VIII

[35] Doch nach endlich hingebrachter Nacht,

Morgens, noch von Smara's Pfeile wund,

Sprach zu dem, vor ihr zwar auf den Knien

Gnade fleh'nden, sie doch voll Verdruß:

(1)


Dein von beschwerlicher nächtlicher Wache gerötetes Auge, das träge

Blinzende, trägt es nicht gleichsam zur Schau des erwünschten Genusses Gepräge?

Hárihari! Geh nur, Mādhava! Geh nur, Kéśava! Rede nicht trügliche Worte!

Lotosgeaugeter, suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

(2)


Die von geküssetem, dunkelgeschminketem Auge geliehenen Schwärzen

Färben die rötlichen Lippen, o Kṛṣṇa, dir ganz überein mit dem Herzen.

Harihari! Geh nur, Mādhava! Geh nur, Keśava! Rede nicht trügliche Worte!

Lotosgeaugeter, suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

(3)
[35]

Zeiget dein Leib doch die Spuren geschärfeter Nägel kandarpischen Krieges,

Wie die smaragdene Tafel in goldenen Zügen das Denkmal des Sieges!

Harihari! Geh nur, Mādhava! Geh nur, Keśava! Rede nicht trügliche Worte!

Lotosgeaugeter, suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

(4)


Glänzt nicht dein edeler Busen vom Lacke, dem Lotos des Fußes entflossen,

Wie um von außen zu weisen vom Baume der Liebe die neuesten Sprossen?

Harihari! Geh nur, Mādhava! Geh nur, Keśava! Rede nicht trügliche Worte!

Lotosgeaugeter, suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

(5)


Spuren verwundender Zähn' auf den Lippen erregen mir Gram im Gemüte,

Fragen mich, ob unversehrt ich bei mir nun den Leib des Geliebten wohl hüte?

Harihari! Geh nur, Mādhava! Geh nur, Keśava! Rede nicht trügliche Worte!

Lotosgeaugeter, suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

(6)


Deine befleckte Gesinnung, o Kṛṣṇa, ist gleichsam von außen zu sehen;

Sprich, was betörst ein ergebenes Weib du, das ringet in Madana's Wehen?[36]

Harihari! Geh nur, Mādhava! Geh nur, Keśava! Rede nicht trügliche Worte!

Lotosgeaugeter, suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

(7)


Edler, du schweifest, um Weiber zu fahen, in Wäldern, was ist da zu staunen?

Pūtanikā schon bezeugt dir die kindischen frauenverderblichen Launen.

Harihari! Geh nur, Mādhava! Geh nur, Keśava! Rede nicht trügliche Worte!

Lotosgeaugeter, suche nur die, die dir dienet im Kummer zum Horte!

(8)

Quelle:
Gītagovinda: Das indische Hohelied des bengalischen Dichters Jayadeva. Leipzig [1920], S. 35-37.
Lizenz:
Kategorien: