67. Die drei Schätze[71] 1

Alle Welt sagt, mein »SINN« sei zwar großartig,

aber er scheine für die Wirklichkeit nicht geschickt.

Aber gerade das ist ja seine Größe,

daß er für die Wirklichkeit nicht geschickt erscheint.

Denn die Geschicklichkeit führt auf die Dauer zu Kleinlichkeit.

Ich habe drei Schätze,

die ich schätze und hüte:

Der eine ist die Liebe,

der zweite ist die Genügsamkeit,

der dritte ist die Demut.

Die Liebe macht, daß man mutig sein kann,

die Genügsamkeit macht, daß man weitherzig sein kann,

die Demut macht, daß man fähig wird zu herrschen.

Heutzutage ist man mutig unter Preisgabe der Liebe,

weitherzig unter Preisgabe der Genügsamkeit,

den andern voran unter Preisgabe der Demut:

das ist der Tod.

Denn die Liebe siegt im Kampfe,

ist fest in der Verteidigung.

Wen der Himmel retten will,

den schützt er durch die Liebe.


Erklärung

1 Der Anfang ist nicht ganz eindeutig im Text und in der Überlieferung. In manchen Ausgaben fehlt das Wort SINN, ohne daß dadurch jedoch in der Bedeutung etwas geändert würde.

Schwerwiegender ist die von manchen bevorzugte Interpunktion: »Alle Welt sagt, meine Lehre scheine durchaus für die Wirklichkeit ungeschickt.« Unsere Auffassung wird durch den Zusammenhang bekräftigt. »Für die Wirklichkeit nicht geschickt« ist soviel wie unfähig bzw. unpraktisch.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 71-72.