3. Kapitel
Wichtignehmen des Ackerbaus / Schang Nung

[452] Das Mittel, womit die heiligen Könige des Altertums ihre Leute leiteten, war, daß sie den Ackerbau wichtig nahmen. Wenn die Leute Ackerbau treiben, so bringt die Erde nicht nur Gewinn hervor, sondern das Wichtigste ist die Gesinnung der Leute. Wenn die Leute Ackerbau treiben, so werden sie ehrlich, wenn sie ehrlich sind, so sind sie leicht zu verwenden. Wenn sie leicht zu verwenden sind, so kommt das ganze Gebiet in Ruhe und der Fürst ist geehrt. Wenn die Leute Ackerbau treiben, so werden sie schwerfällig, wenn sie schwerfällig sind, so kommen wenig egoistische Gedanken auf. Wenn es wenig egoistische Gedanken gibt, so kommen die öffentlichen Gesetze in Gang. Und die Kraft des Volkes richtet sich auf Eines. Wenn die Leute Ackerbau treiben, so werden sie wohlhabend. Wenn sie wohlhabend sind, so wandern sie nicht leicht aus; wenn sie nicht leicht auswandern, so sterben sie in ihrer Heimat und denken an nichts anderes.

Wenn die Leute die wesentliche Beschäftigung aufgeben und sich mit Nebenarbeiten abgeben, so lassen sie sich nichts befehlen. Wenn sie sich nicht befehlen lassen, so sind sie weder zur Verteidigung noch zum Kampf geeignet. Wenn die Leute die wesentliche Beschäftigung aufgeben und sich mit Nebenarbeiten abgeben, so verlieren sie ihre Wohlhabenheit. Wenn sie nicht wohlhabend sind, so nehmen sie das Auswandern leicht. Wenn sie das Auswandern leicht nehmen, und der Staat kommt in Schwierigkeit, so denken sie nur darauf, ihn zu verlassen und sind nicht auf das Ausharren bedacht. Wenn die Leute die wesentliche Beschäftigung aufgeben und sich mit Nebenarbeiten abgeben so lieben sie die Klugheit. Wenn sie die Klugheit lieben, so kommt viel Hinterlist auf. Wenn viel Hinterlist herrscht, so gibt es viele Mittel, um die Gesetze zu umgehen. Dann wird Recht zu Unrecht und Unrecht zu Recht.

Hou Dsi sprach: »Warum man das Pflügen und Weben wichtig[452] nehmen muß, das ist, weil das die ursprüngliche Kultur ist.« Darum pflügt der Himmelssohn an der Spitze der Fürsten das kaiserliche Opferfeld persönlich, und die Räte und Staatsmänner haben alle ihre Beschäftigung dabei. Darum, wenn man die Zeit für das Wichtignehmen des Ackerbaus verwendet, so sind die Bauern nicht in der Hauptstadt zu sehen. Dadurch lehrt man die Menschen die Gaben der Erde verehren.

Die Königin fütterte an der Spitze der neun Hofdamen die Seidenraupen auf dem Anger und pflanzte Maulbeerbäume auf dem staatlichen Land, so waren während des ganzen Jahres hänferne und seidene Arbeiten da, um die Erziehung der Frau zu fördern.

Darum brauchte der Gatte nicht zu weben und hatte Kleidung, die Gattin brauchte nicht zu pflügen und hatte Nahrung. Männer und Frauen lebten in Arbeitsteilung, um so ihr Leben zu verlängern. Das ist die Art der Heiligen.

So nahmen sie die Zeit wichtig und sparten die Tage. Wer nicht alt war, durfte nicht müßig sein, wer nicht krank war, durfte nicht ruhen, wer nicht tot war, auf den wurde nicht verzichtet. Ein Bauer eines Feldes erster Klasse kann neun Menschen ernähren, der Bauer eines geringen Feldes fünf, und zwar eher mehr als weniger. Einer ist mit Besorgung des Feldes beschäftigt, zehn haben dadurch zu essen, und die Haustiere sind alle noch mit inbegriffen. Das ist der Weg, die Erde voll auszunützen. Wenn man aber die Arbeiten, die an der Zeit sind, nicht erledigt und die Erdarbeiten nicht getan werden, so können Lehrer und Schüler und alle Leute des Volkes keine Hüte und Mützen tragen, und selbst bei Hochzeitsfeiern und Opferfesten sammeln sich nicht die Mengen zum fröhlichen Mahle beim Wein. Ohne es nach oben zu berichten, darf der Bauer es nicht wagen, andere Arbeit zu tun. Wenn es seine Zeit beeinträchtigen könnte, so wird verboten, unkultiviertes Land in Angriff zu nehmen. Abgesehen davon, daß er nicht eine Frau desselben Familiennamens heiraten darf, geht der Landmann auf die Brautwahl nicht außerhalb des Dorfes, und die Mädchen heiraten nicht nach auswärts, um die Landwirtschaft in ruhige Geleise zu bringen. Das Verbot, unkultivierten Grund in Bearbeitung[453] zu nehmen, erfolgt aus fünf Gründen: ehe das eigene Feld gepflügt und bestellt ist, bekommt er keinen Hanf und darf keinen Mist abgeben. Ehe einer noch nicht alt ist, darf er sich keinen Garten anlegen. Ehe einer genügende Kräfte hat, darf er kein eigenes Stück Land in Bestellung nehmen. Ein Bauer darf nicht verreisen. Ein Kaufmann darf seinen Beruf nicht wechseln; weil es die Zeit beeinträchtigen würde. Damals sind Verbote betreffs der Jahreszeiten erlassen. In den Bergen darf man nicht (nach Belieben) Bäume fällen und abholzen. In den Mooren dürfen die Leute das Gras nicht anzünden, um es als Dünger zu benützen. Netze und Hasenfallen dürfen nicht zur Tür hinaus, Fischnetze und Reusen dürfen nicht ins Wasser. In den Seen dürfen ohne Genehmigung der Schiffsaufseher keine Leute unter irgendwelchem Vorwand sich zu schaffen machen, wenn es nicht an der Zeit ist.

Wenn das Volk seine Kraft nicht auf seine Felder verwendet, so gehen die Handwerker nicht auf Arbeit und der Staat ist schwer zu regieren, und die drei ungewissen Dinge kommen herbei2. Das heißt das Fundament vernachlässigen und die Gesetze übertreten. Dadurch geht der Staat zugrunde.

Alle Leute, die über sieben Fuß groß sind, gehören zu den dreierlei Beamten. Die Bauern sorgen für das Korn, die Handwerker für die Geräte, die Kaufleute für den Warenaustausch.

Wenn die zeitgemäßen Dinge nicht besorgt sind, so kommt eine große Hungersnot. Wenn man die Zeit des Bauers zum Häuserbau nimmt, so entstehen unaufhörliche Nöte, auch ohne daß sein Getreide zugrunde geht. Wenn man die Zeit des Bauers nimmt und ihn zum Anlegen von Seen benützt, so ist es ebenso, wie wenn man bei der Beerdigung flötet, weil man nicht auf sein Vergnügen verzichten mag. Dann kommen die Nachbarn und plündern.

Wenn man die Zeit des Bauers nimmt zu militärischen Zwecken, so heißt das Unglück schleifen, dann kommt jahrelang die Sichel nicht in Bewegung.

Wenn man dem Volk mehrfach die Zeit raubt, so kommen große Hungersnöte. Wenn die Pflüge auf dem Feld ruhen und die Leute plaudern und singen vom frühen Morgen bis zum Abend, so geht[454] viel Korn zugrunde. Das kommt alles davon, daß man die Wirkungen sieht, aber nicht die Ursachen kennt.

Quelle:
Chunqiu: Frühling und Herbst des Lü Bu We. Düsseldorf/Köln 1971, S. 452-455.
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