Sechste Rede

Mahāli

[104] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Vesālī, am Großen Walde, in der Halle der Einsiedelei.

Um diese Zeit nun war eine große Anzahl priesterlicher Sendboten aus Kosalo und aus Magadhā in Vesālī zusammengekommen, irgendeiner Angelegenheit wegen.

Da hörten denn die priesterlichen Sendboten dort aus Kosalo und aus Magadhā wie gesprochen wurde: ›Der Asket, wahrlich, Herr Gotamo, der Sakyersohn, der dem Erbe der Sakyer entsagt hat, weilt bei Vesālī, am Großen Walde, in der Halle der Einsiedelei. Diesen Herrn Gotamo aber begrüßt man allenthalben mit dem frohen Ruhmesrufe, so zwar: »Das ist der Erhabene, der Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene. Er zeigt diese Welt mit ihren Göttern, ihren bösen und heiligen Geistern, mit ihrer Schar von Büßern und Priestern, Göttern und Menschen, nachdem er sie selbst verstanden und durch drungen hat. Er verkündet die Lehre, deren Anfang begütigt, deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt, die sinn- und wortgetreue, er legt das vollkommen geläuterte, geklärte Asketentum dar. Glücklich aber wer solche Heilige sehn kann!«‹

Nun begaben sich alsbald jene priesterlichen Sendboten aus Kosalo und aus Magadhā nach dem Großen Walde, zur Halle der Einsiedelei hin. Damals aber diente der ehrwürdige Nāgito dem Erhabenen als Aufwärter. So traten denn jene priesterlichen Sendboten aus Kosalo und aus Magadhā an den ehrwürdigen Nāgito heran und sprachen also zu ihm:

»Wo hält wohl, o Nāgito, er, der Herr Gotamo, sich gegenwärtig auf? Denn wir möchten ihn, den Herrn Gotamo, gern sehn.«

»Es ist jetzt, ihr Freunde, nicht an der Zeit den Erhabenen zu sehn: zurückgezogen weilt der Erhabene.«

Da nahmen denn jene priesterlichen Sendboten aus Kosalo und aus Magadhā dort eben beiseite Platz:

»Erst wann wir ihn, den Herrn Gotamo, gesehn haben, wollen wir gehn.«

Oṭṭhaddho aber der Licchavier kam nun mit einem großen Gefolge von [105] Licchaviern auch nach dem Großen Walde, zur Halle der Einsiedelei heran, begab sich dorthin wo der ehrwürdige Nāgito weilte, bot ehrerbietigen Gruß dar und stand beiseite. Beiseite stehend wandte sich dann auch180 Oṭṭhaddho der Licchavier an den ehrwürdigen Nāgito und sagte:

»Wo ist doch, werter Nāgito, er, der Erhabene, jetzt anzutreffen, der Heilige, vollkommen Erwachte? Wir haben ja den Wunsch ihn zu sehn, den Erhabenen, den Heiligen, vollkommen Erwachten.«

»Es ist jetzt, Mahāli181, nicht an der Zeit den Erhabenen zu sehn: zurückgezogen weilt der Erhabene.«

Oṭṭhaddho aber der Licchavier nahm nun auch dort eben beiseite Platz:

»Erst wann ich ihn, den Erhabenen, gesehn habe, den Heiligen, vollkommen Erwachten, will ich gehn.«

Da trat nun Sīho, ein Asketenlehrling, an den ehrwürdigen Nāgito heran, bot ehrerbietigen Gruß dar und stand beiseite. Beiseite stehend sprach dann Sīho der Asketenlehrling zum ehrwürdigen Nāgito also:

»Es sind, werter Kassapo182, gar viele priesterliche Sendboten aus Kosalo und aus Magadhā hierher gekommen um den Erhabenen zu sehn; und auch Oṭṭhaddho der Licchavier ist mit einem großen Gefolge von Licchaviern hierher gekommen um den Erhabenen zu sehn: gut wär' es, werter Kassapo, wenn diesen Leuten den Erhabenen zu sehn vergönnt würde183

»Wohlan denn, Sīho, magst du es eben dem Erhabenen melden.«

»Gern, o Herr!« sagte da Sīho der Asketenlehrling, dem ehrwürdigen Nāgito gehorchend. Dann begab er sich dorthin wo der Erhabene weilte, bot ehrerbietigen Gruß dar und stand beiseite. Beiseite stehend sprach nun Sīho der Asketenlehrling zum Erhabenen also:

»Es sind, o Herr, gar viele priesterliche Sendboten aus Kosalo und aus Magadhā hierher gekommen um den Erhabenen zu sehn; und auch Oṭṭhaddho der Licchavier ist mit einem großen Gefolge von Licchaviern hierher gekommen um den Erhabenen zu sehn: gut wär' es, o Herr, wenn diesen Leuten den Erhabenen zu sehn vergönnt würde.«

»Wohlan denn, Sīho, laß' vor der Klause an der Schattenseite Platz machen.«

»Ja, o Herr!« sagte da Sīho der Asketenlehrling, dem Erhabenen gehorchend, und er ließ vor der Klause an der Schattenseite Platz machen.

Alsbald nun trat der Erhabene aus der Klause hervor und nahm vor der Klause an der Schattenseite den dargebotenen Platz ein. Da schritten denn die priesterlichen Sendboten dort aus Kosalo und aus Magadhā vor den Erhabenen hin, begrüßten den Erhabenen höflich, wechselten freundliche, denkwürdige Worte und setzten sich beiseite nieder. Oṭṭhaddho aber der Licchavier schritt nun auch mit dem großen Gefolge von Licchaviern vor den Erhabenen hin, bot dem Erhabenen ehrerbietigen Gruß dar und nahm beiseite [106] Platz. Beiseite sitzend wandte sich nun Oṭṭhaddho der Licchavier an den Erhabenen und sagte:

»Die vergangenen Tage, o Herr, vor einiger Zeit, ist Sunakkhatto der junge Licchavier zu mir gekommen und hat also gesprochen: ›Seitdem ich da, Mahāli, beim Erhabenen eingetreten bin, nicht lange, drei Jahre184, kann ich zwar himmlische Erscheinungen wahrnehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: nicht aber vermag ich himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende.‹ Ob es nun wohl, o Herr, himmlische Töne gibt, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und Sunakkhatto der junge Licchavier nichts vernommen hat? Und nicht etwa weil es keine gibt?«

»Ob es wohl, Mahāli, himmlische Töne gibt, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, hat Sunakkhatto der junge Licchavier nichts vernommen: nicht weil es keine gibt.«

»Was ist nun, o Herr, der Grund, was ist die Ursach, daß eben, ob es wohl himmlische Töne gibt, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, Sunakkhatto der junge Licchavier nichts vernommen hat: nicht weil es keine gibt.«

»Da hat, Mahāli, ein Mönch nach Osten hin eine einhellig erzeugte Einigung errungen um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: nicht aber um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende. So kann er nach Osten hin, weil er einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nach Osten hin himmlische Erscheinungen wahrnehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber himmlische Töne vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: und warum nicht? Also verhält es sich eben, Mahāli, mit einem Mönche, der nach Osten hin einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende.

Weiter sodann, Mahāli, hat da ein Mönch nach Süden hin, nach Westen hin, nach Norden hin, nach oben und nach unten hin eine einhellig erzeugte Einigung errungen um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: nicht aber um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende. So kann er nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin, weil [107] er einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin himmlische Erscheinungen wahrnehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber himmlische Töne vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: und warum nicht? Also verhält es sich eben, Mahāli, mit einem Mönche, der nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende.

Da hat, Mahāli, ein Mönch nach Osten hin eine einhellig erzeugte Einigung errungen um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: nicht aber um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende. So kann er nach Osten hin, weil er einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nach Osten hin himmlische Töne vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber himmlische Erscheinungen wahrnehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: und warum nicht? Also verhält es sich eben, Mahāli, mit einem Mönche, der nach Osten hin einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende.

Weiter sodann, Mahāli, hat da ein Mönch nach Süden hin, nach Westen hin, nach Norden hin, nach oben und nach unten hin eine einhellig erzeugte Einigung errungen um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: nicht aber um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende. So kann er nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin, weil er einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin himmlische Töne vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber himmlische Erscheinungen wahrnehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: und warum nicht? [108] Also verhält es sich eben, Mahāli, mit einem Mönche, der nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin einhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nicht aber um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende.

Da hat, Mahāli, ein Mönch nach Osten hin eine doppelhellig erzeugte Einigung errungen um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende. So kann er nach Osten hin, weil er doppelhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nach Osten hin himmlische Erscheinungen wahrnehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und himmlische Töne vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: und warum das? Also verhält es sich eben, Mahāli, mit einem Mönche, der nach Osten hin doppelhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende.

Weiter sodann, Mahāli, hat da ein Mönch nach Süden hin, nach Westen hin, nach Norden hin, nach oben und nach unten hin eine doppelhellig erzeugte Einigung errungen um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende. So kann er nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin, weil er doppelhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin himmlische Erscheinungen wahrnehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und himmlische Töne vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende: und warum das? Also verhält es sich eben, Mahāli, mit einem Mönche, der nach Süden, Westen, Norden, nach oben und nach unten hin doppelhellig erzeugte Einigung geübt hat um himmlische Erscheinungen wahrzunehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, und um himmlische Töne zu vernehmen, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende185.

Das ist, Mahāli, der Grund, das ist die Ursach, daß eben, ob es wohl himmlische Töne gibt, holdselige, dem Begehren entsprechende, entzückende, [109] Sunakkhatto der junge Licchavier nichts vernommen hat: nicht weil es keine gibt.«

»So wird denn nun, o Herr, um solche Einigung erzeugen und verwirklichen zu können von den Mönchen beim Erhabenen das Asketenleben geführt?

Nicht wird, Mahāli, um solche Einigung erzeugen und verwirklichen zu können von den Mönchen bei mir das Asketenleben geführt. Es gibt, Mahāli, andere Dinge noch, die darüber hinausreichen und erlesener sind, um deren Verwirklichung willen die Mönche bei mir das Asketenleben führen.«

»Was sind das aber, o Herr, für Dinge, die darüber hinausreichen und erlesener sind, um deren Verwirklichung willen die Mönche beim Erhabenen das Asketenleben führen?«

»Da kann, Mahāli, ein Mönch nach Vernichtung der drei Fesseln zur Hörerschaft gelangen, dem Verderben entronnen zielbewußt der vollen Erwachung entgegeneilen. Das aber ist, Mahāli, ein Ding, das darüber hinausreicht und erlesener ist, um dessen Verwirklichung willen die Mönche bei mir das Asketenleben führen.

Weiter sodann, Mahāli, kann ein Mönch nach Vernichtung der drei Fesseln, von Gier, Haß und Irre erleichtert, fast schon geläutert, nur einmal wiederkehren, nur einmal noch zu dieser Welt gekommen dem Leiden ein Ende machen. Das aber ist, Mahāli, ein Ding, das darüber hinausreicht und erlesener ist, um dessen Verwirklichung willen die Mönche bei mir das Asketenleben führen.

Weiter sodann, Mahāli, kann ein Mönch nach Vernichtung der fünf niederzerrenden Fesseln emporsteigen um von dort aus zu erlöschen, nicht mehr zurückzukehren nach jener Welt. Das aber ist, Mahāli, ein Ding, das darüber hinausreicht und erlesener ist, um dessen Verwirklichung willen die Mönche bei mir das Asketenleben führen.

Weiter sodann, Mahāli, kann ein Mönch den Wahn versiegen lassen und die wahnlose Gemüterlösung, Weisheiterlösung noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen. Das aber ist, Mahāli, ein Ding, das darüber hinausreicht und erlesener ist, um dessen Verwirklichung willen die Mönche bei mir das Asketenleben führen. – Das sind, Mahāli, die Dinge, die darüber hinausreichen und erlesener sind, um deren Verwirklichung willen die Mönche bei mir das Asketenleben führen.«

»Gibt es nun186, o Herr, einen Weg, gibt es einen Pfad um jene Dinge verwirklichen zu können?«

»Es gibt, Mahāli, einen Weg, es gibt einen Pfad um jene Dinge verwirklichen zu können.«

»Was ist das aber, o Herr, für ein Weg, was ist das für ein Pfad, wo man jene Dinge verwirklichen kann?«

[110] »Eben dieser heilige achtfältige Weg ist es, und zwar: rechte Erkenntnis, rechte Gesinnung, rechte Rede, rechtes Handeln, rechtes Wandeln, rechtes Mühn, rechte Einsicht, rechte Einigung. Das ist, Mahāli, der Weg, das ist der Pfad, wo man jene Dinge verwirklichen kann. – Es war einmal, Mahāli, da bin ich bei Kosambī geweilt, in der Gartenstiftung. Da sind denn zwei Wanderer, Maṇḍiyo187 der Pilger und Jāliyo der Schüler des Dārupattiko, zu mir herangekommen, haben mich höflich begrüßt, freundliche, denkwürdige Worte mit mir gewechselt und sind dann beiseite gestanden. Beiseite stehend haben nun diese beiden Wanderer sich also an mich gewandt:

›Wie denn nun, Bruder Gotamo: ist Leben und Leib ein und dasselbe? Oder aber: ist anders das Leben und anders der Leib?‹

›Wohlan denn, ihr Brüder, so höret und achtet wohl auf meine Rede.‹

›Gern, Bruder!‹ sagten die beiden Wanderer dort aufmerksam zu mir. So begann ich denn also zu reden:

›Da erscheint, ihr Brüder, der Vollendete in der Welt, der Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene. Er zeigt diese Welt mit ihren Göttern, ihren bösen und heiligen Geistern, mit ihrer Schar von Priestern und Büßern, Göttern und Menschen, nachdem er sie selbst verstanden und durchdrungen hat. Er verkündet die Lehre, deren Anfang begütigt, deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt, die sinn- und wortgetreue, er legt das vollkommen geläuterte, geklärte Asketentum dar. – Diese Lehre hört ein Hausvater, oder der Sohn eines Hausvaters, oder einer, der in anderem Stande neugeboren ward. Nachdem er diese Lehre gehört hat, faßt er Vertrauen zum Vollendeten. Von diesem Vertrauen erfüllt denkt und überlegt er also: »Ein Gefängnis ist die Häuslichkeit, ein Schmutzwinkel; der freie Himmelsraum die Pilgerschaft. Nicht wohl geht es, wenn man im Hause bleibt, das völlig geläuterte, völlig geklärte Asketentum Punkt für Punkt zu erfüllen. Wie, wenn ich nun mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinauszöge?« So gibt er denn später einen kleinen Besitz oder einen großen Besitz auf, hat einen kleinen Verwandtenkreis oder einen großen Verwandtenkreis verlassen und ist mit geschorenem Haar und Barte, im fahlen Gewande von Hause fort in die Hauslosigkeit gezogen. – Also Pilger geworden bleibt er in reiner Zucht richtig gezügelt, lauter im Handel und Wandel: vor geringstem Fehl auf der Hut kämpft er beharrlich weiter, Schritt um Schritt; in Taten und Worten heilsam beflissen lebt er rein, ist tüchtig in Tugend, hütet die Tore der Sinne, gewappnet mit klarem Bewußtsein, zufrieden. – Treu der heiligen Tugendsatzung, treu der heiligen Sinnenzügelung, treu der heiligen klaren Einsicht, [111] treu der heiligen Zufriedenheit sucht er einen abgelegenen Ruheplatz auf, einen Hain, den Fuß eines Baumes, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Mahle, wenn er vom Almosengange zurückgekehrt ist, setzt er sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt der Einsicht. Er hat weltliche Begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemütes, von Begierde läutert er sein Herz. Gehässigkeit hat er verworfen, haßlosen Gemütes verweilt er, voll Liebe und Mitleid zu allen lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit. Matte Müde hat er verworfen, von matter Müde ist er frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewußt, läutert er sein Herz von matter Müde. Stolzen Unmut hat er verworfen, er ist frei von Stolz; innig beruhigten Gemütes läutert er sein Herz von stolzem Unmut. Das Schwanken hat er verworfen, der Ungewißheit ist er entronnen; er zweifelt nicht am Guten, vom Schwanken läutert er sein Herz. Während er so diese fünf Hemmungen in sich aufgehoben erkennt, wird er freudig bewegt. Freudig bewegt wird er heiter. Heiteren Herzens wird der Körper beschwichtigt. Körperbeschwichtigt fühlt er sich wohl. Sich wohl fühlend wird sein Geist einig. So gewinnt er, gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen, in sinnend gedenkender ruhegeborener seliger Heiterkeit, die Weihe der ersten Schauung. Wenn nun, ihr Brüder, ein Mönch solches weiß und solches sieht, geziemt es ihm dann etwa zu sagen: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«?‹

›Wenn da, Bruder, ein Mönch solches weiß und solches sieht, dann geziemt es ihm nicht etwa zu sagen: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«188.‹

›Ich nun aber, ihr Brüder, weiß da solches und sehe solches, und eben darum sage ich nicht: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«. – Weiter sodann, ihr Brüder: nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens erreicht der Mönch die innere Meeresstille, die Einheit des Gemütes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Einigung geborene selige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung. In heiterer Ruhe verweilt er sodann, ihr Brüder, gleichmütig, einsichtig, klar bewußt, ein Glück empfindet er im Körper, von dem die Heiligen sagen: »Der gleichmütig Einsichtige lebt beglückt«; so erwirkt er die Weihe der dritten Schauung. Nach Verwerfung der Freuden und Leiden, ihr Brüder, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkt dann ferner der Mönch die leidlose, freudlose, gleichmütig einsichtige vollkommene Reine, die Weihe der vierten Schauung. Wenn nun, ihr Brüder, ein Mönch solches weiß und solches sieht, geziemt es ihm dann etwa zu sagen: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«?‹

[112] ›Wenn da, Bruder, ein Mönch solches weiß und solches sieht, dann geziemt es ihm nicht etwa zu sagen: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«.‹

›Ich nun aber, ihr Brüder, weiß da solches und sehe solches, und eben darum sage ich nicht: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«. – Weiter sodann, ihr Brüder, kann der Mönch sich mancher verschiedenen früheren Daseinsform erinnern, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen; kann der Mönch die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehn, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, kann erkennen wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren; kann der Mönch mit der Wahnversiegung die wahnlose Gemüterlösung, Weisheiterlösung noch bei Lebzeiten sich offenbar machen, verwirklichen und erringen. »Im Erlösten ist die Erlösung«, diese Erkenntnis geht ihm auf, »Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt« versteht er da. Wenn nun, ihr Brüder, ein Mönch solches weiß und solches sieht, geziemt es ihm dann etwa zu sagen: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«?‹

›Wenn da, Bruder, ein Mönch solches weiß und solches sieht, dann geziemt es ihm nicht etwa zu sagen: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«.‹

›Ich nun aber, ihr Brüder, weiß da solches und sehe solches, und eben darum sage ich nicht: »Leben und Leib ist ein und dasselbe«, oder: »Anders ist das Leben und anders der Leib«.‹«


Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich Oṭṭhaddho der Licchavier über das Wort des Erhabenen.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 2, Zürich/Wien 31957, S. 104-113.
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