IV

[18] Den am Yamunā-Stromufer im Laubhause verweilenden

Hari voll Liebesunruhen grüßte die Freundin Rādhā's itzt:

(1)


Sandel verbannt sie, die Strahlen des Mondes erkennt sie für Qualenumschnürung,

Nennt die malayischen Lüfte vergiftet von Schlangengebirges Berührung,

Sie, von der Trennung erkrankend,

Kṛṣṇa, geschreckt von Anaṅga's Geschossen, als einzigen Hort dich umrankend.

(2)


Um vor den dicht sich ergießenden Madana-Pfeilen dir Schirmung zu geben,

Wölbt sie ums Herz, wo du wohnest, ein Schild sich aus tauigen Lotosgeweben,

Sie, von der Trennung erkrankend,

Kṛṣṇa, geschreckt von Anaṅga's Geschossen, als einzigen Hort dich umrankend.

(3)


Aus den Geschossen des blumenverschießenden Gottes, versenkt in Gefühle,

Häufet sie deiner Umarmungen Wonnen geweihete, blumige Pfühle,

Sie, von der Trennung erkrankend,

Kṛṣṇa, geschreckt von Anaṅga's Geschossen, als einzigen Hort dich umrankend.

(4)
[19]

Ihres Gesichtes Nymphäe bewegt sie, von rinnenden Tränen umflossen,

Ähnlich dem Mond, der, vom Rachen des Rāhu bedrängt, hat sein Amṛt vergossen,

Sie, von der Trennung erkrankend,

Kṛṣṇa, geschreckt von Anaṅga's Geschossen, als einzigen Hort dich umrankend.

(5)


Mit Antilopengewürze sie malet dich heimlich als Schürer der Gluten,

Betet das Bild an, in Händen den Makara haltend und Pfeile von Cūten,

Sie, von der Trennung erkrankend,

Kṛṣṇa, geschreckt von Anaṅga's Geschossen, als einzigen Hort dich umrankend.

(6)


Also die Wiederkehr singet sie: Mādhava! Sieh mich zu Fuße dir fallen;

Kehrst du dich ab, so wird Feuer statt Nektar im Becher des Mondes mir wallen.

Sie, von der Trennung erkrankend,

Kṛṣṇa, geschreckt von Anaṅga's Geschossen, als einzigen Hort dich umrankend.

(7)


Hin in Gedanken geschmolzen, sie stellt sich dich vor, dich so schwer zu erflehen,

Klaget und lachet und lieget und weinet und wandelt und wechselt die Wehen,

Sie, von der Trennung erkrankend,

Kṛṣṇa, geschreckt von Anaṅga's Geschossen, als einzigen Hort dich umrankend.

(8)
[20]

Ihre Wohnung dünkt ein wilder Wald ihr,

Und ihr Mägdechor ein Jägernetz,

Während ihre glüh'nden Seufzerhauche

Bilden eines Waldbrands Flammenkranz;

Doch sie selbst durch deine Flucht, o Jammer,

Nahm Gazellenbild an, ach und wie

Kāma die Gestalt gewann von Yama,

Und beschickt mit Lust sein Tigerspiel!

(10)


Selber vom lieblichen Kranz, der sie schmücket,

Fühlt die Gemagerte sich wie gedrücket,

Rādhā, in deiner Trennung, o Keśava!

(11)


Saftige weichliche Salbe von Sandeln

Fühlt sie in Gift auf dem Leib sich verwandeln,

Rādhā, in deiner Trennung, o Keśava!

(12)


Seufzers unendlich gedehnetes Hauchen

Lässet wie Madana's Lohe sie rauchen,

Rādhā, in deiner Trennung, o Keśava!

(13)


Um und um drehet sie, träufelnden Spieles,

Augennymphäen gesunkenen Stieles,

Rādhā, in deiner Trennung, o Keśava!

(14)


Zweifelnd besieht sie ihr blumiges Bette,

Das ihr erscheint wie Hutāśana's Stätte,

Rādhā, in deiner Trennung, o Keśava!

(15)
[21]

Still auf die Hand nur die Wange sie leget,

Wie sich am Abend der Mond nicht beweget,

Rādhā, in deiner Trennung, o Keśava!

(16)


Hari, o Hari! so ruft sie erbangend,

Selbst in der Trennung zu sterben verlangend,

Rādhā, in deiner Trennung, o Keśava!

(17)


Sie schauert, stöhnet, winselt, zittert, schweigt,

Sinnt, schwärmet, nickt, fällt, strebet, schwiemet hin;

Nur deine Huld erhält die Holde noch,

O Himmelsarzt, sonst bleibt kein Anhalt ihr.

(19)


Wenn die Liebeskranke, süßer Götterarzt,

Deren Heilung deines Leibes Amṛt ist,

Wenn du Rādhā von dem Weh nicht retten willst,

Indra's Bruder, bist du hart wie Indra's Keil.

(20)


Unter Kāma's Drang und Andrang kranken Leibs, o Wunder, fühlt

Ihr Gemüt, an Sandel, Mond und Lotos denkend, Traurigkeit.

In Geduld nur die Gedanken ganz auf deinen kühlen Leib

Richtend, einz'ger Freund, im stillen atmet noch die schwindende.

(21)


Die, durch ein Blinzen deines Augs gekränkt schon,

Sonst keinen Augenblick ertrug die Trennung,

Wie seufzt sie jetzt, da den Rasāla-Strauch sie

Durch Trennungslänge siehet neu beblütet.

(22)

Quelle:
Gītagovinda: Das indische Hohelied des bengalischen Dichters Jayadeva. Leipzig [1920], S. 18-22.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon