VII

[28] Der, dem zur Last fällt Fall und Fehltritt vieler

Nachtwandlerinnen (davon trägt er Flecken),

Jetzt um Vṛndāvan's Wald ein Strahlnetz wob er,

Der Mond, am Mund der Nacht ein Sandeltropfen.

(1)
[28]

Da hin die Lichtscheib' eilte,

Und ferne weilte Mādhava von ihr,

Hub an mit lauten Klagen

Ihr Leid zu sagen Rādhā so:

(2)


Ach! Der Freund läßt zur Frist mich im Hain unbesucht!

Welken muß meines Leibs Jugendblüt' ohne Frucht.

Ha, an wen wend' ich mich? Auch der Herzfreundin

Wort ist Betrug.

(3)


Dem ich nachgehe nachts tief in Waldwüstenei'n,

Madana's Pfeile bohrt er ins Herz mir, o Pein!

Ha, an wen wend' ich mich? Auch der Herzfreundin

Wort ist Betrug.

(4)


Sterben! Was bleibt mir sonst? Soll ich mit krankem Leib,

Sinnberaubt, diese Glut tragen, glückloses Weib?

Ha, an wen wend' ich mich? Auch der Herzfreundin

Wort ist Betrug.

(5)


Ach, wie bringt Kummer mir diese lenzlaue Nacht!

Welche Glücksel'ge hat sie in Lust dort durchwacht?

Ha, an wen wend' ich mich? Auch der Herzfreundin

Wort ist Betrug.

(6)


Meines Leibs Edelsteinspangenschmuck, keine Lust,

Keinen Trost bringt er mir unter'm Brand meiner Brust.

Ha, an wen wend' ich mich? Auch der Herzfreundin

Wort ist Betrug.

(7)
[29]

Selbst der Strauß, den ich drück' an dies Herz blumenweich,

Tötet mich, denn er sieht jenes Gotts Pfeilen gleich.

Ha, an wen wend' ich mich? Auch der Herzfreundin

Wort ist Betrug.

(8)


Hier am Fluß seh' ich Schilfrohre stehn ohne Zahl,

Doch es denkt Mādhava mein nicht ein einzig Mal.

Ha, an wen wend' ich mich? Auch der Herzfreundin

Wort ist Betrug.

(9)


Was ist es? Geht er Schönen nach? Hält ihn umringt der Reigen

Von frohen Tanzgenossen? Ging er irr im dunklen Haine?

Vermag der liebe lässige nicht einen Schritt zu schreiten,

Daß den bestimmten Ort der Rankenhütt' er nicht besucht hat?

(11)


Da sie nun ohne Mādhava die Freundin

Sah wiederkommen schweigend und verlegen,

Argwohnte sie, den Weltersehnten habe

Verlockt ein Weib, und sprach, als ob sie's sähe:

(12)


Rüstig geschürzet zu Madana's Kriegen,

Blumenverstreuender Haare, die fliegen,

Liebend mit Hari vereint,

Scherzt eine, die mir selig scheint.

(13)
[30]

Trunken von Hari's Umarmung durchzittert,

Während der Schmuck auf dem Busen ihr schüttert,

Liebend mit Hari vereint,

Scherzt eine, die mir selig scheint.

(14)


Mond des Gesichtes von Locken umflogen,

Saugend an Lippen und müde gesogen,

Liebend mit Hari vereint,

Scherzt eine, die mir selig scheint.

(15)


Ohrengehäng' um die Wangen bewegend,

Rasch mit der klingelnden Hüfte sich regend,

Liebend mit Hari vereint,

Scherzt eine, die mir selig scheint.

(16)


Lächelnd am Blicke des Liebsten errötend,

Liebesentzückungen wonniglich flötend,

Liebend mit Hari vereint,

Scherzt eine, die mir selig scheint.

(17)


Schauerdurchrieselt, empfindungdurchzittert,

Stöhnend und blinzend, von Kāma umwittert,

Liebend mit Hari vereint,

Scherzt eine, die mir selig scheint.

(18)


Der wie Hari's sehnsuchtbleiches Antlitz

Lächelt, um den Kummer zu zerstreuen,

Ach, der Mond, er breitet übers Herz voll

Herzenliebe mir nur Liebespein.

(21)
[31]

Aufs liebesentzündete kußlichgemündete Antlitz der Liebsten malt

Er mit Schauderbeschleichen aus Muscus ein Zeichen, als Reh, das im Monde strahlt.

O wie spielt an Yámunā's waldigem Strand

Madhusūdana jetzo, der Held!

(22)


In das Wolkengeflocke der glänzenden Locke, weht um der Wangen Zier,

Flicht er Kuraba-Spitzen, die flattern gleich Blitzen, in Madana's Jagdrevier.

O wie spielt an Yamunā's waldigem Strand

Madhusūdana jetzo, der Held!

(23)


Des Busens gelüftete muscusdurchdüftete wölbende Himmelsflur,

Er besternt sie mit reinen Gehängen von Steinen, ihr Mond ist die Nagelspur.

O wie spielt an Yamunā's waldigem Strand

Madhusūdana jetzo, der Held!

(24)


Den Arm ohne Mängel, den Lilienstengel, den Lilienhand bezweigt,

Umspangt er mit Bienen, mit feur'gen Rubinen, den Arm, der dem Schnee'e gleicht.

O wie spielt an Yamunā's waldigem Strand

Madhusūdana jetzo, der Held!

(25)


Ums Wonnegelände der schwellenden Lende, den Madana-Thron von Gold,[32]

Ist der festliche Bogen des Sieges gezogen, der Gürtel juwelenhold.

O wie spielt an Yamunā's waldigem Strand

Madhusūdana jetzo, der Held!

(26)


Die Kámala-Schüsse, die weichlichen Füße, mit Nageljuwel geschmückt,

Belegt er zum Schutze mit Yāvaka-Putze, indem er ans Herz sie drückt.

O wie spielt an Yamunā's waldigem Strand

Madhusādana jetzo, der Held!

(27)


Da also der Sieger, der Bruder vom Pflüger, ein reizendes Weib umkos't,

Was weil' ich, zum Raube dem Gram, in der Laube, o Freundin, hier ohne Trost?

O wie spielt an Yamunā's waldigem Strand

Madhusūdana jetzo, der Held!

(28)


Was, Freundin, wenn der Grausame nicht kam, o Botin, grämst du dich?

Ergötzt der Vielgeliebte sich nach Lust, was ist es deine Schuld?

Sieh, zur Vereinung mit dem Freund, gezogen von des Liebsten Zier,

In Sehnsuchtwehn ergossen, soll nun diese Seele selber gehn.

(30)


Unter dem lächelnden Blick des Genossen

Schmachtet sie nicht auf dem Lager von Sprossen,

Sie, o Freundin, mit der Vanamālin spielt.

(31)
[33]

Unter dem Hauche vom blühenden Munde

Fühlet sie nicht von Anaṅga die Wunde,

Sie, o Freundin, mit der Vanamālin spielt.

(32)


Unter'm ambrosischen Kosen gelinde

Trinket sie Glut nicht im Málaya- Winde,

Sie, o Freundin, mit der Vanamālin spielt.

(33)


Unter den glänzenden Lilienhänden

Dürfen sie Strahlen des Mondes nicht blenden,

Sie, o Freundin, mit der Vanamālin spielt.

(34)


Unter der tauenden Wolke der Wonnen

Ist sie dem Jammer der Trennung entronnen,

Sie, o Freundin, mit der Vanamālin spielt.

(35)


Unter dem Glanze des Schmucks des Getreuen

Braucht sie kein Mägdegelächter zu scheuen,

Sie, o Freundin, mit der Vanamālin spielt.

(36)


Unter dem Schirme des Schönsten von allen

Trifft sie kein Weh, denn sie hat ihm gefallen,

Sie, o Freundin, mit der Vanamālin spielt.

(37)


Kāma's Wonn' erregender, o Sandelwind,

Schenk' mir Huld und wehe recht! O sei nicht links!

Schöpfungsodem, bring' mir einen Augenblick

Hari her, und nimm den Odem mir dafür!

(39)
[34]

Malaya-Luft, gib mir den Tod! Fünfpfeiliger,

Nimm meinen Hauch hin! Nicht nach Hause geh ich mehr.

Was, Yama's Schwester, schonest du? In deine Flut

Tauch' meine Glieder, lösche dieses Leibes Brand!

(41)

Quelle:
Gītagovinda: Das indische Hohelied des bengalischen Dichters Jayadeva. Leipzig [1920], S. 28-35.
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