C. Alexandrinische Philosophie

[430] Philosophischer und begriffener aber tritt die Einheit des Selbstbewußtseins und Seins in der alexandrinischen Schule auf; sie ist die Hauptgestalt, die eigentliche Philosophie. Alexandrien war nämlich seit längerer Zeit, besonders durch die Ptolemäer, zum hauptsächlichen Sitz der Wissenschaften gemacht. Hier als in ihrem Mittelpunkte berührten, durchdrangen[430] und vermischten sich alle Religionen und Mythologien der Völker des Orients und Okzidents, ebenso ihre Geschichte, – eine Verbindung, die auch nach der religiösen Seite hin vielfache Formen und Gestaltungen angenommen hat; wo sie miteinander verglichen, in jeder teils das gesucht und zusammengestellt wurde, was die andere enthielt, vorzüglich aber den Vorstellungen der Religionen eine tiefere Bedeutung untergelegt und ein allgemeiner allegorischer Sinn gegeben wurde. Dieses Streben hat allerdings trübe Ausgeburten gehabt; die reinere Ausgeburt ist die alexandrinische Philosophie. Besser als jene trüben Ausgeburten einer sich noch nicht verstehenden Vernunft mußte die Vereinigung der Philosophien gelingen. Denn indem in der Tat in der Philosophie eine Idee ist, so hebt sie die besondere Form, die sie angenommen, die Einseitigkeit, in der sie sich ausspricht, durch sich selbst auf. In dem Skeptizismus war dies Negative erlangt worden, die bestimmten Weisen des Seins, in welchen das Absolute gesetzt wurde, aufgehoben zu sehen.

In Alexandrien entstand eine Weise der Philosophie, welche nach dieser Seite, daß sie sich nicht an den bestimmten älteren philosophischen Schulen hielt, sondern die verschiedenen Systeme der Philosophie vereinigte, die Einheit insbesondere der pythagoreischen, platonischen und aristotelischen Philosophie erkannte und in ihren Expositionen darstellt, häufig als Eklektizismus aufgeführt wurde; etwas sehr Schlechtes, wenn er in dem Sinne genommen wird, daß ohne Konsequenz aus dieser Philosophie dieses, aus einer andern etwas anderes aufgenommen wird, – wie wenn ein Kleid aus Stücken von verschiedenen Farben, Stoffen zusammengeflickt wäre. Es ist schon früher bemerkt, daß ein Eklektizismus nichts gibt als ein oberflächliches Aggregat. Solche Eklektiker sind teils die ungebildeten Menschen überhaupt, in deren Kopf die widersprechendsten Vorstellungen nebeneinander Platz haben, ohne daß sie je ihre Gedanken zusammenbrächten und ein Bewußtsein über ihre Widersprüche hätten, – oder die klugen Leute, die es mit Bewußtsein[431] tun und glauben, so erlangen sie das Beste, wenn sie aus jedem Systeme das Gute, wie sie es nennen, nehmen und so ein Konto von verschiedenen Gedanken sich anschaffen, worin sie alles Gute, nur die Konsequenz des Denkens und damit das Denken selbst nicht haben. Eklektische Philosophie ist gerade haltlos, inkonsequent; solche Philosophie ist die alexandrinische Philosophie nicht. In Frankreich heißen sie noch so; und hier, wo système mit Einseitigkeit gleichbedeutend ist und man einmal einen bestimmten Namen haben muß, der am wenigsten systematisch und verdächtig klingt, mag man es ertragen.

Die Alexandriner legten die platonische Philosophie zugrunde, benutzten aber die Ausbildung der Philosophie überhaupt, welche sie nach Platon durch Aristoteles und alle folgenden (stoischen) Philosophien erhalten; oder sie stellten sie ausgerüstet mit einer höheren Bildung wieder her, – bei Plotin finden wir nicht Widerlegung. Unter diese höhere Bildung gehört denn vorzüglich das tiefere Prinzip, daß das absolute Wesen als Selbstbewußtsein begriffen werden muß und daß eben dies sein Wesen ist, Selbstbewußtsein zu sein, und daher, daß es im einzelnen Bewußtsein ist; was nicht so zu verstehen ist, daß, wie man zu sagen pflegt, Gott ein Geist sei, der außer der Welt und außer dem Selbstbewußtsein ist, sondern daß seine Existenz als seiner selbst bewußter Geist eben das wirkliche Selbstbewußtsein selbst ist. Das Platonische Allgemeine, das im Denken ist, erhält daher diese Bedeutung, daß es als solches das absolute Wesen selbst ist. – Sie sind eklektische Philosophen im besseren Sinne des Worts; oder es ist überhaupt ein überflüssiges Wort, sie zu bezeichnen. Aber im höheren Sinne ist ein weiterer Standpunkt der Idee von der Art, daß er die vorhergehenden Prinzipien, die einzeln, einseitig sind, die nur Momente der Idee enthalten, vereinigt, – daß eine konkretere und tiefere Idee diese Momente in eins vereinigt. So ist auch Platon eklektisch gewesen, er vereinigte Pythagoras, Heraklit, Parmenides; und so sind auch die Alexandriner Eklektiker, nur[432] führt dieser Ausdruck immer gleich die Vorstellung des Herauslesens mit sich.

Aber dieser Name, den auch Brucker angewendet hat, ist der Sache nach unrecht und auch ungeschichtlich. Für die alexandrinische Schule wird gewöhnlich ausdrücklich der Name eklektische Schule gebraucht. Brucker (II, 193) hat dies, wie ich gefunden habe, zuerst getan; und Diogenes Laertios gibt die Veranlassung dazu. Denn Diogenes Laertios spricht von einem gewissen Potamo aus Alexandrien, der noch nicht so gar lange (pro oligou) aus den verschiedenen Philosophien die Hauptsätze und das Beste herausgenommen habe. Und Diogenes führt mehrere Sätze von ihm an, wobei er sagt, er habe eine eklektische Philosophie gemacht. Es sind Sätze aus dem Aristoteles, Platon, den Stoikern; aber sie sind nicht von Bedeutung, und das, was die Alexandriner auszeichnet, ist darin nicht zu erkennen. Diogenes ist auch früher als die alexandrinische Schule; Potamo aber ist nach Suidas ein Lehrer der Stiefsöhne des Augustus gewesen, und für einen Prinzenlehrer ist der Eklektizismus vollkommen zweckmäßig. Daher, weil dieser Potamo ein Alexandriner ist, hat Brucker auf diese alexandrinische Philosophie den Namen der eklektischen, der sich bei Diogenes findet, angewendet. Das ist sie aber nicht. Denn die Vereinigung der älteren Systeme ist eben eine tiefere Erkenntnis der philosophischen Idee, die konkret in sich gewußt wird, so daß die abstrakteren Prinzipien in der tieferen Form der Idee enthalten sind. Das muß eintreten von Zeit zu Zeit; nach vorhergegangener Divergenz muß die Identität, die an sich ist, anerkannt werden und so der Unterschied nur als Form. Die Alexandriner hatten den tieferen Standpunkt, daß sie ebensowohl Pythagoreer als Platoniker und Aristoteliker waren; alle früheren Philosophien konnten in der ihrigen ihre Stelle finden.

In Alexandrien hatten die Ptolemäer nämlich die Wissenschaften[433] und Gelehrten an sich gezogen teils durch ihr eigenes Interesse an der Wissenschaft, teils durch die angemessensten Anstalten. Sie legten die berühmte große Bibliothek an, für welche auch die griechische Übersetzung des Alten Testaments angefertigt wurde; als Caesar sie zerstört hatte, wurde sie wieder aufgelegt. Es war auch ein Museum, oder was jetzt Akademie der Wissenschaften genannt wird, wo Philosophen und speziellere Gelehrte Besoldungen erhielten und kein anderes Geschäft als das, die Wissenschaften zu treiben, hatten. In späteren Zeiten waren auch in Athen solche Konvente gestiftet worden, und ohne Vorliebe für eine oder die andere Philosophie hatte jede philosophische Schule ihre eigene öffentliche Anstalt.

Die neuplatonische Philosophie erhob sich teils neben den anderen, teils auf den Trümmern derselben und verdunkelte die übrigen; alle früheren Systeme wurden darin ausgelöscht. Sie machte nicht eine solche eigene philosophische Schule aus wie die bisherigen; sondern indem sie alle in sich vereinigte, hatte sie das Studium Platons, Aristoteles' und der Pythagoreer zu ihrem Hauptcharakter. Mit diesem Studium war eine Interpretation jener Schriften verknüpft, welche darauf hinausging, ihre philosophischen Ideen zu verbinden und ihre Einheit zu zeigen. Die neuplatonischen philosophischen Lehrer verhielten sich mehr so, daß sie über die verschiedenen philosophischen Werke, besonders Platonische und Aristotelische Schriften, Vorlesungen hielten und sie erläuterten.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 19, Frankfurt am Main 1979, S. 430-434.
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