36. Geheime Erleuchtung[37] 1

Was man zusammenziehen will,

das muß man erst sich richtig ausdehnen lassen.

Was man schwächen will,

das muß man erst richtig stark werden lassen.

Was man beseitigen will,

das muß man erst richtig sich ausleben lassen.

Wo man nehmen will,

da muß man erst richtig geben.

Das heißt die geheime Erleuchtung.

Das Weiche siegt über das Harte.

Das Schwache siegt über das Starke.

Den Fisch darf man nicht der Tiefe entnehmen.

Des Reiches Förderungsmittel darf man nicht den Leuten zeigen.


Erklärung

1 Auch hier wieder zum Beginn eine Reihe paradoxer Sprüche, die in ihrer praktischen Anwendung von macchiavellistischer Kühnheit sind. Darum auch nichts für die große Masse, sondern »geheime Erleuchtung«, d.h. esoterische Weisheit.

Die beiden letzten Zeilen beziehen sich wohl eben darauf. Wir haben deshalb den Ausdruck »li ki« mit Förderungsmittel, nicht, wie manche Komm. wollen, mit »scharfe Waffen« übersetzt. Vgl. zu diesem Ausdruck Abschnitt 57, dort übersetzt mit »Mittel des Wohlstands«.

Quelle:
Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Düsseldorf/Köln 1952, S. 37-38.