Ludwig Feuerbach

Vorläufige Thesen zur Reform der Philosophie

Das Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie, das Geheimnis aber der spekulativen Philosophie die Theologie – die spekulative Theologie, welche sich dadurch von der gemeinen unterscheidet, daß sie das von dieser aus Furcht und Unverstand in das Jenseits entfernte göttliche Wesen ins Diesseits versetzt, d.h. vergegenwärtigt, bestimmt, realisiert.

Spinoza ist der eigentliche Urheber der modernen spekulativen Philosophie, Schelling ihr Wiederhersteller, Hegel ihr Vollender.

Der »Pantheismus« ist die notwendige Konsequenz der Theologie (oder des Theismus) – die konsequente Theologie; der »Atheismus« die notwendige Konsequenz des »Pantheismus«, der konsequente »Pantheismus.«1

Das Christentum ist der Widerspruch von Polytheismus und Monotheismus.

Der Pantheismus ist der Monotheismus mit dem Prädikate des Polytheismus, d.h. der Pantheismus macht die selbständigen Wesen des Polytheismus zu Prädikaten, Attributen des einen selbständigen Wesens. So machte Spinoza das Denken, als den Inbegriff der denkenden Dinge, und die Materie, als den Inbegriff der ausgedehnten Dinge, zu Attributen der Substanz, d.i. Gottes. Gott ist ein denkendes Ding, Gott ist ein ausgedehntes Ding.

Die Identitätsphilosophie unterschied sich nur dadurch von der Spinozischen, daß sie das tote, phlegmatische Ding der Substanz mit dem Spiritus des Idealismus begeisterte. Hegel insbesondere machte[55] die Selbsttätigkeit, die Selbstunterscheidungskraft, das Selbstbewußtsein zum Attribut der Substanz. Der paradoxe Satz Hegels: »das Bewußtsein von Gott ist das Selbstbewußtsein Gottes«, beruht auf demselben Fundament, als der paradoxe Satz Spinozas: »die Ausdehnung oder Materie ist ein Attribut der Substanz«, und hat keinen anderen Sinn, als: das Selbstbewußtsein ist ein Attribut der Substanz oder Gottes, Gott ist Ich. Das Bewußtsein, welches der Theist im Unterschiede vom wirklichen Bewußtsein Gott zuschreibt, ist nur eine Vorstellung der Realität. Der Satz Spinozas aber: die Materie ist Attribut der Substanz, sagt nichts weiter aus, als die Materie ist substanzielle göttliche Wesenheit: ebenso der Satz Hegels nichts weiter als: das Bewußtsein ist göttliches Wesen.

Die Methode der reformatorischen Kritik der spekulativen Philosophie überhaupt unterscheidet sich nicht von der bereits in der Religionsphilosophie angewandten. Wir dürfen nur immer das Prädikat zum Subjekt, und so als Subjekt zum Objekt und Prinzip machen – also die spekulative Philosophie nur umkehren, so haben wir die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit.

Der »Atheismus« ist der umgekehrte »Pantheismus«.

Der Pantheismus ist die Negation der Theologie auf dem Standpunkt der Theologie.

Wie nach Spinoza (Ethic. P. I. Defin. 3 u. Propos. 10.) das Attribut oder Prädikat der Substanz die Substanz selbst ist, so ist auch nach Hegel das Prädikat des Absoluten, des Subjektes überhaupt das Subjekt selbst. Das Absolute ist nach Hegel[56] Sein, Wesen, Begriff (Geist, Selbstbewußtsein). Das Absolute aber, als Sein nur gedacht, ist gar nichts anderes als Sein; das Absolute, inwiefern es unter dieser oder jener Bestimmtheit, Kategorie gedacht wird, geht ganz in diese Kategorie, diese Bestimmtheit auf, so daß es abgesehen davon ein bloßer Name ist. Aber dessen ungeachtet, liegt doch noch das Absolute als Subjekt zugrunde, hat das wahre Subjekt, das, wodurch das Absolute nicht ein bloßer Name, sondern Etwas ist, die Determination doch noch immer die Bedeutung eines bloßen Prädikates, gerade wie bei Spinoza das Attribut.

Das Absolute oder Unendliche der spekulativen Philosophie ist, psychologisch betrachtet, nichts anderes als das nicht Determinierte, Unbestimmte – die Abstraktion von allem Bestimmten, gesetzt als ein von dieser Abstraktion unterschiedenes, zugleich aber wieder mit derselben identifiziertes Wesen; historisch betrachtet aber nichts anderes als das alte theologisch-metaphysische nicht endliche, nicht menschliche, nicht materielle, nicht bestimmte, nicht beschaffene Wesen oder Unwesen, – das vorweltliche Nichts gesetzt als Akt.

Die Hegelsche Logik ist die zur Vernunft und Gegenwart gebrachte, zur Logik gemachte Theologie. Wie das göttliche Wesen der Theologie der ideale oder abstrakte Inbegriff aller Realitäten, d.i. aller Bestimmungen, aller Endlichkeiten ist, so die Logik. Alles, was auf Erden, findet sich wieder im Himmel der Theologie – so auch alles, was in der Natur, im Himmel der göttlichen Logik: Qualität, Quantität, Maß, Wesen, Chemismus, Mechanismus, Organismus. Alles haben wir zweimal in der Theologie,[57] das eine Mal in abstracto, das andere Mal in concreto. – Alles zweimal in der Hegelschen Philosophie; als Objekt der Logik, und dann wieder als Objekt der Natur- und Geistesphilosophie.

Das Wesen der Theologie ist das transzendente, außer den Menschen hinausgesetzte Wesen des Menschen; das Wesen der Logik Hegels das transzendente Denken, das Denken des Menschen außer den Menschen gesetzt.

Wie die Theologie den Menschen entzweit und entäußert, um dann das entäußerte Wesen wieder mit ihm zu identifizieren, so vervielfältigt und zersplittert Hegel das einfache, mit sich identische Wesen der Natur und des Menschen, um das gewaltsam Getrennte dann wieder gewaltsam zu vermitteln.

Die Metaphysik oder Logik ist nur dann eine reelle, immanente Wissenschaft, wenn sie nicht vom sogenannten subjektiven Geiste abgetrennt wird. Die Metaphysik ist die esoterische Psychologie. Welche Willkür, welche Gewalttat, die Qualität für sich, die Empfindung für sich zu betrachten, beide in besondere Wissenschaften entzwei zu reißen, als wäre die Qualität etwas ohne Empfindung, die Empfindung etwas ohne Qualität.

Der absolute Geist Hegels ist nichts anderes, als der abstrakte, von sich selbst abgesonderte, sogenannte endliche Geist, wie das unendliche Wesen der Theologie nichts anderes ist, als das abstrakte endliche Wesen.

Der absolute Geist offenbart oder realisiert sich nach Hegel in der Kunst, in der Religion, in der Philosophie. Das heißt auf deutsch: der Geist der[58] Kunst, der Religion, der Philosophie ist der absolut Geist. Aber die Kunst und Religion kann man nicht von der menschlichen Empfindung, Phantasie und Anschauung, die Philosophie nicht vom Denken, kurz den absoluten Geist nicht vom subjektiven Geiste oder Wesen des Menschen absondern, ohne sich wieder auf den alten Standpunkt der Theologie zurückzuversetzen, ohne sich den absoluten Geist als einen anderen, vom menschlichen Wesen unterschiedenen Geist, d.h. ein außer uns existierendes Gespenst von uns selbst vorzuspiegeln.

Der »absolute Geist« ist der »abgeschiedene Geist« der Theologie, welcher in der Hegelschen Philosophie noch als Gespenst umgeht.

Die Theologie ist Gespensterglaube. Die gemeine Theologie hat aber ihre Gespenster in der sinnlichen Imagination, die spekulative Theologie in der unsinnlichen Abstraktion.

Abstrahieren heißt das Wesen der Natur außer die Natur, das Wesen des Menschen außer den Menschen, das Wesen des Denkens außer den Denkakt setzen. Die Hegelsche Philosophie hat den Menschen sich selbst entfremdet, indem ihr ganzes System auf diesen Abstraktionsakten beruht. Sie identifiziert zwar wieder, was sie trennt, aber nur auf eine selbst wieder trennbare, mittelbare Weise. Der Hegelschen Philosophie fehlt unmittelbare Einheit, unmittelbare Gewißheit, unmittelbare Wahrheit.

Die unmittelbare, sonnenklare, truglose Identifikation des durch die Abstraktion vom Menschen entäußerten Wesens des Menschen mit dem Menschen kann nicht auf positivem Wege, kann nur als die Negation[59] der Hegelschen Philosophie aus ihr abgeleitet, kann überhaupt nur begriffen, nur verstanden werden, wenn sie als die totale Negation der spekulativen Philosophie begriffen wird, ob sie gleich die Wahrheit derselben ist. Alles steckt zwar in der Hegelschen Philosophie, aber immer zugleich mit seiner Negation, seinem Gegensatze.

Der augenfällige Beweis, daß der absolute Geist der sogenannte endliche, subjektive Geist ist, also jener nicht von diesem abgesondert werden kann und darf – ist die Kunst. Die Kunst geht aus dem Gefühl hervor, daß das diesseitige Leben das wahre Leben, das Endliche das Unendliche ist – aus der Begeisterung für ein bestimmtes, wirkliches Wesen als das höchste, das göttliche Wesen. Der christliche Monotheismus hat kein Prinzip der künstlerischen und wissenschaftlichen Bildung in sich. Nur der Polyteismus, der sogenannte Götzendienst ist die Quelle der Kunst und Wissenschaft. Die Griechen erhoben sich nur dadurch zur Vollendung der plastischen Kunst, daß ihnen unbedingt und unbedenklich die menschliche Gestalt für die höchste Gestalt, für die Gestalt der Gottheit galt. Die Christen kamen erst da zur Poesie, als sie die christliche Theologie praktisch negierten, das weibliche Wesen als göttliches Wesen verehrten. Die Christen waren im Widerspruch mit dem Wesen ihrer Religion, wie sie es vorstellten, wie es Gegenstand ihres Bewußtseins war, Künstler und Poeten. Petrarca bereute aus Religion die Gedichte, in denen er seine Laura vergöttert hatte. Warum haben die Christen nicht wie die Heiden ihren religiösen Vorstellungen adäquate Kunstwerke? Warum kein sie vollkommen befriedigendes Christusbild?[60] Weil die religiöse Kunst der Christen scheitert an dem verderblichen Widerspruch zwischen ihrem Bewußtsein und der Wahrheit. Das Wesen der christlichen Religion ist in Wahrheit das menschliche, im Bewußtsein der Christen aber ein anderes, ein nicht menschliches. Christus soll Mensch und wieder nicht Mensch sein; er ist eine Amphibolie. Die Kunst kann aber nur das Wahre, Unzweideutige darstellen.

Das entschiedene, zu Fleisch und Blut gewordene Bewußtsein, daß das Menschliche das Göttliche, das Endliche das Unendliche, ist die Quelle einer neuen Poesie und Kunst, die an Energie, Tiefe und Feuer alle bisherigen übertreffen wird. Der Glaube an das Jenseits Ist ein absolut unpoetischer Glaube. Der Schmerz ist die Quelle der Poesie. Nur wer den Verlust eines endlichen Wesens als einen unendlichen Verlust empfindet, hat die Kraft zu lyrischem Feuer, Nur der schmerzliche Reiz der Erinnerung an das, was nicht mehr ist, ist der erste Künstler, der erste Idealist im Menschen. Aber der Glaube an das Jenseits macht jeden Schmerz zum Scheine, zur Unwahrheit.

Die Philosophie, welche das Endliche aus dem Unendlichen, das Bestimmte aus dem Unbestimmten ableitet, bringt es nie zu einer wahren Position des Endlichen und Bestimmten. Das Endliche wird aus dem Unendlichen abgeleitet – das heißt: das Unendliche, das Unbestimmte wird bestimmt, negiert; es wird eingestanden, daß das Unendliche ohne Bestimmung, d.h. ohne Endlichkeit nichts ist, als die Realität des Unendlichen also das Endliche gesetzt. Aber das negative Unwesen des Absoluten bleibt zugrundeliegen;[61] die gesetzte Endlichkeit wird daher immer wieder aufgehoben. Das Endliche ist die Negation des Unendlichen, und wieder das Unendliche die Negation des Endlichen. Die Philosophie des Absoluten ist ein Widerspruch.

Wie in der Theologie der Mensch die Wahrheit, Realität Gottes ist – denn alle Prädikate, die Gott als Gott realisieren, Gott zu einem wirklichen Wesen machen, wie Macht, Weisheit, Güte, Liebe, selbst Unendlichkeit und Persönlichkeit, als welche den Unterschied vom Endlichen zur Bedingung haben, werden erst in und mit dem Menschen gesetzt – ebenso ist in der spekulativen Philosophie die Wahrheit des Unendlichen das Endliche.

Die Wahrheit des Endlichen wird von der absoluten Philosophie nur auf indirekte, verkehrte Weise ausgesprochen. Wenn das Unendliche nur ist, nur Wahrheit und Wirklichkeit hat, wenn es bestimmt, d.h. wenn es nicht als Unendliches, sondern Endliches gesetzt wird, so ist ja in Wahrheit das Endliche das Unendliche.

Die Aufgabe der wahren Philosophie ist nicht, das Unendliche als das Endliche, sondern das Endliche als das nicht Endliche, als das Unendliche zu erkennen, oder nicht das Endliche in das Unendliche, sondern das Unendliche in das Endliche zu setzen.

Der Anfang der Philosophie ist nicht Gott, nicht das Absolute, nicht das Sein als Prädikat des Absoluten oder der Idee – der Anfang der Philosophie[62] ist das Endliche,2 das Bestimmte, das Wirkliche. Das Unendliche kann gar nicht gedacht werden ohne das Endliche. Kannst Du die Qualität denken, definieren, ohne an eine bestimmte Qualität zu denken? Also ist nicht das Unbestimmte, sondern das Bestimmte das erste, denn die bestimmte Qualität ist nichts anderes als die wirkliche Qualität; der gedachten Qualität geht die wirkliche voraus.

Der subjektive Ursprung und Gang der Philosophie ist auch ihr objektiver Gang und Ursprung. Ehe Du die Qualität denkst, fühlst Du die Qualität. Dem Denken geht das Leiden voran.

Das Unendliche ist das wahre Wesen des Endlichen – das wahre Endliche. Die wahre Spekulation oder Philosophie ist nichts als die wahre und universale Empirie.

Das Unendliche der Religion und Philosophie ist und war nie etwas anderes als irgendein Endliches, irgendein Bestimmtes, aber mystifiziert, d.h. ein Endliches, ein Bestimmtes, mit dem Postulat, nichts Endliches, nichts Bestimmtes zu sein. Die spekulative Philosophie hat sich desselben Fehlers schuldig gemacht als die Theologie, – die Bestimmungen der Wirklichkeit oder Endlichkeit nur durch die Negation der Bestimmtheit, in welcher[63] sie sind, was sie sind, zu Bestimmungen, Prädikaten des Unendlichen gemacht.

Ehrlichkeit und Redlichkeit sind zu allen Dingen nütze – auch zur Philosophie. Ehrlich und redlich ist aber nur die Philosophie, wenn sie die Endlichkeit ihrer spekulativen Unendlichkeit eingesteht – eingesteht also, daß z.B. das Geheimnis der Natur in Gott nichts anderes ist als das Geheimnis der menschlichen Natur, daß die Nacht, die sie in Gott setzt, um aus ihr das Licht des Bewußtseins zu erzeugen, nichts ist, als ihr eigenes, dunkles, instinktartiges Gefühl von der Realität und Unentbehrlichkeit der Materie.

Der bisherige Gang der spekulativen Philosophie vom Abstrakten zum Konkreten, vom Idealen zum Realen ist ein verkehrter. Auf diesem Wege kommt man nie zur wahren, objektiven Realität, sondern immer nur zur Realisation seiner eigenen Abstraktionen, und eben deswegen nie zur wahren Freiheit des Geistes; denn nur die Anschauung der Dinge und Wesen in ihrer objektiven Wirklichkeit macht den Menschen frei und ledig aller Vorurteile. Der Übergang vom Idealen zum Realen hat seinen Platz nur in der praktischen Philosophie.

Die Philosophie ist die Erkenntnis dessen, was ist. Die Dinge und Wesen so zu denken, so zu erkennen, wie sie sind – dies ist das höchste Gesetz, die höchste Aufgabe der Philosophie.

Das, was ist, so, wie es ist – also das Wahre wahr ausgesprochen, scheint oberflächlich; das, was ist, so, wie es nicht ist – also das[64] Wahre unwahr, verkehrt ausgesprochen, scheint tief zu sein.

Wahrhaftigkeit, Einfachheit, Bestimmtheit sind die formellen. Kennzeichen der reellen Philosophie.

Das Sein, mit dem die Philosophie beginnt, kann nicht vom Bewußtsein, das Bewußtsein nicht vom Sein abgetrennt werden. Wie die Realität der Empfindung die Qualität und umgekehrt die Empfindung die Realität der Qualität ist, so ist auch das Sein die Realität des Bewußtseins, aber ebenso umgekehrt das Bewußtsein die Realität des Seins – das Bewußtsein erst das wirkliche Sein. Die reelle Einheit von Geist und Natur ist nur das Bewußtsein.

Alle die Bestimmungen, Formen, Kategorien oder wie man es sonst nennen will, welche die spekulative Philosophie vom Absoluten abgestreift und in das Gebiet des Endlichen, Empirischen verstoßen hat, enthalten gerade das wahre Wesen des Endlichen, das wahre Unendliche, die wahren und letzten Mysterien der Philosophie.

Raum und Zeit sind die Existenzformen alles Wesens. Nur die Existenz in Raum und Zeit ist Existenz. Die Negation von Raum und Zeit ist immer nur die Negation ihrer Schranken, nicht ihres Wesens. Eine zeitlose Empfindung, ein zeitloser Wille, ein zeitloser Gedanke, ein zeitloses Wesen sind Undinge. Wer keine Zeit überhaupt, hat auch keine Zeit, keinen Drang zum Wollen, zum Denken.

Die Negation von Raum und Zeit in der Metaphysik, im Wesen der Dinge hat die verderblichsten praktischen Folgen. Nur wer überall auf dem Standpunkte[65] der Zeit und des Raumes steht, hat auch im Leben Takt und praktischen Verstand. Raum und Zeit sind die ersten Kriterien der Praxis. Ein Volk, welches aus seiner Metaphysik die Zeit ausschließt, die ewige, d.h. abstrakte, von der Zeit abgesonderte Existenz vergöttert, das schließt konsequent auch aus seiner Politik die Zeit aus, vergöttert das rechts- und vernunftswidrige, antigeschichtliche Stabilitätsprinzip.

Die spekulative Philosophie hat die von der Zeit abgesonderte Entwicklung zu einer Form, einem Attribut des Absoluten gemacht. Diese Absonderung der Entwicklung von der Zeit ist aber ein wahres Meisterstück spekulativer Willkür und der schlagende Beweis, daß die spekulativen Philosophen es ebenso gemacht haben mit ihrem Absoluten, wie die Theologen mit ihrem Gott, der alle Affekte des Menschen hat ohne Affekte, liebt ohne Liebe, zürnt ohne Zorn. Entwicklung ohne Zeit ist so viel als Entwicklung ohne Entwicklung. Der Satz: das absolute Wesen entwickelt sich aus sich – ist übrigens nur umgekehrt ein wahrer, vernünftiger. Es muß also heißen: nur ein sich entwickelndes, sich zeitlich entfaltendes Wesen ist ein absolutes, d.i. wahres, wirkliches Wesen.

Raum und Zeit sind die Offenbarungsformen des wirklichen Unendlichen.

Wo keine Grenze, keine Zeit, keine Not, da ist auch keine Qualität, keine Energie, kein Spiritus, kein Feuer, keine Liebe. Nur das notleidende Wesen ist das notwendige Wesen. Bedürfnislose Existenz ist überflüssige Existenz. Was frei ist von Bedürfnissen überhaupt, hat auch kein Bedürfnis der Existenz. Ob es ist oder nicht[66] ist, das ist eins – eins für es selbst, eins für andere. Ein Wesen ohne Not ist ein Wesen ohne Grund. Nur was leiden kann, verdient zu existieren. Nur das schmerzensreiche Wesen ist göttliches Wesen. Ein Wesen ohne Leiden ist ein Wesen ohne Wesen. Ein Wesen ohne Leiden ist aber nichts anderes, als ein Wesen ohne Sinnlichkeit, ohne Materie.

Eine Philosophie, welche kein passives Prinzip in sich hat, eine Philosophie, welche spekuliert über Existenz ohne Zeit, über das Dasein ohne Dauer, über die Qualität ohne Empfindung über das Wesen ohne Wesen, über das Leben ohne Leben, ohne Fleisch und Blut – eine solche Philosophie, wie die des Absoluten überhaupt, hat, als eine durchaus einseitige, notwendig die Empirie zu ihrem Gegensatz. Spinoza hat die Materie wohl zu einem Attribut der Substanz gemacht, aber nicht als ein Prinzip des Leidens, sondern gerade deswegen, weil sie nicht leidet, weil sie einzig, unteilbar, unendlich ist, weil sie insofern die nämlichen Bestimmungen hat, als das ihr entgegengesetzte Attribut des Denkens, kurz, weil sie eine abstrakte Materie, eine Materie ohne Materie ist, gleichwie das Wesen der Hegelschen Logik das Wesen der Natur und des Menschen ist, aber ohne Wesen, ohne Natur, ohne Mensch.

Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel nur zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen. Nur so wird die Philosophie zu einer universalen, gegensatzlosen, unwiderleglichen, unwiderstehlichen[67] Macht. Die Philosophie hat daher nicht mit sich, sondern mit ihrer Antithese, mit der Nichtphilosophie zu beginnen. Dieses vom Denken unterschiedene, unphilosophische, absolut antischolastische Wesen in uns ist das Prinzip des Sensualismus.

Die wesentlichen Werkzeuge, Organe der Philosophie sind der Kopf, die Quelle der Aktivität, der Freiheit, der metaphysischen Unendlichkeit, des Idealismus, und das Herz, die Quelle der Leiden, der Endlichkeit, des Bedürfnisses, des Sensualismus – theoretisch ausgedrückt: Denken und Anschauung; denn das Denken ist das Bedürfnis des Kopfes, die Anschauung, der Sinn das Bedürfnis des Herzens. Das Denken ist das Prinzip der Schule, des Systems, die Anschauung das Prinzip des Lebens. In der Anschauung werde ich bestimmt vom Gegenstande, im Denken bestimme ich den Gegenstand; im Denken bin ich Ich, in der Anschauung Nicht-Ich. Nur aus der Negation des Denkens, aus dem Bestimmtsein vom Gegenstande, aus der Passion, aus der Quelle aller Lust und Not erzeugt sich der wahre, objektive Gedanke, die wahre, objektive Philosophie. Die Anschauung gibt das mit der Existenz unmittelbar identische, das Denken das durch die Unterscheidung, die Absonderung von der Existenz vermittelte Wesen. Nur da also, wo sich mit dem Wesen die Existenz, mit dem Denken die Anschauung, mit der Aktivität die Passivität, mit dem scholastischen Phlegma der deutschen Metaphysik das antischolastische, sanguinische Prinzip des französischen Sensualismus und Materialismus vereinigt, nur da ist Leben und Wahrheit.[68]

Wie die Philosophie, so der Philosoph, und umgekehrt: die Eigenschaften des Philosophen, die subjektiven Bedingungen und Elemente der Philosophie sind auch ihre objektiven. Der wahre, der mit dem Leben, dem Menschen identische Philosoph muß gallo-germanischen Geblütes sein. Erschreckt nicht, ihr keuschen Deutschen, über diese Vermischung! Schon Anno 1716 haben diesen Gedanken die Acta Philosophorum ausgesprochen. »Wenn wir die Deutschen und Franzosen gegeneinanderhalten, so haben zwar dieser ihre ingenia mehr Hurtigkeit, jene aber mehr Solidität, und man könnte füglich sagen, das temperamentum Gallico-germanicum schicke sich am besten zur Philosophie, oder ein Kind, welches einen Franzosen zum Vater und eine Deutsche zur Mutter hat, müßte (caeteris paribus) ein gut ingenium philosophicum bekommen.« Ganz richtig; nur müssen wir die Mutter zur Französin, den Vater zum Deutschen machen. Das Herz – das weibliche Prinzip, der Sinn für das Endliche, der Sitz des Materialismus – ist französisch gesinnt; der Kopf – das männliche Prinzip, der Sitz des Idealismus – deutsch. Das Herz revolutioniert, der Kopf reformiert; der Kopf bringt die Dinge zustande, das Herz in Bewegung. Aber nur wo Bewegung, Wallung, Leidenschaft, Blut, Sinnlichkeit, da ist auch Geist. Nur der Esprit Leibniz, sein sanguinisches, materialistisch-idealistisches Prinzip war es, was zuerst die Deutschen aus ihrem philosophischen Pedantismus und Scholastizismus herausriß.

Das Herz galt bisher in der Philosophie für die Brustwehr der Theologie. Aber gerade das Herz ist das schlechterdings antitheologische, das im Sinn der Theologie ungläubige, atheistische Prinzip[69] im Menschen. Denn es glaubt an nichts anderes, als an sich selbst, glaubt nur an die unumstößliche, göttliche, absolute Realität seines Wesens. Aber der Kopf, welcher das Herz nicht versteht, verwandelt, weil Trennen, Unterscheiden in Subjekt und Objekt seine Sache ist, das eigene Wesen des Herzens in ein vom Herzen unterschiedenes, objektives, äußerliches Wesen. Allerdings ist dem Herzen ein anderes Wesen ein Bedürfnis, jedoch nur ein solches Wesen, welches seinesgleichen, nicht vom Herzen unterschieden ist, nicht dem Herzen widerspricht. Die Theologie leugnet die Wahrheit des Herzens, die Wahrheit des religiösen Affektes. Der religiöse Affekt, das Herz, sagt z.B.: »Gott leidet«; die Theologie dagegen sagt: Gott leidet nicht, d.h. das Herz leugnet den Unterschied Gottes vom Menschen, die Theologie behauptet ihn.

Der Theismus beruht auf dem Zwiespalt von Kopf und Herz; der Pantheismus ist die Aufhebung dieses Zwiespaltes im Zwiespalt – denn er macht das göttliche Wesen nur als transzendentes immanent –; der Anthropotheismus ohne Zwiespalt. Der Anthropotheismus ist das zu Verstand gebrachte Herz; er spricht im Kopf nur auf Verstandesweise aus, was das Herz in seiner Weise sagt. Die Religion ist nur Affekt, Gefühl, Herz, Liebe, d.h. die Negation, Auflösung Gottes im Menschen. Die neue Philosophie ist daher, als die Negation der Theologie, welche die Wahrheit des religiösen Affektes leugnet, die Position der Religion. Der Anthropotheismus ist die selbstbewußte Religion – die Religion, die sich selbst versteht. Die Theologie dagegen negiert die Religion unter dem Scheine, als wenn sie sie ponierte.

[70] Schelling und Hegel sind Gegensätze. Hegel repräsentiert das männliche Prinzip der Selbstständigkeit, der Selbsttätigkeit, kurz, das idealische Prinzip; Schelling das weibliche Prinzip der Rezeptivität, der Empfänglichkeit; – erst rezipierte er Fichte, dann Plato und Spinoza, endlich J. Böhme – kurz, das materialistische Prinzip. H. fehlt es an Anschauung, S. an Denk-, an Bestimmungskraft. S. ist Denker nur im Allgemeinen; aber wie es zur Sache kommt, im Besonderen, Bestimmten, verfällt er in den Somnambulismus der Imagination. Der Rationalismus bei S. ist nur Schein, der Irrationalismus Wahrheit. H. bringt es nur zu einer abstrakten, dem irrationalen Prinzip, S. nur zu einer dem rationellen Prinzip widersprechenden, mystischen imaginären Existenz und Realität. H. ergänzt den Mangel am Realismus durch derbsinnliche, S. durch schöne Worte. H. drückt das Ungemeine gemein, S. das Gemeine ungemein aus. H. macht die Dinge zu bloßen Gedanken, S. bloße Gedanken – z.B. die Aseität in Gott – zu Dingen. H. täuscht die denkenden Köpfe, S. die nicht denkenden. H. macht die Unvernunft zur Vernunft, S. umgekehrt die Vernunft zur Unvernunft. S. ist die Realphilosophie im Traume, H. schon im Begriffe. S. negiert das abstrakte Denken in der Phantasie, H. im abstrakten Denken. H. ist als die Selbstnegation des negativen Denkens, als die Vollendung der alten Philosophie der negative Anfang der neuen; S. ist die alte Philosophie mit der Einbildung, der Illusion, die neue Realphilosophie zu sein.

Die Hegelsche Philosophie ist die Aufhebung des Widerspruches von Denken und Sein, wie ihn insbesondere Kant ausgesprochen, aber wohlgemerkt![71] nur die Aufhebung dieses Widerspruches innerhalb des Widerspruches – innerhalb des einen Elementes – innerhalb des Denkens. Der Gedanke ist bei H. das Sein; – der Gedanke das Subjekt, das Sein das Prädikat. Die Logik ist das Denken im Element des Denkens oder der sich selbstdenkende Gedanke – der Gedanke als prädikatloses Subjekt oder der Gedanke, der zugleich Subjekt, zugleich das Prädikat von sich ist. Das Denken aber im Element des Denkens ist noch abstraktes; es realisiert, es entäußert sich daher. Dieser realisierte, entäußerte Gedanke ist die Natur, überhaupt das Reale, das Sein. Was ist aber das wahre Reale in diesem Realen? Der Gedanke – welcher darum auch alsbald das Prädikat der Realität wieder von sich abstreift, um seine Prädikatlosigkeit als sein wahres Wesen herzustellen. Aber deswegen ist H. nicht zum Sein als Sein, zum freien, selbständigen, in sich selber glücklichen Sein gekommen. H. hat die Objekte nur gedacht als Prädikate des sich selbst denkenden Gedankens. Der nun eingestandene Widerspruch zwischen der seienden und gedachten Religion in der Hegelschen Religionsphilosophie kommt nur daher, daß auch hier, wie anderwärts, der Gedanke zum Subjekt, der Gegenstand, die Religion aber zu einem bloßen Prädikat des Gedankens gemacht wird.

Wer die Hegelsche Philosophie nicht aufgibt, der gibt nicht die Theologie auf. Die Hegelsche Lehre, daß die Natur, die Realität von der Idee gesetzt – ist nur der rationelle Ausdruck von der theologischen Lehre, daß die Natur von Gott, das materielle Wesen von einem immateriellen, d.i. abstrakten Wesen geschaffen ist. Am Ende der Logik bringt es die absolute Idee sogar zu einem[72] nebulosen »Entschluß«, um eigenhändig ihre Abkunft aus dem theologischen Himmel zu dokumentieren.

Die Hegelsche Philosophie ist der letzte Zufluchtsort, die letzte rationelle Stütze der Theologie. Wie einst die katholischen Theologen de facto Aristoteliker wurden, um den Protestantismus, so müssen jetzt die protestantischen Theologen de jure Hegelianer werden, um den »Atheismus« bekämpfen zu können.

Das wahre Verhältnis vom Denken zum Sein ist nur dieses: das Sein ist Subjekt, das Denken Prädikat. Das Denken ist aus dem Sein, aber das Sein nicht aus dem Denken. Sein ist aus sich und durch sich – Sein wird nur durch Sein gegeben, – Sein hat seinen Grund in sich, weil nur Sein Sinn, Vernunft, Notwendigkeit, Wahrheit, kurz alles in allem ist. – Sein ist, weil Nichtsein Nichtsein, d.h. nichts, Unsinn ist.

Das Wesen des Seins als Sein ist das Wesen der Natur. Die zeitliche Genesis erstreckt sich nur auf die Gestalten, nicht auf das Wesen der Natur.

Das Sein wird nur da vom Denken abgeleitet, wo die wahre Einheit von Denken und Sein zerrissen ist, wo man erst dem Sein seine Seele, sein Wesen durch die Abstraktion genommen und dann hintendrein wieder in dem vom Sein abgezogenen Wesen den Sinn und Grund dieses für sich selbst leeren Seins findet; gleichwie nur da die Welt aus Gott abgeleitet wird und werden muß, wo man das Wesen der Welt von der Welt willkürlich absondert.

Wer nach einem besonderen Realprinzip der Philosophie spekuliert, wie die sogenannten positiven[73] Philosophen:


Ist wie ein Tier auf dürrer Heide

Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,

Und rings umher liegt schöne, grüne Weide.


Diese schöne, grüne Weide ist die Natur und der Mensch, denn beide gehören zusammen. Schaut die Natur an, schaut den Menschen an! Hier habt ihr die Mysterien der Philosophie vor euern Augen.


Die Natur ist das von der Existenz ununterschiedene, der Mensch das von der Existenz sich unterscheidende Wesen. Das nicht unterscheidende Wesen ist der Grund des unterscheidenden – die Natur also der Grund des Menschen.

Die neue, die allein positive Philosophie ist die Negation aller Schulphilosophie, ob sie gleich das Wahre derselben in sich enthält, ist die Negation der Philosophie als einer abstrakten, partikularen, d.h. scholastischen Qualität: sie hat kein Schibolet, keine besondere Sprache, keinen besonderen Namen, kein besonderes Prinzip; sie ist der denkende Mensch selbst – der Mensch, der ist und sich weiß als das selbstbewußte Wesen der Natur, als das Wesen der Geschichte, als das Wesen der Staaten, als das Wesen der Religion – der Mensch, der ist und sich weiß als die wirkliche (nicht imaginäre) absolute Identität aller Gegensätze und Widersprüche, aller aktiven und passiven, geistigen und sinnlichen, politischen und sozialen Qualitäten – weiß, daß das pantheistische Wesen, welches die spekulativen Philosophen oder vielmehr Theologen vom Menschen absonderten, als ein abstraktes Wesen vergegenständlichten, nichts anderes ist als sein eigenes, [74] unbestimmtes, aber unendlicher Bestimmungen fähiges Wesen.

Die neue Philosophie ist die Negation ebensowohl des Rationalismus, als des Mystizismus, ebensowohl des Pantheismus, als des Personalismus, ebensowohl des Atheismus, als des Theismus; sie ist die Einheit aller dieser antithetischen Wahrheiten als eine absolut selbständige und lautere Wahrheit.

Die neue Philosophie hat sich bereits als Religionsphilosophie ebenso negativ als positiv ausgesprochen. Man darf nur die Konklusionen ihrer Analyse zu Prämissen machen, um in ihnen die Prinzipien einer positiven Philosophie zu erkennen. Aber die neue Philosophie buhlt nicht um die Gunst des Publikums. Ihrer selbst gewiß, verschmäht sie es, das zu scheinen, was sie ist; muß aber eben deswegen unserer Zeit, welcher in den wesentlichsten Interessen der Schein für Wesen, die Illusion für Realität, der Name für die Sache gilt, das sein, was sie nicht ist. So ergänzen sich die. Gegensätze! Wo das Nichts für Etwas, die Lüge für Wahrheit gilt. da muß konsequenterweise das Etwas für Nichts, die Wahrheit für Lüge gelten. Und wo man – komischerweise gerade in dem Moment, wo die Philosophie in einem entscheidenden, universalen Selbstenttäuschungsakt begriffen ist – den bisher unerhörten Versuch macht, eine Philosophie lediglich auf die Gunst und Meinung des Zeitungspublikums zu gründen, da muß man auch ehrlicher und christlicher Weise philosophische Werke nur dadurch zu widerlegen suchen, daß man sie in der Augsburger Allgemeinen Zeitung beim Publikum verleumdet. O wie ehrbar, wie sittlich sind doch die öffentlichen Zustände Deutschlands![75]

Ein neues Prinzip tritt immer mit einem neuen Namen auf; d.h. es erhebt einen Namen aus einem niedrigen, zurückgesetzten Stand in den Fürstenstand – macht ihn zur Bezeichnung des Höchsten. Wenn man den Namen der neuen Philosophie, den Namen Mensch mit Selbstbewußtsein übersetzt: so legt man die neue Philosophie im Sinne der alten aus, versetzt sie wieder auf den alten Standpunkt zurück, denn das Selbstbewußtsein der alten Philosophie als abgetrennt vom Menschen ist eine Abstraktion ohne Realität. Der Mensch ist das Selbstbewußtsein.

Der Sprache nach ist der Name Mensch wohl ein besonderer, aber der Wahrheit nach der Name aller Namen. Dem Menschen gebührt das Prädikat polyônymos. Was der Mensch auch immer nennt und ausspricht – immer spricht er sein eigenes Wesen aus. Die Sprache ist daher das Kriterium, wie hoch oder wie niedrig der Grad der Bildung der Menschheit. Der Name Gottes ist nur der Name dessen, was dem Menschen für die höchste Kraft, das höchste Wesen, d.h. für das höchste Gefühl, den höchsten Gedanken gilt.

Der Name Mensch bedeutet insgemein nur den Menschen mit seinen Bedürfnissen, Empfindungen, Gesinnungen – den Menschen als Person, im Unterschied von seinem Geist, überhaupt seinen allgemeinen öffentlichen Qualitäten – im Unterschied z.B. vom Künstler, Denker, Schriftsteller, Richter, gleich als wäre es nicht eine charakteristische, wesentliche Eigenschaft des Menschen, daß er Denker, daß er Künstler, daß er Richter usw. ist, gleich als wäre der Mensch in der Kunst, in der Wissenschaft usw. außer sich. Die spekulative Philosophie hat diese Absonderung der wesentlichen Qualitäten des[76] Menschen vom Menschen theoretisch fixiert und dadurch lauter abstrakte Qualitäten als selbständige Wesen vergöttert. So heißt es z.B. im Hegelschen Naturrecht § 190: »Im Rechte ist der Gegenstand die Person, im moralischen Standpunkt das Subjekt, in der Familie das Familienglied, in der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt der Bürger (als bourgeois), hier auf dem Standpunkt der Bedürfnisse ist es das Konkretum der Vorstellung (?), das man Mensch nennt, es ist also erst hier und auch eigentlich nur hier vom Menschen in diesem Sinne die Rede.« In diesem Sinne: also handelt es sich auch, wenn die Rede ist vom Bürger, vom Subjekt, vom Familienglied, von der Person, in Wahrheit immer nur von dem einen und selben Wesen, den Menschen, nur in einem anderen Sinne, nur in einer anderen Qualität.

Alle Spekulation über das Recht, den Willen, die Freiheit, die Persönlichkeit ohne den Menschen, außer dem oder gar über dem Menschen ist eine Spekulation ohne Einheit, ohne Notwendigkeit, ohne Substanz, ohne Grund, ohne Realität. Der Mensch ist die Existenz der Freiheit, die Existenz der Persönlichkeit, die Existenz des Rechtes. Nur der Mensch ist der Grund und Boden des Fichteschen Ichs, der Grund und Boden der Leibnizschen Monade, der Grund und Boden des Absoluten.

Alle Wissenschaften müssen sich auf die Natur gründen. Eine Lehre ist so lange nur eine Hypothese, so lange nicht ihre natürliche Basis gefunden ist. Dieses gilt insbesondere von der Lehre der Freiheit. Nur der neuen Philosophie wird es gelingen, die Freiheit, die bisher eine anti- und supranaturalistische Hypothese war, zu naturalisieren.

[77] Die Philosophie muß sich wieder mit der Naturwissenschaft, die Naturwissenschaft mit der Philosophie verbinden. Diese auf gegenseitiges Bedürfnis, auf innere Notwendigkeit gegründete Verbindung wird dauerhafter, glücklicher und fruchtbarer sein, als die bisherige Mesalliance zwischen der Philosophie und der Theologie.

Der Mensch ist das Hen kai pan des Staates. Der Staat ist die realisierte, ausgebildete, explizierte Totalität des menschlichen Wesens. Im Staat werden die wesentlichen Qualitäten oder Tätigkeiten des Menschen in besonderen Ständen verwirklicht, aber in der Person des Staatsoberhauptes wieder zur Identität zurückgeführt. Das Staatsoberhaupt hat alle Stände ohne Unterschied zu vertreten; vor ihm sind sie alle gleich notwendig, gleich berechtigt. Das Staatsoberhaupt ist der Repräsentant des universalen Menschen.

Die christliche Religion hat den Namen des Menschen mit dem Namen Gottes in den einen Namen des Gottmenschen verbunden – den Namen des Menschen also zu einem Attribut des höchsten Wesens erhoben. Die neue Philosophie hat der Wahrheit gemäß dieses Attribut zur Substanz, das Prädikat zum Subjekt gemacht – die neue Philosophie ist die realisierte Ideedie Wahrheit des Christentums. Aber eben weil sie das Wesen des Christentums in sich hat, gibt sie den Namen des Christentums auf. Das Christentum hat die Wahrheit nur im Widerspruch mit der Wahrheit ausgesprochen. Die widerspruchslose, reine, unverfälschte Wahrheit ist eine neue Wahrheit – eine neue, autonomische Tat der Menschheit.[78]


1

Diese theologischen Bezeichnungen werden hier nur im Sinn trivialer Spitznamen gebraucht.

2

Das Wort Endlich brauche ich immer nur im Sinn der »absoluten« Philosophie, welcher vom Standpunkt des Absoluten das Reale, das Wirkliche als das Unwirkliche, Nichtige erscheint, weil ihr das Unwirkliche, das Unbestimmte für das Reale gilt, ob Ihr gleich andererseits wieder vom Standpunkt der Nichtigkeit aus das Endliche, das Nichtige, als das Reale erscheint – ein Widerspruch, der besonders in der früheren Schellingschen Philosophie hervortritt, aber auch der Hegelschen noch zugrunde liegt.

Quelle:
FLudwig Feuerbach: Kleine philosophische Schriften (1842-1845). Leipzig 1950, S. 55-79.
Entstanden 1842. Erstdruck in: Das literarische Comptoir (Zürich und Winterthur) 1843.
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