Fünftes Kapitel

Unsere Stammesgeschichte

[78] Monistische Studien über Ursprung und Abstammung des Menschen von den Wirbeltieren, zunächst von den Herrentieren.


Der jüngste unter den großen Zweigen am lebendigen Baume der Biologie ist diejenige Naturwissenschaft, welche wir Stammesgeschichte oder Phylogenie nennen. Sie hat sich noch weit später und unter viel größeren Schwierigkeiten entwickelt als ihre natürliche Schwester, die Keimesgeschichte oder Ontogenie. Diese letztere hatte zur Aufgabe die Erkenntnis der geheimnisvollen Vorgänge, durch welche sich die organischen Individuen, die Einzelwesen der Tiere und Pflanzen, aus dem Ei entwickeln. Die Stammesgeschichte hingegen hat die viel dunklere und schwierigere Frage zu beantworten: »Wie sind die organischen Spezies entstanden, die einzelnen Arten der Tiere und Pflanzen?«

Die Ontogenie (sowohl Embryologie als Metamorphosenlehre) konnte zur Lösung ihrer naheliegenden Aufgaben zunächst unmittelbar den empirischen Weg der Beobachtung betreten; sie brauchte nur Tag für Tag und Stunde für Stunde die sichtbaren Umbildungen zu verfolgen, welche der organische Keim innerhalb kurzer Zeit während der Entwicklung aus dem Ei erfährt. Viel schwieriger war von vornherein die entfernt liegende Aufgabe der Phylogenie; denn die langsamen Prozesse der allmählichen Umbildung, welche die Entstehung der Tier-[78] und Pflanzenarten bewirken, vollziehen sich unmerklich im Verlaufe von Jahrtausenden und Jahrmillionen; ihre unmittelbare Beobachtung ist nur in sehr engen Grenzen möglich, und der weitaus größte Teil dieser historischen Vorgänge kann nur indirekt erschlossen werden: durch kritische Reflexion, durch vergleichende Benutzung von empirischen Urkunden, welche sehr verschiedenen Gebieten angehören, der Paläontologie, Ontogenie und Morphologie. Dazu kam noch das gewaltige Hindernis, welches der natürlichen Stammesgeschichte allgemein durch althergebrachte Vorurteile, besonders die enge Verknüpfung der »Schöpfungsgeschichte« mit übernatürlichen Mythen und religiösen Dogmen bereitet wurde; es ist daher begreiflich, daß die wissenschaftliche Existenz der wahren Stammesgeschichte unter schweren Kämpfen errungen und gesichert werden mußte.

Alle ernstlichen Versuche, welche bis zum Beginne des neunzehnten Jahrhunderts zur Beantwortung des Problems von der Entstehung der Organismen unternommen wurden, blieben in dem mythologischen Labyrinth der übernatürlichen Schöpfungssagen stecken. Einzelne Bemühungen hervorragender Denker, sich von diesem zu emanzipieren und zu einer natürlichen Auffassung zu gelangen, blieben erfolglos. Die mannigfaltigsten Schöpfungsmythen entwickeln sich bei allen älteren Kulturvölkern im Zusammenhang mit der Religion, und während des Mittelalters war es naturgemäß das zur Herrschaft gelangte Christentum, welches die Beantwortung der Schöpfungsfrage für sich in Anspruch nahm. Da die Bibel als die unerschütterliche Basis des christlichen Religionsgebäudes galt, wurde die ganze Schöpfungsgeschichte dem ersten Buche Moses entnommen. Auf dieses stützte sich auch noch der große schwedische Naturforscher Carl Linné, als er 1735 in seinem grundlegenden »Systema Naturae« den ersten Versuch zu einer systematischen Ordnung, Benennung und Klassifikation der unzähligen verschiedenen Naturkörper[79] unternahm. Als bestes, praktisches Hilfsmittel derselben führte er die bekannte doppelte Namengebung oder binäre Nomenklatur ein; jeder einzelnen Art oder Spezies von Tieren und Pflanzen gab er einen besonderen Artnamen und stellte diesem einen allgemeinen Gattungsnamen voran. In einer Gattung (Genus) wurden die nächstverwandten Arten (Species) zusammengestellt: so z.B. vereinigte Linné in dem Genus Hund (Canis) als verschiedene Spezies den Haushund (Canis familiaris), den Schakal (Canis aureus), den Wolf (Canis lupus), den Fuchs (Canis vulpes) u.a. Diese binäre Nomenklatur erwies sich bald so praktisch, daß sie allgemein angenommen wurde und bis heute in der zoologischen und botanischen Systematik allgemein gültig ist.

Höchst verhängnisvoll aber wurde für die Wissenschaft das theoretische Dogma, welches schon von Linné selbst mit seinem praktischen Speziesbegriffe verknüpft wurde. Die erste Frage, welche sich dem denkenden Systematiker aufdrängen mußte, war natürlich die Frage nach dem eigentlichen Wesen des Speziesbegriffes, nach Inhalt und Umfang desselben. Und gerade diese Fundamentalfrage beantwortete sein Schöpfer in naivster Weise in Anlehnung an den allgemein gültigen mosaischen Schöpfungsmythus: »Species tot sunt diversae, quot diversas formas ab initio creavit infinitum ens.« (- Es gibt so viel verschiedene Arten, als im Anfange vom unendlichen. Wesen verschiedene Formen erschaffen worden sind. -) Mit diesem theosophischen Dogma, war jede natürliche Erklärung der Artentstehung abgeschnitten. Linné kannte nur die gegenwärtig existierende Tier- und Pflanzenwelt; er hatte keine Ahnung von den viel zahlreicheren ausgestorbenen Arten, welche in den früheren Perioden der langen Erdgeschichte unseren Erdball in wechselnder Gestaltung bevölkert hatten.

Erst im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts wurden diese fossilen Tiere durch Cuvier näher bekannt. Er gab in seinem berühmten Werke über die[80] fossilen Knochen der vierfüßigen Wirbeltiere (1812) die erste genaue Beschreibung und richtige Deutung zahlreicher Petrefakten. Zugleich wies er nach, daß in den verschiedenen Perioden der Erdgeschichte eine Reihe von ganz verschiedenen Tierbevölkerungen aufeinander gefolgt war. Da nun Cuvier hartnäckig an Linnés Lehre von der absoluten Beständigkeit der Spezies festhielt, glaubte er deren Entstehung nur durch die Annahme erklären zu können, daß eine Reihe von großen Katastrophen und von wiederholten Neuschöpfungen in der Erdgeschichte aufeinander gefolgt sei; im Beginne jeder großen Erdrevolution sollten alle lebenden Geschöpfe vernichtet und am Ende derselben eine neue Bevölkerung erschaffen worden sein. Obgleich diese Katastrophentheorie von Cuvier zu den absurdesten Folgerungen führte und auf den nackten Wunderglauben hinauslief, gewann sie doch bald allgemeine Geltung und blieb bis auf Darwin (1859) in der Biologie herrschend.

Daß die herrschenden Vorstellungen von der absoluten Beständigkeit und übernatürlichen Schöpfung der organischen Arten tiefer denkende Forscher nicht befriedigen konnten, ist leicht einzus1ehen. Daher finden wir denn schon in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts einzelne hervorragende Geister mit Versuchen beschäftigt, zu einer naturgemäßen Lösung des großen »Schöpfungsproblems« zu gelangen. Allen voran war unser größter Dichter und Denker Wolfgang Goethe durch seine vieljährigen und eifrigen morphologischen Studien bereits vor mehr als hundert Jahren zu der klaren Einsicht in den inneren Zusammenhang aller organischen: Formen und zu der festen Überzeugung eines gemeinsamen natürlichen Ursprungs gelangt. In seiner berühmten »Metamorphose der Pflanzen« (1790) leitete er alle verschiedenen Formen der Gewächse von einer Urpflanze ab und alle verschiedenen Organe derselben von einem Urorgane, dem Blatt. In seiner Wirbeltheorie des Schädels versuchte er zu zeigen,[81] daß die Schädel aller verschiedenen Wirbeltiere – mit Inbegriff des Menschen! – in gleicher Weise aus bestimmt geordneten Knochengruppen zusammengesetzt seien, und daß diese letzteren nichts anderes seien als umgebildete Wirbel. Gerade seine eingehenden Studien über vergleichende Osteologie hatten Goethe zu der festen Überzeugung von der Einheit der Organisation geführt; er hatte erkannt, daß das Knochengerüst des Menschen nach demselben Typus zusammengesetzt sei wie das aller übrigen Wirbeltiere – »geformt nach einem Urbilde, das nur in seinen sehr beständigen Teilen mehr oder weniger hin und her weicht und sich noch täglich durch Fortpflanzung aus- und umbildet« –. Diese Umbildung oder Transformation läßt Goethe durch die beständige Wechselwirkung von zwei gestaltenden Bildungskräften geschehen, einer inneren Zentripetalkraft des Organismus, dem »Spezifikationstrieb«, und einer äußeren Zentrifugalkraft, dem Variationstrieb oder der »Idee der Metamorphose«; erstere entspricht dem, was wir heute Vererbung, letztere dem, was wir Anpassung nennen. Wie tief Goethe durch diese naturphilosophischen Studien über »Bildung und Umbildung organischer Naturen« in deren Wesen eingedrungen war, und inwiefern er demnach als der bedeutendste Vorläufer von Darwin und Lamarck betrachtet werden kann, ist aus den interessanten Stellen seiner Werke zu ersehen, welche ich im vierten Vortrage der Natürlichen Schöpfungsgeschichte zusammengestellt habe. In meinem Vortrage über »Die Naturanschauung von Darwin, Goethe und Lamarck« (Eisenach 1882) habe ich dies näher begründet. Indessen kamen doch diese naturgemäßen Entwicklungsideen von Goethe ebenso wie ähnlich (ebenda zitierte) Vorstellungen von Kant, Oken, Treviranus und anderen Naturphilosophen im Beginne des neunzehnten Jahrhunderts nicht über gewisse allgemeine Überzeugungen hinaus. Es fehlte ihnen noch der große Hebel, dessen die »natürliche Schöpfungsgeschichte« zu ihrer[82] Begründung durch die Kritik des Speziesdogmas bedurfte, und diese verdanken wir erst Lamarck.

Den ersten eingehenden Versuch zu einer wissenschaftlichen Begründung des Transformismus unternahm im Beginne des neunzehnten Jahrhunderts der große französische Naturphilosoph Jean Lamarck, der bedeutendste Gegner seines Kollegen Cuvier in Paris. Schon 1802 hatte derselbe in seinen »Betrachtungen über die lebenden Naturkörper« die bahnbrechenden Ideen über die Unbeständigkeit und Umbildung der Arten ausgesprochen, welche er dann 1809 in den zwei Bänden seines tiefsinnigsten Werkes, der Philosophie zoologique, eingehend begründete. Hier führte Lamarck zum erstenmal – gegenüber dem herrschenden Speziesdogma – den richtigen Gedanken aus, daß die organische »Art oder Spezies« eine künstliche Abstraktion sei, ein Begriff von relativem Werte, ebenso wie die übergeordneten Begriffe der Gattung, Familie, Ordnung und Klasse. Er behauptete ferner, daß alle Arten veränderlich und im Laufe sehr langer Zeiträume aus älteren Arten durch Umbildung entstanden seien. Die gemeinsamen Stammformen, von denen dieselben abstammen, waren ursprünglich ganz einfache und niedere Organismen; die ersten und ältesten entstanden durch Urzeugung. Während durch Vererbung innerhalb der Generationsreihen der Typus sich beständig erhält, werden anderseits durch. Anpassung, durch Gewohnheit und Übung der Organe, die Arten allmählich umgebildet. Auch unser menschlicher Organismus ist auf dieselbe natürliche Weise durch Umbildung aus einer Reihe von affenartigen Säugetieren entstanden. Für alle diese Vorgänge, wie überhaupt für alle Erscheinungen in der Natur und im Geistesleben, nimmt Lamarck ausschließlich mechanische, physikalische und chemische Vorgänge als wahre, bewirkende Ursachen an. Seine geistvolle Philosophie zoologique enthält die Elemente für ein rein monistisches Natursystem auf Grund der Entwicklungslehre. Ich habe diese Verdienste Lamarcks[83] im vierten Vortrage meiner Anthropogenie und im fünften Vortrage der Natürlichen Schöpfungsgeschichte eingehend erörtert.

Man hätte erwarten sollen, daß dieser großartige Versuch, die Abstammungslehre oder Deszendenztheorie wissenschaftlich zu begründen, alsbald den herrschenden Mythus von der Speziesschöpfung erschüttert und einer natürlichen Entwicklungslehre Bahn gebrochen hätte. Indessen vermochte Lamarck gegenüber der konservativen Autorität seines großen Gegners Cuvier ebensowenig durchzudringen, wie zwanzig Jahre später sein Kollege und Gesinnungsgenosse Géoffroy St. Hilaire. Die berühmten Kämpfe, welche dieser Naturphilosoph 1830 im Schöße der Pariser Akademie mit Cuvier zu bestehen hatte, endigten mit einem vollständigen Siege des letzteren. Die mächtige Entfaltung, welche zu jener Zeit das empirische Studium der Biologie fand, die Fälle von interessanten Entdeckungen auf den Gebieten der vergleichenden Anatomie und Physiologie, die Begründung der Zellentheorie und die Fortschritte der Ontogenie gaben den Zoologen und Botanikern einen solchen Überfluß von dankbarem Arbeitsmaterial, daß darüber die schwierige und dunkle Frage nach der Entstehung der Arten ganz vergessen wurde. Man beruhigte sich bei dem althergebrachten Schöpfungsdogma. Selbst nachdem der große englische Naturforscher Charles Lyell 1830 in seinen Prinzipien der Geologie die abenteuerliche Katastrophentheorie von Cuvier widerlegt und für die anorganische Natur unseres Planeten einen natürlichen und kontinuierlichen Entwicklungsgang nachgewiesen hatte, fand sein einfaches Kontinuitätsprinzip auf die organische Natur keine Anwendung. Die Anfänge der natürlichen Phylogenie, welche in Lamarcks Werken verborgen lagen, wurden ebenso vergessen, wie die Keime zu einer natürlichen Ontogenie, welche 50 Jahre früher (1759) Caspar Friedrich Wolff in seiner Theorie der Generation gegeben hatte. Hier wie dort verfloß ein volles halbes Jahrhundert,[84] ehe die bedeutendsten Ideen über natürliche Entwicklung die gebührende Anerkennung fanden. Erst nachdem Darwin 1859 die Lösung des Schöpfungsproblems von einer ganz anderen Seite angefaßt und den reichen, inzwischen angesammelten Schatz von empirischen Kenntnissen glücklich dazu verwertet hatte, fing man an, sich auf Lamarck, als seinen bedeutendsten Vorgänger, wieder zu besinnen.

Der beispiellose Erfolg von Charles Darwin ist allbekannt; er läßt ihn heute, wenn nicht als den größten, so doch als den wirkungsvollsten Naturforscher des neunzehnten Jahrhunderts erscheinen. Denn kein anderer von den zahlreichen großen Geisteshelden dieses merkwürdigen Zeitraums hat in einem einzigen klassischen Werke einen so gewaltigen, so tiefgehenden und so umfassenden Erfolg erzielt, wie Darwin 1859 mit seinem berühmten Hauptwerk: »Über die Entstehung der Arten im Tier- und Pflanzenreich durch natürliche Züchtung oder Erhaltung der vervollkommneten Rassen im Kampfe ums Dasein.« Gewiß hat die Reform der vergleichenden Anatomie und Physiologie durch Johannes Müller der ganzen Biologie eine neue, fruchtbare Epoche eröffnet, gewiß waren die Begründung der Zellentheorie durch Schleiden und Schwann, die Reform der Ontogenie durch Baer, die Begründung des Substanzgesetzes durch Robert Mayer und Helmholtz wissenschaftliche Großtaten ersten Ranges; aber keine von ihnen hat nach Tiefe und Ausdehnung eine so gewaltige, unser ganzes menschliches Wissen umgestaltende Wirkung ausgeübt wie Darwins Theorie von der natürlichen Entstehung der Arten. Denn damit war ja das mystische »Schöpfungsproblem« gelöst und mit ihm die inhaltsschwere »Frage aller Fragen«, das Problem vom wahren Wesen und von der Entstehung des Menschen selbst.

Vergleichen wir die beiden großen Begründer des Transformismus, so finden wir bei Lamarck überwiegende[85] Neigung zur Deduktion und zum Entwurfe eines vollständigen monistischen Naturbildes, bei Darwin hingegen vorherrschende Anwendung der Induktion und das vorsichtige Bemühen, die einzelnen Teile der Deszendenztheorie durch Beobachtung und Experiment möglichst sicher zu begründen. Während der französische Naturphilosoph den damaligen Kreis des empirischen Wissens weit überschritt und eigentlich das Programm der zukünftigen Forschung entwarf, hatte der englische Experimentator umgekehrt den großen Vorteil, das eingehende Erklärungsprinzip für eine Masse von empirischen Kenntnissen zu begründen, die bis dahin unverstanden sich angehäuft hatten. So erklärt es sich, daß der Erfolg von Darwin ebenso überwältigend, wie derjenige von Lamarck verschwindend war. Darwin hatte aber nicht allein das große Verdienst, die allgemeinen Ergebnisse der verschiedenen biologischen Forschungskreise in dem gemeinsamen Brennpunkte des Deszendenzprinzips zu sammeln und dadurch einheitlich zu erklären, sondern er entdeckte auch in dem Selektionsprinzip jene direkte Ursache der. Transformation, welche Lamarck noch gefehlt hatte. Indem Darwin als praktischer Tierzüchter die Erfahrungen der künstlichen Zuchtwahl auf die Organismen im freien Naturzustande anwendete und in dem »Kampf ums Dasein« das auslesende Prinzip der natürlichen Zuchtwahl entdeckte, schuf er seine bedeutungsvolle Selektionstheorie, den eigentlichen Darwinismus.

Unter den zahlreichen und wichtigen Aufgaben, welche Darwin der modernen Biologie stellte, erschien als eine der nächsten die Reform des zoologischen und botanischen Systems. Wenn die unzähligen Tier- und Pflanzenarten nicht durch übernatürliche Wunder »erschaffen«, sondern durch natürliche Umbildung »entwickelt« waren, so ergab sich das »natürliche System« derselben als ihr Stammbaum. Den ersten Versuch, das System in diesem Sinne umzugestalten, unternahm ich selbst (1866) in meiner[86] »Generellen Morphologie der Organismen«. Der erste Band dieses Werkes (Allgemeine Anatomie) behandelte die »mechanische Wissenschaft von den entwickelten Formen«, der zweite Band (Allgemeine Entwicklungsgeschichte) diejenige von den »entstehenden Formen«. Die systematische Einleitung in die letztere bildet eine »Genealogische Übersicht des natürlichen Systems der Organismen«. Bis dahin hatte man unter »Entwicklungsgeschichte« sowohl in der Zoologie als in der Botanik ausschließlich diejenigen der organischen Individuen verstanden (Embryologie und Metamorphosenlehre). Ich begründete dagegen die Ansicht, daß dieser Keimesgeschichte (Ontogenie) als zweiter, gleichberechtigter und eng verbundener Zweig die Stammesgeschichte (Phylogenie) gegenüberstehe. Beide Zweige der Entwicklungsgeschichte stehen nach meiner Auffassung im engsten kausalen Zusammenhang; dieser beruht auf der Wechselwirkung der Vererbungs- und Anpassungsgesetze; er fand seinen präzisen und umfassenden Ausdruck in meinem »Biogenetischen Grundgesetze«.

Da die neuen, in der »Generellen Morphologie« niedergelegten Anschauungen trotz ihrer streng wissenschaftlichen Fassung bei den sachkundigen Fachgenossen sehr wenig Beachtung und noch weniger Beifall fanden, versuchte ich, den wichtigsten Teil derselben in einem kleineren, mehr populär gehaltenen Werke einem größeren, gebildeten Leserkreise zugänglich zu machen. Dies geschah 1868 in der »Natürlichen Schöpfungsgeschichte« (Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Entwicklungslehre im allgemeinen und diejenige von Darwin, Goethe und Lamarck im besonderen). Wenn der gehoffte Erfolg der »Generellen Morphologie« weit unter meiner berechtigten Erwartung blieb, so ging umgekehrt derjenige der »Natürlichen Schöpfungsgeschichte« weit über dieselbe hinaus. Es erschienen im Laufe von 34 Jahren zehn umgearbeitete Auflagen und zwölf verschiedene Übersetzungen von derselben. Trotz seiner großen Mängel hat dieses Buch[87] doch viel dazu beigetragen, die Grundgedanken unserer modernen Entwicklungslehre in weiteren Kreisen zu verbreiten. Allerdings konnte ich meinen Hauptzweck, die phylogenetische Umbildung des natürlichen Systems, dort nur in allgemeinen Umrissen andeuten. Indessen habe ich die ausführliche, dort vermißte Begründung des phylogenetischen Systems später in einem größeren Werke nachgeholt, in der »Systematischen Phylogenie« (Entwurf eines natürlichen Systems der Organismen auf Grund ihrer Stammesgeschichte). Der erste Band derselben (1894) behandelt die Protisten und Pflanzen, der zweite (1896) die wirbellosen Tiere, der dritte (1895) die Wirbeltiere. Die Stammbäume der kleineren und größeren. Gruppen sind hier so weit ausgeführt, als es mir meine Kenntnis der drei großen »Stammesurkunden« damals gestattete, der Paläontologie, Ontogenie und Morphologie.

Den engen, ursächlichen Zusammenhang, welcher nach meiner Überzeugung zwischen den beiden Zweigen der organischen Entwicklungsgeschichte besteht, hatte ich schon in der Generellen Morphologie (am Schlusse des fünften Buches) als einen der wichtigsten Begriffe des Transformismus hervorgehoben und einen präzisen Ausdruck dafür in mehreren »Thesen von dem. Kausalnexus der biontischen und der phyletischen Entwicklung« gegeben: »Die Ontogenesis ist eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenesis, bedingt durch die physiologischen Funktionen der Vererbung (Fortpflanzung) und Anpassung (Ernährung)«. Schon Darwin hatte (1859) die große Bedeutung seiner Theorie für die Erklärung der Embryologie betont, und Fritz Müller hatte dieselbe (1864) an dem Beispiele einer einzelnen Tierklasse, der Krustazeen, erläutert, in der geistvollen kleinen Schrift: »Für Darwin« (1864). Ich selbst habe dann die allgemeine Geltung und die fundamentale Bedeutung jenes biogenetischen Grundgesetzes in einer Reihe von Arbeiten nachzuweisen versucht, insbesondere in der Biologie der Kalkschwämme (1872) und[88] in den »Studien zur Gasträatheorie« (1873-1884). Die dort aufgestellte Lehre von der Homologie der Keimblätter, sowie von den Verhältnissen der Palingenie (Auszugsgeschichte) und der Zenogenie (Störungsgeschichte) ist seitdem durch zahlreiche Arbeiten anderer Zoologen bestätigt worden; durch sie ist es möglich geworden, die natürlichen Gesetze der Einheit in der mannigfaltigen Keimesgeschichte der Tiere nachzuweisen; für ihre Stammesgeschichte ergibt sich daraus die gemeinsame Ableitung von einer einfachsten ursprünglichen Stammform.

Der weitschauende Begründer der Abstammungslehre, Lamarck, hatte schon 1809 richtig erkannt, daß dieselbe allgemeine Geltung besitze, und daß also auch der Mensch, als das höchstentwickelte Säugetier, von demselben Stamme abzuleiten sei wie alle anderen Mammalien, und diese weiter hinauf von demselben älteren Zweige des Stammbaumes wie die übrigen Wirbeltiere. Er hatte auch schon auf die Vorgänge hingewiesen, durch welche die Abstammung des Menschen vom Affen, als dem nächstverwandten Säugetiere, wissenschaftlich erklärt werden könne. Darwin, der naturgemäß zu derselben Überzeugung gelangt war, ging in seinem Hauptwerk (1859) über diese anstößigste Folgerung seiner Lehre absichtlich hinweg und hat dieselbe erst später (1871) in seinem Werke über »Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl« geistreich ausgeführt. Inzwischen hatte aber schon sein Freund Huxley (1863) jenen wichtigen Folgeschluß der Abstammungslehre sehr scharfsinnig erörtert in seiner berühmten kleinen Schrift über die »Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur«. An der Hand der vergleichenden Anatomie und Ontogenie und gestützt auf die Tatsachen der Paläontologie zeigte Huxley, daß die »Abstammung des Menschen vom Affen« eine notwendige Konsequenz des Darwinismus sei, und daß eine andere wissenschaftliche Erklärung von der Entstehung des Menschengeschlechtes überhaupt nicht gegeben werden könne.[89] Diese Überzeugung teilte auch damals schon Carl Vogt, sowie Carl Gegenbaur, der bedeutendste Vertreter der vergleichenden Anatomie, welcher diese wichtige Wissenschaft durch die konsequente und scharfsinnige Anwendung der Deszendenztheorie auf eine höhere Stufe erhoben hat.

Als weitere Folgerung dieser Pithekoidentheorie (oder »Affenabstammungslehre« des Menschen) ergab sich die schwierige Aufgabe, nicht nur die nächstverwandten Säugetierahnen des Menschen in der Tertiärzeit zu erforschen, sondern auch die lange Reihe der älteren tierischen Vorfahren, welche in früheren Zeiträumen der Erdgeschichte gelebt und während ungezählter Jahrmillionen sich entwickelt hatten. Die hypothetische Lösung dieser großen historischen Aufgabe hatte ich schon 1866 in der Generellen Morphologie zu beginnen versucht; weiter ausgeführt habe ich dieselbe 1874 in meiner Anthropogenie (I. Teil: Keimesgeschichte, II. Teil: Stammesgeschichte). Die sechste, umgearbeitete Auflage dieses Buches (1910) enthält diejenige Darstellung der Entwicklungsgeschichte des Menschen, welche bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Urkundenkenntnis sich dem fernen Ziele der Wahrheit nach meiner persönlichen Auffassung am meisten nähert; ich war dabei stets bemüht, alle drei empirischen Urkunden, die Paläontologie, Ontogenie und Morphologie (oder vergleichende Anatomie), möglichst gleichmäßig und im Zusammenhange zu benutzen. Sicher werden die hier gegebenen Deszendenzhypothesen im einzelnen durch spätere phylogenetische Forschungen vielfach ergänzt und berichtigt werden; aber ebenso sicher steht für mich die Überzeugung, daß der dort entworfene Stufengang der menschlichen Stammesgeschichte im großen und ganzen der Wahrheit entspricht. Denn die historische Reihenfolge der Wirbeltierversteinerungen entspricht vollständig der morphologischen Entwicklungsreihe, welche uns die vergleichende Anatomie und Ontogenie enthüllt: auf die silurischen Fische folgen die devonischen[90] Lurchfische, die karbonischen Amphibien, die permischen Reptilien und die mesozoischen Säugetiere; von diesen erscheinen wiederum zunächst in der Trias die niedersten Formen, die Gabeltiere (Monotremen), dann im Jura die Beuteltiere (Marsupialien)und darauf in der Kreide die ältesten Zottentiere (Placentalien). Von diesen letzteren treten wieder zunächst in der ältesten Tertiärzeit (Eocaen) die niedersten Primatenahnen auf, die Halbaffen; darauf (in der Miozänzeit) die echten Affen, und zwar von den Katarrhinen zuerst die Hundsaffen (Cynopitheken), später die Menschenaffen (Anthropomorphen); aus einem Zweige dieser letzteren ist während der Pliozänzeit der sprachlose Affenmensch entstanden (Pithecanthropus alalus) und aus diesem endlich der sprechende Mensch.

Viel schwieriger und unsicherer als diese Kette unserer Wirbeltierahnen ist diejenige der vorhergehenden wirbellosen Ahnen zu erforschen; denn von ihren weichen skelettlosen Körpern kennen wir keine versteinerten Überrest; die Paläontologie kann uns hier keinerlei Zeugnis liefern. Um so wichtiger werden hier die Urkunden der vergleichenden Anatomie und Ontogenie. Da der menschliche Keim denselben Chordulazustand durchläuft wie der Embryo aller anderen Wirbeltiere, da er sich ebenso aus zwei Keimblättern einer Gastrula entwickelt, schließen wir nach dem biogenetischen Grundgesetze auf die frühere Existenz entsprechender Ahnenformen (Vermalien, Gastraeaden). Vor allem wichtig aber ist die fundamentale Tatsache, daß auch der Keim des Menschen, gleich demjenigen aller anderen Tiere, sich ursprünglich aus einer einfachen Zelle entwickelt; denn diese Stammzelle (Cytula) – die »befruchtete Eizelle« – weist zweifellos auf eine entsprechende einzellige Stammform hin, ein uraltes (laurentisches) Protozoon.

Für unsere monistische Philosophie ist es übrigens zunächst ziemlich gleichgültig, wie sich im einzelnen die Stufenreihe unserer tierischen Vorfahren noch sicherer[91] feststellen lassen wird. Für sie bleibt als sichere historische Tatsache die folgenschwere Erkenntnis bestehen, daß der Mensch zunächst vom Affen abstammt, weiterhin von einer langen Reihe niederer Wirbeltiere. Die logische Begründung dieses Pithekometrasatzes habe ich schon 1866 im siebenten Buche der »Generellen Morphologie« betont (S. 427): »Der Satz, daß der Mensch sich aus niederen Wirbeltieren, und zwar zunächst auch echten Affen entwickelt hat, ist ein spezieller Deduktionsschluß, welcher sich aus dem generellen Iduktionsgesetze der Deszendenztheorie mit absoluter Notwendigkeit ergibt.«

Von größter Bedeutung für die definitive Feststellung und Anerkennung dieses fundamentalen Pithekometrasatzes sind die paläontologischen Entdeckungen der letzten drei Dezennien geworden; insbesondere haben, uns die überraschenden Funde von zahlreichen ausgestorbenen Säugetieren der Tertiärzeit in den Stand gesetzt, die Stammesgeschichte dieser wichtigsten Tierklasse, von den niedersten, eierlegenden Monotremen bis zum Menschen hinauf, in ihren Grundzügen klarzulegen. Die vier Hauptgruppen der Zottentiere oder Placentalia, die formenreichen Legionen der Raubtiere, Nagetiere, Huftiere und Herrentiere, erscheinen durch tiefe Klüfte getrennt, wenn wir nur die heute noch lebenden Epigonen als Vertreter derselben ins Auge fassen. Diese Klüfte werden aber vollkommen ausgefüllt und die scharfen Unterschiede der vier Legionen gänzlich verwischt, wenn wir ihre tertiären, ausgestorbenen Vorfahren vergleichen, und wenn wir bis in die eozäne Geschichtsdämmerung der ältesten Tertiärzeit hinabsteigen (mindestens drei Millionen Jahre zurückliegend!). Da finden wir die große Unterklasse der Zottentiere, die heute mehr als 2500 Arten umfaßt, nur durch eine sehr geringe Zahl von kleinen und unbedeutenden »Urzottentieren« vertreten; und in diesen Mallotherien erscheinen die Charaktere jener vier divergenten Legionen so gemischt und verwischt, daß[92] wir sie vernünftigerweise nur als gemeinsame Vorfahren derselben deuten können. Die ältesten Raubtiere, die ältesten Nagetiere, die ältesten Huftiere, und die ältesten Herrentiere besitzen alle im wesentlichen dieselbe Bildung des Knochengerüstes und dasselbe typische Gebiß der ursprünglichen Plazentalien, mit 44 Zähnen (in jeder Kieferhälfte drei Schneidezähne, ein Eckzahn, vier Lückenzähne und drei Mahlzähne); sie zeichnen sich alle durch die geringe Größe und unvollkommene Bildung ihres Gehirns aus (besonders des wichtigsten Teiles, der Großhirnrinde, die sich erst später bei den miozänen und pliozänen Epigonen zum wahren »Denkorgan« entwickelt hat); sie haben alle kurze Beine und fünfzehige Füße, die mit der flachen Sohle auftreten. Bei manchen dieser ältesten Zottentiere der Eozänzeit war es anfangs zweifelhaft, ob man sie zu den Raubtieren oder Nagetieren, zu den Huftieren oder Herrentieren stellen sollte; so sehr nähern sich hier unten diese vier großen, später so sehr verschiedenen Legionen der Plazentalien bis zur Berührung. Unzweifelhaft folgt daraus ihr gemeinsamer Ursprung aus einer einzigen Stammgruppe. Diese Prochoriata oder Mallotheria lebten schon in der vorhergehenden Kreideperiode (vor mehr als drei Jahrmillionen!) und sind wahrscheinlich in der Juraperiode aus einer Gruppe von insektenfressenden Beuteltieren (Amphitheria) durch Ausbildung einer primitiven Placenta diffusa entstanden, einer Zottenhaut einfachster Art.

Die wichtigsten aber von allen neueren paläontologischen Entdeckungen, welche die Stammesgeschichte der Zottentiere aufgeklärt haben, betreffen unseren eigenen Stamm, die Legion der Herrentiere (Primates). Früher waren versteinerte Reste derselben äußerst selten. Noch Cuvier, der große Gründer der Paläontologie, behauptete bis zu seinem Tode (1832), daß es keine Versteinerungen von Primaten gäbe; zwar hatte er selbst schon den Schädel eines eozänen Halbaffen (Adapis) beschrieben, ihn aber irrtümlich für ein Huftier gehalten. In den letzten[93] beiden. Dezennien sind aber gut erhaltene, versteinerte Skelette von Halbaffen und Affen in ziemlicher Zahl entdeckt worden; darunter befinden sich alle die wichtigen Zwischenglieder, welche eine zusammenhängende Ahnenkette von den ältesten Halbaffen bis zum Menschen hinauf überzeugend darstellen.

Der berühmteste und interessanteste von diesen fossilen Funden ist der versteinerte Affenmensch von Java, welchen der holländische Militärarzt Eugen Dubois 1891 entdeckt hat, der vielbesprochene Pithecanthropus erectus. Er ist in der Tat das vielgesuchte »Missing link«, das angeblich »fehlende Glied« in der Primatenkette, welche sich ununterbrochen vom niedersten katarrhinen Affen bis zum höchst entwickelten Menschen hinaufzieht. Ich habe die hohe Bedeutung, welche dieser merkwürdige Fund besitzt, ausführlich erörtert in dem Vortrage »Über unsere gegenwärtige Kenntnis vom Ursprung des Menschen«, welchen ich am 26. August 1898 auf dem vierten Internationalen Zoologenkongreß in Cambridge gehalten habe. Der Paläontologe, welcher die Bedingungen für die Bildung und Erhaltung von Versteinerungen kennt, wird die Entdeckung des Pithekanthropus als einen besonders glücklichen Zufall betrachten. Denn als Baumbewohner kommen die Affen nach ihrem Tode (wenn sie nicht zufällig ins Wasser fallen) nur selten unter Verhältnisse, welche die Erhaltung und Versteinerung ihres Knochengerüstes gestatten. Durch den Fund dieses fossilen Affenmenschen von Java ist also auch von seiten der Paläontologie die »Abstammung des Menschen vom Affen« ebenso klar und sicher bewiesen, wie es früher schon durch die Urkunden der vergleichenden Anatomie und Ontogenie geschehen war; wir besitzen jetzt in der Tat alle wesentlichen Urkunden unserer Stammesgeschichte.

Im Laufe der letzten Zeit sind über die »Affenabstammung« des Menschen und insbesondere über seine Beziehungen zu dem fossilen Pithecanthropus[94] zahlreiche Abhandlungen veröffentlicht worden. Vielfach wird darin versucht, die hohe Bedeutung des »Affenmenschen« von Java herabzudrücken, indem man entweder seine unzweifelhafte morphologische Zwischenstellung zwischen dem Menschen und den bekannten lebenden Menschenaffen leugnet oder seine Existenz in der Tertiärzeit bestreitet. Während die einen Gegner ihn bloß als einen großen Gibbon (Hylobates) gelten lassen wollen, betrachten ihn die anderen als Überrest einer diluvialen Menschenrasse, die für die Affenabstammung nichts beweise. Das schließliche Ergebnis dieser widersprechenden Ansichten ist die Bestätigung unserer Auffassung, daß der Pithecanthropus wirklich eines der gesuchten »Zwischenglieder« zwischen Mensch und Affe darstelle.

Anderseits ist von mehreren Anthropologen der Versuch gemacht worden, die Verwandtschaft des Menschen nicht nur mit den Affen und Halbaffen, sondern auch mit allen anderen bekannten Säugetieren zu leugnen und seine Herkunft von einer langen Reihe gänzlich unbekannter ausgestorbener Säugetiere abzuleiten. Einige Dilettanten, welche die vergleichende Anatomie und Ontogenie dieser Klasse nicht genügend kennen, wollen sogar den Menschen als die ursprünglichste Form der Säugetiere hinstellen und alle anderen durch Rückbildung (- im Sündenfall? -) davon ableiten. Alle diese phantastischen Hypothesen werden anatomisch durch den Pithekometrasatz von Huxley widerlegt und physiologisch durch die interessanten Experimente von Friedenthal und Uhlenhuth, welche den direkten Beweis der wahren Blutsverwandtschaft des Menschen und der Menschenaffen geliefert haben.

Auch die fossilen Menschenreste aus der Diluvialzeit, insbesondere die viel umstrittenen Schädel aus dem Neandertal (1856), aus den belgischen Knochenhöhlen von Spy (1886) und von Krapina (1899) sind neuerdings in ihrer phyletischen Bedeutung richtig gewürdigt worden. Der Anatom Gustav Schwalbe in[95] Straßburg hat durch sehr sorgfältige und kritische Untersuchungen 1904 nachgewiesen, daß sie als Reste einer ausgestorbenen Art von Urmenschen (Homo primigenius) zu betrachten sind, welche zwischen dem tertiären Pithecanthropus und dem lebenden Homo sapiens genau in der Mitte steht.[96]

Quelle:
Ernst Haeckel: Gemeinverständliche Werke. Band 3, Leipzig und Berlin [o.J.], S. 78-97.
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