Fünfte Rede

Rang der Gebändigten

[926] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel der Eichhörnchen. Um diese Zeit aber lebte Aciravato, ein junger Asket, im Walde, in einer Hütte.

Da kam denn Jayaseno der Königsohn, auf einem Spaziergange sich ergehend, dorthin wo Aciravato der junge Asket weilte. Dorthin gekommen tauschte er höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit ihm und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend wandte sich nun Jayaseno der Königsohn also an Aciravato den jungen Asketen:

»Sagen lassen hab' ich mir, o Aggivessano, daß da ein Mönch, der ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilt, Einigung des Herzens finden mag.«

»Also ist es, Königsohn, also ist es, Königsohn, daß da ein Mönch, der ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilt, Einigung des Herzens finden mag.«

»Gut wär' es, wollte mir Herr Aggivessano die Lehre, wie sie von ihm gehört, von ihm aufgefaßt worden, darlegen.«

»Nicht kann ich dir, Königsohn, die Lehre, wie sie von mir gehört, von mir aufgefaßt worden, darlegen. Denn wollt' ich dir gleich, Königsohn, die Lehre, wie sie von mir gehört, von mir aufgefaßt worden, darlegen, und du den Sinn meiner Rede nicht verständest, hätt' ich nur Mühe, hätte nur Plage.«

[926] »Möge mir Herr Aggivessano die Lehre, wie sie von ihm gehört, von ihm aufgefaßt worden, darlegen, auf daß ich doch etwa den Sinn seiner Rede verstehn könnte.«

»Mag ich dir nun, Königsohn, die Lehre, wie sie von mir gehört, von mir aufgefaßt worden, darlegen, und du kannst da den Sinn meiner Rede verstehn, so soll es recht sein; kannst du aber den Sinn meiner Rede nicht verstehn, so magst du deinen Glauben behalten und mich darum nicht weiter befragen.«

»Möge mir Herr Aggivessano die Lehre, wie sie von ihm gehört, von ihm aufgefaßt worden, darlegen: und kann ich da den Sinn seiner Rede verstehn, so soll es recht sein; kann ich aber den Sinn seiner Rede nicht verstehn, so werd' ich meinen Glauben behalten und Herrn Aggivessano darum nicht weiter befragen.«

Da gab denn Aciravato der junge Asket dem Königsohne Jayaseno eine Darlegung der Lehre, wie er sie gehört, wie er sie aufgefaßt hatte. Also berichtet sagte nun Jayaseno der Königsohn zu Aciravato dem jungen Asketen:

»Unmöglich ist es, o Aggivessano, es kann nicht sein, daß da ein Mönch, der ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilt, Einigung des Herzens finden mag.«

Als nun Jayaseno der Königsohn Aciravato dem jungen Asketen Unmöglichkeit vorgehalten, stand er von seinem Sitze auf und ging weiter. Aciravato aber, der junge Asket, begab sich, bald nachdem Jayaseno der Königsohn fortgegangen, dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend erzählte da Aciravato der junge Asket dem Erhabenen Wort um Wort das ganze Gespräch, das er mit Jayaseno dem Königsohne geführt hatte. Nach diesem Berichte wandte sich nun der Erhabene also an Aciravato den jungen Asketen:

»Woher denn, Aggivessano, sollt' es möglich sein, daß was durch Entsagung erkennbar, durch Entsagung ersehbar, durch Entsagung erreichbar, durch Entsagung erwirkbar ist, etwa auch von Jayaseno dem Königsohne, der mitten in Begehren lebt, Begehren genießt, von begehrlichen Gedanken verzehrt wird, von begehrlichem Fieber entzündet ist, eifrig dem Begehren nachgeht, erkannt oder ersehn oder erreicht oder verwirklicht werden könnte? Das ist unmöglich450. Gleichwie etwa, Aggivessano, wenn da zwei junge Elefanten oder junge Rosse oder junge Stiere wären, wohlgebändigt, wohlabgerichtet, und zwei junge Elefanten oder junge Rosse oder junge Stiere, ungebändigt, unabgerichtet; was meinst du nun, Aggivessano: jene beiden jungen Elefanten oder jungen Rosse oder jungen Stiere, die wohlgebändigten, wohlabgerichteten, würden die wohl als gebändigte tun was Gebändigten zukommt, als gebändigte den Rang der Gebändigten einnehmen?«

[927] »Gewiß, o Herr!«

»Aber die beiden anderen jungen Elefanten oder jungen Rosse oder jungen Stiere, die ungebändigten, unabgerichteten, würden die wohl als ungebändigte tun was Gebändigten zukommt, als ungebändigte den Rang der Gebändigten einnehmen, gleichwie etwa jene ersteren?«

»Gewiß nicht, o Herr!«

»Ebenso nun auch, Aggivessano, daß was durch Entsagung erkennbar, durch Entsagung ersehbar, durch Entsagung erreichbar, durch Entsagung erwirkbar ist, etwa auch von Jayaseno dem Königsohne, der mitten in Begehren lebt, Begehren genießt, von begehrlichen Gedanken verzehrt wird, von begehrlichem Fieber entzündet ist, eifrig dem Begehren nachgeht, erkannt oder ersehn oder erreicht oder verwirklicht werden könnte: das ist unmöglich. – Gleichwie etwa, Aggivessano, wenn da in der Nähe eines Dorfes oder einer Burg ein hoher Felsen stände. Zu diesem gingen zwei Freunde, aus dem Dorfe oder der Burg Arm in Arm hinschreitend, heran, dem Felsen entgegen. Dort angelangt bliebe der eine der Freunde unten, am Fuße des Felsens, stehn, während der andere auf den Scheitel des Felsens emporstiege. Und es riefe der Freund unten, am Fuße des Felsens, dem Freunde zu, der auf den Scheitel des Felsens gestiegen: ›Was denn, Bester, siehst du oben vom Felsen aus?‹ Der aber sagte: ›Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel.‹ Und jener spräche: ›Unmöglich ist es, Bester, es kann nicht sein, daß du oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel sähest.‹ Da stiege der Freund oben vom Scheitel herab bis zum Fuße, ergriffe den Freund unterm Arme, führte ihn auf den Felsen empor, und nachdem er ihn eine Weile ausruhen lassen, fragte er ihn: ›Was denn, Bester, siehst du oben vom Felsen aus?‹ Und jener spräche: ›Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel.‹ Der aber sagte: ›Eben erst haben wir, Bester, deine Rede also vernommen: »Unmöglich ist es, Bester, es kann nicht sein, daß du oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel sähest«; und jetzt eben wiederum, Bester, haben wir deine Rede also vernommen: »Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel.«‹ Und jener spräche: ›So lange ja mich eben, Bester, dieser hohe Felsen gehindert hat, hab' ich das Sichtbare nicht gesehn.‹ Ebenso nun auch, aber noch mächtiger, hat, Aggivessano, gewaltiges Unwissen Jayaseno den Königsohn gehindert, gehemmt, angehalten, eingeschlossen. Daß der etwa da was durch Entsagung erkennbar, durch Entsagung [928] ersehbar, durch Entsagung erreichbar, durch Entsagung erwirkbar ist, auch mitten in Begehren lebend, Begehren genießend, von begehrlichen Gedanken verzehrt, von begehrlichem Fieber entzündet, eifrig dem Begehren nachgehend, erkennen oder ersehn oder erreichen oder verwirklichen könnte: das ist unmöglich. Hättest du aber, Aggivessano, diese beiden Gleichnisse Jayaseno dem Königsohne dargestellt, ohne Zweifel wäre dann Jayaseno der Königsohn mit dir zufrieden geworden und hätte zufrieden dir zugestimmt.«

»Wie doch nur hätt' ich, o Herr, Jayaseno dem Königsohne diese beiden Gleichnisse darzustellen vermocht, die unzweifelhaften, nie zuvor gehörten, gleichwie etwa der Erhabene!«


»Gleichwie etwa, Aggivessano, wenn der König, der Herrscher, dessen Scheitel gesalbt ist, den Elefantensteller zu sich beruft: ›Wohlan denn, bester Elefantensteller, besteige den Königselefanten, reite in den Elefantenwald, erspähe einen wilden Elefanten und halt' ihn mit der Fessel am Halse des Königselefanten fest.‹ ›Wohl, o König!‹ sagt da, Aggivessano, der Elefantensteller, dem Herrscher gehorchend; und er besteigt den Königselefanten, reitet in den Elefantenwald, erspäht einen wilden Elefanten und hält ihn mit der Fessel am Halse des Königselefanten fest. So nun zieht ihn der Königselefant in eine Lichtung heraus. Bis dahin aber ist, Aggivessano, der wilde Elefant in die Lichtung gekommen. Da verlangen sich denn, Aggivessano, wilde Elefanten nach ihrem Walde zurück. Und der Elefantensteller erstattet dem Herrscher Meldung über ihn: ›In die Lichtung gebracht hab' ich dir, o König, den wilden Elefanten.‹ Den übergibt nun der Herrscher dem Elefantenbändiger: ›Geh' hin, bester Elefantenbändiger, und bändige den wilden Elefanten, um ihm sein waldgewohntes Betragen eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Widerspenstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben; laß' ihn in der Umgebung des Dorfes heimisch werden, Sitten annehmen, wie sie bei Menschen beliebt sind.‹ ›Wohl, o König!‹ sagt da, Aggivessano, der Elefantenbändiger, dem Herrscher gehorchend; und er gräbt einen großen Pfahl in die Erde ein und fesselt den wilden Elefanten mit dem Halse daran, um ihm sein waldgewohntes Betragen eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Widerspenstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben; er läßt ihn in der Umgebung des Dorfes heimisch werden, Sitten annehmen, wie sie bei Menschen beliebt sind. Nun gebraucht der Elefantenbändiger Worte, die sanft sind, wohlklingend, liebevoll, herzlich, höflich, wie sie dem Volke zusagen, dem Volke behagen: mit solchen Worten behandelte er ihn. Sobald nun, Aggivessano, [929] der wilde Elefant bei solcher Behandlung aufhorcht, Gehör gibt, sein Herz dem Verständnisse zukehrt, dann läßt ihm der Elefantenbändiger nunmehr Heu und Wasser vorsetzen. Und wenn nun, Aggivessano, der wilde Elefant Heu und Wasser annimmt, so weiß der Elefantenbändiger: ›Am Leben bleiben wird jetzt der wilde Elefant.‹ Nun läßt ihn der Elefantenbändiger fernerhin Übungen ausführen, als Aufladen und Abladen. Sobald nun, Aggivessano, der wilde Elefant dem Befehle aufzuladen und abzuladen nachkommt, der Forderung Genüge leistet, dann läßt ihn der Elefantenbändiger fernerhin Übungen ausführen, als Hinschreiten und Herschreiten. Sobald nun, Aggivessano, der wilde Elefant dem Befehle hinzuschreiten und herzuschreiten nachkommt, der Forderung Genüge leistet, dann läßt ihn der Elefantenbändiger weitere Übungen ausführen, als Niederknien und Aufstehn. Sobald nun, Aggivessano, der wilde Elefant dem Befehle niederzuknien und aufzustehn nachkommt, der Forderung Genüge leistet, dann läßt ihn der Elefantenbändiger weiterhin die ›Unverstörung‹ genannte Übung durchmachen. Ein großer Schild wird ihm vor den Rüssel gebunden, ein Mann mit einer Lanze bewaffnet nimmt oben auf dem Nacken Platz, allenthalben sind Männer mit Lanzen in der Hand im Umkreise aufgestellt, und der Elefantenbändiger hat einen langen Speer genommen und steht voran. Während ihm nun Unverstörte Übung angewöhnt wird, darf er weder die Vorderfüße bewegen noch die Hinterfüße, darf er weder den Vorderleib bewegen noch den Hinterleib, darf er nicht das Haupt bewegen, nicht die Ohren bewegen, nicht die Hauer bewegen, nicht Schwanz und nicht Rüssel bewegen. So wird er ein Königselefant und erträgt geduldig stechende Spitzen, schneidende Schwerter, reißende Pfeile, feindlichen Ansturm, Trommelwirbel und Paukenschlag, Trompeten- und Fanfarenstöße, ist gänzlich von Tücke und Untugend entledigt, entwöhnt worden von Unart: königswürdig, königstauglich wird er eben als ›Königsgut‹ bezeichnet:

»Ebenso nun auch, Aggivessano, erscheint da der Vollendete in der Welt, der Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene. Er zeigt diese Welt mit ihren Göttern, ihren bösen und heiligen Geistern, mit ihrer Schar von Priestern und Büßern, Göttern und Menschen, nachdem er sie selbst verstanden und durchdrungen hat. Er verkündet die Lehre, deren Anfang begütigt, deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt, die sinn- und wortgetreue, er legt das vollkommen geläuterte, geklärte Asketentum dar. Diese Lehre hört ein Hausvater, oder der Sohn eines Hausvaters, oder einer, der in anderem Stande neugeboren ward. Nachdem er diese Lehre gehört hat, faßt er Vertrauen zum Vollendeten. Von diesem Vertrauen erfüllt denkt und [930] überlegt er also: ›Ein Gefängnis ist die Häuslichkeit, ein Schmutzwinkel; der freie Himmelsraum die Pilgerschaft. Nicht wohl geht es, wenn man im Hause bleibt, das völlig geläuterte, völlig geklärte Asketentum Punkt für Punkt zu erfüllen. Wie, wenn ich nun, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewände bekleidet, aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinauszöge?‹ Und nach einiger Zeit verläßt er einen kleinen Besitz oder er verläßt einen großen Besitz, verläßt er einen kleinen Verwandtenkreis oder er verläßt einen großen Verwandtenkreis, schert sich Haar und Bart, legt die fahlen Gewänder an und zieht aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinaus. Bis dahin aber ist, Aggivessano, der heilige Jünger in die Lichtung gekommen.

Da verlangen sich denn, Aggivessano, eben Menschen nach den fünf Begehrungen zurück.

Den weist nun der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, sei tugendhaft, in reiner Zucht richtig gezügelt bleibe lauter im Handel und Wandel: vor geringstem Fehl auf der Hut kämpfe beharrlich weiter, Schritt um Schritt.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch tugendhaft ist, in reiner Zucht richtig gezügelt lauter im Handel und Wandel bleibt, vor geringstem Fehl auf der Hut beharrlich weiterkämpft, Schritt um Schritt, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, die Tore der Sinne lasse dich hüten: hast du mit dem Gesichte eine Form erblickt, so magst du keine Neigung fassen, keine Absicht fassen; da Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gesichtes verweilt, befleißige dich dieser Bewachung, hüte das Gesicht, wache eifrig über das Gesicht. Hast du mit dem Gehöre einen Ton gehört – hast du mit dem Geruche einen Duft gerochen – hast du mit dem Geschmacke einen Saft geschmeckt – hast du mit dem Getaste eine Tastung getastet – hast du mit dem Gedenken ein Ding erkannt, so magst du keine Neigung fassen, keine Absicht fassen; da Begierde und Mißmut, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gedenkens verweilt, befleißige dich dieser Bewachung, hüte das Gedenken, wache eifrig über das Gedenken.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch die Tore der Sinne behütet hält, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, beim Essen wisse Maß zu halten, gründlich besonnen wolle die Nahrung einnehmen, nicht etwa zur Letzung und Ergetzung, nicht zur Schmuckheit und Zier, sondern nur um diesen Körper zu erhalten, zu fristen, um Schaden zu verhüten, um ein heiliges Leben führen zu können: »So werd' ich das frühere Gefühl abtöten und ein neues Gefühl nicht aufkommen lassen, und ich werde ein Fortkommen haben, ohne Tadel bestehn, mich wohl befinden.«‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch beim Essen Maß zu halten weiß, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, der Wachsamkeit [931] weihe dich: bei Tage sollst du gehend und sitzend das Gemüt von trübenden Dingen läutern; in den ersten Stunden der Nacht gehend und sitzend das Gemüt von trübenden Dingen läutern; in den mittleren Stunden der Nacht magst du auf die rechte Seite wie der Löwe dich hinlegen, einen Fuß über dem anderen, gesammelten Sinnes, der Zeit des Aufstehns gedenkend; sollst in den letzten Stunden der Nacht, wieder aufgestanden, gehend und sitzend das Gemüt von trübenden Dingen läutern.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch sich der Wachsamkeit geweiht hat, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, mit klarem Bewußtsein wolle dich wappnen: klar bewußt beim Kommen und Gehn, klar bewußt beim Hinblicken und Wegblicken, klar bewußt beim Neigen und Erheben, klar bewußt beim Tragen des Gewandes und der Almosenschale des Ordens, klar bewußt beim Essen und Trinken, Kauen und Schmecken, klar bewußt beim Entleeren von Kot und Harn, klar bewußt beim Gehn und Stehn und Sitzen, beim Einschlafen und Erwachen, beim Sprechen und Schweigen.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch sich mit klarem Bewußtsein gewappnet hat, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, suche einen abgelegenen Ruheplatz auf, den Fuß eines Baumes, einen Hain, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene.‹ Und er sucht einen abgelegenen Ruheplatz auf, einen Hain, den Fuß eines Baumes, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Mahle, wenn er vom Almosengange zurückgekehrt ist, setzt er sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt der Einsicht. Er hat weltliche Begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemütes, von Begierde läutert er sein Herz. Gehässigkeit hat er verworfen, haßlosen Gemütes verweilt er, voll Liebe und Mitleid zu allen lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit. Matte Müde hat er verworfen, von matter Müde ist er frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewußt, läutert er sein Herz von matter Müde. Stolzen Unmut hat er verworfen, er ist frei von Stolz; innig beruhigten Gemütes läutert er sein Herz von stolzem Unmut. Das Schwanken hat er verworfen, der Ungewißheit ist er entronnen; er zweifelt nicht am Guten, vom Schwanken läutert er sein Herz. Er hat nun diese fünf Hemmungen aufgehoben, hat die Schlacken des Gemütes kennengelernt, die lähmenden: beim Körper wacht er über den Körper, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns; bei den Gefühlen wacht er über die Gefühle, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns; beim Gemüte wacht er über das Gemüt, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns; bei den Erscheinungen [932] wacht er über die Erscheinungen, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns.

Gleichwie nun, Aggivessano, der Elefantenbändiger einen großen Pfahl in die Erde eingräbt und den wilden Elefanten mit dem Halse daranfesselt, um ihm sein waldgewohntes Betragen eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Widerspenstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben, und ihn in der Umgebung des Dorfes heimisch werden läßt, Sitten annehmen, wie sie bei Menschen beliebt sind: ebenso nun auch, Aggivessano, hat der heilige Jünger seinen Geist an diese vier Pfeiler der Einsicht gleichsam festgebunden, um sich das hausgewohnte Betragen eben auszutreiben, um sich die hausgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um sich die hausgewohnte Widerspenstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben, um das Echte zu gewinnen, die Wahnerlöschung zu verwirklichen.

Den weist nun der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, beim Körper wache über den Körper, auf daß du keinen Gedanken, der den Körper angeht, in dir bergen magst; bei den Gefühlen wache über die Gefühle, auf daß du keinen Gedanken, der die Gefühle angeht, in dir bergen magst; beim Gemüte wache über das Gemüt, auf daß du keinen Gedanken, der das Gemüt angeht, in dir bergen magst; bei den Erscheinungen wache über die Erscheinungen, auf daß du keinen Gedanken, der die Erscheinungen angeht, in dir bergen magst.‹ So erwirkt er denn nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens die innere Meeresstille, die Einheit des Gemütes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Einigung geborene selige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung. In heiterer Ruhe verweilt er gleichmütig, einsichtig, klar bewußt, ein Glück empfindet er im Körper, von dem die Heiligen sagen: ›Der gleichmütig Einsichtige lebt beglückt‹; so erwirkt er die Weihe der dritten Schauung. Nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkt er die Weihe der leidlosen, freudlosen, gleichmütig einsichtigen vollkommenen Reine, die vierte Schauung.

Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet er das Gemüt auf die erinnernde Erkenntnis früherer Daseinsformen. Er erinnert sich an manche verschiedene frühere Daseinsform, als wie an ein Leben, dann an zwei Leben, und so weiter, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen.

Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet er das Gemüt auf die Erkenntnis des Verschwindens-Erscheinens der Wesen. Mit dem himmlischen [933] Auge, dem geläuterten, über menschliche Grenzen hinausreichenden, kann er die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehn, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, er kann erkennen wie die Wesen je nach den Taten wiederkehren.

Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet er das Gemüt auf die Erkenntnis der Wahnversiegung. ›Das ist das Leiden‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Leidensentwicklung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Leidensauflösung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist der zur Leidensauflösung führende Pfad‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist der Wahn‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Wahnentwicklung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Wahnauflösung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist der zur Wahnauflösung führende Pfad‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. Also erkennend, also sehend wird da sein Gemüt erlöst vom Wunscheswahn, erlöst vom Daseinswahn, erlöst vom Nichtwissenswahn. ›Im Erlösten ist die Erlösung‹, diese Erkenntnis geht auf. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteht er da.

Das ist ein Mönch, der erträgt Kälte und Hitze, Hunger und Durst, Wind und Wetter, Mücken und Wespen und plagende Kriechtiere, boshafte, böswillige Redeweisen, körperliche Schmerzgefühle, die ihn treffen, heftige, schneidende, stechende, unangenehme, leidige, lebensgefährliche dauert er duldend aus, ist gänzlich von Gier, Haß und Irre entledigt, entwöhnt worden von Unart: Opfer und Spende, Gabe und Gruß verdient er als heiligste Stätte der Welt.


Ist ein alter Königselefant, Aggivessano, ungebändigt, unabgerichtet gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der alte Königselefant, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein junger Königselefant, Aggivessano, ungebändigt, unabgerichtet gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der junge Königselefant, ist gestorben, heißt es da:

Ebenso nun auch, Aggivessano, ist ein alter Mönch unversiegten Wahnes gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der alte Mönch, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein neuer Mönch, Aggivessano, unversiegten Wahnes gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der neue Mönch, ist gestorben, heißt es da.

Ist ein alter Königselefant, Aggivessano, wohlgebändigt, wohlabgerichtet gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der alte Königselefant, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein junger Königselefant, Aggivessano, wohlgebändigt, wohlabgerichtet, gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der junge Königselefant, ist gestorben, heißt es da:[934] Ebenso nun auch, Aggivessano, ist ein alter Mönch versiegten Wahnes gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der alte Mönch, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein neuer Mönch, Aggivessano, versiegten Wahnes gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der neue Mönch, ist gestorben, heißt es da.«


Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich Aciravato der junge Asket über das Wort des Erhabenen451.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 926-935.
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