Adscha und Indumati,

Eine Idyllische Romanze

(Aus Kalidasa's »Raghu-wansa«.)

König Adscha von Ajodhja, Raghu's Sohn, ist glücklich vermählt mit Indumati, der Königstochter von Widarbha. Die wunderbare Art, wie er sie verliert und betrauert, schildert die Romanze.


32.

Eines Tags, gedenkend seines Volkes,

Ging lustwandeln der beglückte Vater

Mit der Gattin in den offnen Gärten,

Wie in seinem Paradies Gott Indra.


33.

Doch, um dem am Südmeer in Gokarna

Eingekehrten Siwa auf der Laute

Vorzuspielen, eilte durch die Lüfte

Narada im Sonnenpfad von Norden.


34.

Den um's Haupt des Saitenspiels geschlungnen

Kranz, geflochtnen aus unird'schen Blumen,

Raubte, sagt man, ihm der ungestüme

Wind, der gleichsam sich durchduften wollte.
[37]

36.

Alles, was die Jahrszeit an Gewächsen

Bot, mit Seimgeruchfüll' überbietend,

Nahm der Himmelskranz den schönen Platz ein

Auf der Königsliebsten Busenschwellung.


37.

Einen Augenblick den holden Brüsten

Sah sie ihn gesellt nur, und ohnmächtig

Schloß des Edlen Gattin ihre Augen,

Wie bei Mondverfinstrung die Nymphäe.


38.

Mit dem sinnverlassnen Leibe nieder-

Fallend, zog sie mit zum Fall den Gatten.

Nicht so? mit des Tropfen Öls Verschüttung

Kommt zu Boden auch die Lampenflamme.


39.

Vom Gefolg der beiden mit verworrnen

Weherufen aufgescheuchte Vögel,

Nistende in Lotosbüschen, schrieen

Dort nun, wie vom gleichen Schmerz betroffen.


40.

Fächlung und dergleichen hob des Fürsten

Sinnumnachtung, aber sie blieb liegen;

Denn nur da kann Rettungsanstalt frommen,

Wo vom Leben übrig ist ein Funken.
[38]

41.

Einer Laute, welche man von neuem

Will beziehn, glich die entseelte Schöne,

Die der ganz von Zärtlichkeit durchdrung'ne

Hielt umfassend im gewohnten Schoße.


43.

Und er klagte laut in Tränen schluchzend,

Angestammte Festigkeit vergessend;

Selbst geglühtes Eisen muß ja schmelzen,

Was soll man von Menschenseelen sagen!


44.

»Ach, wenn Blumen selber durch Berührung

Eines Leibs das Leben rauben können:

Was wird nicht zum Todeswerkzeug werden

In der Hand des feindlichen Geschickes!


45.

Oder ja, zu fällen sanftes Wesen,

Brauchte Sanftes nur der Lebensender;

Dessen Beispiel sah ich eine Lilie

Jüngst an Reifbeträufelung verscheiden.


46.

Oder ja, um meines Unglücks willen

Ward von Gott gebildet dieser Blitzstrahl,

Daß von ihm nicht ward der Baum zerschmettert,

Nur die Ranke, die an ihn sich schmiegte.
[39]

47.

Die du, selber wo ich dich gekränket,

Lange Zeit auf mich nicht zürnen mochtest:

Wie auf einmal mich nun, den Unschuld'gen,

Achtest du nicht würdig anzureden?


48.

Lächelklare! wohl für einen Unhold,

Einen falschen Freund mußt du mich halten,

Daß du auf Niewiederkehr zur andern

Welt von hier gingst, sonder Abschiednahme!


49.

Hatt' es doch, Geliebte, dich begleitet,

Was ist's ohne dich zurückgekommen?

Tragen mag es nun, mein übles Leben,

All' die Qualen, die es selbst verschuldet!


50.

Hier auf deiner Wange steht des Schweißes

Perle noch, erzeugt von Liebeslustkampf,

Und du selber bist in dir zergangen;

O Hinfälligkeit der Leibbegabten!


52.

Deine blumdurchflochtenen, gekrausten,

Bienenschwarme gleichen Locken regend,

Täuscht, o Zartgegliederte, der Windhauch

Mein Gemüt mit deiner Umkehr Hoffnung.
[40]

53.

Liebste! möchtest du durch dein Erwachen

Also meinen Kummer schnell zerstreuen,

Wie durch ihren Glanz bei Nacht die Pflanze

Im Geklüft Himalajas das Dunkel!


54.

Aber mich betrübt dein haarumfloßnes

Angesicht mit dem verstummten Munde,

Gleich dem nächtlich eingeschlafnen Lotos,

Wenn in ihm nicht mehr die Biene summet.


56.

Die sogar ein Bett aus frischen Blumen

Mag verletzen, deine zarten Glieder,

Sage, wie sie es ertragen sollen,

Holder Leib, den Holzstoß zu besteigen!


57.

O, zum Nichterwachen eingeschlafen,

Deines Leibes Vertrautester, dein Gürtel,

Tonlos, weil dein reger Gang nun ruhet,

Dir aus Kummer scheint er nachgestorben.


58.

Deinen sanften Laut in Kuckucksweibchen,

Deinen trunken matten Gang in Schwanen,

Deinen schwanken Blick in Rehen, deine

Flatterung in windbewegten Ranken,
[41]

59.

Diese Eigenschaften hinterlegtest

Du, beim Himmelsfluge mich bedenkend;

Aber nicht mein Herz, von deiner Trennung

Kummerschwer, vermögen sie zu stützen.


61.

Wenn von deiner Anmut nun befruchtet,

Der Asokabaum wird Blüten bringen,

Dir bestimmt zum Lockenschmuck, wie soll ich

Dir zur Grabbekränzung sie verwenden?


63.

Aus Wakulablumen, welche duften

Wie dein Odem, eine Scherzkett' hast du

Halb mit mir geschlungen, nicht vollendet,

Und nun, Himmelssängerkehle, schläfst du!


64.

Freundinnen, die Lust und Leiden teilen,

Und ein Sohn, dem Mond im Wachsen ähnlich,

Und ich selbst dir einzig hold, und gleichwohl

Fest beharrest du bei deinem Vorsatz.


65.

Unterging Genuß, dahin Vergnügen,

Der Gesang verstummt, der Lenz ist festlos,

Und des Schmuckes Anlaß ist benommen,

Einsam nun geworden ist mein Lager.
[42]

66.

Weib, geheimer Rat, vertraute Freundin,

Liebe Schülerin in süßer Tonkunst,

Mir geraubt vom mitleidlosen Tode,

Du, o sage, was mir nicht geraubt sei!


67.

Trunkenaugige, die du einst trankest

Süßen Saft von meinem Munde, wie nun

Sollst du trinken meine tränentrübe

Dir in's Jenseit nachgereichte Spendflut!


68.

Blieb die Königsmacht auch, da du fehlest,

Nur soweit sei Adscha's Lust gerechnet:

Ungereizt von anderen Begierden,

Ist in dir beschlossen mein Verlangen.«


69.

Kosala's Gebieter, also klagend

Leidgefugte Weisen um die Liebste,

Machte rings die Bäume des Gefildes

Von den Zweigen Harzflußtränen regnend.


70.

Endlich die aus seinem Schoß gerissne

Holde Gattin ward von den Begleitern

Angetan mit Totenschmuck, gegeben

Sandelaloegenährtem Feuer.
[43]

71.

»Einem Weibe starb er nach aus Kummer,

Er, ein Fürst!« erwägend solchen Leumund,

Deshalb nur nicht opfert' er der Glut sich

Mit der Kön'gin, nicht aus Lust am Leben.


73.

Und so zog er ohne sie zur Stadt ein,

Gleich dem Monde, den die Nacht verlassen

Seines Kummers Überströmung schauend

In betränter Städterinnen Augen.


74.

Doch sein Lehrer, der in heil'ger Weihe

Hütete die Siedelei, da kund ihm

Durch Eingebung ward der Schmerz des Königs,

Sendet, ihn zu trösten, einen Schüler:


75.

»Weil den Muni fromme Bräuche halten,

Obgleich deines Kummers Anlaß kennend,

Ist er selber nicht zu dir gekommen,

Der Aufrechte, um dich aufzurichten.


76.

Doch, o Trefflicher, du triffst in meinem

Munde seinen Gruß geschwinden Rates,

Du, des Ruhm die Welt vernahm, vernimm ihn,

Und im Herzen mögest du ihn wahren.
[44]

77.

Denn in dem Gebiet des unerschaffnen

Höchsten Geistes sieht mit ungehemmtem

Auge der Erkenntnis das Gedritt er,

Das Gewesne, Seiende und Künft'ge.


78.

Einst, so heißt es, über Trinawindus

Schwere Büßung in Besorgnis schwebend,

Sendete zur Störung seiner Andacht

Hari Harini'n, die Götterschöne.


79.

Er mit Zornglut der gehemmten Buße

Das Gestad des Gleichmuts überwogend,

Fluchte der vor seinem Blick liebreizend

Gaukelnden: Zum Menschenweibe werde!«


80.

»›Heil'ger Mann! ich diene fremdem Willen:

Die getane Ungebühr verzeihe!‹«

Die so Fleh'nde bannt' er doch zur Erde,

Bis sie würde Götterblumen schauen.


81.

»Sie nun ward, geboren im Geschlechte

Kratakaisika's, zu deiner Gattin,

Und sie blieb es, bis ihr fiel vom Himmel,

Unverlangt, was jenen Fluch beendigt.
[45]

82.

G'nug des Grames nun um ihr Entschwinden!

Untergehn muß alles Aufgegangne.

Richte deinen Blick auf diese Erde,

Denn die Erde ist des Fürsten Gattin.


83.

Der du, Übermut im Glück vermeidend,

Weisheit einst mit festem Sinn entfaltet,

Mögest du, da dein Gemüt ein Leid traf,

Mit Unweichlichkeit auch jetzt sie zeigen!


86.

Kummerfreien Sinns erfreue deine

Hausgenossin mit den Totengaben;

Denn der Angehör'gen stetes Weinen

Brennt den Hingeschiednen, also lehrt man.


89.

Edler Selbstbeherrscher, nicht in Herrschaft

Der Betrübnis falle, gleich Gemeinen!

Was ist Unterschied von Berg und Bäumen,

Wenn sie beid' im Winde wollen schwanken?« –


90.

»Gut, so sei es!« Also nahm er an das Wort

Seines Lehrers, und ließ ziehn den Boten;

Doch, nicht findend Raum in kummervoller Brust,

Zog auch es zum Meister gleichsam wieder.
[46]

91.

Acht Jahre bracht' er hin mit Not, getreulich

Und freundlich, um des jungen Sohnes willen,

Mit Schau'n von Ebenbildern seiner Liebsten,

Und flüchtiger Vereinungslust in Träumen.


92.

Der Keil des Kummers aber spaltet' unversehns

Sein Herz, wie eines Hauses Wand ein Feigensproß;

Annahm er dieses, Ärzten unheilbare, Weh

Für Heil, aus Sehnsucht, seiner Gattin nachzugehn.


93.

Als wohlerzogen, waffentragend, seinen Sohn

Zur Hut der Völker brauchgemäß er eingesetzt,

Des kranken Leibes üble Wohnung räumete

Der Fürst, sich unterziehend freiem Hungertod.


94.

Wo am heil'gen Wallfahrtort sich Saraju und Ganga

Mischen, ließ er seinen Leib, und trat im Götterchor ein;

Und vereint mit seiner Liebsten, reizender als jemals,

Spielet er in Wonnehäusern, Paradiesesräumen.

Quelle:
Indische Liebeslyrik. Baden-Baden 1948, S. 37-47.
Verfasst zwischen 300 und 400. Hier in der Übersetzung von Friedrich Rückert.
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