Gemeinsamkeit der Liebesempfindung

[164] Aber das Weib ist nicht immer nur Heuchlerin, wenn sie nach Liebe

Schmachtet und in der Umarmung des Manns den Leib an den Leib preßt,

Während sie saftige Küsse mit saugender Lippe ihm darreicht;

Denn oft tut sie's von Herzen so gern, und sie sucht im Genüsse

Wechselwirkung und reizt zum Ziele des Rennens zu kommen.

Ebenso können die Hühner, die Kühe, die Stuten und Schafe

Samt dem wilden Getier von den Männchen besprungen nicht werden,[164]

Wenn nicht auch ihre Natur von überschwellender Brunst glüht,

Daß sie mit Freuden erwidern die Liebeserregung der Gatten.

Siehst du nicht oft, wenn gemeinsame Lust die Gepaarten zusammen

Koppelt, wie beide die Qual des gemeinsamen Bandes erdulden?

Wenn auf den Plätzen so oft sich die Hunde zu trennen bemüht sind

Und mit aller Gewalt auseinander zu kommen; doch leider

Hängen sie innig verknüpft durch der Liebe gewaltige Bande.

Niemals täten sie dies, wenn sie nie die gemeinsame

Wollust Kennengelernt, die sie lockt und fest in den Banden zurückhält.

Drum wie ich sage, so ist's: die Lust ist beiden gemeinsam.

Quelle:
Lukrez: Über die Natur der Dinge. Berlin 1957, S. 164-165.
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