Abschnitt II.

[68] Es wird Zeit, mit dieser Untersuchung, die schon zu lang geworden, zu Ende zu kommen. Wir haben vergeblich nach dem Begriff einer Kraft oder nothwendigen Verbindung in all den Quellen gesucht, aus denen sie möglicherweise abfliessen könnte. Es erhellt, dass wir bei den einzelnen körperlichen Vorgängen, auch selbst bei der grössten Genauigkeit, nur die Folge des Einen auf das Andere wahrnehmen; aber keine Kraft oder Macht erfassen, durch welche[68] die Ursache wirkt, und kein Band zwischen ihr und der angenommenen Wirkung. Dieselbe Schwierigkeit zeigt sich bei Betrachtung der Wirksamkeit der Seele auf den Körper; wir sehen dem Wollen der ersten die Bewegung des letzteren folgen, aber können das Band, welches Bewegung und Wollen verknüpft, oder die Wirksamkeit, wodurch die Seele diese Bewegung hervorbringt, nicht wahrnehmen oder erfassen. Die Gewalt des Willens über seine eigenen Vermögen oder Gedanken ist nicht um ein Haar begreiflicher; kurz, in der ganzen Natur zeigt sich nicht ein einziger Fall von Verknüpfung, den man erfassen könnte. Alle Ereignisse erscheinen völlig lose und getrennt; Eines folgt dem Andern, aber niemals können wir ein Band zwischen ihnen wahrnehmen. Sie scheinen verbunden, aber nie verknüpft. Da man keinen Begriff von einer Sache haben kann, welche weder äusserlich noch innerlich wahrgenommen wird, so scheint nothwendig zu folgen, dass wir überhaupt keinen Begriff von Verknüpfung oder Kraft haben, und dass diese Worte, sowohl im philosophischen Untersuchen wie im gewöhnlichen Leben ohne Sinn sind.

Indess bleibt noch ein Weg, um dieser Folgerung zu entgehen, und eine Quelle, die wir noch nicht untersucht haben. Es ist ohne Erfahrung trotz allen Scharfsinns unmöglich, von einem natürlichen Gegenstande oder Ereignisse seine Folge zu entdecken oder nur zu errathen; man kann mit dem Wissen nicht über den Gegenstand hinauskommen, der dem Gedächtniss oder den Sinnen unmittelbar gegenwärtig ist. Selbst nach einem Falle oder Versuche, wo die besondere Folge bemerkt worden, hat man noch kein Recht, eine allgemeine Regel daraus zu bilden oder das vorauszusagen, was in gleichen Fällen eintreten werde. Es gilt mit Recht als eine unverzeihliche Dreistigkeit, von einem einzelnen, wenn auch noch so genauen und gewissen Versuche auf den Lauf der Natur zu schliessen. Ist aber eine besondere Art von Ereignissen immer und in allen Fällen mit einander verbunden gewesen, so ist man nicht länger bedenklich, beim Eintritt des Einen das Andere vorauszusagen und diese Denkweise zu benutzen, welche uns allein über Thatsachen und Dasein Gewissheit geben kann. Man nennt dann das Eine die Ursache und das Andere die Wirkung; man nimmt eine Verknüpfung zwischen ihnen an und eine gewisse Kraft in dem Einen, durch welche das[69] Andere unfehlbar hervorgebracht wird, und welche mit der grössten Gewissheit und strengsten Nothwendigkeit wirkt.

Der Begriff einer nothwendigen Verknüpfung gewisser Vorgänge entspringt daher aus einer Anzahl ähnlicher Fälle, welche diese beständige Verbindung darlegen; der einzelne Fall kann diesen Begriff nie zuführen, wenn man ihn auch von jeder Seite beleuchtet und prüft. Eine Anzahl von Fällen hat aber nichts Unterscheidendes von dem einzelnen Fall, welcher als völlig gleich vorausgesetzt worden ist; ausgenommen, dass in Folge der Wiederholung solcher gleichen Fälle die Seele durch Gewohnheit veranlasst wird, beim Auftreten des einen seinen gewöhnlichen Begleiter zu erwarten und zu glauben, dass er ins Dasein treten werde. Diese Verknüpfung, welche wir in der Seele fühlen, dieser gewohnte Uebergang des Vorstellens von einem Gegenstande zu seinem gewöhnlichen Begleiter ist also eine Empfindung oder ein Eindruck, und daraus wird der Begriff der Kraft oder nothwendigen Verknüpfung gebildet. Weiter enthält der Fall nichts. Man betrachte die Frage von allen Seiten, man wird keinen andern Ursprung dieses Begriffes entdecken. Dies ist der einzige Unterschied zwischen einem einzelnen Falle, aus welchem man nie den Begriff einer Verknüpfung gewinnen kann, und einer Anzahl gleicher Fälle, welche ihn zuführt. Wenn Jemand das erste Mal die Mittheilung der Bewegung durch Stoss wahrnimmt, z.B. zweier Billardkugeln, so kann er nicht sagen, dass das Eine mit dem Andern verknüpft sei, sondern nur dass sie verbunden waren. Erst wenn er mehrere Fälle wahrgenommen hat, sagt er, dass sie verknüpft sind. Was hat sich nun ereignet, um diesen neuen Begriff der Verknüpfung zu erwecken? Nichts, als dass er nunmehr fühlt, wie diese Ereignisse in seinem Vorstellen verknüpft sind, so dass er bei dem Eintritt des Einen die Existenz des Andern gleich voraussehen kann. Wenn man daher von der Verknüpfung zweier Gegenstände spricht, so meint man nur, dass sie im Vorstellen eine Verbindung gewonnen haben und damit die Folgerung des Einen auf das Andere wachrufen. Ein solcher Schluss scheint allerdings etwas sonderbar, aber er besitzt doch genügende Beweiskraft; und diese wird auch nicht durch allgemeines Misstrauen in den Verstand oder skeptische Zweifel gegen eine neue und ungewohnte Folgerung geschwächt. Solche Folgerungen sind dem Skepticismus die[70] willkommensten; sie decken die Schwäche und engen Grenzen der menschlichen Vernunft und Vermögen auf.

Und welcher stärkere Beweis als dieser konnte für die merkwürdige Schwäche und Unwissenheit des Verstandes beigebracht werden? Wenn irgend eine Beziehung zwischen Dingen vollkommen zu kennen für uns von Bedeutung ist, so ist es die von Ursache und Wirkung. Darauf stützen sich alle unsere Schlüsse über Thatsächliches und Dasein. Dadurch allein erreichen wir Gewissheit über Dinge, welche von dem gegenwärtigen Zeugniss des Gedächtnisses und der Sinne weit abliegen. Der einzige unmittelbare Nutzen aller Wissenschaften besteht darin, dass sie uns lehren, wie man kommende Ereignisse durch ihre Ursache beherrschen und leiten kann. Unser Vorstellen und Nachdenken ist fortwährend mit dieser Beziehung beschäftigt. Und doch sind die Begriffe, die man von ihr bildet, so unvollkommen, dass man keine richtige Definition der Ursache geben kann, wenn man nicht ein ihr Aeusserliches und Fremdes mit hineinzieht. Aehnliche Gegenstände sind immer mit ähnlichen verknüpft. Dies sagt uns die Erfahrung. Dem entsprechend kann man die Ursache definiren, als einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, und wo alle dem ersten ähnlichen Gegenstände, solche, die dem zweiten ähnlich sind, zur Folge haben. Oder mit anderen Worten: wo, wenn das erste Ding nicht gewesen wäre, das zweite niemals hätte entstehen können. Der Eintritt einer Ursache führt die Seele durch einen gewohnten Uebergang immer zur Vorstellung der Wirkung. Dies lehrt die Erfahrung ebenfalls. Man kann danach noch eine andere Definition der Ursache geben, als eines Gegenstandes, dem ein anderer folgt, und dessen Eintritt immer die Gedanken auf diesen anderen führt. Obgleich beide Definitionen von Umständen, die der Ursache fremd sind, entlehnt sind, kann man doch diesem Uebelstand nicht abhelfen, noch eine bessere Definition geben, welche den Umstand in der Ursache bezeichnet, der sie mit ihrer Wirkung verknüpft. Man hat keine Vorstellung von dieser Verknüpfung, ja nicht einmal einen bestimmten Begriff von dem, was man damit fordert. So gilt z.B. das Zittern der Saite als die Ursache des Tones. Aber was versteht man unter diesem Satz? Man meint entweder: dass der Ton der Schwingung nachfolgt, und dass allen ähnlichen[71] Schwingungen ähnliche Töne gefolgt sind; oder: dass diese Schwingung von dem Ton gefolgt ist, und dass bei dem Eintritt jener die Seele den Sinnen vorgreift und unmittelbar die Vorstellung des ihr folgenden bildet. Man kann die Beziehung einer Ursache und Wirkung in ein oder der anderen Weise auffassen; aber darüber hinaus hat man keinen Begriff von ihr.A4

Um daher das in diesem Abschnitt Gesagte zusammenzufassen,[72] so ist jede Vorstellung von einem vorgehenden Eindruck oder Empfindung abgenommen; wo man keinen Eindruck finden kann, da ist sicherlich auch keine Vorstellung da. In allen Fällen, wo Körper oder Seelen wirksam sind, erweckt nichts den Eindruck einer Kraft oder nothwendigen Verbindung und kann deshalb auch die Vorstellung einer solchen nicht zuführen. Wenn aber mehrere gleiche Fälle eintreten, und derselbe Gegenstand immer von demselben Erfolge begleitet ist, so beginnt man den Begriff von Ursache und Wirkung zu bilden. Man fühlt dann einen neuen Eindruck oder Empfindung, und so eine gewohnte Verbindung im Denken und Vorstellen zwischen einem Gegenstand und seinem gewöhnlichen Begleiter, und diese Empfindung ist das Urbild zu dem Begriff, den wir fühlen. Dieser Begriff geht nur aus einer Anzahl gleicher Fälle und nicht aus einem einzelnen Falle hervor; also muss er aus dem entspringen, was die Anzahl von dem einzelnen Fall unterscheidet. Diese gewohnte Verknüpfung und dieser Uebergang innerhalb des Vorstellens ist das Einzige, worin beide sich unterscheiden; in allem Anderen sind sie gleich. Der erste Fall, wo man die Mittheilung der Bewegung durch den Stoss von zwei Billardkugeln wahrnimmt (um zu diesem deutlichen Beispiel zurückzukehren), ist genau jedem später vorkommenden Falle gleich; ausgenommen, dass man bei dem ersten Male von dem einen Ereigniss nicht auf das andere schliessen konnte, was wir jetzt nach einer langen Reihe gleicher Erscheinungen im Stande sind. Ich weiss nicht, ob der Leser diese Darstellung leicht fassen wird; wollte ich noch mehr Worte verwenden oder den Gegenstand in mannichfacheres Licht stellen, so fürchte ich, ihn nur dunkler und verworrener zu machen. In allen tieferen Untersuchungen giebt es einen Gesichtspunkt, der, wenn er glücklich getroffen wird, den Gegenstand besser erläutert als alle Beredsamkeit und aller Wortreichthum der Welt. Diesen Gesichtspunkt habe ich zu gewinnen versucht; den Schmuck der Beredsamkeit überlasse ich Denen, die dazu geschickter sind.[73]

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Nach diesen Erläuterungen und Definitionen ist der Begriff der Kraft also nur eine Beziehung, wie der der Ursache; Beide beziehen sich auf eine Wirkung oder ein Ereigniss, was mit jener verbunden ist. Betrachtet man jene unbekannte Bestimmung an einem Gegenstände, wodurch das Maass oder die Grösse seiner Wirkung bestimmt und festgestellt wird, so nennt man es Macht; demgemäss ist die Wirkung, wie alle Philosophen anerkennen, das Maass der Macht. Hätte man eine Vorstellung von der Macht an sich, weshalb mässe man sie nicht unmittelbar? Der Streit, ob die Kraft eines bewegten Körpers gleich ist seiner Schnelligkeit oder gleich dem Quadrat seiner Schnelligkeit, brauchte dann nicht durch Vergleichung seiner Wirkungen in gleichen oder ungleichen Zeiten entschieden zu werden, sondern könnte es durch unmittelbare Messung und Vergleichung.

Den Worten: Kraft, Macht, Wirksamkeit begegnet man zwar überall in der Unterhaltung und Philosophie; aber das beweist nicht, dass wir in dem einzelnen Fall mit dem verknüpfenden Prinzip zwischen Ursache und Wirkung bekannt wären und schliesslich die Hervorbringung des einen Dinges durch das andere erklären könnten. Diese Worte haben trotz ihres häufigen Gebrauchs eine sehr schwankende Bedeutung, und ihre Begriffe sind unbestimmt und verworren. Kein lebendes Wesen kann einen Körper in Bewegung setzen ohne das Gefühl des Nisus oder der Anstrengung, und jedes fühlt den Schlag oder Stoss eines in Bewegung befindlichen Körpers. Die Empfindungen, die nur dem Leben angehören, und aus denen man a priori nichts folgern kann, überträgt man bereitwillig auf leblose Dinge und nimmt ein gleiches Gefühl bei ihnen an, wenn sie Bewegung empfangen oder übertragen. Was die Wirksamkeit anlangt, welche keine Vorstellung einer mitgetheilten Bewegung enthält, so halten wir uns nur an die beständig wahrgenommene Verbindung der Vorgänge; wir fühlen da eine gewohnte Verknüpfung der Vorstellungen und übertragen diese Gefühle auf die Gegenstände; denn nichts ist gebräuchlicher, als den äusseren Körpern die innerlichen Empfindungen beizulegen, welche sie veranlassen.

Quelle:
David Hume: Eine Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes. Berlin 1869, S. 68-74.
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