β). Natürliche Veränderungen
§ 396

[75] An der Seele als Individuum bestimmt, sind die Unterschiede als Veränderungen an ihm, dem in ihnen beharrenden einen Subjekte, und als Entwicklungsmomente desselben. Da sie in einem physische und geistige Unterschiede sind, so wäre für deren konkretere Bestimmung oder Beschreibung die Kenntnis des gebildeten Geistes zu antizipieren.

Sie sind 1. der natürliche Verlauf der Lebensalter, von dem Kinde an, dem in sich eingehüllten Geiste, – durch den entwickelten Gegensatz, die Spannung einer selbst noch subjektiven Allgemeinheit (Ideale, Einbildungen, Sollen, Hoffnungen usf.) gegen die unmittelbare Einzelheit, d.i. gegen die vorhandene, denselben nicht angemessene Welt, und die Stellung des auf der anderen Seite noch unselbständigen und in sich unfertigen Individuums in seinem Dasein zu derselben (Jüngling), – zu dem wahrhaften Verhältnis, der Anerkennung der objektiven Notwendigkeit und Vernünftigkeit der bereits vorhandenen, fertigen Welt, an deren sich an und für sich vollbringendem Werke das Individuum seiner Tätigkeit eine Bewährung und Anteil verschafft, dadurch etwas ist, wirkliche Gegenwart und objektiven Wert hat (Mann), – bis zur Vollbringung der Einheit mit dieser Objektivität, welche Einheit als reell in die Untätigkeit abstumpfender Gewohnheit übergeht, als ideell die Freiheit von den beschränkten Interessen und Verwicklungen der äußerlichen Gegenwart gewinnt (Greis).
[75]

§ 397

2. Das Moment des reellen Gegensatzes des Individuums gegen sich selbst, so daß es sich in einem anderen Individuum sucht und findet; – das Geschlechtsverhältnis, ein Naturunterschied einerseits der Subjektivität, die mit sich einig in der Empfindung der Sittlichkeit, Liebe usf. bleibt, nicht zum Extreme des Allgemeinen in Zwecken, Staat, Wissenschaft,[86] Kunst usf. fortgeht, andererseits der Tätigkeit, die sich in sich zum Gegensatze allgemeiner, objektiver Interessen gegen die vorhandene, seine eigene und die äußerlich-weltliche Existenz spannt und jene in dieser zu einer erst hervorgebrachten Einheit verwirklicht. Das Geschlechtsverhältnis erlangt in der Familie seine geistige und sittliche Bedeutung und Bestimmung.


§ 398

3. Das Unterscheiden der Individualität als für sich seiender gegen sich als nur seiender, als unmittelbares Urteil, ist das Erwachen der Seele, welches ihrem in sich verschlossenen Naturleben zunächst als Naturbestimmtheit und Zustand einem [anderen] Zustande, dem Schlafe, gegenübertritt. – Das Erwachen ist nicht nur für uns oder äußerlich vom Schlafe unterschieden; es selbst ist das Urteil der individuellen Seele, deren Fürsichsein für sie die Beziehung dieser ihrer Bestimmung auf ihr Sein, das Unterscheiden ihrer selbst von ihrer noch ununterschiedenen Allgemeinheit ist. In das Wachsein fällt überhaupt alle selbstbewußte und vernünftige Tätigkeit des für sich seienden Unterscheidens des Geistes. – Der Schlaf ist Bekräftigung dieser Tätigkeit nicht als bloß negative Ruhe von derselben, sondern als Rückkehr aus der Welt der Bestimmtheiten, aus der Zerstreuung und dem Festwerden in den Einzelheiten in das allgemeine Wesen der Subjektivität, welches die Substanz jener Bestimmtheiten und deren absolute Macht ist.

Der Unterschied von Schlaf und Wachen pflegt zu einer der Vexierfragen, wie man sie nennen könnte, an die Philosophie gemacht zu werden (auch Napoleon richtete bei einem Besuch der Universität zu Pavia diese Frage an die Klasse der Ideologie). Die im § angegebene Bestimmtheit ist abstrakt, insofern sie zunächst das Erwachen als natürliches betrifft, worin das geistige allerdings implizit enthalten, aber noch nicht als Dasein gesetzt ist. Wenn konkreter von diesem Unterschiede, der in seiner Grundbestimmung derselbe bleibt, gesprochen werden sollte, so[87] müßte das Fürsichsein der individuellen Seele schon bestimmt als Ich des Bewußtseins und als verständiger Geist genommen werden. Die Schwierigkeit, welche man [mit] dem Unterscheiden jener beiden Zustände erregt, entsteht eigentlich erst, insofern man das Träumen im Schlafe hinzunimmt und dann die Vorstellungen des wachen, besonnenen Bewußtseins auch nur als Vorstellungen, was die Träume gleichfalls seien, bestimmt. In dieser oberflächlichen Bestimmung von Vorstellungen kommen freilich beide Zustände überein, d.h. es wird damit über den Unterschied derselben hinweggesehen; und bei jeder angegebenen Unterscheidung des wachen Bewußtseins läßt sich zu der trivialen Bemerkung, daß dies doch auch nur Vorstellungen enthalte, zurückkehren. – Aber das Fürsichsein der wachen Seele, konkret aufgefaßt, ist Bewußtsein und Verstand, und die Welt des verständigen Bewußtseins ist ganz etwas anderes als ein Gemälde von bloßen Vorstellungen und Bildern. Diese letzteren als solche hängen vornehmlich äußerlich, nach den sogenannten Gesetzen der sogenannten Ideenassoziation, auf unverständige Weise zusammen, wobei sich freilich auch hier und da Kategorien einmischen können. Im Wachen aber verhält sich wesentlich der Mensch als konkretes Ich, als Verstand; durch diesen steht die Anschauung vor ihm als konkrete Totalität von Bestimmungen, in welcher jedes Glied, jeder Punkt seine durch und mit allen anderen zugleich bestimmte Stelle einnimmt. So hat der Inhalt seine Bewährung nicht durch das bloße subjektive Vorstellen und Unterscheidendes Inhalts als eines Äußeren von der Person, sondern durch den konkreten Zusammenhang, in welchem jeder Teil mit allen Teilen dieses Komplexes steht. Das Wachen ist das konkrete Bewußtsein dieser gegenseitigen Bestätigung jedes einzelnen Momentes seines Inhalts durch alle übrigen des Gemäldes der Anschauung. Dies Bewußtsein hat dabei nicht nötig, deutlich entwickelt zu sein, aber diese umfassende Bestimmtheit ist im konkreten Selbstgefühl enthalten[88] und vorhanden. – Um den Unterschied von Träumen und Wachen zu erkennen, braucht man nur den Kantischen Unterschied der Objektivität der Vorstellung (ihres Bestimmtseins durch Kategorien) von der Subjektivität derselben überhaupt vor Augen zu haben; zugleich muß man wissen, was soeben bemerkt worden, daß, was im Geiste wirklich vorhanden ist, darum nicht auf explizite Weise in seinem Bewußtsein gesetzt zu sein nötig hat, sowenig als etwa die Erhebung des fühlenden Geistes zu Gott in Form der Beweise vom Dasein Gottes vor dem Bewußtsein zu stehen nötig hat, ungeachtet, wie früher auseinandergesetzt worden, diese Beweise ganz nur den Gehalt und Inhalt jenes Gefühls ausdrücken.[89]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 10, Frankfurt a. M. 1979, S. 75-76,86-90,95.
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