18. Kapitel
Von dem zum Eintritt in das himmlische Reich Erforderlichen

[319] 1. Man hat immer zugegeben, daß alle Gewalt in weltlichen Dingen von dem Inhaber der höchsten Staatsgewalt, sei es ein einzelner Mensch oder eine Versammlung, herstammte. Daß in geistlichen Dingen diese Gewalt von der Kirche abhängt, ist aus dem Bisherigen klar; und außerdem daraus, daß jeder christliche Staat eine mit solcher Macht versehene Kirche ist. Daraus kann auch der Beschränkteste ersehen, daß in dem christlichen Staate, d.h. in einem Staate, wo ein christlicher Fürst oder eine christliche Versammlung die Gewalt hat, alle weltliche wie geistliche Macht in jenen unter Christus vereinigt ist, und folglich ihnen in allen Dingen zu gehorchen ist. Indes ist darüber ein Streit entstanden, wie, da man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen, den Inhabern der Staatsgewalt sicher Gehorsam geleistet werden könne, wenn sie jemals etwas gebieten würden, was Christus verboten hat. Der Grund der Schwierigkeit liegt darin, daß Gott nicht mehr durch Christus und die Propheten in lebendigen Worten zu uns redet, sondern durch die Heilige Schrift, die von verschiedenen Menschen verschieden ausgelegt wird. Man weiß daher wohl, was die Könige und die versammelte Kirche gebieten; ob aber solche Gebote gegen die Gebote Gottes verstoßen oder nicht, das weiß man nicht. Deshalb schwankt man beim Gehorsam zwischen den Strafen des zeitlichen und geistigen Todes, wie die, welche zwischen der Scylla und Charybdis dahinschifften, und fällt oft in beide. Unterscheidet man aber richtig zwischen dem, was zur Seligkeit notwendig ist und was nicht,[319] so kann ein solcher Zweifel nicht aufkommen. Ist der Befehl eines Fürsten oder Staats so beschaffen, daß man ihn ohne Verlust des ewigen Heils befolgen kann, so ist der Ungehorsam ein Unrecht, und es gelten da die Aussprüche der Apostel, Kol. 3, 20 u. 22: »Ihr Knechte, gehorchet in allem euerm fleischlichen Herrn, und ihr Kinder, gehorchet in allem euern Eltern«, und das Gebot Christi in Matth. 23, 2: »Über den Sessel Mosis saßen die Schriftgelehrten und Pharisäer; deshalb bewahrt und tut alles, was sie euch sagen.« Befehlen dagegen die Inhaber der Staatsgewalt etwas, auf dem die Strafe des ewigen Todes steht, so wäre es unsinnig, nicht lieber des natürlichen Todes zu sterben, als durch Gehorsam sich in den ewigen Tod zu stürzen. Hier gilt, was Christus Matth. 10, 28 sagt: »Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.« Es ist also zu ermitteln, was zum Heile notwendig ist.

2. In den beiden Tugenden des Glaubens und des Gehorsams ist alles zum Heile Nötige enthalten. Könnte der Gehorsam vollkommen sein, so würde er allein gegen die Verdammnis schützen; aber da wir alle schon seit lange des Ungehorsams gegen Gott durch Adam schuldig sind und überdies auch selbst gesündigt haben, so genügt der Gehorsam ohne Vergebung der Sünden nicht. Diese aber ist zugleich mit unserm Eintritt in das himmlische Reich der Lohn des Glaubens; weiter ist zur Seligkeit nichts nötig. Denn das Reich Gottes ist nur den Sündern verschlossen, d.h. denen, welche den Gesetzen nicht den schuldigen Gehorsam geleistet haben, und selbst diesen nicht, wenn sie an den wesentlichen Artikeln des christlichen Glaubens festhalten. Wenn nun ermittelt sein wird, worin der Gehorsam besteht und welche Artikel des christlichen Glaubens wesentlich sind, so ist damit auch entschieden, welchen Geboten der Staaten und Fürsten zu folgen und welchen nicht zu gehorchen ist.

3. Unter Gehorsam wird hier nicht die Handlung, sondern der Wille und das Verlangen verstanden, mit dem man nach Möglichkeit sich bemüht, künftig zu gehorchen. In diesem Sinne ist das Wort Gehorsam gleichbedeutend mit Reue; denn die Tugend der Reue besteht nicht in dem[320] Schmerze, der die Erinnerung an die Sünde begleitet, sondern in der Umkehr auf dem Wege und in dem Wollen, nicht mehr zu sündigen; sonst würde jener Schmerz keine Reue, sondern die Verzweiflung sein. Da nun die, die Gott lieben, gar nichts anderes wollen können, als dem göttlichen Gesetz zu gehorchen, und die, die ihre Nächsten lieben, gar nichts anderes wollen können, als dem moralischen Gesetz gehorsam zu sein, das, wie ich in Kap. 3 gezeigt habe, in dem Verbot des Stolzes, der Undankbarkeit, der Beleidigung, der Grausamkeit, Hartherzigkeit, Verleumdung und ähnlichen Unrechts, durch das die Nächsten verletzt werden, besteht, so besagt auch die Liebe oder christliche Milde dasselbe wie der Gehorsam; auch die Gerechtigkeit, als der beharrliche Wille, jedem das Seine zu geben, bedeutet dasselbe. Daß Glaube und Reue offenbar zur Seligkeit genügen, geht aus dem Bund der Taufe selbst hervor. Denn als die, welche am Tage des Pfingstfestes von Petrus bekehrt wurden, ihn fragten, was sie nun tun sollten, antwortete er ihnen: »Bereuet und laßt euch ein jeder im Namen Jesu zur Vergebung der Sünden taufen.« Apostelgesch. 2, 38. Also war nur die Reue und der Glaube an Jesu Namen zur Erlangung der Taufe, d.h. zum Eintritt in das Reich Gottes nötig; denn in dem durch die Taufe sich vollziehenden Vertrage wird das himmlische Reich versprochen. Ferner erhellt dies aus der Antwort Jesu, als ein Vornehmer ihn fragte, was er zur Gewinnung des ewigen Lebens tun solle, Luk. 18, 20: »Du kennst die Gebote: Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen« usw.; dies bezieht sich auf den Gehorsam – und Mark. 10, 21: »Verkaufe alle deine Habe, komm und folge mir nach«; dies bezieht sich auf den Glauben. Auch erhellt es aus den Worten: »Der Gerechte (nicht jedweder, sondern der Gerechte) wird durch seinen Glauben leben.« Denn die Gerechtigkeit ist dieselbe Sinnesart wie die Reue und der Gehorsam. Auch ergibt es sich aus den Worten des heiligen Markus, 1, 15: »Weil die Zeit erfüllt ist und das Reich Gottes naht, so bereuet und glaubet an das Evangelium.« Damit ist deutlich angezeigt, daß es zum Eintritt in das Himmelreich keiner andern Tugenden bedarf als der Reue und des Glaubens. Nun ist dieser zur[321] Seligkeit nötige Gehorsam nichts anderes als der Wille oder das Bestreben zu gehorchen, d.h. nach den Gesetzen Gottes zu handeln, d.h. nach den moralischen Gesetzen, welche für alle dieselben sind, sowie nach den bürgerlichen Gesetzen, d.h. den Geboten der Staatsgewalt in weltlichen Dingen und den Kirchengesetzen in geistlichen Dingen. Die beiden letzteren sind in den verschiedenen Staaten und Kirchen verschieden und werden durch ihre Verkündigung und die öffentlichen Rechtssprüche bekannt.

4. Um den christlichen Glauben zu verstehen, ist der Glaube im allgemeinen zu definieren und von den andern Seelenzuständen, mit denen er verwechselt zu werden pflegt, zu unterscheiden. Der Gegenstand des Glaubens allgemein genommen, also das, was man glaubt, ist immer ein Satz, d.h. ein bejahender oder verneinender Ausspruch, dessen Wahrheit man anerkennt. Da man indes Urteilen aus verschiedenen Gründen zustimmen kann, so werden diese Zustimmungen verschieden benannt. Manchmal erkennt man Sätze an, die man trotzdem nicht in seine Seele aufnimmt; es geschieht entweder nur zeitweilig, solange bis man durch Erwägung der Folgen ihre Wahrheit geprüft hat, und dies nennt man vorläufiges Annehmen; oder die Anerkennung geschieht einfach, wie aus Furcht vor dem Gesetz, dies ist das Bekenntnis, d.h. das durch äußere Zeichen erfolgende Anerkenntnis; oder es erfolgt aus freiwilliger Unterwerfung, die die Menschen aus Höflichkeit denen, die sie hochachten, entgegenbringen, oder es geschieht um des Friedens willen, was man Zugestehen nennt. Wenn man aber einen Satz für wahr anerkennt, so bestimmen immer gewisse eigene Gründe dazu, die entweder in dem Satze selbst liegen oder in der Person, welche den Satz behauptet. Sie liegen in dem Satz selbst, wenn man sich erinnert, welche Gegenstände durch die Worte, welche der Satz enthält, nach dem Sprachgebrauche bezeichnet werden; die hieraus folgende Zustimmung nennt man Wissen. Kann man sich aber nicht entsinnen, welches die sichere Bedeutung der Worte ist, durch die bald ein, bald ein anderer Gegenstand bezeichnet wird, dann heißt dieser Zustand Meinen. Wenn z.B. der Satz aufgestellt wird, daß 2 und 3 gleich 5 seien, und man[322] sich entsinnt, daß die Reihe der Zahlworte durch die Übereinstimmung der eine Sprache sprechenden Personen (gleichsam durch einen für die menschliche Gesellschaft unentbehrlichen Vertrag) so gebildet ist, daß mit 3 so viel Einheiten bezeichnet werden, wie in 2 und 3 zusammen enthalten sind und stimmt man dem bei und nimmt man den Satz für wahr, weil 2 und 3 zusammen ebensoviel sind wie 5, so heißt diese Zustimmung ein Wissen. Das Wissen dieser Wahrheit ist nur die Anerkennung, daß sie von uns selbst gebildet ist. Der Wille derjenigen Personen, von denen und nach deren Sprachgebrauch das Zweifache 2, das Dreifache 3 und das Fünffache 5 genannt worden ist, hat auch bewirkt, daß der Satz wahr ist, wonach 2 und 3 zusammen soviel sind wie 5. Wenn man sich so entsinnt, was Diebstahl und was Unrecht heißt, so weiß man durch die Worte selbst, ob der Satz wahr oder nicht wahr sei, daß der Diebstahl ein Unrecht ist. Wahrheit ist dasselbe wie ein wahrer Satz; und der Satz ist wahr, wenn sein zweites Wort, was bei den Logikern das Prädikat heißt, in seinem Umfange das erste Wort, das Subjekt heißt, befaßt. Die Kenntnis der Wahrheit ist die Vergegenwärtigung, daß sie von uns selbst durch die den Worten beigelegte Bedeutung gebildet worden ist; deshalb hat Plato treffend gesagt, daß das Wissen ein Erinnern sei. Doch kommt es vor, daß Worte, obgleich sie eine feste auf dem Sprachgebrauch beruhende Bedeutung haben, durch den gemeinen Gebrauch, in der Absicht, zu verschönern oder sogar zu täuschen, von ihrer eigentlichen Bedeutung so abgebracht werden, daß die Vergegenwärtigung der Vorstellungen, für welche diese Worte ursprünglich bestimmt worden waren, schwer wird; nur ein scharfes Urteil und großer Fleiß kann dann diese Schwierigkeiten überwinden. Auch kommt es vor, daß viele Worte keine eigene, feste, sich immer gleichbleibende Bedeutung haben und deshalb für sich allein zum Verständnis nicht genügen, sondern nur mit Hilfe von andern, mit ihnen gleichzeitig gebrauchten Zeichen. Drittens gibt es einzelne Worte für unbegreifliche Dinge, von denen es daher zwar Namen, aber keine Vorstellungen gibt, und deshalb kann aus den davon gebildeten Sätzen die Wahrheit aus den[323] Worten selbst nicht ermittelt werden. Wenn man in solchen Fällen durch Betrachtung der Bedeutung der Worte die Wahrheit eines Satzes zu ermitteln sucht und sie zu erweisen hofft, so hält man einen solchen Satz manchmal für wahr und manchmal für falsch. Jedes heißt für sich meinen oder auch glauben, beides zusammen: zweifeln. Stammen dagegen die Gründe unserer Zustimmung zu einem Satze nicht von diesem selbst ab, sondern von der Person, welche den Satz behauptet, die man für so erfahren hält, daß sie nicht getäuscht wird und bei der man auch keinen Grund sieht, weshalb sie uns täuschen sollte, so heißt diese Zustimmung, weil sie auf dem Vertrauen in das Wissen eines andern und nicht in das eigene beruht, Glaube. Ein solches Vertrauen auf die Person heißt ein Glauben an dieselbe. Aus dem Gesagten ergibt sich der Unterschied zwischen Glauben und Bekenntnis: jener ist immer mit der innern Zustimmung verbunden, aber dieses nicht immer; jene ist eine innere Überzeugung des Geistes, diese aber ein äußerer Gehorsam. Ferner erhellt der Unterschied zwischen Glauben und Meinung: letztere stützt sich auf die eigene. Vernunft, jener auf die Achtung vor einer andern. Endlich der Unterschied zwischen Glauben und Wissen: letzteres prüft den Satz und nimmt ihn nur langsam, ihn gleichsam durchkauend, an, jener verschlingt ihn ganz und vollständig. Zum Wissen nützt die Erklärung der Worte, mit denen der später zu untersuchende Satz ausgesprochen ist, ja die Definition ist der einzige Weg zum Wissen; aber dem Glauben ist dies schädlich, da alles, was die menschliche Fassungskraft übersteigt und was ausgesprochen wird, damit man es glaube, durch Erklärung niemals deutlicher, sondern nur dunkler und unglaubwürdiger wird. Einem Menschen, der sich die Geheimnisse des Glaubens durch die natürliche Vernunft klar zu machen sucht, geht es wie einem Kranken, der die heilsamen, aber bittern Pillen erst kauen will, bevor er sie verschluckt; er muß sie dann sofort wieder ausspucken, während sie ihn sonst, wenn er sie hinuntergeschluckt hätte, geheilt haben würden.

5. Wir haben gesehen, was der Glaube ist. Aber was ist der Glaube an Christus? oder, welcher Satz ist der[324] Gegenstand unseres Glaubens an Christus? Denn wenn man sagt: »Ich glaube an Christus«, so ist damit wohl ausgedrückt, wem, aber nicht was man glaubt. Der Glaube an Christus besteht nun lediglich in dem Glauben, daß Jesus der Christus ist, nämlich der, welcher nach den Prophezeiungen des Moses und der israelitischen Propheten in diese Welt kommen werde, um das Reich Gottes einzurichten. Dies erhellt deutlich aus Christi Worten zu Martha, Job. 11, 25-27: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, selbst wenn er gestorben sein wird, und alle, die leben und an mich glauben, werden nicht in Ewigkeit sterben. Glaubst du dies? Und jene sprach: Ja, Herr, ich glaube, daß du Christus bist, der Sohn des lebendigen Gottes, der in diese Welt kommen sollte.« Aus diesen Worten ersieht man, daß die Frage »Glaubst du an mich?« erläutert wird durch die Antwort »Du bist Christus«. Deshalb besteht der Glaube an Christus nur in dem Glauben an Jesus, der da sagt, er sei Christus.

6. Da zur Seligkeit Glaube und Gehorsam, und zwar beide notwendig gehören, so ist in Abschn. 3 die Natur des Gehorsams, und wem er zu leisten ist, dargelegt worden. Jetzt soll nun untersucht werden, was unter dem Glauben gefordert wird. Ich behaupte, daß neben dem Satze, daß Jesus der Christus sei21, für den Christen kein weiterer[325] Satz zu seiner Seligkeit nötig ist. Indes muß man hier, wie schon in Abschn. 4, zwischen dem Glauben und dem Bekenntnis unterscheiden. Das Bekenntnis von mehreren Glaubenssätzen (wenn es geboten wird) kann nötig sein, da dies zu dem den Gesetzen schuldigen Gehorsam gehört. Allein jetzt handelt es sich nicht um den zur Seligkeit notwendigen Gehorsam, sondern um den Glauben. Nun erhellt jener Satz zunächst aus dem Zweck der Evangelisten, welche durch die Beschreibung des Lebens unsers Erlösers nur diesen einen Satz feststellen wollten; daß dies der Zweck und die Absicht der Evangelisten war, ersieht man, wenn man nur die Geschichte selbst betrachtet. Der heilige Matthäus Kap. 1 beginnt mit dem Geschlechtsregister Jesu und zeigt, daß er aus dem Geschlechte Davids stammt und von einer Jungfrau geboren wurde; Kap. 2, daß er von den Weisen als der König der Juden angebetet wurde und daß deshalb Herodes ihn zu töten versucht hat; Kap. 3 und 4. daß sein Königreich von Johannes dem Täufer und ihm[326] selbst verkündet wurde; Kap. 5, 6, 7, daß er Gesetze gelehrt hat, nicht wie die Schriftgelehrten, sondern wie ein Gesetzgeber; Kap. 8, 9, daß er Kranke durch seine Wunder geheilt hat; Kap. 10, daß er die Apostel als Verkünder des Reichs in alle Gegenden Judäas ausgesandt hat, um das Himmelreich zu predigen; Kap. 11, daß er den von Johannes gesandten Boten auf ihre Frage, ob er der Christus sei, geantwortet hat, sie sollten berichten, was sie gesehen hätten, nämlich die Wunder, die Christus allein zustünden; Kap. 12, daß er sein Reich durch Beweise, Vergleiche und Zeichen den Pharisäern und andern gegenüber dargelegt und erklärt hat; Kap. 13-21, daß er gegen die Pharisäer daran festgehalten, daß er jener Christus sei; Kap. 21, daß er bei seinem Einzuge in Jerusalem mit dem Namen König begrüßt wurde; Kap. 22-25, daß er andere vor dem falschen Christus gewarnt hat und durch Gleichnisse gezeigt hat, welcher Art sein Reich sei; Kap. 26, 27, daß er, weil er sich König genannt, gefangen und angeklagt wurde, und daß das Kreuz die Aufschrift gehabt: »Hier ist Jesus, der König der Juden«; Kap. 28 endlich, daß er nach der Auferstehung den Aposteln gesagt habe, ihm sei alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben worden. Dies alles zielt darauf ab, daß wir glauben sollen, Jesus sei jener Christus. Dies war somit der Zweck des heiligen Matthäus bei Abfassung seines Evangeliums. Dasselbe Ziel hatten auch die andern Evangelisten, was der heilige Johannes am Ende seines Evangeliums Kap. 20, 31 ausdrücklich in den Worten anerkennt: »Dies ist geschrieben worden, damit ihr wisset, daß Jesus ist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.«

7. Zweitens wird obiger Satz durch die Lehren der Apostel bestätigt. Sie waren die Verkünder des Reichs, und Christus hatte sie nur ausgesandt, um das Reich Gottes zu predigen (Luk. 9, 2; Apostelgesch. 10, 42). Aus der gegen sie erhobenen Anklage ergibt sich, was sie nach seiner Himmelfahrt getan haben. Der heilige Lukas sagt Apostelgeschichte 17, 6-7: »Sie schleppten den Jason und einige Brüder zu den Vorgesetzten der Stadt und schrieen: Diese sind es, welche die Stadt aufregen und hierher gekommen sind, wo sie Jason aufgenommen hat; diese alle handeln gegen die Befehle des Kaisers und sagen, Jesus sei ein[327] anderer König.« Auch der Gegenstand der apostolischen Reden ergibt sich daraus; es heißt Apostelgesch. 17, 2-3: »Er eröffnete ihnen die Schriften (nämlich des Alten Testaments) und lehrte sie, daß Christus hat leiden müssen und wiederauferstanden sei von den Toten, und daß dieser der Jesus Christus sei.«

8. Es ergibt sich obiger Satz drittens aus den Stellen, welche die leichte Faßlichkeit dessen darlegen, was Christus zur Seligkeit verlangt. Wäre die innere Zustimmung des Gemüts für die Wahrheit aller einzelnen Sätze notwendig, welche heutzutage in betreff des christlichen Glaubens in Frage stehen und von den verschiedenen Kirchen in verschiedener Weise abgefaßt worden sind, so gäbe es nichts Schwierigeres als die christliche Religion. Wie könnte es dann wahr sein, wenn es Matth. 11, 30 heißt: »Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht«, und Matth. 18, 6: »daß auch die Kindlein an ihn glauben«, und 1. Kor. 1, 21: »daß es Gott gefallen habe, durch die Einfalt der Predigt die Gläubigen zu erretten«. Oder wie konnte der Übeltäter am Kreuze schon genügend für die Seligkeit belehrt sein, dessen Glaubensbekenntnis in den Worten enthalten war: »Herr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst.« Oder wie hätte der heilige Paulus selbst so schnell aus einem Feinde zu einem Lehrer der Christen werden können!

9. Viertens ergibt sich meine Behauptung daraus, daß dieser Satz die Grundlage des Glaubens bildet, ohne selbst sich auf eine andere Grundlage zu stützen. So heißt es Matth. 24, 23, 24: »Sollte euch jemand sagen: Sehet, hier ist Christus, oder dort, so glaubt ihm nicht, denn es stehen falsche Christus auf und falsche Propheten, die große Zeichen und Wunder ergehen lassen werden.« Hieraus erhellt, daß bei dem Glauben an jenen Satz den Zeichen und Wundern kein Glaube geschenkt werden soll. So sagt der Apostel, Gal. 1, 8: »Selbst wenn ein Engel vom Himmel euch etwas verkündet außer dem, was wir euch verkündet haben, so soll es verdammt sein.« Also soll jenes Satzes wegen selbst den Aposteln und Engeln, also, so denke ich, auch der Kirche, nicht geglaubt werden, wenn sie etwas anderes lehren. Johannes sagt 1. Joh. 4, 1-2: »Meine Lieben, glaubt nicht jedem Geiste, sondern prüfet ihn, ob er[328] von Gott kommt, denn es sind viele falsche Propheten in die Welt gekommen. Daran erkennt man den Geist Gottes, daß jeder Geist, welcher anerkennt, daß Jesus Christus Fleisch geworden, von Gott ist.« Somit ist jener Satz der Maßstab für die Geister, und nach diesem wird die Autorität der Lehrer zugelassen oder verworfen. Allerdings kann man nicht leugnen, daß heutzutage alle Christen von den Lehrern gelernt haben, daß Jesus es gewesen, der alles getan hat, wodurch er als der Christus anerkannt werden konnte. Daraus folgt aber nicht, daß man diesen Satz der Lehrer oder der Kirche wegen glaubt, sondern um Jesu selbst willen. Denn dieser Satz war früher als die christliche Kirche, wenngleich alle andern Sätze später sind; die Kirche ist auf ihn, und nicht er auf die Kirche gegründet. Matth. 16, 18. Jener Satz, daß Jesus der Christus sei, bildet so sehr die Grundlage, daß nach dem heiligen Paulus alle andern darauf aufgebaut sind. Er sagt 1. Kor. 3, 11-15: »Niemand kann einen andern Grund legen als den, der gelegt ist, daß Jesus Christus ist (d.h. daß Jesus der Christus ist). Wer auf diesen Grund aufbaut Gold, Silber, kostbare Steine, Holz, Heu, Stroh, so wird eines jeden Werk offenbar sein. Wessen Werk, was er darauf gebaut hat, bleiben wird, der wird den Lohn empfangen; wessen Werk aber verbrennen wird, mag den Schaden tragen, er selbst wird aber selig werden.« Hieraus erhellt, daß unter dem »Grund« der Satz, daß Jesus der Christus sei, verstanden worden ist; denn man kann nicht auf die Person Christi Gold, Silber, kostbare Steine, Holz, Heu, Stroh, womit die Lehren gemeint sind, aufbauen; auch können selbst falsche Lehren darauf erbaut werden, ohne daß die, welche sie gelehrt haben, deshalb verdammt sind.

10. Endlich kann auch aus vielen Stellen der Heiligen Schrift bewiesen werden, daß jener Satz allein für den innern Glauben notwendig ist, möge der Ausleger der Schrift sein, wer er will. Joh. 5, 39 heißt es: »Suchet in den Schriften, weil ihr meint, in ihnen das ewige Leben zu haben, und sie sind ein Zeugnis für mich.« Christus versteht aber darunter nur die Bücher des Alten Testaments; denn das Neue war noch gar nicht schriftlich abgefaßt. Das Alte Testament enthält aber über Christus[329] kein anderes Zeugnis, als daß kommen werde ein ewiger König, und zwar an diesem Orte, daß er von diesen Eltern werde geboren werden, das und das lehren und tun werde, und an welchen Zeichen er zu erkennen sein werde. Dies alles bezeugt somit das eine, daß der so geborene und mit solcher Lehre und solchen Taten auftretende Jesus der Christus war. Neben diesem Satze wurde kein weiterer Glaube gefordert, um das ewige Leben zu erlangen. Es heißt Joh. 11, 26: »Alle, die leben und an mich glauben, werden nimmermehr sterben.« An Jesus glauben – wie es dort ausgedrückt ist – ist aber dasselbe wie glauben, daß Jesus der Christus sei. Wer also dies glaubt, wird nicht für ewig sterben; und mithin ist dieser Satz allein zur Seligkeit notwendig. Joh. 20, 31 heißt es: »Dies ist geschrieben worden, damit ihr glaubt, daß Jesus ist Christus, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubt, daß ihr in seinem Namen das ewige Leben habt.« Wer so glaubt, wird also das ewige Leben haben und braucht keinen andern Glauben, 1. Job. 4, 2 heißt es: »Jeder Geist, der bekennt, daß Jesus Christus im Fleische gekommen, ist von Gott«, und 1. Joh. 5, 1: »Jeder, der glaubt, daß Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren«, und Vers 5: »Nur der wird die Welt besiegen, der da glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist.« Wenn man also, um »von Gott«, »von Gott geboren« und »Besieger der Welt« zu sein, nichts anderes zu glauben braucht, als daß Jesus der Christus sei, so reicht dieser Satz allein zum Heile hin. Ferner heißt es Apostelgesch. 8, 36 u. 37: »Siehe da das Wasser; was hindert, daß ich getauft werde? Aber Philippus sagt: Nur wenn du von ganzem Herzen glaubst, darf es geschehen, und jener antwortete: Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist.« Wenn also dieser Satz, sofern man von ganzem Herzen, d.h. innerlich, an ihn glaubt, zur Taufe genügt, so genügt er auch zur Seligkeit. Außer diesen Stellen, bestätigen noch unzählige andere dies klar und ausdrücklich. Ja, wo immer wir lesen, daß unser Erlöser den Glauben gelobt hat oder gesagt: »Dein Glaube hat dich errettet«, oder daß er einen Kranken seines Glaubens wegen geheilt hat, da war der unmittelbar oder folgeweise geglaubte Satz immer der, daß Jesus der Christus sei.[330]

11. Niemand kann glauben, daß Jesus der Christus sei, wenn er weiß, daß unter Christus jener König verstanden wird, den Gott durch Moses und die Propheten der Welt als König und Erlöser verheißen hat, er aber dabei nicht an Moses und die Propheten glaubt. Ebensowenig kann er an diese glauben, wenn er nicht glaubt, daß es einen Gott gibt, der die Welt regiert; deshalb muß jener Glaube an Gott und an das Alte Testament auch in dem Glauben des Neuen Testaments enthalten sein. Nur bildete in dem natürlichen Reiche Gottes nur die Gottesleugnung und die Leugnung der göttlichen Vorsehung das Verbrechen der Majestätsbeleidigung; dagegen gehörte in dem Reiche des Alten Bundes auch der Götzendienst dazu; und in dem Reiche des Neuen Bundes tritt die Abtrünnigkeit hinzu, oder das Aufgeben des einmal angenommenen Satzes, daß Jesus der Christus sei. Den übrigen von der rechtmäßigen Kirche bestimmten Lehren darf man zwar auch nicht widersprechen, denn das wäre die Sünde des Ungehorsams, und der Gehorsam ist zur Seligkeit nötig; aber diese Sätze brauchen nicht innerlich geglaubt zu werden, wie in den vorhergehenden Abschnitten gezeigt worden ist.

12. Der Glaube und der Gehorsam haben jeder seine besondere Wirksamkeit für die Seligkeit des Christen; der eine gibt die Möglichkeit und die Fähigkeit, der andere die Wirklichkeit; jeder rechtfertigt in seiner Weise. Denn Christus vergibt nicht allen die Sünden, sondern nur den Reuigen oder Gehorsamen, d.h. den Gerechten. Ich sage nicht den Unschuldigen, sondern den Gerechten; denn die Gerechtigkeit besteht in dem Willen, den Gesetzen zu gehorchen, und kann auch bei einem Sünder bestehen; der Wille zu gehorchen gilt aber bei Christus für den Gehorsam selbst. Denn nicht jeder, sondern nur der Gerechte lebt durch den Glauben. Der Gehorsam rechtfertigt also, weil er in derselben Weise gerecht macht wie die Mäßigkeit mäßig, die Klugheit klug, die Keuschheit keusch, nämlich weil er dem Wesen nach gerecht macht, und weil er den Menschen in den Zustand versetzt, wo er der Gnade fähig wird. Aber Christus hat auch nicht allen Gerechten die Vergebung ihrer Sünden verheißen, sondern nur denen, die glauben, daß er der Christus sei. Der Glaube[331] rechtfertigt also in dem Sinne, wie ein Richter rechtfertigt, der jemand freispricht, nämlich durch einen Urteilsspruch, der ihn tatsächlich straflos macht. In diesem Sinne des Wortes Rechtfertigung (das zweideutig ist) rechtfertigt allein der Glaube; in jenem Sinne allein der Gehorsam; aber weder der Glaube noch der Gehorsam allein machen selig, sondern nur beide zusammen.

13. Aus dem Bisherigen kann man leicht die Pflichten der christlichen Untertanen gegen ihre Herrscher entnehmen. Solange diese Christen selbst sind, können sie ihren Untertanen nicht gebieten, Christus zu verleugnen oder zu verlästern; denn wenn sie dies täten, würden sie bekennen, daß sie keine Christen seien. Denn ich habe aus der natürlichen Vernunft und der Heiligen Schrift dargelegt, daß die Bürger den Fürsten und höchsten Inhabern der Staatsgewalt in allem gehorchen müssen, außer wenn es gegen die Gebote Gottes verstößt. Ebenso habe ich gezeigt, daß die Gebote Gottes in einem christlichen Staate betreffs weltlicher Angelegenheiten, d.h. alles dessen, was nach der natürlichen Vernunft zu beurteilen ist, aus den Gesetzen und Urteilen des Staats bestehn, welche von denen ausgehen, denen die Macht zur Gesetzgebung und zur Rechtsprechung vom Staate übertragen worden ist; und daß in den geistigen Dingen, d.h. in allem, was nach der Heiligen Schrift zu bestimmen ist, als Gesetze und Aussprüche des Staats, d.h. der Kirche (denn der christliche Staat und die Kirche sind nach Kap. 17, Abschn. 20 ein und dasselbe) das anzusehen ist, was von den rechtmäßig ordinierten Geistlichen, welchen der Staat die Vollmacht dazu gegeben hat, ausgegangen ist. Hieraus ergibt sich klar, daß in einem christlichen Staate man den Herrschern in allen Dingen, sowohl geistlichen wie weltlichen, Gehorsam schuldig ist. Wenn der Herrscher kein Christ ist, so muß dennoch der christliche Bürger unzweifelhaft in allen weltlichen Dingen ihm denselben Gehorsam leisten; dagegen haben die Christen in geistlichen Dingen, d.h. in allem, was die Gottesverehrung anlangt, sich einer christlichen Kirche anzuschließen. Denn es ist ein christlicher Glaubenssatz, daß Gott in den übernatürlichen Dingen sich nur durch die christlichen Ausleger der Heiligen[332] Schrift vernehmen läßt. Hier entsteht nun die Frage, ob man diesen Fürsten sich da widersetzen darf, wo man ihnen nicht gehorchen kann. Sicherlich nicht, denn das würde gegen unsern Staatsvertrag gehen. Was hat man also zu tun? Man soll durch das Märtyrertum zu Christus gehen. Wem dies zu hart erscheint, der kann nicht aus ganzem Herzen glauben, daß Jesus der Christus der Sohn des lebendigen Gottes sei (denn er möchte dann erlöst sein und auch bei Christus sein), sondern er will unter dem Vorwand des christlichen Glaubens dem dem Staat versprochenen Gehorsam sich entziehen.

14. Manche werden vielleicht erstaunt sein, wenn alle Sätze (mit Ausnahme des einen, daß Jesus der Christus ist, welcher zu dem innern Glauben gehört und allein die Seligkeit bedingt) zu dem Gehorsam gehören sollen, den man leisten könne, wenn man auch innerlich nicht an alles glaube (sofern man nur den Willen habe, es zu glauben, und es äußerlich bekenne, wo es nötig ist), was von der Kirche aufgestellt wird; und man wird sich wundern, woher es komme, daß es heutzutage so viele Lehrsätze gibt, welche alle so zu dem Glauben gehören sollen, daß ohne den innern Glauben an sie man in das Himmelreich nicht eingehen könne. Indes wird mein Ausspruch weniger sonderbar erscheinen, wenn man bedenkt, daß es bei den meisten Streitfragen sich nur um die menschliche Herrschaft handelt, bei einigen um Gewinn und Erwerb, und bei andern um den Ruhm des Geistes. Die Frage über das der Kirche zustehende Eigentum ist die Frage nach dem Rechte der Herrschaft; denn wenn man weiß, was die Kirche ist, so weiß man auch zugleich, wem die Herrschaft über die Christen zusteht. Denn wenn jeder christliche Staat zugleich die Kirche ist, die jeder Christ, der Untertan dieses Staates ist, nach Christi Gebot hören soll, dann ist jeder Bürger verpflichtet, seinem Staate, d.h. dem oder den Inhabern der höchsten Gewalt, nicht bloß in weltlichen, sondern auch in geistlichen Dingen zu gehorchen. Wäre nicht jeder christliche Staat diese Kirche, dann gäbe es eine andere allgemeinere Kirche, der er zu gehorchen hat; alle Christen müssen dieser so gehorchen wie sie Christo gehorchen würden, wenn er in die Welt käme. Diese Kirche[333] wird also entweder durch einen Einzelnen oder durch eine Versammlung herrschen, und es handelt sich daher um das Recht der Herrschaft. Ebendahin zielt auch die Frage über die Unfehlbarkeit. Wer von dem ganzen menschlichen Geschlechte wahrhaft und innerlich für unfehlbar gehalten würde, der hätte sicherlich alle weltliche und geistliche Herrschaft über die ganze Menschheit, wenn er selbst sie nicht verschmähen würde. Denn wenn er sagt, daß ihm im Weltlichen gehorcht werden müsse, weil man von ihm annimmt, daß er nicht irren kann, so muß ihm dieses Recht der Herrschaft unmittelbar zugestanden werden. Ebendahin zielt das Vorrecht der Auslegung der Heiligen Schrift. Wer die Streitigkeiten über die verschiedene Auslegung der Heiligen Schrift zu entscheiden hat, dem kommt einfach und unbedingt das Recht zu, alle Streitigkeiten zu entscheiden; und ein solcher hat die Herrschaft über alle, welche die Heilige Schrift als das Wort Gottes anerkennen. Ebendahin zielt die Streitfrage über die Macht, Sünden zu vergeben und zu belassen, oder das Recht der Exkommunikation. Denn jedweder, der seiner Sinne mächtig ist, wird in allem ohne Ausnahme dem gehorchen, von dem es nach seiner Meinung abhängt, ob er selig oder verdammt werden soll. Ebendahin zielt die Macht, Ordensgesellschaften zu gründen. Denn diese hängen von dem ab, durch den sie bestehen, und er hat so viel Untertanen wie Mönche, wenn diese Untertanen auch in feindlichen Staatenleben. Ebendahin zielt die Frage über das Richteramt in Ehesachen. Denn dem Richter hierüber gebührt auch die Entscheidung in Fragen der Erbschaft und Nachfolgt aller Güter und Rechte, nicht bloß bei den einzelnen Bürgern, sondern auch bei den Inhabern der Staatsgewalt. Ebendahin zielt gewissermaßen das ehelose Leben der Geistlichen; die Ehelosen sind weniger als die andern mit dem Staate verknüpft; auch darf der Nachteil nicht gering angeschlagen werden, daß die Fürsten dadurch entweder gezwungen sind, die Kirchengewalt, welche ein starkes Band für den bürgerlichen Gehorsam ist, aufzugeben, oder kein erbliches Reich zu haben. Ebendahin zielt die Heiligsprechung einzelner Personen, die bei den Heiden Vergötterung heißt: denn wer fremde Untertanen durch solche[334] Belohnungen an sich locken kann, der kann die Ehrgeizigen darunter zu jeder Unternehmung und jedem Wagestück verleiten. Denn was sonst anderes als Ehre bei der Nachwelt haben die Dezier und andere Römer erstrebt, die sich opferten, und tausend andere, die sich in unglaubliche Gefahren stürzten? Die Streitfragen über das Fegefeuer und den Ablaß sind Vermögensfragen. Die Fragen über den freien Willen, die Rechtfertigung, und die Frage über die Art, wie Christus bei dem Abendmahl empfangen wird, sind dagegen philosophischer Natur. Andere Fragen betreffen gewisse Gebräuche, die nicht von der Kirche eingeführt worden, aber sichern der nicht genügend vom Heidentum gereinigten Kirche erhalten haben. Indes brauche ich davon keine weiter hier aufzuzählen da bekanntlich die menschliche Natur so beschaffen ist, daß bei Streitigkeiten, wo es sich um Macht oder Gewinn oder die Überlegenheit des Geistes handelt, die Menschen einander beschimpfen und verfluchen. Es kann deshalb nicht auffallen, daß es beinahe keinen Glaubenssatz gibt, der nicht im Streit der Meinungen von dem oder jenem für notwendig zur Seligkeit und zum Eintritt in das Reich Gottes erklärt worden wäre; und alle, die solche Sätze nicht zu gestehen, sollen nicht bloß als Widerspenstige behandelt werden; was sie, nachdem die Kirche, einmal diese Sätze anerkannt, hat, in Wahrheit auch sind, sondern als Ungläubige. Indes habe ich oben aus vielen Stellen der Heiligen, Schrift auf das deutlichste gezeigt, daß dies unrichtig ist, und ich füge nur die Worte des heiligen Paulus aus Röm. 14, 3, 5 hinzu: »Wer da ißt, der verachte nicht den, welcher nicht ißt, und wer nicht ißt, der richte nicht über den, der ißt; denn Gott hat ihn angenommen. Einer stellt; den einen Tag über den andern; dem andern sind alle Tage gleich. Ein jeglicher sei seiner Meinung gewiß.«[335]


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Dieser Satz wird möglicherweise vielen Theologen durch seine Neuheit mißfallen; obgleich ich ihn durch das Folgende für hinreichend begründet erachte, habe ich indes es der Mühe wert gehalten, ihn noch weiter zu erläutern. Wenn ich also sage, daß der Satz: Jesus sei Christus, vollständig zu der Seligkeit genüge, so meine ich nicht, daß der Glaube allein zur Seligkeit genüge, sondern ich fordere auch Gerechtigkeit oder den schuldigen Gehorsam gegen Gottes Gesetze, d.h. den Willen, recht zu leben. Zweitens bestreite ich nicht, daß das Bekenntnis vieler anderer Sätze zur Seligkeit ebenfalls notwendig ist, vorausgesetzt daß das Bekenntnis von der Kirche verlangt wird. Allein der Glaube ist etwas Innerliches, das Bekenntnis etwas Äußerliches, und deshalb meine ich, daß nur ersterer eigentlich Glaube ist, letzerer ein Teil des Gehorsams, so daß jener Satz zu dem innern Glauben zureicht, wenn auch nicht zum Bekenntnis eines Christen. Endlich wird, wenn ich früher gesagt habe, daß die wahre und innere Reue über die Sünden zum Heile genüge, dies nicht als Widerspruch gelten können, weil ja in diesem Satz Gerechtigkeit, Gehorsam und ein allen Tugenden zugewandtes Gemüt enthalten ist, wie jedermann anerkennt. Es kann deshalb nicht auffallen, wenn ich sage, daß der Glaube an diesen einen Satz zum Heile genüge, da in ihm so viele andere Sätze enthalten sind. Denn die Worte: Jesus ist Christus, sagen, daß Jesus der sei, den Gott durch die Propheten versprochen hatte in die Welt zu senden, um sein Reich einzurichten, d.h. daß Jesus der Sohn Gottes, des Schöpfers des Himmels und der Erde sei, der von einer Jungfrau geboren und für die Sünden derer, die an ihn glauben würden, gestorben sei; daß er Christus sei, d.h. der König, der wieder aufgelebt sei (denn sonst könnte er nicht wieder herrschen), um die Welt zu richten und jeden nach seinen Werten zu belohnen (denn sonst könnte er nicht König sein); auch daß die Menschen auferwecket werden, denn sonst könnten sie nicht zum Gericht kommen. Somit enthält jener einzige Satz das ganze apostolische Glaubensbekenntnis. Ich habe aber geglaubt, es so zusammenziehen zu sollen, weil ich sah, daß wegen dieses Satzes allein ohne die übrigen, die sich als Folgerungen daraus ableiten lassen, sehr viele sowohl von Christus als von den Aposteln in das Reich Gottes zugelassen wurden; so der Übeltäter am Kreuze; so der von Philippus getaufte Verschnittene; so die 2000 Menschen, welche der heilige Petrus auf einmal in die Kirche aufgenommen hat. Wenn es aber manchem mißfällt, daß ich nicht alle die für ewig verdammt ansehe, die nicht jedem kirchlichen Lehrsatz zustimmen (ihm jedoch nicht widersprechen, sondern, wenn sie müssen, ihn zugeben), so weiß ich nicht, was ich darauf sagen soll. Denn die folgenden klaren Zeugnisse der Schrift machen es mir unmöglich, meine Ansicht zu ändern.

Quelle:
Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil: Lehre vom Menschen und Bürger. Leipzig 1918.
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