b. Helvetius

[304] Diese Zurückführung hat bei Helvetius diese Gestalt, daß wenn man im moralischen Menschen ein Eines sucht, er dies Eine Selbstliebe nannte und sich zu zeigen bemühte, daß alles, was wir als Tugend benennen, überhaupt alle Tätigkeit, Gesetze, Rechtliches zu seinem Grund nur Selbstliebe, Eigennutz habe und darein sich auflöse. Dies Prinzip ist einseitig, ob gleich das Ichselbst ein wesentliches Moment ist. Was ich will, das Edelste, Heiligste ist mein Zweck. Ich muß dabei sein, ich es billigen, ich es für gut finden. Mit aller Aufopferung ist immer eine Befriedigung, immer ein Sichselbstfinden vorhanden. Dies Moment des Selbsts, die subjektive Freiheit muß immer dabeisein. Einseitig dies genommen,[304] so können Konsequenzen daraus gezogen werden, die alles Heilige umstoßen; aber ebenso kommt es in einer edlen Moral vor, als nur eine sein kann. Helvetius bemühte sich, durch geistreiche Analyse aus der Selbstliebe alle Tugenden zu konstruieren; wir sehen das Interesse der Analyse.

Die Hauptmomente alles dieses Philosophierens sind, daß der Mensch bei allem Erkennen dabeisein müsse, indem sie aller Autorität des Staats und der Kirche, insbesondere dem abstrakten Gedanken, der keinen gegenwärtigen Sinn in uns hat, den Krieg machten. Das Moment der subjektiven Freiheit, Menschlichkeit tut sich auf: α) Es soll keine Laien geben; das eigene Selbst, der Geist des Menschen sei die Quelle für das, was er respektieren solle. β) Das zweite ist, daß der Inhalt präsent sei, daß mein Inhalt zugleich müsse konkret sein, ein Gegenwärtiges. Dieses Konkrete wurde Vernunft genannt, welche die Edleren dieser Männer mit der größten Begeisterung und Wärme verfochten. Der Gedanke ist zum Panier der Völker erhoben worden, die Freiheit der Überzeugung, des Gewissens in mir. Sie haben dem Menschen gesagt: »In diesem Zeichen wirst du siegen«, indem sie nur vor Augen hatten, was im Zeichen des Kreuzes getan worden, zum Glauben, zum Recht, zur Religion gemacht worden war, – indem sie sahen, wie das Zeichen des Kreuzes herabgewürdigt war. Denn in dem Zeichen des Kreuzes hatte die Lüge, der Betrug gesiegt, unter diesem Siegel sich die Institutionen zu aller Niederträchtigkeit verknöchert; dies Zeichen wurde vorgestellt als der Inbegriff und die Wurzel alles (Übels. Sie haben in anderer Gestalt die Luthersche Reformation vollbracht. – Dies Konkrete hatte mancherlei Formen: soziale Triebe im Praktischen, Gesetze der Natur im Theoretischen. Es ist absoluter Trieb, einen festen Kompaß in sich zu finden, d. i. im Menschengeist, immanent. Für den Menschengeist ist es dringend, solchen festen Punkt zu haben, wenn er einmal in ihm selbst sein soll, wenn er in seiner Welt wenigstens frei sein soll.[305]

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 304-306.
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