[Kommentare] [2]

[435] 1. Sowohl der Upaskâra als die Vivriti bemühen sich, die ganze Schlusstheorie der Schule, wie sie späterhin ausgebildet wurde, in dieses Sûtra hineinzulegen. Da ich diese Theorie schon oben hinreichend erörtert habe, so übergehe ich die Auseinandersetzung, ausgenommen, so weit sie zur Erklärung dieses Sûtra dient.

Das argumentative Wissen, sagt die Vivriti, ist dreifach, nämlich sofern es das Vorangehende, sofern es das Nachfolgende, oder sofern es das allgemein Aufgefasste hat. Das Vorangehende ist die Ursache, und demgemäss ein solcher Beweisgrund, das Nachfolgende die Wirkung, und demgemäss ein solcher Beweisgrund, und das allgemein Aufgefasste ist ein Beweisgrund, welcher von der Wirkung und Ursache verschieden ist. Dies von Gautama Gesagte spricht das Sûtra so aus: »Von diesem ist dies«. Wo ein solcher Gebrauch Statt findet, von diesem, zu Folgernden, ist dies, das Folgernde, nämlich eine Wirkung, da ist der Beweisgrund eine Wirkung1, wie wenn von dem Rauche u.s.w. als dem Beweisgrunde auf das Feuer u.s.w. geschlossen2 wird. (Wo ein solcher Gebrauch Statt findet:) Von diesem ist dies die Ursache, da ist der Beweisgrund eine Ursache, wie wenn von der besonderen Höhe der Wolken auf Regen [430] geschlossen wird. Der Beweisgrund, welcher von Ursache und Wirkung verschieden ist, nämlich das Allgemein-Aufgefasste, ist mehrfach, wie wenn man durch den Beweisgrund einer besondern Mörserkeule vermittelst der Verbindung auf die (Anwesenheit des) Eisens in der Mörserkeule u.s.w. schliesst; ebenso beim Anblick einer besonderen Art von Schlange, welche in zitternder Bewegung ist, auf die Anwesenheit eines Ichneumon im Dickicht u.s.w., ebenso von der heissen Tastbarkeit, welche dem Feuer inhärent3 ist, auf Feuer in einem Kochtopfe u.s.w.

2. Von der Erkenntniss: »Von diesem«, dem Einschliessenden, dem zu Folgernden, »ist dies«, das Folgernde, das Eingeschlossene entsteht das argumentative Wissen. Kârya-kârana-sambandha (Wirkung, Ursache und Verbindung) meint die Verbindung zugleich mit den Wirkungen und Ursachen. Verbindung bezeichnet hier das Verbundene, »entsteht von einem Theile«, einem Gliede, einem besonderen Grunde, wird dadurch Grund, dass er auf einen besonderen Grund sich bezieht. Demnach wo die Wirkung der Beweisgrund, da ist es der Schluss vom Nachfolgenden, wo die Ursache der Beweisgrund, da ist es der Schluss vom Vorangehenden, wo das Verbundene, das von Wirkung und Ursache Verschiedene, das Verbindung-Habende der Beweisgrund irgend eines zu Folgernden ist, da ist der Schluss vom Allgemein- Aufgefassten, und der Sinn ist, dass in den eben genannten Schlüssen das Allgemein-Aufgefasste enthalten ist. Die aber, welche die Schlüsse in die nur einschliessenden, nur ausschliessenden, und in die zugleich ein- und ausschliessenden eintheilen, erklären die beiden letzten Sûtra auf andere Weise; eine Auseinandersetzung derselben aber haben wir wegen der Weitläufigkeit der Sache unterlassen. V.

Der Upaskâra erklärt avayava (Theil) durch einen Theil, ein Glied des fünfgliedrigen Schlusses. Dies ist gewiss nicht recht; denn von diesem hängt nicht bloss die Folgerung auf die Wirkung u.s.w., sondern die Folgerung im Allgemeinen ab. Ich fasse den Zusammenhang beider Sûtras folgendermassen auf. Im zweiten Sûtra beantwortet Kaṇâda die Frage, was das argumentative Wissen sei, durch eine Aufzählung seiner Arten. Damit ist nun die Frage noch nicht beantwortet, und zur schärferen Bestimmung erklärt er demnach im 3ten Sûtra zuerst die allgemeine Natur des argumentativen Wissens, und zerlegt es sodann in seine Arten, welche im Gegensatz zu den fünf im vorangehenden Sûtra zunächst nur drei sind.

[431] 3. »Hiermit«, durch die Anführung des argumentativen Wissens ist das »Wortwissen«, das Wissen, welches durch das Wort hervorbracht wird, ebenfalls »erklärt«, angegeben. Von den Anhängern der Nyâya und andern wird ein Wissen, welches die Natur der Auffassung hat, und von der Wahrnehmung und dem Schlusse verschieden ist, unter dem Namen des Wissens, welches den Zusammenhang lehrt, angenommen; von den Anhängern der Vaiçeshika wird es aber nicht zugestanden. Anstatt des Wissens der Worte findet (nach ihnen) ein Schluss Statt auf die Verbindung des Worts mit seiner Bedeutung. Deshalb, wenn man den Satz: »die Kuh ist«, gehört hat, so findet ein Schluss Statt wie: die Kuh ist, gleich dem Topfe, weil er (der gehörte Satz) erinnert an das Wort, welches das Substrat für die Ergänzung ist gemäss dem Zusammenhange mit dem Begriffe des Seins als seinem (nämlich des Wortes) Prädikate, oder auch, die Kuh ist gleich dem Auge, weil er (jener Satz) an das Wort »Kuh«, welches mit dem Worte »ist« verbunden ist, erinnert. Nicht aber ist das Wort-Wissen ein besonderes; weil ohne die Gewissheit der Verbindung solcher Art, wie die Worte in Einem Satze erhalten haben, selbst bei der Angabe des Arguments, das Wissen des Zusammenhangs nicht möglich ist, deshalb ist jene (Gewissheit vorher nothwendig ...) Oder auch: das Wort »Kuh« ist begleitet von dem Wissen des Gegenstandes, welchem der Begriff des Seins einwohnt, weil das Wort »Kuh« seine Ergänzung in dem Worte »ist« hat. Was nicht so ist, das ist nicht so, wie z.B. der Aether. Auf diese Art entsteht ein Schluss, wenn ein Wort das Subjekt (des Schlusses) ist. Oder auch der Schluss entsteht vom Allgemeinen, auf diese Art: Diese Wortbedeutungen sind mit einander verbunden, weil sie die Worte mit ihrer Ergänzung u.s.w. in Erinnerung bringen, gleich wie die Worte mit ihrer Bedeutung: »Treibe die Kuh her«. Oder auch ein solcher Schluss: Diese Worte sind begleitet von dem Wissen der Verbindung der in Erinnerung gebrachten Wortbedeutungen, weil sie eine Anzahl von Worten sind, welche ihre Ergänzung u.s.w. haben; gleich der Anzahl von Worten: Treibe die Kuh mit dem Stocke her. V.

5. Weil sie abhängen von einem solchen Wissen, »von diesem«, Einschliessenden, Zu-Folgernden, »ist dies«, der Grund, das Eingeschlossene, und der vollständige Sinn ist, weil sie abhängen von dem Wissen des Eingeschlossenseins. Zu ergänzen ist: fallen Vergleich, [432] Muthmassung und Gerücht unter den Begriff des argumentativen Wissens. Die durch Vergleich entstandene Erkenntniss ist nun, wie folgt: Wenn ein Dorfbewohner zum ersten Male einen bos Gavaeus sieht, so entsteht für ihn das Wissen der Wahrnehmung: Dieses (Thier) ist dem Rinde ähnlich. Er erinnert sich sodann der Belehrung, dass ein dem Rinde ähnliches (Thier) mit dem Worte: Gavaeus benannt werde, und nun entsteht das Wissen, diese Gattung ist durch das Wort »Gavaeus« zu benennen. Ein solches Wissen ist nun nach der Ansicht der Anhänger der Nyâya Vergleich, nach Kaṇâda's Ansicht dagegen ist es Schluss, weil durch das Argument der Aehnlichkeit mit dem Rinde, welches (Argument) als das unter dem Worte »Gavaeus« Eingeschlossene aufgefasst wird, zu der Zeit die Folgerung entsteht auf das, was durch das Wort »Gavaeus« ausgesagt wird; in einem Zustande aber, wo das Wissen des Eingeschlossen-Seins nicht vorhanden ist, entsteht nicht das Wissen, welches durch das Wort »Gavaeus« ausgesagt wird. Oder auch: Nach der Wahrnehmung des Gavaeus wird das Wort »Gavaeus« die Mittel-Ursache der Thätigkeit mit Rücksicht auf den Begriff des Gavaeus, weil, wenn kein anderer Zustand Statt findet, (dieses Wort) von den Erfahrenen darauf (auf den Begriff) angewandt wird. Oder auch durch einen solchen Schluss: – Das Wort »Gavaeus« ist die Mittel-Ursache mit Rücksicht auf das, auf welches eine Thätigkeit Statt findet, weil es ein angemessenes (sâdhu) Wort ist«, – tritt vermöge des Prädikates des Subjektes (des Schlusses) die Mittel-Ursache der Thätigkeit hervor.

Die Mîmânsaka nehmen die Muthmassung als eine andere Art des Beweises an. Zur Erklärung: Wo durch die Astrologie das Leben Devadatta's auf 100 Jahre und durch die Wahrnehmung festgestellt ist, dass der Lebende nicht im Hause ist, da wird ein Ausser-dem-Hause-Sein vermuthet, weil sonst ein Leben von 100 Jahren nicht möglich wäre. Dieser (Annahme) nun wird nicht beigestimmt, weil sie im Schlusse enthalten ist. Weil hier das Leben die Alternative einschliesst, dass er entweder im Hause ist oder nicht ist, so tritt, weil das Im-Hause-Sein verboten ist, im Schlusse das Nicht-Im-Hause-Sein hervor. Ebenso in einem Satze wie: Der fette Devadatta isst Nichts während des Tages, ist das Essen etwas Erwiesenes, weil das Fettsein in dem Essen eingeschlossen ist, und so ist, weil das Essen während des Tages verboten ist, das Essen während der Nacht erwiesen.

Ebenso nehmen die Paurânikas Wahrscheinlichkeit und Gerücht als andere Arten von Beweisen an. Auf diese Art: Wahrscheinlichkeit ist ein Wissen, abhängig von vielfachem Vorkommen, wie, es ist wahrscheinlich, dass ein Brahmane gelehrt ist; es ist wahrscheinlich, dass es unter tausend (Brahmanen) hundert (Gelehrte) giebt, und es ist die Ansicht der Paurânikas, dass hier ein Eingeschlossen-Sein nicht nothwendig ist. Ebenso verhält es sich mit [433] dem Gerücht, welches in der Form: so sagt man, erscheint; denn dies ist eine durch Ueberlieferung empfangene Rede, wo kein bestimmter Sprecher vorhanden ist, z.B. (die Aussage:) in diesem indischen Feigenbaum ist ein Yaksha, ist nach dem Dafürhalten der Paurânikas nicht in dem Wort-Wissen enthalten, weil sie nicht gewiss ist durch das Wort kompetenter Personen. Mit dieser Ansicht stimmen wir nicht überein, weil das Gerücht, als das Wesen des Wort-Wissens in sich tragend, eben in dem Schlusse enthalten ist. Auch die Wahrscheinlichkeit, wenn sie von dem Eingeschlossen-Sein abhängt, ist im Schlusse enthalten; hängt sie aber nicht davon ab, so ist sie kein Beweis. So wird auch von Gautama (II. 10, 30) gesagt: Weil Gerücht im Wort-Wissen, und Vermuthung, Wahrscheinlichkeit und Nicht-Existenz im Schlusse enthalten sind, so gibt es keinen Widerspruch (von unserer Annahme von nur vier Arten des Beweises). Nach der Ansicht des Bhatta und der Vedânta giebt es noch eine andere Art von Beweis, nämlich die Nicht-Auffassung, und durch sie entsteht das Wissen der Nicht-Existenz. Auch diese Ansicht ist uns nicht genehm. An der Stelle der Nicht-Auffassung entsteht eine Wahrnehmung durch eine Besonderheit(?) welche mit einem Sinne verbunden ist, und hier bestreiten wir nicht die Nicht-Auffassung als eine Ursache; aber dass sie ein anderer Beweis sei, ist durchaus unangemessen. V.

6. »Eine besondere Verbindung«, eine Verbindung mit Anstrengung u.s.w.; von dieser, als der nicht-inhärenten Ursache, entsteht in der Seele, als der inhärenten Ursache, die Erinnerung, ein besonderes Wissen. Die Mittel-Ursache wird angegeben »von der Selbst-Wiedererzeugung«. Das »So wie« schliesst die vorangegangene Auffassung, welche thätig ist, ein. Die Erinnerung folgt der Wahrheit oder Nicht-Wahr heit der Auffassung. Wie Jemand flieht, der einen Strick als eine Schlange auffasst, so geschieht es eben in der Erinnerung. Auch findet nicht immer Erinnerung Statt, weil die Selbst-Wiedererzeugung von erweckenden (Hilfs-Ursachen) abhängt. U.

Etwas verschieden ist die Erklärung der Vivriti: »Durch eine besondere Verbindung der Seele und des innern Sinns«, durch eine Verbindung der Seele und des innern Sinns mit dem Wunsche sich an etwas zu erinnern u.s.w., »durch die Selbst-Wiedererzeugung, welche von allgemeiner Art ist und Einbildung heisst, und durch das »So wie«, durch die Wiedererweckung« entsteht die Erinnerung. Hier ist das Organ die Gewissheit, welche in Aufmerksamkeit besteht, die Selbst-Wiedererzeugungn ist die Thätigkeit, die Wiedererwecker sind die Hilfs-Ursachen derselben (der Selbst-Wiedererzeugung), die [434] Verbindung der Seele und des innern Sinns ist die nicht-inhärente Ursache, und die Anstrengung u.s.w., welche in dem Wunsche sich zu erinnern besteht, die Mittel-Ursache.

7. So wie die Erinnerung durch eine besondere Verbindung der Seele und des innern Sinnes und durch die Selbst-Wiedererzeugung entsteht, so auch der Traum. Die innere Auffassung, welche für den, dessen Sinnes-Organe beruhigt und dessen innerer Sinn erloschen ist, durch den Sinn entsteht, ist das Traum-Wissen. U.

Das Traum-Wissen ist nun ferner nach dem Upaskâra von dreifacher Art, nämlich 1. das, was von einer starken Selbst-Wiedererzeugung entsteht, 2. das, was durch fehlerhafte Saft-Mischungen wie der Galle u.s.w. entsteht, und 3. das, welches durch das Geschick, d.h. durch Verdienst und das Gegentheil desselben entsteht.

8. »Auf dieselbe Weise«. Wie durch eine besondere Verbindung der Seele und des innern Sinnes, sowie durch Selbst-Wiedererzeugung der Traum entsteht, so auch das Wissen am Ende des Schlafes. Der Unterschied zwischen beiden aber ist, dass das Traum-Wissen von einer durch eine frühere Auffassung hervorgebrachten Selbst-Wiedererzeugung, das Wissen unmittelbar nach dem Schlafe aber durch eine zu der Zeit hervorgebrachte Selbst-Wiedererzeugung entspringt. U.

9. Das »Auch« schliesst auch Nicht-Verdienst ein. Auch das Geschick ist eine besondere Ursache des Traum-Wissens und des Wissens, welches dem Schlafe unmittelbar folgt. V.

10. Nach einer anderen Eintheilung ist das Wissen zwiefach, Erkenntniss und Nicht-Erkenntniss. In diesem Sûtra wird nun die Ursache der Nicht-Erkenntniss angegeben: Ein Fehler der Sinne, wie z.B. die Augenkrankheit, welche Kâcha genannt wird u.s.w. ein Fehler der Selbst-Wiedererzeugung, hervorgebracht durch eine irrthümliche Auffassung. Durch das »und« werden solche Arten, wie Ferne u.s.w., und Ueberlegungen, welche von einem nicht-seienden Grunde ausgehen, zusammengefasst. Demnach, bei einem Nicht-Wissen, einer Nicht-Erkenntniss ist ein Fehler die Ursache. Der Fehler aber giebt es verschiedene, wie Galle, Ferne u.s.w. V.

11. Fehlerhaft, durch einen Fehler entstanden.

Fußnoten

1 Anstatt arthât habe ich attra übersetzt.


2 Das amânam des Textes muss ein Druckfehler für anumânam sein.


3 Den Zusatz habe ich weggelassen, weil ich ihn nicht verstehe.

Quelle:
Die Lehrsprüche der Vaiçeshika-Philosophie von Kaṇâda. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 22, Leipzig 1868, S. 383–442, S. 430-436.
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