[65] 17. Der Weg zum Sieg

[65] Es gibt in der Welt einen immer sieghaften Sinn und einen immer sieglosen Sinn. Der sieghafte Sinn heißt Demut, der sieglose Sinn heißt Gewalt. Beides ist leicht zu erkennen, aber die Menschen erkennen es noch nicht. Darum haben die Alten gesagt: Gewalt verläßt sich darauf, daß andres dem eignen Selbst nicht gleichkommt; Demut verläßt sich auf das, was aus dem eigenen Selbst hervorgeht.

Wenn einer sich darauf verläßt, daß andere seinem eignen Selbst nicht gleichkommen, und die andern erreichen es dann doch, seinem eignen Selbst gleichzukommen, so kommt er in Gefahr. Wer sich auf das verläßt, was aus seinem eigenen Selbst hervorgeht, kommt nie in Gefahr. Dadurch siegt man über Ein Ich wie nichts; dadurch waltet man über der Welt, wie nichts. Das heißt: man siegt nicht, es siegt sich von selber. Man waltet nicht, es walte sich von selber.

Meister Yu sprach: »Willst du Härte, mußt du sie durch Weichheit wahren. Willst du Stärke, mußt du sie durch Schwäche schützen. Übe dich in Demut, so wirst du fest. Übe dich im Schwachsein, so wirst du stark. Wenn du darauf siehst, was einer übt, so weißt du, ob Glück oder Unglück ihm naht. Die Gewalt siegt über das, was dem eigenen Selbst nicht gleich kommt. Das, was dem eigenen Selbst gleichkommt, stößt hart mit ihr zusammen. Demut siegt durch das, was aus ihrem eignen Selbst hervorgeht, ihre Macht ist ohne Maß.«

Lau Dan sprach:


»Sind Waffen stark, so bersten sie.

Ist ein Baum stark, so zerbricht er.

Weichheit und Schwäche sind Gesellen des Lebens,

Festigkeit und Stärke sind Gesellen des Todes.«

Quelle:
Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Stuttgart 1980, S. 65-66.
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