c. Rousseau

[306] Drittens ist in betreff auf das Praktische noch das Besondere zu bemerken, daß, wenn Gefühl des Rechts zum Prinzip gemacht wurde, konkreter praktischer Geist, überhaupt Menschlichkeit, Glückseligkeit, dies Prinzip, allgemein aufgefaßt, zwar die Form des Gedankens hatte, ohne daß der Gedanke selbst der Inhalt sei. Ein konkreter Inhalt, z.B. religiöser selbst, oder der wohlwollenden Neigungen, der Sozialität, kann die Form des Gedankens haben; aber so wie der Inhalt aus unserem Triebe, innerem Anschauen geschöpft ist, ist er nicht der Gedanke. Nun aber kam auch dies zum Vorschein, daß das reine Denken als Prinzip aufgestellt wird und als Inhalt, wennzwar wieder diesem Inhalt die wahrhafte Form fehlte, das Bewußtsein seiner eigentümlichen Form; denn es ward nicht erkannt, daß dies Prinzip das Denken sei. Wir sehen es im Felde des Willens, des Praktischen, des Rechtlichen hervorgehen und so gefaßt, daß das Innerste des Menschen, die Einheit seiner mit sich als Grundlage aufgestellt und ins Bewußtsein gebracht wird, so daß der Mensch eine unendliche Stärke in sich gewann. Es ist dies das, was Rousseau dann von einer Seite über den Staat sagte. Er fragte nach dessen absoluter Berechtigung: Was ist die Grundlage des Staats? Das Recht der Beherrschung und Verbindung, des Verhältnisses der Ordnung, des Regierens und des Regiertwerdens, der Unterordnung unter Herrschaft, faßt er auf der einen Seite so auf, daß es geschichtlich auf Gewalt, Zwang beruhe, Eroberung, Privateigentum usf. α) Zum Prinzip dieser Berechtigung aber macht er den freien Willen. Und ohne Rücksicht auf das positive Recht der Staaten hat er auf obige Frage geantwortet, daß der Mensch freien Willen hat, indem die Freiheit das Qualitative des Menschen sei. »Auf seine Freiheit Verzicht tun, heißt[306] Verzicht tun darauf, daß man ein Mensch ist. Nicht frei zu sein, ist Verzichtleistung auf alle Pflichten und Rechte.« Der Sklave hat weder Rechte noch Pflichten. β) »Die Fundamentalaufgabe ist also: eine Form der Verbindung zu finden, welche mit der ganzen gemeinsamen Macht zugleich die Person und das Eigentum jedes Menschen beschütze und verteidige, und wobei jeder Einzelne, indem er sich dieser Verbindung anschließt, nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt als vorher. Die Auflösung gibt der gesellschaftliche Vertrag«; er sei diese Verbindung, jeder sei darin mit seinem Willen. Diese Prinzipien, so abstrakt dargestellt, muß man richtig finden; doch die Zweideutigkeit beginnt dann bald. Der Mensch ist frei, dies ist freilich die substantielle Natur des Menschen; und sie wird im Staate nicht nur nicht aufgegeben, sondern in der Tat erst konstituiert. Die Freiheit der Natur, die Anlage der Freiheit ist nicht die wirkliche; denn der Staat erst ist die Verwirklichung der Freiheit. γ) Das Mißverständnis über den allgemeinen Willen fängt aber da an, daß der Begriff der Freiheit nicht im Sinne der zufälligen Willkür jedes genommen werden muß, sondern im Sinne des vernünftigen Willens, des Willens an und für sich. Der allgemeine Wille ist nicht anzusehen als zusammengesetzt von den ausdrücklich einzelnen Willen, so daß diese absolut bleiben. Wo die Minorität der Majorität gehorchen muß, da ist keine Freiheit. Aber der allgemeine Wille muß der vernünftige sein, wenn man sich auch seiner nicht bewußt ist. Der Staat ist nicht eine solche Vereinigung, welche die Willkür der Einzelnen beschließt. Das schiefe Auffassen jener Prinzipien geht uns nichts an. Was uns angeht, ist dies, daß dadurch als Inhalt ins Bewußtsein komme, der Mensch habe in seinem Geist die Freiheit als das schlechthin Absolute, der freie Wille sei der Begriff des Menschen. Eben die Freiheit ist[307] das Denken selbst; wer das Denken verwirft und von Freiheit spricht, weiß nicht, was er redet. Die Einheit des Denkens mit sich ist die Freiheit, der freie Wille, – Denken nur als wollend, d.h. Trieb, seine Subjektivität aufzuheben, Beziehung auf Dasein, Realisierung seiner, indem ich mich als Existierendes mir als Denkendem gleichsetzen will. Der Wille ist nur als denkender frei. Das Prinzip der Freiheit ist aufgegangen und hat dem Menschen, der sich selbst als Unendliches faßte, diese unendliche Stärke gegeben. – Dieses gibt den Übergang zur Kantischen Philosophie, welche in theoretischer Hinsicht sich dieses Prinzip zugrunde legte. Das Erkennen ist auf seine Freiheit gegangen und auf einen konkreten Inhalt, auf Inhalt, den es in seinem Bewußtsein hat.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 20, Frankfurt am Main 1979, S. 306-308.
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