8. Die Form das Letzte

[51] Dsï Hia fragte und sprach: »Was bedeutet die Stelle:


Ihres schelmischen Lächelns Grübchen,

Ihrer schönen Augen Blinken

Macht schlichtes Weiß zur schönsten Zier?«


Der Meister sprach: »Beim Malen setzt man zuletzt die weißen Stellen auf.« Der Schüler sprach: »Also sind die Formen des Benehmens das letzte.« Da sprach der Meister: »Wer mir behilflich ist (meine Gedanken herauszubringen),[51] das ist Schang.2 Mit dem kann man anfangen, über die Lieder zu reden.«


Der Jünger Dsï Hia fragte einst den Meister über den Sinn der Stelle aus einem alten Lied, wo von einer fürstlichen Braut die Rede ist, die im einfachen Reisekleid ihrem Bräutigam entgegenfährt, deren Schönheit aber so lebhaft wirkt, daß sie in ihrem einfachen weißen Kleid so bezaubernd aussieht, wie andre in gestickten Festgewändern. Der Meister antwortete darauf: »Beim Bemalen der Festgewänder setzt man ja auch zuletzt die weißen Umrißlinien auf.« Der Schüler dachte einen Augenblick nach und sagte: »Das bedeutet also, aufs moralische Gebiet übertragen, daß die äußere Form das letzte ist, das dem Charakter den letzten, höchsten Schliff der Vollkommenheit gibt.« Da sprach der Meister erfreut: »Du gibst mir da einen guten Gedanken, mein Freund, mit dir kann man sich mit Gewinn über die Lieder unterhalten.«

2

Schang ist der Vorname des Dsï Hia.

Quelle:
Kungfutse: Lun Yu. Gespräche. Düsseldorf/Köln 1975, S. 51-52.
Lizenz: