II. Bd., XV. Thls.

13. Suttaṃ.

Ecce vita

[925] Zu einer Zeit weilte der Erhabene zu Rājagahaṃ14, im Bambus-Waldhaine. Da nun begaben sich etwa dreissig Mönche aus Pāvā, sämmtlich Wald-Eremiten, sämmtlich nur von der als Almosen in ihre Schaale geworfenen Speise lebend, sämmtlich nur aus zusammengelesenen Resten verfertigte Kleider tragend, sämmtlich nur im Besitz der drei vorschriftmässigen Kleidungsstücke, sämmtlich feststehend in allen Ordensregeln, zu dem Erhabenen; nachdem sie sich dem Erhabenen genähert und ihn begrüsst hatten, setzten sie sich zur Seite nieder.

Da nun gedachte der Erhabene: ›Diese dreissig Mönche aus Pāvā sind alle Wald-Eremiten, leben alle nur von der als Almosen in ihre Schaale geworfenen Speise, tragen alle nur aus zusammengelesenen Resten verfertigte Kleider, besitzen alle nur die drei ordensgemässen Kleidungsstücke, stehn sämmtlich fest in allen Ordensregeln; wie, wenn ich ihnen nun die Lehre solcherart zeigte, dass ihnen, auf diesem Platze noch, die Herzen, frei von jeder Gier, vom Uebel erlöst würden?‹

Und der Erhabene wandte sich an die Mönche: »Ihr Jünger!« – »Herr!« erwiderten jene Mönche, dem Erhabenen aufmerksam zuhörend. Der Erhabene sprach also:

»Ohne Anfang und Ende, ihr Jünger, ist dieser Saṃsāro (Welt), unerkennbar ist der Beginn der vom Nichtwissen umhüllten Wesen, der durch den Durst nach Dasein (taṇhā) immer und immer wieder zu erneuter Geburt geführten, der den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten durcheilenden.

Was denkt ihr, o Jünger: was ist wohl mehr, das Blut, das auf diesem langen Wege, während ihr immer wieder zu neuer Geburt und neuem Tode eiltet, bei euerer Enthauptung dahinfloss – oder das Wasser der vier grossen Meere?«

»So wie, o Herr, wir die von dem Erhabenen gezeigte Lehre verstehn, haben wir, o Herr, auf diesem langen Wege, während wir immer wieder zu neuer Geburt und neuem Tode eilten, bei unserer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist.«

[926] »Gut, gut, ihr Jünger, gut, wahrlich, dass ihr Jünger die von mir gezeigte Lehre also verstehet: mehr Blut, freilich, ihr Jünger, habt ihr auf diesem langen Wege, immer wieder zu neuer Geburt und neuem Tode eilend, bei euerer Enthauptung vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist.

Lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Rinder und Kälber bei euerer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Büffel und Büffeljunge bei euerer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Schaafe und Lämmer bei euerer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Böcke und Zicklein bei euerer Enthauptung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Rehe, Hirsche u.s.w. bei euerer Erlegung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Schweine und Ferkel bei euerer Abschlachtung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Hühner, Tauben, Gänse u.s.w. bei euerer Abschlachtung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Mörder verurtheilt, bei euerer Hinrichtung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Räuber ergriffen, bei euerer Hinrichtung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist;

lange Zeit hindurch habt ihr, o Jünger, als Ehebrecher ertappt, bei euerer Hinrichtung wahrlich mehr Blut vergossen, als Wasser in den vier grossen Meeren enthalten ist.

Wie aber ist Das möglich? – Ohne Anfang und Ende, ihr Jünger, ist dieser Saṃsāro, unerkennbar ist der Beginn der vom Nichtwissen umhüllten Wesen, der durch den Durst nach Dasein immer und immer wieder zu erneuter Geburt geführten, der den endlosen Kreislauf der Wiedergeburten durcheilenden:

und so habt ihr, o Jünger, durch lange Zeit Leid erfahren, Quaal erfahren, Unglück erfahren und das Leichenfeld vergrössert – lange genug, wahrlich, ihr Jünger, um von [927] jeder Existenz unbefriedigt zu sein, lange genug, um sich von allem Sein abzuwenden, lange genug, um sich von ihm zu erlösen.«


Das sprach der Erhabene. Jene beglückten Mönche freuten sich über des Erhabenen Rede. Und nach dieser Darlegung wurden die Herzen der dreissig Mönche aus Pāvā, frei von jeder Gier, vom Uebel erlöst.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 925-928.
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