Viertes Kapitel

Unsere Keimesgeschichte

[61] Monistische Studien über menschliche und vergleichende Ontogenie.

Übereinstimmung in der Keimbildung und Entwicklung des Menschen und der Wirbeltiere.


In noch höherem Maße als die vergleichende Anatomie und Physiologie ist die vergleichende Ontogenie, die Entwicklungsgeschichte des Einzeltieres oder Individuums, ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts. Wie entsteht der Mensch im Mutterleibe? Und wie entstehen die Tiere aus den Eiern? Wie entsteht die Pflanze aus dem Samenkorn? Diese inhaltschwere Frage hat zwar auch schon seit Jahrtausenden den denkenden Menschengeist beschäftigt; aber erst sehr spät, 1828, zeigte uns der Embryologe Baer die rechten Wege, um tiefer in die Kenntnis der geheimnisvollen Tatsachen der Keimesgeschichte einzudringen; und noch viel später, 1859, lieferte uns Darwin durch seine Reform der Deszendenztheorie den Schlüssel, mit dessen Hilfe wir die verschlossene Pforte ihres Verständnisses öffnen und zur Erkenntnis ihrer Ursachen gelangen können. Da ich diese hochinteressanten, aber auch schwierig zu verstehenden Verhältnisse schon in meiner Keimesgeschichte des Menschen (im ersten Teile der Anthropogenie, 1874) einer ausführlichen Darstellung unterzogen habe, beschränke ich mich hier auf eine kurze Zusammenfassung und Deutung nur der wichtigsten Erscheinungen. Wir wollen dabei zunächst einen historischen Rückblick auf die ältere Ontogenie und die damit verknüpfte Präformationstheorie werfen.[61]

Wie für die vergleichende Anatomie, so sind auch für die Entwicklungsgeschichte die klassischen Werke des Aristoteles, des vielseitigen »Vaters der Naturgeschichte«, die älteste uns bekannte wissenschaftliche Quelle (im vierten Jahrhundert v. Chr.). Nicht allein in seiner großen Tiergeschichte, sondern auch in einer besonderen kleinen Schrift: »Fünf Bücher von der Zeugung und Entwicklung der Tiere«, erzählt uns der große Philosoph eine Menge von interessanten Tatsachen und stellt Betrachtungen über deren Bedeutung an; viele davon sind erst in unserer Zeit wieder zur Geltung gekommen und eigentlich erst wieder neu entdeckt worden. Natürlich sind aber daneben, auch viele Fabeln und Irrtümer zu finden, und von der verborgenen Entstehung des Menschenkeimes war noch nichts Näheres bekannt. Aber auch in dem langen, folgenden Zeiträume von zwei Jahrtausenden machte die schlummernde Wissenschaft keine weiteren Fort schritte. Erst im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts fing man wieder an, sich damit zu beschäftigen; der italienische Anatom Fabricius ab Aquapendente (in Padua.) veröffentlichte 1600 die ältesten Abbildungen und Beschreibungen von Embryonen des Menschen und einiger höherer Tiere, und der berühmte Marcello Malpighi in Bologna, gleich bahnbrechend in der Zoologie wie in der Botanik, gab 1687 die erste zusammenhängende Darstellung von der Entstehung des Hühnchens im bebrüteten Ei.

Alle diese älteren Beobachter waren von der Vorstellung beherrscht, daß im Ei der Tiere, ähnlich wie im Samen der höheren Pflanzen, der ganze Körper mit allen seinen Teilen bereits fertig vorhanden sei, nur in einem so feinen und so durchsichtigen Zustande, daß man sie nicht erkennen könne; die ganze Entwicklung sei demnach nichts weiter als Wachstum oder »Auswicklung« (Evolutio) der eingewickelten Teile. Diese falsche Lehre, die bis zum Anfang des neunzehnten Jahrhunderts fast allgemein in Geltung blieb, nennen wir am besten die Vorbildungslehre[62] oder Präformationstheorie; oft wird sie auch »Evolutionstheorie« genannt; allein unter diesem Begriffe verstehen viele neuere Autoren, besonders in England, auch die ganz verschiedene Transformationstheorie.

In engem Zusammenhange mit der Präformationslehre und in berechtigter Schlußfolge aus derselben entstand im siebzehnten Jahrhundert eine weitere Theorie, welche die denkenden Biologen lebhaft beschäftigte, die sonderbare »Einschachtelungslehre«. Da man annahm, daß im Ei bereits die Anlage des ganzen Organismus mit allen seinen Teilen vorhanden sei, mußte auch der Eierstock des jungen Keimes mit den Eiern der folgenden Generation darin vorgebildet sein, und in diesen wiederum die Eier der nächstfolgenden usw., in infinitum! Daraufhin berechnete der berühmte Physiologe Haller, daß der liebe Gott vor 6000 Jahren – am sechsten Tage seines Schöpfungswerkes – die Keime von 200000 Millionen Menschen gleichzeitig erschaffen und sie im Eierstock der ehrwürdigen Urmutter Eva kunstgerecht eingeschachtelt habe. Kein Geringerer als der hochangesehene Philosoph Leibniz schloß sich diesen Ausführungen an und verwertete sie für seine Monadenlehre; und da dieser zufolge sich Seele und Leib in ewig unzertrennlicher Gemeinschaft befinden, übertrug er sie auch auf die Seele; – »die Seelen der Menschen haben in deren Voreltern bis auf Adam, also seit dem Anfang der Dinge (!), immer in der Form organisierter Körper existiert«.

Im November 1759 verteidigte in Halle ein junger 26 jähriger Mediziner, Kaspar Friedrich Wolff (- der Sohn eines Berliner Schneiders -), seine Doktordissertation unter dem Titel »Theoria generationis«. Gestützt auf eine Reihe der mühsamsten und sorgfältigsten Beobachtungen, wies er nach, daß die ganze herrschende Präformations- und Skatulationstheorie falsch sei. Im bebrüteten Hühnerei ist anfangs noch keine Spur vom späteren Vogelkörper und seinen Teilen vorhanden; vielmehr finden wir[63] statt dessen oben auf der bekannten gelben Dotterkugel eine kleine, kreisrunde, weiße Scheibe. Diese dünne »Keimscheibe« wird länglich rund und zerfällt dann in vier übereinanderliegende Schichten, die Anlagen der vier wichtigsten Organsysteme: zuerst die oberste, das Nervensystem, darunter die Fleischmasse (Muskelsystem), dann das Gefäßsystem mit dem Herzen und zuletzt der Darmkanal. Also, sagt Wolff richtig, besteht die Keimbildung nicht in einer Auswicklung vorgebildeter Organe, sondern in einer Kette von Neubildungen, einer wahren »Epigenesis«; ein Teil entsteht nach dem anderen, und alle erscheinen in einer einfachen Form, welche von der später ausgebildeten, ganz verschieden ist; diese entsteht erst durch eine Reihe der merkwürdigsten Umbildungen. Obgleich nun diese große Entdeckung – eine der wichtigsten des achtzehnten Jahrhunderts! – sich unmittelbar durch Nachuntersuchung der beobachteten Tatsachen hätte bestätigen lassen, und obgleich die darauf gegründete »Theorie der Generation« eigentlich gar keine Theorie, sondern eine nackte Tatsache war, fand sie den noch ein halbes Jahrhundert hindurch nicht die mindeste Anerkennung. Besonders hinderlich war die mächtige Autorität von Haller, der sie hartnäckig bekämpfte mit dem Dogma: »Es gibt kein Werden! Kein Teil im Tierkörper ist vor dem anderen gemacht worden, und alle sind zugleich erschaffen.« Wolff, der nach Petersburg gehen mußte, war schon lange tot, als die vergessenen, von ihm beobachteten Tatsachen von Lorenz Oken in Jena (1806) aufs neue entdeckt wurden.

Nachdem durch Oken die Epigenesistheorie von Wolff bestätigt und durch Meckel (1812) dessen wichtige Schrift über die Entwicklung des Darmkanals aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt war, warfen sich in Deutschland mehrere junge Naturforscher mit großem Eifer auf die genauere Untersuchung der Keimesgeschichte. Der bedeutendste und erfolgreichste derselben war Karl Ernst Baer;[64] sein berühmtes Hauptwerk erschien 1828 unter dem Titel: »Entwicklungsgeschichte der Tiere, Beobachtung und Reflexion.« Nicht allein sind darin die Vorgänge der Keimbildung ausgezeichnet klar und vollständig beschrieben, sondern auch zahlreiche geistvolle Spekulationen daran geknüpft. Vorzugsweise ist zwar die Embryobildung des Menschen und der Wirbeltiere genau dargestellt, aber daneben auch die wesentlich verschiedene Ontogenie der niederen, wirbellosen Tiere berücksichtigt. Die zwei blattförmigen Schichten, welche in der runden Keimscheibe der höheren Wirbeltiere auftreten, zerfallen nach Baer zunächst in je zwei Blätter, und diese vier Keimblätter verwandeln sich in vier Röhren, die Fundamentalorgane: Hautschicht, Fleischschicht, Gefäßschicht und Schleimschicht. Durch sehr verwickelte Prozesse der Epigenesis entstehen daraus die späteren Organe, und zwar bei dem Menschen und bei allen Wirbeltieren in wesentlich gleicher Weise. Ganz anders verhalten sich darin die drei Hauptgruppen der wirbellosen Tiere, unter sich wieder sehr verschieden. Unter den vielen einzelnen Entdeckungen von Baer war eine der wichtigsten das menschliche Ei. Bis dahin hatte man beim Menschen, wie bei allen anderen Säugetieren, für Eier kleine Bläschen gehalten, die sich zahlreich im Eierstock finden. Erst Baer zeigte (1827), daß die wahren Eier in diesen Bläschen, den »Graafschen Follikeln« eingeschlossen und viel kleiner sind, Kügelchen von nur 0,2 mm Durchmesser, unter günstigen Verhältnissen eben als Pünktchen mit bloßem Auge zu sehen. Auch entdeckte er zuerst, daß aus dieser kleinen Eizelle der Säugetiere sich zunächst eine charakteristische Keimblase entwickelt, eine Hohlkugel mit flüssigem Inhalt, deren Wand die dünne Keimhaut bildet.

Zehn Jahre, nachdem Baer der Embryologie durch seine Keimblätterlehre eine feste Grundlage gegeben, entstand für dieselbe eine neue wichtige Aufgabe durch die Begründung der Zellentheorie (1838). Wie[65] verhalten sich das Ei der Tiere und die daraus entstehenden Keimblätter zu den Geweben und Zellen, welche den entwickelten Tierkörper zusammensetzen? Die richtige Beantwortung dieser inhaltschweren Frage gelang um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zwei hervorragenden Schülern von Johannes Müller: Robert Remak in Berlin und Albert Kölliker in Würzburg. Sie wiesen nach, daß das Ei ursprünglich nichts anderes als eine einfache Zelle ist, und daß auch die zahlreichen Keimkörner oder »Furchungskugeln«, welche durch wiederholte Teilung daraus entstehen, einfache Zellen sind. Aus diesen »Furchungszellen« bauen sich zunächst die Keimblätter auf und weiterhin durch Arbeitsteilung oder Differenzierung derselben die verschiedenen Organe. Kölliker erwarb sich dann fernerhin das große Verdienst, auch die schleimartige Samenflüssigkeit der männlichen Tiere als Anhäufung von mikroskopischen kleinen Zellen nachzuweisen. Die beweglichen stecknadelförmigen »Samentierchen« in derselben (Spermatozoa) sind nichts anderes als eigentümliche »Geißelzellen«, wie ich (1866) zuerst an den Samenfäden der Schwämme nachgewiesen habe. Damit war für beide wichtige Zeugungsstoffe der Tiere, das männliche Sperma und das weibliche Ei, bewiesen, daß auch sie der Zellentheorie sich fügen; eine Entdeckung, deren philosophische Bedeutung erst viel später, durch die genauere Erforschung der Befruchtungsvorgänge (1875), erkannt wurde.

Alle älteren Untersuchungen über Keimbildung betrafen den Menschen und die höheren Wirbeltiere, vor allem aber den Vogelkeim: denn das Hühnerei ist das größte und bequemste Objekt dafür und steht jederzeit in beliebiger Menge zur Verfügung; man kann in der Brutmaschine sehr bequem (- wie bei der natürlichen Bebrütung durch die Henne -) das Ei ausbrüten und dabei stündlich die ganze Reihe der Umbildungen, von der einfachen Eizelle bis zum fertigen Vogelkörper, innerhalb drei Wochen beobachten. Auch Baer hatte nur für die verschiedenen[66] Klassen der Wirbeltiere die Übereinstimmung in der charakteristischen Bildung der Keimblätter und in der Entstehung der einzelnen Organe aus derselben nachweisen können. Dagegen in den zahlreichen Klassen der Wirbellosen – also der großen Mehrzahl der Tiere – schien die Keimung in wesentlich verschiedener Weise abzulaufen, und den meisten schienen wirkliche Keimblätter ganz zu fehlen. Erst um die Mitte des Jahrhunderts wurden solche auch bei einzelnen Wirbellosen nachgewiesen, so von Kölliker 1844 bei den Zephalopoden und von Huxley 1849 bei den Medusen. Besonders wichtig wurde sodann die Entdeckung von Kowalewsky (1866), daß das niederste Wirbeltier, der Lanzelot oder Amphioxus, sich genau in derselben, und zwar in einer sehr ursprünglichen Weise entwickelt wie ein wirbelloses, anscheinend ganz entferntes Manteltier, die Seescheide oder Ascidia. Auch bei verschiedenen Würmern, Sterntieren und Gliedertieren wies derselbe Beobachter eine ähnliche Bildung der Keimblätter nach. Ich selbst war damals (seit 1866) mit der Entwicklungsgeschichte der Spongien, Korallen, Medusen und Siphonophoren beschäftigt, und da ich auch bei diesen niedersten Klassen der vielzelligen Tiere überall dieselbe Bildung von zwei primären Keimblättern fand, gelangte ich zu der Überzeugung, daß dieser bedeutungsvolle Keimungsvorgang im ganzen Tierreiche im wesentliche derselbe ist.

Besonders wichtig erschien mir dabei der Umstand, daß bei den Schwammtieren und bei den niederen Nesseltieren (Polypen, Medusen) der Körper lange Zeit hindurch oder selbst zeitlebens bloß aus zwei einfachen Zellenschichten besteht; bei den Medusen hatte diese schon Huxley (1849) mit den beiden primären Keimblättern der Wirbeltiere verglichen. Gestützt auf diese Beobachtungen und Vergleichungen stellte ich dann 1872 in meiner »Philosophie der Kalkschwämme« die »Gasträatheorie« auf, deren wesentlichste Lehrsätze folgende sind: I. Das ganze Tierreich zerfällt in zwei verschiedene Hauptgruppen,[67] die einzelligen Urtiere (Protozoa) und die vielzelligen Gewebtiere (Metazoa); der ganze Organismus der Protozoen (Rhizopoden und Infusorien) bleibt zeitlebens eine einfache Zelle (seltener ein lockerer Zellverein, ohne Gewebebildung, ein Coenobium); dagegen der Organismus der Metazoen ist nur im ersten Beginn einzellig, später aus vielen Zellen zusammengesetzt, welche Gewebe bilden. II. Daher ist auch die Fortpflanzung und Entwicklung in beiden Hauptgruppen der Tiere wesentlich verschieden; die Protozoen vermehren sich gewöhnlich nur ungeschlechtlich, durch Teilung, Knospung oder Sporenbildung; sie besitzen noch keine echten Eier und kein Sperma. Die Metazoen dagegen sind in männliches und weibliches Geschlecht geschieden und vermehren sich vorwiegend geschlechtlich, mittelst echter Eier, welche vom männlichen Samen befruchtet werden. III. Daher entstehen auch nur bei den Metazoen wirkliche Keimblätter und aus diesen Gewebe, während solche den Protozoen noch ganz fehlen. IV. Bei allen Metazoen entstehen zunächst nur zwei primäre Keimblätter, und diese haben überall dieselbe wesentliche Bedeutung: aus dem äußeren Hautblatt entwickelt sich die äußere Hautdecke und das Nervensystem; aus dem inneren Darmblatt hingegen der Darmkanal und alle übrigen Organe. V. Die Keimform, welche überall zunächst aus dem befruchteten Ei hervorgeht, und welche allein aus diesen beiden primären Keimblättern besteht, nannte ich Darmlarve oder Becherkeim (Gastrula); ihr becherförmiger, zweischichtiger Körper umschließt ursprünglich eine einfache verdauende Höhle, den Urdarm, und dessen einfache Öffnung ist der Urmund. Dies sind die ältesten Organe des vielzelligen Tierkörpers, und die beiden Zellenschichten seiner Wand, einfache Epithelien, sind seine ältesten Gewebe; alle anderen Organe und Gewebe sind erst später (sekundär) daraus hervorgegangen. VI. Aus dieser Gleichartigkeit oder Homologie der Gastrula in sämtlichen Stämmen und Klassen der Gewebetiere zog[68] ich nach dem biogenetischen Grundgesetze (Kap. V) den Schluß, daß alle Metazoen ursprünglich von einer gemeinsamen Stammform abstammen, Gasträa, und daß diese uralte (laurentische), längst ausgestorbene Stammform im wesentlichen die Körperform und Zusammensetzung der heutigen, durch Vererbung erhaltenen Gastrula besaß. VII. Dieser phylogenetische Schluß aus der Vergleichung der ontogenetischen Tatsachen wird auch dadurch gerechtfertigt, daß noch heute einzelne Gasträaden existieren (Pemmatodiscus, Orthonectiden, Cyemarien), sowie älteste Formen anderer Tierstämme, deren Organisation sich nur sehr wenig über diese letzteren erhebt (Olynthus unter den Spongien, Hydra, der gemeinsame Süßwasserpolyp, unter den Nesseltieren, Convoluta und andere Kryptocoelen, als einfachste Strudelwürmer, unter den Plattentieren). VIII. Bei der weiteren Entwicklung der verschiedenen Gewebetiere aus der Gastrula sind zwei verschiedene Hauptgruppen zu unterscheiden: Die älteren Niedertiere (Coelenteria) bilden noch keine Leibeshöhle und besitzen weder Blut noch After; das ist der Fall beiden Gasträaden, Spongien, Nesseltieren und Plattentieren. Die jüngeren Obertiere (Coelomaria) hingegen besitzen eine eigene Leibeshöhle und meistens auch Blut und After; dahin gehören die Wurmtiere (Vermalia) und die höheren Tierstämme, welche sich aus diesen entwickelt haben, die Sterntiere, Weichtiere, Gliedertiere, Manteltiere und Wirbeltiere.

Das sind die wesentlichsten Lehrsätze meiner Gasträatheorie, deren ersten Entwurf (1872) ich später weiter ausgeführt und in einer Reihe von »Studien zur Gasträatheorie« (1873-1884) fester zu begründen mich bemüht habe. Obgleich dieselbe anfangs fast allgemein abgelehnt und während eines Dezenniums von zahlreichen Autoritäten heftig bekämpft wurde, ist sie doch gegenwärtig von allen sachkundigen Fachgenossen angenommen. Sehen wir nun, welche weitreichenden Schlüsse sich aus der Gasträatheorie und der vergleichenden Keimesgeschichte[69] überhaupt für unsere Hauptfrage, die »Stellung des Menschen in der Natur«, ergeben.

Das Ei des Menschen ist, wie das aller anderen Gewebetiere, eine einfache Zelle, und diese kleine kugelige Eizelle (von nur 0,2 mm Durchmesser) hat genau dieselbe charakteristische Beschaffenheit wie diejenige aller anderen lebendig gebärenden Säugetiere. Die kleine Plasmakugel ist nämlich von einer dicken, durchsichtigen, fein radial gestreiften Eihülle umgeben; auch das kleine, kugelige Keimbläschen (der Zellkern), das vom Zytoplasma (dem Zellenleib) eingeschlossen ist, zeigt dieselbe Größe und Beschaffenheit wie bei den übrigen Mammalien. Dasselbe gilt von den beweglichen Spermien oder Samenfäden des Mannes, den winzig kleinen, fadenförmigen Geißelzellen, welche sich zu Millionen in jedem Tröpfchen des schleimartigen männlichen Samens (Sperma) finden; sie wurden früher wegen ihrer lebhaften Bewegung für besondere »Samentierchen« (Spermatozoa) gehalten. Auch die Entstehung dieser beiden wichtigen Geschlechtszellen in der Geschlechtsdrüse (Gonade) ist ganz dieselbe beim Menschen und den übrigen Säugetieren; sowohl die Eier im Eierstock des Weibes (Ovarium) als die Samenfäden im Hoden oder Samenstock des Mannes (Spermarium) entstehen überall auf dieselbe Weise aus Zellen, welche ursprünglich vom Zölom-Epithel abstammen, von der Zellenschicht, welche die Leibeshöhle auskleidet.

Der wichtigste Augenblick im Leben eines jeden Menschen wie jedes anderen Gewebtieres ist der Moment, in welchem seine individuelle Existenz beginnt; es ist der Augenblick, in welchem die Geschlechtszellen der beiden Eltern zusammentreffen und zur Bildung einer einzigen einfachen Zelle verschmelzen. Diese neue Zelle, die »befruchtete Eizelle«, ist die individuelle Stammzelle (Cytula), aus deren wiederholter Teilung die Zellen der Keimblätter der Gastrula hervorgehen. Erst mit der Bildung dieser Cytula, also mit dem Vorgange der Befruchtung selbst, beginnt die Existenz der Person, des selbständigen[70] Einzelwesens. Diese ontogenetische Tatsache ist überaus wichtig; denn aus ihr allein lassen sich die weitestreichenden Schlüsse ableiten. Zunächst folgt daraus die klare Erkenntnis, daß der Mensch, gleich allen anderen Gewebetieren, alle persönlichen Eigenschaften, körperliche und geistige, von seinen beiden Eltern durch Vererbung erhalten hat, und weiterhin die inhaltschwere Überzeugung, daß die neue, so entstandene Person unmöglich Anspruch erheben kann, »unsterblich« zu sein.

Die feineren Vorgänge bei der Empfängnis und der geschlechtlichen Zeugung überhaupt sind daher von allerhöchster Wichtigkeit; sie sind uns in ihren Einzelheiten erst seit 1875 bekannt geworden, seit Oskar Hertwig, mein damaliger Schüler und Reisebegleiter, in Ajaccio auf Korsika seine Untersuchungen über die Befruchtung der Tiereier an den Seeigeln begann. Er fand, daß das einzige wesentliche Ereignis bei der Befruchtung die Verschmelzung der beiden Geschlechtszellen und ihrer Kerne ist. Von den Millionen männlicher Geißelzellen, welche die weibliche Eizelle umschwärmen, dringt nur eine einzige in deren Plasmakörper ein. Die Kerne beider Zellen, der Spermakern und der Eikern, werden durch eine geheimnisvolle Kraft, die wir als eine chemische, dem Geruch verwandte Sinnestätigkeit deuten, zueinander hingezogen, nähern sich und verschmelzen miteinander. So entsteht durch die sinnliche Empfindung der beiden Geschlechtskerne, infolge von »erotischem Chemotropismus«, eine neue Zelle, welche die erblichen Eigenschaften beider Eltern in sich vereinigt. Der Spermakern überträgt die väterlichen, der Eikern die mütterlichen Charakterzüge auf die Stammzelle, aus der sich nun das Kind entwickelt; das gilt ebenso von den körperlichen wie von den geistigen Eigenschaften.

Die Bildung der Keimblätter durch wiederholte Teilung der Stammzelle, die Entstehung der Gastrula und der weiterhin aus ihr hervorgehenden. Keimformen geschieht beim Menschen genau so wie[71] bei den übrigen höheren Säugetieren; unter denselben eigentümlichen Besonderheiten, welche diese Gruppe vor den niederen Wirbeltieren auszeichnen. In früheren Perioden der Keimesgeschichte sind diese Spezialcharaktere der Plazentalien noch nicht ausgeprägt. Die bedeutungsvolle Keimform der Chordula oder »Chordalarve«, die zunächst aus der Gastrula entsteht, zeigt bei allen Vertebraten im wesentlichen die gleiche Bildung: ein einfacher gerader Achsenstab, die Chorda, geht der Länge nach durch die Hauptachse des länglich-runden, schildförmigen Körpers (des »Keimschildes«); oberhalb der Chorda entwickelt sich aus dem äußeren Keimblatt das Rückenmark, unterhalb das Darmrohr. Dann erst erscheinen zu beiden Seiten, rechts und links vom Achsenstab, die Ketten der »Urwirbel«, die Anlagen der Muskelplatten, mit denen die Gliederung des Wirbeltierkörpers beginnt. Vorn am Darm treten beiderseits die Kiemenspalten auf, die Öffnungen des Schlundes, durch welche ursprünglich bei unseren Fischahnen das vom Munde aufgenommene Atemwasser an den Seiten des Kopfes nach außen trat. Infolge zäher Vererbung treten diese Kiemenspalten, die nur bei den fischartigen, im Wasser lebenden Vorfahren von Bedeutung waren, auch heute noch beim Menschen wie bei allen übrigen Vertebraten auf; sie verschwinden später. Selbst nachdem schon am Kopfe die fünf Hirnblasen, seitlich die Anfänge der Augen und Ohren, sichtbar geworden, nachdem am Rumpfe die Anlagen der beiden Beinpaare in Form runder platter Knospen aus dem fischartigen Menschenkeim hervorgesproßt sind, ist dessen Bildung derjenigen anderer Wirbeltiere noch so ähnlich, daß man sie nicht unterscheiden kann.

Die wesentliche Übereinstimmung in der äußeren Körperform und dem inneren Bau, welche die Embryonen des Menschen und der übrigen Vertebraten in dieser früheren Bildungsperiode zeigen, ist eine embryologische Tatsache ersten Ranges; aus ihr lassen sich nach dem biogenetischen Grundgesetze die[72] wichtigsten Schlüsse ableiten. Denn es gibt dafür keine andere Erklärung als die Annahme einer Vererbung von einer gemeinsamen Stammform. Wenn wir sehen, daß in einem bestimmten Stadium die Keime des Menschen und des Affen, des Hundes und des Kaninchens, des Schweines und des Schafes zwar als höhere Wirbeltiere erkennbar, aber sonst nicht zu unterscheiden sind, so kann diese Tatsache eben nur durch gemeinsame Abstammung erklärt werden. Und diese Erklärung erscheint um so sicherer, wenn wir die später eintretende Sonderung oder Divergenz jener Keimformen verfolgen. Je näher sich zwei Tierformen in der gesamten Körperbildung und also auch im natürlichen System stehen, desto länger bleiben sich auch ihre Embryonen ähnlich, und desto enger hängen sie auch im Stammbaum der betreffenden Gruppe zusammen, desto näher sind sie »stammverwandt«. Daher erscheinen die Embryonen des Menschen und der Menschenaffen auch später noch höchst ähnlich, auf einer hoch entwickelten Bildungsstufe, auf welcher ihre Unterschiede von den Embryonen anderer Säugetiere sofort erkennbar sind. Ich habe diese bedeutungsvolle Tatsache sowohl in der natürlichen Schöpfungsgeschichte als in der Anthropogenie durch Zusammenstellung entsprechender Bildungsstufen von einer Anzahl verschiedener Wirbeltiere illustriert.

Die hohe phylogenetische Bedeutung der eben besprochenen Ähnlichkeit tritt nicht nur bei Vergleichung der Vertebratenembryonen selbst hervor, sondern auch bei derjenigen ihrer Keimhüllen. Es zeichnen sich nämlich alle Wirbeltiere der drei höheren Klassen, Reptilien, Vögel und Säugetiere, vor den niederen Klassen durch die Bildung eigentümlicher Embryonalhüllen aus, des Amnion (Wasserhaut) und des Serolemma (seröse Haut). In diesen mit Wasser gefüllten Säcken liegt der Embryo eingeschlossen und ist dadurch gegen Druck und Stoß geschützt. Diese zweckmäßige Schutzeinrichtung ist wahrscheinlich erst während der permischen Periode entstanden,[73] als die ältesten Reptilien (Proreptilien), die gemeinsamen Stammformen der Amniontiere oder Amnioten, vollständig an das Landleben sich anpaßten. Bei ihren direkten Vorfahren, den Amphibien, fehlt diese Hüllenbildung noch ebenso wie bei den Fischen; sie war bei diesen Wasserbewohnern überflüssig. Mit der Erwerbung dieser Schutzhüllen stehen bei allen Amnioten noch zwei andere Veränderungen in engem Zusammenhang, erstens der gänzliche Verlust der Kiemen (während die Kiemenbogen und die Spalten dazwischen als »rudimentäre Organe« sich forterben), und zweitens die Bildung der Allantois. Dieser blasenförmige, mit Wasser gefüllte Sack wächst bei dem Embryo aller Amnioten aus dem Enddarm hervor und ist nichts anderes als die vergrößerte Harnblase der Amphibienahnen. Aus ihrem innersten und untersten Teile bildet sich später die bleibende Harnblase der Amnioten, während der größere äußere Teil rückgebildet wird. Gewöhnlich spielt dieser eine Zeitlang eine wichtige Rolle als Atmungsorgan des Embryo, indem sich mächtige Blutgefäße auf seiner Wand ausbreiten. Sowohl die Entstehung der Keimhüllen (Amnion und Serolemma) als auch der Allantois geschieht beim Menschen genau ebenso wie bei allen anderen Amnioten und durch dieselben verwickelten Prozesse des Wachstums; der Mensch ist ein echtes Amniontier.

Die Ernährung des menschlichen Keimes im Mutterleibe geschieht bekanntlich durch ein eigentümliches, äußerst blutreiches Organ, die sogenannte Plazenta, den Aderkuchen oder Blutgefäßkuchen. Dieses wichtige Ernährungsorgan bildet eine schwammige kreisrunde Scheibe von 16-20 cm Durchmesser, 3-4 cm Dicke und 1-2 Pfund Gewicht; sie wird nach erfolgter Geburt des Kindes abgelöst und als sogenannte »Nachgeburt« ausgestoßen. Die Plazenta besteht aus zwei wesentlich verschiedenen Teilen, dem Fruchtkuchen oder der kindlichen Plazenta und dem Mutterkuchen oder dem mütterlichen Gesäßkuchen. Dieser letztere enthält reich entwickelte[74] Bluträume, welche ihr Blut durch die Gefäße der Gebärmutter zugeführt erhalten. Der Fruchtkuchen dagegen wird aus zahlreichen verästelten Zotten gebildet, welche von der Außenfläche der kindlichen Allantois hervorwachsen und ihr Blut von deren Nabelgefäßen beziehen. Die hohlen blutgefüllten Zotten des Fruchtkuchens wachsen in die Bluträume des Mutterkuchens hinein, und die zarte Scheidewand zwischen beiden wird so sehr verdünnt, daß durch sie hindurch ein unmittelbarer Stoffaustausch der ernährenden Blutflüssigkeit erfolgen kann.

Bei den älteren und niederen Gruppen der Zottentiere (Placentalia) ist die ganze Oberfläche der äußeren Fruchthülle (Chorion) mit zahlreichen kurzen Zotten bedeckt; diese »Chorionzotten« wachsen in grubenförmige Vertiefungen der Schleimhaut der Gebärmutter hinein und lösen sich bei der Geburt leicht von dieser ab. Das ist der Fall bei den meisten Huftieren (z.B. Schwein, Kameel, Pferd) bei den meisten Waltieren und Halbaffen; man hat diese Plazentalien als Indeciduata bezeichnet. Auch beiden übrigen Zottentieren und beim Menschen ist dieselbe Bildung anfänglich vorhanden. Bald aber verändert sie sich, indem die Zotten auf einem Teile des Chorion rückgebildet werden; auf dem anderen Teile entwickeln sie sich dafür um so stärker und verwachsen sehr fest mit der Schleimhaut des Uterus. Infolge dieser innigen Verwachsung löst sich bei der Geburt ein Teil der letzteren ab und wird unter Blutverlust entfernt. Diese hinfällige Haut oder Siebhaut (Decidua) ist eine charakteristische Bildung der höheren Zottentiere, die man deshalb als Deciduata zusammengefaßt hat; dahin gehören namentlich die Raubtiere, Nagetiere, Affen und Menschen. Bei den Raubtieren und einzelnen Huftieren (z.B. Elefanten) ist die Plazenta gürtelförmig, dagegen bei den Nagetieren, bei den Insektenfressern (Maulwurf, Igel), bei den Affen und Menschen scheibenförmig.

Noch bis zum Jahre 1890 glaubten die meisten Embryologen, daß sich der Mensch durch gewisse[75] Eigentümlichkeiten in der Bildung seiner Plazenta auszeichne, sowie durch die besondere Bildung des Nabelstranges, welcher diese mit dem Keime verbindet; diese eigentümlichen Embryonalorgane sollten den übrigen Zottentieren, und insbesondere den Affen, fehlen. Der wichtige Nabelstrang oder die Nabelschnur ist ein zylindrischer weicher Strang von 40-60 cm Länge und von der Dicke des kleinen Fingers (11-13 mm). Er stellt die Verbindung zwischen dem Embryo und dem Mutterkuchen her, indem er die ernährenden Blutgefäße aus dem Körper des Keimes in den Fruchtkuchen leitet; außerdem enthält er auch den Stiel der Allantois und des Dottersackes. Während nun der Dottersack bei menschlichen Früchten aus der dritten Woche der Schwangerschaft noch die größere Hälfte der Keimblase darstellt, wird er später bald rückgebildet, so daß man ihn früher bei reifen Früchten ganz vermißte; doch ist er als Rudiment noch immer vorhanden und auch bei der Geburt noch als winziges Nabelbläschen nachzuweisen. Auch die blasenförmige Anlage der Allantois selbst wird beim Menschen frühzeitig rückgebildet, was mit einer etwas abweichenden Bildung des Amnion zusammenhängt, der Entstehung des sogenannten »Bauchstiels«.

Die Gegner der Entwicklungslehre wiesen mit großem Nachdruck auf diese »ganz besonderen Eigentümlichkeiten« der Fruchtbildung beim Menschen hin, durch die er sich von allen anderen Säugetieren unterscheiden sollte. Da wies 1890 Emil Selenka nach, daß dieselben sich auch bei den Menschenaffen finden, insbesondere beim Orang (Satyrus), während sie den niederen Affen noch fehlen. So bestätigte sich auch hier der Pithekometrasatz von Huxley: »Die Unterschiede zwischen den Menschen und den Menschenaffen sind geringer als diejenigen zwischen den letzteren und den niederen Affen.« Die angeblichen »Beweise gegen die nahe Blutsverwandtschaft des Menschen und der Affen« ergaben sich bei genauer Untersuchung der tatsächlichen Verhältnisse[76] auch hier wieder umgekehrt als wichtige Gründe zugunsten derselben.

Jeder Naturforscher, der mit offenen Augen in diese dunklen, aber höchst interessanten Labyrinthgänge unserer Keimesgeschichte tiefer eindringt, und der imstande ist, sie kritisch mit derjenigen, der übrigen Säugetiere zu vergleichen, wird in denselben die bedeutungsvollsten Lichtträger für das Verständnis unserer Stammesgeschichte finden. Denn die verschiedenen Stufen der Keimbildung werfen als palingenetische Vererbungsphänomene ein helles Licht auf die entsprechenden Stufen unserer Ahnenreihe, gemäß dem biogenetischen Grundgesetze. Aber auch die zänogenetischen Anpassungserscheinungen, die Bildung der vergänglichen Embryonalorgane – der charakteristischen Keimhüllen, und vor allem der Plazenta – geben uns ganz bestimmte Aufschlüsse über unsere nahe Stammverwandtschaft mit den Primaten.[77]

Quelle:
Ernst Haeckel: Gemeinverständliche Werke. Band 3, Leipzig und Berlin [o.J.], S. 61-78.
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