Zwölfte Rede

Lautere Spende

[1036] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene im Lande der Sakker, bei Kapilavatthu, im Park der Feigenbäume.

Da begab sich denn Mahāpajāpatī die Gotamidin mit einem neuen Stücke Tuches zum Erhabenen hin, bot ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach nun Mahāpajāpatī die Gotamidin also zum Erhabenen:

[1036] »Dieses neue Stück Tuch, o Herr, hab' ich für den Erhabenen selbst gesponnen, selbst gewebt: das möge, o Herr, der Erhabene von mir annehmen, aus Mitleid zu mir.«

Auf diese Bitte sprach der Erhabene Mahāpajāpatī der Gotamidin also zu:

»Der Jüngerschaft gib es, Gotamī; gibst du's der Jüngerschaft, wirst du mich verehrt haben und die Jüngerschaft.«

Und ein zweites Mal, und ein drittes Mal bat Mahāpajāpatī die Gotamidin den Erhabenen:

»Dieses neue Stück Tuch, o Herr, hab' ich für den Erhabenen selbst gesponnen, selbst gewebt: das möge, o Herr, der Erhabene von mir annehmen, aus Mitleid zu mir.«

Und ein zweites Mal, und ein drittes Mal sprach der Erhabene Mahāpajāpatī der Gotamidin also zu:

»Der Jüngerschaft gib es, Gotamī; gibst du's der Jüngerschaft, wirst du mich verehrt haben und die Jüngerschaft.«

Da wandte sich der ehrwürdige Ānando, auf diesen Bescheid hin, also an den Erhabenen:

»Annehmen möge, o Herr, der Erhabene Mahāpajāpatī der Gotamidin ihr neues Stück Tuch: viel getan, o Herr, hat Mahāpajāpatī die Gotamidin für den Erhabenen, hat als Muhme Nahrung, Speise, Milch dargeboten, den Erhabenen, da die Mutter gestorben war, an ihrer Brust aufgesäugt. Und auch der Erhabene, o Herr, hat viel getan für Mahāpajāpatī die Gotamidin: zum Erhabenen, o Herr, gekommen, hat Mahāpajāpatī die Gotamidin beim Erwachten Zuflucht gefunden, bei der Lehre Zuflucht gefunden, bei der Jüngerschaft Zuflucht gefunden; zum Erhabenen, o Herr, gekommen, hat Mahāpajāpatī die Gotamidin Lebendiges umbringen meiden gelernt, Nichtgegebenes nehmen meiden gelernt, Ausschweifung meiden gelernt, Lüge meiden gelernt, berauschende und berückende Getränke, betäubende und betörende Mittel meiden gelernt; zum Erhabenen, o Herr, gekommen, hat Mahāpajāpatī die Gotamidin ihre Liebe zum Erwachten erprobt, ihre Liebe zur Lehre erprobt, ihre Liebe zu den Jüngern erprobt, hat Eigenschaften erworben, wie sie Heiligen lieb sind; zum Erhabenen, o Herr, gekommen, hat Mahāpajāpatī die Gotamidin den Zweifel am Leiden verloren, den Zweifel an der Leidensentwicklung verloren, den Zweifel an der Leidensauflösung verloren, den Zweifel am Pfade verloren, der zur Leidensauflösung führt: auch der Erhabene, o Herr, hat viel getan für Mahāpajāpatī die Gotamidin.«

»So ist es, Ānando, so ist es, Ānando. Denn hat man, Ānando, einander begegnet und beim Erwachten Zuflucht gefunden, bei der Lehre Zuflucht gefunden, bei der Jüngerschaft Zuflucht gefunden, so kann man, sag' ich, Ānando, einander schwerlich genugtun, indem man da höflichen Gruß entbietet, [1037] geziemende Achtung erweist, Kleidung, Nahrung, Obdach und Arzenei für den Fall einer Krankheit darreicht. Denn hat man, Ānando, einander begegnet und Lebendiges umbringen meiden gelernt, Nichtgegebenes nehmen meiden gelernt, Ausschweifung meiden gelernt, Lüge meiden gelernt, berauschende und berückende Getränke, betäubende und betörende Mittel meiden gelernt, so kann man, sag' ich, Ānando, einander schwerlich genugtun, indem man da höflichen Gruß entbietet, geziemende Achtung erweist, Kleidung, Nahrung, Obdach und Arzenei für den Fall einer Krankheit darreicht. Denn hat man, Ānando, einander begegnet und seine Liebe zum Erwachten erprobt, seine Liebe zur Lehre erprobt, seine Liebe zu den Jüngern erprobt, Eigenschaften erworben, wie sie Heiligen lieb sind, so kann man, sag' ich, Ānando, einander schwerlich genugtun, indem man da höflichen Gruß entbietet, geziemende Achtung erweist, Kleidung, Nahrung, Obdach und Arzenei für den Fall einer Krankheit darreicht. Denn hat man, Ānando, einander begegnet und den Zweifel am Leiden verloren, den Zweifel an der Leidensentwicklung verloren, den Zweifel an der Leidensauflösung verloren, den Zweifel am Pfade verloren, der zur Leidensauflösung führt, so kann man, sag' ich, Ānando, einander schwerlich genugtun, indem man da höflichen Gruß entbietet, geziemende Achtung erweist, Kleidung, Nahrung, Obdach und Arzenei für den Fall einer Krankheit darreicht520.


Vier Arten, Ānando, von Lauterkeit gibt es da bei Spenden: und welche vier? Es gibt, Ānando, eine Spende, wobei der Geber geläutert wird, nicht der Empfänger. Es gibt, Ānando, eine Spende, wobei der Empfänger geläutert wird, nicht der Geber. Es gibt, Ānando, eine Spende, wobei nicht der Geber geläutert wird und nicht der Empfänger. Es gibt, Ānando, eine Spende, wobei der Geber geläutert wird und der Empfänger.

Wie aber wird, Ānando, bei einer Spende der Geber geläutert, nicht der Empfänger? Da ist, Ānan do, der Geber sittenrein, edelgeartet, und die Empfänger sind sittenlos, übelgeartet: so wird, Ānando, bei einer Spende der Geber geläutert, nicht der Empfänger. Wie aber wird, Ānando, bei einer Spende der Empfänger geläutert, nicht der Geber? Da ist, Ānando, der Geber sittenlos, übelgeartet, und die Empfänger sind sittenrein, edelgeartet: so wird, Ānando, bei einer Spende der Empfänger geläutert, nicht der Geber. Wie aber wird, Ānando, bei einer Spende nicht der Geber geläutert und nicht der Empfänger? Da ist, Ānando, der Geber sittenlos, übelgeartet, und die Empfänger sind sittenlos, übelgeartet: so wird, Ānando, bei einer Spende nicht der Geber geläutert und nicht der Empfänger. Wie aber wird, Ānando, bei einer Spende der Geber geläutert und der Empfänger? Da ist, Ānando, der Geber sittenrein, edelgeartet, und die Empfänger sind sittenrein, edelgeartet: [1038] so wird, Ānando, bei einer Spende der Geber geläutert und der Empfänger. Das sind, Ānando, bei Spenden vier Arten von Lauterkeit.«


Also sprach der Erhabene. Als der Willkommene das gesagt hatte, sprach fernerhin also der Meister:


»Wer sittenrein an Sittenlose hingibt

Als Gabe recht erworben Gut, im Herzen heiter,

Wohl eingedenk hilfreicher Taten Reife:

Bei solcher Spende mag der Geber lauter sein.


Wer sittenlos an Sittenreine hingibt

Unrecht erworben Gut als Gabe, herzverdrossen,

Uneingedenk hilfreicher Taten Reife:

Bei solcher Spende mag wer sie empfangen lauter sein.


Wer sittenlos an Sittenlose hingibt

Unrecht erworben Gut als Gabe, herzverdrossen,

Uneingedenk hilfreicher Taten Reife:

Nicht solche Spende, sag' ich, heißt man reifereich.


Wer sittenrein an Sittenreine hingibt

Als Gabe recht erworben Gut, im Herzen heiter,

Wohl eingedenk hilfreicher Taten Reife:

Ja, solche Spende, sag' ich, heißt man reifereich.


Wer heil von Süchten Suchtgeheilten hingibt

Als Gabe recht erworben Gut, im Herzen heiter,

Wohl eingedenk hilfreicher Taten Reife:

Der Notdurftgaben ist es beste Gabe.«


Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 1036-1039.
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