B. Schottische Philosophie

[281] Bei den Schottländern hat sich dagegen etwas anderes aufgetan. Die Gegner Humes sind zunächst schottische Philosophen. Einen anderen Gegner haben wir in der deutschen Philosophie an Kant zu erkennen. Zu jenen gehören viele Philosophen. Das englische Philosophieren ist auf Edinburg und Glasgow (in Schottland) beschränkt, wo eine Menge von Professoren aufeinander gefolgt sind. Was sich dem Humeschen Skeptizismus entgegensetzte, ist innere unabhängige Quelle der Wahrheit für das Religiöse, Sittliche. Dieses trifft mit Kant zusammen, er setzt der äußerlichen Wahrnehmung eine innere Quelle entgegen; diese hat aber bei Kant eine ganz andere Form als bei den Schotten. Diese innere, unabhängige Quelle ist nicht Denken, Vernunft als solche, sondern der Inhalt, der zustande kommt aus diesem Innern, ist konkreter Art, erfordert für sich auch äußerlichen Stoff, Erfahrung. Das sind konkrete, populäre Grundsätze, die einerseits der Äußerlichkeit der Erkenntnisquelle, andererseits[281] der Metaphysik als solcher (dem für sich abstrakten Denken oder Räsonieren) entgegengesetzt sind.

Diese zweite Seite des räsonierenden Verstandes ist die Moral, die sehr ausgebildet ist von deutschen, französischen und besonders schottischen Philosophen. Von englischer Philosophie kann nicht mehr die Rede sein. Clarke, Wollaston usf. bewegen sich in den Formen sehr gewöhnlicher Verstandesmetaphysik. In diese Ansicht des Geistes gehen dann die vielerlei Moralphilosophien ein, die wir in England entstehen sehen. Das Ansich des Geistes erscheint ihnen in der Form eines natürlichen Seins, nämlich der Neigungen, Gefühle. Ihre Prinzipien sind moralischer Sinn, wohlwollende Neigungen, Sympathie usf. Es ist nur diese Form merkwürdig, die einerseits die Pflicht nicht als ein Fremdes, Gegebenes, Befohlenes darstellt, sondern als ein dem Selbstbewußtsein schlechthin Eigentümliches, – aber auf der andern Seite das Eigentum als ein Natürliches, bewußt- und geistloses unvernünftiges Sein vorstellt. Der Trieb ist blind, ein fixes Sein, das nicht über sich hinaus kann wie das denkende Selbstbewußtsein. Es ist zwar dies im Trieb, daß die reine Tätigkeit, das Denken, und der Inhalt unmittelbar als Eins gesetzt sind; er hat an ihm selbst seinen Inhalt, und dieser ist nicht toter, ruhender, sondern sich bewegender, und beides, Bewegung (Hinausgehen) und Inhalt sind dasselbe. Aber diese Einheit hat die Form der Umnittelbarkeit nur als seiender: erstens ist sie nicht ein Erkennen, nicht notwendig, aus der inneren Wahrnehmung aufgenommen; zweitens ein Bestimmtes, das eben sich nicht aufhebt, über das nicht hinausgegangen werden kann, nicht ein Allgemeines ist. Fixe Kraft und Trieb sind nichts Unendliches. Die Triebe in ihrer Bestimmtheit sind aus der Erfahrung aufgenommen; und die Form des Triebes als einer Kraft gibt den Schein einer Notwendigkeit. Solches Räsonieren geht von der Erfahrung aus und drückt die Notwendigkeit derselben als ein Inneres, als eine Kraft aus. Z.B. die Sozialität ist ein Moment, das sich in der Erfahrung findet; Menschen in Gesellschaft erwächst[282] der mannigfaltigste Nutzen. Worin gründet sich nun die Notwendigkeit der Gesellschaft? In einer sozialen Neigung. Diese ist Ursache, gerade wie im Physischen diese formale Übersetzung immer stattfindet. Die Notwendigkeit eines Daseins, z.B. der elektrischen Erscheinungen, findet ihre Begründung in einer Kraft, die sie hervorbringt; es ist bloß die Form des Zurückgehens aus dem Äußeren in ein Inneres, des Seienden in ein Gedachtes, das aber ebenso wieder als ein Seiendes vorgestellt wird. Es ist kein Bewußtsein hierüber vorhanden. Die Kraft ist notwendig um der Äußerung willen, von dieser müssen wir auf jene schließen: die Äußerung durch die Kraft, denn diese ist die Ursache der Äußerung; dort ist die Kraft als Grund, hier als Ursache. Aber das ist alles ohne Bewußtsein, daß es in Ansehung der Form Übergang vom Begriff ins Sein und rückwärts ist, – in Ansehung des Inhalts aber eben vollkommene Zufälligkeit des Erscheinens; man sieht Elektrizität, so wie sich vorfindet, daß die Menschen zur Geselligkeit getrieben werden, sympathetische Neigungen haben usf.

Besonders die Schotten haben sich darauf gelegt, Moral und Politik auszubilden; sie haben als gebildete Menschen die Moral betrachtet und versucht, die moralischen Pflichten unter ein Prinzip zu bringen. Viele von ihren Schriften sind ins Deutsche übersetzt; und sie sind in der Weise Ciceros geschrieben. – Dies moralische Gefühl und der gemeine Menschenverstand werden hierauf bei den Engländern oder vielmehr Schottländern, Thomas Reid, Beattie, Oswald und anderen allgemein die Prinzipien; und spekulative Philosophie verschwindet somit ganz bei ihnen. Bei diesen schottischen Philosophen hat sich besonders eine dritte Wendung vorgefunden: die, daß sie auch das Prinzip des Erkennens bestimmt anzugeben versucht haben; im ganzen aber gehen sie auf dasselbe hinaus, was auch in Deutschland als das Prinzip aufgefaßt ist. Vornehmlich eine ganze Reihe schottischer Philosophen haben auf diesem Wege oft feine Bemerkungen gemacht. Als Grund der Wahrheit haben sie die[283] sogenannte gesunde Vernunft, den allgemeinen Menschenverstand (sensus communis) aufgestellt. – Hauptformen sind folgende, da jeder immer eine eigene Wendung hat.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 281-284.
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