d. Annikeris

[550] Noch wird Annikeris und seine Anhänger angeführt, in welchen die Bestimmtheit des Prinzips der kyrenaischen Schule sich eigentlich ganz verläßt. Das Allgemeine verliert sich in der Schule; sie sinkt herunter. Annikeris hat der philosophischen Bildung eine andere Richtung gegeben, die späterhin auch bei den Aristotelikern und Cicero eintritt, – eine Bildung, die populär ist. Es wird von ihnen angeführt, daß sie »Freundschaft im gemeinen Leben sowie Dank, Ehre gegen Eltern, und fürs Vaterland etwas zu tun, zugestanden« als Zweck, Interesse des Menschen. Obschon der Weise sich Beschwerlichkeiten und Geschäften unterziehe, so könne er dessen ungeachtet glücklich sein, wenn er selbst wenig Vergnügen dabei gewinne. Freundschaft sei nicht um des Nutzens willen (dia tas chreias) allein zu errichten, sondern wegen des sich erzeugenden Wohlwollens, und aus Liebe zum Freunde seien auch Lasten und Beschwerlichkeiten zu übernehmen. So geht es zum Populären, mehr in die moralische Weise über; das theoretisch Spekulative verliert sich. Eine Weise moralischen Philosophierens entsteht, die bei Cicero und den späteren Peripatetikern, in der Weise, wie sich die aristotelische Philosophie zur Zeit des Cicero gemacht hatte, das Übergewicht hatte.[550]

Den Gang der kyrenaischen Schule sehen wir also diesen: Die eine Wendung ist das Aufheben, das Überspringen des Prinzips selbst; die andere Wendung geht in das Populäre, für die Konsequenz des Denkens ist da kein Interesse mehr.

Kriterium und der Weise sind Ausdrücke, die jetzt sehr häufig werden; kritêrion ist Urteil, jetzt Bestimmtheit im Allgemeinen. Die Einzelheit des Selbstbewußtseins als Wesen, aber als Wesen allgemein, so als allgemein aufgefaßt, entsteht dann das, was man das Ideal des Weisen zu nennen pflegt; es ist der Einzelne, aber als allgemein vorgestellt.

Diese Rednerei vom Weisen ist allgemein bei den Stoikern, Epikureern, – ohne Begriff; es ist sein Zweck, nicht der allgemeine Zweck der Welt. Statt der Wissenschaft des an und für sich Objektiven ist Wahrheit, Recht, als Inhalt, in Form eines existierenden Subjekts. Es handelt sich aber nicht um den weisen Mann, sondern um die Weisheit des Universums, die reale Vernunft. Eine dritte Bestimmung ist dies: das Allgemeine ist das Gute; die Seite der Realität ist das Vergnügen, das Glück, – dieses ist einzelne Existenz, unmittelbare Wirklichkeit. Wie stimmt nun beides zusammen?

Die philosophischen Schulen haben diesen Zusammenhang beider Bestimmungen (die höher Sein und Denken sind) aufgestellt.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden. Band 18, Frankfurt am Main 1979, S. 550-551.
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