Siebentes Bruchstück

Priestergerecht

[69] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde1, im Garten Anāthapiṇḍikos.

Da nun begaben sich gar manche kosalische Priester, hochangesehne Leute, alt und greis, hochbetagt, dem Ende nahe, ausgelebt, zum Erhabenen hin. Dort angelangt wechselten sie höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit dem Erhabenen und setzten sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend wandten sich nun jene hochangesehnen Priesterleute also an den Erhabenen:

»Finden sich wohl, o Gotamo, heute noch Priester nach der Priester der Vorzeit priesterlicher Satzung?«

»Nein, ihr Priester, es finden sich heute keine Priester mehr nach der Priester der Vorzeit priesterlicher Satzung.«

»Gut wär' es, wollte uns Herr Gotamo der Priester der Vorzeit priesterliche Satzung aufweisen, wenn es Herrn Gotamo nicht ungelegen.«

»Wohlan denn, ihr Priester, so höret und achtet wohl auf meine Rede.«

»Gewiß, Herr!« sagten da die Leute, jene hochangesehnen Priester, aufmerksam zum Erhabenen. Der Erhabene sprach also:


284

Es hat gegeben Seher einst,

In sich geborgen, bußereich:

Fünf Sinngebieten fern entrückt

Ihr eigen Heil erfanden sie.


285

Nicht Herden hieß der Priester sein,

Nicht Goldesgabe, Hab' und Gut:

Er war an reicher Andacht reich,

Zu hüten heilig seinen Hort.


[70] 286

Was denen dargeboten ward,

Imbiß, am Tore ausgeteilt,

Ergeben ihnen dargebracht:

›Almosenbrauch‹, so meinten sie.


287

Gar manchen Mantel, manchen Rock,

Und Lager, Obdach bot man an

Wo rings das Land in Blüte lag:

So gab man Priestern gern den Preis.


288

Die Priester, unverbrüchlich einst,

Unüberwindlich, echt bewährt,

Man mochte weisen keinen ab,

Der vor dem Haus am Tore stand.


289

Der Jahre achtundvierzig durch

Als keusche Jünger dienten sie

Um Wandeltum und Wissenschaft:

Es war der Priester früher Brauch.


290

Sie wohnten keiner andern bei,

Noch kauften sie die Frau um Geld:

Aus Liebe einzig beigesellt

Beisammen lebten sie beglückt.


291

Nicht anders als zu rechter Frist,

Enthaltsam wann die Regel währt,

Und wieder bis zur nächsten Zeit

Entbehrten ihrer Buhlen sie.


292

Asketentum und eigne Zucht,

Beharrlich zart erzognes Herz,

Genugsam, nie zu Harm geneigt,

Geduldig sein: das priesen sie.


[71] 293

Der beste jener Priesterschar,

Ein Büßer, kühn im Kampf erprobt,

Er hatte Paarung nie begehrt,

Ertrachtet auch im Traume nicht.


294

Auf seiner Spur ihm nachgefolgt

War mancher, mit Vernunft begabt;

Asketentum und eigne Zucht,

Geduldig sein: das priesen sie.


295

Gekochten Reis, Obdach, ein Kleid

Und Butteröl erbaten sie,

Gerecht erworben dargereicht;

Bereitet ward ein Opfer dann,

Ein Opfer wo man am Altar

Nie doch der Rinder Blut vergoß.


296

›Wie Eltern, wie der Brüder Schar,

Wie unsrer eignen Sippe Volk,

Sind beste Freunde Rinder uns,

Bei denen Gras und Kraut gedeiht.


297

Sie geben Speise, geben Kraft,

Verleihen Wohlsein, Reichtum bald‹:

Nur billig deucht' es ihren Sinn

Nie doch zu opfern Rinder auf.


298

Den Knaben nahm man wahr, den Greis,

Voll Anmut erst, dann reich an Ruhm,

Als Priester wirken eignes Werk,

Im Tun und Lassen tapfer stehn:

So lang im Leben die geweilt,

Erfahren glücklich war das Volk.


[72] 299

Da brach Verderb allmählich ein,

Verzärtelt ward man überzart:

Man sah des Hofes Prunk und Pracht,

Die Weiber sah man ausgeschmückt,


300

Die Wagen edelroßbespannt,

Die Decken kostbar, bunt gewebt,

Gebäude dann und Bauten viel,

Geräumig, reichlich aufgeführt.


301

Nach Rinderherden, Landbesitz,

Nach schönster Frauen Scharenkreis,

Was Menschenmacht genießen mag,

Dem sannen nun auch Priester nach.


302

Sie fügten Spruch für Spruch zurecht,

Sie traten vor Okkākos Thron:

›Bist reich mit reichem Gut begabt,

Sollst opfern, groß ist dein Besitz,

Sollst opfern, dein Gewinn ist groß!‹


303

Der König, also angefleht

Von Priestern, er, der Kriegerfürst,

Das Jubeljahr für Roß und Mann,

Den Feierschmaus, er setzt' ihn ein,

Und unverzagten Siegestrunk:

So bracht' er diese Opfer dar,

Gab an die Priester Habe hin.


304

Viehherden gab er, Haus und Wams,

Er schmückte Weiber für sie aus,

Die Wagen, edelroßbespannt,

Die Decken kostbar, bunt gewebt,


[73] 305

Gebäude, wo man wohlig wohnt,

Geräumig gar und reich erbaut,

Mit Kammern vielen Kornes voll:

Als Priesterhabe gab er's hin.


306

Doch jene, so mit Gut begabt,

Sie häuften Schatz auf Schätze gern,

Von Habsucht immer angehetzt

Erwuchs nur heftig neuer Durst:

Sie fügten Spruch für Spruch zurecht,

Sie traten wieder vor den Thron:


307

›Dem Wasser gleich, der Erde gleich,

Wie Gold und reichste Gabengunst

Muß gelten Menschen hier das Rind,

Ist ja der Wesen Unterhalt:

Sollst opfern, groß ist dein Besitz,

Sollst opfern, dein Gewinn ist groß!‹


308

Der König, also angefleht

Von Priestern, er, der Kriegerfürst,

Viel hunderttausend ließ er da

Als Opfer schlachten Rinder hin.


309

Mit keiner Klaue, keinem Horn,

Nicht irgend hatten Arg sie vor,

Die Rinder, lebten Lämmern gleich,

Entboten milde gern die Milch:

Am Horne packen ließ er die,

Der König, töten durch das Beil.


310

Da ächzten Asen, Ahnen auf,

So Götterherr wie Geist und Gauch,

›O Frevel‹ rief es bang und weh

Wo Beil die Rinder niederriß.


[74] 311

Der Seuchen gab es drei zuvor,

Begierde, Hunger, Greisentum;

Seit nun das Vieh geschlachtet ward

Entstanden achtundneunzig neu.


312

Das ist der Frevel grauser Tat,

Von ehdem überkommen uns:

Unschuldig Blut, es bringen dar

Als Opferpriester frevelhaft.


313

Das also ist ein Afterwerk,

Altüberkommner Aberwitz;

Wo einer solchen Brauch ersieht,

Ihn ekeln Opferpriester an.


314

Mißraten also war das Recht:

Und Bauernschar und Bürgerstand

Und Kriegerstamm zerfiel in sich,

Der Mann, den Weibern ließ er Lauf.


315

Der Kriegerstamm, die Priesterschaft

Und auch der andre Adelstand,

Auf Rang und Ruhm vergaß man gern

Und ließ den Wünschen leichte Wahl.


Also belehrt wandten sich nun die Leute, jene hochangesehnen Priester, an den Erhabenen mit den Worten:

»Vortrefflich, o Gotamo, vortrefflich, o Gotamo! Gleichwie etwa, o Gotamo, wenn man Umgestürztes aufstellte, oder Verborgenes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder Licht in die Finsternis brächte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch ist von Herrn Gotamo die Lehre gar vielfach gezeigt worden. Und so nehmen wir bei Herrn Gotamo unsere Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: als Anhänger möge uns Herr Gotamo betrachten, von heute an zeitlebens getreu.«1

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 69-75.
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