Kapitel VII.

Von den Umstandswörtern

[341] § 1. Philalethes. Außer den Worten, welche dazu dienen, die Vorstellungen zu benennen, hat man solche nötig, welche den Zusammenhang der Vorstellungen oder der Sätze bezeichnen. Das ist, das ist nicht, sind die allgemeinen Zeichen der Bejahung oder der Verneinung. Der Geist verbindet aber außer den Gliedern der Sätze noch ganze Sentenzen oder Sätze, § 2. indem er sich derjenigen Worte bedient, welche diesen Zusammenhang der verschiedenen Bejahungen und Verneinungen ausdrücken und Umstandswörter genannt werden. In deren richtigem Gebrauch besteht hauptsächlich die Kunst des Wohlredens. Damit also die Schlußfolgerungen methodische Folgerichtigkeit haben, braucht man Ausdrücke, welche den Zusammenhang, die Einschränkung, den Unterschied, den Gegensatz, den Nachdruck usw. zeigen. Und wenn man sich dabei irrt, verwirrt man den Zuhörenden.

Theophilus. Ich gestehe, daß die Umstandswörter von großem Nutzen sind, aber ob die Kunst des Wohlredens auf ihnen hauptsächlich beruht, weiß ich doch nicht. Wenn jemand nur Aphorismen gäbe oder abgerissene[341] Thesen, wie auf den Universitäten oft geschieht, oder bei dem, was bei den Juristen artikuliertes Libell genannt wird, oder wie in den den Zeugen vorgelegten Artikeln, so wird man, wenn man nur die Sätze gut ordnet, fast dieselbe Wirkung erzielen, um sich verständlich zu machen, als wenn man Verbindungen und Umstandswörter beigefügt hätte; denn der Leser ergänzt sie dabei. Dagegen gestehe ich, daß er verwirrt werden würde, wenn man die Umstandswörter schlecht anwenden wollte, und zwar viel mehr, als wenn man sie ausließe. Auch scheinen mir die Umstandswörter nicht allein die Teile der aus Sätzen bestehenden Rede und die aus Vorstellungen bestehenden Teile des Satzes zu verbinden, sondern auch die Teile der auf verschiedene Arten durch die Kombination anderer Vorstellungen gebildeten Vorstellung. Und zwar wird diese letztere Verknüpfung durch die Präpositionen bezeichnet, während die Adverbien auf Bejahung und Verneinung im Zeitwort Einfluß üben, und die Bindewörter zur Verbindung verschiedener Bejahungen oder Verneinungen dienen. Aber das alles haben Sie ohne Zweifel schon selbst bemerkt, wenn auch Ihre Worte anders zu lauten scheinen.

§ 3. Philalethes. Der die Umstandswörter behandelnde Teil der Grammatik ist weniger bearbeitet, als der, welcher die Fälle, die Geschlechter, die Modi, die Zeiten, die Gerundien und Supina der Reihe nach darstellt. Allerdings hat man in einigen Sprachen auch die Umstandswörter mittels bestimmter Untereinteilungen mit scheinbar großer Genauigkeit unter Titel gebracht. Aber diese Listen durchzulaufen, genügt noch nicht; man miß über seine eigenen Gedanken reflektieren, um die Formen, welche der Geist beim Denken gebraucht, zu beobachten, denn die Umstandswörter sind ganz ebensogut Merkzeichen der geistigen Tätigkeit.

Theophilus. Allerdings ist die Lehre von den Umstandswörtern wichtig, und ich wünsche, man möchte sie mehr im einzelnen bearbeiten. Denn nichts würde geeigneter sein, die verschiedenen Formen des Verstandes erkennbar zu machen. Die Geschlechter bedeuten für die philosophische Grammatik nichts, die Kasus aber entsprechen den Präpositionen, und oft steckt die Präposition im Worte selbst und ist davon gleichsam[342] verschlungen, und sind andere Umstandswörter in den Flexionen der Verba versteckt.

§ 4. Philalethes. Um die Umstandswörter richtig zu erklären, genügt es nicht (wie man in einem Wörterbuche häufig es macht), sie mit den Worten einer anderen Sprache, die ihnen am nächsten kommen, zu übersetzen, weil es ebenso schwer ist, ihren genauen Sinn in der einen Sprache wie in der anderen zu begreifen, und außerdem die Bedeutungen der verwandten Wörter beider Sprachen nicht immer genau dieselben sind und auch in derselben Sprache wechseln. Ich erinnere mich, daß es in der hebräischen Sprache ein Umstandswort von einem einzigen Buchstaben gibt, von dem man mehr als fünfzig Bedeutungen aufzählt.

Theophilus. Es haben sich Gelehrte damit befaßt, Abhandlungen über die Umstandswörter des Lateinischen, Griechischen und des Hebräischen zu machen, und der berühmte Jurist Strauchius hat ein Buch eigens über den Gebrauch der Umstandswörter in der Jurisprudenz geschrieben, wo die Bedeutung von nicht geringem Gewicht ist Indessen findet man, daß man sie gewöhnlich mehr durch Beispiele und Synonyme zu erklären versucht, als durch deutliche Begriffe. Auch kann man nicht immer für sie eine allgemeine oder formelle Bedeutung, wie der verstorbene Bohlius es nannte, die allen Beispielen Genüge leisten könnte, finden; aber dessenungeachtet könnte man immer alle Gebrauchsarten eines Wortes auf eine beschränkte Zahl von Bedeutungen zurückführen. Und das eben müßte geschehen.

§ 5. Philalethes. In der Tat übertrifft die Zahl der Bedeutungen die der Umstandswörter bedeutend. Im Englischen hat das Wörtchen but sehr verschiedene Bedeutungen: 1. wenn ich sage: but to say no more, so bedeutet das: aber um nicht mehr zu sagen, als wenn dieses Umstandswort bezeichnete, daß der Geist in seinem Fortschritt anhielte, nachdem er seinen Lauf eröffnet hatte. Aber wenn ich sage: 2. I saw but two planets, d.h. ich sah nur zwei Planeten, so schränkt der Geist den Sinn dessen, was er sagen will, auf das gerade Ausgedrückte mit Ausschluß alles übrigen ein. Und wenn ich sage: 3. you pray, but it is not, that God would bring you to the true religion, but that[343] he would confirm you in your own, d.h. »Ihr bittet Gott, aber nicht, daß er Euch zur Erkenntnis der wahren Religion bringen wolle, sondern in der eurigen befestige«, so bezeichnet das eiste dieser but oder aber eine Voraussetzung im Geiste, die anders ist, als sie sein sollte, und die zweite zeigt, daß der Geist einen direkten Gegensatz zwischen dem Folgenden und dem Vorausgehenden setzt. 4. All animals have sense, but a dog is an animal, d.h. alle Tiere haben Empfindung, nun ist der Hund ein Tier. Da, bezeichnet die Partikel die Verbindung des Untersatzes mit dem Obersatze.

Theophilus. Das französische mais kann in allen diesen Fällen, den zweiten ausgenommen, dafür gesetzt werden; das deutsche »allein« aber, als Partikel genommen, welches eine Mischung von mais und seulement bedeutet, kann zweifelsohne an Stelle des but in allen jenen Beispielen, das letzte ausgenommen, wo man noch ein wenig zweifelhaft sein könnte, gesetzt werden. Auch wird mais im Deutschen bald durch aber, bald durch sondern wiedergegeben, welches letztere eine Trennung oder Scheidung bezeichnet und sich dem Umstandswort allein annähert.

Um die Umstandswörter richtig zu erklären, genügt es nicht, eine abstrakte Erklärung davon zu geben, wie wir hier eben getan haben, sondern man muß zu einer Umschreibung schreiten, welche an ihre Stelle gesetzt werden kann, wie die Definition an Stelle des Definierten treten kann. Wenn man sich bemühen wollte, diese stellvertretenden Umschreibungen bei allen Umstandswörtern, so weit sie dessen fähig sind, zu suchen und festzusetzen, so würde man ihre Bedeutungen damit bestimmen. Versuchen wir in unseren Tier Beispielen uns dem zu nähern. Im ersten will man sagen: Bis jetzt soll bloß von dem geredet sein und nicht mehr (non più); im zweiten: Ich sah nur zwei Planeten und nicht mehr; im dritten: Ihr bittet Gott nur darum, nämlich, in eurer Religion befestigt zu werden, und nicht mehr usw.; im vierten, als wenn man sagte: Alle Tiere haben Empfindungen, das allein hat man in Betracht zu ziehen und braucht nicht mehr. Der Hund ist ein Tier, also hat er Empfindung. Somit[344] bezeichnen alle diese Beispiele Beschränkungen und ein Non plus ultra, sei es in den Dingen, sei es in der Rede. Auch bedeutet but ein Ende, eine Grenze des Laufes, wie wenn man sagte: Halt, da sind wir, wir sind bei unserem But angelangt. But, Bute ist ein altes deutsches Wort, welches etwas Festes, einen Standort bedeutet. Beuten (ein veraltetes Wort, welches sich noch in einigen Kirchengesängen findet) heißt verweilen. Das mais hat seinen Ursprung von magis, wie wenn jemand sagen wollte: »Was das weitere angeht, so muß man das lassen«, was so viel ist, als sagen: es braucht nicht mehr, es ist genug, kommen wir zu etwas anderem, oder das ist etwas anderes. Da aber der Sprachgebrauch auf wunderliche Art wechselt, so müßte man mit den Beispielen sehr ins einzelne gehen, um die Bedeutungen der Umstandswörter ordentlich zu bestimmen Im Französischen vermeidet man das doppelte mais durch ein cependant und würde sagen: Vous priez, cependant ce n'est pas pour obtenir la vérité, mais pour être confirmé dans votre opinion. (Ihr bittet, indessen nicht um die Wahrheit zu erlangen, sondern um in eurer Meinung befestigt zu werden.) Das sed der Lateiner wurde früher oft durch ains ausgedrückt, welches das anzi der Italiener ist, und die Franzosen haben bei ihrer Sprachverbesserung dieselbe um einen vorteilhaften Ausdruck gebracht. Z.B. Il n'y avait rien de sûr, cependant on était persuadé de ce je vous ai mandé, parce qu'on aime à croire ce qu'on souhaite, mais il s'est trouvé que ce n'était pas cela, ains plutôt etc.

§ 6. Philalethes. Meine Absicht war, diesen Gegenstand nur ganz leicht zu berühren. Ich will noch hinzufügen, daß die Umstandswörter oft entweder beständig oder in einer gewissen Satzbildung den Sinn eines ganzen Satzes umfassen.

Theophilus. Wenn das aber ein vollständiger Sinn ist, so geschieht es, glaube ich, durch eine Art Ellipse; sonst können meiner Ansicht nach die Ausrufungswörter allein für sich stehen und in einem Wort alles sagen, wie: Ach, Wehe. Denn wenn man »aber« sagt, ohne etwas anderes hinzuzufügen, so ist es eine Ellipse, wie um zu sagen: Aber da können wir noch lange warten und brauchen uns nicht vergeblich[345] etwas vorzureden. Etwas dem Ähnliches gibt es im nisi der Lateiner; si nisi non esset, wenn es kein Aber gäbe. Übrigens wäre es mir ganz recht gewesen, wenn Sie auf die Wendungen des Geistes, welche im Gebrauch der Umstandswörter wunderbar hervortreten, etwas näher eingegangen wären. Aber da wir Ursache haben, uns mit dem Abschluß dieser Untersuchung der Worte und der Rückkehr zu den Dingen zu beeilen, so will ich Sie hier nicht weiter aufhalten, obwohl ich wirklich glaube, daß die Sprachen der beste Spiegel des menschlichen Geistes sind und eine genaue Analyse der Wortbedeutungen mehr als jedes andere die Verrichtungen des Verstandes erkennen lassen würde.

Quelle:
Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand. Leipzig 21904, S. 341-346.
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