II. Bd., XII. Thls.

46. Suttaṃ.

Das Nunc stans

[921] Zu jener Zeit weilte der Erhabene zu Sāvatthī.

Da begab sich ein gewisser Brāhmaṇe dorthin, wo der Erhabene weilte, begrüsste den Erhabenen in ehrerbietiger Weise, wechselte mit ihm freundliche und höfliche Worte und setzte sich zur Seite nieder. Dort sitzend sprach nun dieser Brāhmaṇe Folgendes zu dem Erhabenen:

»Was ist's wohl, o Gotamo: der Selbe, der jetzt lebt, empfindet die Folgen seines Thuns in der Wiedergeburt?«

»›Der Selbe, der jetzt lebt, der Selbe empfindet die Folgen seines Thuns‹: Dies, Brāhmaṇe, ist das eine Extrem.«

»Was also, o Gotamo: Ein Anderer, als der jetzt Lebende, empfindet die Folgen seines Thuns?«

»›Ein Anderer, als der jetzt Lebende, empfindet die Folgen seines Thuns‹: Dies, Brāhmaṇe, ist das zweite Extrem. Diese beiden Extreme meidend, Brāhmaṇe, zeigt der Vollendete die in der Mitte liegende Wahrheit.

Durch das Nichtwissen entsteht die Unterscheidung, durch die Unterscheidung entsteht das Bewusstsein, durch das Bewusstsein entsteht Name und Form (Subjekt und Objekt, Vorstellung und Vorgestelltes), durch Name und Form entstehn die sechs Sinnesorgane, durch die sechs Sinnesorgane entsteht die Berührung, durch die Berührung entsteht das Gefühl, durch das Gefühl entsteht der Durst nach Dasein (taṇhā), durch den Durst nach Dasein entsteht der Lebensdrang, durch den Lebensdrang entsteht das Sein (Werden), durch das Sein (Werden) entsteht die Geburt, durch die Geburt entstehn Alter und Tod, Sorge und Jammer, Trübsal und Verzweiflung. Solcherart tritt die Entstehung dieses ganzen Leidenskomplexes ein.

Durch die restlose totale Vernichtung des Nichtwissens aber tritt die Vernichtung der Unterscheidung ein, durch die Vernichtung der Unterscheidung tritt die Vernichtung des Bewusstseins ein, durch die Vernichtung des Bewusstseins tritt die Vernichtung von Name und Form ein, durch die Vernichtung von Name und Form tritt die Vernichtung der sechs Sinnesorgane ein, durch die Vernichtung der sechs Sinnesorgane [921] tritt die Vernichtung der Berührung ein, durch die Vernichtung der Berührung tritt die Vernichtung des Gefühls ein, durch die Vernichtung des Gefühls tritt die Vernichtung des Durstes nach Dasein ein, durch die Vernichtung des Durstes nach Dasein tritt die Vernichtung des Lebensdranges ein, durch die Vernichtung des Lebensdranges tritt die Vernichtung des Seins (Werdens) ein, durch die Vernichtung des Seins (Werdens) tritt die Vernichtung der Geburt ein, durch die Vernichtung der Geburt tritt die Vernichtung von Alter und Tod, Sorge, Jammer, Trübsal und Verzweiflung ein. Solcherart tritt die Vernichtung dieses ganzen Leidenskomplexes ein.«

Auf diese Worte sprach jener Brāhmaṇe zu dem Erhabenen also: »Wundervoll, o Gotamo, wundervoll, o Gotamo! Gleichwie, o Herr, wenn das Umgestürzte wieder aufgestellt, oder das Verborgene aufgedeckt würde, oder wenn man einem Verirrten den Weg zeigen, oder in die Finsterniss eine Leuchte halten würde, damit die Gestalten von den Sehenden erblickt werden: so auch, o Herr, ist von dem Erhabenen die Lehre auf mannigfaltige Weise verkündet worden. Auch ich, o Herr, nehme meine Zuflucht bei dem Erhabenen, bei der Lehre und bei der Gemeinde, als Laienanhänger möge mich der Erhabene aufnehmen, von heute an bis zum Ende meines Lebens habe ich diese Zuflucht genommen.«

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 921-923.
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