a. Etwas und ein Anderes

[125] 1. Etwas und Anderes sind beide erstens Daseiende oder Etwas.

Zweitens ist ebenso jedes ein Anderes. Es ist gleichgültig, welches zuerst und bloß darum Etwas genannt wird (im Lateinischen, wenn sie in einem Satze vorkommen, heißen beide aliud, oder »Einer den Anderen« alius alium; bei einer Gegenseitigkeit ist der Ausdruck alter alterum analog). Wenn wir ein Dasein A nennen, das andere aber B, so ist zunächst B als das Andere bestimmt. Aber A ist ebensosehr das Andere des B. Beide sind auf gleiche Weise Andere. Um den Unterschied und das als affirmativ zu nehmende Etwas zu[125] fixieren, dient das Dieses. Aber Dieses spricht eben es aus, daß dies Unterscheiden und Herausheben des einen Etwas ein subjektives, außerhalb des Etwas selbst fallendes Bezeichnen ist. In dieses äußerliche Monstrieren fällt die ganze Bestimmtheit; selbst der Ausdruck Dieses enthält keinen Unterschied; alle und jede Etwas sind geradesogut Diese, als sie auch Andere sind. Man meint, durch »Dieses« etwas vollkommen Bestimmtes auszudrücken; es wird übersehen, daß die Sprache, als Werk des Verstandes, nur Allgemeines ausspricht, außer in dem Namen eines einzelnen Gegenstandes; der individuelle Name ist aber ein Sinnloses in dem Sinne, daß er nicht ein Allgemeines ausdrückt, und erscheint als ein bloß Gesetztes, Willkürliches aus demselben Grunde, wie denn auch Einzelnamen willkürlich angenommen, gegeben oder ebenso verändert werden können.

Es erscheint somit das Anderssein als eine dem so bestimmten Dasein fremde Bestimmung oder das Andere außer dem einen Dasein; teils, daß ein Dasein erst durch das Vergleichen eines Dritten, teils, daß es nur um des Anderen willen, das außer ihm ist, als Anderes bestimmt werde, aber nicht für sich so sei. Zugleich, wie bemerkt worden, bestimmt sich jedes Dasein, auch für die Vorstellung, ebensosehr als ein anderes Dasein, so daß nicht ein Dasein bleibt, das nur als ein Dasein bestimmt, das nicht außerhalb eines Daseins, also nicht selbst ein Anderes wäre.

Beide sind sowohl als Etwas als auch als Anderes bestimmt, hiermit dasselbe, und es ist noch kein Unterschied derselben vorhanden. Diese Dieselbigkeit der Bestimmungen fällt aber ebenso nur in die äußere Reflexion, in die Vergleichung beider; aber wie das Andere zunächst gesetzt ist, so ist dasselbe für sich zwar in Beziehung auf das Etwas, aber auch für sich außerhalb desselben.

Drittens ist daher das Andere zu nehmen als isoliert, in Beziehung auf sich selbst; abstrakt als das Andere; to heteron des Platon, der es als eines der Momente der Totalität dem Einen entgegensetzt und dem Anderen auf diese Weise eine[126] eigene Natur zuschreibt. So ist das Andere, allein als solches gefaßt, nicht das Andere von Etwas, sondern das Andere an ihm selbst, d. i. das Andere seiner selbst. – Solches seiner Bestimmung nach Andere ist die physische Natur; sie ist das Andere des Geistes; diese ihre Bestimmung ist so zunächst eine bloße Relativität, wodurch nicht eine Qualität der Natur selbst, sondern nur eine ihr äußerliche Beziehung ausgedrückt wird, Aber indem der Geist das wahrhafte Etwas und- die Natur daher an ihr selbst nur das ist, was sie gegen den Geist ist, so ist, insofern sie für sich genommen wird, ihre Qualität eben dies, das Andere an ihr selbst, das Außer-sich-Seiende (in den Bestimmungen des Raums, der Zeit, der Materie) zu sein.

Das Andere für sich ist das Andere an ihm selbst, hiermit das Andere seiner selbst, so das Andere des Anderen, – also das in sich schlechthin Ungleiche, sich Negierende, das sich Verändernde. Aber ebenso bleibt es identisch mit sich, denn dasjenige, in welches es sich veränderte, ist das Andere, das sonst weiter keine Bestimmung hat; aber das sich Verändernde ist auf keine verschiedene Weise, sondern auf dieselbe, ein Anderes zu sein, bestimmt; es geht daher in demselben nur mit sich zusammen. So ist es gesetzt als in sich Reflektiertes mit Aufheben des Andersseins, mit sich identisches Etwas, von dem hiermit das Anderssein, das zugleich Moment desselben ist, ein Unterschiedenes, ihm nicht als Etwas selbst zukommendes ist.

2. Etwas erhält sich in seinem Nichtdasein; es ist wesentlich eins mit ihm und wesentlich nicht eins mit ihm. Es steht also in Beziehung auf sein Anderssein; es ist nicht rein sein Anderssein. Das Anderssein ist zugleich in ihm enthalten und zugleich noch davon getrennt; es ist Sein-für-Anderes.

Dasein als solches ist Unmittelbares, Beziehungsloses; oder es ist in der Bestimmung des Seins. Aber Dasein als das Nichtsein in sich schließend ist bestimmtes, in sich verneintes Sein und dann zunächst Anderes, – aber weil es sich in seiner Verneinung zugleich auch erhält, nur Sein-für-Anderes.[127]

Es erhält sich in seinem Nichtdasein und ist Sein, aber nicht Sein überhaupt, sondern als Beziehung auf sich gegen seine Beziehung auf Anderes, als Gleichheit mit sich gegen seine Ungleichheit. Ein solches Sein ist Ansichsein.

Sein-für-Anderes und Ansichsein machen die zwei Momente des Etwas aus. Es sind zwei Paare von Bestimmungen, die hier vorkommen: 1. Etwas und Anderes; 2. Sein-für-Anderes und Ansichsein. Die ersteren enthalten die Beziehungslosigkeit ihrer Bestimmtheit; Etwas und Anderes fallen auseinander. Aber ihre Wahrheit ist ihre Beziehung; das Sein-für-Anderes und das Ansichsein sind daher jene Bestimmungen als Momente eines und desselben gesetzt, als Bestimmungen, welche Beziehungen sind und in ihrer Einheit, in der Einheit des Daseins bleiben. Jedes selbst enthält damit an ihm zugleich auch sein von ihm verschiedenes Moment.

Sein und Nichts in ihrer Einheit, welche Dasein ist, sind nicht mehr als Sein und Nichts, – dies sind sie nur außer ihrer Einheit; so in ihrer unruhigen Einheit, im Werden, sind sie Entstehen und Vergehen. – Sein im Etwas ist Ansichsein. Sein, die Beziehung auf sich, die Gleichheit mit sich, ist jetzt nicht mehr unmittelbar, sondern Beziehung auf sich nur als Nichtsein des Andersseins (als in sich reflektiertes Dasein). – Ebenso ist Nichtsein als Moment des Etwas in dieser Einheit des Seins und Nichtseins nicht Nichtdasein überhaupt, sondern Anderes und bestimmter nach der Unterscheidung des Seins von ihm zugleich Beziehung auf sein Nichtdasein, Sein-für-Anderes.

Somit ist Ansichsein erstlich negative Beziehung auf das Nichtdasein, es hat das Anderssein außer ihm und ist demselben entgegen: insofern Etwas an sich ist, ist es dem Anderssein und dem Sein-für-Anderes entnommen. Aber zweitens hat es das Nichtsein auch selbst an ihm; denn es selbst ist das Nichtsein des Seins-für-Anderes.

Das Sein-für-Anderes aber ist erstlich Negation der einfachen Beziehung des Seins auf sich, die zunächst Dasein und Etwas[128] sein soll; insofern Etwas in einem Anderen oder für ein Anderes ist, entbehrt es des eigenen Seins. Aber zweitens ist es nicht das Nichtdasein als reines Nichts; es ist Nichtdasein, das auf das Ansichsein als auf sein in sich reflektiertes Sein hinweist, so wie umgekehrt das Ansichsein auf das Sein-für-Anderes hinweist.

3. Beide Momente sind Bestimmungen eines und desselben, nämlich des Etwas. Ansich ist Etwas, insofern es aus dem Sein-für-Anderes heraus, in sich zurückgekehrt ist. Etwas hat aber auch eine Bestimmung oder Umstand an sich (hier fällt der Akzent auf an) oder an ihm, insofern dieser Umstand äußerlich an ihm, ein Sein-für-Anderes ist.

Dies führt zu einer weiteren Bestimmung. Ansichsein und Sein-für-Anderes sind zunächst verschieden; aber daß Etwas dasselbe, was es an sich ist, auch an ihm hat, und umgekehrt, was es als Sein-für-Anderes ist, auch an sich ist, – dies ist die Identität des Ansichseins und Seins-für-Anderes, nach der Bestimmung, daß das Etwas selbst ein und dasselbe beider Momente ist, sie also ungetrennt in ihm sind. – Es ergibt sich formell diese Identität schon in der Sphäre des Daseins, aber ausdrücklicher in der Betrachtung des Wesens und dann des Verhältnisses der Innerlichkeit und Äußerlichkeit, und am bestimmtesten in der Betrachtung der Idee als der Einheit des Begriffs und der Wirklichkeit. – Man meint, mit dem Ansich etwas Hohes zu sagen, wie mit dem Inneren; was aber Etwas nur an sich ist, ist auch nur an ihm; »an sich« ist eine nur abstrakte, damit selbst äußerliche Bestimmung. Die Ausdrücke »es ist nichts an ihm« oder »es ist etwas daran« enthalten, obgleich etwa[s] dunkel, daß das, was an einem ist, auch zu seinem Ansichsein, seinem inneren wahrhaften Werte gehöre.

Es kann bemerkt werden, daß sich hier der Sinn des Dings-an-sich ergibt, das eine sehr einfache Abstraktion ist, aber eine Zeitlang eine sehr wichtige Bestimmung, gleichsam etwas Vornehmes, so wie der Satz, daß wir nicht wissen, was die Dinge an sich sind, eine vielgeltende Weisheit war. – Die[129] Dinge heißen an-sich, insofern von allem Sein-für-Anderes abstrahiert wird, das heißt überhaupt, insofern sie ohne alle Bestimmung, als Nichtse gedacht werden. In diesem Sinn kann man freilich nicht wissen, was das Ding an-sich ist. Denn die Frage Was? verlangt, daß Bestimmungen angegeben werden; indem aber die Dinge, von denen sie anzugeben verlangt würde, zugleich Dinge-an-sich sein sollen, das heißt eben ohne Bestimmung, so ist in die Frage gedankenloserweise die Unmöglichkeit der Beantwortung gelegt, oder man macht nur eine widersinnige Antwort. – Das Ding-an-sich ist dasselbe, was jenes Absolute, von dem man nichts weiß, als daß Alles eins in ihm ist. Man weiß daher sehr wohl, was an diesen Dingen-an-sich ist; sie sind als solche nichts als wahrheitslose, leere Abstraktionen. Was aber das Ding-an-sich in Wahrheit ist, was wahrhaft an sich ist, davon ist die Logik die Darstellung, wobei aber unter Ansich etwas Besseres als die Abstraktion verstanden wird, nämlich was etwas in seinem Begriffe ist; dieser aber ist konkret in sich, als Begriff überhaupt begreiflich und als bestimmt und Zusammenhang seiner Bestimmungen in sich erkennbar.

Das Ansichsein hat zunächst das Sein-für-Anderes zu seinem gegenüberstehenden Momente; aber es wird demselben auch das Gesetztsein gegenübergestellt; in diesem Ausdruck liegt zwar auch das Sein-für-Anderes, aber er enthält bestimmt die bereits geschehene Zurückbeugung dessen, was nicht an sich ist, in das, was sein Ansichsein, worin es positiv ist. Das Ansichsein ist gewöhnlich als eine abstrakte Weise, den Begriff auszudrücken, zu nehmen; Setzen fällt eigentlich erst in die Sphäre des Wesens, der objektiven Reflexion; der Grund setzt das, was durch ihn begründet wird; die Ursache noch mehr bringt eine Wirkung hervor, ein Dasein, dessen Selbständigkeit unmittelbar negiert ist und das den Sinn an ihm hat, in einem Anderen seine Sache, sein Sein zu haben. In der Sphäre des Sems geht das Dasein aus dem Werden nur hervor, oder mit dem Etwas ist ein Anderes, mit dem Endlichen das Unendliche gesetzt, aber das Endliche bringt[130] das Unendliche nicht hervor, setzt dasselbe nicht. In der Sphäre des Seins ist das Sichbestimmen des Begriffs selbst nur erst an sich, – so heißt es ein Übergehen; auch die reflektierenden Bestimmungen des Seins, wie Etwas und Anderes oder das Endliche und Unendliche, ob sie gleich wesentlich aufeinander hinweisen oder als Sein-für-Anderes sind, gelten als qualitative für sich bestehend; das Andere ist, das Endliche gilt ebenso als unmittelbar seiend und für sich feststehend wie das Unendliche; ihr Sinn erscheint als vollendet auch ohne ihr Anderes. Das Positive und Negative hingegen, Ursache und Wirkung, sosehr sie auch als isoliert seiend genommen werden, haben zugleich keinen Sinn ohne einander; es ist an ihnen selbst ihr Scheinen ineinander, das Scheinen seines Anderen in jedem, vorhanden. – In den verschiedenen Kreisen der Bestimmung und besonders im Fortgange der Exposition oder näher im Fortgange des Begriffs zu seiner Exposition ist es eine Hauptsache, dies immer wohl zu unterscheiden, was noch an sich und was gesetzt ist, wie die Bestimmungen als im Begriffe und wie sie als gesetzt oder als seiend-für-Anderes sind. Es ist dies ein Unterschied, der nur der dialektischen Entwicklung angehört, den das metaphysische Philosophieren, worunter auch das kritische gehört, nicht kennt; die Definitionen der Metaphysik wie ihre Voraussetzungen, Unterscheidungen und Folgerungen wollen nur Seiendes und zwar Ansichseiendes behaupten und hervorbringen.

Das Sein-für-Anderes ist in der Einheit des Etwas mit sich, identisch mit seinem Ansich –, das Sein-für-Anderes ist so am Etwas. Die so in sich reflektierte Bestimmtheit ist damit wieder einfache seiende, somit wieder eine Qualität, – die Bestimmung.

Quelle:
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke. Band 5, Frankfurt a. M. 1979, S. 125-131.
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