3. Kapitel
Hochhalten der Tugend / Schang De

[324] Den Erdkreis und ein Reich zu regieren, dafür gibt es keine bessere Methode, als sich auf die Tugend zu stützen und die Gerechtigkeit auszuüben. Wenn man Tugend und Gerechtigkeit übt, so braucht man keine Belohnung, damit das Volk sich Mühe gibt, man braucht keine Strafe, damit das Verkehrte aufhört. Auf diese Weise regierten Schen Nung und Huang Di. Wenn man Tugend und Gerechtigkeit übt, so können der große Ozean und die Wasser und alle Ströme uns nichts anhaben, die Höhe des Huaberges und die Steilheit des Guaigiberges uns nicht hindern, die[324] geübten Truppen eines Königs Ho Lü von Wu, die Krieger eines Sun Wu und Wu Ki uns nicht zurückhalten. So durchdrang die Tugend der alten Könige Himmel und Erde und erfüllte die vier Meere. Ost und West, Süd und Nord, alles Land wo Sonne und Mondscheinen, das der Himmel schirmt und die Erde trägt, liebte sie und gedachte ihrer unaufhörlich. Sie waren demütig, wahrhaft und gerecht, da wurde das ganze Volk wie sie. Sie bekämpften die Feinde und niemand wußte wie sie es machten, das heißt dem Weg des Himmels folgen. Sie lehrten das Volk sein Benehmen ändern und seine Sitten bessern, ohne daß es wußte von wem es beeinflußt wurde. Das heißt den Gefühlen des Volkes folgen. So blieben die Männer des Altertums persönlich verborgen, aber ihre Verdienste leuchteten. Ihr Leib war schon zur Ruhe gegangen, und ihr Name war noch immer berühmt. Ihre Worte drangen durch, und ihre Wandlungskraft äußerte sich. Der allgemeine Nutzen breitete sich auf Erden aus, und das Volk wußte nichts davon. Wie bedurfte es da noch strenger Strafen und reichlicher Belohnungen? Strenge Strafen und reiche Belohnungen sind die Regierungsmaßregeln niedergehender Zeiten. Die drei Miau-Stämme fügten sich nicht. Da bat Yü um Truppen, sie zu bekämpfen. Schun sprach: »Es geht auch durch Tugend!« Er übte seine Tugend drei Jahre lang und die drei Miau-Stämme fügten sich.

Meister Kung hörte das und sprach: »Wer die Wirklichkeit der Tugend versteht, für den sind die Berge Mong Men und Tai Hang nicht zu steil!« So heißt es: Die Tugend ist in ihrer Wirkung noch schneller als die Regierungsschnellpost. In der Lichthalle der Dschou standen die Metallinstrumente hinten, um zu zeigen, daß die Tugend das erste und die kriegerische Kraft das zweite ist. Schun hat es auch so gemacht. Er stimmte mit der Dschou-Dynastie überein in der Geringschätzung der kriegerischen Kraft.

Der Herzog Hiän von Dsin entfernte wegen seiner Nebenfrau Li Gi den Kronprinzen. Der Kronprinz Schen Schong wohnte in Kü O. Der Prinz Tschung Örl wohnte in Pu. Der Prinz I Wu wohnte in Kü. Da sprach die Li Gi zu dem Kronprinzen: »Vorgestern abend hat der Fürst deine Mutter Giang im Traum gesehen.« Darauf[325] opferte der Kronprinz seiner verstorbenen Mutter und überbrachte das übrige Opferfleisch seinem Vater, dem Herzog. Die Li Gi vertauschte es gegen vergiftetes Fleisch. Der Herzog wollte das Opferfleisch kosten, da sagte die Konkubine: »Das Fleisch ist von weit hergekommen, bitte, laßt es erst jemand anderes kosten.« Der Kostende starb. Da gab man seinem Hund davon, und auch der Hund starb. Deshalb beschuldigte der Fürst den Kronprinzen. Der Kronprinz verschmähte es, sich zu rechtfertigen, indem er sprach: »Wenn mein Vater die Li Gi nicht in seiner Wohnung hat, so fühlt er sich nicht behaglich, ohne sie schmeckt ihm das Essen nicht.« Darauf stürzte er sich in sein Schwert und tötete sich.

Da floh der Prinz I Wu von Kü nach dem Staate Liang, der Prinz Tschung Örl floh von Pu nach dem Staate Di. Er verließ Di wieder und kam durch We. Der Herzog Wen von We behandelte ihn ohne Höflichkeit. Als er über Lu Wu nach Tsi kam, war der Herzog Huan von Tsi gerade gestorben. Da verließ er Tsi und ghig nich Tsau. Der Herzog Gung von Tsau sah, daß er zusammengewachsene Rippen hatte, da ließ er ihn sich entkleiden und im Weiher Fische fangen11. Danach verließ er Tsau und ging nach Sung. Der Herzog Siang von Sung behandelte ihn mit Höflichkeit. Er ging nach Dschong. Herzog Wen von Dschong ehrte ihn nicht Da mahnte Be Dschan den Herzog und sprach: »Es heißt: Ein weiser Herr behandelt einen Unglücklichen nicht als Unglücklichen. Nun sind die Leute, die dem Prinzen von Dsin folgen, lauter tüchtige Männer. Wenn Ihr sie nicht höflich behandeln wollt, ist es besser, Ihr tötet sie.« Der Fürst von Dschong hörte nicht auf ihn. Darauf verließ jener Dschong und wandte sich nach Tschu. Der König Tschong von Tschu behandelte ihn verächtlich. Da verließ er Tschu und ging nach Tsin. Herzog Mu von Tsin führte ihn in seine Heimat zurück. Als die Verhältnisse in Dsin in Ordnung waren und Tschung Örl Herzog geworden war, da rüstete er ein Heer, griff Dschong an und verlangte die Auslieferung des Be Dschan. Be Dschan sprach zu dem Fürsten von Dschong: »Ihr tut am besten daran, mich auszuliefern.« Der Fürst von Dschong sprach: »Es war ja meine Schuld.« Be Dschan sprach: »Ich bin gerne bereit[326] zu sterben, um von unserem Land das Verderben abzuwenden.« Da ging Be Dschan in das Lager der Truppen von Dsin. Der Herzog Wen wollte ihn in siedendem Öl kochen lassen. Be Dschan ergriff mit den Händen den Kessel und rief: »Ihr Soldaten alle, hört meine Worte! Von heute an dürft ihr nicht mehr treu gegen euren Fürsten sein, denn wer gegen seinen Fürsten treu ist, der wird gekocht.« Herzog Wen entschuldigte sich bei ihm. Er zog sein Heer zurück und schickte ihn nach Dschong zurück.

Be Dschan war seinem Fürsten treu und sein Fürst entging dadurch der Gefahr, die ihm von Dsin drohte. Er tat seine Pflicht gegenüber dem Fürsten von Dschong und der Herzog Wen selbst war darüber erfreut.

So groß ist der Nutzen der Pflichttreue.

Es war einmal ein Schulhaupt der Schule des Mo Di, namens Mong Schong, der mit dem Fürsten der Stadt Yang Tschong in Tschu befreundet war. Der Fürst von Yang Tschong bat ihn, ihm sein Gebiet zu bewahren. Dabei nahm er einen Nephritring und zerbrach ihn, damit er als Erkennungszeichen diene. Er machte mit ihm aus: »Wenn das Nephritstück, das ein Bote bringt, paßt, so höre auf ihn.« Da starb der König von Tschu. Die Minister beschlossen darauf, den Staat Wu anzugreifen. Sie sammelten ihre Truppen am Ort der Bestattung. Der Fürst von Yang Tschong war auch dabei. Die Regierung von Tschu verhängte eine Strafe über ihn, worauf der Fürst von Yang Tschong wegging. Der Staat Tschu zog darauf sein Gebiet ein. Mong Schong sprach: »Wenn man ein Gebiet erhalten hat auf Grund eines Erkennungszeichens, und das Erkennungszeichen nicht vergessen wird, und man doch nicht stark genug ist, seine Besetzung zu verhindern, so bleibt nichts anderes übrig als zu sterben.«

Da erhob sein Schüler Sü Yüo Einsprache und sagte: »Wenn dein Tod für den Fürsten von Yang Tschong von Nutzen wäre, so wäre es in der Ordnung, für ihn zu sterben. Da er ihm aber keinen Nutzen bringen würde, und die Überlieferung der Lehren des Mo Di durch deinen Tod auf Erden erlöschen würde, so ist es nicht angängig zu sterben.« Mong Schong sprach: »Nein! Ich[327] stehe zu dem Fürsten von Yang Tschong entweder im Verhältnis des Lehrers oder des Freundes oder des Beamten. Wenn ich nicht für ihn sterbe, so werden künftig die Menschen, die einen ehrwürdigen Lehrer suchen, ihn nicht in der Schule des Mo Di suchen, ebensowenig werden die, die einen würdigen Freund oder guten Beamten begehren, ihn in unserer Schule suchen. Wenn ich für ihn sterbe, so handle ich nach meiner Pflicht als Anhänger des Mo Di und setze sein Werk fort. Ich werde das Amt des Schulhauptes dem Tiän Siang Dsï in Sung übertragen. Tiän Siang Dsï ist ein würdiger Gelehrter, was sollte da zu befürchten sein?«

Da sprach Sü Yüo: »Wenn es sich so verhält, wie Ihr sagt, dann bitte ich, zuerst sterben zu dürfen, um Euch den Weg zu bereiten.«

Darauf trat er zurück und schnitt sich vor Mong Schong den Kopf ab. Der sandte deshalb zwei Jünger, um das Amt des Schulhauptes an Tiän Siang Dsï zu übertragen. Darauf tötete sich Mong Schong, und 183 Jünger starben mit ihm zusammen. Die beiden Abgesandten, nachdem sie ihren Auftrag an Tiän Siang Dsï überbracht hatten, wollten ebenfalls zurückkehren, um in Tschu für Mong Schong zu sterben.

Tiän Siang Dsï wollte sie zurückhalten, indem er sprach: »Meister Mong hat die Würde des Schulhauptes bereits auf mich übertragen.« Aber sie hörten nicht auf ihn, sondern kehrten zurück und töteten sich.

Die Anhänger des Mo Di waren der Meinung, daß sie, wenn sie nicht auf die Worte des Schulhauptes gehört hätten, wenn sie nicht die strengen Strafen und hohen Belohnungen gekannt hätten, nicht zu dieser Tat imstande gewesen wären. Heutzutage ist man vielfach der Meinung, daß man die Menschen durch strenge Strafen und hohe Belohnungen zur Ordnung führen kann, das betrachteten aber die Leute früherer Zeiten als etwas Nebensächliches12.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 324-328.
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