[85] Während der Ausarbeitung einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre hat es sich dem Urheber dieser Wissenschaft abermals deutlich ergeben, dass die gegenwärtige erste Darstellung vorläufig noch durch keine neue völlig überflüssig und entbehrlich gemacht werden könne. Noch scheint der grössere Theil des philosophirenden Publicums für die neue Ansicht nicht so vorbereitet, dass es ihm nicht nützlich seyn sollte, denselben Inhalt in zwei sehr verschiedenen Formen zu finden, und als denselben wieder zu erkennen; ferner ist in der gegenwärtigen Darstellung ein Gang gehalten, auf welchen die in der neuen Darstellung zu beobachtende, mehr auf Fasslichkeit berechnete Methode zurückzuführen, bis zu der einstigen Erscheinung einer streng scientifischen Darstellung immer sehr gut seyn wird; endlich sind in ihr mehrere Hauptpuncte mit einer Ausführlichkeit und einer Klarheit vorgestellt, welche je zu übertreffender Verfasser keine Hoffnung hat. Er wird auf mehrere Stücke dieser Art in der neuen Darstellung sich beziehen müssen.
Dieser Gründe halber haben wir einen neuen unveränderten Abdruck dieser ersten Darstellung, welche sich vergriffen hatte, besorgt.
Die neue Darstellung wird im künftigen Jahre erscheinen. Berlin im Augustmonat 1801.
Fichte.[85]
Ich würde vor diesem Buche, das nicht eigentlich für das Publicum bestimmt war, demselben nichts zu sagen gehabt haben, wenn es nicht, sogar ungeendigt, auf die indiscreteste Weise vor einen Theil desselben wäre gezogen worden. Ueber Dinge der Art vor der Hand nur soviel! –
Ich glaubte, und glaube noch, den Weg entdeckt zu haben, auf welchem die Philosophie sich zum Range einer evidenten Wissenschaft erheben muss. Ich kündigte dies1 bescheiden an, legte dar, wie ich nach dieser Idee gearbeitet haben würde, wie ich nun nach veränderter Lage nach ihr arbeiten müsste, und fing an den Plan ins Werk zu setzen. Dies war natürlich. Es war aber ebenso natürlich, dass andere Kenner und Bearbeiter der Wissenschaft meine Idee untersuchten, prüften, beurtheilten, dass sie, sie mochten nun innere oder äussere Gründe haben, sich den Weg nicht gefallen zu lassen, den ich die Wissenschaft führen wollte, mich zu widerlegen suchten. Aber wozu es dienen sollte, das, was ich behauptet, geradezu ohne alle Prüfung zu verwerfen, höchstens sich die Mühe zu nehmen, es zu verdrehen, jede Gelegenheit herbeizuziehen, um es auf die leidenschaftlichste Weise zu schmähen und zu verschreien, lässt sich nicht einsehen. Was mag doch jene Beurtheiler so ganz aus ihrer Fassung gebracht haben, Sollte ich von Nachbeterei und Seichtigkeit mit Achtung sprechen, da ich dieselben doch gar nicht achte? Was hätte dazu mich verbinden sollen? – besonders, da ich mehr zu thun hatte, und vor mir jeder Stümper ruhig seinen Weg hätte gehen mögen, wenn er mich nicht nöthigte, durch Aufdeckung seiner Stümperei mir selbst Platz zu machen.
Oder hat ihr feindseliges Benehmen noch einen anderen[86] Grund? – Für ehrliche Leute sey folgendes gesagt, für welche allein es einen Sinn hat. – Was auch meine Lehre sey, ob ächte Philosophie, oder Schwärmerei und Unsinn, so verschlägt dies meiner Person nichts, wenn ich redlich geforscht habe. Ich würde durch das Glück, die erstere entdeckt zu haben, meinen persönlichen Werth so wenig gehoben, als durch das Unglück, neue Irrthümer auf die Irrthümer aller Zeiten aufgebaut zu haben, denselben erniedrigt glauben. An meine Person denke ich überall nicht; aber für die Wahrheit bin ich entflammt, und was ich für wahr halte, das werde ich immer so stark und so entscheidend sagen, als ich es vermag.
Im gegenwärtigen Buche, wenn man die Schrift: Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen mit dazu nimmt, glaube ich mein System so weit verfolgt zu haben, dass jeder Kenner sowohl den Grund und Umfang desselben, als auch die Art, wie auf jenen weiter aufgebaut werden muss, vollständig übersehen könne. Meine Lage erlaubt mir nicht, ein bestimmtes Versprechen abzulegen, wann und wie ich die Bearbeitung desselben fortsetzen werde.
Die Darstellung erkläre ich selbst für höchst unvollkommen und mangelhaft, theils weil sie für meine Zuhörer, wo ich durch den mündlichen Vortrag nachhelfen konnte, in einzelnen Bogen, so wie ich für meine Vorlesungen eines bedurfte, erscheinen musste; theils weil ich eine feste Terminologie – das bequemste Mittel für Buchstäbler, jedes System seines Geistes zu berauben, und es in ein trockenes Geripp zu verwandeln – so viel möglich zu vermeiden suchte. Ich werde dieser Maxime auch bei künftigen Bearbeitungen des Systems, bis zur endlichen vollendeten Darstellung desselben, treu bleiben. Ich will jetzt noch gar nicht zubauen, sondern möchte nur das Publicum veranlassen, mit mir den künftigen Bau zu überschlagen. Man wird aus dem Zusammenhange erklären, und sich erst eine Uebersicht des Ganzen verschaffen müssen, ehe man sich einen einzelnen Satz scharf bestimmt; eine Methode, die freilich den guten Willen voraussetzt, dem Systeme[87] Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nicht die Absicht, nur Fehler an ihm zu finden.
Ich habe viele Klagen über die Dunkelheit und Unverständlichkeit des bis jetzt auswärts bekannten Theils dieses Buchs, wie auch der Schrift: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, gehört.
Gehen die die letztere Schrift betreffenden Klagen insbesondere auf § 8. derselben, so kann ich allerdings Unrecht gehabt haben, dass ich die bei mir durch das ganze System bestimmten Grundsätze desselben hingab, ohne das System; und mir von den Lesern und Beurtheilern die Geduld versprach, alles so unbestimmt zu lassen, als ich es gelassen hatte. Gehen sie auf die ganze Schrift, so bekenne ich im voraus, dass ich im Fache der Speculation für diejenigen nie etwas verständliches werde schreiben können, denen sie unverständlich war. Ist jene Schrift die Grenze ihres Verstehens, so ist sie die Grenze meiner Verständlichkeit; unsere Geister sind durch diese Grenze von einander geschieden, und ich ersuche sie mit dem Lesen meiner Schriften nicht die Zeit zu verderben. – Habe dieses Nichtverstehen einen Grund, welchen es wolle, es liegt in der Wissenschaftslehre selbst ein Grund, warum sie gewissen Lesern immer unverständlich bleiben muss: der, dass sie das Vermögen der Freiheit der inneren Anschauung voraussetzt. – Dann verlangt jeder philosophische Schriftsteller mit Recht, dass der Leser den Faden des Raisonnements festhalte, und nichts vorhergegangenes vergessen habe, wenn er bei dem folgenden steht. Etwas, das unter diesen Bedingungen nicht verstanden werden könnte, und nicht nothwendig richtig verstanden werden müsste in diesen Schriften – ist mir wenigstens nicht bekannt; und ich glaube allerdings, dass der Verfasser eines Buchs selbst bei Beantwortung dieser Frage eine Stimme habe. Was vollkommen klar gedacht worden ist, ist verständlich; und ich bin mir bewusst, alles vollkommen klar gedacht zu haben, so dass ich jede Behauptung zu jedem beliebigen Grade der Klarheit erheben wollte, wenn mir Zeit und Raum genug gegeben ist.[88]
Besonders halte ich für nöthig zu erinnern, dass ich nicht alles sagen, sondern meinem Leser auch etwas zum Denken überlassen wollte. Es sind mehrere Misverständnisse, die ich sicher voraussehe, und denen ich mit ein paar Worten hätte abhelfen können. Ich habe auch diese paar Worte nicht gesagt, weil ich das Selbstdenken unterstützen möchte. Die Wissenschaftslehre soll sich überhaupt nicht aufdringen, sondern sie soll Bedürfniss seyn, wie sie es ihrem Verfasser war.
Die künftigen Beurtheiler dieser Schrift ersuche ich auf das Ganze einzugehen, und jeden einzelnen Gedanken aus dem Gesichtspuncte des Ganzen anzusehen. Der Hallische Recensent äussert seine Vermuthung, dass ich bloss einen Scherz habe treiben wollen; die anderen Beurtheiler der Schrift: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, scheinen dies gleichfalls geglaubt zu haben; so leicht gehen sie über die Sache hin, und so spasshaft sind ihre Erinnerungen, als ob sie Scherz durch Scherz zu erwiedern hätten.
Ich kann zu Folge der Erfahrung, dass ich beim dreimaligen Durcharbeiten dieses Systems meine Gedanken über einzelne Sätze desselben jedesmal anders modificirt gefunden, erwarten, dass sie bei fortgesetztem Nachdenken sich immer weiter verändern und bilden werden. Ich werde selbst am sorgfältigsten daran arbeiten, und jede brauchbare Erinnerung; von anderen wird mir willkommen seyn. – Ferner, so innig ich überzeugt bin, dass die Grundsätze, auf welchen dieses ganze System ruht, unumstösslich sind, und so stark ich auch hier und da diese Ueberzeugung mit meinem vollen Rechte geäussert habe, so wäre es doch eine mir bis jetzt freilich undenkbare Möglichkeit, dass sie dennoch umgestossen würden. Auch das würde mir willkommen seyn, weil die Wahrheit dadurch gewinnen würde. Man lasse sich nur ein auf dieselben, und versuche es, sie umzustossen.
Was mein System eigentlich sey, und unter welche Klasse man es bringen könne, ob ächter durchgeführter Kriticismus, wie ich glaube, oder wie man es sonst nennen wolle, thut[89] nichts zur Sache. Ich zweifle nicht, dass man ihm mancherlei Namen finden, und es mehrerer einander gerade zuwiderlaufenden Ketzereien beschuldigen werde. Dies mag man; nur verweise man mich nicht an alte Widerlegungen, sondern widerlege selbst. Jena zur Ostermesse 1796.[90]
1 | In der Schrift: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre, oder der sogenannter Philosophie: Weimar im Verlage des Industrie-Comptoirs, 1794. |
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