als das Wesen in seiner Vollendung, in seiner wahren Gestalt und Form ausgesprochen wird. Das Natürliche, Materielle, Sinnliche – und zwar das Sinnliche nicht im gemeinen, moralischen, sondern metaphysischen Sinne – ist also auch hier das zu Negierende, wie in der Theologie die durch die Erbsünde vergiftete Natur. Es wird zwar aufgenommen in die Vernunft, das Ich, den Geist, aber es ist das Unvernünftige in der Vernunft, das Nicht-Ich im Ich, das Negative desselben, wie bei Schelling die Natur in Gott das[121] Nicht-Göttliche in Gott, in ihm außer ihm ist, wie in der Cartesischen. Philosophie der Leib, wenn gleich mit mir, mit dem Geiste verbunden, dennoch außer mir ist, nicht zu mir, zu meinem Wesen gehört, und es daher gleichgültig ist, ob er mit mir verbunden ist oder nicht ist. Die Materie bleibt im Widerspruch mit dem von der Philosophie als wahres Wesen vorausgesetzten Wesen.

Die Materie ist zwar in Gott gesetzt, d.h. als Gott gesetzt, und die Materie als Gott setzen ist so viel als sagen: es ist kein Gott, also so viel als: die Theologie aufheben, die Wahrheit des Materialismus anerkennen. Aber zugleich ist doch die Wahrheit des Wesens der Theologie noch vorausgesetzt. Der Atheismus, die Negation der Theologie wird daher wieder negiert, d.h. die Theologie durch die Philosophie wieder hergestellt. Gott ist Gott erst dadurch, daß er die Materie, die Negation Gottes, überwindet, negiert. Und erst die Negation der Negation ist nach Hegel wahre Position. Am Ende sind wir daher wieder, wovon wir anfänglich ausgegangen – im Schöße der christlichen Theologie. So haben wir schon im obersten Prinzip der Hegelschen Philosophie das Prinzip und Resultat seiner Religionsphilosophie, daß die Philosophie die Dogmen der Theologie nicht aufhebe, sondern nur aus der Negation des Rationalismus wieder herstelle, sie nur vermittele. Das Geheimnis der Hegelschen Dialektik ist zuletzt nur dieses, daß er die Theologie durch die Philosophie und dann wieder die Philosophie durch die Theologie negiert. Anfang und Ende bildet die Theologie, in der Mitte steht die Philosophie, als die Negation der ersten Position, aber die Negation der Negation ist die Theologie. Erst wird alles umgeworfen, aber dann wieder alles an seinen alten Platz gestellt, wie bei Cartesius. Die Hegelsche Philosophie ist der letzte großartige Versuch, das verlorene, untergegangene[122] Christentum durch die Philosophie wiederherzustellen, und zwar dadurch, daß, wie überhaupt in der neueren Zeit, die Negation des Christentums mit dem Christentum selbst identifiziert wird. Die vielgepriesene spekulative Identität des Geistes und der Materie, des Unendlichen und Endlichen, des Göttlichen und Menschlichen ist nichts weiter als der unselige Widerspruch der neuem Zeit – die Identität von Glaube und Unglaube, Theologie und Philosophie, Religion und Atheismus, Christentum und Heidentum auf seinem höchsten Gipfel, auf dem Gipfel der Metaphysik. Nur dadurch wird dieser Widerspruch bei Hegel den Augen entrückt, verdunkelt, daß die Negation Gottes, der Atheismus zu einer objektiven Bestimmung Gottes gemacht – Gott als ein Prozeß und als ein Moment dieses Prozesses der Atheismus bestimmt wird. Aber so wenig der aus dem Unglauben wieder hergestellte Glaube ein wahrer, weil stets mit seinem Gegensatz behafteter Glaube ist, so wenig ist der aus seiner Negation sich wiederherstellende Gott ein wahrer, vielmehr ein sich selbst widersprechender, ein atheistischer Gott.


§ 22.

Wie das göttliche Wesen nichts anderes ist als das Wesen des Menschen, befreit von der Schranke der Natur, so ist das Wesen des absoluten Idealismus nichts anderes, als das Wesen des subjektiven Idealismus, befreit von der, und zwar vernünftigen, Schranke der Subjektivität, d.h. von der Sinnlichkeit oder Gegenständlichkeit überhaupt. Die Hegelsche Philosophie läßt sich daher unmittelbar aus dem Kantischen und Fichteschen Idealismus ableiten.

Kant sagt: »Wenn wir die Gegenstände der Sinne, wie billig, als bloße Erscheinungen ansehen, so gestehen wir hierdurch doch zugleich, daß ihnen ein[123] Ding an sich selbst zum Grunde liegt, ob wir dasselbe gleich nicht, wie es an sich beschaffen sei, sondern nur seine Erscheinung, d.i. die Art, wie unsere Sinne von diesem unbekannten Etwas affiziert werden, kennen. Der Verstand also, eben dadurch, daß er Erscheinungen annimmt, gesteht auch das Dasein von Dingen an sich selbst zu, und insofern können wir sagen, daß die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum Grunde liegen, mithin bloßer Verstandeswesen nicht allein zulässig, sondern auch unvermeidlich sei«. Die Gegenstände der Sinne, der Erfahrung sind also für den Verstand bloße Erscheinung, keine Wahrheit; sie befriedigen also nicht den Verstand, d.h. sie entsprechen nicht seinem Wesen. Der Verstand ist folglich keineswegs durch die Sinnlichkeit in seinem Wesen beschränkt; sonst würde er die sinnlichen Dinge nicht für Erscheinungen, sondern für blanke Wahrheit nehmen. Was mich nicht befriedigt, begrenzt und beschränkt mich auch nicht. Und dennoch sollen die Verstandeswesen keine wirklichen Objekte für den Verstand sein! Die Kantische Philosophie ist der Widerspruch von Subjekt und Objekt, Wesen und Existenz, Denken und Sein. Das Wesen fällt hier in den Verstand, die Existenz in die Sinne. Die Existenz ohne Wesen ist bloße Erscheinung – das sind die sinnlichen Dinge – das Wesen ohne Existenz ist bloßer Gedanke – das sind die Verstandeswesen, die Noumena; sie werden gedacht, aber es fehlt ihnen die Existenz – wenigstens die Existenz für uns - , die Objektivität; sie sind die Dinge an sich, die wahren Dinge, nur sind sie keine wirklichen Dinge, und folglich auch keine Dinge für den Verstand, d.h. keine von ihm bestimm- und erkennbaren. Aber welch ein Widerspruch, die Wahrheit von der[124] Wirklichkeit, die Wirklichkeit von der Wahrheit abzutrennen! Heben wir daher diesen Widerspruch auf, so haben wir die Identitätsphilosophie, wo die Verstandesobjekte, die gedachten Dinge als die wahren auch die wirklichen sind, wo das Wesen und die Beschaffenheit des Objektes des Verstandes dem Wesen und der Beschaffenheit des Verstandes oder Subjektes entspricht, wo also das Subjekt nicht mehr beschränkt und bedingt ist durch einen außer ihm existierenden, seinem Wesen widersprechenden Stoff. Aber das Subjekt, das kein Ding mehr außer sich und folglich keine Schranken mehr in sich hat, ist nicht mehr »endliches« Subjekt – nicht mehr das Ich, dem ein Objekt gegenübersteht - , ist das absolute Wesen, dessen theologischer oder populärer Ausdruck das Wort: Gott ist. Es ist zwar dasselbe Subjekt, dasselbe Ich, wie im subjektiven Idealismus, – aber ohne Schranken, das Ich, das daher auch nicht mehr Ich, subjektives Wesen zu sein scheint, und deswegen auch nicht mehr Ich heißt.


§ 23.

Die Hegelsche Philosophie ist der umgekehrte – der theologische Idealismus, wie die Spinozische Philosophie der theologische Materialismus ist; sie hat das Wesen des Ich außer das Ich gesetzt, abgesondert vom Ich, als Substanz, als Gott vergegenständlicht, aber dadurch wieder – also indirekt, verkehrt – die Göttlichkeit des Ich ausgesprochen, daß sie dasselbe, wie Spinoza die Materie, zu einem Attribut oder zur Form der göttlichen Substanz machte: das Bewußtsein des Menschen von Gott ist das Selbstbewußtsein Gottes. Das heißt: das Wesen gehört Gott an, das Wissen dem Menschen. Aber das Wesen Gottes ist bei Hegel in der Tat nichts[125] anderes als das Wesen des Denkens oder das Denken, abstrahiert von dem Ich, dem Denkenden. Die Hegelsche Philosophie hat das Denken, also das subjektive Wesen, aber gedacht ohne Subjekt, also als ein von demselben unterschiedenes Wesen vorgestellt, zum göttlichen, absoluten Wesen gemacht.

Das Geheimnis der »absoluten« Philosophie ist daher das Geheimnis der Theologie. Wie diese die Bestimmungen des Menschen dadurch zu göttlichen Bestimmungen macht, daß sie dieselben der Bestimmtheit beraubt, in welcher sie sind, was sie sind, gerade so macht es auch die absolute Philosophie. »Das Denken der Vernunft ist jedem zuzumuten; um sie als absolut zu denken, um also auf den Standpunkt zu gelangen, welchen ich fordere, muß vom Denkenden abstrahiert werden. Dem, welcher die Abstraktion macht, hört die Vernunft unmittelbar auf, etwas Subjektives zu sein, wie sie von den meisten vorgestellt wird; ja sie kann selbst nicht mehr als etwas Objektives gedacht werden, da ein Objektives oder Gedachtes nur im Gegensatz gegen ein Denkendes möglich wird, von dem hier völlig abstrahiert ist; sie wird also durch jene Abstraktion zu dem wahren an sich, welches eben in den Indifferenzpunkt des Subjektiven und Objektiven fällt«. Schelling. Ebenso ist es bei Hegel. Das seiner Bestimmtheit, in der es Denken, Tätigkeit der Subjektivität ist, beraubte Denken ist das Wesen der Hegelschen Logik. Der dritte Teil der Logik ist und heißt sogar ausdrücklich die subjektive Logik, und gleichwohl sollen die Formen der Subjektivität, welche der Gegenstand derselben sind, nicht subjektive sein. Der Begriff, das Urteil, der Schluß, ja selbst die einzelnen Schluß- und Urteilsformen, wie das problematische, assertorische[126] Urteil, sind nicht Begriffe, Urteile, Schlüsse von uns; nein! sie sind objektive, an und für sich seiende, absolute Formen. So entäußert und entfremdet die absolute Philosophie dem Menschen sein eigenes Wesen, seine eigene Tätigkeit! Daher die Gewalt, die Tortur, die sie unserem Geist antut. Wir sollen das Unsrige nicht als Unsriges denken, sollen abstrahieren von der Bestimmtheit, in der etwas ist, was es ist, d.h. wir sollen es denken ohne Sinn, sollen es nehmen im Unsinn des Absoluten. Unsinn ist das höchste Wesen der Theologie – der gemeinen wie der spekulativen.

Was Hegel tadelnd von Fichtes Philosophie bemerkt, daß jeder das Ich in sich zu haben meint, an sich erinnert wird und doch nicht das Ich in sich findet, gilt von der spekulativen Philosophie überhaupt. Sie nimmt fast alle Dinge in einem Sinne, in welchem man diese Dinge nicht mehr erkennt. Und der Grund dieses Übels ist eben die Theologie. Das göttliche, das absolute Wesen muß sich unterscheiden von den endlichen, d.h. wirklichen Wesen. Aber wir haben keine Bestimmungen für das Absolute, als eben die Bestimmungen der wirklichen Dinge, sei's nun der natürlichen oder menschlichen. Wie werden also diese Bestimmungen zu Bestimmungen des Absoluten? Nur dadurch, daß sie in einem anderen Sinn als in ihrem wirklichen Sinn, d.i. einem gänzlich verkehrten Sinn genommen werden. Alles ist im Absoluten, was im Endlichen; aber dort ist es ganz anders als wie hier; dort gelten ganz andere Gesetze als bei uns; dort ist Vernunft und Weisheit, was bei uns purer Unsinn ist. Daher die grenzenlose Willkür der Spekulation, daß sie den Namen einer Sache gebraucht, ohne doch den Begriff gelten zu lassen, welcher mit diesem Namen verbunden ist. Die Spekulation entschuldigt diese ihre Willkür damit, daß sie sagt, sie wähle für ihre Begriffe aus der Sprache[127] Namen, mit denen das »gemeine Bewußtsein« Vorstellungen verknüpfe, welche eine entfernte Ähnlichkeit mit diesen Begriffen hätten; sie schiebt also die Schuld auf die Sprache. Aber die Schuld liegt in der Sache, im Prinzip der Spekulation selbst. Der Widerspruch zwischen dem Namen und der Sache, der Vorstellung und dem Begriff der Spekulation ist nichts anderes als der alte theologische Widerspruch zwischen den Bestimmungen des göttlichen und menschlichen Wesens, welche Bestimmungen in Beziehung auf den Menschen im eigentlichen, wirklichen Sinn, in Beziehung auf Gott aber nur in einem symbolischen oder analogischen Sinn genommen werden. Allerdings hat sich die Philosophie nicht zu kehren an die Vorstellungen, welche der gemeine Gebrauch oder Mißbrauch mit einem Namen verbindet, aber sie hat sich zu binden an die bestimmte Natur der Dinge, deren Zeichen Namen sind.


§ 24.

Die Identität von Denken und Sein, der Zentralpunkt der Identitätsphilosophie, ist nichts anderes als eine notwendige Folge und Ausführung von dem Begriff Gottes als des Wesens, dessen Begriff oder Wesen das Sein enthält. Die spekulative Philosophie hat nur verallgemeinert, nur zu einer Eigenschaft des Denkens, des Begriffes überhaupt gemacht, was die Theologie zu einer ausschließlichen Eigenschaft des Begriffes Gottes machte. Die Identität von Denken und Sein ist daher nur der Ausdruck von der Gottheit der Vernunft – der Ausdruck davon, daß das Denken oder die Vernunft das absolute Wesen, der Inbegriff aller Wahrheit und Realität ist, daß es keinen Gegensatz der Vernunft gibt, daß vielmehr die Vernunft alles ist, wie in der strengen Theologie Gott alles ist, d.i. alles[128] Wesenhafte und wahrhaft Seiende. Aber ein vom Denken nicht unterschiedenes Sein, ein Sein, das nur ein Prädikat oder eine Bestimmung der Vernunft ist, das ist nur ein gedachtes abstraktes Sein, in Wahrheit aber kein Sein. Die Identität von Denken und Sein drückt daher nur die Identität des Denkens mit sich selbst aus. Das heißt: das absolute Denken kommt nicht von sich weg, nicht aus sich heraus zum Sein. Sein bleibt ein Jenseits. Die absolute Philosophie hat uns wohl das Jenseits der Theologie zum Diesseits gemacht, aber dafür hat sie uns das Diesseits der wirklichen Welt zum Jenseits gemacht.

Das Denken der spekulativen oder absoluten Philosophie bestimmt im Unterschiede von sich, als der Tätigkeit des Vermittelns, das Sein als das Unmittelbare, nicht Vermittelte. Für das Denken – wenigstens das Denken, was wir hier vor uns haben – ist das Sein nichts weiter als dieses. Das Denken setzt sich das Sein entgegen, aber innerhalb seiner selbst, und hebt dadurch unmittelbar ohne Schwierigkeit den Gegensatz desselben gegen sich auf; denn das Sein als Gegensatz des Denkens im Denken ist nichts anderes als selbst ein Gedanke. Wenn das Sein weiter nichts ist als das Unmittelbare, die Unmittelbarkeit allein seinen Unterschied vom Denken ausmacht, wie leicht ist es nachzuweisen, daß auch dem Denken die Bestimmung der Unmittelbarkeit, also Sein zukommt! Wenn eine bloße Gedankenbestimmtheit das Wesen des Seins ausmacht, wie sollte das Sein vom Denken unterschieden sein?




§ 25.

Der Beweis, daß etwas ist, hat keinen anderen Sinn, als daß etwas nicht nur Gedachtes ist. Dieser Beweis kann aber nicht aus dem Denken selbst geschöpft werden. Wenn zu einem Objekt[129] des Denkens das Sein hinzukommen soll, so muß zum Denken selbst etwas vom Denken Unterschiedenes hinzukommen.

Das von Kant bei der Kritik des ontologischen Beweises zur Bezeichnung des Unterschiedes vom Denken und Sein gewählte, von Hegel aber verhöhnte Beispiel von dem Unterschied zwischen hundert Talern in der Vorstellung und hundert Talern in der Wirklichkeit, ist im wesentlichen ganz richtig. Denn die einen Taler habe ich nur im Kopf, die anderen aber in der Hand; jene sind nur für mich da, diese aber auch für andere – sie können gefühlt, gesehen werden; aber nur das existiert, was für mich und den anderen zugleich ist, worin ich und der andere übereinstimmen, was nicht nur mein – was allgemein ist.

Im Denken als solchem befinde ich mich in Identität mit mir selbst, bin ich absoluter Herr; da widerspricht mir nichts; da bin ich Richter und Partei zugleich, da ist folglich kein kritischer Unterschied zwischen dem Gegenstand und meinen Gedanken von ihm. Aber wenn es sich lediglich um das Sein eines Gegenstandes handelt, so kann ich nicht mich allein um Rat fragen, so muß ich von mir unterschiedene Zeugen vernehmen. Diese von mir als Denkendem unterschiedenen Zeugen sind die Sinne. Sein ist etwas, wobei nicht Ich allein, sondern auch die anderen, vor allem auch der Gegenstand selbst beteiligt ist. Sein heißt Subjekt sein, heißt für sich sein. Und das ist wahrlich nicht einerlei, ob ich Subjekt oder nur Objekt bin, ein Wesen für mich selbst oder nur ein Wesen für ein anderes Wesen, d.h. nur ein Gedanke. Wo ich ein bloßes Objekt der Vorstellung bin, folglich nicht mehr selbst bin, wie es der Mensch nach dem Tode ist, da muß ich mir alles gefallen lassen, da kann sich der andere ein Bild von mir machen, das eine wahre Karikatur ist, ohne[130] daß ich dagegen protestieren kann; aber wenn ich noch wirklich bin, so kann ich ihm einen Strich durch die Rechnung machen, kann es ihm fühlen lassen, beweisen, daß zwischen mir, wie ich in seiner Vorstellung, und mir, wie ich in Wirklichkeit bin, also zwischen mir, wie ich Objekt von ihm, und mir, wie ich Subjekt bin, ein himmelweiter Unterschied vorhanden ist. Im Denken bin ich absolutes Subjekt, ich lasse alles nur gelten als Objekt oder Prädikat von lasse alles nur gelten als Objekt oder Prädikat von mir, dem Denkenden, bin intolerant; in der Sinnentätigkeit dagegen bin ich liberal, ich lasse den Gegenstand sein, was ich selber bin – Subjekt, wirkliches, sich selbst betätigendes Wesen. Nur der Sinn, nur die Anschauung gibt mir etwas als Subjekt.


§ 26.

Ein nur, und zwar abstrakt denkendes Wesen hat gar keine Vorstellung von Sein, Existenz, Wirklichkeit. Sein ist die Grenze des Denkens; Sein als Sein ist kein Gegenstand der, wenigstens abstrakten, absoluten Philosophie. Die spekulative Philosophie spricht dies selbst indirekt dadurch aus, daß ihr das Sein gleich Nichtseinnichts ist. Nichts ist aber kein Gegenstand des Denkens.

Das Sein, wie es Objekt des spekulativen Denkens, ist das schlechthin Unmittelbare, d.i. Unbestimmte, also nichts ist in ihm zu unterscheiden, nichts zu denken. Aber das spekulative Denken ist sich das Maß aller Realität, es erklärt nur das für etwas, worin es sich betätigt findet, woran es Stoff zum Denken hat. Das Sein ist daher dem abstrakten Denken, weil es das Nichts des Gedankens, d.h. Nichts für den Gedanken – das Gedankenlose ist, an und für sich selbst Nichts. Aber eben deswegen ist auch das Sein, wie es die spekulative[131] Philosophie in ihr Gebiet hereinzieht und dem Begriff vindiziert, ein pures Gespenst, das absolut im Widerspruch steht mit dem wirklichen Sein und dem, was der Mensch unter Sein versteht. Unter Sein versteht nämlich der Mensch sach- und vernunftgemäß Dasein, Fürsichsein, Realität, Existenz, Wirklichkeit, Objektivität. Alle diese Bestimmungen oder Namen drücken nur von verschiedenen Gesichtspunkten eine und dieselbe Sache aus. Sein in abstracto, Sein ohne Objektivität, ohne Wirklichkeit, ohne Fürsichsein ist freilich nichts, aber in diesem Nichts spreche ich nur die Nichtigkeit dieser meiner Abstraktion aus.


§ 27.

Das Sein der Hegelschen Logik ist das Sein der alten Metaphysik, welches von allen Dingen ohne Unterschied ausgesagt wird, weil nach ihr alle darin übereinkommen, daß sie sind. Dieses unterschiedslose Sein ist aber ein abstrakter Gedanke, ein Gedanke ohne Realität. Das Sein ist so verschieden als die Dinge, welche sind.

Darin, heißt es z.B. in einer Metaphysik aus der Wolffischen Schule, stimmen Gott, die Welt, der Mensch, der Tisch, das Buch usw. miteinander überein, daß sie sind. Und Christ. Thomasius sagt: »Das Sein ist überall einerlei. Das Wesen ist so vielfältig als die Dinge«. Dieses überall gleiche, unterschieds- und inhaltslose Sein ist nun auch das Sein der Hegelschen Logik. Hegel bemerkt selbst, daß die Polemik gegen die Identität von Sein und Nichts nur daher komme, daß man dem Sein einen bestimmten Inhalt unterstelle. Aber eben das Bewußtsein des Seins ist immer und notwendig am bestimmten Inhalt gebunden. Abstrahiere ich vom Inhalt des Seins, und zwar von allem Inhalt, denn alles ist Inhalt des Seins,[132] so bleibt mir freilich nichts übrig, als der Gedanke von nichts. Und wenn daher Hegel dem gemeinen Bewußtsein vorwirft, daß es etwas, was nicht zum Sein gehöre, dem Sein, wie es Gegenstand der Logik, unterstelle, so trifft vielmehr ihn der Vorwurf, daß er eine bodenlose Abstraktion dem, was das menschliche Bewußtsein rechtmäßiger und vernünftigerweise unter Sein versteht, unterstellt. Das Sein ist kein allgemeiner, von den Dingen abtrennbarer Begriff. Es ist eins mit dem, was ist. Es ist nur mittelbar denkbar – nur denkbar durch die Prädikate, welche das Wesen eines Dinges begründen. Das Sein ist die Position des Wesens. Was mein Wesen, ist mein Sein. Der Fisch ist im Wasser, aber von diesem Sein kannst Du nicht sein Wesen abtrennen. Schon die Sprache identifiziert Sein und Wesen. Nur im menschlichen Leben sondert sich, aber auch nur in abnormen, unglücklichen Fällen, Sein, vom Wesen – ereignet es sich, daß man nicht da, wo man sein Sein, auch sein Wesen hat, aber eben wegen dieser Scheidung auch nicht wahrhaft, nicht mit der Seele da ist, wo man wirklich, mit dem Leibe ist. Nur wo Dein Herz, da bist Du. Aber alle Wesen sind – naturwidrige Fälle ausgenommen – gern da, wo, und gern das, was sie sind, d.h. ihr Wesen ist nicht von ihrem Sein, ihr Sein nicht vom Wesen abgetrennt. Und Du kannst folglich nicht das Sein als ein schlechthin Identisches im Unterschiede von der Verschiedenheit des Wesens für sich fixieren. Das Sein nach Abzug aller wesentlichen Qualitäten der Dinge ist nur Deine Vorstellung vom Sein – ein gemachtes, erdachtes Sein, ein Sein ohne das Wesen des Seins.


§ 28.

Die Hegelsche Philosophie ist nicht über den Widerspruch von Denken und Sein hinausgekommen. Das Sein, mit welchem[133] die Phänomenologie beginnt, steht nicht minder als das Sein, mit welchem die Logik anhebt, im direktesten Widerspruch mit dem wirklichen Sein.

Dieser Widerspruch kommt in der Phänomenologie in der Form des »Diesen« und des »Allgemeinen« zum Vorschein, denn das Einzelne gehört dem Sein an, das Allgemeine dem Denken. In der Phänomenologie nun fließt Dieses mit Diesem ununterscheidbar für den Gedanken zusammen; aber welch ein gewaltiger Unterschied ist zwischen dem Diesen, wie es Objekt des abstrakten Denkens, und eben demselben, wie es Objekt der Wirklichkeit ist! Dieses Weib z.B. ist mein Weib, dieses Haus mein Haus, obgleich jeder von seinem Hause und seinem Weibe, wie ich, sagt: dieses Haus, dieses Weib. Die Gleichgültigkeit und Unterschiedslosigkeit des logischen Diesen wird hier also durch den Rechtssinn unterbrochen und aufgehoben. Würden wir das logische »Diese« im Naturrecht gelten lassen, so kämen wir direkt auf die Güter- und Weibergemeinschaft, wo kein Unterschied ist zwischen jener und dieser, Jeder Jede hat, – oder vielmehr geradezu auf die Aufhebung alles Rechtes; denn das Recht ist nur gegründet auf die Realität des Unterschiedes von Diesem und Jenem.

Wir haben im Anfang der Phänomenologie nichts weiter vor uns als den Widerspruch zwischen dem Wort, welches allgemein, und der Sache, welche immer eine einzelne ist. Und der Gedanke, der sich nur auf das Wort stützt, kommt nicht über diesen Widerspruch hinaus. So wenig aber das Wort die Sache ist, so wenig ist das gesagte oder gedachte Sein das wirkliche Sein. Entgegnet man, bei Hegel sei nicht, wie hier, vom Sein auf dem praktischen, sondern nur theoretischen Standpunkt die Rede, so ist zu erwidern, daß dieser hier ganz am Orte ist. Die Frage[134] vom Sein ist eben eine praktische Frage, eine Frage, bei dem unser Sein beteiligt ist, eine Frage auf Tod und Leben. Und wenn wir im Rechte an unserem Sein festhalten, so wollen wir es uns auch von der Logik nicht wegnehmen lassen. Es muß auch von der Logik anerkannt werden, wenn sie nicht im Widerspruch mit dem wirklichen Sein beharren will. Übrigens wird der praktische Standpunkt – der Standpunkt des Essens und Trinkens – selbst von der Phänomenologie zur Widerlegung der Wahrheit des sinnlichen, d.i. einzelnen Seins herbeigezogen. Allein auch hier verdanke ich meine Existenz nun und nimmermehr dem sprachlichen oder logischen Brote – dem Brote in abstracto – sondern immer nur diesem Brote, dem »Unsagbaren«. Das Sein, gegründet auf lauter solche Unsagbarkeiten, ist darum selbst etwas Unsagbares. Jawohl, das Unsagbare. Wo die Worte aufhören, da fängt erst das Leben an, erschließt sich erst das Geheimnis des Seins. Wenn daher Unsagbarkeit Unvernünftigkeit ist, so ist alle Existenz, weil sie immer und immer nur diese Existenz ist, Unvernunft. Aber sie ist es nicht. Die Existenz hat für sich selbst, auch ohne Sagbarkeit, Sinn und Vernunft.


§ 29.

Das »über sein Anderes – ›das Andere des Denkens‹ ist aber das Seinübergreifende« Denken ist das seine Naturgrenze überschreitende Denken. Das Denken greift über sein Gegenteil über – heißt: das Denken vindiziert sich, was nicht dem Denken, sondern dem Sein zukommt. Dem Sein kommt aber die Einzelheit, Individualität, dem Denken die Allgemeinheit zu. Das Denken vindiziert sich also die Einzelheit – es macht die Negation der Allgemeinheit, die wesentliche Form der Sinnlichkeit, die Einzelheit zu einem Moment des[135] Denkens. So wird das »abstrakte« Denken oder der abstrakte Begriff, der das Sein außer sich hat, »konkreter« Begriff.

Wie kommt der Mensch aber zu diesen Übergriffen des Denkens in das Eigentum des Seins? Durch die Theologie. In Gott ist unmittelbar mit dem Wesen oder Begriffe das Sein, mit der Allgemeinheit die Einzelheit, die Existenzform verbunden. Der »konkrete Begriff« ist der in den Begriff verwandelte Gott. Aber wie kommt der Mensch von dem »abstrakten« Denken zum »konkreten« oder absoluten Denken, wie von der Philosophie zur Theologie? Die Antwort auf diese Frage hat die Geschichte selbst schon gegeben in dem Übergang von der alten heidnischen Philosophie zur sogenannten neuplatonischen; denn die neuplatonische Philosophie unterscheidet sich von der alten nur dadurch, daß sie Theologie ist, während jene nur Philosophie ist. Die alte Philosophie hatte zu ihrem Prinzip die Vernunft, die »Idee«, aber »die Idee ist von Plato und Aristoteles nicht als das Alles Enthaltende gesetzt worden.« Die alte Philosophie ließ etwas außer dem Denken bestehen – einen Rest gleichsam übrig, der nicht in das Denken aufging. Das Bild dieses Seins außer dem Denken ist die Materie – das Substrat der Realität. Die Vernunft hatte an der Materie ihre Grenze. Die alte Philosophie lebte noch im Unterschiede vom Denken und Sein, ihr war noch nicht das Denken, der Geist, die Idee die alles befassende, d.i. die einzige, die ausschließliche, die absolute Realität. Die alten Philosophen waren noch Weltweise – Physiologen, Politiker, Zoologen, kurz Anthropologen, nicht Theologen, wenigstens nur teilweise Theologen – freilich eben deswegen auch nur noch teilweise, darum beschränkte, mangelhafte Anthropologen. Den Neuplatonikern dagegen ist die Materie,[136] die materielle, die wirkliche Welt überhaupt keine Instanz, keine Realität mehr. Vaterland, Familie, weltliche Bande und Güter überhaupt, welche die alte peripatetische Philosophie noch zur Seligkeit des Menschen rechnete – alles das ist nichts für den neuplatonischen Weisen. Er hält den Tod sogar für besser als das körperliche Leben; er rechnet den Leib nicht zu seinem Wesen; er versetzt die Seligkeit nur in die Seele, sich absondernd von allen körperlichen, kurz äußerlichen Dingen. Wo der Mensch aber nichts außer sich mehr hat, da sucht und findet er alles in sich, da setzt er an die Stelle der wirklichen Welt die imaginäre, die intelligible Welt, in der alles ist, was in der wirklichen, aber auf abstrakte, vorgestellte Weise. Selbst die Materie findet sich bei den Neuplatonikern in der immateriellen Welt, aber hier ist sie nur eine ideale, gedachte, imaginäre. Und wo der Mensch kein Wesen außer sich mehr hat, da setzt er sich in Gedanken ein Wesen, welches als ein Gedankenwesen doch zugleich die Eigenschaften eines wirklichen Wesens hat, als unsinnliches zugleich ein sinnliches Wesen, als ein theoretisches Objekt zugleich ein praktisches ist. Dieses Wesen ist Gott – das höchste Gut der Neuplatoniker. Nur im Wesen befriedigt sich der Mensch. Den Mangel des wirklichen Wesens ersetzt er sich daher durch ein ideales Wesen, d.h. er unterstellt jetzt das Wesen der aufgegebenen oder verlorenen Wirklichkeit seinen Vorstellungen und Gedanken – die Vorstellung ist ihm keine Vorstellung mehr, sondern der Gegenstand selbst, das Bild kein Bild mehr, sondern Sache selbst, der Gedanke, die Idee Realität. Eben weil er sich nicht mehr als Subjekt zu einer wirklichen Welt als sein Objekt verhält, so werden ihm dafür seine Vorstellungen zu Objekten, zu Wesen, zu Geistern und Göttern.[137] Je abstrakter er ist, je negativer gegen das wirkliche Sinnliche, desto sinnlicher ist er gerade im Abstrakten. Gott, das eine – das höchste Objekt und Wesen der Abstraktion von aller Vielheit und Verschiedenheit, d.h. Sinnlichkeit – wird durch Berührung, durch unmittelbare Gegenwart (parousia) erkannt. Ja, wie das Niedrigste, die Materie, so wird auch das Höchste, das Eine durch Nicht-wissen, durch Unwissenheit gewußt. Das heißt: das nur gedachte, abstrakte, das nicht-, das übersinnliche Wesen ist zugleich ein wirklich seiendes, ein sinnliches Wesen.

Wie da, wo der Mensch sich entleibt, den Leib, diese vernünftige Schranke der Subjektivität negiert, er in eine phantastische, transzendente Praxis verfällt, mit leiblichen Gottes- und Geistererscheinungen umgeht, also den Unterschied zwischen Imagination und Anschauung praktisch aufhebt; so verliert sich auch theoretisch der Unterschied zwischen Denken und Sein, Subjektiv und Objektiv, Sinnlich und Unsinnlich, wo ihm die Materie keine Realität und folglich keine Grenze der denkenden Vernunft, wo ihm die Vernunft, das intellektuelle Wesen, das Wesen der Subjektivität überhaupt in dieser seiner Unbeschränktheit das alleinige, das absolute Wesen ist. Das Denken negiert alles, aber nur um alles zu setzen in sich. Es hat keine Grenze mehr an etwas außer ihm, aber dadurch tritt es selbst außer seine immanente, seine natürliche Grenze. So wird die Vernunft, die Idee konkret, d.h. das, was die Anschauung geben soll, wird dem Denken zugeeignet, das, was die Funktion, die Sache des Sinns, der Empfindung, des Lebens ist, zu einer Funktion, einer Sache des Denkens, d.h. das Konkrete zu[138] einem Prädikate des Gedankens, das Sein zu einer bloßen Gedankenbestimmtheit gemacht; denn der Satz: der Begriff ist konkret, ist Identisch mit dem Satz: das Sein ist eine Gedankenbestimmtheit. Was in den Neuplatonikern Vorstellung, Phantasie ist, das hat Hegel nur in Begriffe verwandelt, rationalisiert. Hegel ist nicht der »deutsche oder christliche Aristoteles« – er ist der deutsche Proklus. Die »absolute Philosophie« ist die wiedergeborene alexandrinische Philosophie. Nach Hegels ausdrücklicher Bestimmung ist nicht die aristotelische, überhaupt altheidnische, sondern die alexandrinische Philosophie die absolute – die christliche, allerdings noch mit heidnischen Ingredienzen vermischte – Philosophie, aber noch im Elemente der Abstraktion von dem konkreten Selbstbewußtsein.

Bemerkt werde noch, daß die neuplatonische Theologie besonders deutlich zeigt, daß, wie das Objekt, so das Subjekt und umgekehrt, daß folglich das Objekt der Theologie nichts anderes ist, als das vergegenständlichte Wesen des Subjektes, des Menschen. Gott in höchster Potenz ist den Neuplatonikern das Einfache, Eine, schlechthin Unbestimmte und Unterschiedslose – kein Wesen, sondern über dem Wesen, denn das Wesen ist dadurch noch bestimmt, daß es Wesen ist; kein Begriff, kein Verstand, sondern ohne Verstand und über den Verstand, denn auch der Verstand ist dadurch bestimmt, daß er Verstand ist; und wo Verstand, da ist Unterscheidung, Entzweiung in Denkendes und Gedachtes, die folglich in dem schlechthin Einfachen nicht stattfinden kann. Aber was objektiv, das ist auch subjektiv dem Neuplatoniker das höchste Wesen; was er im Gegenstand, in Gott als Sein, das setzt er in sich als Tätigkeit, als Streben. Nicht mehr Unterschied, nicht mehr Verstand, nicht mehr Selbst sein ist und heißt Gott[139] sein. Aber was Gott ist, bestrebt sich der Neuplatoniker zu werden – das Ziel seiner Tätigkeit ist, aufzuhören, »selbst zu sein, Verstand und Vernunft zu sein.« Ekstase, Entzückung ist dem Neuplatoniker der höchste psychologische Zustand des Menschen. Dieser Zustand, als Wesen vergegenständlicht, ist das göttliche Wesen. So kommt der Gott nur aus dem Menschen, aber nicht umgekehrt, wenigstens ursprünglich, der Mensch aus Gott. Dies zeigt sich besonders deutlich auch in der gleichfalls bei den Neuplatonikern vorkommenden Bestimmung Gottes als des nichts bedürftigen, des seligen Wesens. Denn worin anders als in den Schmerzen und Bedürfnissen des Menschen hat dieses schmerzen- und bedürfnislose Wesen seinen Grund und Ursprung? Mit der Not des Bedürfnisses und Schmerzes fällt auch die Vorstellung und Empfindung der Seligkeit. Nur im Gegensatze zur Unseligkeit ist die Seligkeit eine Realität. Nur im Elend des Menschen hat Gott seine Geburtsstätte. Nur aus dem Menschen nimmt Gott alle seine Bestimmungen, Gott ist, was der Mensch sein will – sein eigenes Wesen, sein eigenes Ziel, vorgestellt als wirkliches Wesen. Hierin liegt auch der Unterschied der Neuplatoniker von den Stoikern, Epikuräern und Skeptikern. Leidenschaftslosigkeit, Seligkeit, Bedürfnislosigkeit, Freiheit, Selbständigkeit war auch das Ziel dieser Philosophen; aber nur als Tugend des Menschen, das heißt: es lag noch der konkrete, der wirkliche Mensch als Wahrheit zugrunde, die Freiheit und Seligkeit sollte diesem Substrat als Prädikat zukommen. Bei den Neuplatonikern aber wurde, obgleich auch die heidnische Tugend ihnen noch Wahrheit war – daher ihr Unterschied von der christlichen Theologie, welche die Seligkeit, Vollkommenheit und Gottgleichheit des Menschen ins Jenseits verlegte – dieses Prädikat zum Subjekt, ein Adjektivum des Menschen zum Substantiv, zu wirklichem[140] Wesen. Aber eben dadurch wurde nun auch der wirkliche Mensch zu einem bloßen Abstraktum ohne Fleisch und Blut, zu einer allegorischen Figur des göttlichen Wesens. Plotin schämte sich, wenigstens nach dem Bericht seines Biographen, einen Körper zu haben.


§ 30.

Die Bestimmung, daß nur der »konkrete« Begriff, der Begriff, welcher die Natur des Wirklichen an sich trägt, der wahre Begriff ist, drückt die Anerkennung von der Wahrheit des Konkreten oder Wirklichen aus. Weil aber gleichwohl von vornherein der Begriff, d.i. das Wesen des Denkens als das absolute, allein wahre Wesen vorausgesetzt ist, so kann das Reale oder Wirkliche nur auf indirekte Weise, nur als das wesentliche und notwendige Adjektivum des Begriffes anerkannt werden. Hegel ist Realist, aber pur idealistischer oder vielmehr abstrakter Realist – Realist in der Abstraktion von aller Realität. Er negiert das Denken, nämlich das abstrakte Denken, aber selbst wieder im abstrakten Denken, so daß die Negation der Abstraktion selbst wieder eine Abstraktion ist. Nur »was ist«, hat die Philosophie nach ihm zum Objekt, aber dieses Ist ist selbst nur ein abstraktes, gedachtes. Hegel ist ein sich im Denken überbietender Denker – er will das Ding selbst ergreifen, aber im Gedanken des Dinges, außer dem Denken sein, aber im Denken selbst – daher die Schwierigkeit, den »konkreten« Begriff zu fassen.


§ 31.

Die Anerkennung des Lichtes der Wirklichkeit im Dunkel der Abstraktion ist ein Widerspruch – die Bejahung des Wirklichen in der Verneinung desselben. Die neue Philosophie, welche das Konkrete nicht in abstracto, sondern [141] in concreto – das Wirkliche in seiner Wirklichkeit, also auf eine dem Wesen des Wirklichen entsprechende Weise als das Wahre anerkennt und zum Prinzip und Gegenstand der Philosophie erhebt, ist daher erst die Wahrheit der Hegelschen, die Wahrheit der neueren Philosophie überhaupt.

Die historische Notwendigkeit oder Genesis der neuen Philosophie aus der alten ergibt sich näher so. Der konkrete Begriff, die Idee ist nach Hegel zunächst nur abstrakt, nur im Element des Denkens – der rationalisierte Gott der Theologie vor der Schöpfung der Welt. Aber wie Gott sich äußert, offenbart, verweltlicht, verwirklicht, so realisiert sich die Idee – Hegel ist die in einen logischen Prozeß verwandelte Geschichte der Theologie. Kommen wir aber einmal mit der Realisation der Idee in das Reich des Realismus, ist die Wahrheit der Idee, daß sie wirklich ist, daß sie existiert, so haben wir ja die Existenz zum Kriterium der Wahrheit: nur, was wirklich, ist wahr. Und es fragt sich nur: was ist wirklich? das nur Gedachte? das, was nur Objekt des Denkens, des Verstandes ist? Aber so kämen wir nicht aus der Idee in abstracto heraus. Objekt des Denkens ist auch die platonische Idee; innerliches Objekt auch das himmlische Jenseits – Objekt des Glaubens, der Vorstellung. Ist die Realität des Gedankens die Realität als gedachte, so ist die Realität des Gedankens selbst wieder nur der Gedanke, so bleiben wir nur in der Identität des Gedankens mit sich selbst, im Idealismus – ein Idealismus, der sich von dem subjektiven Idealismus nur dadurch unterscheidet, daß er allen Inhalt der Wirklichkeit umfaßt und zu einer Gedankenbestimmtheit macht. Ist es daher wirklich Ernst mit der Realität des Gedankens oder der Idee, so muß, etwas anderes, als er selbst ist, zu ihm[142] hinzukommen, oder: er muß als realisierter Gedanke ein Anderes sein, denn als nicht realisierter, als bloßer Gedanke – Gegenstand nicht nur des Denkens, sondern auch des Nichtdenkens. Der Gedanke realisiert sich, heißt eben: er negiert sich, hört auf, bloßer Gedanke zu sein. Was ist denn nun aber dieses Nichtdenken, dieses vom Denken Unterschiedene? Das Sinnliche. Der Gedanke realisiert sich, heißt demnach: er macht sich zum Objekt des Sinnes. Die Realität der Idee ist also die Sinnlichkeit, aber die Realität die Wahrheit der Idee – also die Sinnlichkeit erst die Wahrheit derselben. Aber gleichwohl haben wir so die Sinnlichkeit nur noch zu einem Prädikat, die Idee oder den Gedanken zum Subjekt. Allein warum versinnbildlicht sich denn die Idee? warum ist sie nicht wahr, wenn sie nicht real, d.i. sinnlich ist? Wird denn nicht dadurch ihre Wahrheit von der Sinnlichkeit abhängig gemacht? nicht dem Sinnlichen für sich selbst, abgesehen davon, daß es die Realität der Idee ist, Bedeutung und Wert eingeräumt? Wenn die Sinnlichkeit für sich selbst nichts ist, wozu bedarf derselben die Idee? Wenn die Idee erst der Sinnlichkeit Wert und Gehalt gibt, so ist diese reiner Luxus, reiner Tand – nur eine Illusion, die sich der Gedanke vormacht. Aber so ist es nicht. An den Gedanken ergeht nur die Forderung, sich zu realisieren, zu versinnlichen, weil unbewußt dem Gedanken die Realität, die Sinnlichkeit unabhängig von dem Gedanken als Wahrheit vorausgesetzt ist. Der Gedanke bewährt sich durch die Sinnlichkeit; wie wäre dies möglich, wenn sie nicht unbewußt für Wahrheit gälte? Weil aber gleichwohl bewußt von der Wahrheit des Gedankens ausgegangen wird, so wird die Wahrheit der Sinnlichkeit erst hintendrein ausgesprochen, und die Sinnlichkeit nur zu einem Attribut der Idee gemacht, was aber ein Widerspruch ist; denn sie[143] ist nur Attribut, und doch gibt sie erst dem Gedanken Wahrheit, ist also zugleich Hauptsache und Nebensache, zugleich Wesen und Akzidenz. Von diesem Widerspruch erlösen wir uns nur, wenn wir das Reale, das Sinnliche zum Subjekt seiner selbst machen, wenn wir demselben absolut selbständige, göttliche, primitive, nicht erst von der Idee abgeleitete Bedeutung geben.


§ 32.

Das Wirkliche in seiner Wirklichkeit oder als Wirkliches ist das Wirkliche als Objekt des Sinnes, ist das Sinnliche. Wahrheit, Wirklichkeit, Sinnlichkeit sind identisch. Nur ein sinnliches Wesen ist ein wahres, ein wirkliches Wesen. Nur durch die Sinne wird ein Gegenstand im wahren Sinn gegeben – nicht durch das Denken für sich selbst. Das mit dem Denken gegebene oder identische Objekt ist nur Gedanke.

Ein Objekt, ein wirkliches Objekt, wird mir nämlich nur da gegeben, wo mir ein auf mich wirkendes Wesen gegeben wird, wo meine Selbsttätigkeit – wenn ich vom Standpunkt des Denkens ausgehe – an der Tätigkeit eines anderen Wesens ihre Grenze – Widerstand findet. Der Begriff des Objektes ist ursprünglich gar nichts anderes als der Begriff eines anderen Ich – so faßt der Mensch in der Kindheit alle Dinge als freitätige, willkürliche Wesen auf – daher ist der Begriff des Objektes überhaupt vermittelt durch den Begriff des Du, des gegenständlichen Ich. Nicht dem Ich, sondern dem Nicht-Ich in mir, um in der Sprache Fichtes zu reden, ist ein Objekt, d.i. anderes Ich gegeben; denn nur da, wo ich aus einem Ich in ein Du umgewandelt werde, wo ich leide, entsteht die Vorstellung einer außer mir seienden Aktivität, d.i. Objektivität. Aber nur durch den Sinn ist Ich nicht Ich.[144]

Charakteristisch für die frühere abstrakte Philosophie ist die Frage: wie verschiedene selbständige Wesen, Substanzen aufeinander, z.B. der Körper auf die Seele, das Ich einwirken können? Diese Frage war aber für sie eine unauflösliche, weil von der Sinnlichkeit abstrahiert wurde, weil die Substanzen, die aufeinander einwirken sollten, abstrakte Wesen, pure Verstandeswesen waren. Das Geheimnis der Wechselwirkung löst nur die Sinnlichkeit. Nur sinnliche Wesen wirken aufeinander ein. Ich bin Ich – für mich – und zugleich Du – für anderes. Das bin ich aber nur als sinnliches Wesen. Der abstrakte Verstand jedoch isoliert dieses Fürsichsein als Substanz, Atom, Ich, Gott – er kann daher nur willkürlich das Sein für anderes damit verbinden; denn die Notwendigkeit dieser Verbindung ist allein die Sinnlichkeit, von welcher er aber abstrahiert. Was ich ohne Sinnlichkeit denke, denke ich ohne und außer alle Verbindung. Wie kann ich also das Unverbundene zugleich wieder als ein Verbundenes denken?


§ 33.

Die neue Philosophie betrachtet und berücksichtigt das Sein, wie es für uns ist, nicht nur als denkende, sondern als wirklich seiende Wesen – das Sein also als Objekt des Seins – als Objekt seiner selbst. Das Sein als Gegenstand des Seins – und nur dieses Sein ist erst Sein und verdient erst den Namen des Seins – ist das Sein des Sinnes, der Anschauung, der Empfindung, der Liebe. Das Sein ist also ein Geheimnis der Anschauung, der Empfindung, der Liebe.

Nur in der Empfindung, nur in der Liebe hat »Dieses« – diese Person, dieses Ding – d.h. das Einzelne, absoluten Wert, ist das Endliche das Unendliche – darin und nur darin allein besteht die unendliche Tiefe, Göttlichkeit und Wahrheit der Liebe.[145] In der Liebe allein ist der Gott, der die Haare auf dem Haupte zählt, Wahrheit und Realität. Der christliche Gott ist selbst nur eine Abstraktion von der menschlichen Liebe, nur ein Bild derselben. Aber eben weil »Dieses« nur in der Liebe absoluten Wert hat, so erschließt sich auch in ihr nur, nicht im abstrakten Denken das Geheimnis des Seins. Die Liebe ist Leidenschaft, und nur die Leidenschaft ist das Wahrzeichen der Existenz. Nur was – sei es nun wirkliches oder mögliches – Objekt der Leidenschaft, das ist. Das empfindungs- und leidenschaftslose abstrakte Denken hebt den Unterschied zwischen Sein und Nichtsein auf, aber der Liebe ist dieser dem Gedanken verschwindende Unterschied eine Realität. Lieben heißt nichts anderes, als diesen Unterschied inne werden. Wer nichts liebt – der Gegenstand sei nun welcher es wolle – dem ist es völlig gleichgültig, ob etwas ist oder nicht ist. Aber wie mir nur durch die Liebe, durch die Empfindung überhaupt Sein im Unterschied vom Nichtsein, so ist mir auch nur durch sie ein Objekt im Unterschied von mir gegeben. Der Schmerz ist eine laute Protestation gegen die Identifikation des Subjektiven und Objektiven. Der Schmerz der Liebe ist, daß das nicht in der Wirklichkeit ist, was in der Vorstellung ist. Das Subjektive ist hier das Objektive, die Vorstellung der Gegenstand; aber das soll eben nicht sein, das ist ein Widerspruch, eine Unwahrheit, ein Unglück – daher das Verlangen nach der Herstellung des wahren Verhältnisses, wo das Subjektive und Objektive nicht identisch ist. Selbst der animalische Schmerz des Hungers besteht nur darin, daß nichts Gegenständliches im Magen, der Magen sich selbst gleichsam Objekt ist, die leeren Wände sich aneinander reiben, statt an einem Stoffe. Die menschlichen Empfindungen haben daher keine empirische, anthropologische Bedeutung im Sinne der[146] alten transzendenten Philosophie, sie haben ontologische, metaphysische Bedeutung: in den Empfindungen, ja in den alltäglichen Empfindungen sind die tiefsten und höchsten Wahrheiten verborgen. So ist die Liebe der wahre ontologische Beweis vom Dasein eines Gegenstandes außer unserem Kopfe – und es gibt keinen anderen Beweis vom Sein als die Liebe, die Empfindung überhaupt. Das, dessen Sein Dir Freude, dessen Nichtsein Dir Schmerz bereitet, das nur ist. Der Unterschied zwischen Objekt und Subjekt, zwischen Sein und Nichtsein ist ein ebenso erfreulicher als schmerzlicher Unterschied.




§ 34.

Die neue Philosophie stützt sich auf die Wahrheit der Liebe, die Wahrheit der Empfindung. In der Liebe, in der Empfindung überhaupt gesteht jeder Mensch die Wahrheit der neuen Philosophie ein. Die neue Philosophie ist in Beziehung auf ihre Basis selbst nichts anderes als das zum Bewußtsein erhobene Wesen der Empfindung – sie bejaht nur in und mit der Vernunft, was jeder Mensch – der wirklicher Mensch – im Herzen bekennt. Sie ist das zu Verstand gebrachte Herz. Das Herz will keine abstrakten, keine metaphysischen oder theologischen – es will wirkliche, es will sinnliche Gegenstände und Wesen.


§ 35.

Wenn die alte Philosophie sagte: was nicht gedacht ist, das ist nicht; so sagt dagegen die neue Philosophie: was nicht geliebt wird, nicht geliebt werden kann, das ist nicht. Was aber nicht geliebt werden kann, das kann auch nicht angebetet werden. Nur was Objekt der Religion sein kann, das ist Objekt der Philosophie.

Wie aber objektiv, so ist auch subjektiv die Liebe[147] das Kriterium des Seins – das Kriterium der Wahrheit und Wirklichkeit. Wo keine Liebe, ist auch keine Wahrheit. Und nur der ist etwas, der etwas liebt – Nichts sein und Nichts lieben ist identisch. Je mehr einer ist, desto mehr liebt er und umgekehrt.


§ 36.

Wenn die alte Philosophie zu ihrem Ausgangspunkt den Satz hatte: Ich bin ein abstraktes, ein nur denkendes Wesen, der Leib gehört nicht zu meinem Wesen; so beginnt dagegen die neue Philosophie mit dem Satze: Ich bin ein wirkliches, ein sinnliches Wesen: der Leib gehört zu meinem Wesen; ja der Leib in seiner Totalität ist mein Ich, mein Wesen selber. Der alte Philosoph dachte daher in einem fortwährenden Widerspruch und Hader mit den Sinnen, um die sinnlichen Vorstellungen abzuwehren, die abstrakten Begriffe nicht zu verunreinigen; der neue Philosoph dagegen denkt im Einklang und Frieden mit den Sinnen. Die alte Philosophie gestand die Wahrheit der Sinnlichkeit ein – selbst im Begriffe Gottes, welcher das Sein in sich begreift, denn dieses Sein sollte doch zugleich wieder ein vom Gedachtsein unterschiedenes Sein, ein Sein außer dem Geiste, außer dem Denken, ein wirklich objektives, d.i. sinnliches Sein sein – aber nur versteckt, nur in abstracto, nur unbewußt und widerwillig, nur weil sie mußte – die neue Philosophie dagegen anerkennt die Wahrheit der Sinnlichkeit mit Freuden, mit Bewußtsein – sie ist die offenherzig sinnliche Philosophie.


§ 37.

Die neuere Philosophie suchte etwas unmittelbar Gewisses. Sie verwarf daher das grund– und [148] bodenlose Denken der Scholastik, gründete die Philosophie auf das Selbstbewußtsein, d.h. sie setzte an Stelle des nur gedachten Wesens, an die Stelle Gottes, des obersten, letzten Wesens aller scholastischen Philosophie – das denkende Wesen, das Ich, den selbstbewußten Geist; denn das Denkende ist dem Denkenden unendlich näher, gegenwärtiger, gewisser, als das Gedachte. Bezweifelbar ist die Existenz Gottes, bezweifelbar überhaupt das, was ich denke; aber unbezweifelbar ist, daß ich bin, ich, der ich denke, der ich zweifle. Allein das Selbstbewußtsein der neueren Philosophie ist selbst wieder nur ein gedachtes, durch Abstraktion vermitteltes, also bezweifelbares Wesen. Unbezweifelbar, unmittelbar gewiß ist nur, was Objekt des Sinnes, der Anschauung, der Empfindung ist.


§ 38.

Wahr und göttlich ist nur, was keines Beweises bedarf, was unmittelbar durch sich selbst gewiß ist, unmittelbar für sich spricht und einnimmt, unmittelbar die Affirmation, daß es ist, nach sich zieht – das schlechthin Entschiedene, schlechthin Unzweifelhafte, das Sonnenklare. Aber sonnenklar ist nur das Sinnliche; nur wo die Sinnlichkeit anfängt, hört aller Zweifel und Streit auf. Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit.

Alles ist vermittelt, sagt die Hegelsche Philosophie. Aber wahr ist etwas nur, wenn es nicht mehr ein Vermitteltes, sondern Unmittelbares ist. Geschichtliche Epochen entstehen darum nur da, wo, was früher nur ein Gedachtes, Vermitteltes war, Objekt unmittelbarer, sinnlicher Gewißheit – Wahrheit darum wird, was früher nur Gedanke war. Scholastik ist es, die Vermittlung[149] zu einer göttlichen Notwendigkeit und wesentlichen Eigenschaft der Wahrheit zu machen. Ihre Notwendigkeit ist nur eine bedingte; sie ist nur da notwendig, wo noch eine falsche Voraussetzung zugrunde liegt, wo eine Wahrheit, eine Lehre auftritt im Widerspruch mit einer Lehre, die auch noch für wahr gilt, noch respektiert wird. Die sich vermittelnde Wahrheit ist die noch mit ihrem Gegensatz behaftete Wahrheit. Mit dem Gegensatz wird begonnen; er wird aber hernach aufgehoben. Wenn er nun aber ein Aufzuhebendes, ein zu Negierendes ist, warum soll ich mit ihm, warum nicht gleich mit seiner Negation beginnen? Ein Beispiel. Gott als Gott ist ein abstraktes Wesen; er besondert, bestimmt, realisiert sich zur Welt, zum Menschen; so ist er konkret, so erst das abstrakte Wesen negiert. Aber warum soll ich denn nicht gleich mit dem Konkreten beginnen? Warum soll denn das durch sich selbst Gewisse und Bewährte nicht höher sein, als das durch die Nichtigkeit seines Gegenteils Gewisse? Wer kann also die Vermittlung zur Notwendigkeit, zum Gesetz der Wahrheit erheben? Nur der, welcher selbst noch befangen ist in dem zu Negierenden, welcher noch mit sich kämpft und streitet, noch nicht vollkommen mit sich im Reinen ist – kurz nur der, in welchem eine Wahrheit nur noch Talent – Sache eines besonderen, wenn auch eminenten Vermögens – nicht Genie – Sache des ganzen Menschen ist. Genie ist unmittelbares, sinnliches Wissen. Was das Talent nur im Kopfe, das hat das Genie im Fleisch und Blut, d.h. eben: was für das Talent nur noch ein Objekt des Denkens, ist für das Genie ein Objekt des Sinnes.


§ 39.

Die alte absolute Philosophie hat die Sinne nur in das Gebiet der Erscheinung, der Endlichkeit[150] verstoßen, und doch hat sie im Widerspruch damit das Absolute, das Göttliche als den Gegenstand der Kunst bestimmt. Aber der Gegenstand der Kunst ist – mittelbar in der redenden, unmittelbar in der bildenden Kunst – Gegenstand des Gesichtes, des Gehörs, des Gefühls. Also ist nicht nur das Endliche, das Erscheinende, sondern auch das wahre, göttliche Wesen Gegenstand der Sinne – der Sinn Organ des Absoluten. Die Kunst »stellt die Wahrheit im Sinnlichen dar« – das heißt, richtig erfaßt und ausgedrückt: die Kunst stellt die Wahrheit des Sinnlichen dar.


§ 40.

Wie mit der Kunst, ist es mit der Religion. Die sinnliche Anschauung, nicht die Vorstellung, ist das Wesen der christlichen Religion – die Form, das Organ des höchsten, des göttlichen Wesens. Wo aber die sinnliche Anschauung für das Organ des göttlichen, des wahren Wesens gilt, da wird das göttliche Wesen als ein sinnliches, das sinnliche als das göttliche Wesen ausgesprochen und anerkannt, denn wie das Subjekt, so das Objekt.

»Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.« Nur für die Späteren ist der Gegenstand der christlichen Religion ein Objekt der Vorstellung und Phantasie; aber die ursprüngliche Anschauung wird wieder hergestellt. Im Himmel ist Christus, ist Gott Objekt der unmittelbaren, der sinnlichen Anschauung; dort wird er aus einem Gegenstand der Vorstellung, des Gedankens, also aus einem geistigen Wesen, was er hier für uns ist, ein sinnliches, ein fühlbares, sichtbares Wesen. Und diese Anschauung ist, wie der Anfang, so das Ziel – also das Wesen[151] des Christentums. Die spekulative Philosophie hat daher die Kunst und Religion nicht im wahren Licht, im Licht der Wirklichkeit, sondern nur im Zwielicht der Reflexion erfaßt und dargestellt, indem sie infolge ihres Prinzips, welches die Abstraktion von der Sinnlichkeit ist, die Sinnlichkeit nur zu einer Formbestimmtheit derselben verflüchtete: die Kunst ist Gott in der Formbestimmtheit der sinnlichen Anschauung, die Religion Gott in der der Vorstellung. Aber in der Wahrheit ist das gerade das Wesen, was der Reflexion nur als die Form erscheint. Wo Gott im Feuer erscheint und angebetet wird, da wird in Wahrheit das Feuer als Gott angebetet. Der Gott im Feuer ist nichts anderes, als das – den Menschen ob seiner Wirkungen und Eigenschaften frappierende – Wesen des Feuers, der Gott im Menschen nichts anderes, als das Wesen des Menschen. Und ebenso ist das, was die Kunst in der Form der Sinnlichkeit darstellt, nichts anderes, als das von dieser Form unabtrennbare, eigene Wesen der Sinnlichkeit.


§ 41.

Den Sinnen sind nicht nur »äußerliche« Dinge Gegenstand. Der Mensch wird sich selbst nur durch den Sinn gegeben – er ist sich selbst als Sinnenobjekt Gegenstand. Die Identität von Subjekt und Objekt, im Selbstbewußtsein nur abstrakter Gedanke, ist Wahrheit und Wirklichkeit nur in der sinnlichen Anschauung des Menschen vom Menschen.

Wir fühlen nicht nur Steine und Hölzer, nicht nur Fleisch und Knochen, wir fühlen auch Gefühle, indem wir die Hände oder Lippen eines fühlenden Wesens drücken; wir vernehmen durch die Ohren nicht nur das Rauschen des Wassers und das Säuseln der Blätter, sondern auch die seelenvolle Stimme der Liebe und Weisheit; wir sehen nicht nur Spiegelflächen und[152] Farbengespenster, wir blicken auch in den Blick des Menschen. Nicht nur Äußerliches also, auch Innerliches, nicht nur Fleisch, auch Geist, nicht nur das Ding, auch das Ich ist Gegenstand der Sinne. – Alles ist darum sinnlich wahrnehmbar, wenn auch nicht unmittelbar, doch mittelbar, wenn auch nicht mit den pöbelhaften, rohen, doch mit den gebildeten Sinnen, wenn auch nicht mit den Augen des Anatomen oder Chemikers, doch mit den Augen des Philosophen. Mit Recht leitet daher auch der Empirismus den Ursprung unserer Ideen von den Sinnen ab; nur vergißt er, daß das wichtigste, wesentlichste Sinnenobjekt des Menschen der Mensch selbst ist, daß nur im Blick des Menschen in den Menschen das Licht des Bewußtseins und Verstandes sich entzündet. Der Idealismus hat daher recht, wenn er im Menschen den Ursprung der Ideen sucht, aber unrecht, wenn er sie aus dem isolierten, als für sich seiendem Wesen, als Seele fixierten Menschen, mit einem Worte: aus dem Ich ohne ein sinnlich gegebenes Du ableiten will. Nur durch Mitteilung, nur aus der Konversation des Menschen mit dem Menschen entspringen die Ideen. Nicht allein, nur selbander kommt man zu Begriffen, zur Vernunft überhaupt. Zwei Menschen gehören zur Erzeugung des Menschen – des geistigen so gut wie des physischen: die Gemeinschaft des Menschen mit dem Menschen ist das erste Prinzip und Kriterium der Wahrheit und Allgemeinheit. Die Gewißheit selbst von dem Dasein anderer Dinge außer mir ist für mich vermittelt durch die Gewißheit von dem Dasein eines anderen Menschen außer mir. Was ich allein sehe, daran zweifle ich, was der andere auch sieht, das erst ist gewiß.


§ 42.

Die Unterschiede zwischen Wesen und Schein, Grund und Folge, Substanz und Akzidenz, Notwendig und Zufällig, Spekulativ und [153] Empirisch begründen nicht zwei Reiche oder Welten – eine übersinnliche, welcher das Wesen, und eine sinnliche Welt, welcher der Schein angehört, sondern diese Unterschiede fallen innerhalb des Gebietes der Sinnlichkeit selbst.

Ein Beispiel aus den Naturwissenschaften. In dem Linnéschen Pflanzensystem werden die ersten Klassen nach der Zahl der Staubfäden bestimmt. Aber schon in der elften Klasse, wo 12 – 20 Staubgefäße vorkommen, noch mehr aber in der Klasse der Zwanzigmännigkeit und der Vielmännigkeit wird die Zahlbestimmtheit gleichgültig; es wird nicht mehr gezählt. Hier haben wir daher auf dem einen und demselben Gebiet vor unseren Augen den Unterschied zwischen bestimmter und unbestimmter, notwendiger und gleichgültiger, rationeller und irrationeller Vielheit. Wir brauchen also nicht über die Sinnlichkeit hinauszugehen, um an die Grenze des nur Sinnlichen, nur Empirischen im Sinne der absoluten Philosophie zu kommen; wir dürfen nur nicht den Verstand von den Sinnen abtrennen, um das übersinnliche, d.i. Geist und Vernunft im Sinnlichen zu finden.


§ 43.

Das Sinnliche ist nicht das Unmittelbare im Sinn der spekulativen Philosophie, in dem Sinn, daß es das Profane, das auf platter Hand Liegende, das Gedankenlose, das sich von selbst Verstehende sei. Die unmittelbare, sinnliche Anschauung ist vielmehr später als die Vorstellung und Phantasie. Die erste Anschauung des Menschen ist selber nur die Anschauung der Vorstellung und Phantasie. Die Aufgabe der Philosophie, der Wissenschaft überhaupt besteht daher nicht darin, von den sinnlichen, d.i. wirklichen[154] Dingen weg, sondern zu ihnen hin zu kommen – nicht darin, die Gegenstände in Gedanken und Vorstellungen zu verwandeln, sondern darin, das den gemeinen Augen Unsichtbare sichtbar, d.i. gegenständlich zu machen.

Die Menschen sehen zuerst die Dinge nur so, wie sie ihnen erscheinen, nicht, wie sie sind, sehen in den Dingen nicht sie selbst, sondern nur ihre Einbildungen von ihnen, legen ihr eigenes Wesen, in sie hinein, unterscheiden nicht den Gegenstand und die Vorstellung von ihm. Die Vorstellung liegt dem ungebildeten, subjektiven Menschen näher als die Anschauung, denn in der Anschauung wird er aus sich herausgerissen; in der Vorstellung bleibt er bei sich. Aber wie mit der Vorstellung, ist es mit dem Gedanken. Eher und weit länger beschäftigen sich die Menschen mit den himmlischen, göttlichen, als mit den irdischen, menschlichen Dingen, d.h. eher und weit länger mit den in den Gedanken übersetzten Dingen, als mit den Dingen im Original, in der Ursprache. Erst in neuerer Zeit ist die Menschheit wieder, wie einst in Griechenland nach Vorausgang der orientalischen Traumwelt, zur sinnlichen, d.i. unverfälschten, objektiven Anschauung des Sinnlichen, d.i. Wirklichen, aber eben damit auch erst zu sich selbst gekommen; denn ein Mensch, der sich nur mit dem Wesen der Einbildung oder des abstrakten Gedankens abgibt, ist selbst nur ein abstraktes oder phantastisches, kein wirkliches, kein wahrhaft menschliches Wesen. Die Realität des Menschen hängt nur von der Realität seines Gegenstandes ab. Hast Du nichts, so bist Du nichts.


§ 44.

Raum und Zeit sind keine bloßen Erscheinungsformen – sie sind Wesensbedingungen,[155] Vernunftformen, Gesetze des Seins, wie des Denkens.

Dasein ist das erste Sein, das erste Bestimmtsein. Hier bin ich – das ist das erste Zeichen eines wirklichen, lebendigen Wesens. Der Zeigefinger ist der Wegweiser vom Nichts zum Sein. Hier ist die erste Grenze, die erste Scheidung. Hier bin ich, dort Du; wir sind außer einander; darum können wir beide sein, ohne uns zu beeinträchtigen; es ist Platz genug. Die Sonne ist nicht da, wo der Merkur, der Merkur nicht da, wo die Venus, das Auge nicht da, wo das Ohr usw. Wo kein Raum, da hat auch kein System Platz. Die Ortsbestimmung ist die erste Vernunftbestimmung, auf der jede weitere Bestimmung Fuß faßt. Mit der Verteilung an verschiedene Orte – aber mit dem Raume sind unmittelbar verschiedene Orte gesetzt – beginnt die organisierende Natur. Nur im Raume orientiert sich die Vernunft. Wo bin ich? ist die Frage des erwachenden Bewußtseins, die erste Frage der Lebensweisheit. Beschränkung in Raum und Zeit ist die erste Tugend, die Ortsdifferenz die erste Differenz des Schicklichen vom Unschicklichen, die wir dem Kinde, dem rohen Menschen beibringen. Dem rohen Menschen ist der Ort gleichgültig, er tut alles an jedem Ort ohne Unterschied; der Narr desgleichen. Narren kommen darum zu Vernunft, wenn sie sich wieder an Zeit und Ort binden. Verschiedenes an verschiedene Orte zu stellen, räumlich zu scheiden, was qualitativ verschieden, das ist Bedingung jeder Ökonomie, selbst der geistigen. Nicht in den Text zu setzen, was in die Anmerkung, nicht an den Anfang, was erst an das Ende gehört, kurz räumliche Sonderung und Begrenzung gehört auch zur Weisheit des Schriftstellers.

Allerdings ist hier immer die Rede von einem bestimmten Ort, aber es kommt hier doch nichts weiter in Betracht als die Ortsbestimmtheit. Und ich kann[156] nicht vom Raum den Ort absondern, wenn ich den Raum in seiner Wirklichkeit erfassen will. Mit dem Wo entsteht mir erst der Begriff des Raumes. Wo? ist allgemein, gilt von jedem Ort ohne Unterschied, und doch ist Wo bestimmt. Mit diesem Wo ist zugleich jenes Wo, mit der Bestimmtheit des Ortes daher zugleich die Allgemeinheit des Raumes gesetzt; aber eben deswegen ist der allgemeine Begriff des Raumes nur in der Verbindung mit der Bestimmtheit des Ortes ein realer, konkreter Begriff. Hegel gibt dem Raume, wie überhaupt der Natur nur eine negative Bestimmung. Allein Hiersein ist positiv. Ich bin nicht dort, weil ich hier bin – dieses Nichtdortsein ist also nur eine Folge von dem positiven, ausdrucksvollen Hiersein. Es ist nur eine Schranke für Deine Vorstellung, aber keine Schranke an sich, daß Hier nicht Dort, daß Eines außer dem Anderen ist. Es ist ein Außereinander, das sein soll, das der Vernunft nicht wider-, sondern entspricht. Bei Hegel aber ist dieses Außereinandersein eine negative Bestimmung, weil es das Außereinander dessen ist, was nicht außer einander sein soll – weil der logische Begriff, als die absolute Identität mit sich, für die Wahrheit gilt – der Raum geradezu die Negation der Idee, der Vernunft, in welche daher auch nur dadurch wieder Vernunft gebracht werden kann, daß sie negiert wird. Allein geschweige, daß der Raum die Negation der Vernunft ist – im Raum wird vielmehr der Idee, der Vernunft nur Platz gemacht, der Raum ist die erste Sphäre der Vernunft. Wo kein räumliches Auseinander, ist auch kein logisches. Oder umgekehrt: – wenn wir, wie Hegel, von der Logik aus zum Raum übergehen wollen – wo kein Unterschied, ist auch kein Raum. Die Unterschiede im Denken müssen verwirklicht werden als Unterschiedene; Unterschiedene treten aber räumlich außereinander. Das räumliche Außereinandersein[157] ist daher erst die Wahrheit der logischen Unterschiede. Aber was außereinander ist, das kann auch nur nacheinander gedacht werden. Wirkliches Denken ist Denken in Raum und Zeit. Die Negation von Raum und Zeit (Zeitlänge) fällt immer innerhalb des Raumes und der Zeit selbst. Wir wollen nur Raum und Zeit sparen, um Raum und Zeit zu gewinnen.


§ 45.

Die Dinge dürfen nicht anders gedacht werden, als wie sie in der Wirklichkeit vorkommen. Was in der Wirklichkeit getrennt ist, soll auch im Gedanken nicht identisch sein. Die Ausnahme des Denkens, der Idee – der Intellektualwelt bei den Neuplatonikern – von den Gesetzen der Wirklichkeit ist das Privilegium theologischer Willkür. Die Gesetze der Wirklichkeit sind auch Gesetze des Denkens.


§ 46

Die unmittelbare Einheit entgegengesetzter Bestimmungen ist nur in der Abstraktion möglich und gültig. In der Wirklichkeit sind die Gegensätze stets nur durch einen Terminus medius verbunden. Dieser Terminus medius ist der Gegenstand, das Subjekt der Gegensätze.

Es ist daher nichts leichter, als die Einheit entgegengesetzter Prädikate aufzuzeigen; man braucht nur von dem Gegenstand oder Subjekt derselben zu abstrahieren. Mit dem Gegenstand schwindet die Grenze zwischen den Gegensätzen; sie sind nun boden- und haltlos, fallen also unmittelbar zusammen. Betrachte ich z.B. das Sein nur in abstracto, abstrahiere ich von aller Bestimmtheit, die ist, so habe ich natürlich Sein gleich Nichts. Der Unterschied, die Grenze zwischen Sein und Nichts ist ja allein die Bestimmtheit. Wenn ich das, was ist, weglasse, was ist noch dieses bloße Ist? Aber[158] was von diesem Gegensatz und seiner Identität, gilt auch von der Identität der übrigen Gegensätze in der spekulativen Philosophie.


§ 47.

Das Mittel, entgegengesetzte oder widersprechende Bestimmungen auf eine der Wirklichkeit entsprechende Weise in einem und demselben Wesen zu vereinigen, ist nur – die Zeit.

So ist es wenigstens in lebendigen Wesen. So nur kommt hier z.B. im Menschen der Widerspruch zum Vorschein, daß jetzt diese Bestimmung – diese Empfindung, dieser Vorsatz – jetzt eine andere, eine geradezu entgegengesetzte Bestimmung mich erfüllt und beherrscht. Nur da, wo eine Vorstellung die andere, eine Empfindung die andere verdrängt, wo es zu keiner Entscheidung, keiner bleibenden Bestimmtheit kommt, die Seele sich in einem fortwährenden Wechsel entgegengesetzter Zustände befindet, nur da befindet sie sich in der Höllenpein des Widerspruches. Würde ich die entgegengesetzten Bestimmungen zugleich in mir vereinigen, so würden sie sich neutralisieren, abstumpfen, gleichwie die Gegensätze des chemischen Prozesses, welche zugleich da sind, ihre Differenz in einem neutralen Produkt verlieren. Aber eben gerade darin besteht der Schmerz des Widerspruches, daß ich jetzt mit Leidenschaft will und bin, was ich den nächsten Augenblick darauf eben so energisch nicht will und nicht bin, daß Position und Negation aufeinanderfolgen, beide Gegensätze, aber jeder mit Ausschluß des anderen, jeder also in seiner vollen Bestimmtheit und Schärfe mich affiziert.


§ 48.

Das Wirkliche ist im Denken nicht in ganzen Zahlen, sondern nur in Brüchen darstellbar. Diese Differenz ist eine normale – sie beruht auf der Natur des Denkens, dessen Wesen die Allgemeinheit[159] ist, im Unterschied von der Wirklichkeit, deren Wesen die Individualität. Daß aber diese Differenz nicht zu einem förmlichen Widerspruch zwischen dem Gedachten und dem Wirklichen kommt, dies wird nur dadurch verhindert, daß das Denken nicht in gerader Linie, in der Identität mit sich fortläuft, sondern sich durch die sinnliche Anschauung unterbricht. Nur das durch die sinnliche Anschauung sich bestimmende und rektifizierende Denken ist reales, objektives Denken – Denken objektiver Wahrheit.

Es ist das Wichtigste, zu erkennen, daß das absolute, d.h. das isolierte, von der Sinnlichkeit abgesonderte Denken nicht über die formale Identität – die Identität des Denkens mit sich selbst – hinauskommt; denn wenn gleich das Denken oder der Begriff bestimmt wird als die Einheit entgegengesetzter Bestimmungen, so sind doch diese Bestimmungen selbst wieder nur Abstraktionen, Gedankenbestimmungen – also immer wieder Identitäten des Denkens mit sich, nur Multipla der Identität, von welcher als der absoluten Wahrheit ausgegangen wird. Das andere, was sich die Idee gegenübersetzt, ist als ein von ihr Gesetztes, nicht wahrhaft, realiter von ihr unterschieden, nicht außer die Idee entlassen, höchstens nur pro forma, zum Scheine, um ihre Liberalität zu zeigen; denn dieses andere der Idee ist selbst wieder die Idee, nur noch nicht in der Form der Idee, noch nicht gesetzt, verwirklicht als Idee. So bringt es das Denken für sich selbst allein zu keinem positiven Unterschied und Gegensatz von sich, hat aber eben deswegen auch kein anderes Kriterium der Wahrheit, als daß etwas nicht der Idee, nicht dem Denken widerspricht – also ein nur formales, subjektives Kriterium, welches nicht darüber[160] entscheidet, ob die gedachte Wahrheit auch eine wirkliche Wahrheit ist. Das Kriterium, welches hierüber entscheidet, ist einzig die Anschauung. Audiatur et altera pars. Aber eben die sinnliche Anschauung ist die Gegenpartei des Denkens. Die Anschauung nimmt die Dinge in einem weiten, das Denken im engsten Sinne; die Anschauung läßt die Dinge in ihrer unbeschränkten Freiheit, das Denken gibt ihnen Gesetze, aber sie sind nur zu oft despotische; die Anschauung klärt den Kopf auf, aber bestimmt und entscheidet nichts; das Denken determiniert, aber borniert auch oft den Kopf; die Anschauung für sich hat keine Grundsätze, das Denken für sich kein Leben; die Regel ist die Sache des Denkens; die Ausnahme von der Regel die Sache der Anschauung. Wie daher nur die durch das Denken determinierte Anschauung die wahre ist, so ist auch umgekehrt nur das durch die Anschauung erweiterte und aufgeschlossene Denken das wahre, dem Wesen der Wirklichkeit entsprechende Denken. Das mit sich identische, kontinuierliche Denken läßt im Widerspruch mit der Wirklichkeit die Welt sich im Kreise um ihren Mittelpunkt drehen; aber das durch die Beobachtung von der Ungleichförmigkeit dieser Bewegung, also durch die Anomalie der Anschauung unterbrochene Denken verwandelt der Wahrheit gemäß diesen Kreis in eine Ellipse. Der Kreis ist das Symbol, das Wappen der spekulativen Philosophie, des nur auf sich selbst sich stützenden Denkens – auch die Hegelsche Philosophie ist bekanntlich ein Kreis von Kreisen, ob sie gleich in Beziehung auf die Planeten, aber nur durch die Empirie hierzu bestimmt, die Kreisbahn für »die Bahn einer schlecht gleichförmigen Bewegung« erklärt, – die Ellipse dagegen ist das Symbol, das Wappen[161] der sinnlichen Philosophie, des auf die Anschauung sich stützenden Denkens.


§ 49.

Die, wirkliche Erkenntnis gewährenden Bestimmungen sind immer nur die, welche den Gegenstand durch den Gegenstand selbst bestimmen – seine eigenen, individuellen Bestimmungen – also nicht allgemeine, wie die logisch-metaphysischen Bestimmungen sind, welche keinen Gegenstand bestimmen, weil sie sich auf alle Gegenstände ohne Unterschied erstrecken.

Ganz richtig hat daher Hegel die logisch-metaphysischen Bestimmungen von Gegenständen in selbständige Bestimmungen – Selbstbestimmungen des Begriffs – verwandelt, sie aus Prädikaten, was sie in der alten Metaphysik waren, zu Subjekten gemacht, und dadurch der Metaphysik oder Logik die Bedeutung des selbstgenügsamen, göttlichen Wissens gegeben. Aber ein Widerspruch ist es, daß dann doch wieder in den konkreten Wissenschaften, gerade wie in der alten Metaphysik, diese logisch-metaphysischen Schatten zu Bestimmungen der wirklichen Dinge gemacht werden, was natürlich nur dadurch möglich ist, daß entweder mit den logisch-metaphysischen Bestimmungen immer zugleich konkrete, aus dem Gegenstand selbst geschöpfte, darum treffende Bestimmungen verbunden werden, oder der Gegenstand auf ganz abstrakte Bestimmungen, in welchen er gar nicht mehr erkenntlich ist, reduziert wird.


§ 50.

Das Wirkliche in seiner Wirklichkeit und Totalität, der Gegenstand der neuen Philosophie, ist auch nur einem wirklichen und ganzen Wesen Gegenstand. Die neue Philosophie[162] hat daher zu ihrem Erkenntnisprinzip, zu ihrem Subjekt nicht das Ich, nicht den absoluten, d.i. abstrakten Geist, kurz nicht die Vernunft in abstracto, sondern das wirkliche und ganze Wesen des Menschen. Die Realität, das Subjekt der Vernunft ist nur der Mensch. Der Mensch denkt, nicht das Ich, nicht die Vernunft. Die neue Philosophie stützt sich also nicht auf die Gottheit, d.i. Wahrheit der Vernunft allein für sich, sie stützt sich auf die Gottheit, d.i. Wahrheit des ganzen Menschen. Oder: sie stützt sich wohl auch auf die Vernunft, aber auf die Vernunft, deren Wesen das menschliche Wesen, also nicht auf eine wesen-, farb- und namenlose Vernunft, sondern auf die mit dem Blute des Menschen getränkte Vernunft. Wenn daher die alte Philosophie sagte: nur das Vernünftige ist das Wahre und Wirkliche, so sagt dagegen die neue Philosophie: nur das Menschliche ist das Wahre und Wirkliche; denn das Menschliche nur ist das Vernünftige; der Mensch das Maß der Vernunft.


§ 51.

Die Einheit von Denken und Sein hat nur Sinn und Wahrheit, wenn der Mensch als der Grund, das Subjekt dieser Einheit gefaßt wird. Nur ein reales Wesen erkennt reale Dinge; nur wo das Denken nicht Subjekt für sich selbst, sondern Prädikat eines wirklichen Wesens ist, nur da ist auch der Gedanke nicht vom Sein getrennt. Die Einheit von Denken und Sein ist daher keine formelle, so daß dem Denken an und für sich das Sein als eine Bestimmtheit zukäme; sie hängt nur ab von dem Gegenstand, dem Inhalt des Denkens.

Hieraus ergibt sich folgender kategorischer Imperativ.[163] Wolle nicht Philosoph sein im Unterschied vom Menschen, sei nichts weiter als ein denkender Mensch; denke nicht als Denker, d.h. in einer aus der Totalität des wirklichen Menschenwesens herausgerissenen und für sich isolierten Fakultät; denke als lebendiges, wirkliches Wesen, als welches Du den belebenden und erfrischenden Wogen des Weltmeeres ausgesetzt bist; denke in der Existenz, in der Welt als ein Mitglied derselben, nicht im Vacuum der Abstraktion, als eine vereinzelte Monade, als ein absoluter Monarch, als ein teilnahmsloser, außerweltlicher Gott – dann kannst Du darauf rechnen, daß Deine Gedanken Einheiten sind von Sein und Denken. Wie sollte das Denken als Tätigkeit eines wirklichen Wesens nicht die wirklichen Dinge und Wesen erfassen? Nur, wenn man das Denken vom Menschen absondert, für sich selbst fixiert, entstehen die peinlichen, unfruchtbaren und für diesen Standpunkt unauflöslichen Fragen: wie das Denken zum Sein, zum Objekt komme? Denn für sich selbst fixiert, d.h. außer den Menschen gesetzt, ist das Denken außer allem Verbande und Zusammenhang mit der Welt. Zum Objekt erhebst Du Dich nur dadurch, daß Du Dich dazu erniedrigst, selbst Objekt für anderes zu sein. Du denkst nur, weil Deine Gedanken selbst gedacht werden können, und sie sind nur wahr, wenn sie die Probe der Objektivität bestehen, wenn sie der andere außer Dir, dem sie Objekt sind, auch anerkennt; Du siehst nur als ein selbst sichtbares, fühlst nur als ein selbst fühlbares Wesen. Offen steht die Welt nur dem offenen Kopf, und die Öffnungen des Kopfes sind nur die Sinne. Aber das für sich isolierte, in sich verschlossene Denken, das Denken ohne Sinne, ohne den Menschen, außer dem Menschen ist absolutes Subjekt, das für anderes nicht Objekt[164] sein kann und sein soll, aber eben deswegen auch trotz aller Anstrengungen nun und nimmermehr einen Übergang zum Objekt, zum Sein findet; so wenig als ein Kopf, der vom Rumpf abgetrennt ist, einen Übergang findet zur Besitzergreifung eines Gegenstandes, weil die Mittel, die Organe des Ergreifens fehlen.




§ 52

Die neue Philosophie ist die vollständige, die absolute, die widerspruchslose Auflösung der Theologie in der Anthropologie; denn sie ist die Auflösung derselben nicht nur, wie die alte Philosophie, in der Vernunft, sondern auch im Herzen, kurz, im ganzen, wirklichen Wesen des Menschen. Aber sie ist auch in dieser Beziehung nur das notwendige Resultat der alten Philosophie, – denn was einmal im Verstande aufgelöst ist, muß sich endlich auch im Leben, im Herzen, im Blute des Menschen auflösen – aber auch zugleich erst die Wahrheit derselben, und zwar als eine neue, selbständige Wahrheit; denn erst die Fleisch und Blut gewordene Wahrheit ist Wahrheit. Die alte Philosophie fiel notwendig wieder in die Theologie zurück: was nur im Verstande, nur in abstracto aufgehoben ist, das hat noch einen Gegensatz am Herzen; die neue Philosophie dagegen kann nicht mehr rückfällig werden: was an Leib und Seele zugleich tot ist, das kann auch nicht einmal als Gespenst wiederkehren.




§ 53.

Der Mensch unterscheidet sich keineswegs nur durch das Denken von dem Tiere. Sein ganzes Wesen ist vielmehr sein Unterschied vom Tiere. Allerdings ist der, welcher nicht denkt, kein Mensch, aber nicht, weil das Denken die Ursache, sondern nur weil es eine notwendige[165] Folge und Eigenschaft des menschlichen Wesens ist.

Wir brauchen daher auch hier nicht über das Gebiet der Sinnlichkeit hinauszugehen, um den Menschen als ein über den Tieren stehendes Wesen zu erkennen. Der Mensch ist kein partikuläres Wesen wie das Tier, sondern ein universelles, darum kein beschränktes und unfreies, sondern uneingeschränktes, freies Wesen, denn Universalität, Unbeschränktheit, Freiheit sind unzertrennlich. Und diese Freiheit existiert nicht etwa in einem besonderen Vermögen, dem Willen, ebensowenig diese Universalität in einem besonderen Vermögen der Denkkraft, der Vernunft – diese Freiheit, diese Universalität erstreckt sich über sein ganzes Wesen. Die tierischen Sinne sind wohl schärfer als die menschlichen, aber nur in Beziehung auf bestimmte, mit den Bedürfnissen des Tieres in notwendigem Zusammenhang stehende Dinge, und sie sind schärfer eben wegen dieser Determination, dieser ausschließlichen Beschränkung auf Bestimmtes. Der Mensch hat nicht den Geruch eines Jagdhundes, eines Raben; aber nur weil sein Geruch ein alle Arten von Gerüchen umfassender, darum freier, gegen besondere Gerüche indifferenter Sinn ist. Wo sich aber ein Sinn erhebt über die Schranke der Partikularität und seine Gebundenheit an das Bedürfnis, da erhebt er sich zu selbständiger, zu theoretischer Bedeutung und Würde: – universeller Sinn ist Verstand, universelle Sinnlichkeit Geistigkeit. Selbst die untersten Sinne, Geruch und Geschmack, erheben sich im Menschen zu geistigen, zu wissenschaftlichen Akten. Geruch und Geschmack der Dinge sind Gegenstände der Naturwissenschaft. Ja, selbst der Magen des Menschen, so verächtlich wir auf ihn herabblicken, ist kein tierisches, sondern menschliches, weil universales, nicht auf bestimmte Arten von Nahrungsmittel[166] eingeschränktes Wesen. Eben darum ist der Mensch frei von der Wut der Freßbegierde, mit welcher das Tier über seine Beute herfällt. Laß einem Menschen seinen Kopf, gib ihm aber den Magen eines Löwen oder Pferdes – er hört sicherlich auf, ein Mensch zu sein. Ein beschränkter Magen verträgt sich auch nur mit einem beschränkten, d.i. tierischen Sinn. Das sittliche und vernünftige Verhältnis des Menschen zum Magen besteht daher auch nur darin, denselben nicht als ein viehisches, sondern menschliches Wesen zu behandeln. Wer mit dem Magen die Menschheit abschließt, den Magen in die Klasse der Tiere versetzt, der autorisiert den Menschen im Essen zur Bestialität.


§ 54.

Die neue Philosophie macht den Menschen mit Einschluß der Natur, als der Basis des Menschen, zum alleinigen, universalen und höchsten Gegenstand der Philosophie – die Anthropologie also, mit Einschluß der Physiologie, zur Universalwissenschaft.


§ 55.

Kunst, Religion, Philosophie oder Wissenschaft sind nur die Erscheinungen oder Offenbarungen des wahren menschlichen Wesens. – Mensch, vollkommener, wahrer Mensch ist nur, wer ästhetischen oder künstlerischen, religiösen oder sittlichen und philosophischen oder wissenschaftlichen Sinn hat – Mensch überhaupt nur der, welcher nichts wesentlich Menschliches von sich ausschließt. Homo sum, humani nihil a me alienum puto – dieser Satz, in seiner universellsten und höchsten Bedeutung genommen, ist der Wahlspruch des neuen Philosophen.


§ 56.

[167] Die absolute Identitätsphilosophie hat den Standpunkt der Wahrheit gänzlich verrückt. Der natürliche Standpunkt des Menschen, der Standpunkt der Unterscheidung in Ich und Du, Subjekt und Objekt ist der wahre, der absolute Standpunkt, folglich auch der Standpunkt der Philosophie.


§ 57.

Die der Wahrheit gemäße Einheit von Kopf und Herz besteht nicht in der Auslöschung oder Vertuschung ihrer Differenz, sondern vielmehr nur darin, daß der wesentliche Gegenstand des Herzens auch der wesentliche Gegenstand des Kopfes ist – also nur in der Identität des Gegenstandes. Die neue Philosophie, welche den wesentlichen und höchsten Gegenstand des Herzens, den Menschen, auch zum wesentlichen und höchsten Gegenstand des Verstandes macht, begründet daher eine vernünftige Einheit von Kopf und Herz, von Denken und Leben.


§ 58.

Die Wahrheit existiert nicht im Denken, nicht im Wissen für sich selbst. Die Wahrheit ist nur die Totalität des menschlichen Lebens und Wesens.


§ 59.

Der einzelne Mensch für sich hat das Wesen des Menschen weder in sich als moralischem, noch in sich als denkendem Wesen. Das Wesen des Menschen ist nur in der Gemeinschaft, in der Einheit des Menschen mit dem Menschen enthalten – eine Einheit, die sich aber nur auf die Realität des Unterschiedes von Ich und Du stützt.


§ 60.

[168] Einsamkeit ist Endlichkeit und Beschränktheit, Gemeinschaftlichkeit ist Freiheit und Unendlichkeit. Der Mensch für sich ist Mensch (im gewöhnlichen Sinn); Mensch mit Mensch – die Einheit von Ich und Du ist Gott.


§ 61.

Der absolute Philosoph sagte oder dachte wenigstens, analog dem L'état c'est moi des absoluten Monarchen und L'être c'est moi des absoluten Gottes – von sich, als Denker natürlich, nicht als Menschen: la vérité c'est moi. Der menschliche Philosoph sagt dagegen: ich bin auch im Denken, auch als Philosoph Mensch mit Menschen.


§ 62.

Die wahre Dialektik ist kein Monolog des einsamen Denkers mit sich selbst, sie ist ein Dialog zwischen Ich und Du.


§ 63.

Die Trinität war das höchste Mysterium, der Zentralpunkt der absoluten Philosophie und Religion. Aber das Geheimnis derselben ist, wie im Wesen des Christentums historisch und philosophisch bewiesen wurde, das Geheimnis des gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Lebens – das Geheimnis der Notwendigkeit des Du für das Ich – die Wahrheit, daß kein Wesen, es sei und heiße nun Mensch oder Gott oder Geist oder Ich, für sich selbst allein ein wahres, ein vollkommenes, ein absolutes Wesen, daß die Wahrheit und Vollkommenheit nur ist die Verbindung, die Einheit von wesensgleichen Wesen. Das höchste und letzte Prinzip der Philosophie ist daher die Einheit des Menschen[169] mit dem Menschen. Alle wesentlichen Verhältnisse – die Prinzipien verschiedener Wissenschaften – sind nur verschiedene Arten und Weisen dieser Einheit.


§ 64.

Die alte Philosophie hat eine doppelte Wahrheit – die Wahrheit für sich selbst, die sich nicht um den Menschen bekümmerte – die Philosophie – und die Wahrheit für den Menschen – die Religion. Die neue Philosophie dagegen, als die Philosophie des Menschen, ist auch wesentlich die Philosophie für den Menschen – sie hat, unbeschadet der Würde und Selbständigkeit der Theorie, ja im innigsten Einklang mit derselben, wesentlich eine praktische, und zwar im höchsten Sinne praktische Tendenz; sie tritt an die Stelle der Religion, sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in Wahrheit selbst Religion.


§ 65.

Die bisherigen Reformversuche in der Philosophie unterscheiden sich mehr oder weniger nur der Art, nicht der Gattung nach von der alten Philosophie. Die unerläßlichste Bedingung einer wirklich neuen, d.i. selbständigen, dem Bedürfnis der Menschheit und Zukunft entsprechenden Philosophie ist aber, daß sie sich dem Wesen nach, daß sie sich toto genere von der alten Philosophie unterscheide.[170]

1

Es versteht sich von selbst, daß ich hier, wie in allen Paragraphen, welche historische Gegenstände betreffen und entwickeln, nicht in meinem Sinne, sondern im Sinne des jedesmaligen Gegenstandes, hier also im Sinne des Theismus rede und argumentiere.

2

Wenn der Pantheismus und Theismus in ihre letzten unterscheidenden Elemente aufgelöst werden, so bestimmt sich freilich ihr Verhältnis zueinander anders – nämlich so, wie es anderwärts von mir bereits bestimmt wurde.

3

Die Unterschiede zwischen Materialismus, Empirismus, Realismus, Humanismus sind natürlich hier in dieser Schrift gleichgültig.

Quelle:
FLudwig Feuerbach: Kleine philosophische Schriften (1842-1845). Leipzig 1950, S. 87-171.
Erstdruck: Zürich und Winterthur (Julius Fröbel) 1843.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Grundsätze der Philosophie der Zukunft
Grundsätze der Philosophie der Zukunft
Grundsätze der Philosophie der Zukunft: Kritische Ausgabe mit Einleitung und Anmerkungen von Gerhardt Schmidt

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon