Klaggedicht, in Gestalt eines Sendschreibens über die Kirchenmusick;
an ein geistreiches Frauenzimmer ausser Landes.

Gedruckt

auf Unkosten des Herausgebers, der

sein Postscript, statt der Vorrede, bestens empfiehlt.[143]


Luc. XIII, 20. 21.


Und abermal sprach er: Wem soll ich das Reich GOttes vergleichen? Es ist einem Sauerteige gleich, welchen ein Weib nahm, und verbarg ihn unter drey Scheffel Mehls, bis daß es ganz sauer ward.[144]


Meine K ...


Sie haben den Reiz einer Sevigne für meinen Geschmack, und den Werth einer Maintenon für mein Herz. Lassen Sie sich durch dieses gedruckte Lob, das keine Lüge seyn wird, erbitten weiter zu lesen.

Ich ersetze den Mangel meiner Aufwartung, die ich neulich schuldig gewesen wäre, da ich Ihr Fenster vorbey fuhr, durch ein feyerlichs Sendschreiben. Der Inhalt desselben wird Sie befremden, so sehr sonst die meisten Ihres Geschlechts darauf horchen, daß ihre Liebhaber ähnliche Sayten mit meiner Aufschrift, berühren sollen – – Hat es einem großen Sänger Deutschlands nicht unanständig geschienen, in einer Ode an GOtt von einer paradiesischen Männin zu träumen, die keine Heva geworden; warum solte mir der kindische Anschlag verdacht werden, in einer Elegie an ein geistreiches Frauenzimmer von der Kirchenmusick beyläufig zu handeln?

Sie erinnern sich vielleicht einer Betschwester, die den künstlichen Fleis ihrer Nadel zu Allmosen verschwendete: nach diesem Beyspiel hat meine Feder auch einmal für die milde Stiftung einer wöchentlichen Colleckte1 gearbeitet. Ohnerachtet ich nur in der niedrigen Gestalt eines Sprachmäcklers die gelehrte Bühne betreten wollte; befliß ich mich doch, wie ein guter Haushalter, Altes und Neues zu Markt zu bringen. Bey aller Demuth in der Wahl meiner Materie, bey aller Treue in der Ausarbeitung, hab ich leyder! erfahren müssen, wie eitel der Mammonsdienst der Musen ist, und daß man von unserm gemeinen Wesen die Gesinnungen der Grosmuth nicht erwarten darf, womit Jener reiche, der arm wurde um unsertwillen, die Beysteuer von zwey Scherflein aufzunehmen geruhte. – Aller Tadel der frechsten Splitterrichter verliert seinen Stachel, sobald man sich erinnert, daß der ehrlichste und bescheidenste Rädelsführer2 eines Weges, den sie eine Secte heißen, den Verdacht einer gelehrten Krankheit leiden mußte.

Göttlich ist es, meine Freundin! ja, göttlich ist es, die Schwachheiten der Schwachen anzuziehen, und sich ihrer Denkungsart so wenig als ihres Fleisches und Blutes, zu seiner Tracht zu schämen; aber es ist auch menschlich zu brennen und feurige Kohlen auf den Haarschedel derjenigen zu sprechen, welchen die Wahrheit zum Stein des Anstoßes gereicht und die sich daran ärgern, wodurch sie gewitzigt und gebessert[145] werden könnten. Vergeben Sie es daher einem Jüngling, der ohne Begeisterung weder schreiben noch lieben mag, wenn er brummt3 – und von seiner empfindlichen Nase, gleich einem sarmatischen Bär, die Fliegen4 hinwegschleudert, welche den Räuber ihrer im Reich der Flora erbeuteten Streifereyen, rachgierig zu verfolgen so unverschämt sind.

Diese dichterische Klagen werden durch einige vermischte Anmerkungen veranlaßt, die ich über die Wortfügung in der französischen Sprache mit patriotischer Freyheit zusammengeworfen – – nach Maasgebung eines nahmhaften Kleinmeisters, der durch seine Caricatur von der schwarzen Kunst zu herrschen und der Heldengabe zu dienen den blödsinnigen Pöbel geäfft. Erlauben Sie mir eine einzige Stelle, die ich zur Grundlage meines Briefes geweyht, hier einzuschalten.

»Rousseau, der Philosoph von Genf, hat der französischen Nation aus den Eigenschaften ihrer Sprache allen Anspruch auf einige Verdienste in der Tonkunst abzustreiten gesucht. Gewonnen Spiel für ihn, wenn man entweder die Kirchenmusick unserer Kolonisten, zum Muster der Vergleichung; oder die schwärmerische Stimme welscher Verschnittenen, zur Schiedsrichterin der Harmonie machen will.«

Welch Hyperbel von einer Brille gehört dazu, um diesen Mückenstich zu den Höckern eines Profanscribenten zu vergrößern, der nicht nur die Kirchenmusick einer friedfertigen Gemeine unter uns für ein schlechtes Muster der Vergleichung in einer schönen Kunst andeuten darf; sondern auch heilige und gemeine Dinge an einem Joch ziehen läßt, und, (wie unsere Eiferer für die Beschneidung des Christenthums sich mit Unverstand auszudrücken gewohnt sind,) Christus mit Belial zu stimmen sucht!

Es stünde bey mir, meine Muse! die Beschuldigung ungenannter Gegner einzuräumen, und mich damit zu vertheidigen, daß der Heiligkeit eines Kirchendienstes nichts zu Leide geschieht, man mag ihre Musick für so elend halten als man will, weil es ihre Absicht nicht ist, sich Menschen zu empfehlen. Warum sollte sie, die eine Magd5 im Hause des HErrn zu seyn gewürdigt wird, um sterblichen Geschmack buhlen, wenn der Höchste ihre Niedrigkeit ansieht und sich eben dadurch[146] bewegen läßt, Sein Ohr zu ihr zu neigen; was Menschen hingegen entzückt, ein Gräuel vor GOtt ist.

Sorgt GOtt für die Farren und Kälber unserer Lippen? – Der sich die Stimme der Raben, wenn sie ihn anruffen, gefallen läßt, und den Mund der Säuglinge zum Herold seines Ruhmes bereiten kann, zieht den Ernst eines erstickten Seufzers, – einer zurückgehaltenen Zähre, – der spitzfindigen Gerechtigkeit des Wohlklangs und dem Nierenfett der Chöre vor. Mitten in dieser Betrachtung schielt einer der zärtlichsten Blicke, meine K ... nach Ihren Busen, in dem sich mir ein Himmel ähnlicher Triebe spiegelt. Sind Sie nicht selbst so wunderlich, den Briefwechsel eines Menschen, der albern mit reden ist, der fruchtbringenden Gesellschaft lustiger Kleinmeister und junger Herren von männlichen Jahren und Geschäften vorzuziehen, die albern im Erkänntnis sind, wenn gleich ihre Weisheit wie Scheidemünze in Zechen rollt und ihr Witz, – deutlich vernehmbar wie ein Hackbrett, gründlich wie ein Mühlrad in seinem Lauf, – den Nervenhäuten des Gehirns liebkoßt.

Doch ist es allerdings um unsertwillen geschrieben, auch ein neues Lied6 zu singen, liebliche Psalmen mit wohlklingenden Cymbeln zu vermählen, es gut zu machen auf Saytenspielen mit Schalle, den HErrn schön zu preisen, damit unser ganzes Herz zu Seinem Lob erwache und Leib mit Geiste sich freuen möge GOttes, unsers Heylandes.

Am sichersten unterdessen ist es, liebste Freundin, durch ein förmliches Läugnen die ganze Anklage zu vernichten, daß ich ein nachtheiliges Urtheil über die Musick einer fremden Kirche hegen sollte. Sie wissen, wie sehr ich die Mühe und Gefahr etwas zu untersuchen scheue, und wie gern ich mit dem ersten, dem besten, Urtheil für lieb nehme, das mir von andern zugeschnitten wird. Ich habe also nichts mehr gethan als leichtgläubig nachgepfiffen, was ich oft genug von denen, die nicht in diese Gemeine gehören und ihres Gesanges daher nicht gewohnt sind, gehört und ihre angenommene Meynung Lehnsweise mir eigen gemacht. Das langsame Zeitmaas7 ihrer Melodien aber ist der einzige Vorwand, der mir jemals von dem allgemeinen Misfallen daran, angeführt worden.

Nachdem ich durch diese Erklärung alle Zweydeutigkeit meines Wortspiels gehoben, so will ich meine Unschuld noch in ein helleres Licht setzen, indem ich bekenne, daß meine eigene Empfindungen durch die[147] Artigkeit der Sangweisen weniger befriedigt werden möchten, als durch die sittliche Schönheit des jenen zur Last gelegten Zeitmaaßes. Eine Verläugnung seines Erbcharakters scheint mir ein wesentliches Stück des öffentlichen Dienstes zu seyn. Die gar zu weltliche Melodien, (wie man im gemeinen Leben sagt,) werden daher von einigen nicht gebilligt zu solchen Versammlungen, wo man den Leichtsinn der Jugend schonen sollte und das Geblüt der mit Sünden beladenen und von mancherley Lüsten getriebenen Weiblein, welche die Vorhaut des Witzes Betschwestern nennt, in eben so uneigentlichen Verstand, als der feige Kiel unserer Kundschafter jeden Schöps, der in einer thierischen Eingebung die Erstgeburt und Priesterstimme8 der natürlichen Religion annimmt, zum Riesenwuchs starker Geister oder Enackskinder erhöht.

Endlich wer sollte sich einbilden, daß eine Anspielung auf die Kirchenmusick durch den Gegensatz welscher Verschnittenen entweyt werde, und daß man jedes, das neben einander stünde, für ein Paar oder Gespann eines Joches anzusehen hätte. Wird ein heiliges Gebäude durch die Nachbarschaft eines Kruges oder Opernhauses unrein? Ist nicht vielmehr ein Mohrenkopf der beste Schönfleck zum Gemähld einer Blonden? Und wo findet man stärkere Antithesen als in Zweyen, die ein Fleisch sind? Die Nachahmung derselben in meinen Kopien ist also von niemanden zu verdammen; seine Kinder möchten seine Richter seyn, im Fall er Herz hat Autor zu werden.

Erheitern Sie, einzige Freundin! durch eine lächelnde Aufnahme meiner Schutzschrift das Gewölk der Sorgen, das meynen Gesichtskreys von Ende zu Ende überzogen hat. Wenn die Fabel Geschichtsmäßig ist, die den Titel des glücklichen Dichters führt, weil sein Schlaf eine Fürstin lüstern machte, ohngeachtet er für einen Mann mit blassem[148] Munde gescholten wird: – – so kann auch wohl dies Klaggedichte das erste und letzte seyn, das Ihnen in Gestalt eines Sendschreibens auf Ihrem Nachttisch zu erscheinen die Ehre haben soll. Ich bin


Dero getreuster Diener


Homme de Lettres.[149]


Nachschrift

für Leser, die Verstand haben, denen

folglich mit Verstand gedient

werden muß.


Young giebt in seinem Codicill an den in der Kunst sibyllinischer Mährchen berühmten Götzenschmid, Richardson, das Räthsel auf, die Alten also nachzuahmen, daß wir uns von ihrer Ähnlichkeit, je mehr je besser, entfernen. Der Briefsteller dieses Klaggedichts hat die Epitre à Uranie und das Sendschreiben eines Materialisten an Doris sich zu seinen Mustern in einer solchen umgekehrten Nachahmung gewählt. Wo der Schulweise Schlüsse spinnt, und der Hofsirach Einfälle näht, ist die Schreibart des Liebhabers Leidenschaft und Wendung. Unter allen seinen Redefiguren bedient er sich am glücklichsten, so viel ich weiß, derjenigen, welche in den vertraulichen Briefen eines Originalautors Metaschematismus9 genannt wird.

Genug von der Einrichtung dieses sonderbaren Blatts; was mich bewogen hat, dasselbe seiner Natur zuwieder, gemein zu machen, mag der Verleger verschwiegnen Ausspähern unter der Hand mittheilen.

Bey der genausten Berechnung wird man eben so viel Merkmale haben, diesen Fündling für ein ächtes Sendschreiben zu halten; als Gründe seyn werden, es für ein Jungfernkind (ens Rationis) zu erklären. Der Herausgeber ergreift diese Gelegenheit, dem Gerüchte, daß der Hochwohlgelahrte Deutschfranzos der größte Ignorant der Meßkunst im ganzen Königreiche sey, hier öffentlich zu wiedersprechen, gesetzt, daß man auch willens wäre demselben eine unverdiente Ehre durch Ausbreitung dieser falschen Nachsage zu erweisen. Da er jetzt alle Tage reisefertig ist, so behält er sich bey seiner glücklichen Zurückkunft vor, dem in der welschen Buchstaben-Practick fähigsten Kleinmeister, in seinem Handwerksstyl und Layendeutsch begreiflich zu machen: daß eine empyrische Fertigkeit und Übung, von den Einsichten mathematischer Gelehrsamkeit, Himmelweit unterschieden sey.

1

Der Briefsteller versteht das sogenannte Intelligenzwerk, für welches die vorigen Stücke ausdrücklich aufgesetzt wurden.

2

Apostelgesch. XXVI, 24. 25.

3

Jes. LIX, 11.

4

Ps. CXVIII, 12.

5

Ne sit ancillae tibi amor pudori –

Horat. Lib. II. Od. IV.

S. das Rigische Gesangbuch:

Sie ist mir lieb, die werthe Magd v.

D.M. Luther.

6

Ps. IX, 4. XXXIII, 1–3. LXXXI, 2. 3.

7

Carl der Große soll die deutsche Melodien, weil sie nicht so langsam als die römische giengen und in mehreren Tönen bestunden, abgeschafft haben.

8

Es scheint hier unter andern auf eine alte Legende gezielt zu seyn, nach welcher erzählt wird, daß ein Monarch die erste, älteste und daher auch natürlichste Sprache herausgebracht haben soll. Die Stimme Beccos, welche jene menschliche Geschöpfe von sich gaben, bedeutete in der phrygischen Sprache Brodt; man ertheilte ihr daher den Adel der Erstgeburt. – Der Klagdichter nimmt so viel historische Züge zusammen, als das holländische Wapen Pfeile in seiner Tatze, oder der Vogel Jupiters Strahlen in seiner Klauen trägt. Wir besorgen daher gar sehr, daß gewisse Leser und Kunstrichter sich mit eben denselben Worten über seine Sprüche beklagen werden, womit sich Raphael Fregoso, ein Doctor zu Padua im funfzehnten Jahrhundert, über einen Zeitverwandten des Ulpians beklagt haben soll, und die der Herr G.C. Hamberger im zweyten Theil seiner zuverlässigen Nachrichten von den vornehmsten Schriftstellern S. 538. anführt, wie folget: Iste maledictus Paulus semper ita obscure loquitur, vt vix possit intellegi, & si haberem eum in manibus, eum per capillos interrogarem.

Der Herausgeber.

9

I. Kor. IV, 6.

Quelle:
Johann Georg Hamann: Kreuzzüge des Philologen, in: Sämtliche Werke, Band 2: Schriften über Philosophie / Philologie / Kritik. 1758–1763, Wien 1950, S. 141-150.
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