Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie.

Darstellung seiner verschiedenen

Modifikationen und Vergleichung

des neuesten mit dem alten

Kritik der theoretischen Philosophie von Gottlob Ernst Schulze, Hofr. und Prof. in Helmstädt. Hamburg bei C. E. Bohn, 1801. I. Band 728 S., Vorr. XXXII S.; 2. Band 722 S., Vorr. VI S.


Acht Jahre, nachdem Herr Schulze gegen die Kantische Philosophie, vorzüglich in der Form, welche sie in der Theorie des Vorstellungsvermögens gewonnen hatte, mit Aufsehen aufgetreten war, umfaßt er nunmehr die theoretische Philosophie überhaupt, um sie durch seinen Skeptizismus in Flammen zu stecken und bis aufs Fundament auszubrennen. Der ganze helle Haufen der neuen Skeptiker verehrt billig Herrn Schulze als Vormann, und dieser Sandsack von – vorderhand vier Alphabeten, den Herr Schulze gegen die Festung der Philosophie herbeigeschleppt hat, sichert ihm billig diesen ersten Platz.

Die Darstellung und Schätzung dieses neuesten Skeptizismus macht es notwendig, uns auf das Verhältnis dieses sowie des Skeptizismus überhaupt zur Philosophie einzulassen; nach diesem Verhältnis wer den sich die verschiedenen Modifikationen des Skeptizismus von selbst bestimmen und zugleich das Verhältnis dieses neuesten Skeptizismus selbst, der sich[213] auf die Schultern des alten gestellt zu haben und sowohl weiter zu sehen als vernünftiger zu zweifeln vermeint, zu dem alten sich ergeben. Eine Erörterung des Verhältnisses des Skeptizismus zur Philosophie und eine daraus entspringende Erkenntnis des Skeptizismus selbst scheint auch darum nicht unverdienstlich, da die Begriffe, die sich gewöhnlich über ihn vorfinden, höchst formell sind und sein, wenn er wahrhaft ist, edles Wesen in einen allgemeinen Schlupfwinkel und Ausrede von der Unphilosophie in den neuesten Zeiten verkehrt zu werden pflegt.

Von der subjektiven Quelle des Schulzischen Skeptizismus gibt uns die Einleitung eine Geschichte; sie enthält die Ausführung des Gedankens: wenn eine Erkenntnis, die aus der Vernunft geschöpft werden soll, sich keinen allgemeinen und dauerhaften Beifall verschaffen könne, die Bearbeiter derselben in beständigem Widerspruche miteinander stehen und jeder neue Versuch, dieser Erkenntnis die Festigkeit einer Wissenschaft zu erteilen, mißlinge, so lasse sich hieraus mit ziemlicher Sicherheit abnehmen, daß der Aufsuchung einer solchen Erkenntnis ein unerreichbarer Endzweck und eine allen Bearbeitern derselben gemeinschaftliche Täuschung zum Grunde liegen müsse; auch auf die Denkart des Herrn Verfassers über die Philosophie – wie ein allgemeines Mißtrauen gegen die Hochpreisungen der Einsicht und Weisheit der Vernunft niemand zu verdenken sei – habe die Beobachtung des Erfolgs, den das Streben so vieler, durch ihre Talente und durch den bei der Aufsuchung verborgener Wahrheiten bewiesenen Eifer ehrwürdiger Männer nach einer wissenschaftlichen Philosophie von jeher hatte, einen starken Einfluß gehabt und ihr diejenige Richtung gegeben, aus welcher diese Kritik der theoretischen Philosophie entstanden ist. Jede Neigung, seine Kräfte auf die Bearbeitung eines dieser Systeme, – welches ihm eben die sicherste Hinweisung auf Wahrheit und Gewißheit zu enthalten schien, zu verwenden, wurde immer wieder, sobald er zur Befriedigung derselben Anstalt machte, ganz vorzüglich durch die[214] Erwägung des Schicksals unterdrückt, welches alle spekulative Beschäftigung mit den letzten Gründen unserer Erkenntnis des Daseins der Dinge betroffen hat; denn das Zutrauen zu seinen Fähigkeiten sei nicht so weit gegangen, daß er Hoffnung fassen konnte, dasjenige wirklich zu erreichen, wonach so viele mit den größten Talenten und mannigfaltigsten Einsichten versehene Männer vergeblich gestrebt hatten.

Das heißt recht dem Volke zum Munde und aus dem Munde des Volks gesprochen. – Auf die politische Apragmosyne zur Zeit, wenn Unruhen im Staate ausbrächen, hatte der atheniensische Gesetzgeber den Tod gesetzt; die philosophische Apragmosyne, für sich nicht Partei zu ergreifen, sondern zum voraus entschlossen zu sein, sich dem, was vom Schicksal mit dem Siege und der Allgemeinheit gekrönt würde, zu unterwerfen, ist für sich selbst mit dem Tode spekulativer Vernunft behaftet. Wenn ja die Erwägung des Schicksals ein Moment in der Achtung und Ergreifung einer Philosophie werden könnte, so müßte nicht die Allgemeinheit, sondern im Gegenteil die Nicht-Allgemeinheit ein Moment der Empfehlung sein, da es begreiflich ist, daß die echtesten Philosophien nicht die sind, welche allgemein werden, und daß, wenn außerdem, daß schlechte Philosophien eine Allgemeinheit erhalten, auch echtere dazu gelangen, die allgemein gewordene Seite derselben gerade dasjenige ist, was nicht philosophisch ist, so daß auch an diesen Philosophien, die eines sogenannten glücklicheren Schicksals genießen, welches aber in Wahrheit, wenn von glücklichem oder unglücklichem Schicksal überhaupt hier die Rede sein kann, für ein Unglück zu erachten ist, das Nicht-Allgemeine aufgesucht werden müßte, um die Philosophie zu finden. – Wenn aber Herr Schulze gesehen hat, daß der Erfolg des Strebens so vieler durch Talente und Eifer ehrwürdiger Männer in der Beschäftigung mit der Erforschung der letzten Gründe unserer Erkenntnis gleich unglücklich gewesen ist, so kann dies nur für eine höchst subjektive Art zu sehen gelten;[215] Leibniz z.B. drückt eine ganz andere Art zu sehen in der Stelle aus, die Jacobi zu einem seiner Mottos machte: »J'ai trouvé que la plupart des sectes ont raison dans une bonne partie de ce qu'elles avancent, mais non pas tant en ce qu'elles nient.« Die oberflächliche Ansicht der philosophischen Streitigkeiten läßt nur die Differenzen der Systeme erblicken, aber schon die alte Regel »contra negantes principia non est disputandum« gibt zu erkennen, daß, wenn philosophische Systeme miteinander streiten – ein anderes ist es freilich, wenn Philosophie mit Unphilosophie streitet –, Einigkeit in den Prinzipien vorhanden ist, welche, über allen Erfolg und Schicksal erhaben, sich nicht aus dem, worüber gestritten wird, erkennen lassen und dem Gaffen entgehen, welches immer das Gegenteil von dem erblickt, was vor seinen Augen vorgeht. Mit den Prinzipien oder der Vernunft ist es wohl allen jenen durch Talente und Eifer ehrwürdigen Männern gelungen, und der Unterschied ist allein in die höhere oder niedrigere Abstraktion zu setzen, durch welche sich die Vernunft in Prinzipien und Systemen dargestellt hat. Das Mißlingen der spekulativen Wahrheit nicht vorausgesetzt, so fällt die Bescheidenheit und die Hoffnungslosigkeit weg, das zu erreichen, was nur die oberflächliche Ansicht den ehrwürdigen Männern mißlungen zu sein sich beredet; oder aber jenes Mißlingen vorausgesetzt, so ist keine Frage, wenn Bescheidenheit und Mißtrauen in die Fähigkeiten das andere Moment zu dem der Erwägung des Erfolgs abgeben könnte, welche Bescheidenheit die größere sei, – sich nicht die Hoffnung machen, dasjenige zu erreichen, wonach die talent- und einsichtsvollen Männer vergeblich gestrebt hatten, oder aber, wie Herr Schulze sagt, daß ihm geschehen sei, auf die Vermutung zu geraten, daß irgendein Erbfehler an der Philosophie haften und sich von einer dogmatischen Beschäftigung mit derselben (wir werden[216] nachher sehen, daß Herr Schulze nur skeptisches und dogmatisches Philosophieren kennt) auf die andere fortgepflanzt haben müßte. Daß Herr Schulze diesen Erbfehler entdeckt zu haben sich zutraut und, was er davon entdeckt hat, in dem vorliegenden Werke darlegt, beweist, daß er von dem Moment der Bescheidenheit in der Philosophie, ob er schon davon spricht, ebensowenig hält, als davon sowie von dem Moment des Erfolgs zu halten ist.

Die Entdeckung des Erbfehlers aller bisherigen spekulativen Philosophie ist also in diesem Werke verheißen; und durch diese Entdeckung, welche die bisherige Philosophie angeht, sei, sagt Schulze I. Teil S. 610, auch alle Hoffnung eines Gelingens der Spekulation abgeschnitten auf die Zukunft, weil es töricht wäre (jawohl!), [auf] eine Veränderung der menschlichen Erkenntniskräfte zu hoffen. Welche glücklichere Entdeckung aber als diese eines Erbfehlers aller Spekulation kann dem philosophielustigen Volke dargebracht werden, welches entweder seine Entfernung vom Spekulieren, die ja keiner Rechtfertigung bedarf, doch immer mit dem Streite der Philosophie rechtfertigt und sich für geneigt ausgibt, einem System sich zu ergeben, wenn nur einmal ein philosophisches Konzilium oder Kolloquium über eine allgemeingültige Philosophie übereinkäme, – oder welches selbst allen philosophischen Systemen (und darunter rechnet es jeden Gedankenpilz) nachläuft, aber dessen intellektuelle Chemie so unglücklich organisiert ist, nur zu dem Zusatze, der dem edleren Metalle einer Münze beigemischt ist, eine Verwandtschaft zu haben und mit diesem allein sich niederzuschlagen, das immer wieder inne wird, daß es nur geäfft worden ist, und sich endlich in der Verzweiflung in das Moralische wirft, doch noch mit Besorgnissen von der spekulativen Seite her, – welche glücklichere Entdeckung kann für diese beiden Teile gemacht werden, als daß es der spekulativen Philosophie in ihrem Innersten Wesen selbst fehle? Dem ersten wird der Beweis gegeben, der klügste gewesen zu sein, da er auf spekulative Philosophie nichts hielt; der letztere wird dafür,[217] daß er immer geäfft worden ist, dadurch getröstet, daß die Schuld von ihm ab und auf die Philosophie gewälzt wird und seine Besorgnisse von der spekulativen Philosophie ihm genommen [werden]. Es ist daher kein Wunder, wenn dieser Skeptizismus wo nicht allgemeinen, doch ausgebreiteten Beifall sich verschafft und wenn besonders über die vorliegende ponderose Bearbeitung desselben eine solche Freude entsteht, von der unser Notizenblatt ein Beispiel enthält.

Herr Schulze schließt aus seiner skeptischen Bearbeitung der Philosophie den praktischen und ästhetischen Teil aus und beschränkt sie auf die theoretische Philosophie. – Nach allem zu urteilen, scheint es, daß Herr Schulze die theoretische Philosophie allein für spekulative Philosophie, die übrigen Teile derselben aber man weiß nicht für was hält; oder vielmehr man erblickt nirgend eine Spur von der Idee einer spekulativen Philosophie, welche weder besonders theoretische, noch praktische, noch ästhetische ist. Zu jener Einteilung der Philosophie gelangt übrigens Herr Schulze durch die empirische Psychologie, ungeachtet er dieselbe selbst aus der Philosophie ausschließt, aber sie sonderbar genug doch als Quelle einer Einteilung der Philosophie gebraucht; an den Tatsachen des Bewußtseins nämlich sollen wichtige Unterschiede vorkommen, sie seien entweder Erkenntnisse von Objekten oder Äußerungen des Willens oder Gefühle der Lust und Unlust, zu welchen auch die Gefühle des Schönen und Erhabenen gehören; sie können, soweit unsere Einsicht derselben reicht, nicht auf eine einzige Klasse zurückgeführt oder aus einer einzigen Quelle abgeleitet werden (Worte, die wir wörtlich bei Kant, Kritik der Urteilskraft, Einl. S. XXII, lesen), sondern sind durch bleibende Merkmale wesentlich voneinander verschieden und geben die oben genannten drei Teile der Philosophie. – Schon hierin weicht Herr Schulze wesentlich von Sextus Empiricus ab, der in seiner Kritik der einzelnen Teile der Philosophie[218] und der Wissenschaften nicht selbst die Einteilung macht, sondern sie nimmt, wie er sie findet, und sie skeptisch angreift.

Vor allen Dingen haben wir zu sehen, wie der Herr Schulze diese theoretische Philosophie begreift und wie eigentlich der Feind beschaffen ist, den er zu Boden schlägt. Im ersten Abschnitt werden auf eine höchst methodische, mehrere Seiten durchgehende Weise die wesentlichen Merkmale der theoretischen Philosophie aufgesucht und folgende Definition herausgebracht: die theoretische Philosophie ist die Wissenschaft der obersten und unbedingtesten Ursachen alles Bedingten, von dessen Wirklichkeit wir sonst Gewißheit haben. – Diese sonstige Gewißheit von dem Bedingten ohne Philosophie werden wir nachher kennenlernen. Die obersten und unbedingten Ursachen selbst aber, oder besser das Vernünftige, begreift Herr Schulze auch wieder als Dinge, die über unser Bewußtsein hinausliegen, etwas Existierendes, dem Bewußtsein schlechthin Entgegengesetztes; von der vernünftigen Erkenntnis kommt nie eine andere als die zum Ekel wiederholte Vorstellung vor, daß durch dieselbe eine Erkenntnis von Sachen erworben werden solle, welche hinter den Schattenrissen von Dingen, die uns die natürliche Erkenntnisart der Menschen vorhält, verborgen liegen sollen; durch Hilfe abstrakter Grundsätze und Begriffe soll das Dasein ausfindig gemacht, es soll ausgekundschaftet werden, was die Dinge, in ihrer wahren und verborgenen Wirklichkeit genommen, sein sollen; das Werkzeug, dessen sich die Philosophie zu ihrer Auskundschaftung der Dinge bediene, seien Begriffe, abstrakte Grundsätze, Folgerungen aus Begriffen, und die Brücke zu jenen verborgenen Dingen [sei] wieder aus nichts als aus Begriffen erbaut. – Es ist nicht möglich, das Vernünftige und die Spekulation auf eine rohere Weise aufzufassen; die spekulative Philosophie wird beständig so vorgestellt, als ob vor ihr unüberwindlich die gemeine Erfahrung in der unverrückbaren Form ihrer gemeinen Wirklichkeit ausgebreitet als ihr eiserner Horizont vorliege und sie hinter[219] diesem die Dinge an sich ihres Horizonts als Gebirge von einer ebenso gemeinen Wirklichkeit, die jene andere Wirklichkeit auf ihren Schultern trage, vermute und aufsuchen wolle; das Vernünftige, das Ansich kann sich Herr Schulze gar nicht anders vorstellen als wie einen Felsen unter Schnee; dem Katholiken wandelt sich die Hostie in ein Göttlich-Lebendiges; hier geschieht nicht, was der Teufel von Christus begehrte, Stein in Brot zu wandeln, sondern das lebendige Brot der Vernunft verwandelt sich ewig in Stein.

Dieser spekulativen Philosophie, die eine Erkenntnis von Dingen versucht, welche außer unserem Bewußtsein existieren sollen, steht die positive Seite dieses Skeptizismus entgegen; denn er hat nicht bloß die negative Seite, die sich damit beschäftigt, die Hirngespinste der Dogmatiker und ihre Versuche, von der Existenz hyperphysischer Dinge Erkenntnisse zu erlangen, zu zerstören.

Die positive Seite dieses Skeptizismus besteht nämlich darin, daß er im allgemeinen als eine Philosophie beschrieben wird, die nicht über das Bewußtsein gehe, und zwar hat (S. 51) die Existenz desjenigen, was im Umfange unseres Bewußtseins gegeben ist, unleugbare Gewißheit; denn da es im Bewußtsein gegenwärtig ist, so können wir die Gewißheit desselben ebensowenig bezweifeln als das Bewußtsein selbst; das Bewußtsein aber bezweifeln zu wollen, ist absolut unmöglich, weil ein solcher Zeifel, da er ohne Bewußtsein nicht stattfinden kann, sich selbst vernichten, mithin nichts sein würde. Was in und mit dem Bewußtsein gegeben ist, nennt man eine Tatsache des Bewußtseins, und folglich sind die Tatsachen des Bewußtseins das unleugbare Wirkliche, worauf sich alle philosophischen Spekulationen beziehen müssen und was durch diese Spekulationen zu erklären oder begreiflich zu machen ist.

An diese Philosophie, welche die unleugbare Gewißheit in die Tatsachen des Bewußtseins setzt und genau wie der allergemeinste Kantianismus alle Vernunfterkenntnis (S. 21) auf die formale Einheit, welche in jene Tatsachen zu bringen[220] ist, einschränkt, kann die Frage nicht gemacht werden, wie sie denn es begreife, daß der Mensch mit dieser unleugbaren Gewißheit, die er in dem ewigen stieren Wahrnehmen der Objekte findet, sich nicht befriedige, wie sie denn auch jenes Ordnen der Wahrnehmungen aus diesem Wahrnehmen begreifen wolle? wie der Mensch über die Bestialität einer solchen Existenz, welche, um mit Herrn Schulze zu reden, in dem Wahrnehmen des realen Seins der Dinge besteht, hinausgehe und zu einem Gedanken von dem komme, was Herr Schulze Metaphysik nennt, von einer Ergründung jenes realen Seins oder einer Ableitung dieses realen Seins und alles [dessen,] was dazu gehört, aus einem Urgrunde, um es begreiflich zu machen? – Diese Tatsachenphilosophie hat keine andere als die stumpfe Antwort, daß jenes Streben nach einer Erkenntnis, die über das reale, ganz gewisse Sein der Dinge hinausliegt, also sie für ungewiß erkennt, auch eine Tatsache des Bewußtseins sei; Herr Schulze sagt dies (I. Teil, S. 21) so: Vermöge einer ursprünglichen Einrichtung unseres Gemüts haben wir nämlich ein Verlangen, zu allem, was nach unserer Einsicht nur bedingterweise existiert, den letzten und unbedingten Grund aufzusuchen. Wenn aber jede Tatsache des Bewußtseins unmittelbare Gewißheit hat, so ist eine Einsicht, daß etwas nur bedingterweise existiere, unmöglich; denn bedingterweise existieren und für sich nichts Gewisses sein, ist gleichbedeutend. – Ebenso drückt sich der Verfasser S. 72 aus, wenn er von jenem bestialischen Anstieren der Welt und seiner unleugbaren Gewißheit den Übergang zum Problem der theoretischen Philosophie macht: obgleich das Sein von Dingen nach den Aussprüchen des Bewußtseins ganz gewiß ist, so befriedigt dies doch keineswegs die Vernunft (hier werden wir lernen, worin sie besteht), weil es sich bei existierenden Dingen, die wir kennen, nicht von selbst versteht, daß sie sind und daß sie das sind, was sie sind. – Was hat es denn aber nun für eine Bewandtnis mit jener unleugbaren Gewißheit der Tatsache in der unmittelbaren Erkenntnis des Seins der Dinge; bei der Wirklichkeit,[221] S. 57, die wir den angeschauten Sachen beilegen, finden schlechterdings keine Grade statt, so daß eine Sache mehr von der Wirklichkeit besäße als die andere. S. 62. Das anschauende Subjekt erkennt die Gegenstände und deren Existenz unmittelbar schlechthin und als etwas, das auf eine ebenso vollkommene Art unabhängig von den Wirkungen der Vorstellungskraft für sich besteht und ist, als wie das erkennende Subjekt für sich besteht und ist. – Wie soll es bei dieser absoluten Gewißheit, daß und wie die Dinge existieren, zugleich sich nicht von sich selbst verstehen, daß sie sind und daß sie sind, was sie sind? Es wird zugleich eine Erkenntnis, nach welcher die Existenz und Beschaffenheit der Dinge sich von selbst versteht, und eine andere behauptet, nach welcher sich diese Existenz und Beschaffenheit gar nicht von selbst versteht. Es läßt sich kein vollständigerer Widerspruch zwischen dem Vorhergehenden und dieser Art, das Suchen einer vernünftigen Erkenntnis begreiflich zu machen, und kein schieferer und gezwickterer Übergang zur Metaphysik ersinnen.

Nachdem wir die positive Seite dieses Skeptizismus beleuchtet haben, gehen wir zu seiner negativen Seite über, welcher der ganze dritte Teil des ersten Bandes gewidmet ist. Herr Schulze fühlt es selbst, daß ein Skeptizismus, der den Tatsachen des Bewußtseins eine unleugbare Gewißheit zuschreibt, wenig mit dem Begriff von Skeptizismus, den uns die alten Skeptiker geben, übereinstimmt; wir haben zuerst des Herrn Schulze eigene Meinung über diese Differenz zu vernehmen. Er erklärt sich darüber in der Einleitung und dem ersten Abschnitte des dritten Teils. Fürs erste erinnert er, daß es ja oftmals der Fall gewesen sei, daß derjenige, der zuerst einen Gedanken auf dem Wege der Wahrheit gefunden hat, von dem Inhalte, den Gründen und den Folgen desselben weit weniger verstand als andere, die nach ihm dem Ursprung und der Bedeutung desselben mit Sorgfalt nachforschten; bisher sei die wahre Absicht des Skeptizismus mehrenteils verkannt worden usw. Der Skeptizismus, den[222] Herr Schulze für den wahren und einen vollendeteren ansieht als den der Alten, beziehe sich nämlich auf die der Philosophie eigentümlichen Urteile, d. i. welche, wie Herr Schulze die Endabsicht dieser Wissenschaft ausdrückt, die absoluten oder doch übersinnlichen, d.h. außer der Sphäre des Bewußtseins vorhandenen Gründe des nach den Zeugnissen unseres Bewußtseins bedingterweise vorhandenen Etwas bestimmen. Die nur zur Philosophie aber gehörigen Urteile seien kein Objekt dieses Skeptizismus; sie drücken nämlich entweder sogenannte Tatsachen des Bewußtseins aus oder gründen sich auf das analytische Denken; ihre Wahrheit könne daher auch nach dem Skeptizismus ergründet und eingesehen werden; hingegen behaupte er gegen die theoretische Philosophie, daß sich von den außer dem Umfange unseres Bewußtseins vorhandenen oder, wie der Verfasser auch sagt, in ihm ihrer Existenz nach nicht gegebenen Gründen des Seins der Dinge oder von den Dingen, die außer den existierenden Dingen existieren, gar nichts wissen lasse. Herr Schulze läßt selbst die Einwendung gegen diesen Begriff des Skeptizismus machen, daß nach demselben nichts von dem, was die Erfahrung lehrt, und insbesondere nicht der Inbegriff der äußeren Empfindungen, auch von allen Wissenschaften nur die Philosophie (weil sonst keine es mit der Erkenntnis von Dingen außer dem Umfang des Bewußtseins zu tun habe) ein Objekt der skeptischen Zweifel sein könne, die alte Skepsis hingegen auf beides und die älteste wenigstens auf jenes sich ausgedehnt habe. Herr Schulze führt hierüber vorzüglich an, daß der Anfang und Fortgang des Skeptizismus immer nach den Anmaßungen der Dogmatiker sich bestimmt habe; die alten Skeptiker gestehen, daß es eine Erkenntnis durch die Sinne und eine Überzeugung durch dieselbe vom Dasein und gewissen Eigenschaften für sich bestehender Dinge gebe, nach welcher sich jeder vernünftige Mensch im tätigen Leben zu richten habe. – Hierin, daß eine solche Überzeugung bloß auf das tätige Leben gerichtet war, liegt unmittelbar, daß sie mit der Philosophie[223] nichts zu tun hatte, daß sie und das beschränkte, mit Tatsachen angefüllte Bewußtsein als Prinzip einer unleugbaren Gewißheit überhaupt der Vernunft und der Philosophie nicht gegenüber –, am wenigsten gegen sie pochend gestellt, sondern nur der so schmal als möglich eingerichtete Tribut war, welcher der Notwendigkeit eines objektiven Bestimmens gezollt wurde; wir würden, sagen die Skeptiker, nicht dies wählen oder jenes vermeiden, wenn es Dinge betrifft, die in unserer Macht stehen, aber diejenigen, welche nicht in unserer Macht, sondern nach der Notwendigkeit sind, können wir nicht vermeiden, wie hungern, dursten, frieren; denn diese lassen sich nicht durch Vernunft aus dem Wege räumen. Das Bewußtsein aber, das mit diesen notwendigen Bedürfnissen zusammenhängt, war der alte Skeptiker weit entfernt, zu dem Rang eines Wissens, das eine objektive Behauptung ist, zu erheben; auf das Erscheinende achtend, leben wir, sagt Sextus, weil wir nicht gänzlich untätig sein können, nach dem gemeinen Lebensverstand, ohne damit irgendeine Meinung oder Behauptung zu machen. Von einer Oberzeugung von Dingen aber und deren Eigenschaften ist in diesem Skeptizismus nicht die Rede; das Kriterium des Skeptizismus, drückt sich Sextus aus, ist das Erscheinende (phainomenon), worunter wir in der Tat seine Erscheinung (phantasian autou), also das Subjektive verstehen; denn da sie in der Überzeugung (peisei, aber nicht von einem Dinge) und einem unwillkürlichen Affiziertsein liegt, so findet keine Untersuchung statt; sie ist azêtêtos, (der deutsche Ausdruck »Zweifel«, vom Skeptizismus gebraucht, ist immer schief und unpassend). Daß aber die Skeptiker alle Wahrnehmung, statt ihr unleugbare Gewißheit zuzuschreiben, für bloßen Schein erklärten und behaupteten, man müsse ebensogut das Gegenteil von dem aussagen, was man vom Objekt [nach] seinem Schein ausgesprochen habe, ebensogut sagen, der Honig sei bitter als süß, – daß,[224] wie Herr Schulze selbst anführt, die zehn ersten und eigentlichen Wendungen der Skeptiker allein diese Unsicherheit der sinnlichen Wahrnehmung betrafen, davon gibt Herr Schulze den Grund, daß die Empfindungen schon in den frühesten Zeiten der spekulativen Philosophie für eine Erscheinung, der aber etwas ganz Verschiedenes zum Grunde liege, von den Dogmatikern ausgegeben und der Erscheinung selbst eine Übereinstimmung mit dem, was hinter ihr als eigentliche Sache befindlich sein soll, beigelegt, ja die Erkenntnis durch Empfindungen sogar vielmals als eine Wissenschaft des hinter der Empfindung verborgen liegenden Objekts von Ihnen behauptet worden sei. Aus diesem Grunde haben die Skeptiker diese Lehren der Dogmatiker von der Gewißheit der sinnlichen Erkenntnis angegriffen und geleugnet, daß vermittels des Objekts in der Empfindung sich von dem mit Zuverlässigkeit etwas erkennen lasse, was hinter diesem Objekte als wahre und eigentliche für sich bestehende Sache befindlich sein soll. – Es drückt sich hier in Rücksicht auf die alten Philosophen ganz dieselbe krasseste Vorstellung ab, die Herr Schulze von der Vernunfterkenntnis hat; die Auslegung aber, als wenn der Skeptizismus nicht die sinnlichen Wahrnehmungen selbst, sondern nur die hinter und unter dieselben von den Dogmatikern gelegten Sachen angegriffen habe, ist durchaus ungegründet; wenn der Skeptiker sagte, der Honig sei ebensowohl bitter als süß und sowenig bitter als süß, so war da kein hinter den Honig gelegtes Ding gemeint. – Daß für die Skeptiker Griechenlands auch die Lehrsätze aller Doktrinen, die auf Gültigkeit für jeden menschlichen Verstand Ansprüche machen, ein Gegenstand des Zweifels waren, zeuge von einer Unbekanntschaft derselben mit den wahren Gründen ihrer Zweifel, und übrigens seien damals noch nicht wie heutzutage die besonderen Quellen der Erkenntnisse jeder Wissenschaft und die Grade der in ihr möglichen Überzeugung untersucht gewesen; viele Doktrinen, die jetzt aller vernünftigen Zweifelsucht Trotz bieten, wie z.B. Physik und Astronomie, seien[225] damals nur noch ein Inbegriff unerweislicher Meinungen und grundloser Hypothesen gewesen. – Dieser Zug vollendet den Charakter dieses neuen Skeptizismus und seinen Unterschied von dem alten; außer den Tatsachen des Bewußtseins wären also auch noch die Physik und Astronomie neuerer Zeiten die Wissenschaften, die allem vernünftigen Skeptizismus Trotz böten, Doktrinen, welche – das rein Mathematische derselben, was nicht zu ihrer Eigentümlichkeit gehört, weggenommen – aus einer Erzählung von sinnlichen Wahrnehmungen und einer Amalgamation derselben mit den Verstandesbegriffen von Kräften, Materien usw. in einem durchaus Objektivität behauptenden und doch rein formalen Wissen bestehen, dessen ein Teil, die Erzählung von Wahrnehmungen, mit einem wissenschaftlichen Wissen gar nichts zu tun hat und darum allerdings auch außerhalb des Skeptizismus fällt, insofern in dem Aussprechen der Wahrnehmung nichts als ihre Subjektivität ausgedrückt sein soll, – dessen anderer Teil aber der höchste Gipfel eines dogmatisierenden Verstandes ist. Was hätten die alten Skeptiker zu einem solchen Bastard von Skeptizismus gesagt, der sich auch noch mit dem grellen Dogmatismus dieser Wissenschaften vertragen kann?

Herr Schulze kommt endlich mit der Unsicherheit und Unvollständigkeit der Nachrichten von dem alten Skeptizismus. – Allerdings fehlen uns bestimmtere Nachrichten von Pyrrhon, Ainesidemos und anderen berühmten älteren Skeptikern; allein teils aus dem ganzen Wesen dieses Skeptizismus geht hervor, daß die polemische Seite gegen philosophische Systeme, die der Skeptizismus des Ainesidemos, Metrodoros und späterer hatte, dem Skeptizismus des Pyrrhon fehlte, dem die zehn ersten Tropen angehören, teils daß in den Tropen des Sextus Empiricus uns das allgemeine Wesen dieses Skeptizismus sehr treu aufbewahrt ist, so daß jede sonstige Ausführung des Skeptizismus nichts sein könnte als die in der Anwendung vorkommende Wiederholung einer und ebenderselben allgemeinen Weise.[226]

Überhaupt aber verschwinden die Begriffe von Skeptizismus, die ihn nur in dieser besonderen Form, in der er als reiner bloßer Skeptizismus auftritt, erblicken lassen, vor dem Standpunkt einer Philosophie, von welchem aus als echter Skeptizismus er sich auch in denjenigen philosophischen Systemen selbst, welche Herr Schulze und andere mit ihm nur für dogmatische ansehen können, finden läßt. Ohne die Bestimmung des wahren Verhältnisses des Skeptizismus zur Philosophie und ohne die Einsicht, daß mit jeder wahren Philosophie der Skeptizismus selbst aufs innigste eins ist und daß es also eine Philosophie gibt, die weder Skeptizismus noch Dogmatismus und also beides Zugleich ist, können alle die Geschichten und Erzählungen und neuen Auflagen des Skeptizismus zu nichts führen. Das Wesentliche zur Erkenntnis des Skeptizismus, dieses Verhältnis desselben zur Philosophie, nicht zu einem Dogmatismus, die Anerkennung einer Philosophie, die nicht ein Dogmatismus ist, überhaupt also der Begriff einer Philosophie selbst ist es, was Herrn Schulze entgangen ist; und wenn Herr Schulze aus den Philosophien, die er skeptisch vornimmt, die Idee der Philosophie nicht herauskriegen konnte, so mußte ihn schon das Geschichtliche des alten Skeptizismus wenigstens auf den Gedanken von der Möglichkeit führen, daß Philosophie etwas anderes sei als Dogmatismus, den er allein kennt. Führt doch selbst Diogenes Laertios auf seine Weise an, daß einige als Urheber des Skeptizismus den Homer nennen, weil er von denselben Dingen in anderen Verhältnissen anders spreche; so seien auch viele Sprüche der sieben Weisen skeptisch, wie »Nichts zu viel« und »Verpflichtung, zur Seite das Verderben« (d.h. jede Verbindung mit einem Beschränkten hat ihren Untergang in sich). Aber noch mehr führt Diogenes den Archilochos, Euripides, Zenon, Xenophanes, Demokrit, Platon usw. als Skeptiker an; kurz, diejenigen, denen Diogenes nachspricht, hatten die Einsicht, daß eine wahre Philosophie notwendig selbst zugleich eine negative Seite hat, welche gegen alles Beschränkte[227] und damit gegen den Haufen der Tatsachen des Bewußtseins und deren unleugbare Gewißheit sowie gegen die bornierten Begriffe, welche in jenen herrlichen Doktrinen [vorkommen], die Herr Schulze dem vernünftigen Skeptizismus für unzugänglich hält, gegen diesen ganzen Boden der Endlichkeit, auf dem dieser neuere Skeptizismus sein Wesen und seine Wahrheit hat, gekehrt und unendlich skeptischer ist als dieser Skeptizismus. Welches vollendetere und für sich stehende Dokument und System des echten Skeptizismus könnten wir finden als in der Platonischen Philosophie den Parmenides, welcher das ganze Gebiet jenes Wissens durch Verstandesbegriffe umfaßt und zerstört? Dieser Platonische Skeptizismus geht nicht auf ein Zweifeln an diesen Wahrheiten des Verstandes, der die Dinge als mannigfaltig, als Ganze, die aus Teilen bestehen, [als] ein Entstehen und Vergehen, eine Vielheit, Ähnlichkeit usw. erkennt und dergleichen objektive Behauptungen macht, sondern auf ein gänzliches Negieren aller Wahrheit eines solchen Erkennens. Dieser Skeptizismus macht nicht ein besonderes Ding von einem System aus, sondern er ist selbst die negative Seite der Erkenntnis des Absoluten und setzt unmittelbar die Vernunft als die positive Seite voraus. Ungeachtet daher der Platonische Parmenides nur auf der negativen Seite erscheint, erkennt z.B. Ficinus deswegen es sehr wohl, daß, wer an das heilige Studium desselben gehe, durch Reinheit des Gemüts und Freiheit des Geistes sich vorher vorbereiten müsse, ehe er es wage, die Geheimnisse des heiligen Werks zu berühren. Tiedemann aber sieht wegen dieser Äußerung des Ficinus an ihm nichts als einen Mann, der im Kote der Neuplatoniker klebe und am Platonischen Werke nichts als einen Haufen und eine Wolke ziemlich dunkler und für die Zeiten eines Parmenides und Platon ziemlich scharfsinniger,[228] einen neuen Metaphysiker aber anekelnder Sophismen, -ein Fehler, der daher rühre, daß von genauen Philosophen die metaphysischen Ausdrücke noch nicht recht bestimmt gewesen seien; wer in metaphysischen Dingen etwas geübter sei, finde, daß Begriffe, die um den ganzen Himmel voneinander verschieden seien, verwechselt werden; – nämlich jene sonst scharfsinnigen Leute, Platon und Parmenides, waren noch nicht bis zu der Philosophie gedrungen, welche die Wahrheit in den Tatsachen des Bewußtseins und überall, nur in der Vernunft nicht findet, noch zu der Klarheit der Begriffe, wie sie der Verstand und ein bloß endliches Denken in den neueren Wissenschaften der Physik usw. festsetzt und aus der Erfahrung zu holen meint.

Dieser Skeptizismus, der in seiner reinen expliziten Gestalt im Parmenides auftritt, ist aber in jedem echten philosophischen Systeme implicite zu finden, denn er ist die freie Seite einer jeden Philosophie; wenn in irgendeinem Satze, der eine Vernunfterkenntnis ausdrückt, das Reflektierte desselben, die Begriffe, die in ihm enthalten sind, isoliert und die Art, wie sie verbunden sind, betrachtet wird, so muß es sich zeigen, daß diese Begriffe zugleich aufgehoben oder auf eine solche Art vereinigt sind, daß sie sich widersprechen, sonst wäre es kein vernünftiger, sondern ein verständiger Satz. Spinoza beginnt seine Ethik mit der Erklärung: »Unter Ursache seiner selbst versiehe ich [dasjenige], dessen Wesen Dasein in sich schließt, oder dasjenige, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.« – Nun ist aber der Begriff des Wesens oder der Natur nur setzbar, indem von der Existenz abstrahiert wird; eins schließt das andere aus; eins ist nur bestimmbar, sowie eine Entgegensetzung gegen das andere ist; werden beide verbunden als eins gesetzt, so enthält ihre Verbindung einen Widerspruch, und beide sind zugleich negiert. Oder wenn ein anderer Satz des Spinoza so lautet: »Gott ist die immanente, nicht die vorübergehende Ursache der Welt«, so hat er, indem er die Ursache immanent, also die Ursache eins mit[229] der Wirkung setzt – weil die Ursache nur Ursache ist, insofern sie der Wirkung entgegengesetzt wird –, den Begriff von Ursache und Wirkung negiert; ebenso herrschend ist die Antinomie des Eins und Vielen; die Einheit wird mit dem Vielen, die Substanz mit ihren Attributen identisch gesetzt. Indem jeder solcher Vernunftsatz sich in zwei sich schlechthin widerstreitende auflösen läßt – z.B. Gott ist Ursache und Gott ist nicht Ursache; er ist Eins und nicht Eins, Vieles und nicht Vieles; er hat ein Wesen, das, weil Wesen nur in Gegensatz der Form begreifbar ist und die Form identisch gesetzt werden muß mit dem Wesen, selbst wieder hinwegfällt, usw. –, so tritt das Prinzip des Skeptizismus: panti logô logos, in seiner ganzen Stärke auf. Der sogenannte Satz des Widerspruchs ist daher so wenig auch nur von formeller Wahrheit für die Vernunft, daß im Gegenteil jeder Vernunftsatz in Rücksicht auf die Begriffe einen Verstoß gegen denselben enthalten muß; ein Satz ist bloß formell, heißt für die Vernunft: er für sich allein gesetzt, ohne den ihm kontradiktorisch entgegengesetzten ebenso zu behaupten, ist eben darum falsch. Den Satz des Widerspruchs für formell anerkennen heißt also, ihn zugleich für falsch erkennen. – Da jede echte Philosophie diese negative Seite hat oder den Satz des Widerspruchs ewig aufhebt, so kann, wer Lust hat, unmittelbar diese negative Seite herausheben und sich aus jeder einen Skeptizismus darstellen.

Ganz unbegreiflich ist es, wie in Herrn Schulze vollends durch den Sextus nicht auch nur im allgemeinen der Begriff gekommen ist, daß es außer dem Skeptizismus und Dogmatismus noch ein Drittes, nämlich eine Philosophie gebe; gleich in den ersten Zeilen teilt Sextus die Philosophen ein in Dogmatiker, Akademiker und Skeptiker, und wo er durch sein ganzes Werk mit den Dogmatikern zu tun hat, meint er gar nicht, auch die Akademie mit widerlegt zu haben. Dies Verhältnis des Skeptizismus zur Akademie ist selbst genug zur Sprache gekommen; es hat einen in der Geschichte des[230] Skeptizismus berühmten Streit veranlaßt, und dies Verhältnis des reinen Skeptizismus und seine Verlegenheit ist seine interessanteste Seite. Doch um Herrn Schulze nicht Unrecht zu tun, ist anzuführen, daß er allerdings durch Sextus auf ein Verhältnis der Akademie zum Skeptizismus aufmerksam gemacht wurde. Aber wie faßt Herr Schulze dies Verhältnis und das, was Sextus darüber sagt, auf? In der Anmerkung (I. Teil, S. 608), worin Herr Schulze die Sache abfertigt, sagt er, daß durch die Lehre des Arkesilaos (des Stifters der mittleren Akademie) nun freilich das Zweifeln an der Wahrheit der Lehren des Dogmatismus zu einem von aller Anwendung der Vernunft entblößten Geschäfte gemacht worden, weil es sich selbst wieder aufhebe und die Vernunft hierbei gar nichts mehr vernehme. Alsdann erzählt Herr Schulze, daß Sextus (Pyrrhonische Hypotyposen I, 33) die Lehre des Arkesilaos vom Skeptizismus aus dem Grunde unterschieden wissen wolle, weil nach des Arkesilaos und des Karneades Lehre auch selbst dies, daß alles ungewiß sei, wieder für ungewiß erklärt werden müsse, ein solches Geschäft des Zweifelns, setzt Herr Schulze aus seinem Eigenen hinzu, sei von aller Vernunft entblößt.

Was fürs erste die historische Seite betrifft, so traut man seinen Augen nicht, wenn man einen solchen Grund der Ausschließung der Lehre des Arkesilaos vom Skeptizismus dem Sextus zugeschrieben liest. Es sind ja die Skeptiker selbst, die sich aufs bestimmteste, wie Herr Schulze im Anfange der Anmerkung selbst anführt, darüber ausdrücken, daß ihre gewöhnlichen phônai – alles ist falsch, nichts ist wahr, eins ebensowenig als das andere usw. – auch sich selbst wieder einschließen, symperigraphein (Pyrrh. Hyp. I. 7), und sich selbst wieder aufheben, hyph' heauton autas anaireisthai emperigraphomenas ekeinois peri hôn legetai [I, 206] –, eine Lehre, die, außerdem daß sie in dem Skeptizismus selbst liegt, auch äußerlich gegen die Dogmatiker, die den Skeptikern vorwarfen, daß sie doch ein Dogma, »Nichts zu bestimmen« oder »Keins ist wahrer«, haben, schlechterdings notwendig[231] war, sowie auch zur Unterscheidung von anderen Philosophen, z.B. (c. 30) den demokritischen, denen der skeptische Ausdruck »Eins ebensowenig als das andere« – z.B. der Honig ist ebensowenig süß als bitter – angehörte. Die Skeptiker unterschieden sich damit, daß sie sagten, es liege hierin ein Dogma: er sei keins von beidem; sie hingegen zeigen durch jenen Ausdruck »eins so wenig als das andere«, daß sie nicht wissen, ob die Erscheinung beides oder keins von beidem sei. So unterscheidet Sextus (c. 33) auch die Skeptiker von der neuen Akademie des Karneades, deren Grundsatz darin bestehe, daß alles unbegreiflich sei; vielleicht, sagt er, sei sie wohl nur darin verschieden, daß sie eben jene Unbegreiflichkeit behauptend ausspreche. Was Herr Schulze zur Einschränkung jener skeptischen Ausdrücke sagt – daß Sextus wohl nur habe lehren wollen, daß der Skeptiker über die transzendentale Beschaffenheit der Dinge weder auf eine positive noch auf eine negative Art etwas bestimme –, so ist darin gar kein Gegensatz gegen jene Behauptung der Skeptiker und des Arkesilaos, daß ein skeptischer Ausdruck sich selbst in sich schließe und aufhebe, zu sehen. Und was soll denn die transzendentale Beschaffenheit der Dinge heißen? liegt denn das Transzendentale nicht gerade darin, daß es weder Dinge noch eine Beschaffenheit der Dinge gebe? Sextus war daher schon an und für sich durchaus entfernt, aus dem Grunde, den Herr Schulze angibt, die Lehre des Arkesilaos vom Skeptizismus zu unterscheiden, denn sie war wörtlich die des Skeptizismus; Sextus sagt selbst, daß sie ihm so sehr mit den Pyrrhonischen logois

übereinzustimmen scheine, daß sie fast eine und ebendieselbe agôgê1 mit der skeptischen sei, wenn man nicht sagen wolle, daß Arkesilaos die epochên für gut und der Natur gemäß, die Zustimmung aber für übel erkläre, was[232] eine Behauptung sei, da die Skeptiker hingegen auch hierüber nichts behauptend aussagen. Die Unterscheidung, von welcher Sextus meint, daß sie noch gemacht werden könne, hat also gerade den entgegengesetzten Grund; nach Herrn Schulze wäre diese Akademie von Sextus für zu skeptisch erklärt worden; Sextus aber findet sie, wie wir gesehen haben, zu wenig skeptisch. Außer der angeführten Unterscheidung bringt Sextus noch einen schlechteren Grund bei, der auf ein Klatschen hinausgeht, daß nämlich Arkesilaos, wenn man dem, was man von ihm sage, Glauben beimessen dürfe, nur so für den Anlauf ein Pyrrhonier, in Wahrheit aber ein Dogmatiker gewesen sei; er habe nämlich das Aporematische nur gebraucht, um seine Schüler zu prüfen, ob sie Fähigkeit für die Platonischen Lehren haben, und deswegen sei er für einen Aporetiker gehalten worden; den fähig Befundenen aber habe er das Platonische gelehrt, – Wegen der schwierigen Seite des Skeptizismus, die für ihn in dem Verhältnisse zur Akademie lag, handelt Sextus sehr ausführlich von Platon und den Akademien. Es liegt nur in dem gänzlichen Mangel des Begriffs von dem wahren Grunde dieser Schwierigkeit und von Philosophie, wenn Herr Schulze von der Rücksicht auf die Akademie durch das Geschwätz sich befreit glauben kann, das er hierauf in eben dieser Anmerkung aus Stäudlins Geschichte des Skeptizismus anführt. Es ist aber, sagt Herr Schulze, neuerlich schon von mehreren, besonders von Stäudlin bemerkt worden, daß der Geist, der die mittlere und neuere Akademie belebte, von dem Geiste, der die Skeptiker in ihren Untersuchungen leitete, gänzlich verschieden sei; die Anhänger jener waren wirklich nichts weiter als sophistische Schwätzer, die lediglich auf Trugschlüsse und Blendwerke ausgingen und die Philosophie sowie den ganzen Streit der Skeptiker mit den Dogmatikern, wie er damals geführt wurde, nur als Mittel ihres Hauptzwecks,[233] nämlich die Kunst, andere zu bereden, zu glänzen und Aufsehen zu erregen, benutzten und für die Erforschung der Wahrheit um ihrer seiht willen gar keinen Sinn hatten. – Wenn auch eine solche Beschuldigung überhaupt nicht schon an und für sich so hohl und ekelhaft wäre, als sie es ist, so bliebe ja noch die ältere Akademie und Platon selbst übrig; es bleibt die Philosophie überhaupt übrig, welche kein Dogmatismus ist, auf welche Rücksicht zu nehmen gewesen wäre; aber mehr Rücksicht auf die Philosophie, als wir aus dieser Anmerkung anführten, haben wir nicht finden können.

Im Altertume hingegen war über dies Verhältnis des Skeptizismus zum Platonismus das Bewußtsein sehr entwickelt; es hatte ein großer Streit darüber obgewaltet, indem ein Teil den Platon für einen Dogmatiker, ein anderer Teil ihn für einen Skeptiker ausgab (Diogenes Laertios [III] 51, Platon). Da die Akten des Streits für uns verloren sind, so können wir nicht beurteilen, wieweit das innere wahre Verhältnis des Skeptizismus zur Philosophie dabei zur Sprache kam und wieweit die Dogmatiker, welche den Platon dem Dogmatismus vindizierten, wie die Skeptiker gleichfalls taten, dies in dem Sinne verstanden, daß der Skeptizismus selbst zur Philosophie gehöre oder nicht. Sextus beruft sich auf eine weitere Ausführung der Sache in seinen skeptischen Kommentarien, die nicht auf uns gekommen sind; in den Hypotyposen l, 222, sagt er, wolle er die Hauptsache nach Ainesidemos und Menodotos, die in diesem Streite die Chefs von Seiten der Skeptiker waren, anführen; Platon sei ein Dogmatiker, weil er, wenn er [sage], daß Ideen, eine Vorsehung, ein Vorzug eines tugendhaften Lebens vor einem lasterhaften sei, entweder dogmatisiere, wenn er sie als seiende anerkenne; oder wenn er dem Überzeugenderen (pithanoterois) beistimme, so falle er dadurch, daß er für die Überzeugung oder Nichtüberzeugung irgend etwas dem anderen vorziehe, aus dem skeptischen Charakter.

Diese Unterscheidung des Platonismus vom Skeptizismus ist entweder eine bloß formale Mäkelei, die an dem behaupteten[234] Vorziehen nichts als die Form des Bewußtseins tadelt – denn der Gehorsam des Skeptikers gegen die Notwendigkeit und die vaterländischen Gesetze war ein ebensolches, nur bewußtloses Vorziehen –, oder wenn sie gegen die Realität der Idee selbst gerichtet ist, so betrifft sie die Erkenntnis der Vernunft durch sich selbst; und hieran muß sich die Eigentümlichkeit des reinen, von der Philosophie sich trennenden Skeptizismus darstellen. Auf diese Erkenntnis der Vernunft kommt Sextus im ersten Buch gegen die Logiker (I, 310), nachdem er vorher das Kriterium der Wahrheit überhaupt aus dem Zwist der Philosophen über dasselbe und dann insbesondere die Wahrheit der sinnlichen Erkenntnis bestritten hatte. Was er nun dagegen sagt, daß die Vernunft sich durch sich selbst erkenne (hoti oud' heautês epignômôn estin hê dianoia ..., ho nous heauton katalambanetai), ist kahl genug, daß, wenn die neueren Skeptiker die Selbsterkenntnis der Vernunft bekämpfen wollen, sie wohl etwas Besseres vorbringen müssen, wenn sie es sich nicht bequemer machten, diese Mühe dadurch ganz zu ersparen, daß sie die Vernunft und ihr Selbsterkennen ganz und gar ignorieren und, hinter dem Gorgonen-Schild steckend, unmittelbar, nicht durch etwa bösliche Verdrehung und Kunst, nicht als ob sie es vorher anders sehen, sondern im Blick selbst, das Vernünftige subjektiv ausgedrückt in Verstand, objektiv in Steine verwandeln und das, von dem sie ahnen, daß es über Verstand und Stein hinausgeht, Schwärmerei und Einbildungskraft nennen. – Sextus weiß doch noch von der Vernunft und ihrer Selbsterkenntnis. Was er über die Möglichkeit derselben vorbringt, ist folgendes flaches Räsonnement, zu welchem er gerade die Reflexionsbegriffe von Ganzem und Teilen, die, wie Platon im Parmenides, er in seinen Büchern gegen die Physiker vernichtet, nun selbst mitbringt. Wenn die Vernunft sich begreift, so muß sie entweder, insofern sie sich begreift, das Ganze sein, das sich begreift, oder nicht das Ganze, nur einen Teil dazu gebrauchen. Wenn es nun das Ganze ist, das sich begreift, so ist das Begreifen und das[235] Begreifende das Ganze; wenn aber das Ganze das Begreifende ist, so bleibt fürs Begriffene nichts mehr übrig; es ist aber ganz unvernünftig, daß das Begreifende sei, aber dasjenige nicht, was begriffen wird. Aber die Vernunft kann auch nicht einen Teil von sich dazu gebrauchen; denn wie soll der Teil sich begreifen? Ist er ein Ganzes, so bleibt für das zu Begreifende nichts übrig; wenn wieder mit einem Teil, wie soll dieses wieder sich begreifen? und so ins Unendliche, so daß das Begreifen ohne Prinzip ist, indem entweder kein Erstes gefunden wird, welches das Begreifen vornehmen, oder nichts ist, was begriffen werden soll. – Man sieht, daß die Vernunft in ein Absolut-Subjektives verkehrt wird, welches, wenn es als Ganzes gesetzt ist, dem zu Begreifenden nichts mehr übrigläßt. Alsdann (und nun kommen noch bessere Gründe, die die Vernunft, wie vorhin in den Begriff von Ganzem und Teilen und einer entweder absoluten Subjektivität oder absoluten Objektivität, nunmehr in die Erscheinung eines bestimmten Platzes herabziehen): wenn die Vernunft sich selbst begreift, so wird sie damit auch den Ort, in welchem sie ist, mit begreifen, denn jedes Begreifende begreift mit einem bestimmten Orte; wenn aber die Vernunft den Ort, worin sie ist, mit sich begreift, so mußten die Philosophen nicht wegen desselben uneins sein, indem einige sagen, jener Ort sei der Kopf, andere die Brust, und im einzelnen einige das Gehirn, andere die Gehirnhaut, andere das Herz, andere die Zugänge der Leber oder sonst irgendein Teil des Körpers; hierüber sind die dogmatischen Philosophen uneins. Die Vernunft begreift also nicht sich selbst.

Dies ist es, was Sextus gegen das Selbsterkennen der Vernunft vorbringt; es ist ein Beispiel aller Waffen des Skeptizismus gegen die Vernunft; sie bestehen in einer Anwendung von Begriffen auf dieselbe, worauf es leicht wird, die in die Endlichkeit versetzte und, wie Herr Schulze tut, zu Dingen gemachte Vernunft als ein einem Anderen Entgegengesetztes, das gleichfalls gesetzt werden müsse, aber durch jene Einzelheit nicht gesetzt werde, aufzuzeigen. Das[236] Gewöhnlichste von allem, nämlich die Berufung auf die Uneinigkeit der Philosophen untereinander, führt Sextus ebenfalls gleich nach der angeführten Stelle weit aus, ein Geschwätze, das die moralischen Dogmatisten gegen die Spekulation mit dem Skeptizismus teilen, wie es auch schon Xenophon dem Sokrates in den Mund legt und der oberflächlichen Ansicht, die an den Worten kleben bleibt, am nächsten sich darbietet. Ob also schon dieser Skeptizismus sich von der Philosophie, nämlich derjenigen, welche zugleich den Skeptizismus in sich schließt, losgerissen und isoliert hat, so hat er doch diesen Unterschied von Dogmatismus und der Philosophie (die letztere unter dem Namen von akademischer) sowie die große Übereinstimmung derselben mit ihm erkannt, wovon der neuere hingegen nichts weiß.

Außer dem Skeptizismus aber, der eins ist mit der Philosophie, kann der von ihr losgetrennte Skeptizismus ein gedoppelter sein, entweder daß er nicht gegen die Vernunft oder daß er gegen sie gerichtet ist. Aus der Gestalt, in welcher uns Sextus den von der Philosophie abgetrennten und gegen sie gekehrten Skeptizismus gibt, läßt sich auffallend der alte echte Skeptizismus aussondern, der zwar nicht wie die Philosophie eine positive Seite hatte, sondern in Beziehung aufs Wissen eine reine Negativität behauptete, aber ebensowenig gegen die Philosophie gerichtet war; ebenso abgetrennt steht seine später hinzugekommene feindselige Richtung zum Teil gegen die Philosophie, zum Teil gegen den Dogmatismus. Seine Wendung gegen dieselbe, sowie auch diese Dogmatismus wurde, zeigt, wie er mit der gemeinschaftlichen Ausartung der Philosophie und der Welt überhaupt gleichen Schritt gehalten hat, bis er endlich in den neuesten Zeiten so weit mit dem Dogmatismus heruntersinkt, daß nunmehr für beide die Tatsachen des Bewußtseins unleugbare Gewißheit haben und ihnen beiden in der Zeitlichkeit die Wahrheit liegt, so daß, weil die Extreme sich berühren, in diesen glücklichen Zeiten von ihrer Seite[237] wieder das große Ziel erreicht ist, daß nach unten Dogmatismus und Skeptizismus zusammenfallen und beide sich die freund-brüderlichste Hand reichen. Der Schulzische Skeptizismus vereinigt mit sich den rohsten Dogmatismus, und der Krugsche Dogmatismus trägt zugleich jenen Skeptizismus in sich.

Sextus stellt uns die Maximen des Skeptizismus in siebzehn Tropen dar, deren Verschiedenheit uns den Unterschied seines Skeptizismus von dem alten genau bezeichnet, welcher zwar für sich stand, ohne philosophisches Wissen, aber durchaus zugleich innerhalb der Philosophie fällt, besonders mit der alten, die mit der Subjektivität weniger zu tun hatte, ganz identisch ist.

Dem alten Skeptizismus gehören die zehn ersten der siebzehn Tropen an, zu denen erst die viel späteren Skeptiker – Sextus sagt überhaupt die neueren; Diogenes nennt den Agrippa, der gegen fünfhundert Jahre nach Pyrrhon lebte – fünf hinzugefügt haben; die zwei, die noch dazukamen, [er]scheinen wieder später; Diogenes erwähnt ihrer gar nicht, auch Sextus sondert sie ab, und sie sind unbedeutend.

Diese zehn Artikel nun, auf die der alte sich beschränkte, sind, wie alle Philosophie überhaupt, gegen den Dogmatismus des gemeinen Bewußtseins selbst gerichtet; sie begründen die Ungewißheit über die Endlichkeiten, womit es bewußtlos befangen ist, und diese Indifferenz des Geistes, vor der alles, was die Erscheinung oder der Verstand gibt, wankend gemacht wird, in welchem Wanken alles Endlichen nach den Skeptikern, wie der Schatten dem Körper folgt, die ataraxia durch Vernunft erworben eintritt. Wie Apelles, als er ein Pferd malte und die Darstellung des Schaums nicht herausbringen konnte, sie aufgebend, den Schwamm, woran er die Farben des Pinsels ausgewischt hatte, an das Bild warf und damit die Abbildung des Schaums traf, so finden in der Vermischung alles Erscheinenden und Gedachten die Skeptiker das Wahre, jene durch Vernunft erworbene Gleichmütigkeit,[238] welche von Natur zu haben den Unterschied des Tiers von dem Menschen ausmacht und die Pyrrhon einst zu Schiffe seinen Gefährten, die in dem heftigen Sturm zagten, mit ruhigem Gemüte an einem Schwein, das im Schiffe fraß, mit den Worten zeigte: der Weise müsse in solcher Ataraxie stehen. Dieser Skeptizismus hatte also seine positive Seite ganz allein in dem Charakter und seiner vollkommenen Gleichgültigkeit gegen die Notwendigkeit der Natur.

Aus einer kurzen Erwähnung der zehn Punkte, welche die epochên des Skeptizismus gründen, wird sich ihre Richtung gegen die Sicherheit der Dinge und der Tatsachen des Bewußtseins unmittelbar ergeben; die Unsicherheit aller Dinge und die Notwendigkeit der epochês wird nämlich dargetan 1. aus der Verschiedenheit der Tiere, 2. der Menschen, 3. der Organisation der Sinne, 4. der Umstände, 5. der Stellungen, Entfernungen und Örter, 6. den Vermischungen (durch welche dem Sinne sich nichts rein darbietet), 7. den verschiedenen Größen und Beschaffenheiten der Dinge, 8. dem Verhältnisse (daß nämlich alles nur in Verhältnis zu einem Anderen ist), 9. dem häufigeren oder selteneren Geschehen, 10. [aus der Verschiedenheit] der Bildung, der Sitten, Gesetze, des mythischen Glaubens, der Vorurteile.

Über ihre Form bemerkt Sextus selbst, daß alle diese Tropen eigentlich auf die Triplizität, einen [Tropus] der Verschiedenheit des erkennenden Subjekts, einen des erkannten Objekts und einen aus beiden zusammengesetzten gebracht werden können. Notwendig müssen auch bei der Ausführung mehrere ineinanderfließen. – Bei den zwei ersten Tropen der Verschiedenheit der Tiere und der Menschen spricht auch Sextus schon von der Verschiedenheit der Organe, die eigentlich unter den dritten gehört; am ausgedehntesten, merkt Sextus an, ist der achte Punkt, der die Bedingtheit jedes Endlichen durch ein Anderes, oder daß jedes nur in Verhältnis zu einem Anderen ist, betrifft. Man sieht, daß sie nach dem Zufall aufgerafft sind und eine unausgebildete Reflexion oder vielmehr eine Absichtslosigkeit der Reflexion in Rücksicht[239] auf eine eigene Lehre und eine Ungewandtheit, die nicht vorhanden wäre, wenn der Skeptizismus schon mit dem Kritisieren der Wissenschaften zu tun gehabt hätte, voraussetzen.

Noch mehr aber beweist der Inhalt dieser Tropen, wie entfernt sie von einer Tendenz gegen die Philosophie sind und wie sie ganz allein gegen den Dogmatismus des gemeinen Menschenverstandes gehen; kein einziger betrifft die Vernunft und ihre Erkenntnis, sondern alle durchaus nur das Endliche und das Erkennen des Endlichen, den Verstand. Ihr Inhalt ist zum Teil empirisch, insofern geht er die Spekulation schon an sich nichts an; zum Teil betrifft er das Verhältnis überhaupt, oder daß alles Wirkliche bedingt sei durch ein Anderes, und insofern drückt er ein Vernunftprinzip aus. Dieser Skeptizismus ist demnach gegen die Philosophie gar nicht und auf eine eben nicht philosophische, sondern populäre Weise gegen den gemeinen Menschenverstand oder das gemeine Bewußtsein gewendet, welches das Gegebene, die Tatsache, das Endliche (dies Endliche heiße Erscheinung oder Begriff) festhält und an ihm als einem Gewissen, Sicheren, Ewigen klebt; jene skeptischen Tropen zeigen ihm das Unstete solcher Gewißheiten auf eine Art, welche gleichfalls dem gemeinen Bewußtsein naheliegt; er ruft nämlich gleichfalls die Erscheinungen und Endlichkeiten zu Hilfe, und aus der Verschiedenheit derselben sowie dem gleichen Rechte aller, sich geltend zu machen, aus der in dem Endlichen selbst zu erkennenden Antinomie erkennt er die Unwahrheit desselben. Er kann daher als die erste Stufe zur Philosophie angesehen werden, denn der Anfang der Philosophie muß ja die Erhebung über die Wahrheit sein, welche das gemeine Bewußtsein gibt, und die Ahnung einer höheren Wahrheit. Der neueste Skeptizismus ist daher mit seiner Gewißheit der Tatsachen des Bewußtseins vor allen Dingen an diesen alten Skeptizismus und an diese erste Stufe der Philosophie zu verweisen – oder an den gemeinen Menschenverstand selbst, der sehr gut erkennt, daß alle Tatsachen[240] seines Bewußtseins und dieses sein endliches Bewußtsein selbst vergeht und daß keine Gewißheit darin ist; der Unterschied dieser Seite des gemeinen Menschenverstandes und dieses Skeptizismus besteht darin, daß jener sich ausspricht: »es ist alles vergänglich«, der Skeptizismus hingegen, wenn eine Tatsache als gewiß aufgestellt wird, zu erweisen versteht, daß jene Gewißheit nichts ist. – Außerdem steht im gemeinen Menschenverstande dieser sein Skeptizismus und sein Dogmatismus über die Endlichkeiten nebeneinander, und dadurch wird jener Skeptizismus etwas bloß Formelles, dahingegen durch den eigentlichen Skeptizismus der letztere aufgehoben wird und also jener gemeine Glaube an die Ungewißheit der Tatsachen des Bewußtseins aufhört, etwas Formelles zu sein, indem der Skeptizismus den ganzen Umfang der Wirklichkeit und Gewißheit in die Potenz der Ungewißheit erhebt und den gemeinen Dogmatismus vernichtet, der bewußtlos besonderen Sitten und Gesetzen und anderen Umständen als einer Macht angehört, für die das Individuum nur Objekt ist und die es in ihren Einzelheiten am Faden der Wirkungen auch begreift, ein verständiges Wissen sich darüber macht und damit nur immer tiefer in den Dienst jener Macht versinkt. Der Skeptizismus, den die Freiheit der Vernunft über diese Naturnotwendigkeit erhebt, indem er sie für nichts erkennt, ehrt sie zugleich aufs höchste, indem ihm in ihr ebensowenig eine ihrer Einzelheiten etwas Gewisses ist, sondern nur die Notwendigkeit in ihrer Allgemeinheit, als er selbst eine Einzelheit als absoluten Zweck, den er in ihr ausführen wollte, als ob er wüßte, was gut ist, in sie hineinversetzt. Er antizipiert in dem Individuum dasjenige, was die in der Endlichkeit der Zeit auseinandergezogene Notwendigkeit an dem bewußtlosen Geschlechte bewußtlos ausführt; was diesem für absolut eines und ebendasselbe und für fest, ewig und überall gleich so beschaffen gilt, entreißt ihm die Zeit,[241] am allgemeinsten die nach Naturnotwendigkeit sich ausbreitende Bekanntschaft mit fremden Völkern, – wie z.B. die Bekanntschaft der Europäer mit einem neuen Weltteil für den Dogmatismus ihres seitherigen Menschenverstandes und ihre unleugbare Gewißheit einer Menge von Begriffen über Recht und Wahrheit Jene skeptische Wirkung gehabt hat.

Weil nun der Skeptizismus seine positive Seite allein im Charakter hatte, so gab er sich nicht für eine Häresis oder Schule aus, sondern, wie oben angeführt, für eine agôgên, eine Erziehung zu einer Lebensweise, eine Bildung, deren Subjektivität nur darin objektiv sein konnte, daß die Skeptiker sich der gleichen Waffen gegen das Objektive und die Abhängigkeit von demselben bedienten; sie erkannten den Pyrrhon als den Stifter des Skeptizismus in dem Sinne, daß sie ihm nicht in Lehren, sondern in diesen Wendungen gegen das Objektive (homotropôs, Diogenes IX, 70) gleich waren. Die Ataraxie, zu der der Skeptiker sich bildete, bestand darin, daß, wie Sextus (Adversus ethicos, 154) sagt, dem Skeptiker keine Störung (tarachê) fürchterlich sein konnte; denn wenn sie auch die größte sei, so fällt die Schuld nicht auf uns, die wir ohne Willen und nach der Notwendigkeit leiden, sondern auf die Natur, welche dasjenige, was die Menschen festsetzen, nichts angeht, und auf denjenigen, der durch Meinung und ei[ge]nen Willen sich selbst das Übel zuzieht. Von dieser positiven Seite erhellt es ebensosehr, daß dieser Skeptizismus keiner Philosophie fremd ist. Die Apathie des Stoikers und die Indifferenz des Philosophen überhaupt müssen sich in jener Ataraxie erkennen. Pyrrhon war als ein origineller Mensch auf seine Faust, wie jeder andere Urheber einer Schule, Philosoph geworden; aber seine originelle Philosophie war darum nicht ein Eigentümliches, notwendig und seinem Prinzip nach anderen Entgegengesetztes; die Individualität seines Charakters drückte sich nicht sowohl in einer Philosophie ab, als sie vielmehr seine Philosophie selbst und seine Philosophie nichts als Freiheit des[242] Charakters war; wie sollte aber eine Philosophie darin diesem Skeptizismus entgegenstehen? Wenn die nächsten Schüler solcher großen Individuen sich, wie das geschieht, an das Formelle, Auszeichnende vorzüglich hielten, so erschien freilich nichts als Verschiedenheit; aber wenn das Gewicht der Autorität des Einzelnen und seiner Persönlichkeit sich nach und nach mehr verwischte und das philosophische Interesse rein sich emporhob, so konnte auch die Dieselbigkeit der Philosophie wieder erkannt werden. Wie Platon in seiner Philosophie die Sokratische, Pythagoreische, Zenonische u. a. vereinigte, so geschah es, daß Antiochos – bei welchem Cicero gehört hatte und, wenn nicht sonst aus seinem Leben erhellte, daß er für die Philosophie verdorben war, durch seine philosophischen Produktionen kein günstiges Licht auf seinen Lehrer und dessen Vereinigung der Philosophien werfen würde – die stoische Philosophie in die Akademie übertrug; und daß die letztere ihrem Wesen nach den Skeptizismus in sich schloß, haben wir oben gesehen. Es braucht nicht erinnert zu werden, daß hier von einer solchen Vereinigung die Rede ist, welche das Innerste der verschiedenen Philosophien als eins und dasselbe erkennt, nicht von dem Eklektizismus, der auf ihrer Oberfläche umherirrt und aus Blümchen, allenthalben her zusammengerafft, sich seinen eitlen Kranz bindet.

Es ist eine Zufälligkeit der Zeit, wenn späterhin die verschiedenen philosophischen Systeme völlig auseinandergingen und nunmehr die Apathie der Ataraxie, die Dogmatiker der Stoa (Sextus, Pyrrh. Hyp. I, 65) den Skeptikern für ihre entgegengesetztesten Gegner galten. Auf diese völlige Trennung der Philosophien und das völlige Festwerden ihrer Dogmen und Unterscheidungen, sowie auf die nunmehrige Richtung des Skeptizismus teils gegen den Dogmatismus, teils gegen die Philosophie selbst, beziehen sich ganz allein die späteren fünf Tropen der Skeptiker, welche die eigentliche Rüstkammer ihrer Waffen gegen philosophische Erkenntnis ausmachen, die wir, um unsere Darstellung zu[243] rechtfertigen, noch kurz anführen wollen. Der erste unter diesen Tropen der Epoche ist der von der Verschiedenheit, nämlich jetzt nicht mehr der Tiere oder der Menschen, wie in den zehn ersten, sondern der gemeinen Meinungen und der Lehren der Philosophen, sowohl beider gegeneinander als beider innerhalb ihrer selbst, – ein Tropus, über den die Skeptiker immer sehr weitläufig sind und überall Verschiedenheit erblicken und hineintragen, wo sie besser Identität sehen würden. Der zweite ist, der aufs Unendliche treibt; Sextus gebraucht ihn so häufig, als er in neueren Zeiten als Begründungstendenz vorgekommen ist; er ist das Bekannte, daß für ein Begründendes eine neue Begründung, für diese wieder [eine] und so fort ins Unendliche gefordert wird. Der dritte war schon unter den zehn ersten, nämlich der des Verhältnisses. Der vierte betrifft die Voraussetzungen – gegen die Dogmatiker, die, um nicht ins Unendliche getrieben zu werden, etwas als schlechthin Erstes und Unbewiesenes setzen –, welche die Skeptiker sogleich dadurch nachahmen, daß sie mit eben dem Rechte das Gegenteil jenes Vorausgesetzten ohne Beweis setzen. Der fünfte ist das Gegenseitige, wenn dasjenige, was zum Beweise eines Anderen dienen soll, selbst zu seinem Beweise desjenigen bedarf, welches durch dasselbe bewiesen werden soll. – Noch zwei andere Tropen, von denen Sextus sagt, daß man sie auch aufführe, deren Diogenes nicht erwähnt und von denen man selbst sieht, daß sie nichts Neues, sondern nur das Vorige, in eine allgemeinere Form gebracht, sind, enthalten, daß, was begriffen wird, entweder aus sich selbst oder aus einem Anderen begriffen wird, – aus sich nicht, denn man sei über die Quelle und das Organ der Erkenntnis, ob es die Sinne oder der Verstand sei, uneins; nicht aus einem Anderen, denn sonst falle man in den Tropus des Unendlichen oder in den gegenseitigen.

Man sieht auch an der Wiederholung einiger der zehn ersten, nämlich zum Teil desjenigen, der unter den fünfen der erste und dritte ist, und aus ihrem ganzen Inhalt, daß die Absicht[244] dieser fünf Tropen ganz verschieden von der Tendenz der zehn ersten ist und daß sie allein die spätere Wendung des Skeptizismus gegen die Philosophie betreffen. Es gibt keine tauglicheren Waffen gegen den Dogmatismus der Endlichkeiten, aber sie sind völlig unbrauchbar gegen die Philosophie; da sie lauter Reflexionsbegriffe enthalten, so haben sie, nach diesen beiden verschiedenen Seiten gekehrt, eine ganz entgegengesetzte Bedeutung: gegen den Dogmatismus gekehrt, erscheinen sie von der Seite, daß sie der Vernunft, die neben den einen, vom Dogmatismus behaupteten Teil der notwendigen Antinomie den anderen stellt, – gegen die Philosophie hingegen von der Seite, daß sie der Reflexion angehören; gegen jenen müssen sie also siegreich sein, vor dieser aber in sich selbst zerfallen oder selbst dogmatisch sein. Da das Wesen des Dogmatismus darin besteht, daß er ein Endliches, mit einer Entgegensetzung Behaftetes (z.B. reines Subjekt oder reines Objekt oder in dem Dualismus die Dualität der Identität gegenüber) als das Absolute setzt, so zeigt die Vernunft von diesem Absoluten, daß es eine Beziehung auf das von ihm Ausgeschlossene hat und nur durch und in dieser Beziehung auf ein Anderes, also nicht absolut ist, nach dem dritten Tropus des Verhältnisses. Soll dies Andere seinen Grund in dem Ersten sowie das Erste seinen Grund in dem Anderen haben, so ist dies ein Zirkel und fällt in den fünften, den diallelischen Tropus; soll kein Zirkel begangen werden, sondern dieses Andere als Grund des Ersten in sich selbst gegründet sein und wird es zur unbegründeten Voraussetzung gemacht, so hat es, weil es ein Begründendes ist, ein Entgegengesetztes, und dies sein Entgegengesetztes kann mit eben dem Rechte als ein Unbewiesenes oder Unbegründetes vorausgesetzt werden, weil hier einmal das Begründen anerkannt worden ist nach dem vierten Tropus der Voraussetzungen; oder aber dies Andere als Grund soll wieder in einem Anderen begründet sein, so wird dies Begründete auf die Reflexions-Unendlichkeit an Endlichen ins Unendliche fortgetrieben und ist wieder grundlos[245] nach dem zweiten Tropus. Endlich müßte jenes endliche Absolute des Dogmatismus auch ein Allgemeines sein; allein dies wird sich notwendig nicht finden, weil es ein Beschränktes ist, und hierher gehört der erste Tropus der Verschiedenheit. – Diese dem Dogmatismus unüberwindlichen Tropen hat Sextus mit großem Glück gegen den Dogmatismus, besonders gegen die Physik gebraucht, eine Wissenschaft, welche so wie die angewandte Mathematik der wahre Stapelplatz der Reflexion, der beschränkten Begriffe und des Endlichen ist, aber dem neuesten Skeptiker freilich für eine Wissenschaft gilt, welche allem vernünftigen Skeptisieren Trotz biete; es kann im Gegenteil behauptet werden, daß die alte Physik wissenschaftlicher war als die neue und also dem Skeptizismus weniger Blößen darbot.

Gegen den Dogmatismus sind diese Tropen darum vernünftig, weil sie gegen das Endliche des Dogmatismus das Entgegengesetzte, wovon er abstrahierte, auftreten lassen, also die Antinomie herstellen; gegen die Vernunft hingegen gekehrt, behalten sie als ihr Eigentümliches die reine Differenz, von der sie affiziert sind; das Vernünftige derselben ist schon in der Vernunft. Was den ersten Tropus der Verschiedenheit betrifft, so ist das Vernünftige ewig und allenthalben sich selbst gleich; rein Ungleiches gibt es allein für den Verstand, und alles Ungleiche wird von der Vernunft als eins gesetzt; freilich muß diese Einheit so wie jene Ungleichheit nicht auf die, wie Platon sagt, gemeine und knabenhafte Art genommen werden, daß ein Ochse usw. als das Eins gesetzt wird, von dem behauptet würde, er sei zugleich viele Ochsen. Es kann vom Vernünftigen nach dem dritten Tropus nicht gezeigt werden, daß es nur im Verhältnis, in einer notwendigen Beziehung auf ein Anderes ist; denn es selbst ist nichts als das Verhältnis. Weil das Vernünftige die Beziehung selbst ist, so werden wohl die in Beziehung Stehenden, die, wenn sie vom Verstande gesetzt werden, einander begründen sollten, nicht das Vernünftige selbst in den Zirkel oder in den fünften, den diallelischen [Tropus], fallen; denn[246] in der Beziehung ist nichts durch einander zu begründen. Ebenso ist das Vernünftige nicht eine unbewiesene Voraussetzung nach dem vierten Tropus, welcher gegenüber das Gegenteil mit eben dem Rechte unbewiesen vorausgesetzt werden könnte, denn das Vernünftige hat kein Gegenteil, – es schließt die Endlichen, deren eines das Gegenteil vom anderen ist, beide in sich. Die beiden vorhergehenden Tropen enthalten den Begriff eines Grundes und einer Folge, nach dem ein Anderes durch ein Anderes begründet würde; da es für die Vernunft kein Anderes gegen ein Anderes gibt, so fallen sowohl sie als die auf dem Boden der Entgegensetzungen gemachte und unendlich fortgesetzte Forderung eines Grundes, der zweite Tropus, der aufs Unendliche treibt, hinweg; weder jene Forderung noch diese Unendlichkeit geht die Vernunft etwas an.

Da also diese Tropen alle den Begriff eines Endlichen in sich schließen und sich darauf gründen, so geschieht durch ihre Anwendung auf das Vernünftige unmittelbar, daß sie dasselbe in ein Endliches verkehren, daß sie ihm, um es kratzen zu können, die Krätze der Beschränktheit geben. Sie gehen nicht an und für sich gegen das vernünftige Denken, aber wenn sie gegen dasselbe gehen, wie Sextus sie auch gebraucht, so alterieren sie das Vernünftige unmittelbar. Aus diesem Gesichtspunkte kann alles begriffen werden, was der Skeptizismus gegen das Vernünftige vorbringt; ein Beispiel sahen wir oben, wenn er das Erkennen der Vernunft aus sich selbst dadurch bestreitet, daß er sie entweder zu einem Absolut-Subjektiven oder zu einem Absolut-Objektiven und entweder zu einem Ganzen oder zu einem Teile macht; beides hat erst der Skeptizismus hinzugetan. Wenn also der Skeptizismus gegen die Vernunft zu Felde zieht, so hat man sogleich die Begriffe, die er mitbringt, abzuweisen und seine schlechten, zu einem Angriff untauglichen Waffen zu verwerfen. – Was der neueste Skeptizismus immer mitbringt, ist, wie wir oben gesehen haben, der Begriff einer Sache, die hinter und unter den Erscheinungssachen liege. Wenn der alte Skeptizismus[247] sich der Ausdrücke hypokeimenon, hyparchon, adêlon usw. bedient, so bezeichnet er die Objektivität, die nicht auszusprechen sein Wesen ausmacht; er für sich bleibt bei der Subjektivität des Erscheinens stehen. Diese Erscheinung ist ihm aber nicht ein sinnliches Ding, hinter welchem von dem Dogmatismus und der Philosophie noch andere Dinge, nämlich die übersinnlichen behauptet werden sollten. Da er sich überhaupt zurückhält, eine Gewißheit und ein Sein auszusprechen, so hat er schon für sich kein Ding, kein Bedingtes, von dem er wüßte, und er hat nicht nötig, der Philosophie weder dieses gewisse Ding noch ein anderes, das hinter diesem wäre, in die Schuhe zu schieben, um sie fallen zu machen.

Durch die Wendung des Skeptizismus gegen das Wissen überhaupt wird er, weil er hier ein Denken einem Denken entgegensetzt und das »Ist« des philosophischen Denkens bekämpft, darauf getrieben, ebenso das »Ist« seines eigenen Denkens aufzuheben, also in der reinen Negativität, die durch sich selbst eine reine Subjektivität ist, sich zu halten. Wie ekel hierüber die Skeptiker waren, haben wir oben an dem Beispiel der neueren Akademie gesehen, welche behauptete, daß alles ungewiß sei und daß dieser Satz sich selbst mit einschließe; doch ist selbst dies dem Sextus nicht skeptisch genug, er unterscheidet sie vom Skeptizismus, weil sie eben damit einen Satz aufstelle und dogmatisiere; jener Satz aber drückt so sehr den höchsten Skeptizismus aus, daß diese Unterscheidung etwas völlig Leeres wird. Ebenso mußte es auch dem Pyrrhon widerfahren, für einen Dogmatiker von einem ausgegeben zu werden. Dieser formelle Schein einer Behauptung ist es, womit hinwieder die Skeptiker schikaniert zu werden pflegen, indem man ihnen es zurückgibt, daß, wenn sie an allem zweifeln, doch dies »Ich zweifle«, »es scheint mir« usw. gewiß sei, also die Realität und Objektivität der Denktätigkeit entgegenhält, wenn sie bei jedem Setzen durch Denken sich an die Form des Setzens halten und auf diese Art jede ausgesprochene Tätigkeit für etwas Dogmatisierendes erklären.[248]

In diesem Extreme der höchsten Konsequenz, nämlich der Negativität oder Subjektivität, die sich nicht mehr auf die Subjektivität des Charakters, die zugleich Objektivität ist, beschränkte, sondern zu einer Subjektivität des Wissens wurde, die sich gegen das Wissen richtete, mußte der Skeptizismus inkonsequent werden, denn das Extrem kann sich nicht ohne sein Entgegengesetztes erhalten. Die reine Negativität oder Subjektivität ist also entweder gar nichts, indem sie sich in ihrem Extrem vernichtet, oder sie müßte zugleich höchst objektiv werden; das Bewußtsein hierüber ist es, was nahe bei der Hand liegt und was die Gegner urgierten. Die Skeptiker erklärten eben deswegen, wie oben erwähnt, daß ihre phonai – alles ist falsch, nichts wahr, keins mehr als das andere – sich selbst einschließen und daß der Skeptiker in dem Aussprechen dieser Schlagwörter nur das sage, was ihm scheine, und seine Affektion nicht eine Meinung noch Behauptung über ein objektives Sein damit ausspreche. [Vgl.] Sextus, Pyrrh. Hyp. I, 7 und sonst, besonders c. 24, wo sich Sextus so ausdrückt, daß man sich bei dem, was der Skeptiker sage – wie derjenige, der ausspricht peripatô, in Wahrheit sage »ich gehe« – immer hinzudenken müsse: »nach uns« oder »was mich betrifft« oder »wie es mir scheint«. Diese rein negative Haltung, die bloße Subjektivität und Scheinen bleiben will, hört eben damit auf, für das Wissen etwas zu sein; wer fest an der Eitelkeit, daß es ihm so scheine, er es so meine, hängenbleibt, seine Aussprüche durchaus für kein Objektives des Denkens und des Urteilens ausgegeben wissen will, den muß man dabei lassen, – seine Subjektivität geht keinen anderen Menschen, noch weniger die Philosophie oder die Philosophie sie etwas an.

Aus dieser Betrachtung der verschiedenen Seiten des alten Skeptizismus ergibt sich also, um es kurz zusammenzustellen, der Unterschied und das Wesen des neuesten Skeptizismus.

Diesem fehlt fürs erste die edelste Seite des Skeptizismus[249] [, die] der Richtung gegen den Dogmatismus des gemeinen Bewußtseins, die in allen seinen drei aufgezeigten Modifikationen sich findet, er sei nämlich identisch mit der Philosophie und nur ihre negative Seite, oder getrennt von ihr, aber nicht gegen sie gekehrt, oder gegen sie gekehrt. Für den neuesten Skeptizismus hat vielmehr das gemeine Bewußtsein mit seinem ganzen Umfang unendlicher Tatsachen eine unleugbare Gewißheit; ein Räsonnement über diese Tatsachen des Bewußtseins, ein Reflektieren und Klassifizieren derselben, was für ihn das Geschäft der Vernunft ausmacht, gibt als Wissenschaft dieses Skeptizismus teils eine empirische Psychologie, teils durch analytisches, auf die Tatsachen angewandtes Denken viele andere, über alles vernünftige Zweifeln erhabene Wissenschaften.

Dieser Barbarei, die unleugbare Gewißheit und Wahrheit in die Tatsachen des Bewußtseins zu legen, hat sich weder der frühere Skeptizismus, noch ein Materialismus, noch selbst der gemeinste Menschen verstand, wenn er nicht ganz tierisch ist, schuldig gemacht, sie ist bis auf die neuesten Zeiten in der Philosophie unerhört.

Ferner bieten nach diesem neuesten Skeptizismus unsere Physik und Astronomie und das analytische Denken aller vernünftigen Zweifelsucht Trotz; und es fehlt ihm also auch die edle Seite des späteren alten Skeptizismus, nämlich welche sich gegen das beschränkte Erkennen, gegen das endliche Wissen wendet.

Was bleibt denn nun für diesen neuesten Skeptizismus, der in der grellsten Beschränktheit sowohl der empirischen Anschauung als des empirischen Wissens, das die empirische Anschauung in Reflexion verwandelt und sie nur zu analysieren, nichts aber zu ihr hinzuzusetzen vermeint, seine Wahrheit und Gewißheit setzt, vom Skeptizismus übrig? Notwendig nichts als das Leugnen der Vernunftwahrheit und zu diesem Behuf die Verwandlung des Vernünftigen in Reflexion, der Erkenntnis des Absoluten in endliches Erkennen. Die durch alles durchgehende Grundform dieser[250] Verwandlung aber besteht darin, daß das Gegenteil von der oben aufgestellten ersten Definition des Spinoza, welche eine causa sui als das erklärt, dessen Wesen zugleich Existenz einschließe, zum Prinzip gemacht und als absoluter Grundsatz behauptet wird, das Gedachte, weil es ein Gedachtes ist, schließe nicht zugleich ein Sein in sich. Diese Trennung des Vernünftigen, in welchem Denken und Sein eins ist, in die Entgegengesetzten, Denken und Sein, und das absolute Festhalten dieser Entgegensetzung, also der absolut gemachte Verstand macht den unendlich wiederholten und überall angewandten Grund dieses dogmatischen Skeptizismus aus. Dieser Gegensatz, für sich betrachtet, hat das Verdienst, daß in ihm die Differenz in ihrer höchsten Abstraktion und in ihrer wahrsten Form ausgedrückt ist; das Wesen des Wissens besteht in der Identität des Allgemeinen und Besonderen oder des unter der Form des Denkens und des Seins Gesetzten, und Wissenschaft ist ihrem Inhalte nach eine Verkörperung jener vernünftigen Identität und von ihrer formalen Seite eine beständige Wiederholung derselben; die Nichtidentität, das Prinzip des gemeinen Bewußtseins und des Gegenteils des Wissens, drückt sich aufs Bestimmteste in jener Form des Gegensatzes aus; ein Teil des Verdienstes wird dieser Form freilich dadurch wieder benommen, daß sie nur als Gegensatz eines denkenden Subjekts gegen ein existierendes Objekt begriffen wird. Das Verdienst dieses Gegensatzes aber im Verhältnis zum neuesten Skeptizismus betrachtet, fällt dasselbe ganz hinweg, denn die Erfindung dieses Gegensatzes ist an sich ohnedies älter als derselbe; dieser neueste Skeptizismus entbehrt aber auch alles Verdienstes, denselben der Bildung der neueren Zeit nähergebracht zu haben, denn bekanntlich ist es die Kantische Philosophie, welche auf dem eingeschränkten Standpunkt, in welchem sie Idealismus ist, – in ihrer Deduktion der Kategorien zwar diesen Gegensatz aufhebt, aber sonst inkonsequent genug ist, ihn zum höchsten Prinzip der Spekulation zu machen; die Festhaltung dieses Gegensatzes tritt am ausgesprochensten[251] und mit unendlicher Selbstgefälligkeit gegen den sogenannten ontologischen Beweis vom Dasein Gottes und als reflektierende Urteilskraft gegen die Natur auf, und besonders in der Form einer Widerlegung des ontologischen Beweises hat er ein allgemeines und ausgebreitetes Glück gemacht. Herr Schulze hat diese Form utiliter akzeptiert und sie nicht nur überhaupt gebraucht, sondern auch die Kantischen Worte, man sehe S. 71 und sonst, buchstäblich nachgesprochen; er ruft gleichfalls I. Teil, S. 618 in dem Kantischen Tone aus: »Ist jemals ein blendender Versuch gemacht worden, das Reich der objektiven Wirklichkeit unmittelbar an die Sphäre der Begriffe zu knüpfen und aus dieser in jenes lediglich durch die Hilfe einer wiederum aus lauter Begriffen verfertigten Brücke überzuschreiten, so ist es in der Ontotheologie geschehen; gleichwohl ist neuerlich« (wie verblendet war die Philosophie doch vor diesen neuen Zeiten!) »die leere Spitzfindigkeit und das Blendwerk, welches man damit treibt, völlig aufgedeckt worden.«

Herr Schulze hat nun nichts getan, als diese neuerliche vortreffliche Entdeckung Kants, wie die unzähligen Kantianer auch taten, aufzunehmen und diesen höchst einfachen Witz links und rechts und gegen den Vater der Erfindung selbst allenthalben anzubringen und mit einem und ebendemselben Ätzmittel alle seine Teile anzugreifen und aufzulösen.

Auch die Wissenschaft der Philosophie wiederholt nur immer eine und ebendieselbe vernünftige Identität, aber dieser Wiederholung quellen aus Bildungen neue Bildungen hervor, aus denen sie sich zu einer vollständigen organischen Welt ausbildet, die in ihrem Ganzen sowie ihren Teilen als dieselbe Identität erkannt wird; die ewige Wiederholung jenes Gegensatzes aber, der auf Desorganismus und das nihil negativum ausgeht, ist von seiner negativen Seite ein ewiges Gießen des Wassers in ein Sieb, von seiner positiven Seite aber die beständige und mechanische Anwendung einer und ebenderselben verständigen Regel, daraus nie neue Form aus Form hervorkommt, sondern immer dasselbe mechanische[252] Werk getan wird; diese Anwendung gleicht der Arbeit eines Holzhackers, der immer denselben Streich führt, oder eines Schneiders, der für eine Armee Uniformen zuschneidet. Es wird hier, was Jacobi vom Wissen überhaupt meint, eigentlich das Nürnberger Grillenspiel immer fortgespielt, das uns anekelt, sobald uns alle seine Gänge und möglichen Wendungen bekannt und geläufig sind. Dieser Skeptizismus hat zu seinem Spiel vollends nur einen einzigen Gang und nur eine Wendung, und auch diese ist ihm nicht eigen, sondern er hat sie vom Kantianismus hergeholt. Dieser Charakter des neuesten Skeptizismus wird sich an demjenigen, was er seine Grunde nennt, und an einem Beispiel ihrer Anwendung aufs klarste dartun.

Er gibt sich schon sattsam aus der Art zu erkennen, wie er seinen Gegenstand, nämlich das Interesse der spekulativen Vernunft aufgefaßt hat, nämlich als die Aufgabe, den Ursprung menschlicher Erkenntnisse der Dinge zu erklären, zu dem bedingt Existierenden das unbedingt Existierende auszuspionieren; es werden hier in der Vernunft erstens die Dinge dem Erkennen entgegengesetzt, zweitens eine Erklärung ihres Ursprungs und damit das Kausalverhältnis hineingetragen; nun ist der Grund des Erkennens ein Anderes als das Begründete des Erkennens, jener der Begriff, dieses das Ding, und nachdem einmal diese grundfalsche Vorstellung vom vernünftigen Denken vorausgesetzt ist, so ist nun weiter nichts zu tun, als immer zu wiederholen, daß Grund und Begründetes, Begriff und Ding zweierlei sind, daß alles vernünftige Erkennen darauf gehe, ein Sein aus dem Denken, Existenz aus Begriffen, wie mit gleichfalls Kantischen Worten gesagt wird, herauszuklauben.

Nach diesem neuesten Skeptizismus ist das menschliche Erkenntnisvermögen ein Ding, das Begriffe hat, und weil es nichts hat als Begriffe, kann es nicht zu den Dingen, die draußen sind, hinausgehen; es kann sie nicht ausforschen noch auskundschaften, – denn beide sind (I. Teil, S. 60) spezifisch verschieden; kein Vernünftiger wird in dem Besitze[253] der Vorstellung von etwas dieses Etwas zugleich selbst zu besitzen wähnen.

Es äußert sich nirgends, daß dieser Skeptizismus so konsequent wäre, zu zeigen, daß auch kein Vernünftiger sich im Besitz einer Vorstellung von etwas wähnen werde; indem ja die Vorstellung auch ein Etwas ist, kann der Vernünftige nur die Vorstellung der Vorstellung, nicht die Vorstellung selbst, und wieder auch nicht die Vorstellung der Vorstellung, da diese Vorstellung der zweiten Potenz auch ein Etwas ist, sondern nur die Vorstellung der Vorstellung der Vorstellung usf. ins Unendliche zu besitzen wähnen; oder, da die Sache einmal so vorgestellt wird, daß es zwei verschiedene Taschen gäbe, davon eine die Etwas, welche Vorstellungen, die andere die Etwas, welche Dinge [sind], enthalte, so sieht man nicht, warum jene die volle, diese die ewig leere bleiben solle.

Der Grund, daß jene voll ist, daß wir diese aber nur voll wähnen, könnte kein anderer sein, als daß jene das Hemd, diese der Rock des Subjekts wäre, die Vorstellungentasche ihm näher, die Sachentasche aber entfernter liege; allein so würde der Beweis durch ein Voraussetzen dessen geführt, was bewiesen werden sollte, denn die Frage geht ja eben um den Vorzug der Realität des Subjektiven und des Objektiven.

Mit diesem skeptischen Grundwesen, daß allein darauf reflektiert werden soll, daß die Vorstellung nicht das Ding sei, das vorgestellt wird, und nicht darauf, daß beide identisch sind, stimmt es freilich schlecht zusammen, was von der unleugbaren Gewißheit der Tatsachen des Bewußtseins gesagt wird; denn nach Herrn Schulze (I. Teil, S. 68) sind die Vorstellungen insofern wahr, real und machen eine Erkenntnis aus, als sie mit dem, worauf sie sich beziehen und was durch sie vorgestellt wird, vollkommen übereinstimmen oder nichts anderes dem Bewußtsein vorhalten, als was im Vorgestellten befindlich ist, und S. 70 setzen wir im täglichen Leben eine solche Übereinstimmung beständig als gewiß[254] voraus, ohne uns um deren Möglichkeit im geringsten zu bekümmern, wie die neuere Methaphysik tue. – Worauf anders gründet denn nun Herr Schulze die unleugbare Gewißheit der Tatsachen des Bewußtseins als auf die absolute Identität des Denkens und Seins, des Begriffs und des Dings, er, der dann wieder in einem Atemzug das Subjektive, die Vorstellung, und das Objektive, das Ding, für spezifisch verschieden erklärt. Im täglichen Leben, sagt Herr Schulze, setzen wir jene Identität voraus; daß sie eine vorausgesetzte ist im täglichen Leben, heißt, sie ist im gemeinen Bewußtsein nicht vorhanden. Die neuere Metaphysik suche die Möglichkeit dieser Identität zu ergründen; aber daran, daß die neuere Philosophie die Möglichkeit der im gemeinen Leben vorausgesetzten Identität zu ergründen suche, ist ja kein wahres Wort, denn sie tut nichts, als jene vorausgesetzte Identität aussprechen und erkennen. Eben weil im täglichen Leben jene Identität eine vorausgesetzte ist, setzt das gemeine Bewußtsein das Objekt immer als ein Anderes als das Subjekt und das Objektive untereinander sowie das Subjektive wieder als eine unendliche Mannigfaltigkeit von absolut Verschiedenem; diese fürs gemeine Bewußtsein nur vorausgesetzte, bewußtlose Identität bringt die Metaphysik zum Bewußtsein, sie ist ihr absolutes und einziges Prinzip. Einer Erklärung wäre die Identität nur fähig, insofern sie nicht eine, wie Herr Schulze das nennt, im täglichen Leben vorausgesetzte, sondern eine wirkliche, d.h. eine durchaus bestimmte und endliche, und also auch das Subjekt und das Objekt ein endliches ist; aber eine Erklärung dieser Endlichkeit, insofern sie wieder das Kausalverhältnis setzt, fällt außerhalb der Philosophie. – Herr Schulze sagt von dieser Übereinstimmung S. 70, ihre Möglichkeit sei eines der größten Rätsel der menschlichen Natur, und in diesem Rätsel sei zugleich das Geheimnis der Möglichkeit einer Erkenntnis von Dingen a priori, d.h. noch ehe wir diese Dinge angeschaut haben. – Da lernen wir denn recht, was eine Erkenntnis a priori ist: draußen sind[255] die Dinge; inwendig ist das Erkenntnisvermögen; wenn dieses erkennt, ohne die Dinge anzusehen, erkennt es a priori. – Um von diesen drei Seiten, 68-70, welche die wahre Quintessenz der Begriffe dieses neuesten Skeptizismus über Philosophie enthalten, nichts auszulassen, müssen wir noch bemerken, daß Herr Schulze darüber, worin das eigentlich Positive der Übereinstimmung der Vorstellungen mit ihren realen Objekten bestehe, sagt, daß sich das weiter nicht mit Worten beschreiben noch angeben lasse; jeder meiner Leser muß es vielmehr dadurch kennenzulernen suchen, daß er es dann, wenn er sich desselben (des Positiven) bewußt ist, beobachte und etwa zusieht, was er wahrgenommen und aufgefaßt habe, wenn er durch Vergleichung einer Vorstellung, die er sich in der Abwesenheit einer Sache von ihr machte, mit der Sache selbst, sobald sie von ihm angeschaut wird, findet, daß jene mit dieser vollkommen übereinstimmt und solche genau darstellt. Was soll denn nun diese Erläuterung? Läuft denn das Ganze der Übereinstimmung (oder Nichtübereinstimmung) der Vorstellung mit dem Objekt wieder auf einen psychologischen unterschied der Gegenwart und Abwesenheit, des wirklichen Anschauens und der Erinnerung hinaus? Sollte denn den Lesern in der Abwesenheit von einer Sache die Übereinstimmung einer Vorstellung mit dem Objekt, die vorhanden ist in dem Wahrnehmen, entwischen und ihrem Bewußtsein jetzt etwas anderes vorgehalten werden, als was im vorgestellten Dinge befindlich ist, um in Herrn Schulzes Ausdrücken zu sprechen? Kaum hatte sich die Identität des Subjekts und Objekts, worein die unleugbare Gewißheit gesetzt wird, blicken lassen, so findet sie sich, man weiß nicht wie, auch gleich nur wieder in die empirische Psychologie versetzt; sie sinkt beizeiten in eine psychologische Bedeutung zurück, um bei der Kritik der Philosophie selbst und im Skeptizismus vollends ganz vergessen zu werden und der Nicht-Identität des Subjekts und Objekts, des Begriffs und des Dings das Feld zu lassen.

Diese Nicht-Identität zeigt sich als Prinzip in demjenigen,[256] was die drei Gründe des Skeptizismus genannt wird. Wie die alten Skeptiker keine Dogmen, Grundsätze hatten, sondern ihre Formen Tropen, Wendungen nannten, was sie auch, wie wir gesehen haben, waren, so vermeidet Herr Schulze gleichfalls den Ausdruck »Grundsätze«, »Prinzipien«, und nennt sie, ungeachtet sie völlig dogmatische Thesen sind, nur Gründe. Die Mehrheit dieser Gründe hätte durch eine vollständigere Abstraktion erspart werden können; denn sie drücken nichts als das eine Dogma aus: daß Begriff und Sein nicht eins ist.

Sie lauten folgendermaßen (I. Teil, S. 613 ff.) »Erster Grund: inwiefern die Philosophie eine Wissenschaft sein soll, bedarf sie unbedingt wahrer Grundsätze. Dergleichen Grundsätze sind aber unmöglich

Ist dies nicht dogmatisch? sieht dies dem Ausdruck einer skeptischen Wendung ähnlich? Auch bedarf ein solches Dogma, daß unbedingt wahre Grundsätze unmöglich seien, eines Beweises, aber weil es diesem Dogmatismus einfällt, daß er sich einen Skeptizismus nennt, so wird wieder der Ausdruck Beweis vermieden und das Wort Erläuterung stattdessen gebraucht; wie kann aber ein solches äußeres Aussehen die Sache ändern?

Die Erläuterung also gibt wie immer den spekulativen Philosophen schuld, daß sie aus bloßen Begriffen die Einsicht von der Existenz übersinnlicher Dinge schöpfen zu können glauben; der Beweis selbst geht darauf, daß in einem Satze, das heiße einer Verbindung von Vorstellungen und Begriffen, weder in der Verbindung (copula) noch in den Begriffen des Satzes eine Übereinstimmung des Satzes mit dem da durch Gedachten als notwendig gegeben sei; – die Kopula sei nur das Verhältnis des Prädikats zum Subjekt im Verstande (also etwas rein Subjektives) und habe ihrer Natur nach gar keine Beziehung auf etwas außer dem Denken des Verstandes, – in den Begriffen des Prädikats und Subjekts nichts, denn mit der Wirklichkeit des Begriffes im Verstande ist nur dessen Möglichkeit, d.h. daß er sich nicht widerspricht, nicht[257] aber auch dies, daß er auf etwas von ihm Verschiedenes Beziehung habe, gegeben. Hier ist denn auch der rechte Ort, wo Herrn Schulze das Blendwerk und die leere Spitzfindigkeit des ontologischen Beweises vom Dasein Gottes einfällt, – Nichts als eine Wiederholung dieser Erläuterung ist:

»Zweiter Grund (S. 620): Was der spekulative Philosoph von den obersten Gründen des bedingterweise Vorhandenen erkannt zu haben vorgibt, hat er bloß in Begriffen aufgefaßt und gedacht. Der mit bloßen Begriffen beschäftigte Verstand ist aber kein Vermögen, etwas der Wirklichkeit gemäß auch nur vorstellig machen zu können.«

In der Erläuterung sagt der Verfasser, daß der Verstand bei den spekulativen Philosophen oder Erforschern der Existenz der Dinge aus bloßen Begriffen in einem solchen Ansehen stehe, daß derjenige, welcher dieses Ansehen im geringsten in Zweifel zieht, sich dem Verdacht und der Beschuldigung aussetzt, wenig oder wohl gar keinen Verstand zu haben. Hieran ist abermals vielmehr das Gegenteil wahr, indem die Spekulation den Verstand durchaus für unfähig zur Philosophie hält. – Herr Schulze fährt fort, daß wir uns doch besinnen müssen, ob die Vernunft dem Verstande jene Vollkommenheit zugestehen könne. – Was soll denn nun die Vernunft hier? warum hat der Herr Verfasser in dem zweiten Grunde selbst nur von dem Verstande, wovon in der Spekulation gar keine Frage ist, und nicht von der Vernunft gesprochen, als ob er der Philosophie den Verstand, diesem Skeptizismus aber die Vernunft zueignete? Wir finden aber die paar Male, daß das Wort Vernunft vorkommt, es nur wie ein vornehmes Wort gebraucht, das Aufsehen erregen soll; was diese Vernunft produziert, ist nie etwas anderes, als daß der Begriff nicht das Ding sei, und eine solche Vernunft ist es gerade, welche von der Spekulation Verstand genannt wird.

»Dritter Grund (S. 627): Der spekulative Philosoph stützt seine vorgebliche Wissenschaft von den absoluten Gründen des bedingterweise Existierenden ganz vorzüglich auf den[258] Schluß von der Beschaffenheit der Wirkung auf die Beschaffenheit einer angemessenen Ursache. Von der Beschaffenheit der Wirkung läßt sich aber nicht im geringsten mit einiger Sicherheit auf die Beschaffenheit der Ursache schließen.«

In der Erläuterung wird behauptet, daß, wenn man nicht etwa durch Eingebung zur Erkenntnis dessen, was allem Bedingten zum Grunde liegen mag, gekommen sein will, so könne sie nur eine durch das Prinzip der Kausalität vermittelte Erkenntnis sein. – Von der spekulativen Philosophie ist diese Voraussetzung, daß in ihr das Kausalitätsverhältnis vorzüglich herrschend sei, wieder grundfalsch, denn es ist vielmehr völlig aus ihr verbannt; wenn es in der Form von Produzieren und Produkt etwa vorzukommen scheint, so wird es, indem das Produzierende und das Produkt gleichgesetzt werden, die Ursache gleich der Wirkung, ein und ebendasselbe als Ursache seiner selbst und als Wirkung seiner selbst, damit unmittelbar aufgehoben und nur der Ausdruck des Verhältnisses, aber nicht das Verhältnis angewendet; – daß in der spekulativen Philosophie von der Beschaffenheit des Bedingten auf das Unbedingte geschlossen werde, davon ist ohnehin keine Rede.

Dies ist (S. 643) nun »das Verzeichnis und der Inhalt der allgemeinen Gründe, um deren willen der Skeptiker den Lehren aller Systeme der Philosophie, die bisher aufgestellt worden sind oder noch künftig aufgestellt werden möchten, Gewißheit abspricht und welche ihn bestimmen, keinem einzigen dieser Systeme gegründete Ansprüche auf Wahrheit beizulegen«. Man hat aber gesehen, daß diese Gründe mit der Philosophie nichts zu schaffen haben, indem die Philosophie nicht ein Ding aus Begriffen herauszuklauben noch eine jenseits der Vernunft liegende Sache auszukundschaften, überhaupt weder mit dem, was der Herr Verfasser Begriffe nennt, noch mit Dingen beschäftigt ist, noch von Wirkungen auf Ursachen schließt.

Aus diesen Gründen, sagt Herr Schulze, sehe sich der Skeptiker bewogen, wenn er den eigentlichen Zweck der Philosophie[259] und seine Bedingungen und zugleich die Fähigkeit des menschlichen Gemüts, zu einer realen und sicheren Erkenntnis zu gelangen, in Erwägung zieht, nicht einsehen zu können, wie jemals eine Erkenntnis des Übersinnlichen zustande kommen solle, wenn anders sich die Einrichtung des menschlichen Erkenntnisvermögens nicht ändert, wie wohl kein Vernünftiger erwartet und woraufhin eine Hoffnung zu nähren töricht sein würde. Und um so törichter würde die Nahrung einer solchen Hoffnung sein, da eine Philosophie auch bei der Einrichtung des menschlichen Gemüts, wie sie im laufenden Jahre sich vorfindet, möglich ist.

Diese Waffen sind es, mit welchen nun die Systeme Lockes, Leibnizens, Kants bekämpft werden; das System Lockes und Leibnizens nämlich als Systeme des Realismus, – jenes eines sensualistischen, dieses eines rationalistischen –, Kants System aber als System des transzendentalen Idealismus; der neuere transzendentale Idealismus ist für einen dritten Band aufgespart.

Der erste Band enthält die Darstellung dieser Systeme, des Lockeschen von S. 113 bis 140, des Leibnizischen von S. 141 bis 172. Von S. 172 bis 582 aber erhalten wir wieder einen Auszug der so oft ausgezogenen Kantischen Kritik der reinen Vernunft; der folgende [Teil] bis zu Ende ist dem oben dargestellten Skeptizismus gewidmet.

Der zweite Band enthält die Kritik dieser Systeme nach den oben beleuchteten Gründen, – des Lockeschen Systems von S. 7 bis 90, des Leibnizischen von S. 91 bis 125. Dem Kantischen sind 600 Seiten gewidmet.

Als ein Beispiel, wie diese skeptischen Gründe auf diese Systeme angewendet werden, geben wir die Art, wie der Herr Verfasser Leibnizens angeborene Begriffe bestreitet; diese Widerlegung Leibnizens nimmt II. Bd., S. 100 folgenden Verlauf. – Seit überhaupt Leibniz darin, daß der Grund der notwendigen Urteile bloß im Gemüt selbst liege und daß also der Verstand schon a priori Erkenntnisse enthalte, den Ton angegeben hat, so hat man es freilich unzählige Male[260] wiederholt, daß notwendige Urteile nur aus dem erkennenden Subjekte selbst herrühren können; aber man hat bis jetzt noch keine einzige Eigenschaft dieses Subjekts nachgewiesen, vermöge welcher es sich ganz besonders dazu qualifizierte, die Quelle notwendiger Urteile zu sein, und weder in der Einfachheit, noch in der Substantialität, noch auch in der Erkenntnisfähigkeit desselben wird der Grund zu einer solchen Qualifikation angetroffen. – Sind denn die Einfachheit und die Substantialität der Seele Qualitäten, welche dieser Skeptizismus zugibt? – Wenn es bei der Behauptung notwendiger Urteile nur darauf ankäme, sie in einer Qualität der Seele aufzuzeigen, so ist ja nichts zu tun, als zu sagen, die Seele habe die Qualität notwendiger Urteile. Wenn der Herr Verfasser alsdann behauptet, daß, soweit unsere Einsicht von unserem erkennenden Ich reiche, soweit treffen wir auch in demselben nichts an, was dasselbe bestimmte, eine Quelle notwendiger Urteile sein zu müssen, so sagt er doch unmittelbar darauf, daß die Objekte unseres Denkens bald zufällige, bald notwendige Urteile sind; man könne aber nicht sagen, die letzteren Urteile hätten mehr Beziehung auf den Verstand und dessen Natur als wie jene, und es gehöre zum Wesen unseres Verstandes, notwendige Urteile hervorzubringen; man hat aber ja nur anzunehmen, es gebe zweierlei Qualitäten des Verstandes, eine Qualität der zufälligen, eine andere der notwendigen Urteile; auf diese Weise ist die Qualifikation unseres Gemüts zu notwendigen Urteilen ebensogut aufgewiesen als die anderen Qualitäten in einer empirischen Psychologie. Herr Schulze gibt ja die notwendigen Urteile als eine Tatsache des Bewußtseins zu.

Dasjenige aber, was Leibniz von der Wahrheit der angeborenen Begriffe und Einsichten der reinen Vernunft sagt, sei vollends noch grundloser, und man müsse sich wirklich wundern, wie hierbei der Mann, dem die Erfordernisse zu einem gültigen Beweise gar nicht unbekannt waren, sowenig Aufmerksamkeit auf die Vorschriften der Logik beweisen konnte. – Hier lernen wir vorerst, woran es Leibniz hat fehlen lassen,[261] nämlich an Aufmerksamkeit auf die Logik; und Herr Schulze wundert sich wirklich darüber; woran es aber Leibniz nicht fehlte, sondern was er zu viel hatte, war Genie, wie wir unten noch finden werden; und darüber, daß ein Mensch Genie hat, wird man sich doch auch wirklich wundern müssen.

Nämlich: es versteht sich nicht von selbst, daß, wenn es angeborene Begriffe und Grundsätze in unserem Gemüte gibt, auch etwas ihnen Entsprechendes außer denselben da sei, worauf sie sich beziehen und das sie so, wie es seiner objektiven Wirklichkeit nach ist, zu erkennen geben; denn Begriffe und Urteile in uns sind ja nicht die dadurch gedachten Objekte selbst, und mit der Notwendigkeit der Beziehung des Prädikats auf das Subjekt in unserem Denken derselben ist keineswegs die davon der Art nach ganz verschiedene Beziehung des Gedankens auf ein außer ihm existierendes reales Ding gegeben. Man sieht, der Herr Verfasser nimmt die angeborenen Begriffe in dem grellsten Sinne, der möglich ist; nach seiner Vorstellung wird ein Subjekt geboren mit einem Paket Wechsel im Kopfe, welche auf eine außerhalb jenes Kopfes existierende Welt gezogen sind – die Frage aber wäre, ob die Wechsel von dieser Bank akzeptiert werden, ob sie nicht falsch sind –, oder mit einem Haufen Lotterielose in der Seele, von denen man niemals erfahren wird, ob sie nicht lauter Nieten sind, weil kein Ziehen der Lotterie erfolgt, durch das sie realisiert würden. Dies ist, fährt der Herr Verfasser fort, auch jederzeit von den Verteidigern der angeborenen Begriffe und Grundsätze in der menschlichen Seele eingesehen und zugestanden worden, und daher haben sie einen Beweis für die Wahrheit dieser Begriffe und Grundsätze zu geben oder auch die Art genauer zu bestimmen gesucht, wie sich solche Begriffe auf reale Dinge beziehen sollen. In der Anmerkung wird angeführt, nach dem Platon seien die Begriffe und Grundsätze, welche die Seele angeboren in das gegenwärtige Leben mitbringt und wodurch wir allein vermögend sind, das Wirkliche,[262] wie es ist, nicht wie es uns durch die Sinne erscheint, zu erkennen, – bloße Erinnerungen derjenigen Anschauungen der Dinge, deren die Seele während ihres Umgangs mit Gott teilhaftig war. Cartesius lasse es dabei bewenden, daß er sich auf die Wahrhaftigkeit Gottes berufe; dem Spinoza sei das Denken unseres Verstandes deshalb wahr, weil es aus den Vorstellungen und Erkenntnissen der Gottheit besteht, insofern sie das Wesen unseres Geistes ausmachen, welche Erkenntnisse der Gottheit mit dem dadurch Erkannten aber vollkommen übereinstimmen müssen und sogar mit diesem Erkannten ein und dasselbe Ding seien. Nach Leibniz soll den in unserem Gemüte a priori liegenden Grundsätzen und darin enthaltenen Vorstellungen aus dem Grunde Wahrheit und Realität zukommen, weil sie Abbildungen der in dem Verstande der Gottheit befindlichen Begriffe und Wahrheiten, welche das Prinzip der Möglichkeit, Existenz und Beschaffenheit aller realen Dinge in der Welt sind, sind. Durch die Stellung, welche Herr Schulze der Sache gegeben hat, hat er aber, noch ehe er an die Kritik kommt, die Sache unmittelbar verrückt; ist es denn dem Platon, Spinoza, Cartesius, Leibniz eigentlich um eine Beweisführung zu tun gewesen, daß den angeborenen Begriffen oder der Vernunft eine Realität entspreche, oder um eine Bestimmung der Art, wenn diese Philosophen als Grund der Wahrheit derselben Gott setzen? Die Folge ist nach Herrn Schulze diese: a) subjektive Begriffe, die für sich ohne Realität sind, alsdann b) eine außerhalb ihrer liegende Realität, jetzt c) die Frage, wie das zusammenkomme, d) der Beweis ihrer Wahrheit in einem den Begriffen und der Realität Fremden; jene Philosophen haben vielmehr jene, wie Herr Schulze sagt, im täglichen Leben vorausgesetzte Identität des Begriffs und der Realität erkannt und sie Verstand Gottes genannt, in welchem Wirklichkeit und Möglichkeit eins sei.

Wir wollen hierbei, lautet des Verfassers Urteil hierüber, nicht untersuchen, ob dieses Argument für die Wahrheit und Zuverlässigkeit der angeborenen Begriffe am Ende nicht mit [263] theosophischen Grillen über die Verwandtschaft unserer Seele mit der Natur Gottes in Verbindung stehe und daraus abgeleitet worden sei, welches man sonst aus dem abnehmen kann, was Leibniz von der Entstehung der endlichen Monaden aus der obersten Monas lehrte.

Da haben wir denn die Bescherung! Die Verwandtschaft unserer Seele mit der Natur Gottes sind theosophische Grillen, und wieweit das Argument für die Wahrheit der Vorstellungen damit in Verbindung stehe, will der Herr Verfasser – wohl aus Schonung – nicht untersuchen. Nun haben aber diese Philosophen der Sache nach statuiert, daß die Seele nichts an sich ist, sondern, was sie ist, in Gott ist; die kürzeste Art, hierüber zu sprechen, ist, die Philosophie dieser Philosophen für Schwärmerei und theosophische Grillen auszugeben. Doch Herr Schulze gibt sich die Miene, sich auf den Erkenntnisgrund einlassen zu wollen; so viel, fährt er fort, sieht aber gewiß jeder unserer Leser ein, daß hierbei notwendig gefragt werden muß: woher wissen wir es denn, daß unser Verstand den erhabenen Vorzug besitzt, der Abbildungen von den ewigen und realen Erkentnissen teilhaftig geworden zu sein, die im Verstande Gottes vorhanden sind? Da die Sinne von Gott und dessen Eigenschaften gar nichts lehren, so kann Leibniz die Antwort auf diese Frage lediglich aus dem Verstande und aus dessen angeborenen Einsichten ableiten und schöpfen, wie er denn auch getan hat. Folglich dreht er sich in dem Beweise der Wahrheit der angeborenen Begriffe im Zirkel herum. Freilich! und dreht er sich nicht im Zirkel herum, so hat er ein Kausalverhältnis, und nach dem dritten Grunde wird die Brücke von der Wirkung zur Ursache aus lauter Begriffen gebaut, die keine Realität haben. – Es war aber nicht nötig, die Wahrheit und Zuverlässigkeit der sogenannten angeborenen Begriffe und den erhabenen Vorzug der Teilhaftigkeit an den Abbildungen und den ewigen und realen Erkenntnissen[264] Gottes [voneinander] zu trennen und jedes zu einer besonderen Qualität, oder wie man das nennen soll, zu machen, sondern beides ist eins und dasselbe; es ist von keinem Beweise des ersteren aus dem letzteren die Rede; es fällt also aller Zirkel weg, und es bleibt nichts übrig als die Behauptung in einem gedoppelten Ausdruck, daß die Vernunft, nach Leibniz, ein Bild der Gottheit sei oder daß sie wahrhaft erkenne. Dies läuft freilich auf theosophische Grillen hinaus, aber es kann doch nicht geleugnet werden, daß, um [es] in den Ausdrücken dieses Skeptizismus zu sagen, jene Verwandtschaft unserer Seele mit der Natur Gottes und das Vorstellen der Gottheit eine Tatsache des Bewußtseins jener Philosophen war; das Bewußtsein aber ist für diesen Skeptizismus der höchste Gerichtshof der Gewißheit und Wahrheit. Was im Bewußtsein gegenwärtig ist, haben wir oben gesehen, kann sowenig bezweifelt werden als das Bewußtsein selbst; denn an diesem zu zweifeln, ist unmöglich. Da nun in dem Bewußtsein einiger Philosophen die Realität ihrer Ideen und die Verwandtschaft ihrer Natur mit der Natur Gottes vorkommt, in dem Bewußtsein anderer aber nicht, so ist nicht anders fertig zu werden, als jene Philosophen Lügner zu heißen, was nicht angeht, – oder von ihnen zu fordern, daß sie ihr Bewußtsein begreiflich machen sollten, was wieder nicht verlangt werden kann, denn die im täglichen Leben vorausgesetzte Identität der Vorstellung und des Dings wird von dem gemeinen Bewußtsein, das jene Forderung machen könnte, ebenfalls nicht begriffen; es bleibt also nichts übrig, als zwei Rassen von Bewußtsein anzunehmen, eines, das jener Verwandtschaft sich bewußt ist, und ein anderes, das ein solches Bewußtsein für eine theosophische Grille erklärt.

Alsdann zeigt Herr Schulze die Grundlosigkeit der Idee, daß die Vernunft deswegen Realität habe, weil sie ein Bild der göttlichen Vernunft sei, auch aus Leibniz selbst, denn er sage, daß die Begriffe endlicher Wesen unendlich verschieden seien von den Begriffen im Verstande Gottes. Herr Schulze[265] konnte aber den Begriff des Leibnizischen Gegensatzes des Endlichen und Unendlichen aus der Darstellung des Leibnizischen Systems im I. Bd. sehr gut ersehen, oder vielmehr es ist wieder Herr Schulze, der den Gegensatz von Endlichem und Unendlichem als einen absoluten behandelt; in der Darstellung des Leibnizischen Systems § 28 heißt es, daß den Eigenschaften der Gottheit dasjenige entspricht, was in den erschaffenen Monaden den Grund der Erkenntnisse und Willensfähigkeit ausmacht; aber in Gott sind sie in unendlichem Grade und in der höchsten Vollkommenheit vorhanden, die ihnen entsprechenden Eigenschaften in den erschaffenen Monaden hingegen sind bloße Ähnlichkeiten derselben, nach dem Grade der Vollkommenheit, den sie besitzen. Vgl. § 34 und die Anmerkung dabei. – Der Gegensatz also, den Leibniz zwischen der unendlichen Monade und den endlichen macht, ist, da den Vollkommenheiten der unendlichen Vollkommenheiten der endlichen entsprechen und diese eine Ähnlichkeit mit jener haben, nicht der absolute Gegensatz des Endlichen und Unendlichen, wie ihn Herr Schulze auffaßt, der sich darüber wohl auch so wird ausdrücken können, daß beide spezifisch verschieden seien; daß Leibniz die absolute Monade unendlich, andere aber endlich setzt und doch von einer Ähnlichkeit beider spricht, wird Herr Schulze wohl unter die Fälle rechnen, in denen Leibniz auf die Vorschriften der Logik nicht aufmerksam genug gewesen ist.

Ferner ist nach Herrn Schulze Leibnizens Beweis, daß die notwendigen Urteile des menschlichen Verstandes auch in dem Verstande Gottes vorhanden sein müssen, daraus hergenommen, daß jene Urteile, insofern sie ewige Wahrheiten ausmachen, von aller Ewigkeit her in einem dieselben denkenden und mithin gleichfalls von Ewigkeit her existierenden Verstande als Bestimmungen desselben vorhanden sein müssen. Herr Schulze fordert, es müßte ja vorher erst dargetan werden, daß ein von Ewigkeit her existierender und gewisse Wahrheiten ununterbrochen denkender Verstand existiere, bevor man behaupten kann, daß es ewig und zu[266] allen Zeiten gültige Wahrheiten gebe; ewige Wahrheiten seien solche, die nach unserer Einsicht jeder Verstand, der sich des Urteils bewußt ist, ebenso denken müsse, wie wir sie denken, und dies habe folglich keine Beziehung darauf, daß ein die Urteile wirklich denkender Verstand von Ewigkeit her existiert habe. – Auch hier faßt Herr Schulze die Existenz des göttlichen Verstandes wieder als eine empirische Existenz, die Ewigkeit als eine empirische Ewigkeit auf.

Wir dürfen endlich auch nicht vorbeigehen, was Herr Schulze über den Leibnizischen Begriff vom deutlichen und verworrenen Vorstellen beibringt. Das Anschauen äußerer Dinge sei nämlich ein Bewußtsein der unmittelbaren Gegenwart eines von unserem erkennenden Subjekt (es scheint, Herr Schulze unterscheidet noch unter sich und seinem Subjekt, man könnte nicht anders als begierig auf eine Auseinandersetzung dieses Unterschiedes sein; je nachdem sie ausgeführt würde, könnte sie gar auf theosophische Grillen führen) und von dessen bloß subjektiven Bestimmungen verschiedenen Dings, daß daher das Anschauen aus der Verwirrung der mannigfaltigen Merkmale in einer Vorstellung herrühre, habe gar keinen Sinn und Bedeutung; beides steht in keiner Verwandtschaft miteinander. (Die Frage wäre, in welcher Verwandtschaft denn aber das Ich und unser vom Ich zu unterscheidendes Subjekt, alsdann dessen subjektive und endlich dessen objektive Bestimmungen miteinander stehen.) Es stünde in der Gewalt jedes Menschen, Anschauungen von Dingen nach Belieben in sich hervorzubringen und, wenn er etwas deutlich gedacht hätte, diesen Zustand des Bewußtseins auch sogleich in das Anschauen eines Objektes zu verwandeln. Um ein Tausendeck oder ein Stück Gold, ein Haus, einen Menschen, das Universum, die Gottheit usw. als gegenwärtig anzuschauen, dazu würde nichts erfordert, als daß man die in der Vorstellung vom Tausendecke, vom Golde usw. liegenden Merkmale, nachdem man die Aufmerksamkeit von ihrem Unterschiede abgelenkt hätte, tüchtig miteinander verwirrte, um hingegen die Anschauung eines Hauses,[267] eines Menschen, Baumes in einen bloßen Begriff zu verwandeln, dazu würde weiter nichts nötig sein, als daß man die Teile, die in der sogenannten sinnlichen Vorstellung vorkommen, voneinander im Bewußtsein unterscheide und sich verdeutliche. Hoffentlich wird aber wohl niemand im Ernste vorgeben, daß sein erkennendes Subjekt (hier: der Niemand und sein Subjekt) imstande sei, durch solche beliebige Verwandlung der Begriffe von Dingen in Anschauungen und der Anschauungen in Begriffe sich so unerhörte Taschenspielerkünste vorzumachen.

Da Herr Schulze sich hier nicht entblödet, recht gemütlich das Spekulative, was Leibniz über die Natur des Vorstellenden sagt, auf den Boden des empirischen Vorstellens herabzuziehen und Trivialitäten genau derselben Art, wie sie Nicolai und andere dieses Gelichters gegen den Idealismus vorbringen, gegen Leibniz aufzutischen, so hat wohl auch der neuere Idealismus, dem Herr Schulze einen dritten Band widmen will, nichts anderes zu erwarten, als daß eben diese Erbärmlichkeiten bei ihm wiederholt und daß er für die Behauptung einer Beliebigkeit des Produzierens der Dinge und eines Verwandelns der Begriffe in Dinge für die unerhörteste Taschenspielerkunst ausgegeben wird.

Diese Behandlung der Leibnizischen Philosophie durch diesen Skeptizismus wird als Probe seines Verfahrens hinreichend sein; sosehr die Leibnizische Philosophie schon an und für sich fähig war, als vernünftiges System behandelt zu werden, so konnte die Untersuchung über die Kantische Philosophie dadurch vorzüglich interessant werden, daß diese Verstandesphilosophie über ihr eigenes Prinzip, das sie in der Reflexion hat, emporgehoben und die große Idee der Vernunft und eines Systems der Philosophie, die ihr allenthalben wie eine ehrwürdige Ruine, in der sich der Verstand angesiedelt hat, zugrunde liegt, hervorgezogen und dargestellt worden wäre. Die Wirksamkeit dieser Idee wird[268] schon an dem äußeren Gerüste ihrer Teile sichtbar; aber sie tritt auch an den Kulminationspunkten ihrer Synthesen, besonders in der Kritik der Urteilskraft ausgesprochener hervor. Es ist der Geist der Kantischen Philosophie, ein Bewußtsein über diese höchste Idee zu haben, aber sie ausdrücklich wieder auszurotten. Wir unterscheiden also zweierlei Geist, der in der Kantischen Philosophie sichtbar wird: einen der Philosophie, den das System immer ruiniert, und einen des Systems, der auf das Töten der Vernunftidee geht. Dieser letztere geistlose Geist hat aber auch noch einen Buchstaben, und Herr Schulze erinnert, daß er, den ausdrücklichen Versicherungen Kants gemäß, daß man sein System nach dem Buchstaben, nicht nach dem Geist nehmen müsse, sich an den Buchstaben gehalten habe, – auf welche Weise er also an den geistlosen Buchstaben des geistlosen Geistes der Philosophie geraten ist. Dies ganz formelle Wesen hat er nun mit ebensolchem formellen Wesen kritisiert, die Kantische Philosophie in die möglichst krasseste Form gegossen – wozu der Verfasser durch den Vorgang der Reinholdisdien Theorie und anderer Kantianer allerdings berechtigt war – und sie nicht anders als in der Gestalt des krassesten Dogmatismus, der eine Erscheinung und Sachen an sich hat, die hinter der Erscheinung wie unbändige Tiere hinter dem Busch der Erscheinung liegen, begriffen; nicht als ob die Kantianer nur mit dem Bild dieser Kraßheit geplagt werden sollten, sondern weil, wie wir oben zur Genüge gesehen haben, das System der unleugbaren Gewißheit der Tatsachen des Bewußtseins und dieser Skeptizismus es nicht anders vermag. Für die Kantianer, die in den Buchstaben eingenagelt sind, könnte diese harte Arbeit und die saure Mühe, die sich ein anderer Formalismus mit dem Formalismus Kants [macht], sowie das Bild jener Kraßheit, wenn sie noch davor zu erschrecken fähig sind, die Wirkung haben, sie zum Erschrecken zu bringen, – nicht gerade nur das Bild[269] der Kantischen Philosophie, wie es ihnen hier gegeben wird, sondern dies Bild, wie es sich in der ganzen Kontinuität dieser vier Alphabete grell genug für sich selbst repräsentiert, so wie auch das Mangelhafte des Kantischen Formalismus, seine Formen zu deduzieren oder herbeizuführen, ihnen sattsam gezeigt wird. Aber den Begriff der Vernunft oder der Philosophie würden sie vergeblich darin suchen, welche in dem Gedränge der Tatsachen und der hinter diesen Tatsachen, wie ihr schuld gegeben wird, gesuchten Dinge entwischt ist und welche daher das ganze Geschäft dieses Skeptizismus im geringsten nichts angeht.

Schließlich können wir uns nicht enthalten, ein Stück aus der empirischen Psychologie dieses Skeptizismus, nämlich die Art, wie er das Verhältnis des Genies und der Phantasie zur Philosophie sich vorstellt, auszuheben. In der Vorrede, S. XXIV, erklärt sich Herr Schulze wegen seines Vertrags dahin, daß Blumen der Beredsamkeit in Behandlungen der Fragen der spekulativen Philosophie sehr übel angebracht seien, denn sie leiten die Vernunft irre und mischen die Phantasie in das Geschäft der Vernunft ein; wenn es daher auch in seinem Vermögen gestanden hätte, den Vortrag dieser Kritik durch einen beredten und bilderreichen Ausdruck noch mehr zu beleben und anziehender zu machen, so würde er keinen Gebrauch davon gemacht haben. – Von Leibniz sagt der Herr Verfasser S. 91 f., daß, wenn das Geschäft der Vernunft beim Philosophieren darin bestünde, durch kühne und angenehm unterhaltende Dichtungen über eine vorgeblich hinter der Sinnenwelt verborgen liegende transzendentale Welt es fast noch der Phantasie in ihrem höchsten Fluge, den sie nur nehmen mag, zuvorzutun und diesen Dichtungen durch Hilfe gewisser Begriffe Einheit und Zusammenhang zu geben, so hätte Leibniz kein einziger Philosoph erreicht, viel weniger übertroffen; es scheine, daß die Natur an ihm habe zeigen wollen, daß es bei der Erreichung des obersten Zwecks der Erkenntniskräfte nicht bloß auf den Besitz großer Naturgaben ankomme und daß ein von der Natur[270] wenig begünstigter Kopf, wenn er seine Kräfte nur gehörig gebraucht, es hierin dem Genie nicht nur gleich, sondern auch wohl noch oft zuvortun könne; Herr Schulze meint, es würde wohl auch nicht viel herausgekommen sein, etwa nur neuplatonische Schwärmereien, wenn Leibniz seine Philosopheme selbst zu einem System ausgebildet hätte. – Von Kant spricht Herr Schulze darum mit der größten Ehrerbietung, daß die Kritik der reinen Vernunft das Produkt einer kein Hindernis scheuenden und allein durch den freien Entschluß ihres Verfassers entstandenen Anstrengung der Denkkraft sei und daß Genie und glücklicher Zufall (als ob es noch für etwas anderes als für das Genie einen glücklichen Zufall geben könnte!) wohl die geringsten Ansprüche auf die Ausführung des zum Grunde liegenden Plans machen können.

Die Verachtung des Genies und großer Naturgaben, diese Meinung, als ob die Phantasie nur etwa dem Vortrage der Philosophie Blumen der Beredsamkeit liefere, als ob die Vernunft dichte – in dem Sinne, in welchem etwa Zeitungslügen erdichtet werden – oder, wenn sie über die gemeine Wirklichkeit hinaus erdichte, Hirngespinste, Schwärmereien, theosophische Grillen produziere, daß sie es der Phantasie, selbst wenn diese im höchsten Fluge dichte, im Dichten noch zuvortun könne, – man weiß nicht, ob die Barbarei und die Naivität, mit welcher sie der Genielosigkeit applaudiert, oder die Gemeinheit der Begriffe größer ist. Wenn wir die Verachtung großer Naturgaben Barbarei nennen, so meinen wir nicht jene natürliche Barbarei, die jenseits der Kultur liegt, denn sie ehrt das Genie als etwas Göttliches und achtet es als ein Licht, das in die Dumpfheit ihres Bewußtseins eindringt, – sondern die Barbarei der Kultur, die gemachte Roheit, welche sich eine absolute Grenze schafft und innerhalb dieser Borniertheit das Unbegrenzte der Natur verachtet und, wo sie erkennend [sich] ausspricht, Verstand ist. Was die Begriffe betrifft, so stammen sie aus jener empirischen Psychologie her, welche den Geist in Qualitäten auseinanderwirft[271] und also kein Ganzes und kein Genie und Talent unter diesen Qualitäten findet, sondern ihn wie einen Sack voll Vermögen darstellt, deren jedes etwas Besonderes, eines Vernunft ohne Anschauung, getrennt von Phantasie, ein anderes eine Phantasie ohne Vernunft ist und deren Leerheit sich nur mit Sachen durch schwere Arbeit erfüllen kann und in seinem sachlichen und dinglichen Erfülltsein allein seinen Wert hat. Der Verstand bleibt denn unter den anderen Vermögen, die den Seelensack des Subjekts bewohnen, das vortrefflichste, weil er alles in Sachen, teils Begriffe, teils Dinge zu verwandeln versteht; so geht denn auch dieser Verstand (wie er in den zwei ersten erzählenden Alphabeten fremde Sachen vorlegt) durch die zwei kritisierenden Alphabete in seinem eintönigen, alles in Begriffe und draußen existierende Dinge zerreißenden Geschäfte ohne alle Erquickung durch eine Vernunftidee, ohne Phantasie, ohne Glück in einem fortschallenden, sinnbenebelnden, narkotischen, drückenden Tone fort, von einer Wirkung, als ob man durch ein Feld von blühendem Hyoszyamus wandelte, dessen betäubenden Düften keine Anstrengung widerstehen kann und wo man von keinem belebenden Strahle, auch nur in der Gestalt einer Ahnung, angeregt wird.[272]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 2, Frankfurt a. M. 1979, S. 208,273.
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