Das Zwanziger-Bruchstück

Adhimutto (II)

[414] Der Räuberhauptmann:

(zu Adhimutto, der ihm vorgeführt wird)


705

Um Geldgewinn, als Opferwerk

Erschlugen oft wir Mensch und Tier:

Da war des Grauens baß genug

Bei Todesangst und Wehgeschrei!


706

Du bist nicht bange, fühlst nicht Furcht,

Dein Antlitz klärt sich klarer nur:

Was klagst du nicht und jammerst nicht

In solcher Not, in solcher Pein?


Adhimutto:


707

Wer ohne Wunsch entwesen geht,

O Häuptling, kennt kein Herzeleid:

Gebannt ist Furcht, gebannt ist Angst,

Denn alle Bande sind zersprengt.


708

Ist gar gegoren Lebensaft,

Und sind die Dinge recht erkannt:

Dann gilt es keinen Todeskampf,

Erlösung nur von schwerer Last.


709

Gewandelt bin ich wohl den Pfad,

Hab' ausgewirkt die Heiligkeit:

Ich scheue nun den Tod nicht mehr,

Gleichwie der Sieche Heilung merkt.


[415] 710

Gewandelt bin ich wohl den Pfad,

Hab' ausgewirkt die Heiligkeit:

Das Leben ist nicht lebenswert,

Ein Labetrank mit Gift gewürzt.


711

Der Überwinder, ohne Hang,

Gewirkten Werkes, wahnversiegt,

Blickt selig auf sein Ende hin,

Errettet aus des Henkers Reich.


712

Wer höchste Art erobert hat,

Wer nichts begehrt in aller Welt:

Gleichwie befreit aus Flammenbrunst

Begrüßt er freudig seinen Tod.


713

»Was immer auch entstanden sei,

Wo Dasein aufgeht, Dasein lebt

Ist alles hohl und herrenlos«:

Der Meisterseher hat's gesagt.


714

Wer also diese Wahrheit faßt

Wie sie der Wache kundgetan,

Der langt nach Dasein nimmer aus

Gleichwie nach glitzer Eisenglut.


715

Wohl weiß ich, daß mir nichts gehört,

Nicht heute, gestern, morgen nicht:

Was unterschieden wird vergeht;

Was gäb' es zu bejammern da?


716

Wer klar die Dinge deuten kann,

Wer klar die Unterschiede kennt,

Wer den Zusammenhang erschaut:

Der hat, o Häuptling, keine Furcht.


[416] 717

Wer recht die Welt als Reisig sieht,

Als welken Kehricht, welken Mist,

Erkennt, weil er kein Eigen trifft,

Getrost, daß nichts ihm angehört.


718

Ich bin des Leibes übersatt,

Verlange mir das Dasein nicht:

Der Körper da wird kollern hin,

Kein andrer wieder auferstehn.


719

Den Leib da lass' ich ledig euch:

So nehmt ihn nur, tut was ihr wollt;

Ich werde hierum weder Haß

Noch Liebe hegen eurer Art.


720

Sein Wort, sie hatten's wohl gehört,

Entsetzen kam sie, Zittern an:

Da warfen sie die Schwerter ab

Und sprachen zu ihm, fragten ihn:


721

Wie hast du, Herr, es angestellt,

Wer ist dein Meister, sag' es uns,

In welchem Orden, welcher Zucht

Gewinnt man was so selig läßt?


Adhimutto:


722

Der alles weiß, der alles sieht,

Der Sieger hat mich aufgeklärt,

Der mitleidreiche Meisterherr,

Der weise Arzt der ganzen Welt.


[417] 723

Von Ihm hab' ich das wahre Wort,

Das bis zum Ende reichlich reicht,

In seinem Orden, seiner Zucht

Gewinnt man was so selig läßt.


724

Da traf des Heil'gen rechte Rede das Gemüt

Der Mörder, nimmer mochten sie die Messer sehn:

Verfluchend ihr Gewerbe floh'n die einen,

Die andern flehten um des Ordens Weihe.


725

Und aufgenommen in des Echten Ordenszucht

Gewannen witzig sie des Wachen Wissenschaft:

Erweckt vom Wahne, neu genesen, rein gereift

Befuhren sie den Pfad ins ungewordne Reich.


Pārāpariyo (II)

726

Pārāpariyo, der ernste Mönch,

Asket in kühner Meisterkunst,

Sann also einst an stillem Ort,

Vertieft in Schauung, weltentrückt:


727

Was taugt als Regel, recht gereiht,

Was ziemt als Zucht, gebührt als Zweck

Dem Manne, daß er tüchtig sei

Und nichts verletze, treu sich selbst?


728

Den Menschen fährt der Sinne Kraft

Zum Guten oder Bösen hin:

Zum Bösen fährt sie ungelenkt,

Zum Guten lenkt der Lenker sie.


[418] 729

Zu lenken seiner Sinne Kraft,

Als Herrscher hüten sie steht an

Dem Manne, daß er tüchtig sei

Und nichts verletze, treu sich selbst.


730

Wer da sein Auge schweifen läßt

An Formgebilden hin und her

Und Ekel nicht und Elend merkt,

Der wird von Leiden nicht erlöst.


731

Wer da sein Ohr als Lauscher labt

Und schwelgen läßt in Lustgetön

Und Ekel nicht und Elend merkt,

Der wird von Leiden nicht erlöst.


732

Wer Düften huldigt, Düfte sucht

Und nicht die freie Höhe sieht,

Der löst sich nicht von Leiden ab,

In Düfte lässig eingelullt.


733

Wer sauern Saft, wer süßen Saft,

Wer bittern Saft als Labe liebt:

Verstört von schmerer Schmeckbegier

Verstockt er sich das helle Herz.


734

Wer reizbegabte Tastung dann,

Erwünschte Wollust, geil begehrt,

Gelüstig lüstern aufgelegt,

Erleidet mannigfaches Leid.


735

Wer nun bei diesen Dingen da

Sein Denken nicht beherrschen kann,

Dem hängt sich Leiden an als Last

Bei jedem Dinge, das er denkt.


[419] 736

Der starre, stumpfe Leichenklotz,

Mit faulem Eiter angefüllt,

Wird prächtig prangend hergeführt,

Lackiertem Kotgefäße gleich.


737

Der bittre Kelch vergibt sich süß,

Der Schmerz verlarvt sich gern in Lust:

Wie Honigseim die Schneide schminkt

Wird schnöde Maske nicht gemerkt.


738

Wer Weiber gern sieht, Weiber küßt,

Wer Weiber tastet, Weiber fühlt,

Von Weiberdüften bald berauscht,

Erleidet mannigfaches Leid.


739

Die Weiber rieseln überall

Durch unsre Sinne reißend hin;

Wer dieses Rieseln stauen kann,

Der standhaft starke reine Herr,


740

Der ist gewitzigt, kennt die Kunst,

Der ist geschickt und aufgeklärt:

Vollenden soll der heitre Held

Ein Werk der Wahrheit, klug bedacht.


741

Wo nieder man zum Weibe sinkt,

Unselig nenn' ich solches Werk!

Das kann als Werk nicht gelten mir,

Der wache Weise wirkt es nicht.


742

Doch wo man auf zum Heile steigt,

Doch wo der Wahrheit Wonne strahlt:

Da streb' ich weiter unverzagt,

In höchster Wonne Seligkeit.


[420] 743

Mit was für Mitteln, was für Mühsal

Vernichtet man so gern den Nächsten!

Und hat man ihn gestreckt, gefällt, geknechtet,

So rafft der Nächste wieder als der Räuber.


744

Gleichwie der Schreiner Keil um Keil

Mit starkem Schlage schlägt heraus,

So schlägt der Weise Sinn um Sinn

Heraus aus seinem Herzen sich.


745

Vertrauen, Kraft und Innigkeit

Und Einsicht, reiche Wissenschaft:

Eins um das andre treibt er durch,

Und schreitet schuldlos hin als Herr.


746

Der wirklich und wahrhaftig taugt,

Vollendet ist in echter Art,

In Meisterzüchten rein gereift:

Er hat gewonnen was er will.


Telakāni

747

Als Büßer büßt' ich lange Zeit,

Um Wahrheit warb ich, suchte sie;

Doch Geistesfrieden fand ich nicht,

So viel ich Priester auch befragt:


748

»Wer ist entronnen aus der Welt,

Wer steht am ewigen Ufer still?

Wem soll ich folgen, Jünger sein,

Da jeder höchstes Heil verheißt?«


[421] 749

Mein Herz hing sich an Angeln an

Gleichwie der Fisch den Köder faßt,

Gefesselt lag ich wie der Feind,

Den Sakko einst in Bande schlug.


750

Die Fessel fühlt' ich, zog daran,

Doch löst' ich jammernd sie nicht auf:

»O wer befreit mich in der Welt

Und weist Erweckung, zeigt das Ziel?


751

Wo ist ein Priester, ein Asket,

Der da Vergänglichkeit erkennt?

Wer lehrt mir Lehre, die mich löst

Von Alter los und Sterbestand?«


752

Voll Zweifelsucht und Zwittersinn,

Vereinigt rauh in roher Kraft,

Im Zorne tüchtig und im Zank,

Im Fluche furchtbar, wutentflammt,


753

Ein Spott und Spiel der Lebenslust

Durch siebzehn Jahre jämmerlich:

Sieh' doch den eingebornen Wahn,

Gar üppig kann er bersten aus!


754

Des eiteln Wissens Übermut

Macht scharf das Denken, scharf das Wort:

Getroffen zagt' ich zitterhaft,

Dem Blatte gleich im Wirbelwind.


755

Wenn Sehnsucht mir im Busen schwoll,

So fühlt' ich wachsen sie geschwind:

Wo sechs den Leib als Sinne leihn

Regt sich Erinnern immer neu.


[422] 756

Den Künstler hab' ich nicht gekannt,

Der aus den Stachel konnte ziehn,

Der ohne scharfes Messerzeug

Den Zweifel mochte lösen mir.


757

Wer kann wohl ohne Messerschnitt

Und ohne Marter, ohne Pein

Den Stachel, der verborgen sticht,

Mir heil entbresten aus der Brust?


758

Doch Einer ist der Wahrheit Herr,

Erretter aus der Gifte Not!

Er wird mir reichen in den Pfuhl

Vom Pfeilerrande seine Hand.


759

In ekeln Sumpf bin ich versenkt,

Wohin man Schutt und Moder schickt;

Und Glitzerbrodem, Glitzerbrunst

Und schwüler Glast schwillt oben auf.


760

Der Stolz ist wilder Wettersturm,

Der Dünkel düstrer Wolkendunst;

Das Spülicht sprudelt Wahnwitz aus,

Die Sudelgier der Sinnlichkeit.


761

Die Fluten fließen überall,

Aufschießend steht das Unkraut da:

Die Schleusen, wer kann schließen die,

Das Wuchern, wer entwurzelt es?


762

»Ein Damm, o Bruder, sei gedämmt,

Im Flutgepralle Wall und Wehr,

Auf daß dich nicht der Unterstrom

Vom Strande reiße wie den Baum.«


[423] 763

Da faßte mich Entsetzen an,

Zum andern Ufer wollt' ich hin:

Und rettend mit der Reinen Schar,

Mit weisen Waffen wohl versehn,


764

Erschien der Meister, schaffte Rat,

Erschuf den Stapel, festgefügt,

Und nahm mich auf in meiner Not

Und sagte sanft: »Sei unbesorgt!«


765

Von Pfeiler stieg zu Pfeiler ich

Zur Warte hoher Einsicht auf

Und übersah nun meinen Wahn,

Den Wahn der Welt: die Eigensucht.


766

Und als ich sah der Woge Weg,

Das Schiff erblickte, reiserecht,

Das keine Selbstsucht bergen darf,

Erfand ich beste Überfuhr.


767

Der Dorn wächst innen, tief im Fleisch,

Von Daseinsadern angeschwellt:

Um die zu darren endlich aus

Das beste Mittel zeigt' Er uns.


768

Was lange Jahre, lange Zeit

Als Dickicht mir im Busen wuchs,

Der wache Herr, er hat's zerwirkt,

Der Retter aus der Gifte Not.


Raṭṭhapālo

[424] 769

Schau' wie der Balg ist aufgeputzt,

Der ganz aus Wunden doch besteht,

Der siech ist, voll von Willensdrang,

Der dauerlos erstirbt, verstiebt.


770

Schau' wie der Leib ist aufgeputzt,

Rubinbehangen, goldgeschmückt,

Das hautverbrämte Beingerüst,

Im Glanze seiner Kleiderpracht!


771

Das rotbelackte Füßlein da,

Der Lippe Purpur, Lippe Duft:

Verblendet blinzelt schon der Tor,

Doch keiner, der die Küste sucht.


772

Das achtgeteilte Haargezöpf,

Die schwanken Wimpern, schwarz gefärbt:

Verblendet blinzelt schon der Tor,

Doch keiner, der die Küste sucht.


773

Gleichwie man Wände neu bemalt

Betünchen sie den faulen Leib:

Verblendet blinzelt schon der Tor,

Doch keiner, der die Küste sucht.


774

Die Schlinge warf ein Wildrer aus,

Das Wild verbarg sich, floh den Bast,

Genoß das Futter, fing sich nicht

Und ließ den Wildrer lauern nur.


[425] 775

Verloren war des Wildrers List,

Das Wild verbarg sich, floh den Bast,

Genoß das Futter, fing sich nicht

Und ließ den Jäger jammern nur.


776

Ich sehe Menschen mächtig sein, gewaltig,

Und reich und törig keine Gabe geben:

Begierig häufen an sie Gut an Güter

Und haschen lüstern nach erneuten Lüsten.


777

Und hätt' ersiegt ein König sich die Erde,

Und herrscht' er weithin, bis zum Meere herrlich:

Des Meeres Grenze grämt' ihn ungesättigt,

Nach neuen Siegen sehnt' er sich hinüber.


778

Der König und gar viele gehn entgegen

Mit ungestilltem Durste düsterm Tode,

Vergeblich abgenutzt stirbt nur der Leib hin:

Denn keiner in der Welt wird satt an Süchten.


779

Verwandte weinen, raufen sich die Locken

Und rufen »Wehe, weh' uns, daß wir leben!«

In weißes Linnen wickeln sie den Leichnam

Und schichten Scheite, schüren an die Lohe.


780

Nun röstet er am Roste, rauh gerüttelt,

Ein einzig Tüchlein deckt ihn, das ist alles:

Der Abgelebte findet keine Zuflucht,

Geliebte, Freunde nicht und nicht Genossen.


[426] 781

Die Erben reißen sich um seinen Reichtum,

Sein Wesen aber wandelt nach den Werken:

Am Hingeschiednen haftet keine Habe,

Nicht Weib und Kind, nicht Geld und Gut und Lande.


782

Um Geld erkauft sich keiner langes Leben,

Und Schätze schützen elend vor dem Alter:

»Gar kurz ist«, künden Denker, »unser Dasein,

Und unbeständig, unstet, ohne Dauer.«


783

An Reiche rührt, an Arme rührt Berührung,

Und wie der Tor, berührt wird auch der Weise:

Doch Toren reißt Berührung rasend nieder,

An Weise rührend kann sie nimmer regen.


784

So gilt wohl mehr als Geld und Güter Weisheit,

Da sie Vollendung selig uns entbietet:

Unselig stehn ja Wirre starr gebunden

An Sein und Wiedersein und wirken Böses.


785

Man keimt in Schoßen, keimt in andern Welten

Und kehrt im Wandelkreise hin und wieder,

Ergibt sich gern dem Wahne der Gewohnheit:

Und keimt in Schoßen, keimt in andern Welten.


786

Gleichwie der Räuber, den die Falle festhält,

Durch eigne Tat sich richtet, der Verruchte,

So wird in andern Welten der Verwesne

Durch eigne Tat gerichtet, der Verruchte.


787

Wie launisch locken uns Begierden gaukelnd hin,

Das Herz zerhämmernd, heftig, ungeheuer!

Erkannt hab' ich den Kummer der Begehrung,

Bin darum Büßer nun, o König, Bettler.


[427] 788

Der Mensch fällt, wie die Frucht vom Baume fällt herab,

Noch unreif, oder reif, in raschem Sturze;

So bin ich denn, o König, gern ein Bettler:

Gewisse Pilgerschaft, sie dünkt mich besser.


789

Aus Zutraun zog ich fort von Haus

Zum Sieger hin, in seine Zucht:

Mein Wanderziel ist offenbar,

Entsündigt nehm' ich Atzung ein.


790

»Begierde brennt wie Feuerbrand,

Wie Messerschneide schneidet Gold;

Im Schoße brütet wehe Brut,

In Höllenwelten Höllenangst«:


791

Da also ich das Elend sah

Ergriff ein tiefer Schauder mich:

Erschüttert ward ich durch und durch,

Der Wahn erlosch, ich war erlöst.


792

Gedient hab' ich dem Meisterherrn,

Gewirkt hab' ich des Wachen Werk:

Die schwere Last ist abgelegt,

Die Daseinsader ausgedarrt.


793

Warum ich aus dem Hause fort

Als Bettler hingezogen bin:

Ergründet hab' ich ihn, den Grund,

Denn alle Bande sind zersprengt.


[428]

Māluṉkyaputto (II)

794

Wer Formen sieht wird sinnberückt

Sobald er Reize reizen läßt:

Erregt im Busen, ruhelos,

Verliert er sich in derbe Lust.


795

Gefühle fühlt er schwelen schwül

Und zehrend züngeln, formerzeugt;

Verlangen lauert, Wahn verwirrt,

In bangem Pochen bebt sein Herz:

So nährt er Leiden, fördert Weh,

Erfindet Wahnerlöschung nie.


796

Wer Töne hört wird sinnberückt

Sobald er Reize reizen läßt:

Erregt im Busen, ruhelos,

Verliert er sich in derbe Lust.


797

Gefühle fühlt er schwelen schwül

Und zehrend züngeln, tonerzeugt;

Verlangen lauert, Wahn verwirrt,

In bangem Pochen bebt sein Herz:

So nährt er Leiden, fördert Weh,

Erfindet Wahnerlöschung nie.


798

Wer Düfte riecht wird sinnberückt

Sobald er Reize reizen läßt:

Erregt im Busen, ruhelos,

Verliert er sich in derbe Lust.


[429] 799

Gefühle fühlt er schwelen schwül

Und zehrend züngeln, dufterzeugt;

Verlangen lauert, Wahn verwirrt,

In bangem Pochen bebt sein Herz:

So nährt er Leiden, fördert Weh,

Erfindet Wahnerlöschung nie.


800

Wer Säfte schmeckt wird sinnberückt

Sobald er Reize reizen läßt:

Erregt im Busen, ruhelos,

Verliert er sich in derbe Lust.


801

Gefühle fühlt er schwelen schwül

Und zehrend züngeln, safterzeugt;

Verlangen lauert, Wahn verwirrt,

In bangem Pochen bebt sein Herz:

So nährt er Leiden, fördert Weh,

Erfindet Wahnerlöschung nie.


802

Wer Tastung tippt wird sinnberückt

Sobald er Reize reizen läßt:

Erregt im Busen, ruhelos,

Verliert er sich in derbe Lust.


803

Gefühle fühlt er schwelen schwül

Und zehrend züngeln, tasterzeugt:

Verlangen lauert, Wahn verwirrt,

In bangem Pochen bebt sein Herz:

So nährt er Leiden, fördert Weh,

Erfindet Wahnerlöschung nie.


804

Wer Dinge denkt wird sinnberückt

Sobald er Reize reizen läßt:

Erregt im Busen, ruhelos,

Verliert er sich in derbe Lust.


[430] 805

Gefühle fühlt er schwelen schwül

Und zehrend züngeln, denkerzeugt;

Verlangen lauert, Wahn verwirrt,

In bangem Pochen bebt sein Herz:

So nährt er Leiden, fördert Weh,

Erfindet Wahnerlöschung nie.


806

Doch keiner haftet Formen an,

Der fein die Formen hat gesehn;

Gefühle fühlt er unerfaßt,

Gelüsten ewig abgewandt:


807

So daß der Formen Vielgewalt,

So daß der Fühlung volle Macht

Sich mindern muß, nicht mehren kann;

So geht er gut, gelassen hin,

So leitet ab er Leid und Weh,

Der Wahnerlöschung selig nah.


808

Doch keiner haftet Tönen an,

Der fein die Töne hat gehört;

Gefühle fühlt er unerfaßt,

Gelüsten ewig abgewandt:


809

So daß der Töne Vielgewalt,

So daß der Fühlung volle Macht

Sich mindern muß, nicht mehren kann;

So geht er gut, gelassen hin,

So leitet ab er Leid und Weh,

Der Wahnerlöschung selig nah.


[431] 810

Doch keiner haftet Düften an,

Der fein die Düfte hat gemerkt;

Gefühle fühlt er unerfaßt,

Gelüsten ewig abgewandt:


811

So daß der Düfte Vielgewalt,

So daß der Fühlung volle Macht

Sich mindern muß, nicht mehren kann:

So geht er gut, gelassen hin,

So leitet ab er Leid und Weh,

Der Wahnerlöschung selig nah.


812

Doch keiner haftet Säften an,

Der fein die Säfte hat geschmeckt;

Gefühle fühlt er unerfaßt,

Gelüsten ewig abgewandt:


813

So daß der Säfte Vielgewalt,

So daß der Fühlung volle Macht

Sich mindern muß, nicht mehren kann;

So geht er gut, gelassen hin,

So leitet ab er Leid und Weh,

Der Wahnerlöschung selig nah.


814

Doch tastend haftet keiner an,

Der fein die Tastung hat getippt;

Gefühle fühlt er unerfaßt,

Gelüsten ewig abgewandt:


815

So daß der Tastung Vielgewalt,

So daß der Fühlung volle Macht

Sich mindern muß, nicht mehren kann;

So geht er gut, gelassen hin,

So leitet ab er Leid und Weh,

Der Wahnerlöschung selig nah.


[432] 816

Doch keiner haftet Dingen an,

Der fein die Dinge hat gedacht;

Gefühle fühlt er unerfaßt,

Gelüsten ewig abgewandt:


817

So daß der Dinge Vielgewalt,

So daß der Fühlung volle Macht

Sich mindern muß, nicht mehren kann;

So geht er gut, gelassen hin,

So leitet ab er Leid und Weh,

Der Wahnerlöschung selig nah.


Der Herr und Selo

Selo:


818

Vollkommen ist dein Körper, Herr,

Ist wohlgestaltet, stattlich, schön,

Dein Angesicht, so heiter, hell,

Der Zaun der Zähne weiß gewölbt.


819

Des Wohlgebornen Eigenart,

Die Unterschiede adelsam,

Ich seh' sie alle offenbar,

Die Zeichen deiner Größe, Herr!


820

Mit milder Miene, sanftem Blick,

Erhaben, herrlich anzuschaun,

Erstrahlst du in der Jünger Schar,

Gleichwie die Sonne hoch und hehr.


[433] 821

Ein rechtgekörnter, guter Mönch,

Der glänzt wie Gold und anders nicht:

Was taugt nun dir Asketentum,

Der du im höchsten Glanze gehst?


822

Zum König bist erkoren du,

Zum Kaiser aller Königsmacht,

Zum Sieger bis zur Mark der See,

Zum Herrscher über Hinduland!


823

Die Königstämme, kühn und stolz,

Sie werden dienen, dir zu Dank:

Als Königskaiser, Menschengott

Regier' das Reich, o Gotamo!


Der Herr:


824

Ich bin ein König, Selo, ja,

Ein wahrer König aller Welt:

Die Wahrheit ist mein Königreich.

Ein Reich, das keiner rauben kann.


Selo:


825

So wärest, Herr, der Wache du,

Der wahre König aller Welt?

»Die Wahrheit ist mein Königreich«:

Du hast gesagt es, Gotamo.


826

Wo ist er, der die Mannen führt

Der Jünger, der dem Meister folgt?

Wer hilft gerecht es lenken dir,

Das Reich, das du gegründet hast?


[434] Der Herr:


827

Was da gegründet ward von mir,

Das Reich, das wahre, höchste Reich,

Nach lenkt es Sāriputto mir,

Der erstgeborne Siegersohn.


828

Erkannt hab' ich was kennbar ist,

Vollendet was Vollendung will,

Verlassen was zu lassen ist,

Bin also, Priester, auferwacht.


829

An mir nicht magst du zweifeln mehr,

Bezwinge, Priester, deinen Stolz:

Gar selten sieht man, findet man

Ein auferwachtes Angesicht.


830

Ja, was man hier gar selten sieht,

Nicht oft erscheinen in der Welt:

Ein Auferwachter, der bin ich,

Der beste Künstler, beste Arzt.


831

Ich bin das Heil, ich bin der Herr,

Zerstörer aller Sterblichkeit:

Die Feindschaft hab' ich ausgesöhnt

Und lächle heiter, fürchte nichts.


Selo:


832

O hört, ihr Freunde, hört es froh

Was uns der Seher offenbart,

Der rechte Arzt, der höchste Held:

O lauschet seinem Löwenruf!


[435] 833

Den heilgewordnen, hehren Herrn,

Zerstörer aller Sterblichkeit:

Wer ist nicht selig ihn zu sehn,

Und wär' er gleich ein Sklave nur!


834

Wer bei mir sein will folge mir,

Und wer es nicht will gehe hin:

Denn ich zieh' nun als Jünger fort,

Zum Lehrer, der das Beste lehrt.


Die Jünger Selos:


835

Wenn unser Meister also wählt,

Des Auferwachten Kunst erkiest,

So gehn auch wir als Jünger gern

Zum Lehrer, der das Beste lehrt.


836

Da flehten die Brāhmanen nun,

Dreihundert Häupter blickten auf:

»O lass' uns leben, Herr, bei dir

Das Leben deiner Heiligkeit!«


Der Herr:


837

Wohl offenbar ist unser Heil,

Ersichtlich, ohne Zeitgesetz,

Wo keiner hier umsonst entsagt

In ernstem Eifer, zäher Zucht.


[436] (Eine Woche später)


Selo:


838

Die Zuflucht, Herr, erwählt von uns,

Erfleht am letzten Mondestag:

Verwirklicht ist sie heute schon,

Am achten Tag der Jüngerschaft!


839

Du bist der Wache, bist der Herr,

Hast überwunden Todesweh,

Hast überwältigt Wunschgewalt:

Errettet rettest andre du.


840

Du haftest nimmer irgend an,

Zerborsten ist was Wähnen war,

Alleinig, wie der Löwe lebt,

Bist ledig aller Bangigkeit.


841

Dreihundert Jünger beugen sich

Und blicken auf, zu dir empor:

Die Füße biet' uns, Großer, dar,

Den Meister grüßen Helden hier.


Bhaddiyo/Der Sohn der Kāḷigodhā

842

Am Elefanten saß ich einst,

Auf seidnem Teppich, seidnem Tuch,

Und nahm das Mahl ein, wohlbedient,

Den reinen Reis, der Kraft verleiht.


[437] 843

Und heute lebt er hochbeglückt:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


844

Die Fetzenkutte trägt er gern:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


845

Er läßt nicht laden sich zu Gast:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


846

Drei Kleidungstücke trägt er stets:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


847

Von Haus zu Hause tritt er hin:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


848

Die Nahrung nimmt er einsam ein:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


849

Ein Bissen Speise gnügt ihm schon:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


[438] 850

Gebrösel, Abhub ist ihm recht:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


851

Im Walde weilt er wohlgemut:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


852

Ein Baum gewährt ihm Schirm und Schutz:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


853

In offnen Ebnen lebt er licht:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


854

Im Leichenhofe lagert er:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


855

Er fügt sich bald in jeden Ort:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


856

Nur sitzend ruht er, legt sich nicht:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


[439] 857

Er findet bald was er bedarf:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


858

Zufrieden weilt er, froh und frei:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


859

Alleinig west er, ungestört:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


860

Die Menschen flieht er, flieht die Welt:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


861

Er dauert stark und standhaft aus:

Mit Bettelresten billig reich

Übt selig Schauung, ohne Sucht,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


862

Die Schüssel, hundert Unzen schwer,

Aus Gold getrieben, ellenbreit,

Gab hin ich um den irdnen Topf,

Gewann die zweite Weihe da.


863

Auf hohem Walle, hoher Burg,

Im Turmgemache, mauerfest,

Beschützt von Schwert und Elefant,

Verzagt ich einst in banger Angst.


[440] 864

Und heute lebt er unverzagt,

Von Angst entängstet, furchterlöst,

Übt selig Schauung, waldgewohnt,

Der Sohn der Godhā, Bhaddiyo.


865

Gegründet in der Ordenszucht,

Gezeugt in weiser Wissenschaft,

Erzogen endlich ist das Ziel:

Denn alle Bande sind zersprengt.


Aṉgulimālo

Aṉgulimālo:


866

Du wandelst, Bruder, wähnst dich aber stetig,

Und mich, der stetig ist, mich wähnst du wandelnd;

Ich frage dich, o Bruder, gib mir Kunde:

Wie bist du stetig denn, wie bin ich unstet?


Der Herr:


867

Beständig immerdar, Aṉgulimālo,

Bin ich, der keinem Wesen Leides antut:

Doch du hast wild gewütet gegen Wesen:

So bin ich stetig denn, so bist du unstet.


[441] Aṉgulimālo:


868

Schon lang ist's her, als einst der hohe Meister,

Der Mönch erschienen mir in Waldes Mitte:

Da rief ich aus: »Entsagen tausend Sünden

Will ich um eines Wortes deiner Wahrheit!«


869

Ein Räuber war ich, ja, war Mord und Marter,

War grausam, gräßlich wie die Höllengründe:

Zu Füßen lag der Räuber dem Willkommnen,

Den Auferwachten fleht' er an um Weihe.


870

Und Er, der auferwacht ist, mild und heilig,

Der Herr der Welt mit allen ihren Göttern,

»So komm', o Jünger!«, sprach zu mir der Meister,

Nahm also auf mich in den Jüngerorden.


871

Wer früher törig sorglos war,

Doch endlich seine Schuld erkennt,

Der leuchtet durch die finstre Welt

Gleichwie der Mond aus Wolkennacht.


872

Wer einst begangne böse Tat

In wahrer Buße tief bereut,

Der leuchtet durch die finstre Welt

Gleichwie der Mond aus Wolkennacht.


873

Wer noch in holder Jugend Kraft

Als Jünger hier dem Sieger folgt,

Der leuchtet durch die finstre Welt

Gleichwie der Mond aus Wolkennacht.


[442] 874

Die Lüfte sollen lauschen meinem Sange

Und lieblich wehen um den Auferwachten,

Die Lüfte sollen grüßen mir die Menschen,

Die Großen, die sich nach der Wahrheit sehnen.


875

Den Lüften tu' mein Lied ich kund,

Das Lob der Liebe, der Geduld:

O wehet nieder, neigt euch her

Und tragt die Wahrheit weiter dann!


876

O sei mir jeder wohlgesinnt

Und allem andern was er sieht:

Den höchsten Frieden findet froh

Wer schützt was atmet, schützt was lebt.


877

Kanäle schlichten Bauern durch das Feld,

Die Bogner schlichten spitze Pfeile zu,

Die Zimmrer schlichten schlanke Balken ab,

Sich selber, wahrlich, machen Weise schlicht.


878

Geschlichtet wird gar mancher Streit

Mit Stock und Stachel, Peitsche, Strick:

Doch ohne Stock, doch ohne Stahl

Hat mich der Meister schlicht gemacht.


879

Einst hat man Friedrich mich genannt,

Und Friedensmörder war ich nur:

Den echten Namen führ' ich heut,

Genesen froh als Friedenswalt.


880

Berüchtigt war das Räuberhaupt,

Aṉgulimālo war der Mord:

Da brach der Strom die Bresche durch

Und trieb mich hin zum wachen Herrn!


[443] 881

Mit Blut befleckt' ich meine Hand,

Aṉgulimālo war der Mord:

Gerettet sieh' mich rasten hier,

Die Daseinsader ist verdarrt.


882

Der solche Taten ich getan,

Von Unheil schwer, von Unheil schwül,

Genieße reichlich reifen Lohn,

Entsündigt nehm' ich Atzung ein.


883

Dem leichten Sinn ergeben sich

Erlahmte Männer, ohne Mut;

Den Ernst bewahrt der weise Mann

Als köstlich besten Schatzeshort.


884

Ergebt euch nicht dem leichten Sinn,

O folget nicht der Liebeslust!

Der ernst in sich gekehrte Mönch

Ist höchstem Heile selig nah.


885

Gefunden hab' ich's, nicht verfehlt,

Kein übel Ding bedünkt es mich,

Von allem was die Welt gewährt

Hab' ich das Beste auserwählt.


886

Gefunden hab' ich's, nicht verfehlt.

Kein übel Ding bedünkt es mich,

Drei Wissenschaften kenn' ich gut,

Erfüllt ist was der Meister will.


887

Im dunkeln Wald, in heller Au,

In Bergesgrüften, tief im Fels,

Da weilt' ich oft, da weilt' ich gern,

Da ging das Herz mir innig auf.


[444] 888

Im Glücke ruh' ich, steh' im Glück,

Im Glücke läuft mein Leben ab,

Die Todesfessel faßt mich nicht –

Welch Mitleid hat der Meisterherr!


889

Brāhmanenknabe war ich einst,

Der echten Eltern echter Sproß:

Der Sohn des Seligen bin ich heut,

Der Wahrheit Erbe, Wahrheit Kind.


890

Vom Dürsten heil, vom Hangen heil,

Die Sinne sinnig, wohl gewahrt,

Hab' aus das Übel ich gespien

Mit seiner Wurzel, wahnversiegt.


891

Gedient hab' ich dem Meisterherrn,

Gewirkt hab' ich des Wachen Werk:

Die schwere Last ist abgelegt,

Die Daseinsader ausgedarrt.


Anuruddho

892

Verlassen hab' ich Haus und Hof

Und Eltern, Brüder, Schwestern hold,

Verlassen laue Liebeslust,

Und übe Schauung, selbstvertieft.


893

Bereit war Tanz, bereit Gesang,

Und Zimbelklang erweckte mich:

Da fand ich keine Lauterkeit,

Das Todesreich war mein Bereich.


[445] 894

Jetzt ist es überwunden, ja,

Und mein Bereich des Wachen Reich,

Entronnen bin ich allem Wahn

Und übe Schauung, selbstvertieft.


895

Gestalten, Töne, Duft, Geschmack

Und Tastung, alles was ergetzt

Hab' überwältigt ich gewandt

Und übe Schauung, selbstvertieft.


896

Vom Bettelmahle kehrt der Mönch,

Er geht allein, er geht für sich,

Er liest sich Fetzen auf am Weg

Als Kuttengut, erlöst von Gier.


897

Er sichtet sie, er stückt und steppt,

Er wäscht sie, färbt sie, trägt sie dann

Als Fetzenkutte, wohl bedacht,

Von Gier erlöst, von Wahn erlöst.


898

»Wer vieles will und viel begehrt,

Der Welt sich widmet, eitel ist,

Der eignet arge Art sich an,

Sinkt ein in Unrat, ein in Kot.


899

Doch wer geklärt ist, wenig will,

Gar bald zufrieden, unverstört,

Allein beseligt, säldenreich,

Beständig standhaft, rüstig ernst,


[446] 900

Der eignet edle Art sich an,

Erwachung wirkt er eilig aus,

Ist wahnversiegt, ist wahnerlöst«:

So sprach der Meister, sprach der Herr.


901

Und meinen Sinn ersah der Herr,

Der höchste Meister überall,

Im Geiste kam er körperhaft,

Magiegewaltig, her zu mir.


902

Und nah und näher neigt' ich mich,

Und mehr und mehr erschloß er mir:

Der Wache, der die Einfalt will,

Erschloß die Einfalt meinem Sinn.


903

Und seine Kunde ging mir auf,

Und seine Art ersah ich froh;

Drei Wissenschaften schuf ich mir,

Des Wachen Botschaft war erfüllt.


904

Durch fünfundfünfzig Jahre jetzt

Genoß ich Ruhe sitzend nur,

Und fünfundzwanzig merkt' ich mir

Seit Müdigkeit bezwungen ist.


[447] 905

Kein Atem zog mehr ein und aus:

Vollendet, innig still gestaut,

Unregbar, friedsam eingekehrt,

Erlosch der Seher wahnversiegt.


906

Der ungebrochen, ungebeugt

Die Todesqual erduldet hat:

Gleichwie die Lampe sanft erlischt,

Hat sanft sein Geist sich aufgelöst.


907

Die letzten Spuren spürt er noch,

Und Sinn um Sinn verzieht sich nun,

Und nichts erneut sich, nimmermehr:

Der auferwacht ist ist erlöst.


908

Und nimmer gibt es Wiederkehr,

Kein Gott umgarnt, kein Himmel hemmt,

Der Lebensbronnen ist verbraucht,

Und nimmer gibt es Wiedersein.


909

Wer queck wie Blitzes Blick das Weltall tausendfach

Vor Augen hat – ist Brahmā'n ähnlich;

Doch wer magiegewaltig wach die Götterpracht

Entstehn und sterben sieht – ist heilig.


910

Als Speisenträger trabt' ich einst,

Las Überbleibsel spärlich auf:

Erschöpft erschien ein Büßer da,

Dem hehren bot ich Atzung an.


[448] 911

Als Sakkersprößling sproßt ich dann,

War Anuruddho, hoch gerühmt,

Bestellt war Tanz, bestellt Gesang,

Und Zimbelklang erweckte mich.


912

Da sah ich den erwachten Herrn,

Den Meister, der kein Fürchten kennt,

Und Ihm ergab ich ganz mein Sinn:

Als Pilger zog ich bettelnd fort.


913

Vergangnes Wesen kenn' ich nun,

Und was ich war und wo ich war,

Der Götter König war ich einst,

Der Dreiunddreißig Götter Fürst.


914

Ein Kaiser war ich siebenmal,

Ein Erdenkönig, Menschenfürst,

Ein Sieger bis zur Mark der See,

Ein Herrscher über Hinduland:

Und ohne Stock und ohne Stahl,

Verständig hab' ich recht regiert.


915

Und sieben dann und sieben dann,

Und vierzehn Leben liefen ab:

Da war ich wieder anderswo,

In Götterkreisen kreist' ich auf.


916

In erster Schauung selbstvertieft,

In unbeschwerter Innigkeit,

In hehres Schweigen eingehüllt

Ging himmlisch auf das Auge mir.


[449] 917

Das Leben kenn' ich, kenn' den Tod,

Der Wesen Kommen, Wesen Gehn,

So dieses Sein wie jenes Sein,

In erster Schauung selbstvertieft.


918

Gedient hab' ich dem Meisterherrn,

Gewirkt hab' ich des Wachen Werk:

Die schwere Last ist abgelegt,

Die Daseinsader ausgedarrt.


919

Bei Riedenstädt im Vajjireich,

Da will ich warten meiner Zeit,

Verborgen wo der Bambus blüht

Im Busch erlöschen, wahnversiegt.


Pārāpariyo (III)

920

Im weiten Walde, blütenhell,

Da saß ein Jünger, sann für sich;

Allein verloren, abgelöst,

Ging schauend ein Gesicht ihm auf:


921

Wie anders hielt sich, als der Herr,

Der höchste Meister aller Welt,

Am Leben war, die Jüngerschaft:

Wie anders hält sie heute sich!


922

Vor Kälte Schutz, vor Winden Schutz,

Ein Mantel für die Körperscham,

Ein Mahl der Notdurft war genug:

Zufrieden war man überall.


[450] 923

Und schlechte Kost und gute Kost,

Ob viel es nun, ob wenig nur:

Zur Fristung einzig aßen sie,

Unleckerhaft und unverlockt.


924

Was rüstig man zum Leben braucht,

Und was man braucht in kranker Brest,

Darauf war keiner baß erpicht,

Der Wahnerlöschung nahe bei.


925

In Wald und Forst, in Hain und Hag,

In Bergeshöhle, Felsengruft

Erkürten kühn sie Einsamkeit,

Ergeben ihrer Gunst allein.


926

In Demut licht, in Demut leicht,

In Demut wandelnd mild bedacht,

Beschwichtigt, ohne Worteschwall:

So hingen sie dem Heile nach.


927

Wohl aufgeklärt, wohl abgeklärt

War all ihr Dichten, all ihr Tun,

Dem ausgepreßten Öle gleich

Lief ab ihr Leben glatt und glau.


928

Die alles Wähnen ausgewähnt,

In tiefer Schauung tiefbeglückt:

Erloschen sind sie, sind entlebt,

Gar selten sieht man solche noch.


929

Weil nun was echt ist untergeht,

Weil nun die Weisheit nicht mehr wirkt,

Versinkt ein allerhöchster Hort,

Der Siegerorden sinkt hinab!


[451] 930

Und üble Zeiten ziehen auf,

Begierde zwängt, Begierde zwingt,

Befehlen will Zerfahrenheit,

Und Aftertugend gilt als echt.


931

Die Gier ersteht, die Gier erstarkt,

Die Gier verstört gar manchen Mann:

Ein Spielball ist er, ihr zum Spott,

Sie neckt ihn, narrt ihn koboldgleich.


932

Begierde herrscht, Begierde heischt,

Sie treibt ihn hin, sie treibt ihn her:

Er ist gewarnt – sie faßt ihn doch,

Die Falle, die von selber fängt.


933

Verworfen wird das wahre Wort

Und eigne Willkür eingesetzt,

Und rohe Lehren locken an,

»Das ist das Rechte!« ruft man laut.


934

Wer einst verleugnet Weib und Kind

Und Haus und Hof verlassen hat:

Ein Löffel Reis bewegt ihn jetzt,

Macht ihn bereit zu bösem Werk!


935

Man ißt soviel man essen will,

Man rekelt sich am Rücken hin,

Man läßt Gespräche munter zu,

Gespräche, die der Meister mied.


936

Und jedes Handwerk, jede Kunst

Betreibt mit Eifer man und Ernst:

Unheilig in der eignen Haut

Wird allgemeines Wohl gewählt.


[452] 937

Und Lehm und Erde, Kalk und Öl

Und Wassertrunk und Speiserest:

Die Mönche bieten's an dem Volk,

Erhoffen reiche Gegengift:


938

Als Bürsten für das Zahngebiß,

Als Blütenblätter zum Zerkaun,

Als Bettelsuppen, reichlich, gut,

Als süße Früchte, frisch gepflückt.


939

Sie sammeln Kräuter wie der Arzt,

Geschäftig sind wie Bürger sie,

Sie putzen sich wie Huren auf,

Sie herrschen uns wie Fürsten an.


940

Verschlagen, listig, gleisnerisch,

Verlogen, ohne Redlichkeit,

Verschaffen sie verbotnes Gut

Auf manche Art sich, unverschämt.


941

Sie kennen Kniffe, treiben Trug,

Und Absicht leitet jeden Tritt,

»Zur Lebensfristung!« heucheln sie

Und häufen Güter an und Geld.


942

Dem Volke murmeln sie was vor

Vom Meisterworte, nur zum Schein:

Sie lehren Wahrheit um Gewinn,

Doch keine Wahrheit kümmert sie.


943

Sie streiten sich um Ordensgut

Und sind doch Ordensfremde nur,

Von fremdem Gute leben sie,

Die Frechen kennen keine Scham.


[453] 944

Manch einer sondert sich vom Schwarm,

Trägt rauhe Kutte, schert sich kahl:

Doch Ehre geizt er, giert nach Ruhm,

Und Menschengunst ergetzt ihn schon.


945

In solcher Drangsal, solcher Not,

Da hält es heute wahrlich schwer,

Daß man erfasse was noch fehlt,

Daß man behüte was man hat.


946

Als ob er barfuß, ohne Schuh,

Durch Dornendickicht ginge sacht:

So soll der Weise vor sich sehn

Beim Bettelgange durch das Dorf.


947

Wer jener echten Jünger denkt,

Die einst gelebt, und ihrer Zucht:

Und sei die Zeit auch noch so arg,

Erfassen mag er höchstes Heil.


948

So sprach im Walde, selbstvertieft,

Mit heitern Sinnen, ein Asket:

Und heilig losch der Hehre hin,

Erlöst von Wahn und Wiedersein.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 414-454.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon